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Be-llgS-Preit litt Leipzig m>» Vorort« durch uos«« Träger und Spediteure 2mal täglich in« Hau« gebracht: VO ^onaU., T.70^ss vierteliLhrl Bet unsrrn stiltalen u. An» nahmefteven abgeholtr 7S monati., S.LL »terteljLhrl. Durch dt» P«ft: Innerhalb DeuychlanbS und der deuttchen Kolonien oieneliidrl lt.vo ^e, monatl. I-liV au-Ichl. Postdeslellaeld. ferner 'n Belgien, Tanemark. den Donaultaaten, Italien, üuremdurg, Riederlande, Sier» wegen, Oesterreich. Ungarn, Nuhland, Schweden^ Schwel« u. Spanien In allen übrigen Staaten nut direkt durch di« BeichLsi,stelle de» Blatte« erhiUUtch. La« Leipziger kageviatt erscheint 2 mal «»glich. Sonn-u Feteriaa« um morgen». iiwonneiuent-SnnabMl Augustutplatz 8» bei unseren Trägern, z,I,a>en Svedileuren und Annahmestellen, wwi« BostLintern und Briesträgern. Sinzelberkauldprei« der MoV«n- Lusgab« lU der Abendausgabe S npMerTagMaü Handelszeitung. Amtsblatt des Rates und des Rolizeiamtes der Lka-t Leipzig. 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R.) * Die deutsche Regierung beabsichtigt, nach Verabschiedung der Reichsoersicherungsordnung mit Italien neue Verhandlungen über die Ver- sicherungsbehandlung der beiderseiti gen Arbeiter anzuknüpfen. (S. Dtschs. R.) * Die Reichsregierunq hat den von Bayern ge stellten Antrag auf Zulassung zur Einfuhr fran zösischen Schlachtviehes nach Deutschland zur Linderung der Fleischnot genehmigt, da gegen die Zufuhr lebender Schweine aus Oester reich-Ungarn ab gelehnt. (S. Letzte Dep.) * Zwischen mexikanischen Bundestruppen sowie Polizeimannschaften und den Gegnern Les Präsidenten Diaz ist es in Puebla zu einem hef tigen Kampfe gekommen, bei dem beide Teile e r» hebliche Verluste erlitten. (S. Ausl.) Soll Sie Zeluiten! To meint die „Germania"; und das Koppsche Zentrumsbtatt spricht damit nicht nur seine eigne Meinung aus. Nein, diese Forderung ergebe sich angeblich logisch aus der Kaiserrede in Beuron. Zu dieser Inter pretation braucht sich die „Germania" nur eines kleinen logischen Saltomortales zu bedienen indem sie behauptet, die Bestrebungen des vom Kaiser so hochgelobten Benediktinerordens seien nicht wesentlich verschieden von denen der anderen beschaulichen Orden mit Einschluß der Jesuiten. Die Behauptung ist keck. Es gibt im Schoße der katholischen Kirche kaum größere Gegensätze als Benediktiner- und Jesuitenorden. Die Gleichstellung beider Orden ist also grundfalsch. Schlimmer und außer ordentlich bedenklich ist es, daß es wieder Worte des Kaisers sind, die das Zentrumsblatt zu dieser Folgerung veranlassen. Der November frieden vom Jahre 1908 hat nicht lange gedauert, denn in den letzten Monaten ist die Oeffentlich- keit wiederholt durch Reden des Kaisers kritisch gestimmt worden. Es macht nichts aus, daß diese Reden des Kaisers in der letzten Zeit in erster Linie mystizierend-religiös und erst in zweiter politisch sind. Nach ihrer Wirkung sind sie zu bewerten. Man kann es schier nicht fasten, daß gerade ein Hohenzollcr die Ansichten hegt und aus spricht, die uns der Kaiser immer wieder kund tut: „die Krone, die ich trage, kann nur dann einen Erfolg verbürgen, wenn sie sich gründet auf das Wort und die Persönlichkeit des Herrn". Die Krone des Alten Fritz gründete sich nicht auf das Wort und die Persönlichkeit des Herrn. Kaum einer hat so schonungslos über das Christentum geurteilt, wie dieser Preußen herrscher, der zuerst den Hohenzollernthron hinausgehoben hat über das Gewimmel all der Thrönlein im Heiligen Römischen Reiche Deut scher Nation. Auch der Frömmste kann nicht leugnen, daß Friedrich II. seinem Lande Er folge errungen hat, die fast beispiellos sind in der Geschichte. Als Folge der jüngsten Hohenzollernrede befürchten wir eine Verwirrung der Anschauungen, die von der Zentrumspreste geflistentlich gefördert wird. Gewiß, die „Germania" hat unrecht, wenn sie meint, wer die Benediktiner lobe, müsse die Jesuiten ins Land holen. Aber wie will man hoffen, in der Diskussion vor der Maste Unterschiede wie diese,demWistenden so handgreif lich, dem Laien so schwer zu zeigen, recht Heraus stellen zu können? Der Benediktinerorden ist eine alte aristokratische Organisation im Schoße der katholischen Kirche. Männer, die des Welt treibens müde waren und in vornehmer Beschaulichkeit sich am Worte des Herrn, an schönen Gemälden, schöner Musik, schönen Wissen schaften erbauen wollten, sind in seinen Schoß geflüchtet. Männer, die die Welt erobern wollten, haben den Jesuitenorden begründet und seine Reihen immer wieder aufgefüllt. Nicht Ruhe, sondern Kampf, nicht Beschaulichkeit und stilles Sichgcnügen, sondern rastlose Arbeit des Pre digens, des Schürens, der Jntrigue sä m-fforom ecclllrill) gloriaw, das macht die Tätigkeit des Jesuitenordens aus, den ein fanatischer in valider spanischer Soldat gründete und mit allen Raffinements einer mehr als sklavischen Disziplin und eines überhitzten, rationalistisch erfaßten Mystizismus zum wahrhaften „Fähn lein Jesu" erschuf. Kampf die Losung, Er oberung, Unterjochung der Geister das Ziel. Das Ziel, dem klug alle Regungen der Menschenseele dienstbar gemacht wurden; so auch die Kunst und die Wissenschaft. Gibt cs einen schrofferen Gegensatz zum vornehm-beschaulichen Aestheten- tum, wie es an den altehrwürdigen Sitzen der Benediktiner gepflegt wurde und nur in sehr abgeschwächtem Maße noch wird, als die Jesuitenkunst? „Die neuen Aufgaben zu lösen, war die ruhige, kalte, friedlich stille Kunst von vorher nicht fähig. Ein starker berauschender Trank mußte geboten, die stärksten Effekte mußten verwendet werden. Nur das Prunk volle oder Derbe, plebejisch Handgreifliche konnte die Plebs gewinnen." So urteilt Richard Muther von der Jesuitenkunst, der Kunst der Gegenreformation. Sollen wir diese dema gogischen Vorkämpfer der alleinseligmachenden Kirche wirklich wieder auf deutschen Boden lasten? Auf deutschen Boden die Leute, denen es von der Ordensregel streng verboten ist, von ihrem Vaterlande, ihrer Herkunft auch nur zu sprechen? Wir sollen nicht und wir wollen nicht. Wir werden uns aber darauf gefaßt machen müssen, daß uns dies Verlangen mit neuer Kraft allüberall wieder entgegenhallt, mit neuer Kraft, dis gesogen ist aus den kühn inter pretierten Kaiserworten im Kloster Beuron. Die „Germania" deduziert bereits, daß, da der Geist des Benediktinerordens eins sei mit dem Geiste der katholischen Kirche, mit dem aller ihrer wahren und echten Söhne, der Katholizismus von der Regierung ja noch ganz anders als zurzeit bevorzugt werden müsse. Es scheint fast, als ob man jetzt im Zen trumslager die Stunde gekommen vermeint, den längst inbrünstig ersehnten Kulturkampf zu entzünden. Wie stellt sich der Reichs kanzler hierzu? Liegt es in den Zielen seiner Politik, dte Anmaßung des Zen trums ins Unerträgliche wachsen zu lassen? Er wird im Reichstage an einer Antwort auf diese bange Frage nicht vorbei können, denn die Anmaßungen des Zentrums steigen bereits ins Angemessene. * Die konservative „Kreuzztg." druckt einige Stellen aus einem Artikel ab, den tue „Germania" «ur Rede des Kaisers im Kloster Beuron veröffentlicht und bemerkt dazu u. a.: „Da die Veröffentlichung der Kaiserrede in der offiziösen Presse ausgeblreben lSie ist von der „Nordd. Allg. Ztg." übernommen worden! D. Red.) sei, müsse man annehmen, daß die Rede vertraulichen Charakter hatte und keine politische Kundgebung für weitere Kreise war, also von den Zuhörern ebenso ausgenommen werden mußte, wie andere improvisierte Reden des Kaisers. Die unbe fugte Veröffentlichung der Rede in der Zentrumspresse und ihre politische Frukti- zierung werde eine dem Zentrum keineswegs erfreu liche Wirkung haben. Was die Nutzanwendung der „Germania" zugunsten des Jesuitenordens be treffe, so müsse man sie mit aller Bestimmtheit ablehnen. An eine Aufhebung des Iesuitengesetzes denke die konservative Partei jedenfalls nicht." — Das sind ganz verständige Worte, sie paffen aber wenig zu den Taten der Konservativen, durch die die Stellung des Zentrums so erheblich gestärkt worden ist. volkserzlehmtg. Den im Herbst nächsten Jahres zusammentreten den Landtag soll die Frag« der Dolksschulreform b«. schäftigen. Obwohl die Regierungsvorlage noch nicht fertig ausgearbeitet ist und demgemäß der öffent lichen Kritik noch nicht hat unterbreitet werden können, so haben sich von den politischen Parteien be sonders die Nationalliberalen doch schon seit längerer Zeit eingehend mit dem Schulproblem be schäftigt. Namentlich im Vorstand und Ausschuß des Leipziger Nationalliberalen Vereins Haven eingehende Beratungen stattgefunden, deren Ergebnis dem vom Nationalliberalen Landesverein gebildeten Schulausschuß unterbreitet werden wird. Dieser Ausschuß tritt am 4. Dezember, wie schon gemeldet, in Dresden unter Vorsitz des Landtaasabaeordneten Dr. Seyfert - Zschopau zusammen, der bereits im letzten Landtage in die Debatte über die Fragen der Volkserziehung vielfach einaegriffen und seine Ansichten über die Gestaltung unseres Schulwesens kürzlich in einer Hochinterestanten Schrift niedergelegt hat, deren Lektüre nur angelegentlichst empfohlen werden kann. Die Schrift, die das Problem der Erziehung im ganzen von seiner tiefsten Tiefe aus zu erfassen sucht, gibt in gedrängter, oft mehr andeutcndcr als aus- lührender Form eine Fülle von Anregungen, indem sie zunächst eine Kritik unseres Volkslebens nach «einen verschiedenen Beziehungen unternimmt und daran Vorschläge für die Besserung knüpft. Als Leit motiv der ganzen Schrift, wie der gesamten Auf fassung des Verfassers vom Staat und vom Volks leben können folgende Sätze gelten: „Die öffentlichen Einrichtungen müssen so getrof fen werden, daß jeder einzelne sich seinen Kräften ent sprechend entfalten kann. Nach diesem Gesichtspunkte muß die Jugenderziehung organisiert werden. Es ist ein Ideal, die vollkommenste Geistesbildung jedem im Volke zu ermöglichen; solange dieses Ideal nicht zu erreichen ist, müssen Erleichterungen für begabte arme Kinder erstrebt werden. Die Jugenderziehung hat als individuelles Ziel die Anbahnung einer durchgeistigten Persönlichkeit, als soziales Ziel die Richtung dieser Persönlichkeit auf bewußte Unterordnung der egoistischen Interessen unter die soziale Pflicht ins Äuge zu fassen. Die Jugenderziehung, d. h. die planmäßige und öffent liche Erziehung, sollte ununterbrochen bis zur Ab leistung des Militärdienstes dauern, wenn sie auch naturgemäß in den späteren Jahren mehr und mehr zurücktritt und der Selbsterziehung Platz macht. Bis zu einem gewissen Lebensalter soll die Schulerzichung gemeinsam sein, dann teilt sie sich nach den verschie denen Berufsarten, denen die Jugend zugeführt wird. Die Berufswahl muß sich nach der individuellen Be gabung und Neigung richten. Jeder Beruf ist an sich gleich ehrenhaft. Für öffentliche Aemter ist der Tüchtigste und der Würdigste zu wählen. Vorrechte anderer Art sind allmählich zu beseitigen." Von diesem Gedanken ausgehend, fordert der Ver fasser eine gründliche Reform unseres gesamten Schul wesens. Er erhebt zunächst gegen die Schule, und zwar gegen die höhere wie die übrigen, den berech tigten Vorwurf, daß sie lebensfremd sind und dem Kernjpruch „fürs Leben lernen wir" mehr und mehr untreu geworden sind. Um diesem zu entgehen, soll in Zukunft der Ge sichtspunkt der gemein bürgerlichen Ar beit in dem gesamten Betriebe der Volksschule zum herrschenden werden. Den Einwand, daß damit die Volksschule ihres idealen Gehaltes beraubt würde, weist der Verfaßer mit dem Hinweise zurück, daß in der Arbeit des Alltages die idealen Elemente keines- aiegs notwendigerweise fehlen müßten, sondern daß es eben eine Hauptaufgabe sei, unser Alltagsleben unter höhere Gesichtspunkte zu stellen. Unser ganzer Volksschulbetrieb müsse praktisch im guten Sinne werden, grundlegend und wertvoll für das gemein bürgerliche Leben. Im Anschluß hieran stellt der Ver fasser eine Forderung auf, die in den Beratungen des oben erwähnten Ausschußes jedenfalls lebhafte De batten entfesseln wird, nämlich die Forderung: „einen solchen lebenspraktischcn Unterricht müßen alle Kinder Lurchmachen, weil sie ihn alle brauchen und weil wir ihn als ein volkserzieherisches Mittel brauchen, Schäden unseres öffentlichen Lebens zu heilen." Nicht ganz konsequent will es uns erscheinen, wenn der Verfaßer im nächsten Satze doch noch die Möglichkeit offen läßt, daß die höheren Schüler an fangs nicht die allgemeine Volksschule besuchen, son dern Liesen „lebenspraktischen" Unterricht nach gleichem Lehrplan auf der Unterstufe der höheren Schule erhalten. Wenn man einmal der Auffassung zustimmt, daß alle Kinder einen solchen Unterricht durchmachen müssen, so erscheint es jedenfalls auch am besten, diesen Unterricht in einer allgemeinen Volksschule zu erteilen. Die wissenschaftlichen Auf gaben der höheren Schule werden dann nicht zu kurz kommen, wenn man, wie der Verfaßer fordert, die Ziele nach der Rücksicht auf die Schüler gestaltet und das jetzt herrschende Stoffprinzip durch das Persön lichkeitsprinzip ersetzt. Es gilt, in allen Schichten der Bevölkerung solche Bürger zu erziehen, die zuerst Menschen und Volksgenossen, dann Ver treter eines Berufes und Standes sind, es gilt, ein Volk heranzuzichcn, das sich in allen seinen Teilen versteht, dessen Bürger sich gegenseitig würdigen, weil einer des andern Werk doch einigermaßen kennt. In dem Lehrstoff, um den herum sich aller Unterricht gruppieren müßte und den Dr. Seyfert als „Lebenskunde" oder „Kulturarbcitskunde" bezeichnen möchte, schlägt er zu behandeln vor: Die Gebiete der Ernährung, der Kleidung, der Wohnung, des Klein gewerbes, des Kleinverkehrs, des Großbetriebes und des Eroßverkehrs, der Verwaltung und der geistigen Kulturarbeit. An diese lebenspraktischen Kapitel läßt sich nach Ansicht des Verfaßers alles an schließen, was an Denken und Wißen vom l-Kanne des Volkes gefordert werden muß, und auch die ge schichtlichen und geographischen Betrachtungen laßen sich unter dem Gesichtspunkte der menschlichen Kultur zur Kulturgeschichte und Kulturgeographie aus gestalten. Auch Mathematik, Zeichnen, Formen sind im engsten Anschluß an die Stoffe der Lebenskunde zu üben. Als freie Lehrstoffe, d. h. solche, die nur durch gelegentlich gegebene Anknüpfungspunkte mit der Lebenskunde zu verbinden sind, bezeichnet der Verfaßer den religionsgeschichtlich en Unterricht, Naturbetrachtungen und Kunstbetrach tungen. „Für den historischen Religionsunter richt ist der natürliche Gang in den Tat sachen gegeben, seiner Tendenz nach wird er in der deutschen Volksschule das allgemein christliche Prinzip innehalten. Wo es die Verhält nisse durchaus erfordern, soll man den gegebenen Zeit umständen doch so Rechnung tragen, daß katholische und evangelische Kinder von einem bestimmten Zeit punkte an getrennten Religionsunterricht erhalten. Konfessioneller Schulen bedarf es dazu nicht." Das ist ganz unsere Meinung und bietet wohl auch die einzige wirkliche Lösung der Frage. Auf den methodischen Weg, den Dr. Seyfert be treten will, um seine Vorschläge in der Praxis zu be tätigen, können wir hier im Rahmen eines kurzen Artikels nicht speziell eingehen. Das würde zu weit führen. Nur ein wichtiger Gedanke sei hier noch her vorgehoben, nämlich der, daß -er Grundsatz der Selbständigkeit der Kinder, den Seyfert mit als wichtigstes Prinzip hinstellt, auch den Verkehr im Unterricht beeinflussen soll. Das Frage- und Antwortspiel zwischen Lehrer und Schüler soll einem freien Unterrichtsgespräch, in dem das Kind ''ragt und der Lehrer ihm nur das Antworten erleichtert, weichen. Und nun zum Schluß die Frage: Wie soll der Lehrer durch seine eigene Vorbildung in den Stand gesetzt werden, diesen Anforderungen genügen zu können? Darauf gibt Seyfert die Antwort: Unsere deutsche Schule braucht einen einheitlichen Lehrerstand — und damit gleichen Bildungs gang für alle Lehrer. Wir brauchen Lehr stühle für Pädagogik an allen deutschen Hochschulen und eine selbständige, freie pädagogische Forschung, damit hängt zusammen, daß man dem Lehrer Ver trauen schenkt und Freiheit gewährt, die Schule ins gesamt von der Abhängigkeit losmacht, in der sie der Kirche gegenüber steht, daß man ferner die geistliche Schulaufsicht als eines freien Lehrerstandes unwürdig beseitigt, daß man aber auch den gesamten Lehrer stand wirtschaftlich den übrigen gebildeten Ständen gleichstellt. Sine Berliner Weltausstellung? Berlin, 19. November. Seit dem B c s u ch e Kaiser Wilhelms in Brüssel und seit dem Bekanntwerden der Aeußc rungcn, die der Monarch dort dem Reichskommissar Geheimrat Albert gegenüber getan, ist das Pro blem einer „Berliner Weltausstellung" wieder in den Vordergrund der allgemeinen Debatten gerückt, wo es sich wohl nun auch eine Weile aufhalteu wird. Die Frage ist ja nicht neu. Sie ist seit der Reichsgründung immer wieder aufgetaucht und hat namentlich zu Beginn der neunziger Jahre zu leb haften Erörterungen geführt, die schließlich damit endeten, daß Berlin sich auf die große Eewerbeaus- stellung beschränkte, die 1890 stattsand, während das eifersüchtig gewordene Paris mit verdoppelter Energie seine „Exposition internationale et universelle" für 1900 vorbereitete, um der Welt zu zeigen, daß das Iahrhundcrtende in Sachen der Kultur „doch noch Frankreich gehöre" und nicht Deutschland. In Berlin hat dann zehn Jahre lang kein Mensch mehr von dem begrabenen Weltousstellungsprojekt geredet, bis vor einiger Zeit der alte Plan aufs neue auftauchte, mit dem Hinweis, daß das Jahr 1913, in dem Wilhelm II. sein silbernes Regierungsjubiläum feiern wird, der geeignete Zeitpunkt für ein so großes Unternehmen fei. Aber auch davon ward es bald wieder still, und erst die vielfach kommentierten Worte des.Kaisers selbst hatten nun die Aufmerksamkeit dem 'interessanten Thema wieder zugewandt. . : - Der Kern dieser Brüsseler Aeußerungen war eine höchst energische Skepsis, und damit be findet sich der Kaiser in Uebereinstimmung mit der überwältigenden Mehrheit der Berliner Bevölkerung. Es würde in der Tat eins der größten Wagniße sein, die deutsche Geschäftswelt und Industrie und das ge samte Ausland zu einer Weltmesse an die Spree zu laden. Es ist vor allem Lies vollkommen richtig: wir haben kein Terrain zu einer solchen Veranstal tung! Die systemlose Unsinnigkeit der Bebauung des Groß-Berliner Riesengeländes kann nicht schärfer zum Ausdruck kommen als in dieser Wahrheit. Die unglaubliche Tatsache ist nicht abzu leugnen, daß die deutsche Hauptstadt in der unmittel baren Nachbarschaft ihrer Häusermaßen nicht im ent ferntesten freien Raum genug zur Verfügung hat, um die ungeheuren Hallen und Anlagen unterzubringen, die eine Weltausstellung fordern würde. In diesem Punkte wird uns Paris immer überlegen bleiben. Der weit vorausblickenden Klarheit und Genialität der Männer, die seit Jahrhunderten seine Stadt gestaltung bestimmt haben, verdankt es die Weit räumigkeit und luftige Freiheit seines Grundrisses, die es ihm vor zehn Jahren ermöglichte, das riesenhafte Getriebe der Ausstellung an den Ufern und Kais der Seine zu etablieren und es un mittelbar an einem Mittel- und Knotenpunkt des modernen und eleganten Lebens: an der Place de la Concorde, beginnen zu laßen. Keine Stadt der Welt kann darin mit Paris wetteifern; Berlin am allerwenigsten. Jetzt rächen sich die Ratlosigkeit, der Dilettantismus und die Blindheit, die seit Dezennien den Ausbau unseres Stadtgebietes reglementieren. Und nun steht nicht einmal mehr das Tempclhofer Feld zur Verfügung! Doch, ob man das aus die«em Grunde besonders zu beklagen hat, ist wiederum zweifelhaft. Die Erfahrung lehrt, daß die Terrains für so kolossale Ausstellungsunternehmungcn nicht in der Nachbarschaft der weniger schönen und ärmlicheren Stadtßegenden gesucht werden müssen, sondern in möglichster Nähe der elegantesten, reichsten, vornehmsten Quartiere. Das internationale Publi kum will nicht durch die belanglosen Viertel der kleinen Leute fahren oder gar gehen — das mag nicht sehr sozial empfunden sein, aber es ist eine Tatsache, mit der gerechnet werden muß. Wir haben in Berlin 1890, als wir die Gewerbeausstellung ans Ostende der Stadt, nach Treptow, legten, die harte Sprache dieser Tatsache genugsam kennen gelernt. Das Tempelhofer Feld wäre der Süden Berlins. Der hilft uns auch nichts — eine Ausstellung müßte in den Westen! Denn auch die Automobile, die cs 1590 noch nicht gab, werden die Antipathie der geld ausgebenden Berliner und Fremden gegen die pro letarischen Reviere der Stadt nicht ganz besiegen. Auch das wäre einer der Gründe für die Erfolg« der Pariser Weltausstellungen des vorigen Jahrhunderte; daß sich ihr Ausstellungsgebiet direkt an die Gegend der großen Promenade anschloß, die vom Louvre und den Tuilerien durch die Thamps Elysi's zum Bois de Boulogne hinaus führt. Und auch jetzt in Brüssel war es für das Gelingen der ganzen Veranstaltung von unabsehbarem Vorteil, daß ein Ausstellungs- gelände unmittelbar am Bois de la Cambre zur Per fügung stand. Die Imponderabilien, die in dieser Mihl de; Platzes ruhen, dürfen beileibe nicht unter, schätzt werden; die richtige Lösung der Schwierigkeiten, dre sich hier bieten, ist eine Voraussetzung und Be dingung des glücklichen Ausgangs. Aber andere Bedenken kommen hinzu. Vor allem