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01-Frühausgabe Leipziger Tageblatt und Handelszeitung : 12.05.1910
- Titel
- 01-Frühausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1910-05-12
- Sprache
- Deutsch
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id84535308X-19100512017
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id84535308X-1910051201
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-84535308X-1910051201
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
-
Zeitung
Leipziger Tageblatt und Handelszeitung
-
Jahr
1910
-
Monat
1910-05
- Tag 1910-05-12
-
Monat
1910-05
-
Jahr
1910
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sezugs-Tpreiv «r Lelpji» und tiorort» durch unirr, lr«ger und kprditeur« 2m»! ttalich mr Hau« -edrach!: VV ch monatl., 2.70 oierttltShrl. ve! unlrrn »Ui»Ie« u. Sn» »ahm,pellen »txirbolt: 72 monatl^ 2.2S dirrteljlhrl. Lurch dt« innerhalb Lrutlchland« und der drutichra Nolonien »terrellädrl. ».<0 monatt. >.<0 aullchl. Postdeslellneld. ferner in Belgien, Dänemark, den Donaustuaten, Italien, Luremdurg, Niederlande, Nor wegen, Letterreich.Ungarn, Rußland, Schweden, kchtvriz «. Spanien. In alle» übrigen Staaten nur direkt durch di» »elchttttlielle de« Blatte« erhtlrUch. La« Leipziger Laaedlatt «richeini 2 mal lilglich. Sonn» ». Feteriag« nur morgen«. Sivonneu enr-Snnabm« > Buguftulplatz 8, de> unlerrn Trügern, Filialen, Spediteuren und Annahmestellen, sowie Postämtern und Briefträgern. »tnielderkanteprei» »er Morgen- rutgabe lst der Adendnutgabe 2 ch, Siedaklion und Geschäft-Keller IohanniSgaste 8. Lernsprecherr I46Ä2. I46S8. I48S4. Morgen-Ausgabe. MpMerTagMM Handelszeitung. Amtsvkatt des Aales und des Vokizeiamtes der Zkadt Leipzig. Anzeigen- Preis tür Inierare au« Le>vnq >i»o ilmgedu», d„ ägeipaltene SO rnm dreit« Petit,eil« 2L di« 7« mm breit« Reklame,eil« l «on auSwtrt« 00 ch, Reklamen i.Ll Inserate von Bebbrven m amtlichen TeU die 74 ww krcrte Petitzeil, 4«) GeichLstSanzeigen mit P axoorichritten und in der Ldendaurgabe im Preiie erhobt. Rabatt «ach Laris. Beilagegebttdr b p. Tausend e;kl. Postgebühr. Iesterteilte Aufträge können nicht ,i,rück- gewgen werden. Für da» ifrfcheinen an bestimmten Tagen und Plätzen wird kein« iöarauti« übernommen. «neigen» Annahmel AugustuSpla, tt, bei sämtlichen Filialen u. alle» Annoncen- Lrptdilionen de» In» und Au»lande1. -aiivt-SMale verki»! larl Luncker, Her,ogl. Vapr. Hosbuch- haudlung, Lützowstiaße IL lTe.ephon VI, Rr. 4<>.<j). Paupk-Filiale LreSdenr Leritratze «, I (Telephou 4621). Nr. 130. 104. Zahrgsng vonnerslsg, üen !2. Msi ISIS. Das Wichtigste. * Die Erste Kammer erledigte am Mittwoch einige Etatkapitel, darunter das der Universität Leipzig, genehmigte weiter u. a. den Gesetzentwurf über Eemeindeverbände und beschäftigte sich mit einigen Petitionen. (S. Landtagsbericht.) * Die Zweite Kammer verabschiedete am Mitt woch u. a. den Ergängungsetat für 1910/11 nach längerer Debatte, erledigte mehrere Petitionen, genehmigte das Dekret über die neue Anleihe und beschäftigte sich schließlich mit der sozialdemo kratischen Interpellation über die Aus sperrung im Baugewerbe. Dabei wurde festgestellt, daß Verhandlungen an gebahnt seien. (S. Landtagsbericht.) * Die von Oberbürgermeister Dr. Beutler- Dresden angebahnten Einig ungsverhand- knngen im Baugewerbe sollen am 21. Mai in Dresden stattfinden. (S. d. bes. Art.) * Der Landtagsabgeordnete Merkel-Mylau ist aus der nationalliberalen Landtags fraktion ausgetreten. (S. Dtschs. R.) * In der Mittwochsitzung des Bnndesrars wurde dem Entwurf eines Gesetzes für den Absatz von Kalisalzen in der vom Reichstage be schlossenen Fassung zugestimmt. * Unter dem Vorsitz des Staatssekretärs des Innern, Staatsministers Delbrück, wurde im Plenarsitzungssaal des Herrenhauses inBerlindie 14. Generalversammlung des deutschen Zentralkomitees zur Bekämpfung der Tuberkulose abgehalten. * Die Eidesleistung der Kreter im Rainen des Königs von Griechenland hat in der Türkei große Erregung hervorgerufen. (S. Ausl.) * Gegen den Eisenbahnzug, in dem der Duma präsident Gutschkow nach Petersburg fuhr, wurde auf der Station Iusowka ein Dynamit attentat unternommen. * In Puen-schau (China) sind Unruhen ousgebrochen. Das Schicksal der dortigen württem- bergischen Liebenzeller Missionsangehörigen ist un bekannt. (S. Ausl.) Die marolckanilchen Lrzstmüe unü Sie üeutlche Znüultrie. Mit dem Tage des Frankfurter Friedens, dem 10. Mai, begannen in Paris die Verhand lungen über die Regelung der Minenkonzessionen in Marokko. Alle Bemühungen der Offiziösen haben es nicht verhindern können, daß bis in die letzten Tage hinein Kundgebungen zu dieser Frage erfolgt sind. Mit bittrer Miene hatte der Reichskanzler sich beklagt, daß er durch Er örterung dieser Frage im Reichstage gezwungen wäre, nun auch seinerseits Darlegungen machen zu müssen über die Berechtigung oder Nicht berechtigung der deutschen Mineninteressen in Marokko. Wer da weiß, wie namentlich der Herr Unterstaatssekretär Stemrich sich bemüht hat, die Abgeordneten der einzelnen Fraktionen beinahe flehentlich zu bitten, die Mannesmann angelegenheit im Reichstage nicht vorzubringen, kann sich schon aus diesem Grunde des Ein druckes nicht erwehren, als wenn die Position, in die das Auswärtige Amt hineingeraten ist, allmählich unhaltbar geworden war. Umsomehr ist es die Pflicht der unabhängigen Presse, auf die Bedeutung der Lage hinzuweisen. Nicht die Rechtsfrage wollen wir an dieser Stelle noch einmal aufrollen. Was darüber zu sagen ist, hat der Abgeordnete Iunck in kurzer, gemeinverständlicher Weise im Leipziger Tage blatt s. Z. auseinandergesetzt. Die Stellung der deutschen Reichsregierung zu dieser recht lichen Frage ist einfach unerklärlich. Man stützt sich auf einen Beschluß des Diplomatischen Korps in Tanger, der dem damals schon auf der Flucht befindlichen früheren Sultan gar nicht überreicht worden ist, und den im übrigen auch Frankreich und England als verbindlich kaum anerkennen, da sie ihn in ihren amtlichen Weißbüchern nicht einmal angeführt haben. Frankreich, das in diesem Falle der Eegenkontrahent Deutschlands ist, verzichtet also darauf, aus einem nicht zur Ausführung gekommenen Beschluß Rechte her zuleiten, während das Auswärtige Amt in seiner überströmenden Liebe für Frankreich aus diesem Beschluß hauptsächlich die Rechtsungültigkeit der deutschen Konzessionen ableitet. Die öster reichische und die spanische Regierung haben keinen Zweifel darüber gelassen, daß sie bereit wären, für die deutschen Minenkonzessionen ein zutreten, wenn Deutschland die Initiative dazu ergriffe, aber Deutschland tut dies seinerseits nicht, und infolgedessen haben die anderen Mächte natürlich kein Interesse, sich wegen der vorwiegend deutschen Interessen ihrerseits zu engagieren. Als Deutsche schaffen wir uns eine Situation, die an die Algeciras-Konferenz er innert, indem wir durch eine schwächliche Stel lungnahme einen Konzern der sämtlichen Mächte gegen uns schaffen, ohne bei Frankreich aber, das wir anscheinend durch unsere Liebens würdigkeit gewinnen wollen, den geringsten moralischen Eindruck zu hinterlassen, was die Niederlage zeigt, die wir durch den neuen fran zösischen Zolltarif erhalten haben und die Herr von Schön anscheinend durch weitgehendes Ent gegenkommen auf marokkanischem Gebiete Fran- reich gegenüber erwidert: „Wenn dir jemand einen Backenstreich auf die linke Seite versetzt, dem reiche die rechte Wange auch dar!" Was ist nun eigentlich das treibende Motiv bei dieser Preisgabe deutscher Interessen? An scheinend ist es der alte Irrtum, durch eine Politik des Entgegenkommens so viele mora lische Eroberungen zu machen, daß dadurch die Stellung Deutschlands in der Welt gefestigt wird. Man stellt sich auf den Standpunkt, daß jeder Nation die Freiheit der wirtschaftlichen Betätigung in Marokko gegeben werden solle, und man schreckt davor zurück, deutsche Kon zessionen zu verfechten, die einen monopol artigen Charakter haben und dadurch diesen Grundsatz der Gleichberechtigung aller Nationen verletzen könnten. Ob wohl Frankreich und England sich auch diesem Grunde beugen würden, wenn es ihren Industriellen gelungen wäre, derartige weitgehende Konzessionen zu erlangen wie sie die Brüder Mannesmann besitzen? Ist es nicht etwas ganz Unerfreuliches, wenn die deutsche Regierung, anstatt wenigstens die deutschen Rechte bis zum letzten zu verteidigen, hier ein Weißbuch herausgibt, in welchem sie sich bemüht nachzuweisen, daß diese Rechte nicht haltbar seien, in dem sie Privatbriefe deutscher Unternehmer veröffentlicht, um daraus herzu leiten, daß die Mannesmann-Konzessionen einen monopolartigen Charakter hätten und deshalb den Grundgesetzen der Algeciras-Akte wider sprächen?! In der weiten Welt sehen wir, wie es Engländern und Franzosen auf vielen Ge bieten gelungen ist, sich monopolartige wirt schaftliche und politische Herrschaften zu sichern. Beinahe hätte hier Deutschland auch ein wirt schaftliches Monopol in Marokko erringen können: Es ist nur gut, daß wir ein Auswär tiges Amt haben, das rechtzeitig die Gefahr dieses deutschen Wagemutes erkennt und uns davor bewahrt. „Sie können mir nicht zumuten, daß ich eine Politik des Vertragsbruches treibe", so hat der Reichskanzler von Bethmann Hollweg unter schüchternen Bravos des Zentrums seine Marokko politik verteidigt. Wir bestreiten auf das ent schiedenste, daß in der Durchführung der Mannes mannrechte ein Vertragsbruch liegt. Aber selbst, wenn deren Durchfechtung gegen den Geist des Algecirasvertrages verstieße, dann möchten wir dem deutschen Reichskanzler doch eine andere Erinnerung in sein Gedächtnis zurückrufen. Es ist doch noch nicht viel mehr als ein Jahr ver strichen, seitdem Bosnien und die Herzegowina von Oesterreich annektiert wurde. War das nicht auch eine Politik des „Vertragsbruches"? Wer hat denn in diesem Augenblick, als es sich um die Zukunft des Balkans handelte, nach ge schriebenen Paragraphen gefragt? Aehrenthal war der Mann des Tages, und unter dem Jubel des deutschen Reichstages sprach Fürst Bülow von der Nibelungentreue gegenüber seinem Bundesgenossen. Unter dem Jubel der Wiener Bevölkerung zog der Deutsche Kaiser in Wien ein, begrüßt als der Verbündete dieser öster reichischen Politik. Will Herr von Bethmann nicht die Güte haben, seinen österreichischen Ministerkollegen darauf aufmerksam zu machen, daß er gut täte, Bosnien und die Herzegowina wieder herauszugeben, weil er sich sonst dem Vorwurf aussetze, eine Politik des Vertrags bruches getrieben zu haben? Man braucht diese Frage nur zu stellen, um sie zu beantworten. Weltpolitische und weltwirtschaftliche Siege sind niemals durch Paragraphenweisheit, durch Bindung an Paragraphen errungen worden, sondern durch Benutzung des psychologischen Momentes, in dem etwas zu erreichen war. England wäre sicherlich nicht zum Weltreich und zum Weltreichtum gekommen, wenn es sich bei jeder seiner Aktionen philosophisch gefragt hätte, ob es nicht gegen den Geist irgendeines Ver trages bei seinem Vorgehen verstieße. Wir aber treiben eine Politik des Vereins für ethische Kultur und wundern uns, wenn wir nichts erreichen. Man mutet jetzt den Brüdern Mannesmann zu, sich bedingungslos einem Schiedsgericht zu unterwerfen, und harmlose Gemüter versichern uns jetzt wieder, wie unparteiisch dieses Schiedsgericht sein werde. Solange das deutsche Weißbuch nicht veröffentlicht war, hätte man den Brüdern Mannesmann etwas Derartiges zumuten können, jetzt ist für diese die Situation hoffnungslos, nachdem jeder unserer Gegner sich aus die in dem deutschen Weißbuche nieder gelegte Anschauung der deutschen Negierung beziehen kann. Man wird es daher auch den Brüdern Mannesmann nicht Übelnehmen können, wenn sie ihrerseits Kautelen fordern, ehe sie dem Schiedsgericht sich bedingungslos unter werfen. Eines muß von der deutschen Negierung wenigstens gefordert werden: sic muß sich jetzt auf das Prinzip der Priorität der Mutung stellen, damit wenigstens dasjenige gesichert wird, was die Brüder Mannesmann durch früh zeitige Mutung erworben haben. Es schwirren Gerüchte herum, daß das Auswärtige Amt auch diesen Standpunkt aufgegeben hätte und daß die deutschen Vertreter im Auslande angewiesen worden wären, als Standpunkt der deutschen Regierung zu erklären, daß die deutsche Re gierung überhaupt keine Rechte a.s existent ansähe. Wir vermögen das — trotz alledem, was wir bisher erfahren mußten — nicht zu glauben. Ein solcher Standpunkt würde be deuten, daß die mehrjährige Arbeit des deutschen Unternehmungsgeistes in Marokko vollständig aufgegeben wird und daß in Zukunft Berg werksrechte in Marokko nur derjenige besitzt, der sich von jetzt ab darum bemüht. Jetzt aber ist Frankreich Trumpf in Marokko und für deutsche Interessen kaum noch etwas herauszu holen, wenn man nicht von dem, was früher erworben wurde, rettet was zu retten ist. Selbst das Zentrum hat ja kürzlich durch den Mund des Abgeordneten Erzberger auf den Wider spruch hingewiesen, der darin liegt, daß man für Behandlung der Südwestansprüche der Kolonialgesellschaft zwar die mit drei Kreuzen unterschriebenen Verträge des Häuptlings Ma- nasse von der roten Nation als vollgültig erworbene Rechte anerkennt, die ein deutscher Minister zu schützen hätte, daß man aber ein Abkommen mit dem Sultan von Marokko, das in feierlichster Form durch das Sultansiegel beglaubigt ist, als ein solches nicht gelten lassen will. Es handelt sich wirklich um nichts Geringes bei dem, was in Marokko auf dem Spiele steht. Französische Tageszeitungen sprechen von Milli ardenwerten, um die es sich handle. Der Verein deutscher Eisen- und Stahlindustrieller, der Verband Sächsischer Industrieller, die rheinischen Ortsgruppen und die Berliner Ortsgruppe des Hansabundes haben darauf hingewiesen, daß wir für unsere Weltwirtschaft angewiesen sind auf fremdländische Erze, daß heute schon ein Drittel dieses Erzbedarfes aus dem Auslande zu uns kommt und daß wir unter keinen Um ständen die bedeutenden Erzfundc Marokkos unseren Gegnern übergeben dürften, die unter Ausschließung des deutschen Bedarfes damit eine tödliche Waffe gegen die deutsche Industrie in die Hände bekämen. Mit vollem Rechte hat der Verein der Eisen- und Stahlindustriellen darauf hingewiesen, daß es sich nicht um die Brüder Mannesmann als solche handle, sondern darum, deutsche Interessen zu wahren, weil jene Brüder Mannesmann bereit sind, die Erzeug nisse der dortigen Minen in erster Linie der deutschen Industrie zugute kommen zu lasten. Es muß doch bedeutsam erscheinen, daß ein Mann wie Kirdorf, der selber mit dem Kapital seiner Gesellschaft an der französischen Gruppe beteiligt ist, sich mit aller Entschiedenheit dafür erklärt hat, die Mannesmann-Ansprüche anzu erkennen, weil diese Anerkennung im Gesamt deutschen Intereste läge. Kirdorf hat den Aus druck gebraucht, es wäre eine Schande und Schmach, wenn sie ihre Interessen nicht durch setzen würden. Wir enthalten uns unsererseits eines Urteils, bis wir in der Lage sind, das Ergebnis der jetzigen Verhandlungen zu über blicken. Die Herren von Schoen und Bethmann Hollweg werden sich aber das eine sagen müssen, daß sie dem deutschen Volke in der Zukunft Rechenschaft über die Ergebnisse dieser neuesten und entscheidenden Phase der deutschen Ma rokkopolitik werden geben müssen. Die neue krsnMMe Depmlertenksmmer. (Don unserem Pariser (.-Korrespondenten.) Paris, 9. Mai. Geschwächt an Zahl und verblaßt in der Farbe, kehrt aus neuem Wahlkampf die alte rote Kammer mehrheit zurück. Es ist nur ein Pyrrhussieg, den die vereinigten Radikalen und Sozialistisch-Radikalen er fochten haben, denn wenn sie auch nach wie vor die stärkste aller Fraktionen darstellen, so bedeutet der Verlust von zwei Dutzend Mandaten doch, daß der Anfang vom Ende ihrer Herrschaft gekommen ist. Noch mehr hat das allgemeine Stimmrecht ihnen sein Mißtrauen dadurch ausgedrückt, daß cs ihren Per sonalbestand einer mrchterlichen Musterung unter warf. Nicht weniger als 245 neue Männer wc den demnächst rns Palais Bourbon einziehen. Mithin sind beinahe ebenso viele alte, die sich des schönen sogenannten „Ehrcnsoldes" von 15 000 Franken noch weiter zu erfreuen hofften, von ihren Wählern verleugnet worden. Zwei llebcltaten hatten die alte Blockgenostenschaft beiondcrs mißliebig gemacht: die eigenmächtig und verstoblen beschlossene Diäten erhöhung und die Annabme des unzweideutig auf Dermöaensentcignung abzielenden Einkommenstcuer- entwuns. Letzterer wurde inzwischen in den Papieren eines Senalsausschusses begraben, und im Verlauf des Wahlfeldzuges hat keiner der radikalen Kan didaten ihn nur zu erwähnen gewagt. Was die Selbstbeschcnkung mit einer Diätenzulagc von 6000 Franken betrifft, so ist der Urheber des Antrages, der Oie Arbeiten ües Reichstags. Der am Dienstag vertagte Reichstag hat ö'.Z Mo nate getagt: er trat am 00. Novemher 1909 zusammen und Hal in über 60 Sitzungen eine große Zahl von Gesetzentwürfen verabschiedet. Die meiste Zeit nahm naturgemäß die Verabschiedung des Etats in An spruch, der mit vieler Mühe rechtzeitig vor Ostern fertighestellt werden konnte. Der Arbeitsabschnitt vor Ostern diente sonst vornehmlich der Vorberatung wichtiger Vorlagen in den Kommissionen, die zum größten Teil noch bis zur Vertagung verabschiedet werden konnten: auch zwischen Ostern und Pfingsten wurde noch fleißige Arbeit geliefert, obwohl einige Entwürfe dem Reichstage erst sehr spät zugeaangen waren. An großen Gesetzen hat der Reichstag ver abschiedet: das Beamtenhaftpflichigesetz, das Stellen- vermittlergesetz, den Entwurf über die E n t l a st u n g des Reichsgerichts, den Entwurf zur Aus führung der Verner Konvention zum Schutze von Werken der Literatur und Kunst, das Kaligesetz, das Kolonialbeamtengesetz und die nachträgliche Regelung der Besoldungsoerhältnisse der Kolonialbeamten. Von kleineren Entwürfen wurden er ledigt: einige Nachtragsetats für 1909 und 1910, die Handelsverträge mit Bolivien und Portugal, die Entwürfe über die Regelung der Handelsbeziehungen mit England und Nordamerika, der Entwurf über die Aufstandsausgaben in Siidwestafrika, die Verein barung über die Verlängerung des deutsch-schwedischen Handelsvertrags, das Zusatzabkommen zum Deutsch ägyptischen Handelsvertrag, das Konsulatsgebühren gesetz, eine Novelle zum Neichsschuldbuch. Abgelehnt wurde nur ein Gesetz, nämlich der Entwurf über die Ausgabe kleiner Aktien in den Kon sulargerichtsbezirken und in Kiautschau. Ziemlich groß ist ferner aber auch die Listc der unerledigten Vorlagen. Für den Herbst bleiben reserviert die Verabschiedung des Ardcits- kammergcsetzes, des Hausarbeitsgcsetzcs, der Novelle zur Gewerbeordnung wegen der Lohnbücher, des Reichsbesteuerungsgcsctzes, der neuen Strafprozeß ordnung, der Novelle zum Strafgesetzbuch (Kom missionsberatung erledigt), der neuen Fsrnsprech- gcbührenordnung, der Reichsversichcrungsordnung, des Zuwachssteuergesetzes und des Entwurfes für Errichtung eines obersten Kolonialgcrichtshoses, im ganzen zehn Entwürfe. Die vorliegenden Wahlprüfungsbcrichte hat der Reichstag erledigt, durch Interpella tionen wurden besprochen die Zustände auf der Kieler Werft, die Kämpfe um die Errichtung obliga torischer Arbeitsnachweise im Ruhrkohlenrevier und um das preußische Wahlrecht infolge der Berliner Wahlrechtsdemonstrationen, der Mansfelder Streik, die Kattowitzer Beamtenmaßregelungen, der Stand der Privatbeamtenversicherung, die Mecklenburger Verfastungsfrage und die Anwendung des Reichs vereinsgesetzes. Am schlechtesten sind die vorliegenden 110 Ini tiativanträge behandelt worden, die alle un erledigt geblieben sind, zum Teil aber als Etats resolutionen Annahme fanden. Die von der Pe titionskommission vorberatcnen Petitionen wur den fast alle erledigt. Die Vertagung des Reichstages auf den 8. November, einen verhältnismäßig frühen Termin, ist erfolgt, nachdem der Reichstag die Ver abschiedung des Zuwachssteuergesetzes für die Zeit um Pfingsten abgelchnt hatte, ursprünglich war ein spä terer Termin in Aussicht genommen worden. Die verbündeten Regierungen wünschen, daß das Zu wachssteuergesetz sobald als möglich im November verabschiedet wird und, falls die Kommissionsarbeiten cs zulasten, auch die Reichsversichcrungsordnung im November im Plenum gefördert wird. Von den Ent würfen, die noch unerledigt sind, ist, wie schon er wähnt. nur die Novelle zum Strafgesetzbuch spruch reif für das Plenum. Der Etat für 1911 soll dem Reichstage tunlichst schon Ende November zu gehen, damit die erste Lesung noch vor Weihnachten erfolgen kann. Mit Rücksicht auf die Neuwahlen wird der Reichstag höchstens bis Mai 1911 zu lammenbleiben wollen. Mit seiner Zeit muß er also sehr haushälterisch umgehen, zumal ihm auch noch der Entwurf einer Privatbeamtenversichcrung vor gelegt werden soll.
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