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Aus den Jahresberichten der Königlich Sächsischen Gewerbeaufsichtsbeamten für 1911. [Nachdruck verboten.] (Originalbeitrag.) zu den in der Textilindustrie beschäftigten und ihre Zunahme den letzten 25 Jahren dargestellt. Die Berichte der Königlich Sächsischen Gewerbeaufsichts beamten haben sich, obgleich sie sich nach den vom Reichskanzler er lassenen Anleitungen lediglich auf Mitteilungen von Tatsachen und Wahr nehmungen zu beschränken haben, immerhin durch die Fülle ihres mit außer ordentlicher Sorgfalt zusammengestellten und bearbeiteten statistischen Ma terials ausgezeichnet, und dieses Lob verdienen in vollem Maße auch die vor kurzem zur Veröffentlichung gelangten Berichte für das Jahr 1911. Eine dankenswerte Neuerung in den Berichten ist die Verwendung von Schau linien zur Darstellung der statistisch festgestellten Aenderungen. Zahlenmaterial ist zumeist unübersichtlich, während aus der graphischen Darstellung mit einem Blick die Verhältnisse erfaßt werden können. Aus Tafel I ist z. B. das Verhältnis der Zahl der gewerblichen Arbeiter zur Gesamtbevölkerung und ihre Zunahme ersichtlich; Anfang der achtziger Jahre war etwa x / 18 der Bevölkerung in gewerblichen Betrieben tätig, während im Jahre 1910 mehr als es ist, das heißt also, daß heute fast doppelt soviel Einwohner in Fabriken, Motorwerkstätten und dergl. tätig sind im Verhältnis zur Gesamtbevölkerung als vor 20 Jahren; die absolute Zahl hat sich verdreifacht. Auf Tafel II ist das Verhältnis der in den gezählten fabrik mäßigen Betrieben der gesamten Industrie beschäftigten Arbeiter ) in bezirke gestiegen. In dieser Industrie ist auch ein sehr empfindlicher Mangel an Arbeiterinnen eingetreten. Die Versuche, Arbeiterinnen von auswärts in die Stickerei- und Spitzenindustrie zu ziehen, scheiterten daran, daß auch in anderen Industriegebieten die Nachfrage nach weiblichen Arbeitskräften das Angebot überstieg. Der große Bedarf an weiblichen Arbeitskräften in der Plauener Industrie machte sich sehr fühlbar durch Abwanderung aus Industrieorten, in denen hohe Löhne nicht gezahlt werden können. Die Vereinigung der Fabrikanten in der Spitzen-und Stick e- reiindustrie hat, um dem Mangel an Arbeiterinnen abzuhelfen, eine Dame beauftragt, die Oberpfalz, Oberfranken, die Lausitz und die Städte Sebnitz und Pirna zu bereisen und auf die Vorzüge der Arbeit in der Spitzenindustrie, die Annehmlichkeit heller und luftiger Arbeitsräume, die leicht zu erlernende und zu verrichtende Arbeit und die hohen Löhne hinzuweisen. In vielen Betrieben, insbesondere Strumpf- und Knopffabriken, mußten oft zu Arbeiten, die sich mehr für Arbeiterinnen eignen und auch in der Regel von diesen ausgeführt werden, männliche Personen herangezogen werden. Die für Arbeiterinnen gesetzlich eingefühlte zehnstündige Arbeitszeit hat auch auf die der männli eben Arbeiter zurückgewirkt. In der Textil industrie sind fast allgemein für beide Geschlechter gleichlange Arbeits zeiten eingeführt worden. Zuweilen ist an den Sonnabenden die Arbeitszeit der Männer länger, als acht Stunden, dagegen haben die Mitglieder des Verbandes Sächsisch-Thüringischen Webereien in Netzschkau, Mylau, Reichen bach und Umgegend für ihre Arbeiter wie für die Arbeiterinnen den Schluß der Arbeit an Sonnabenden auf nachmittags 4 Uhr festgesetzt. Der Verband Auf die Textilindustrie entfallen von den fabrikmäßigen Be trieben 22,6 °/ 0 . Von den erwachsenen Arbeitern entfallen auf die Textil industrie 60 °/ 0 , die Zahl derselben hat im Berichtsjahre gegenüber dem Jahre 1910 um etwa 1100 abgenommen, dagegen ist die Zahl der Arbeiterinnen um 2000 gestiegen. Von der im Zittauer Bezirk ausgedehnt betriebenen Buntweberei wird eine Abnahme der Arbeiterschaft in der Textilindustrie berichtet, die im wesentlichen auf die weniger günstige Geschäftslage für Kleiderstoffe und bunte Bettbezüge zurückgeführt wird. Durch den modernen engen Klei derschnitt wird nur etwa drei Viertel bis zwei Drittel der früher erforderlichen Kleiderstoffmenge benötigt. Die erhebliche Abnahme der in der Lausitzer Textilindustrie beschäftigten jugendlichen Arbeiter ist außer auf die un günstige Geschäftslage der Buntwebereien wohl auch mit darauf zurückzu führen, daß viele Unternehmer, in deren Anlagen die erwachsenen Arbeiter vor- und nachmittags keine oder kürzere Pausen einhalten, auf die Zuhilfe nahme von jungen Leuten verzichten, um Unzuträglichkeiten und Störungen im Betriebe zu vermeiden. Nach den Wahrnehmungen der Gewerbeinspektion Zittau wenden sich die jungen Männer gern Betrieben zu, die ihnen Ab wechslung in der Tätigkeit bieten, insbesondere dem Tischlerei- und Schlosserei gewerbe, dem Maschinenbau usw. Die Spinnereien und Webereien haben dagegen Not, solche Hilfskräfte zu bekommen. Ebenso hat die auch in ein fachen Haushaltungen zunehmende Benutzung weißer Bettwäsche den Bedarf an bunten Bettbezügen sehr verringert. Auch im Chemnitzer Bezirk hat die ungünstige Lage verschiedener Kleiderstoff Webereien und der schlechte Geschäftsgang vieler Handschuh fabriken zur Verminderung der Arbeiterzahl geführt. Dagegen ist in der Plauener Stickereiindustrie eine außerordent liche Entwicklung zu verzeichnen. Nach einer von der Handelskammer in Plauen am 1. Mai 1911 vorgenommenen Zählung ist die Zahl der Schiffchen stickmaschinen von 4379 im Jahre 1902 auf 9302 im Jahre 1911 und die der Handstickmaschinen im gleichen Zeitraum von 3187 auf 4795 im Regierungs- I der Sächsisch-Thüringischen Färbereien setzte für den Sonnabend den Arbeitsschluß auf 5 Uhr fest und nahm die achtstündige Arbeitszeit an. Die Färbereien von Glauchau und Meerane schließen auf den Wunsch der Arbeiter an den Sonnabenden nachmittags 5 Uhr. In zahlreichen Betrieben der Textil industrie im Chemnitzer Bezirk wurde die Mittagspause an Sonnabenden auf eine Stunde beschränkt und der Arbeitsschluß auf 1 / a 4 oder 4 Uhr festgesetzt. In einer Reihe von Betrieben, in denen die Frauenarbeit überwiegt oder die männlichen und weiblichen Arbeitskräfte Hand in Hand arbeiten, ist die Ar beitszeit an den Vortagen von Sonn- und Festtagen auf weniger als acht Stunden beschränkt und in der Regel die Mittagspause auf eine halbe Stunde verkürzt worden. Die auf Wasserkraft angewiesenen Betriebe waren infolge des trocke nen Sommers 1911 genötigt, den Betrieb erheblich einzuschränken und ver einzelt auch Arbeiter zu entlassen. In vielen Strumpffabriken wurde die Arbeitszeit infolge des schlechten Geschäftsganges vorübergehend wesentlich verkürzt oder der Betrieb an einem Tage in der Woche gänzlich eingestellt. Der Nachtbetrieb mußte mehrfach eingeschränkt werden, weil es an willigen Arbeitskräften fehlte; so macht sich in der Posamentenindustrie des Chemnitzer Bezirks eine mehr und mehr steigende Abneigung der Arbeiterschaft gegen die regelmäßige Nachtarbeit bemerkbar. Eine Tüllf abrik stellte den Nacht betrieb infolge schlechten Geschäftsganges ein. Dagegen hat die außerordent lich lebhafte Beschäftigung in der Plauener Spitzen- und Stickerei industrie bei einer Anzahl von Betrieben die Einlegung von Nachtschichten zur Folge gehabt. In einer mechanischen Weberei des Chemnitzer Bezirks wurden auffällig viel Ordnungsstrafen wegen Zuspätkommens verhängt. Nachdem auf Vor haltung des Arbeitsausschusses die Mittagspause auf l’/ a Stunde verlängert worden war, hörten die Verspätungen auf. Die Tuchfabriken von Crimmitschau gewähren ihren Arbeiterinnen durchgängig eine Mittagspause von 1’/ 4 Stunden.