Volltext Seite (XML)
Bezugt-Preit tr L«tp^a u«» »«ech W^W, lräger und Sprdtteu« 2»«l ttaltch m» Hau» -avrachk: VV L,70^A »ierteliährl. Bat un>«r» ^üiale» «. >», nahmeftellen «dgrholtt 78 «««ül., »lrrttllthrl. Durch »I« Poft: innerhalb Deullchland» un» der V«chh»n Kolonie» viettellährl. 8 vb moaatl. l.Ld autlchl. Postdeftellgeld. ferner n Belgien, Dänemark, den Tonallstaate«. .Naliea, lluremdurg, 'Niederlande, Nor wegen, ceslerreich-Ungarn, Ruhland, Schweden, Schweiz u. Spanien. I« alle» übrigen Staaten nur direkt durch dt« BejchLsttilelle d« Blatte« erhältlich. Da» Leipziger Dageblatt «richrutt 2»M täglich, Sonn. u. Feirri^t nur morgen». Lbonumll«nt«Ranadme: AuguNusplatz 8, bei unseren Drägern, Filialen, Spediteuren und Annahmestellen, sowie Postämtern end Briesttigern. Linzelberkauflpret» der Mora«» rnlgad« t0^» der Abend insgade S eipMer TagMaü Handelszeitung. Amtsblatt -es Nates und des Nolizeiamtes der Stadt Leipzig. Anzeige«. Preis Mr Juchend» nut Leipzig und Umgeduni dS iaövnttrn, 00 »w breite Petit,ei!r L dch 7« am» breit« «ektameznle l ^e WU nutwärt» M ch, Reklamen t.2» Juchest« »an Behörden 'm mailichen Den hch 7» wm brritt Petttteil« M Mchchäft»anz«i«n mit Plavvorschristea und ch der Abendautgab« im Preis« erhöh'. Rabatt nach Taris. Beilagegedübr d p. Dausen» exN. Postgebühr. FrUerteilt» Aufträge können nicht zurück- ormgeu werden. Für da« lirscheinen an bqtimmttn Dagen und Plätzen wird kein« Garantie übernommen. Anzeigen-Annahme: Augustutplatz 8, »et sämtlichen Filialen u. allen Annoncen- ltzpeditionrn de« In- und Auilande«. «edattion und «eschäfttAel»! Iohannitgasse 8. Fernsprecher: I46SL 14V!«, I4M4 Haupt-Ftllale Irredra: Seesttabe 4,1 (Telephon Et). Nr. StS. Das Wlchtlglte. * Die Verhandlungen im Moabiter Krawall- prozeß sind auf Montag mittag vertagt worden. Die Rechtsanwälte Heine und Bahn hatten wegen Besorgnis der Befangenheit gegen vier Mitglieder der Strafkammer einen neuen Ablehnungs- antrag gestellt. (S. Gerichtssaal.) * Der „Ostervatore Romano" veröffentlicht eine Kundgebung über den Kampf der beiden Richtungen unter den deutschen Katho liken. sS. Dtschs. R.) * Das türkische Irade betreffend die Sank tionierung des Anleihevertrages mit Deutschland ist am Freitag erlassen worden. * Die Bcrgbauoereine Preußens und Lothringens stifteten aus Anlatz des öO jährig en Bestehens der Berliner Bergakademie 100 600 Mark für das Studium der bergbaulichen Wissenschaften. sS. Letzte Dep.) * Graf Leo Tolstoi ist plötzlich von seinem Wohnsitze Zasnaja Poljana verschwunden. Er soll sich in ein altes Kloster begeben haben. (2 Tageschronik.) Berliner Religlonsgelpräche. In Berlin werden neuerdings wieder reli giöse Diskussionen veranstaltet, deren Zweck es ist, über verschiedene Probleme der gegen wärtigen religiösen Bewegung eine gewisse Klarheit zn erhalten. Man müht sich mit an erkennenswertem Ernst, aus der äußeren Schale der Glaubenssätze den Kern der Religion herauszulösen und hofft dadurch auf eine größere Verständigung zwischen den verschiedenen Kon fessionen und auf eine Vertiefung der religiösen Anschauung überhaupt. Man diskutiert mit verstandesmäßigen Gründen, mit logischen Ge dankenketten. Und gibt es irgend etwas auf der Erde, über das man erbitterter, fanatischer, tüftelnder, glänzender disputiert hätte als über die Glaubenssätze der verschiedenen Reli gionen? Die Sache hat sich nur dadurch kompliziert, daß diese verstandesmäßig zu erfassenden Glau benssätze als ethisches Postulat auftraten. „Man muß dran glauben", in diesem naiven Gretchenwort haben wir den Kern des ganzen Problems in der Nuß. Das Abweichen im Fürwahrhalten in dieser allereigentlichsten Ver standessache wird als Frevel, als Sünde emp funden. Frevel und Sünde in diesem Sinne sind aber Begriffe, die aus dem religiösen Ge fühle hergeleitet sind. Und so ist es denn nur zu natürlich, daß der Glaube oft mit der Religion schlechtweg identifiziert wird. Wer sich hiervon frei macht, dem kann nicht entgehen, daß das religiöse Gefühl, der reli giöse Geist in einzelnen Zeitaltern wohl zurück getreten, aber nie ganz entschlummert ist. Oder will man etwa die Behauptung wagen, Lessing, der Toleranzdichter, Goethe, der „dezidierte Nichtchrist", oder Kant, der Zer schmettere! des ganzen verstandesmäßigen Glaubensbaues, seien ohne Religion gewesen? Sind es die Atheisten von dem Schlage, dem Jacobsen seinen wunderbar schönen und tiefen „Niels Lyhne" geschrieben hat, die Leute vom „pietistischen Atheismus", der „natürlich" größere Forderungen an die Menschheit stellt als das Christentum? Und die sozialistische Bewegung? Niemand, der tiefer dringt, als sozialdemokratische Presse und Versammlungs redner es erkennen lassen, kann sich der Ein sicht verschließen, daß es sich bei der sozialdemo kratischen Weltauffassung für Millionen um eine Religion handelt. Religiöse Glaubens inbrunst hat die Millionen zusammengeschmiedet. Es ist gewiß leise komisch, aber doch auch un endlich rührend, wenn man aus Magdeburg hörte, daß dort die Delegierten in stummer Ehrfurcht an dem leeren Platze Bebels standen und seinen Stuhl, seinen Tisch ergriffen be trachteten. Die Botschaft Marxens ist ein schlechtes, ein Dysangelium. Der äußere Elau- bensbau ist absurd, die fanatische Pfaffenschaft der sozialdemokratischen Kirche ist bemüht, den religiösen Kern der Lehre unter einem Wust schaler Dogmen immer tiefer zu vergraben. Daneben aber bleibt richtig, daß die Verkündung der sozialdemokratischen Missionar« für Tausende Sonntag, üen 13. November 1910. l04. Jahrgang. und aber Tausende eine frohe Botschaft bedeutet hat, mit ihrem Zukunftsstaat, ihrer Bruderliebe i der Armen, ihrem Glauben an die Menschheit, die nur durch die Erbsünde des Eigentums zu halben Teufeln geworden sind. Eine Zeit, die die Anfänge einer solchen, damals noch leben digen, jetzt längst erstarrten und verknöcherten Bewegung des Heils sah, die Egidy, Nietzsche, Wagner erlebte, war das eine Zeit des Schlummerns für den religiösen Geist? Und ist es etwa gar die Gegenwart? Das Gegenteil ist der Fall. Es zeigt sich eine selten erlebte religiöse Sehnsucht. Der Glaube an die Lehren der Sozialdemokratie hat zwar stark eingebüßt, auf der anderen Seite aber haben viele, die diesem Glauben bisher an hingen, wieder erkannt, daß das längst tot geschlagene Christentum immer noch lebt. Den Problemen des Christentums also gilt in der Oeffentlichkeit das stärkste Interesse. Hat Christus gelebt? Dies ist eine Frage, die mit den Waffen der Vernunft und der Kritik, mit logischen Schlußfolgerungen und verstandes mäßigen Haarspaltereien diskutiert wird. Wenn Christus nicht gelebt hätte, so wäre von den Christusleugnern das größere Wunder zu erklären, wie Gott eine so hohe Weltauffassung und Ethik ohne jeden historischen Ausdruck un gezählten Millionen zur seligen inneren Gewiß heit gemacht hat! Daran werden aber die Anhänger von Drews eben scheitern. Das zu zeigen sind nicht nur die Berliner Religions gespräche berufen, sondern auch die religiösen Disputationen.ernster Art, die anderswo ab gehalten werden. „Glück imü Politik." Vor nicht allzu langer Zeit ist in festlicher Stunde von gehobener Stelle aus das Wort gefallen, daß wir einen immer mehr erstarkenden Idealismus er leben, der, aus dem Naturalismus des letzten Menschenalters heraus wachsend, besten wirtschaftliche und soziale Voraussetzungen überwindet. Was Friedrich Nietzsche ahnend vor Jahren verkündete: die Umwertung aller Werte, das ist jetzt in vollem Gange, ja es naht zum Teil schon reifender Vollendung. Don solchen durchgreifenden Umwandlungen bleiben auch die politischen Parteien nicht verschont. In den achtziger Jahren des vorigen Jahrhunderts waren sie in die Fänge der wirtschaftlichen und so zialen Vereinigungen geraten, sie vergaßen, zum Teil bis zur entwürdigenden Selbstverleugnung ihrer Parteigrundsätze, daß sie eine Welta n) ch auung, nicht aber ausschließlich wirtschaftliche Wünsche einer bestimmten Klasse zu vertreten hatten. Durch die infolgedessen zunehmenden Zersetzungen der politischen Parteien sank vielfach das Niveau der politischen Dis kussion, verwilderten naturgemäß auch die Formen des politischen Kampfes, so daß schließlich mancher Bürger, angewidert von dem eklen Feilschen um Mehrung irgendeines Vorteils, eine Beteiligung am öffentlichen Leben sich versagte. Männer wie Sombart predigten geradezu eine Flucht aus der Politik, und das mißverständliche, aber herzlich bequeme Wort, daß Politik den Charakter verderbe, ward zu einer abge brauchten Scheidemünze, die besonders von denen gern ausaegeben wurde, die ihre erschlaffende, spicß- bürgerliche Beschaulichkeit nicht misten wollten. Langsam wandeln sich jetzt die Verhältnisse. Ein Ausweg aus der beengenden Wirrnis erscheint mög lich, und von tapferen Vorkämpfern des neuen Idea lismus werden die ermatteten, politischer Denkarbeit entwöhnten Geister zu neuem politischen Handeln auf gerüttelt. Adolf Mattias, Wirklicher Geheimer Oberregierungsrat a. D., der vor nicht allzu langer Zeit aus dem preußischen Kultusministerium schied, hat seinen Zeitgenossen zwei prächtige Bücher ge schenkt; ein Elternbuch: „Wie erziehen wir unseren Sohn Benjamin" und ein Jugendbuch: „Wie werden wir Kinder des Glücks". Von diesem zweiten hat er eine neue Ausgabe besorgt (L. H. Beckscher Verlag, Oskar Beck, München) und darin zu den alten Schätzen neue gehäuft, die beredtes Zeugnis von der Warm herzigkeit, von dem Freimut und von der starken liberalen Weltanschauung des Verfassers ablegen. Er hält den Zaudernden, die sich noch immer nicht zur Teilnahme am politischen Leben zu entschließen ver mögen, die fröbliche Wahrheit entgegen, daß Politik und Glücksgefühl sich vereinigen lasten: x „Wer aus der Politik Glückswert« schöpfen will, der muß vor allem bestimmtepolitische Grundanschauungen und Grundsätze be sitzen, der muß mit weitem Blick und ruhigem Der. standnis in die Welt blicken und mit jenem schönen maßvollen Optimismus, der ohnehin zu aller praktischen Lebensphilosophie gehört und der mit der Diätetik politischen Denkens aufs innigste verbunden sein muß. Ich kann mir «in Glück in d«r Politik zurzeit nicht ander, denken al« auf dem Boden weitherziger liberaler Leben», auffassung. Duldsam muß ich sein gegenüber jeder Weltanschauung, auch wenn ich sie nicht zu teilen vermag, ich muß aufmerksam fremde Mei nungen prüfen und klares Empfinden für fremde Ansprüche besitzen, muß die feine Kunst der Gerech tigkeit üben bei der Beurteilung de» geschichtlichen Gange» unseres Staatsleben» und muß vor allem alle» Entwicklungsfähige zu erkennen und zu werten suchen." Diesem Bekenntnis zur liberalen Weltanschauung I gibt Matthias eine gediegene wissenschaftliche Fun dierung: „Geschichtlich ruhige Betrachtungsweise weiß, I daß widerstrebende Kräfte, die aus dem Fortschritt I erwachsen, sich fast immer dann am leichtesten in I die historische Entwicklung eingelebt und in den Rahmen der Staats- und Gesellschaftsordnung ein gefügt haben, wenn die sogenannten führenden I Stände zeitig für den Ausgleich poli- tischer Ungerechtigkeit und Gegen sätze gesorgt haben." Nirgends in der Welt ist die Wahrheit dieses alten geschichtlichen Erfahrungssatzes vielleicht tiefer empfunden worden, als in England, nirgends ist aber auch die daraus entsprungene Erkenntnis konse quenter in die Tat unigesetzt worden, als eben wieder im Inselreich. Von den Briten sollten wir lernen, daß die schöpferische Beteiligung am politischen Leben das Glückbringende für den Staatsbürger; oder, um I diesen Gedanken in Worte von Matthias zu kleiden: „Wo der gesunde Staatsgedanke alte Formen sprengt und neue Lebensformen schafft, in der kräftigenden Freiheit der Sonne, die für alle und nicht nur für bevorzugte Kasten scheint, da soll man sein Glück darin juchen, dieses Werden und Schaffen an allen Enden zu begreifen ' und als neues Leben zu begrüßen." Weiter zieht Matthias frisch vom Leder gegen die Griesgrämigen, die in politischen Kämpfen etwas Unerträgliches, Unbehagliches und Entsetzliches sehen; dann wettert er mit gleicher Ursprünglichkeit gegen die Engherzigen, die einem Volke die politischen Rechte verkümmern möchten, „das übermorgen gerade wie in den Tagen der Begründung des Reiches verpflichtet ist, mit der Waffe 'm der Hand unter Aufopferung von Leib und Leben dieses Recht zu schützen". Aber, und nun soll Matthias selbst länger zu Worte kommen: „Das sieht man heute nicht ein, weil klein liche Geister und kleinliches Urteil das Oberwasser haben, die nicht bedenken, wie in der Tiefe gesunde Strömungen wallen, die im ganzen Volke sich zeigen, wenn Zeiten kommen mit starkem nationalen Empfinden, wenn es sich etwa handelt um Opfer des Reiches für seine Kolonien ode" um die Verstärkung unserer Wehr kraft oder um Gefahren, die mit dem österreichisches Bundesgenossen gemeinsam zu bekämpfen sind. Es steckt noch viel gesundes Leben und tapfere Ge sinnung in unserem Volke, Imponderabilien und Ideale sind noch nicht geschwunden. Man braucht deshalb nicht als klagender Philosoph am Wege zu stehen, sondern kann als praktischer Politiker das Glück ge nießen. Vor allem soll man sich dieses nicht stören lasten durch politische Schlagworte. Denn was heute ein Schlagwort heißt, kann morgen schon eine ganz leere Phrase sein. Ein solches glück st örensesSchlagwort ist das Wort non der Demokratisierung unseres Staates. Ich will nur das sagen, daß man, )e älter man wird und je ruhiger und gefestigter rn liberaler Weltnusfastung, die Vereinigung von Monarchie und Demokratie Sym pathie erweckt und Uhlands Wort aus der Paulskirche, daß kein Haupt über Deutschland leuchten werde, das nicht mit einem vollen Tropfendemokratischen Oels gesalbt sei, seinen prophetischen Charakter bewahrt und jede <vpur von Phrase verliert. Seitdem unsereArmee dem Volke gegeben ist, seitdem sie „demokratisiert" ist, sollte man doch nicht so ängstlich vor die sem Volke sein und sollte uns mit Schlagworten nicht bange machen. Ich habe den Krieg als ge meiner Soldat mitgemacht, habe monatelang in Feindesland eine Korporalschaft geführt, habe in die Herzen des gemeinen Mannes manchen Einblick getan und habe die Angst vor Demokratisierung gründlich verlernt. Denn ich habe so viel schlich tes und selbstloses Pflichtgefühl so viel Königstreue und Manneszucht auch bei Leuten gesehen, die im Frieden vielleicht einem Sozialdemokraten ihre Stimme geben, daß mein politisches Elücksgefühl nicht gestört worden ist. Mehr habe ich an dieser Empfindung eingebüßt, wenn ich gesehen habe, wie weit bei Leuten, die fern von links ab auf derrechten Seite stehen, die Ideale hinter Selbstsucht und Streberci weit zurücktreten und eine Roheit der Ge sinnung im Genuß des Lebens und der Liebe sich zeigt, die mit feiner Bildung, auch mit politischer Bildung unvereinbar sein sollte." So zeichnet Matthias mit kräftigen Strichen die Leute, die das Elücksgefühl durch Politik nicht auf kommen lasten wollen. Einer ganz besonderen Gruppe von Staatsbürgern — wir denken da besonders an den Herrn vom Rcichsverband gegen die Sozialdemokratie — schreibt er folgende treffliche Worte ins Stamm buch: „Wir sollten nicht gar zu unglücklich sein, wenn einmal die Randalierfüchse der äußer sten Linken zu sehr aus Rand und Band geraten. Zn politischen Kämpfen kann e» eben nicht immer fein säuberlich zugehen. Denen, die von unten kommen und aufwärtsdrangen nach Freiheit und Besitz und menschenwürdigem Dasein muß man es verzeihen, wenn sie gegen hergebrachte Aeußerlichkeiten verstoßen und sich lär- meicher benebmen, als die bestü pnssiftemtis, die übrigens auch nicht immer den Ton finden, den man bei ihrer traditionellen Bildung und bei ihrer Nahstellunq zu Thron und Altar unbedingt vor aussetzen sollte," Zum Schluß weift Matthias, um sein« Meinung zu belegen, auf das Land der unbegrenzten Möglich keiten hin, besten Bürger auch in politischer Beziehung sieghaft geworden find vermöge ihres unverwüstlichen Optimismus, jenes Optimismus, von dem im Früh jahr hier in Leipzig Präsident Wheeler von der Universität in Berkeley so packend zu erzählen wußte. Wer mit so treuen, Hellen Auaen die Politik betrachtet, wie Matthias, der wird das unsagbare Glück empfinden, von dem der besprochene Buch abschnitt glänzendes Zeugnis ablegt. Der Jugend gilt das Buch. Möge es bei ihr gediegene Früchte reifen lasten. Aber auch den im politischen Kampfe stehenden Aelteren ist es nützlich, darin zu lesen, damit endlich das Epigonenhafte in unserem poli tischen Dasein das kompromittierende Kompromiß wesen, die Zustände der Halbheit und Schwäche aus hören. Aus den Darlegungen von Matthias klingt vernehmlich das kraftvolle Eoethewort heraus: „Des echten Mannes wahre Feier ist die Tat." Das Ssquith sagte. Seit langem ist es Brauch geworden in England, daß der Premierminister auf dem alljährlichen Lord mayors-Bankett in Euildhall eine politische Pro- grammredc hält. Englands Staatsleiter, weit ein fernt, sich öffentlichen Reden als einem lästigen Zwange zu entziehen, begrüßen vielmehr diese Gc legenhcit, sich freier auszusprechen, als es an feier lichstcr Stelle, bei der Parlamentseröffnung durch den Mund des Königs, geschehen darf. Eine Euildhall rede Disraelis in einem Jahre schwerster Krisis trat sogar der berühmten Neujahrsansprache Napoleons III. von 18ü9 ebenbürtig in ihrer Bc deutsamkeit an die Seite. Man kann nicht behaupten, daß die diesjährige Lordmayorsrede des englischen Regierungs hauses Epoche mache. Die Gedanken über Rüstung und Abrüstung haben wir gerade auch aus seinem Munde schon allzu oft gehört. Mr. Asquith ist, wie alle eng lischen Liberalen, kein Anhänger des Grundsatzes, dag den Krieg vorbereiten müsse, wer den Frieden wolle. Er meint im Gegenteil, Laß die „Anhäufung einer Maste von explosivem Material an sich eine Gefahr sei, denn die Bürde der höheren Besteuerung erzeuge überall Beunruhigung, und diese Beunruhigung führe wieder zu inneren Ruhestörungen und könne dann leicht eine Ablenkung durch einen Angriff nach außen erstreben". Wenn nicht Herr Asquith, der Friedens freund, spräche, könnte man versucht sein, diesen Teil seiner Rede organisch mit dem Abschnitte zu ver knüpfen, in dem er die Unruhen in Wales berührt, annehmen, daß er seine unruhigen Lands leute an di« möglichen Einwirkungen solcher inneren Verlegenheiten auf da» Gemüt nicht ganz sattel- und charakterfester Minister erinnern wolle. Wer aber den englischen Premier genügend kennnt, der niemals der Oeffentlichkeit eine Kammer seines Herzens als un erforschtes Land vorenthalten hat, der ist vor solchem Mißtrauen geschützt. Asquith will offenbar zunächst einen allgemeinen Satz aussprechen, der hier und da in der Vergangenheit wirklich bewährt ist. Soweit er aber bestimmte Vorgänge der Gegenwart vor Augen hat, denkt er fraglos nicht an Englands Zustände, sondern hat andere Leute gemeint. Unter > den „Ruhestörungen" hat er offenbar die Berliner Krawalle der letzten Wochen verstanden, deren Bc deutung von der Presse des Auslandes, nicht ohne Schuld unserer Regierung, ihrer Berichterstattung und Ausschlachtung, weit über die Gebühr gesteigert ist. Wir find es ja längst gewöhnt geworden, daß Deutschlands Friedensliebe von den Uebelwollenden des Auslandes verdächtigt wird. Und wie «ngbegrenzt I sind nicht die Kreise des englischen Volkes, die nicht zu den übelwollenden Beurteiler« Deutschlands qe hören? Wie einflußlos sind sie nicht auch im Gefüge der herrschenden Partei Englands? Für eine vierzig jährige Erfahrung halten sie nach wie vor ihren Blick verschlossen, die kein einziges Beispiel bietet, daß das Deutsche Reich eine Ablenkung seiner manchmal nicht geringen inneren Schwierigkeiten durch auswärtige Abenteuer versucht habe. Daß aber Englands „Entente"-Mächte wiederholt sich an dieser gesähr lichen Kurpfuscherei versucht haben, das will nun ein mal in ihrem Gedächtnis nicht haften? Mr. Asquith rüttelt an der Kette seines Minister amtes. Als Oppositionelle hatten er und seine Parteigenosten es so leicht, die Rüstungspolitik der Tories als eine Ausgeburt des „Imperialismus", zu befehden. Als Regierungspartei dürfen sie es nicht wagen, einer Wahlbewegung ins Auge zu sehen, mit der Anklage ihrer Gegner behaftet, daß sie „die Flotte vernachlässigt, den Zwei-Mächte-Standard er schultert" haben. Daher ihr geheimer Wunsch und immer wieder ihre Anbohrungen: möchten doch die anderen anfaiigen! „Die anderen" haben aber nun einmal kein Bedürfnis, den englischen Liberalen ihre Wahlparole zu besorgen! Co muß Herr Asquith sich in kraftlosen Klagen über den „civaulus vitiosm-" ergehen, der über Rüstungen zur Abwendung der Kriegsgefahr immer zu neuer, größerer Kriegsgefahr führe! Seine Ausführungen, daß Englands über die ganze Länge und Breite der Welt ausgedehnte Bc sitzungen rhm vor anderen Ländern Vorsicht aus I erlegen, sind unbestreitbar. Aber dieses Verhältnis I wird ja ständig noch ungünstiger gestaltet! Lange Jahrzehnte schon ist vor allem Indien Englands I Sorgenkind gewesen. Allein der weiteste Rühmen. in den der geographische Begriff Indiens gespannt wurde, schloß mit den Enden Afghanistans ab. Nun wird neuerdings auch Persien in den englischen Interestenkreis einbezogen. Zuerst die zweite Ans läge des japanischen Bündnisvertrages begrenzte die Unterstützungspflicht der Ostasiaten durch einen Persien durchziehenden Meridian. Dann kamen die I Abmachungen mrt Rußland, die Südpersien dem eng lischen Einflüsse unterstellten. Da der gefährlichste I Gegner der englischen Herrschaft in Indien. Rußland l war. so hatte doch England, wenn es seine Rcibungs flächen nicht noch vermehren wollte, das begreifliche Bedürfnis, ein neutrale» Persien als „Pufferstaat" I zu erhalten und nicht Rußland die erste Handhabe zum Einmarsch seiner Truppen in die Nordhälfte des asiatischen Staates zu gewähren. Nunmehr trifft I es Anstalten, die ihm zugesprochene Süd^älft«. in nn mittelbaren Okkupationsbesitz überzuführen, und I macht dem Perservolke die Folgeerscheinunacn seiner Staatsumwälzung zum Varwurfe, die unwidcr sprachen englischen Einflüsterungen entsprungen war' An diesem Beispiele kann man ersehen, wie Eng i land selbst, wie auch Englands Liberale die Liin- I des „oirvulus eitiosus" immer dicker auftragen und