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01-Frühausgabe Leipziger Tageblatt und Handelszeitung : 12.08.1910
- Titel
- 01-Frühausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1910-08-12
- Sprache
- Deutsch
- Vorlage
- SLUB Dresden
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id84535308X-19100812012
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id84535308X-1910081201
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-84535308X-1910081201
- Sammlungen
- Zeitungen
- Saxonica
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
-
Zeitung
Leipziger Tageblatt und Handelszeitung
-
Jahr
1910
-
Monat
1910-08
- Tag 1910-08-12
-
Monat
1910-08
-
Jahr
1910
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Amtsblatt des Rates und des Nolizeiamtes der Ztadt Leipzig. Anzeigen. Preis str Inserat« »u« Leipzig und Umgebung di« O^ioaltene V0 mm breit« Petit^il, L dl« 74 mm drei«« rieklamezeil« l von au«wänt UO Reklamen 1.20 Inserat« von Bedtrden m amtlich« Dell di« 74 mm breit« Pekitzril« «0 »eschäittanzelaen mit P atzoorschriste» uu» tu der Adeudautgade im Preis« erhöht. Radali nach Daris. Beilagegebühr L p. Daus«» «xkl. Postgebühr. Fell erteilte Auitrag« können nicht zurück- »«zog« werden. Für da« Erscheinen an oejlimmten Dagen und Plätzen wird kein, Garantie übernommen. üln^i,«.Annahme, Auguftaüplutz 8, bei sämtlichen Filialen u. allen Annoncen- ittzpeditionen de« In- und Autzlande«. -«uvr»-tli«lr v«rlin: Turl Luitcker. Lerzogk. Vahr. Hosbuch» Handlung, Lützowstiahe lU. (Delephon Vl, Nr. 4M3). Haupt-Filiale Lresdem Seestr^ße 4, t (Telephon 4Wlj. /reltsg. üen 12. Llugult 1910. l04. Jahrgang. Das Wichügste. * Die Gehalts st reitigkeiter der Kanz - listen im Patentamt des Reichsversiche- rungsamts sind vorläufig beigelegt worden. (S. Dischs. R.) * Am Donnerstag wurde in Brüssel das Grenz abkommen zwischen England, Deutschland und Belgien bezüglich der Regulierung der Grenze am Kongo unterzeichnet. * 12 angesehene Petersburger In tendanten sind nunmehr wegen Unter schleifen vom Dienst entlassen worden. * Der finnländische Landtag ist zum 14. September einberufen worden. (S. Ausl.) * Die „Freie Volksbühne" in Berlin protestiert in einem Aufruf gegen die Absicht des Hetrn v. Zagow, ihre Aufführungen der Zen - sur zu unter st eilen. (S. Feuill.) * Bei Benfeld bei Straßburg fuhr ein Eisen bahnzug in eine Arbeitergruppe und tötete 6 M a n n. Religiöser Realismus. tZum Berliner Kongreß für freies Christentum.) Einer der Redner auf dem soeben geschlossenen Berliner Weltkongresse für freies Christentum und religiösen Fortschritt stellte die Frage, was wohl Gott zu der ganzen Veranstaltung sagen würde, und meinte, ihm würde sie als Kinder spiel erscheinen; da machten sich die Menschen Kirchen und Religionen, und das alles habe doch eigentlich keinen rechten Zweck. Der Red ner — es war der in München—Pasing lebende Lhotzky — glaubte sogar, daß die Kirchen vielfach die Religion zerstört hätten, und empfahl größte Ursprünglichkeit: je näher einer Gott sei, desto ursprünglicher sei er. Doch urteilte auch dieser Eigene schließlich versöhnend von den Religionen: es gäbe keine, die uns auf dem Wege zu Gott hindern könne. Des ist an seinem Teile der Kongreß selbst ein Beweis geworden. Die Dutzende von Rednern und Rednerinnen, die dort aufgetreten sind, haben sicherlich alle ein ehrliches Suchen und Wollen gehabt. Was aber geeignet war, ihrem Auftreten Nachdruck und Eindruck zu verschaffen, ist dies: alle diese Leute drängten sich dazu, hier von ihrer Religion zu sprechen und zu zeugen, ohne durch einen Anstellungsvertrag dazu verpflichtet zu sein. Das gilt von dem Sozialdemokraten Maurenbrecher, dem ehemaligen schwäbischen Pfarrer Schrempf, der, ähnlich ursprünglich wie Lhotzky, ausdrücklich ablehnte, ein Programm aufzustellen und nur ein Bekenntnis ab legen wollte, von dem Vertreter der freireligiösen Gemeinden, Professor 0. Schieler aus Danzig, dem Sprecher der Bremer Radikalen, Pastor Dr. Li psi us, den Leuchten deutscher christlicher Gelehrsamkeit wieHarnack, Gunkel, Dörner, Niebergall, Weinel, ebenso aber auch von all den ausländischen Männern und Frauen. Vergleicht man die ganze Versammlung mit einer kirchlichen Veranstaltung, so mag man die Hunderte, die in den letzten Tagen ihr Lager im Berliner Landwehrkasino aufgeschlagen hatten, als arge Ketzer ansehen; betrachtet man sie als eine freiwillige Versammlung freier Menschen und vergleicht sie mit andern derartigen Ver sammlungen, so drängt sich sofort der Eindruck der Frömmigkeit und des Glaubens auf. Diese Freiwilligkeit im Religiösen ist bei uns noch nicht genügend verwertet worden. Wenn das System der Wirtschafts- und Verwaltungs abhängigkeit der Kirchen vom Staate auf gehoben würde — die Staatshoheit könnte dabei erhalten bleiben —, würde es sicherlich bei uns so werden wie in Amerika: die Kirchen würden eine ungeheure gesellschaftliche Macht, die ja wieder etwas Aeußerliches enthält, empfangen, daneben aber würde auch ein Steigen, nicht ein Sinken der inneren Kraft eintreten. Bei dem Gedanken der Steigerung des Ein flusses der Kirchen mag manchem angst und bange werden, aber wir können wirklich in Deutschland eine stärkere Durchdringung des gesellschaftlichen Lebens und des individuellen Daseins mit religiösem Idealismus brauchen. Der Kongreß selbst hat zwei praktische Forde rungen hervorgestellt: die Enthaltsamkeit von berauschenden Getränken und den Friedensgedanken. Im ersten Punkte geben wir dem Kongresse recht. Wenn ein Mensch, dem das Leben nachtet, vom Rauschnebel sich Trost verspricht oder ein Schwerbelasteter unter der dämonischen Neigung zum Alkohol zusammen bricht, so steht das auf einem besonderen Blatte; aber daß die Jugend des Volkes, die weder von Kummer noch von erblichen Schäden belastet ist, immer noch den Rausch zum Gegenstände der Sitte macht, ist etwas, was mit jeder religiösen Auffassung, der orthodoxen und der liberalen, schlechthin unverträglich ist. Schwieriger ist die Frage des Friedens. Soll er zur un bedingten christlichen Forderung gemacht wer den? So waren Kaiser Wilhelm, Bismarck und alle die Streiter von 1870/71, die vom blutigen Schlachtfelde das „Nun danket alle Gott" zum Himmel sandten, unchristlich? Wenn es so wäre — wir bestreiten das lebhaft —, so müßten wir uns damit trösten, daß unsere Kultur sich aus verschiedenen Elementen zu sammensetzt und daß, wie Heinrich v. Treitschke einmal ausspricht, sowohl antike Sittlichkeits begriffe mit dem Gedanken der Selbstbehauptung und altgermanische Anschauungen, in denen eben falls ein starker Zug der Selbstbehauptung und ein reizbares Ehrgefühl enthalten ist, unaus rottbare Bestandteile unseres Lebens ge blieben sind. Es ist oft gesagt worden, daß die katholische Kirche in ihrem Wesen durchaus universell sei; sie ist deshalb von den nationalen Verkün digern aller Völker gehaßt worden. Wie nun, wenn auch Freiheit und Fortschritt sich universell zu organisieren suchten? Noch ist den religiös oder politisch freiheitlichen Mächten der Ge danke nicht vertraut. Der Protestantismus Deutschlands hat fast gar keine Fühlung mit dem Protestantismus Hollands, der Schweiz, Englands oder Amerikas, und empfindet das nicht als Mangel. Die Freidenker haben internationale Verbindung herzustellen versucht, aber nicht immer mit vollem Erfolge. Welche Anregung und Befruchtung die internationale Fühlung gewähren kann, hat nun aber der Berliner Kongreß gezeigt. Der vorige Kongreß war in Boston, der nächste soll in Paris stattfinden. Das alles sind brückenschlagende Veranstaltungen, wie sie die Orthodoxie in dieser Weise bisher nicht fertig gebracht hat. Da nach einem Goetheschen Spruche das heilig ist, was Menschen verbindet, kann man jedenfalls dem liberalen Christentum und den Männern des religiösen Fortschritts den Besitz des Heiligen nicht ab sprechen, „bindet es auch nur leise wie die Binse den Kranz". Sin Rechenkünstler. Der „Tag von Philippi" bereitet Len Konser vativen immer bangere Sorge. Um diese etwas zu verscheuchen, hat die „Kreuzzeitung" sich einige Zahlen aus den 14 Ersatzwahlen seit der Reichsfinanzresorm zurechtgclegt und herausgercchnet, daß von dem ange kündigten Strafgericht des Volkes nicht der blau schwarze Block getroffen worden sei, sondern der — Liberalismus. Alle bürgerlichen Parteien hätten an Stimmenzahl verloren, nur die konservative Partei, so verkündet das Blatt mit Stolz, hat „nicht nur keine Verluste an Stimmen erlitten, son dern ihre Stimmenzahl sogar noch um 1406 erhöht". Ob solch kühner Behauptungen wird jedermann staunen, der weiß, daß die konservative Partei in Landsberg-Soldin 3400, in Oletzko-Lyck 10 000 und in Usedom-Wollin 2000 Stimmen verloren hat. Diesen Verlust deckt aber der Rechenmeister der „Kreuzzeitung" kurzerhand mit den durch die Sonder kandidaturen des Bundes der Landwirte in Neustadt-Landau, Mühlheim-Wipperführt, Friedberg- Büdingen und Cannstatt-Ludwigsburg erzielten Stimmen, die 1007 in der Stimmenzahl der National liberalen enthalten waren und jetzt letzteren als Ver lust gebucht werden. Aus diese Weise kommt das kon servative Blatt zu dem Ergebnis, daß die Natio nalliberalen 18 600 Stimmen verloren haben, ja sogar, „wenn man von dem Zufallserfolg m Oletzko-Lyck absieht", 31 000! Wie verhält sich die Sache in Wirklichkeit? Um bei den Nationallibe- ralen zu bleiben, so haben diese unter Abrechnung der bündlerischen Stimmen 1007 rund 65 000 Stimmen erhalten, denen in den Ersatzwahlen rund 58 000 gegenüberstehen. Berücksichtigt man dabei, daß die Partei bei der Koblenzer Ersatzwahl, wo 1907 aus den nationalliberalen Kandidaten rund 6000 Stim men fielen, diesmal keinen Kandidaten aufgestellt hatte, so kommt man zu dem Ergebnis von rund ein tausend Stimmen Verlust. Demgegenüber figuriert die konservative Partei mit rund zehn tausend Stimmen Verlust: dabei sind ihr noch rund 3000 Stimmen gutgeschrieben, die sie in Jauer-Bolkenhain erhalten hat und di« 1907 auf den freikonservativen Kandidaten gefallen waren. Rech net man den ganzen schwarz-blauen Block ein schließlich der Freikonservativen zusammen, so ergibt sich für diesen in den 14 Wahlkreisen 1907 eine Stimmenzahl von rund 114 000 (52 300 Zentrum, 42 300 Konservative, 12 350 Freikonservative und 7000 Deutsch-Soziale), bei den Ersatzwahlen dagegen nur von rund 82 000 (42 700 Zentrum, 29 800 Kon servative, 4600 Freikonservative und 4400 Deutsch- Soziales, also ein Verlust von insge s a m t 32 000 Stimmen, der durch die ca. 15 000 Stim men des Bundes der Landwirte rein zahlenmäßig auf rund 17 000 ermäßigt wird. Letztere 17 000 sind aber faktisch als Zuwachs nicht in Ansatz zu bringen, da sie ja 1907 bereits dem schwarz-blauen Block zuzu rechnen gewesen wären. Hält man demgegenüber den Verlust auf liberaler Seite von insgesamt etwa 7000 Stimmen (etwa 6000 haben nach der „Kreuzzeitung die Freisinnigen eingebüßts, so sieht man deutlich ge nug, wie das Strafgericht gewirkt hat. Wenn die Kreuzzeitung" sich weiter dahinter versteift, daß die Liberalen am meisten Mandate verloren haben, so will dies für ihre Beweisführung gar nichts be sagen. Einmal ist es reiner Zufall, daß gerade der Liberalismus, insbesondere die Nationalibe- ralen, an den Nachwahlen so stark beteiligt sind, zum andern haben gerade die drei Wahlen von Landsberg- Soldin, Oletzko-Lnck und Usedom-Wollin, ln denen die konservative Partei beteiligt war, letzterer genug sam gezeigt, wohin der Kurs steht, wenn es ihr auch gelungen ist, Landsberg-Soldin gegen die Sozial demokratie zu halten. Das ganze Beweisgebäude der „Kreuzzeitunq" steht daher auf ziemlich tönernen Füßen. Daß der Liberalismus unter der allgemeinen Erbitterung, die das Volk gegen das Regime des schwarz-blauen Blocks ergriffen hat, ebenfalls zu leiden hat, ist schon oft gesagt worden. Aber angesichts der Ergebnisse der Ersatzwahlen von einem „Zusammen bruch des Liberalismus" reden zu wollen, das blieb nur der ..Kreuzzeitung" und der ihr eifrig akklamte- renden Presse des schwarz-blauen Blocks vorbehalten. Aus solchem Traum werden die selbstzufriedenen Herren bald genug geweckt werden. Der erste Stoß wird vorläufig aus Zschopau-Marienberg kommen. Der panamerikanische Kongreß in Buenos Aires. Wenn die Pläne gewisser nordamerilanischer Po litiker, ein System gegenseitiger Zoll bevorzugungen zwischen den verschiedenen Staaten Amerikas, namentlich zwischen den Ver einigten Staaten und den Schwesterrepudliken zu ver wirklichen, gelängen, so würden der europäische Ausfuhrhandel und die auf seine Vermittlung an gewiesene Industrie die leidenden Teile sein. Dies ist ja auch gerade das Ziel der nordamerikanischen Hochschutzzöllner, die sich besonders für den Pan amerikanismus begeistern. Ihre eigene Wirtschafts politik steigert die Preise und schwächt dadurch die Ausfuhrtätigkeit Um diese Nachteile auszugleichen, will man sich die Märkte der übrigen amerikanischen Staaten unter möglichster Fernhaltung der Kon kurrenz der Länder Europas reservieren. In einem Falle, in Kuba, hat diese Richtung bereits einen markanten Erfolg errungen. Dort brauchte man aller dings auch nicht um die Begründung für das Vor gehen verlegen zu sein. Die Berufung auf die großen Verdienste, die sich die Vereinigten Staaten durch Unterstützung der Insel bei ihrem Unabhängigkeits kampfe und ihrer Einrichtung als selbständiger Staat erworben haben, genügte, und auch für die eine oder andere der kleineren Republiken werden sich vielleicht in Zukunft ähnliche Gründe finden lasten. Im all gemeinen muß man sich mit der Monroedoktrin behelfen, die einen höchst fadenscheinigen Vorwand darstellt. Sie ist als Formel zur Abwehr gegen euro päische Eroberungsgelüste entstanden und längst überflüssig geworden, weil keine Macht Europas daran denkt, in Amerika Eroberungen zu machen. Europa würde sich nichts vergeben, wenn es allgemein die Monroelehre ausdrücklich aner kennen würde, dadurch aber gleichzeitig den in manchen Republiken noch bestehenden, von Len Ver einigten Staaten sorgfältig genährten Besorgnissen den Boden entziehen und den Mißbrauch unmöglich machen, der seit geraumer Zeit auf wirtschaftlichem Gebiete mit der Monroedoktrin getrieben wird. Da mit würde der Idee des Panamerikanismus ein schwerer Schlag versetzt werden. Aus der praktischen Verwirklichung dieser Idee wird allerdings vielleicht auch ohne Nachhilfe der europäischen Mächte nicht viel werden. Ganz unver kennbar ist das Hervortreten einer Gegenbewe gung auf dem amerikanischen Kontinente selbst. Die süd- und mittelamerikanischen Republiken er kennen immer mehr, daß die ihnen durch das System der Eegenseitigkeitsoerträge in Aussicht gestellten Vor teile ganz einseitiger Natur sind. Sie kommen allein der Industrie der Vereinigten Staat en zugute, die bei Zollermäßigungcn in den südlicheren Republiken natürlich ihren Absatz erweitern wird, wenn die europäische Konkurrenz von ihnen ausge schlossen bleibt. Gerade das letztere bezwecken aber die ..Gegenseitigkeitsverträge", auf deren Abschluß die Nordamerikaner hinarbeiten. Ob die Zölle im übrigen Amerika hoch oder niedrig sind, ist der Aus fuhrindustrie von New Pork, Pennsyloanien usw. ziemlich gleichgültig, wenn nur europäische Waren höhere Zölle als ihre eigenen Erzeugnisse bezahlen müssen. Die Vorteile, die die Vereinigten Staaten als Gegenleistung anbieten, find fast durchweg so minimal, daß sie überhaupt ernstlich nicht in Be tracht kommen. Die Erleichterung, die der Einfuhr kubanischen Zuckers zuteil geworden ist, steht einzig da. Was die andern amerikanischen Staaten an Zucker ausführen könnten, ist nicht eben viel. Wenn es ausreichte, um den durch die Einfuhr aus Kuba rc. nicht gedeckten Restbedarf zu liefern, so würde sich der Vorteil wieder in Dunst auflösen, weil sich dann die amerikanischen Staaten untereinander eine so scharfe Konkurrenz bereiten würden, daß sich danach das Preisniveau bestimmte. Ein solches Vorrecht hat doch nur dann einen Werk, wenn andere, die für die selben Leistungen höhere Gebühren entrichten müssen, davon ausgeschlossen sind. Typisch für die ungeheure Mehrzahl der süd- und mittelamerikanischen Waren ist der Vorteil, den der brasilianische Kaffee in den Vereinigten Staaten genießt. Von der ihm vertragsmäßig eingeräumten Zollfreiheit sind die andern amerikanischen Kaffeestaaten, wie Guatemala, Nicaragua, Kolumbien, Haiti, ausgeschlossen. Brqji- lien hat aber kaum einen Vorteil davon, weil es für seinen Kaffee in New Pork auch keine höheren Preise erzielt, als dem Weltmarktpreise entspricht, und Europa erleidet keinen Schaden, weil es Kaffee nicht erzeugt. Diesen Erwägungen verschließen sich zahlreiche amerikanische Republiken nicht mehr. Argen- tinien, das auf der letzten Haager Friedenskon ferenz mit seiner völkerrechtlichen Drago-Calvo-Lehre (Verbot zur Eintreibung privatrechtlicher Forde rungen von schwächeren Staaten Waffengewalt anzu wenden) im Gegensatz zu Europa stand und die Ver einigten Staaten um Unterstützung anging, hat von jeher das System der Eegenseitigkeitsverträge scharf bekämpft. Und eben sagt wieder ein führendes argentinisches Blatt: ..Amerika für die Amerikaner will der Panamerikanismuus bedeu ten, aber Amerika für die Nordameri k'a'n e r be deutet er: das wollen wir nicht." Diese Aeußerung fiel um so mehr ins Gewicht, als sie dem in Argen tiniens Hauptstadt tagenden vierten panamerikani schen Kongresse gewidmet war. Der Kongreß wird dann wohl auch kaum Folgen haben, mit denen die nordamerikanischen Hochschutzzöllner zufrieden sein können. Deutschland ist in der Ausfuhr von Industrie erzeugnissen nach Mittel- und Südamerika einer der Hauptkonkurrenten der Vereinigten Staaten. Das gekennzeichnete Bestreben nach einer Einschränkung des europäischen Wettbewerbs richtet sich also auch in erster Linie gegen Deutschland. Erfreulich ist es. daß wir diesmal nicht wieder der leidende Teil sein dürften. Deutsches Selch. Leipzig, 12. August. * Zur Reichstagswahl in Zschopau-Marienberg. Die Anstrengungen, die die Sozialdemokratie im 20. sächsischen Reichstaaswahlkreise macht, sind der beste Beweis dafür, daß sie keineswegs ihrer Erfolge so sicher ist, wie sie sich nach außen hm den Anschein gibt. Durch ihre Agitations- und Versammlungs tätigkeit dokumentiert sie aufs deutlichste, daß sie allein in der fortschrittlichen Kandidatur Brodaus ihren ernsthaften Gegner steht» der ihr Abbruch zu tun imstande ist. Denn der von den Konservativen und dem Bunde der Landwirte unterstützte Reform«? Fritzsche ist im Wahlkamxfe völlig in den Hintergrund getreten. Die Sozialdemokratie ent sendet ihre tüchtigsten Redner in die fortschrittlichen Versammlungen, und es ist daher ganz selbst verständlich, wenn die Fortschrittliche Volkspartei auch ihrerseits die sozialdemokratischen Versamm lungen mit Diskussionsrednern beschickt und sich mit der Sozialdemokratie auseinandersetzt. Dabei findet sie von nationalliberaler Seite kräftige Unter stützung. Am vergangenen Sonnabend sprach Partei jekretär Ehrich von der Fortschrittlichen Nolkspartei m Groß-Olbersdorf gegen den sozialdemokratischen Kandidaten Eöhre, tags darauf gegen den Reichstags abgeordneten Noske (Soz.) in Krumhermers- dorf und am Montag in Dittersdorf wiederum gegen Göhre. - Die sachlichen Ausführungen Ehrichs machten auf die zahlreichen Versammlungsteilnehmer einen starken Eindruck. Der Kandidat der Ver einigten Liberalen Landtagsabgeordneter Brod aus sprach am Montag in Mittelsayda. Der Ortsgeistliche nahm gegen ihn die konservative Partei in Schutz. Für den liberalen Kandidaten trat in derselben Versammlung der Redakteur Näther und Landtagsabgeordneter Claus mit gutem Erfolge ein. Bei den Ausführungen Eöhres ist es interessant zu beobachten, wie sehr dieser als Revisionist schon auf dem Dresdner Parteitag der Sozialdemo kraten gründlich gestäupte Kandidat von dem marxisti schen Programm abweicht. Bemerkenswert ist übrigens auch die Tatsache, daß die sozialdemokra tischen Zeitungen Sachsens, die peinlich genau über jeden Parteibeschluß gegen die badischen Budgetbe- williger berichten, zu Göhres Erklärung, er würde im badischen Landtag auch für das Budget gestimmt haben, sich bisher völlig ausgeschwiegen haben. * Die Erklärung des Konservativen Landesvereins im Königreich Sachsen, die wir gestern bereits be sprachen haben, findet auch durch die „Sächs. Nat. Korr." eine kräftige Zurückweisung. Die Korrespon denz geht dabei von der Annahme aus, daß man es nur mit einer Privatleistung des konservativen Generalsekretärs Kunze zu tun habe, und schreibt u. a.: „Woher nimmt grade der Generalsekretär des Konservativen Landesvereins im Königreich Sachsen den Mut, auf die Geschlossenheit der konservativen Partei zu pochen? Hat er bereits vergessen, daß die Konservativen in Sachsen sich bei der Reichs finanzreform wegen der Erbanfallsteuer offen von der Führung des Herrn v. Heqdebrand lossagten? Will er vielleicht andeuten, daß die sächsischen Kon servativen mittlerweile ernschwenkten und nun hinterher mit dem Widerspruch gegen die Erbanfallsteuer einverstanden sind? Hat er viel leicht den Reichstagsabgeordneten für Freiberg, Herrn Dr. Wagner, befragt, ob es ihm recht sei, wenn er ihn zum unbedingten Anhänger derHeode- brandschen Politik stempelt? Was soll über haupt das Gedrohe mit der Machtentwicklung der konservativen Partei, was soll die Erinnerung an die Landtagswahlen, die der nationalliberalen Partei die angeblich erträumte Uebermacht nicht verschafften? Wir meinen denn doch, die konservative Partei hätte bei den Landtagswahlen, trotz ihrer Reservate in Gestalt der ländlichen Wahlkreise, so schlecht abgä» schnitten, nämlich im Vergleich zu ihrem früheren Besitzstand, daß ihr diese Erinnerung nur pein lich sein müßte. Dieses hochnäsige Abkanzeln der nationallioeralen Partei ist ebenso lächerlich wie zwecklos. Herr Richard Kunze glaubt gar nicht, wie komisch er sich ausnimmt, wenn er die sächsischen Nationalliberaten mit lautem Gezeter vor Bassermann warnt und ihnen den baldigen Tod in der roten Flut weissagt. Wenn die Flut im Steigen ist. so verdanken wir das, darüber ist ziemlich alle Welt einig, der eigensinnigen und verblendeten Politik, die Herr von Heqdebrand in erster Linie zu verantworten hat. Wir behaupten, daß die große Mehrzahl der sächsischen Konservativen diese
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