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Leipziger Tageblatt und Handelszeitung : 01.01.1911
- Erscheinungsdatum
- 1911-01-01
- Sprache
- Deutsch
- Vorlage
- SLUB Dresden
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Rechtehinweis
- Urheberrechtsschutz 1.0
- Nutzungshinweis
- Freier Zugang - Rechte vorbehalten 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id84535308X-191101017
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id84535308X-19110101
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- oai:de:slub-dresden:db:id-84535308X-19110101
- Sammlungen
- Saxonica
- LDP: Zeitungen
- Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
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Zeitung
Leipziger Tageblatt und Handelszeitung
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Jahr
1911
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Monat
1911-01
- Tag 1911-01-01
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Monat
1911-01
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Jahr
1911
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Lelrnlsrr Tageblatt. Nr. l. los. Jahrgang. dustricllen den Wahn verbreiten, die Industrie werde t)ier von der Regierung und den Standen vernach/ lässigt, ja sogar angefeindet, und daß er damit da/ Signal zu einer Zerfleisckung der Parteien gegeben hätte, die für die Entwicklung unserer inneren Mr- hältnisse verhängnisvoll zu werden drohe. Dabei Xabe der Verband nicht einmal erreicht, was er wolle/oenn die Zahl der industriellen Vertreter in der -weiten Ständekammer sei seit den letzten Wahlen /junken, dagegen die Zahl der sozialdemokratischen -uertreter so gestiegen, das, die sozialdemokratische Fraktion bei nahe die stärkste Fraktion in der Kamm/ geworden sei. Auch sonst aber trüge die üble Sa/k überall die übelsten Früchte und öffne auch dcm/Ülödesten die Augen darüber, das? die Entwicklung der Dinge auf diesem ikvege unfehlbar dem Abgründe zusührc. Um das Vaterland vor diesem Abgniabc zu retten, emp siehlt Herr Opitz dann der Industrie, sich der kon servativen Partei anschlichen. Der Gesamtvorstand des Verbandes Sächsischer Industrieller, der die gegentBartige und Voraussicht, tich auch noch für längere Zeit die zukünftige Leitung des Verbandes Sächsischer Industrieller darstellt, hat in seiner letzten Sitzung zu diese» Angriffen und Unterstellungen des H:lni Opitz Stellung genommen und beschlossen, sie al- eine un wahrhaftige und verdrehende Darstellung der Tatsachen vor dem Lande zurückweisen. Der Verband hat niemals bei oer Industrie den Wahn verbreiten wollen, als wenn die Industrie geflissentlich von der Regierung und den Ständen crngefeindet werde. Er hat allerdings und mit vollem Recht aus das Mißverhältnis hingewiesen, in dem namentlich bei Gründung des Verbandes die >iraft und Bedeutung der sächsisck)«n Industrie zu ihrer gesetzmäßigen Vertretung stand, hat die un gerechte Bevorzugung des Agraricrtums in der sächsischen Steuergesetzgebung bekämpft und ge fordert, daß in der Ersten Ständekammer des Landes, in der 27 Großgrundbesitzer gesetzmäßig Sitz und Stimme haben, auch die iür das Erwerbsleben wich tigen Stände von Industrie, Handel und Gewerbe eine ausreichende gesetzmäßige Vertretung erhielten, was bis heute noch nicht geschehen ist. Wenn Herr Opitz als Zeichen für die Berücksich tigung der industriellen Interessen aus die industrielle Entwicklung Sachsens hinmeist, so können wir diese Beweisführung als stichhaltig nicht anerkennen. Dir sächsische und die deutsche Industrie hat sich ihre Stel lung und ihre Entwicklung vielfach gegen eine un günstige Gesetzgebung erkämpfen müssen. Das bat auch ein weitblickender Staatsmann, nämlich der frühere Reichskanzler Fürst Bülow, durchaus an erkannt, als er bei Einbringung der Handelsverträge ini Deutschen Reichstag in seiner Rede vom 1. Fe bruar 1905 darauf hinwies, daß inan den Vertrags staaten bei den Industriezöllen Zugeständnisse hätte machen müssen, daß man aber überzeugt sei, die In dustrie werde mit Hilfe ihrer ausgezeichneten tech nischen Kräfte trotz dieser unerwünschten Zugeständ nisse ihren bisherigen Besitzstand erkämpfen und auch noch weitere Fortschritte zu machen vermögen. Fürst Bülow hat damit ausdrücklich anerkannt, daß man aus Gründen des Agrarschutzes bei den letzten Han delsverträge,, Zugeständnisse machen mußte, die der Industrie den Kampf um den Weltmarkt erschwerten, und hat seine Hoffnung auf Ueberwindunq dieser Schwierigkeiten lediglich auf die Kraft der Industrie gesetzt. Herr Opitz aber, der die industrielle Ent 2 Wicklung alsFolge der Gesetzgebung darstellt, würde in diesem Falle sagen: Dank der industriefreundlichen Handelsverträge hat sich die Industrie weiter entwickelt. Wir erkennen im Gegensatz zu der uns unterschobenen Stellung gegen die Stände und Sie Re gierung gern an, daß die sächsische Industrie vielfach von beiden dankenswerte Förderung erfahren hat. Wir verwahren uns aber auf das entjchieoeuste da gegen, eine jahrzehntelange Arbeit von Generationen sächsischer Industrieller unberücksichtigt und die Ent wicklung der sächsischen Industrie lediglich aus das Konto sächsischer Gesetzgebung zurückgesühn zu sehen. Wenn Herr Opitz darauf hinweist, daß die Zahl der industriellen Vertreter nach dem Pl u r a l w ahl- recht gesunken fei, so bedauert das der Verband Sächsischer Industrieller ebenfalls. Diese Tatsache des ziffernmäßigen Sinkens der direkten industriellen Vertretung konnte den Verband aber nicht hindern, dem Pluralwahlrecht an sich zuzustimmen. Die Ge schichte vieler Staaten zeigt, daß gewaltsame Um wälzungen am besten dann vermieden wurden, wenn die herrschenden Klassen im gegebenen Augenblick be reit waren, berechtigten Konzessionen zuzu stimmen. Eine solche berechtigte Konzession war das Pluralwahlrecbt in Sachsen, das uns vor sozialdemo kratischen Ueberflutungen schützt, gleichzeitig aber die Sozialdemokratie zwingt, praktische Arbeit zu leisten, anstatt sich vor dem Lande lediglich als Märtyrerin der von der Gesetzgebung ausgeschlosienen soziald.'mo- kratischen Arbeiterschaft hinzustellen. Im übrigen hat es Herr Opitz vollkommen in der Hand, auch trotz des Pluralwahlrechts für eine Ver stärkung der industriellen Vertretung im Landtage zu sorgen. Der Gesamtvorstand des Verbandes Säch sischer Industrieller hat angesichts des auch von Herrn Opitz bedauerten Rückganges der industriellen Ver tretung im Landtage beschlossen, seine Eingabe wegen R e u e i n t e i l u n g der Wahlkreise des Landes erneut bei der nächsten Tagung der Stäade- lammern vorzubringen und ist überzeugt, daß Herr Opitz seinen ganzen Einfluß in der konservativen Partei aufwenden wird, um dieser berechtigten For derung zur Annahme zu verhelfen. Geschieht dies, dann wird auch der Wunsch des Herrn Opitz erfüllt sein, daß die Industrie wieder stärker in der Zweiten Stündekammer vertreten ist, da nur die jetzige Wahl- kreiscinteilung sie daran hindert, die ziffernmäßige Zahl ihrer Vertreter noch weiter zu steigern. Wenn Herr Opitz noch weiterhin seine Worte in die Tat um setzen will, so braucht er auch nur seinerseits dafür zu sorgen, daß die konservative Partei auch Indü st r i e l l e bei den nächsten Landtagswahlen in höherer Zahl a u f st c l l t, als dies gcaenwärriq der Fall ist, wo sich in der konservativen Fraktion zwei Industrielle und 18 Vertreter der Landwirtschaft be finden, während demgegenüber die gleichstarke na- tionalliberale Fraktion 18 Vertreter von Industrie und Kaufmannschaft zählt. Der Vorwurf des Herrn Opitz, daß der Verband Sächsischer Industrieller eine Zerfleischung der bürgerlichen Parteien hcrbeigeführt hatte, ist eine aus der Luft gegriffene, durch nichts be wiesene Behauptung. Der Verband ist sich dessen durchaus bewußt, daß namentlich bei den nächsten Reichstagswahlen der ganze Kampf im Königreich Sachsen gegen oie Sozialdemokratie gerichtet sein muß. und wird in diesem Sinne auch seinerseits tätig sein. Wenn etwas geeignet ist, Erbitterung in,die bürgerlichen Aartcien hincinzutragen und die Sozial demokratie ,u fördern, dann sind es derartige Unterstel ungen, wie sie Herr Opitz sich gegen über dem Ve'baud Sächsischer Industrieller glaubt ge statten zu dü sen. Diese kampfesweise des Herrn Opitz wird auch am allerwei igste» geeignet sein, die Industrie etwa der lonservittioen Partei wieder in höherem Maße zuzuführen. Herr von der Heydebrandund der La. ja oer ausgesprochene Führer der konserva tiven Partei oes Deutschen Reiches, hat vor kurzem wörtlich erklärt: „Es ist ein Irrtum, zu glauben, daß es den Konse vativen jo unbedingt dienlich jein würde, wenn c«e Vertreter der Industrie in ihre kreise ei„bezogei> würden. Die Industrie bedarf einer Freiheitlichkeit der Entwicklung, zu der wir konservativen uns bei allem Wunsch einer freiheitliche» und fortschrittlichen Entwicklung, die wir brauchen, in unserer Zeit doch in vollem Maße nicht aufjchwinacn können." Solange der artige Aeußerungen seitens hervorragender konser vativer Parteiführer fallen und die stärkste in dustrielle Vertretung des Königreichs Sachsen sich derartige Anfeindungen gefallen lassen muß, wie sie Herr Opitz beliebt, wird er sich selbst nicht darüber wundern können, wenn die sächsische Industrie dem Liebeswerben der konservativen Partei skeptisch gegenübersteht. Die Ssusinüultrie im Königreich Lächle«. Die Hausindustrie erfreut sich zurrst eines regen Interesses auch in den weiteren Kreisen des großen Publikums, das namentlich durch das gegenwärtig dem Reichstage vorgelegte Hausarbeitsgesetz wieder etwas mehr auf sie aufmerksam gemacht worden ist. Die Gesetzgebung befaßt sich aber nicht nur in dem genannten Gesetze mit diesem Erwerbszweige, viel mehr wird er auch im Entwurf der Reichsversiche rungsordnung, in der kleinen Novelle zur Gewerbe ordnung und im Arbeitskammergesetz betroffen. Ohne auf den Inhalt und die Bedeutung dieser Maßnahmen einzugehen, erscheint es wohl nicht un interessant, wieweit das Königreich Sachsen davon lwtroffen werden würde, mit anderen Worten, wie verbreitet die Hausindustrie in unserem engeren Vaterlande war und ist. Im Jahre 1907 wurden im Königreiche Sachsen im ganzen 115 082 hausindustrielle Betriebe gezahlt, in denen 117 000 Personen beschäftigt waren und zwar .10 728 männliche gegenüber 80 272 weiblichen. Im Laufe der letzten Jahrzehnte ist nun keineswegs eine stetige Entwicklung in der Richtung einer dauernden Zu- oder Abnahme erfolgt. Vielmehr nahmen von 1882 bis 1895 die Betriebe um 21,4 Pro zent. die beschäftigten Personen um 20,9 Prozent ab. Von 1895 bis 1907 aber .zeigt sich die entgegengesetzte Erscheinung. Die Zahlen steigen wieder, und zwar bei den Betrieben fast um den Prozentsatz der vor- hergegangenen Verlustperiodc, nämlich um 21.3 Pro zent, während die Zahl der Personen nur um 7,6 Prozent sich vermehrte. Freilich zeigt sich ein stetiger Rückgang der Hausindustrie an dem Anteil, den sie an der Gesamtgewerbstätigkeit des Landes hat. Von 100 Betrieben überhaupt waren haus SLMtts-, l. Zsrmsr lSN. industrielle 1882 : 33,6, 1885: 25,7, 1907 : 26,1. Vor» 100 gewerbstätigen Personen waren in der Haus industrie beschäftigt 1882: 17^, 1895 : 9,4, 1907 : 7,4. Es haben also die Personen, auf die es doch in erster Linie ankommt, relativ bedeutend abgenommen. Immerhin mag darauf hingewiefen sein, daß Sachsen wesentlich über dem Reichsdurchschnitt steht der in den genannten Jahren für die hausinduftriellen Per sonen 6,4, 4,5 und 2,8 Prozent betrug. In den einzelnen Gewerbrgruppen, von denen 15 in Betracht kommen, ist nun die Hausindustrie in sehr verschiedener Weife vertreten, Es sei hier nur auf die wichtigsten eingegangen, sowohl nach der Zahl der Betriebe als auch nach der der beschäftigten Per sonen steht an erster Stelle die Textilindustrie. Bei ihr entfallen auf 100 Mtriebe überhaupt 1882: 79,1, 1895: 82,8, 1907: 84,7 hausindustrielle. Bon dieser Steigerung weicht freilich die Zahl der Per sonen wesentlich ab: denn bei ihnen zeigt sich bei einem absoluten Rückgang von 111 696 l1882s auf 81450 (1895) und 69 012 ).11)07) folgende Verminde rung: Von 100 gewerbsbjtigen Personen in der Textilindustrie waren haupindustriellc 1882: 47,4, 1895: 30,5, 1907: 20,9. Besonders wichtig sind für das Königreich Sachsen die Weberei (10 183 mä.m,»- liche, 12 696 weibliche Personen), namentlich "oie von Baumwolle, Wolle, gemischten Waren und Leinen Ferner kommen als wesentlich in Betracht die Strickerei und Wirkerei mit 4714 männlichen und 10 6>7 weib lichen Personen, die Spitzemverfertigung, W ißzeug- stickerei und Spachtelgardinenfabrikat'0»- mit 7161 männlichen und 9830 weiblichen Hausindustriellen und die Pojamentenfabrikation mit 68 ' männlichen, aber 5884 weiblichen Heimarbeiterinnen. Ziemlich bedeutend ist ferner die B- leiligrng der Hausindustrie in den Bekleiduugs- und Reinigungsgewerben, die zusammen sowohl nach der Zahl der Betriebe als auch nach der ihrer Personen gegen 1895 bedeutend zugenommen haben, nämlich um 143,7 bcz. IW,3 Prozent, sc daß gegen wärtig von 100 Betrieben und 100 Personen dieser Gruppen überhaupt 31,0 und 16,1 Prozent Imüs- industrielle sind. Im Bekleidungsgewerbe sitd die meisten Personen in der Handschuhmacherei beschäl- tigl. und zwar nur 378 männliche, aber 11168 weib liche. Dann folgen die Verfertigung von künstlichen Mumen und Federschmuck mit 619 männlichen und 5195 weiblichen Personen, die Wäschekonfektion mit 493 männlichen und 1420 weiblichen und die Schneiderei mit 2008 männlichen und 2205 weibli«>n Personen. Eine seh: starke Zniohme der hausindustriellen Personen findet sich in der chemischen Zu duft rie, wenn sie auch 1907 nur in 42 Betrieben 52 Personen beschäftigte. 1895 wurde nur 1 Person in 1 Betrieb gezählt. Veranlaßt war diese Zu nahme vornehmlich durch 21 neuaufgetretene Betriebe in der Zündhoizfabrikacion. in denen 10 männstb- und 27 weibliche Perscnen arbeiteten. Im übrig also ist freilich der Prozentanteil der Hei märt an den Gesamtzahlen der chemischen Industrie n gering, nämlich 4,3 Prozent für die Betriebe UN 6,5 Puzent für die Personen. Aehnliches gilt von der Papier fndustri» und von oer Industrie der Nahrungs- inl Gc nußmittel, die beide gleichfa.ls hohe Zuwachsraten «ufwrijen. In der Papierindustrie Sin Ziigenükremiü Lessings. Von Prof. Dr. Werner Deetjen (Hannover). (Nai'driick verboten.) Einer der jeliiamäen Gesellen unter denen, die Lessings Freundschaft genießen durften, war Christian Nikolaus Nauman« aus Bautzen. Der verdiente Lessingforscher Ernst Con- sentius hat vor einigen Jahren neues Licht über diesen eigenartigen Kauz verbreitet,*) und auch ich bin heute in der Lage, auf Grund eines verschollenen zeitgenössischen Berichtes, den ich im Dresdner „Mer kur^ des Jahres 1826 sand, einige neue Züge Nau manns mltzuteilen. Mein Gewährsmann ist sein Freund Johann Friedrich Dietrich aus Görlitz, dem wir auch, wie ich jetzt seststellen kann, den kürzlich von mir an dieser stelle") veröffentlichten Bericht über eine Begegnung Lessings mit Ewald o. Kleist zu verdanken haben. Naumann (geb. 1720> verriet als Schüler aus dem Gymnasium feiner Vaterstadt ungewöhnliche Talente und einen außerordentlichen Fleiß, so daß ihn jeine Lehrer mit Gewalt vom Arbeiten zurückhalten muß len. Mit größtem Eifer trieb er zchon damals alt- und neufprachliche. geschichtliche, naturwissenschaftliche und philosophische Studien. Diese Ueber?pannung der jugendlickzen Kräfte rächte sich, insofern er in eine schwere Krankheit verfiel. Er genas zwar endlich wieder, aber sein Gedächtnis hatte gelitten, und die Aerzte verboten ihm für lange Zeit alles Lesen und geistige Arbeiten, was de» von brennendem Ehrgeize beherrschten, leidenschaftlich nach wissenschaftlichem Ruhme strebenden lungen Manne hart ankam. Er begann fetzt, um wenigstens einige zcitver treibende Unterhaltung sich zu verschaffen, kleine physikalische und chemijchc Versuche zu machen, und empfand besonders ein kindliches Vergnügen, wenn er verschiedenen Flüssigkeiten diese und jene Farben mitteilen und diese wieder in andere verwandeln oder ihnen ihre eigentümlichen wiedergeben konnte. Seine Studierstube glich einem pharmazeutischen Laboratorium, und seine Künste und Experimente, die eigentlich nur Spielereien waren, wurden an gestaunt. Sein Zustand besserte sich allmählich, und damit erwachte auch wieder sein Ehrgeiz, unter den Gelehr ten und Sck riftstellern sich einen Namen zn machen, in alter Stärke. Er studierte Geschichte und Kame ralistik und versuchte sich auch als Poet. Aus der Universität Leipzig, die er 1739 bezog, bekannte er sich zu keiner Fakultät und hörte selten eine Vor lesung, las und schrieb aber unaufhörlich und ohne Wahl, da seine Gedächtniskrafi wieder zunahm und er alles mit großer Schnelligkeit erfaßte. Während eines zweiten Aufenthaltes inLeipzig befreundete er sich mit seinem jungen Landsmann Lessing, mit dem er später auch in Berlin und Wirten berg zusammentraf. Durch frühere Forschungen wissen *) Berliner Dgl. Rdsch." 17. Aug. 1901. SomUagr- etlige z. Bert. Nationalzta." 8. Jedr. 1903 »nd Sonn- ma^leir. z. „Voss. 3tg." 1S02, Nr. it. '*) 29. Mai 1910. Naumonn sagt von ihm: Ein vor- itiglilder Freund der Literatur, schrieb nnseuehrnc lateinisch« ind deulfche PoeNen, n»el»e der Bate.itadt wie ihm selbst »ihre machen. Sr hat Kleids Frühling in lateinisch« Verte ehr wohl übersetzt.' wir, daß Naumann sich Lesstng mehrfach hilfreich er wies. Dietrich berichtet, daß anderseits auch Nau mann von Lessing Unterstützungen und Empfehlungs briefe „an die witzigsten Köpfe und berühmtesten Ge lehrten damaliger Zeit" empfing. Lessing schätzte des älteren Freundes Herzensgute und vielseitige Be gabung, wenn er auch seine Narrheiten verlachte. Von Naumanns Wanderleben erzählt unser Gewährsmann: So arm er auch war und so kärglich ihn sein Schriftstellcrwesen ernährte, so konnte er doch seinen Vorsatz, auf gut Glück gelehrte Reisen zu unternehmen, aussühren, da er an jede Entbehrung gewöhnt war, Hunger und Durst zu ertragen ver mochte, seine frohe Laune, seine Hoffnung auf bessere Zeiten ihn nie verließ und er immer in der Ferne den großen und berühmten Mann in sich erblickte. Er ging übrigens mit seinem Wanderstabe, den Degen an der Seite, dem Handwerke nach, suchte alle Schrift steller und Buchhändler auf. las ihnen seine neuesten Manuskripte, die er stets bei sich führte, da ihn sonst nichts beschwerte, vor, verließ sich auf das Recht der Gastfreundschaft und durchwanderte so ganz Deutsch land und die Schweiz. Haller, Bodmer, Breitinger, Geßner wurden von ihm heimgefucht. und jeder, wäre cs auch der unleidlichste Hypochondrist gewesen, konnte den drolligen Mann leiden, nahm ihn gern in sein Haus aus und hörte seine Radotagen mit Lächeln an. Auf seinen Reisen kam Naumann auch einmal auf den turiosen Gedanken, eine „Handelsspekulation" zu machen. Er kaufte, teils aus Kredit, teils von seiner zurückgelcgten geringen Barschast, Strümpfe (!) und jchifste sich mit ihnen von Hamburg nach Amerika ein. Ein Seestnrm aber verdarb seine ganze Ladung, so daß sie, wie er erzählt haben soll, über Bord ge worfen werden mußte. Der Verlust entlockte ihm keine Klagen, launig schrieb er vielmehr, sobald er das Festland wieder betreten, in Erinnerung an das Erlebte ein Gedicht „Der Held im Wasser" und schickte es von Hamburg aus Lessing zu. Von diesem Poem, von dem wir bisher keine Kunde hatten, berichtet Dietrich: Ein Meisterstück mochte cs freilich nun nicht sein. Denn, so sehr Lessing auch sein Freund und Beschützer war. konnte er doch den sarkastischen Spott nicht losten, ihm zurück- zuschreibcn, wie er den Helden in seinem vertrauten Elemente, dem Wasser, bewundert, doch aber auch zu jehen gewünscht hätte, wie er sich im Feuer, da ihm eben der Kamin verlöschen wolle, bewahren würde.— Durch dieses Aliment für d"n Vulkan ist der Wasser held, wahrscheinlich ohne Verlust für die Nachwelt, verloren gegangen. Bei einem dritten Aufenthalte in Leipzig sand Naumanns Schaffen so venia Anklang, daß er in heftigem Zorne seine Manuskripte — er nannte sie Sammelsurien — ^usammenpacktc und der undank baren Stadt zum Andenken eine derbe Satire zurück ließ, deren Anfang ..Komm, lieber Iuvenal, Und singe mir die Stadt, Die dein verkühltes Rom Längst überstiegen hat." auf den Ton des Ganzen schließe,» laßt. Don nun an, erzählt Dietrich weiter, war Nau mann bald Hofmeister, bald Sekretär, bald Biblio thekar und Archivar bei Privatpersonen. Nirgends aber blieb er über einige Monate, da er seine Stellung nicht auszufüllen wußte. Als Hauslehrer dozierte er Naturrecht und Kameralistik, schrieb als Sekretär Briefe über literarische Dinge und versah als Biblio thekar alle Ränder der Bucher mit kritischen Be merkungen. Er liebte außerdem die Freiheit und ver mochte schon aus diesem Grunde nicht lauge im Solde eines Menschen zu stehen und ein bleibendes Amt an zunehmen. Auch war er ein erklärter Misogyn und entschloß sich nie zu einer Heirat, weil, wie er meinte, „durch Ehe und Buhlschaft alle Freiheit des Lebens an Tisch und Bett" verloren ginge. Trotz der letzten bösen Erfahrungen begab sich Naumann 1773 wieder nach Leipzig in der Ab sicht, dort eine Monatsschrift unter dem Titel „Kri tischer Kehrbesen" zu gründen, die alle bestehenden Journale an Schärfe übertreffen und ein wahres Femgericht liefern sollte. Verleger. Subskribenten und Mitarbeiter aber blieben aus, und so scheiterte dies Unternehmen, das viel Staub aufgewirbelt und manchen literarischen Krieg zur Folge gehabt haben würde. Sein Leben in Leipzig war überaus dürftig: nur sehr selten leistete er sich ein warmes Gericht, und seine gewöhnliche Mittags- und Abendkost be stand aus Wasser und Brot. Wenn sein Wirt, in dessen Dachstube er wohnte, ihm deswegen sein Be fremden und Bedauern ausdrückte, äußerte er, sein Körper vertrage es nicht anders, und ein Gelehrter müsse mäßig und kein Gourmand sein. Dabei war er stets sorglos und vergnügt. Jedes ihn anziehende Schriftstück, das er zufällig entdeckte, konnte ihm hohe Befriedigung gewähren, und eine unbeschreibliche Freude machten ihm neue Meßkataloge, aus denen er gewöhnlich die Bücher, deren er nicht gleich hab hast werden konnte, nach ihren Titeln scharf rezen sierte. Es war spaßhaft, erzählt Dietrich, diese Re zensionen, die übrigens nicht sllr die Oeffcntlichkcit bestimmt waren, zu lesen oder noch mehr, sie von ihn, selbst mit dem feierlichsten Pathos und einge streuten Sarkasmen vorlesen zu hören. Als die Verwandten Naumanns erfuhren, mit welchem Mangel er zu kämpfen hatte, und welche lächerlichen Pläne er, um diefem abzuhelfcn, faßte, rie? ihn sein Schwager, der Apotheker Slruoe, nach Görlitz und machte ibn zum Hofmeister seines Sohnes, der sich später als Arzt einen Namen erwarb. Auch dieser Unterricht währte nicht lange, und der allzu Vielseitige half nun dem Posamentier Böhme, einem originellen, geistreichen Kopf, bei der Bereitung eines Likörs und der Entdeckung »euer feuerfester F^ben. Er nahm die Beschäftigung seiner ersten Jugend wie der aus, experimentierte, sammelte Pflanzen, Mine ralien. Konchilien und legte sich ein seltsames Natu ralienkabinett an. Zeder Fremde, der nach Görlitz kam, sowie der be nachbarte Landadel, wollten diesen Mann persönlich kennen lernen. Er erhielt von allen Seiten Besuche, jeder schenkte ihm etwas für sein« Sammlung, und einzelne wohltätige Männer unterstützten ihn auch auf andere Weise. Im Winter hielt Naumann in einem Gasthause gegen freie Abendkost Vorlesungen, die, wie Dietrich sagt, mitunter instruktiv waren, oft aber auch durch eingestreute Paradoxen und gelehrte Bocksorünge Lachen erregten. v Mancherlei Unternehmungen noch rief er ins Leben, um sich über Wasser zu halten. Erwähnt sei nur sein letzter und zugleich seltsamster Einfall: Er ließ sich durch einen sehr mittelmäßigen Maler die sogenannten sieben Wunderwerke der Welt auf Lein wand darstcllen, reiste mit Liesen,,.Gemälden" nach Bautzen, stellte sie dort am Jahrmärkte in einem ge mieteten Saale zur Schau und hielt über sie für zwei Groschen Eintrittsgeld („Standesbeamte' zahlten nach belieben!> historlsch-Iiterarisch-ästhetijchc Vorlesun gen. Dietrich berichtet: Für Gelehrte war's freilich nicht, für gemeine Bürger und Bauern ohne sonder lich Interesse, und für Naumanns Kaste wenig er klecklich. Mit denselben Bildern kam er auch nach Großen- hayn, stellte sie jedoch nicht auf, meiner zu dem künstlerischen Geschmack der Stadt zu wcüi.I oder zu viel Vertrauen hatte. Hier sah ihn Dierrich zum ten Male. Er fand ihn zwar heiter und zufriedeic» wie immer, aber ganz zufammengefaller und cu Geisteskräften sehr schwach. Bald dcrauf, atz' 15. Februar 1797, ist er in Görlitz gestorben, an dem selben Tage, an dem sechzehn Jahre früher sein große Freund Lessing verschieden war. . . Ueber ihn hat sich Naumann an einer Stelle gf äußert, wo niemand dergleichen vermuret, m jeint „Industrial- und Commerzial-Topographie oon Edu: sachsen" (Leipzig. 1789/90. Sechs Heftes.*) In oe» Artikel „Camenz" hebt er rühmend hervor, dci'? dieser Ort die Vaterstadt der gelehrten Lc n ige s i Seirc hier eingeflochtene Charakteristik G >i hold Lphraiu Lessings lasse ich wörtlich folgen, d-, e bckn'i bei falls unbeachtet blieb: „Nach der stmgvinl ck lek scheu Blutmischung, war in ihm Gem u? r bei Standhaftigkeit und Muth. Mitte unter g re Beschäftigungen, ohne L.e er nie nn Lo:ii ' ir er, bey dem stets angestrengten M ditire», zu le» ein wenig zerstreut, doch im Gru:de war >ie nicht: er recolligirto sich im Augen kick. In gr ße- Gesellschaften horete er blos zu, eoen wie Ge .-rt desto redseliger im Cirkel vertrauter Freunr ,)a er nichts weniger als zurückhaltend mit seiner W>üeu> schäft, die so ausgcbreitet war, als > rofund Ver s möge des feurigen Temperaments, sor- ch er vreGunll geschwind, aber durchdacht: mit Bonsens und mri einem gewißen Acumen. Ungemein gern disputiretcs er über angenommene Sätze, behauptete das Gegen., theil, wie Peter Bayle, sein Liebling; und da mochte man Recht haben, oder nicht, man war gefangen) Wann er diesen Sieg sah, und lächelte, heiterten sich, bey ihm die Gesichtsziige noch mehr auf, die Augenc darinn man seine Gedanken las, der ganze Witz unv die Seele: sinnreiche Einfälle aus dem Stegreif folg-, ten einander, Pfeil auf Pfeil; man ging nie von ihm hinweg, ohne nicht etwas gelernt zu haben. Sein stets fortwirkender Vollkommenheitstrieb ertrug das Mittelmäßige, wo «r's fand, nur aus Politik und au» Zwang. Ihm, dem strengen Verfechter der Wahrheit, waren die feinsten Schlingen der alten und neuen Sophisten ein Zeitvertreib; ihre Tabalk, die Thar- latanerie, die Intriauc, da» großprahlende Nicht, konnte er nicht au^tehn; hingegen Pedanten vom Metier und Meriten verzieh er viel und fchLzte st« hoch. Auf diesen Schlag nannte er Leibnitzen Im guten Verstände, den größten und veneräbelsten Pedanten seiner Zeit. In der That hatte er der Güte des Geblüts, der Kraft und der Stärke de» Hümeur? diese ihm natürliche Rechtschaffenheit z« verdanken, *) Ich benutzte «W Sxemplnr der kiNNgiichen VItzNettzek Dresden. 0
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