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02-Abendausgabe Leipziger Tageblatt und Handelszeitung : 20.09.1910
- Titel
- 02-Abendausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1910-09-20
- Sprache
- Deutsch
- Vorlage
- SLUB Dresden
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id84535308X-19100920024
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id84535308X-1910092002
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-84535308X-1910092002
- Sammlungen
- Zeitungen
- Saxonica
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
-
Zeitung
Leipziger Tageblatt und Handelszeitung
-
Jahr
1910
-
Monat
1910-09
- Tag 1910-09-20
-
Monat
1910-09
-
Jahr
1910
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Bezugs-Preik sä» L«tp»ia uu» Äororr, durch «U«» Tri«, und SprdUeu« Lm«I «ialich tu« H«u« gebracht: ÜO monarl., t.70 virrteljährl. vri unter» Filiale» ». An- »ahmeuellen -dkiebdlü 7» H mo»aU„ A.LL vieneltLbrl. Durch dt« V»k: «»»«rbald Deultchlundl und der deuttche» Kolonien »ierlcliidrl. !t.44 monatl, ut autlchl. Poftdeftellaeld ferner in Belgien, Tinemark, den TvnauNaateu, Italien. Luremburg, Niederlande, N»r» wegen, Oesterreich-Ungarn, Rußland, Schweden, Schwei» u. Spanien. In allen übrigen Staaten nur direkt durch bi« GetchPrillelle de« Blatte« erbiulich. Ta« tleipgiger Tageblatt ericheini 2 mal täglich. Sonn. ». Kei riag« nur morgen«, Vdonnemenl-illnnaume. Nugustniplatz 8, d«> unteren Trägern. Filialen, Spediteuren und Lnoahmestellen. ldwie Postämtern >mb Bnesträgern Utn»,l»»rka»t«»ret« der Morgen» «nägad« >tt der r>dendau«gade st «d» Medaktton und Geschäfliüellei JodanniSgaste 8. ger-Wrecher: I«tÄL l«Sitt. l«6S4. Abend-Ausgabe. WpMcrTMblM Handelszeitung. Ämtsvkatt des Rates und des Notizeiamtes der Ltadt Leipzig. ^n^k^n.^reiS tstr Jnteraie au» lleipzig und Umgebung di« stgeipaltene SO mm breit» Pettt^il, 2b chd-dle 7« nun brrtt« Reklamezeile l »» «»«wärt« ilti Reklamen l.Ä) Inserate »»» Bebbrden >m amtlichen Test dt» 74 mm brotte vettrzetl, «o »elchä>r«ani«igen mtt P agoorlchrtsre» ,»» t» der Lbendau.aad« >m Preit« erhobt Rabatt nach Laut. Beilagegebübr ü ^g p. Tauten» exkl. Postgebühr. Hestert eil re kluikräg» können nicht iurült- «exogen werden. Hir da« Urtcheinen an beitimmten Tagen und Plätzen wir» kein, Garantie übernommen. «nieigen-Lnn-hme! Rugustutzpla» 8, bei sämtlichen Filialen a. allen Annonce», itrpeditioneu de» I». und «»«landet. Pauvr-Ftllale Derlk»-. T«rl »uniter. cher-ogl. Bahr. H»sd»ch» handlunL Lützowsti aße IL tTelephon Vl, Nr. 4002). Haupt.stiliale Dretdenr Seestratze 4. l lTelephon «Aib. Nr. 2S0. Lsiler Wilhelm in Wien. Ueberaus herzlich sind die Begrüßungsartikel ge halten, die von der Wiener Presse dem heute in der österreichischen Hauptstadt eintreffenden Deutschen Kaiser gewidmet werden. Alle geben der Freude Ausdruck, die die gesamte Bevölkerung der Kaiser stadt Wien und beider Reichshälften jedesmal emp findet, wenn der Deutsche Kaiser bei seinem öster reichisch-ungarischen Verbündeten zu Besuche weilt. Wir erhalten dazu folgende Telegramme: Wien, 19. September. (Tel.) Das „Fremden blatt" schreibt: Dem Deutschen Kaiser, der aus den Bellycschen Jagdforsten kommend morgen und über morgen unser Gast sein wird, eilen die Wünsche guter Freunde entgegen. Gute Freundschaft findet Kaiser Wilhelm nicht nur bei Seiner Maje stät d e m K a i s e r, mit dem ihn seit vielen Jahren die herzlichsten Beziehungen verbinden, und nicht nur im ganzen Erbhause, auch die Völker dieser Monarchie fühlen für ihn aufrichtige Verehrung und sind ihm dankbar, wenn er sich in ihrem Lande wohl und heimisch fühlt. Daß er Liese Empfindung hat, beweist die Tatsache seiner häufigen Reisen nach Oesterreich-Ungarn. Dem Deutschen Kaiser sind die Besuche bei uns eine liebe Gewohn heit, uns jedesmal eine erwünschte Gelegenheit, ihm unsere herzliche Gesinnung zu bezeugen. In den letzten Jahren weilte Kaiser Wilhelm wiederholt bei uns. Im Mai 1908, an einem Tage voll strahlen der Weihe, kam er, um an der Spitze der deutschen Bundesfürsten dem Kaiser Franz Josef zum sechzig jährigen Regierungsjubiläum zu gratulieren, und aus der Hochflut jener Tage ragte die einzigartige Huldigung ebenso hervor, wie die Worte unvergeß lich geblieben sind, die mit dichterisch getragenem Ausdruck die Stellung unseres Kaisers in der euro päischen Fürstenrunde verkündeten. Die historische Stunde ist auf dem trefflichen Bilde eines heimischen Künstlers sestgehalten, das der Deutsche Kaiser während seines Auf enthaltes in Wien besichtigen wird. Die Politik unterhält sonst keine offiziellen Be ziehungen zur Kunst, aber in diesem Bilde erkennt sie zugleich einen Spiegel des außerordentlichen Ver hältnisses, Las seit Jahrzehnten zwischen Oesterreich- Ungarn und dem Deutschen Reiche besteht und das lm Fluß der Zeit immer dauerhafter und inniger ge worden ist. Das Bild wird im Wiener Rathause, im Prunkgebäude unserer Bürgerschaft, einen Platz haben, für alle Zukunft ein Zeugnis, daß sich das Bündnis zwischen Oesterreich-Ungarn und Deutsch land in dem intimen Verkehr der Höfe bei weitem nicht erschöpft, daß es eine Angelegenheit der Völker ist. In Europa weiß man das und schätzt es nach Gebühr ein. Als eine politische Kundgebung ist der Besuch Kaiser Wilhelms in Wien nicht gedacht. Keine Die Frau im Spiegel. Von E. W. Appleton. (Autorisierte Uebersetzung.) „Nun", sagte er zuletzt, „Sie überraschen m.ch wirklich mit Ihren Erklärungen. Irgendwo ist ein ganz außergewöhnlicher Fehler gemacht worden. Darf ich Sie nun fragen, wie lange Sie schon in der Villa Rabenhorst wohnen?" „Noch keine acht Tage." „Und in welcher Eigenschaft?" „Als Prioatsekretär des Herrn Goliby." „Kennen Sie ihn schon lange?" „Ick bin ihm nie begegnet, bevor ich. mit dem Empfehlungsbrief eines Freundes ausgestattet, bei ihm vorsprach. Am selben Tage noch habe ich meinen Posten angetreten." „Wer ist dieser Freund?" „Herr Richard Hamilton, Anwalt im Middle- temple. Haben Sie vielleicht schon von ihm gehört?" „Gewiß. Und er kann natürlich alles bestätigen, was Sie mir jetzt gesagt haben?" „Versteht sich , sagte ich und lachte von neuem. Er lehnte sich in seinem Stuhle zurück und versank für eine Weile in Nachdenken. „Hm", sagte er schließlich, „ich möchte wissen, ob ich auf der falschen Fährte bin." „Sicherlich sind Sie es, Herr Inspektor. Uebrigens hat mich gestern auf meine Bitte hin mein Freund Hamilton nach Hause begleitet und er hat auch ge sehen, wie ich diese gestohlenen Papiere in dem Geld schrank versorgte. Wenn Sie wollen, will ich ihm telegraphieren und ihn ersuchen, hierherzukommen. Dor wenig mehr als zwei Stunden habe ich mit ihm zu Mittag gespeist." „Nein, ist nicht nölig", entgegnete er. „Aber nun erzählen Sre mir bitte alles, was letzte Nacht in Ihrem Zimmer vorgefallen ist. Lassen Sie sich Zeit, da ich mir Ihre Aussage notieren will, und über gehen Sie auch nicht die unscheinbarste Einzelheit." Er zog einen Vogen Papier aus seinem Schreib tische und tunkte die Feder in die Tinte. Ich be richtete sodann alles, was ich hier erzählt habe. Er folgte mit voller Aufmerksamkeit bis zum Ende, dann rieb er einen Augenblick nachdenklich das Kinn und sagte zuletzt: „Hol mich der Henker, wenn mich das nicht völlig aus dem Konzept bringt!" „Genau wie mich", bemerkte ich. „Das verstehe ich", versetzte er und fügte dann hinzu, wobei sein Gesicht sich beinahe zu einem Lächeln besänftigte: „Vergessen Sie bitte, was ich zuerst zu Ihnen sagte. Ich bin irreqesührt worden. Es tut mrr leid, bitte um Verzeihung. Und nun komme ich zu etwas anderem. Herr Goliby sagte mir, Sie seien gestern in sehr verdächtiger Weise von einem Manne verfolgt worden. Vlenstsg, üen 20. September 1910. Tatsache, weder eine fertige noch eine, die sich etwa erst vorbereitet, ist zu entdecken, aus der sich eine solche Kundgebung begründen ließe. Die leitenden Staatsmänner haben bei ihren letzten Zusammen künften festgestellt, daß die Ordnung der Dinge, wre sie sich jetzt in der internationalen Politik heraus gebildet hat, zum besten Nutzen des Friedens weiter bestehen kann. Und da diese Entreouen erst kürzlich stattgefunden haben, wird in der intimen Stimmung des diesmaligen Kaiserbcsuches noch weniger Raum für eigentliche Politik bleiben. Kaiser Wilhelm kommt nach Wien, um unserm Kaiser zum 80jährigen Geburtstage seinen Glück wunsch darzubringen. Das „Neue Wiener Tageblatt" schreibt: Es ist ganz gewiß nicht bloß eine gastfreundliche Redens art. wenn man versichert, daß die Aufnahme, die der Deutsche Kaiser hier findet, von Besuch zu Besuch sich immer herzlicher gestaltet. Wenn Kaiser Wilhelm nach Wien kommt, herrscht nichts als die Freude vor, ihn hier zu wissen, als die Genugtuung, daß es unserm alten Kaiser wohl ums Herz ist, den jüngeren und doch gleichstrebenden fürstlichen Kameraden bei sich zu sehen. In der „Neuen Freien Presse" lesen wir folgen des: „Auch dieser Besuch hat eine Bedeutung, die über den Tag hinausreicht." Das Blatt hebt die engen Beziehungen zwischen den beiden Reichen und Dynastien hervor und schließt: „Ein Wiener Kind ist das Bündnis zwischen Oesterreich-Ungarn und dem Deutschen Reiche. Wie sollte hier nicht jeder An klang daran und jedes neue Zeichen seines Gedeihens mit aller Wärme ausgenommen werden. Wien wird auch heute zeigen, daß es dem Bunde mit vollem Herzen anhängt." Das „Vaterland" führt aus: Tausende, die heute auf den Beinen sein werden, um dem hohen East einen feierlichen Empfang zu bereiten, sind zugleich Dolmetscher der Gefühle unseres ganzen Kaiserstaates. Das Herz jedes wahren, kaisertreuen Oesterreichers muß höher schlagen, wenn es gilt, unserm treuen Bundcsgenosien den Willkommengruß zu entbieten. * lieber die Abreise des Kaisers aus Bellye meldet der Draht: MoHacs, 19. September. (Telegr.) Nach der Pürsch begaben sich nachmittags der Kaiser, Erzherzog Friedrich und Familie sowie die Begleitungen gegen sieben Uhr zu Wagen nach Prokopfot und bestregen dort den Dampfer „Tauscik". Nach 9 Uhr traf der Dampfer in Kiskocszeg ein. Nach herzlichem Ab schied vom Erzherzog Friedrich und der Erzherzogin Isabella bestieg der Kaiser den Hofzug und trat die Reise nach Wien an. Der Kaiser verlieh mehreren höheren Beamten des Erzherzogs Ordens auszeichnungen. * Bahnhof Hetzendorf bei Wien, 20. Sep, tember. (Telegr.) Kaiser Wilhelm ist um S Uhr 32 Min. hier eingetrosfen und wurde vom Kaiser Franz Josef aufs herzlichste begrübt. Iolef Kain; -s- Wien, 2V. September. Josef Kainz ist heute morgen 5 Uhr 35 Minuten gestorben. So war denn alles Hoffen umsonst, und was wir seit Wochen immer bedrohlicher, immer furchtbarer heranschleichen sahen, ist finstere Wahrheit geworden. Josef Kainz ist nicht mehr. Noch können wir's nicht glauben, daß dies köstliche Leben, das nur Schönheit und Glanz war, das seit einem Menschen alter Schönheit und Glanz an Millionen gespendet, der sinnlosen Grausamkeit einer tückischen Krankheit zum Opfer gefallen, das; die hinreißende Gestalt dieses wunderbaren Menschen und Künstlers aus dem deut schen Leben verschwunden sein soll. Hilst nichts: in einer engen Wiener Tasse liegt im Leidenszimmer eines Sanatoriums ein stiller Mann, besten Atem keine Feder mehr bewegt. Wie der Morgen und der Frühling strahlte er vor uns auf, wenn er uns nahte; jetzt ist es Nacht und Winter um ihn geworden. Es wird bald ein Jahr, daß Kainz nach Berlin kam, um zum ersten Male auf der preußischen Hof bühne zu erscheinen. Ter alte Freund Paul Lindau hatte das zuwege gebracht, und bei der November feier zum 150. Geburtstage Schillers trug der große Sprecher im Schauspielhause die Worte des Meisters der „Glocke" vor; Richard II. und-Marc Anton folg ten. Nach einer dec Vorstellungen empfing ihn der Kaiser. Die Wiener wurden unruhig, weil sie fürchteten, die Berliner wollten sich einen Ersatz für den Heimgegangenen Matkowsky schaffen. Damals stand Kainz auf dem Gipfel. „Wie oft", erzählte er den Freunden, „bin ich über den Gendarmenmarkt ge gangen und habe mir gesagt: .dies Haus fehlt mir nochU" Nun hatte er es erobert. Die königl. preußische Kunst, die ihn Jahrzehnte hindurch als so etwas wie einen verdächtigen „Modernen" betrachtet hatte, kapi tulierte vor ihm. Mit stolzer Genugtuung sah er, wie die beiden ehrwürdigsten Theater deutscher Zunge in heimlichem Wettstreit um ihn entbrannten. So sehr ihn das Glück verwöhnt hatte: er fühlte sich aufs neue wie von einer Welle emporgetragen, schien noch einmal wie vor einem neuen Abschnitt seines Lebens und Schaffens zu stehen, und er war bezaubernder, leuchtender, jünger als je. Im Frühjahr kam er wieder nach Berlin — es war nicht mehr derselbe wie ein halbes Jahr vorher! Als ich ihn sah, erschrak ich. Irgend eine unheimliche Veränderung war mit ihm vorgegangen, das bewies der erste Blick. Er war mißgestimmt, empfindlich und hatte eine böse, graue Bläste im Gesicht. Die Augen blitzten und glänzten nicht wie früher. Wie konnte dieser schlanke Mann sonst den Mahlzeiten alle Ehre antun — jetzt aß er fast nichts. Er klagte auch. Eine Darmoerstimmung plage ihn, die er nicht los werden könne. Darum habe er sich nun eine schmale Diät ausgedacht. Aber es wolle nicht besser werden, und hier uyd da fühle er auch infame Schmerzen. Der Arzt beruhigte ihn. Das sei nicht von Belang. Und „Jawohl." „Sie hielten ihn für einen Fremden?" „Ja. Außerdem weiß ich, daß es tatsächlich ein Fremder war." „So, wirklich? Und glauben Sie, daß er irgend in einer Weise mit diesem Einbruch zu tun gehabt hat oder gehabt haben mag?" „Ich bin vollständig sicher, daß dies nicht der Fall ist." Der Inspektor war nun wieder die Lebhaftigkeit selbst. „Das ist eine sehr bestimmte Behauptung, Herr Lart", bemerkte er. „Ich weiß es — sie sollt« es auch sein." „Darf ich fragen, auf welche Gründe hin — hm —" „Gewiß — unter bestimmten Bedingungen. Respek tiert die Polizei vertrauliche Mitteilungen?" „O ja, gewiß." „Und tauscht sie auch welche aus?" „Ich verstehe Sie nicht ganz." „Wenn ich Ihnen den Namen des Mannes, der mich verfolgte, verrate, wollen Sie mir dann auch mitteilen, was Sie auf den Gedanken brachte, daß mein Name Javotte sei?" Er zögerte einen Augenblick. Die Verschwiegen heit kämpfte in seinen Gedanken mit der Neugierde, aber bald erlangte diese die Uebermacht. „Ich sehe nicht ein, warum ick cs nicht tun sollte", sagte er. „Gut! Einverstanden!" „Also, hören Sie", erklärte ich. „Der Mann, der mir folgte, mich in der City ansvrach und bedrohte, war niemand anderes als — Le Noir, der berühmte französische Detektiv." Der Inspektor sprang auf. „Ist denn das möglich?" rief er aus. „Das ist ja gerade der Mann, der behauptet hat. Sie seien mit Javotte identisch. Er hat sich zum ersten Male in seinem Leben geirrt, und zwar ganz gewaltig! Aber wie ist es denn möglich, daß Sie. wenn Sie nie in Paris gewesen sind, ihn erkannt haben?" „Ich war es nicht, der ihn erkannte, sondern jemand anderes. Sichern Sie mir auch darüber Ihre Verschwiegenheit zu? Ich muß das verlangen." „Zugcstanden." „Nun dieser „jemand anderes" war Herr Hamil ton. Ich habe ihm den Mann am Strand gezeigt, und er sagte sofort: „Zufällig kenne ich den Mann. Es ist Le Noir von der Pariser Polizei, einer der ge wandtesten Detektivs in ganz Europa." „Das stimmt allerdings, er ist —" „Und er hält mich für Javotte?" „Gewiß." „Nun, wir wollen abwarten, wie sich die Sache entwickelt. Sie werden also Ihr Versprechen halten?" „Buchstäblich Herr Lart. Und wenn Sie mir in dieser Sache irgend einen Dienst leisten können—" „Werde ich es tun, Herr Inspektor." So kam es auf eine recht eigenartige Weise dazu, daß ich dem Inspektor in der freundsckaftUcksten Art die Hand schüttelte, und daß wir als die besten Freunde uns voneinander verabschiedeten. Als ich wieder in der Villa Rabenhorst eintraf, erwartete mich bereits Herr Goliby. Er war, wie mich deuchte, etwas ungeduldig. „Nun, Herr Lart", sagte er, Sie sind, wenn ich recht beraten bin, auf die Polizcistation berufen worden?" „Jawohl", erwiderte ich. „als ich aus der Stadt zurückkehrte, fand ich eine diesbezügliche Mitteilung vor." „Und was, wenn ich fragen darf, hat man dort von Ihnen wissen wollen?" „Nichts von Bedeutung", erwiderte ick und soo> mir gleichzeitig im Innern: Wie leicht ist es doch, ein Lügner zu werden. Seine Miene hellte sich auf. „Die Polizei bedient sich bisweilen so seltsamer Methoden", bemerkte er, „daß ich dachte, vielleicht — hm — möchte sie ihre Machtvollkommenheit über schritten und versucht haben, Sie zu überrumpeln — um —" Er vollendete den Satz nicht, weshalb ick fragte: „Um was, Herr Goliby? Ach so. ich verstehe. Nun der Inspektor legte mir einige törichte Fragen über mein Borleben vor u. dergl. Ob er mich für mit schuldig an dem Verbrechen hält oder nicht, vermag ich nicht zu sagen. Es ist schon möglich. Aber ich verwies ihn sofort an Herrn Hamilton. Das schlug ein. Hernach beschränkte er sich darauf, mich über die Vorfälle von gestern abend auszufragcn. Ich er zählte die Vorgänge rückhaltlos, wobei er sich Notizen machte. Damit war die Sache erledigt, und ich zog mich wieder zurück." „So, das war alles?" bemerkte Herr Goliby gleichmütig. „Diese Geschichte ist so unangenehm uno aufregend, daß sie mir auf die Nerven gegangen ist. Ist es nicht merkwürdig, daß ich auf das Telegramm an Herrn Vignaud noch keine Antwort erhalten habe? Sie erinnern sich doch, daß ich ihn anwies, mir sofort den Empfang meiner Depesche, zu be stätigen?" „Jawohl, Herr Goliby. Das ist allerdings wirk lich seltsam. Er muß es schon vor einigen Stunden erhalten haben. Und jetzt ist es bereits über sechs Uhr. Apropos, haben Sie Hamiltons Ratschlag be folgt?" „Gewiß. Um Zeit zu gewinnen, fuhr ich gleich nach Scotland Pard. Aber es ist nichts daraus ge worden." „Wollte man auf den Vorschlag nicht eingehen?" „Nein. Da ich von dem Berdächtigen keine Bc 104. Jahrgang. es wurde auch besser. Der letzte der drei Vortrags abende, die er damals in der Philharmonie hielt, und deren erste beiden auch wieder matter waren und uns abermals beunruhigten, zeigte ihn aufs neue in alter Kraft und Laune; beim Abschiedskonvivium. Las im engen Kreise folgte, sprühte wieder das alte Feuer. Nicht mehr gar so ängstlich, aber doch mit einem Stein auf dem Herzen schieden wir von ihm. Da kam im Mai die Alarmnachricht von der Wiener Operation. Und sofort ward allen der Ernst der Situation bewußt. Zwar gelang es den Aerzten, ihn selbst über die Gefahr hinwegzutäuschen, seiner Gattin, den Wiener Freunden die Sachlage hoff nungsvoll darzustcllen. Die ersten Wochen nach dem schweren chirurgischen Eingriff schienen diese günstige Pseudodiagnose auch tatsächlich zu bestätigen, und im Juli auf dem Semmering fühlte er sich verhältnis mäßig wohl; schon konnte man an Genesung, ja an Wiederaufnahme der Tätigkeit denken. Aber mit einem Schlage kam der Rückfall. Und das gräßliche Wort, das bisher niemand auszusprechen wagte, ward nun laut: Karzinom! Keine Hoffnung mehr! Keine Rettung mehr. Nur noch ein kurzes Bangen. Und dann erlosch das Licht . . . Die deutsche Kunst verhüllt ihr Haupt. Sie hat einen ihrer besten Söhne verloren. Einen Propheten ihrer Größe und Schönheit, von dessen Wirken Flammen der Begeisterung ausaingen und in die Herzen der Menschen schlugen. Einen Neu schöpfer und Schatzgräber, der ihre kostbarsten Herr lichkeitcn vom Staube der Abnutzung reinigte und in frisch funkelnder Pracht vor allem Volke als Heiligtümer von neugewonnener Göttlichkeit zeigte. Denn das war Kainzens große Tat: daß er an erster, weithin sichtbarer Stelle an dem Werke derWiede r- erweckung und Neubelebung des klassi- s chcn Dramas für die deutsche Bühne unserer Zeit mitwirkte; zuerst, von 1877—80, als grasgrüner Anfänger im Berbande der Meininger, die da mals ihre Triumphe feierten, dann, in der Vollkraft der erblühten Jugend, von 1883 an am Berliner Deutschen Theater. Hier wie dort galt es als höchstes Ziel der dramaturgischen Arbeit, die glor reichen Schöpfungen der Vergangenheit aus dem Schematismus und der konventionellen Oede, in die sie auf den deutschen Bühnen versunken waren, zu erlösen, um so der Allgemeinheit Kulturwerte von unvergleichlicher Bedeutung, dre sie besaß und doch kaum mehr kannte, wieder nutzbar zu macken. Kainz war wie kein anderer berufen, hier zu helfen. Denn in ihm lebte eine noch nirgends sonst entdeckte Doppel fähigkeit: die Figuren der klassischen Dichtung mit dem heißen, strömenden Herzblut der Gegenwart zu erfüllen und ihnen dennoch den strengen Stil zu wahren, aus dem sie geboren sind, und ohne den sie nicht leben können. Er war ein moderner Mensch mit aller Sensibilität, aller nervösen Feinfühligkeit, aller Lust und Gabe zur blitzschnellen Reaktion auf jede Reizung des Gefühls wie des Intellekts, mit der früheren Zeiten unbekannten Freude am Zer gliedern und Durchwühlen des eigenen Empfindung? lebens, — und er war zugleich ein Bruder der leiden- »W»I »I»I» M, W !! schreibung liefern konnte, behaupteten sie, keine An haltspunkte zu haben, auf die sie sich stützen könnten, um eine Verhaftung vorzunehmen. Außerdem hatten sie von dem Inspektor in St. Johns Wood bis dahin noch keinen Bericht von dem Einbruch erhalten. So bald der Bericht anlangen würde, hieß es, würde man die Pariser Polizei unverzüglich davon benachrich tigen. Sie verstünden meine Besorgnis über den Fall wohl zu würdigen, aber es müsse ein bestimmter Weg verfolgt werden, ich solle ganz unbesorgt sein und was dergleichen Phrasen mehr sind. So endete die Unterhaltung." „Trotzdem", bemerkte ich. „halte ich Hamiltons Rat nach wie vor für gut." „Ich auch, aber wenn wir nicht eine genaue Be schreibung von den Dieben haben, ist er nicht leicht ausführbar. Wenn Sie zum Beispiel heute nach Paris gefahren wären, hätten Sie sich über die Wach samkeit der französischen Polizei, mag sie sich auch noch so höflich offenbaren, nicht gerade gefreut, und so wäre cs jedermann in dem Zuge gegangen. Nein, ich glaube, die Sache war wirklich unausführbar. Jammerschade!" „Allerdings, ich sehe jetzt ein, daß Sie recht haben. Uebrigens erinnert mich die Erwähnung des Zuges au etwas andres. Ich habe Ihnen das Geld noch nicht zurückerstattet, das Sie mir für meine Ausgaben gegeben haben. Hier ist es!" Damir entnahm ich meiner Brieftasche die Bank noten und übergab sie ihm. „Wahrhaftig", sagte er lackend, „ich hatte sie selber ganz vergessen. Es hätte übrigens nicht viel aus gemacht, da ich Sie in einer anderen Angelegenheit doch sehr bald werde nach Paris schicken müssen. Sie werden dann Herrn Vignaud kennen lernen. Er ist ein ausgezeichneter Mensch, dieser Herr. Und nun muß ich Sie allein lassen. Herr Lart. Ich esse heute bei einem Freunde im Westend. Ich nehme an, daß ich mit Beileidsbezeugungen werde überschüttet wer den. Ich verabscheue sie, weil sie nicht den gerinaften Wert haben. An Ihrer Stelle würde ick heute abend ein Theater besuchen oder sonst ein Vergnügungs lokal, und versuchen, diese unangenehme Geschichte zu vergessen." „Ich danke Ihnen für Ihren Rat. Herr Goliby". erwiderte ich. „Ich bin wirklich etwas deprimiert davon und werde ihn befolaen." „Sie haben recht", meinte er. „Nehmen Sie sich die Sache nicht allzusehr zu Herzen. Ich tue das ja auch nicht. Vignaud wird die Papiere sperren. Ende gut. alles gut. Gehen Sie nur heute abend aus und unterhalten Sie sich gut! Auf Wiedersehen!" „Guten Abend, Herr Goliby." Die Türe schloß sich hinter ihm. und ich war wieder allein. (Fortsetzung folgt.)
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