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02-Abendausgabe Leipziger Tageblatt und Handelszeitung : 10.05.1910
- Titel
- 02-Abendausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1910-05-10
- Sprache
- Deutsch
- Vorlage
- SLUB Dresden
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id84535308X-19100510020
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id84535308X-1910051002
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-84535308X-1910051002
- Sammlungen
- Zeitungen
- Saxonica
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
-
Zeitung
Leipziger Tageblatt und Handelszeitung
-
Jahr
1910
-
Monat
1910-05
- Tag 1910-05-10
-
Monat
1910-05
-
Jahr
1910
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Be-ug-.Prei- fbr U«tp,i- >»» durch uu^rr, lrtaer uuo Svrdtteur» 2««i ttaltch m« Hau« gebrach«: SV monatl., L.70^« »iertiliLhri. Bei nnjern Filiale» u. Sa« »abmeslelle» »dgeholt: 78 mimatl- K.KL <ner»e>t»-rl. Durch »1« V»k: «anerdald Driuichland« UN» »er deutichen »olouien «irrttlithri. ii.tk „natl. l.ik autlchl. PoftdrstellgeL. gerne« in Belgien, DSnemark, den Donaustaateu, ^lallen, Luxemburg, Niederlande, Nor wegen. Oetzerrrich-Ungarn, Nudlanb, Schweden, Schwei, u. Spanien. In allen übrigen Staaten nur direkt durch di« Äelchcht«lelle oe« Blatte« erhtlllich. La« L«lp,iger Tageblatt erichein, 2 mal illglich, Sonn» u. Fei erlag« nur morgen«, illvonneu eni-Snnadm«: Augukutplatz 8, bei linieren TrLgern, Filialen, Spediteur«, und Annahmestellen, lowie Postämtern uns BrieftrLgern. kinioldeckauseprei« der Morgen« ,u«gade 1V der tidendau«gabe H «b, Redaktion und tstelchäkttsteller Johanmkgaste 8. Sarnwrecher, 146S2, 14öt», I4W4. Abend-Ausgabe. Mip.rigcr TagMaü Handelszeitung. Amtsblatt bes Nates und des Nolizeiomtcs -er ZtaSt Leipzig. Anzeigen-Preis lür Inierate au« Le,rüg und Umgebung die 6ge>valtene LV naw breit« Pelitzeil« 2L ch, die 74 wi» drette Reklame,eile l »an anrwätt« 80 Reklamen 1.20 Inierate von Bebbrden m amllichen Teil di« 74 ww breit« Petit,eil, 4V chrichiitSan,eigen mit P agvorichrilten und in der Abendausgabe >m Preije erhöh«. Rabatt nach Tarii. Äcilagegebühr ü v. Taujenb exll. Postgebühr. Festerteilte riuttröge können nicht zurück gezogen werden. Für da« ckrjcheinen an drftimmien Lagen und Plätzen loir» kein« Garantie übernommen. Anzeigen-Annahme! Augustu-platz 8, b«i iämtlichen Filialen u. allen Annoncen» Sxpedittonen der In» und Ausländer. Haupt-Filiale Berlin: Larl Duncker. Her,ogl. B«hr. Hosbuch- dandlung, Lützoiastiatze IL (Le.eovrn VI, bir. 4003). Haupt-Filiale Dresden: Seeurage ,, 1 (Telephon 462t). Nr. 128 Vieaslag, üen 10. Mai ISIS. 104. Zshrgsntz. PMUche Nschrlchten. Zv Roosevelts Ankunft in Berlin. 0. Berlin, 10. Mai. (Priv.-Tel.) Roosevelt, der heute vormittag hier eintraf, sah glänzend aus, jung wie ein Jüngling und von der Sonne gebräunt. Den Platz am Stettiner Bahnhof hatte eine statt liche Menge besetzt, die durch Schutzleute in Schranken gehalten wurde. Als aber Roosevelt am Bahnhofsausgang bemerkt wurde, gab es kein Halten. „Hurrah Teddy!" hörte man besonders Helle Frauen stimmen rufen. Mitgebrachte amerikanische Flaggen wurden geschwenkt, und alles drängte zum Expräsidenten, der freundlich lächelnd den Hut lüftete und ruhig in das Eewoge blickte. Eine Zeitlang wurde er umdrängt und aus der Menge angesprochen. Dann traten die bekannten „Pferdebeine" der Schutzleute in Tätigkeit, um die Bahn für das Automobil frei zu machen. Als die Familie Roosevelt den Magen bestieg, brachte die Menge ein kräftiges deutsches Hurra aus. Das Auto mutzte sich dann mühsam den Weg bahnen. Auch eine junge Dame in einem nachfolgenden Auto mobil, vermutlich Fräulein Roosevelt, schwenkte eine bunte Flagge. In das Haus des amerikanischen Botschafters, von dem das Sternenbanner weht, wurden wahrend des Morgens fortwährend die herrlichsten Blumen zum Schmuck der Gemächer des Präsidenten getragen. Roosevelt traf am Hause etwa um s^10 Uhr im Automobil ein. Auch hier hatte sich eine größere Menschenmenge angesammelt. Hüte und Taschen tücher wurden geschwenkt und brausende Hoch rufe ertönten. Einberufung des wirtschaftlichen Ausschusses. Zur Erörterung der deutsch-französischen Handelsbeziehungen ist der wirtschaftliche Ausschuß auf den 2Ü. Mai zusammenberufen worden. Demnach scheinen also endlich die Wünsche deut scher Industrieller, Abwehrmatzregeln gegen die fran zösischen Zollerhöhungen zu treffen, an den maßgeben den Stellen Gehör zu finden. An üer Bshre König Güuarüs. Trauer der sächsischen Armee. Dresden, 10. Mai. (Tel.) König Friedrich August hat folgenden Armeebefehl erlaßen: „Um das Andenken des verstorbenen Königs Eduard VII. von Großbritannien und Irland, Kaisers von Indien, Majestät, zu ehren, bestipime ich, daß sämtliche Offiziere meiner Armee acht Tage Trauer (Flor um den linken Unterarm) anzulegen haben. Tarvis, 8. Mai 1910. Friedrich August." Die Ordnung der Beisetzungsfeier. London, 10. Mai. (Tel.) Nach der Beerdigungs feierlichkeit am 20. d. M. in der St. Eeorgskapelle in Windsor wird der Schrein mit den Ueberresten König Eduards in das Gewölbe unter der Kapelle versenkt und wahrscheinlich in der Gruft unter der Prinz-Albert-Eedächtnis- ka pelle, wo der Herzog von Clarence, König Eduards ältester Sohn, begraben liegt, beigesetzt werden. Der Leichenzug mit dem toten König wird sich bei der Ueberführung von der Westminster Hall nach dem Paddington - Bahnhof durch die Straßen Londons und in Windsor durch die Straßen dieser alten Königsstadt nach dem Schlöße bewegen. Der Sarg wird auf einer Lafette gefahren und über diesem werden die königlichen Abzeichen, nämlich Krone, kaiserlicher und königlicher Reichs apfel und Zepter, angebracht werden. Im Leichen zuge werden Flotte, Armee, der königliche Hofstaat und hohe Staatsbeamte vertreten sein. Die Königin, die Königin-Witwe und die Damen der königlichen Familie werden dem Sarge zu Wagen folgen. Das Befinden der Königin-Witwe. London, 10. Mai. (Tel.) Hier kursierten gestern beunruhigende Gerüchte über den Eesu nd- heitszustand der Königin-Witwe Alexan dra. Es wird aber offiziell erklärt, daß diese sich bei guter Gesundheit befinde und nur infolge der Er eignisse etwas angegriffen sei. Eine Botschaft König Georgs. London, 10. Mai. (Tel.) König Georg hat eine Botschaft erlaßen, in der er unter Berufung auf die Denkart seines Vaters, in deßen Sinne es sicher nicht gelegen haben würde, wenn durch seinen Tod der Devölkerribg das Pfingstfest verkümmert werde, die Hoffnung ausspricht, daß die kom menden Festtage wie immer zur Ausspan nung und Erholung benützt würden. Ankunft des Premier- und Marineministers in London. London, 10. Mai. (Tel.) Die Admiralitätsjacht „Enchentretz" ist gestern abend 7 Uhr 30 Min. mit dem Premierminister Asquith und dem Marine minister MacKenna an Bord in Plymouth eingetrosfen. Die Jacht hatte Gibraltar am Freitag abend verlaßen, als die ersten Nachrichten über den beunruhigenden Gesundheitszustand des Königs dorr eintrafen. Kurze Zeit darauf erhielt das Schiff mittels drahtloser Telegraphie die Meldung vom Tode des Königs. Während der ganzen Reise wurden die Minister mittels drahtloser Telegraphie über die Ereignisse in London auf dem laufenden gehalten. Ein Spezialzug brachte die Minister sofort nach London, wo heute ein Ministcrrat abge- halten werden soll. Roosevelt als Vertreter der Union. New York, 10. Mai. (Tel.) Präsident T a f t er klärte, er werde wahrscheinlich Roosevelt be auftragen, als Spezialgesandter an den Trauerfeierlichkeiten in London teil zunehmen. Einberufung des ungarischen Reichstags und Anordnung der Neuwahlen. Pest, 10. Mai. (Tel.) Heute erfolgt die Ver öffentlichung des kaiserlichen Handschreibens, mit welchem der Reichstag zum 21. Iuni einbe - rufen wird. In Verbindung mit diesem Hand schreiben ordnet die Regierung die Neuwahlen für die Zeit vom 1. b i s 10 I u n i an. Die Wahlvorbereitungen sind schon lebhaft iin Gange. Daß es dabei auch recht heftig zugeht, läßt folgendes Telegramm erkennen: Pest, 10. Mai. (Tel.) Der Kandidat der Kossuth- Partei, Graf Batthany, hielt gestern in meh reren Orten seine Programmrede. In dem Orte Vardomb begegneten sich Anhänger des Grafen mit der gegnerischen Kossuth-Partei. Es kam zu einem Kampfe, wobei Revolverschüsse abgegeben und mehrere Personen verletzt wurden. Gendarmerie mutzte einschreiten und die Ruhe Her stellen. Das Wahlresultat in Frankreich. Paris, 10. Mai. (Tel.) Nach einer vom Mini sterium des Innern ausgegebenen Wahlstatistik waren bis gestern abend 891 Wahlresultate bekannt. Danach wurden gewählt: 71 Reaktionäre, 17 Natio nalisten, 59 Progresftften, 93 Links-Republikaner, 248 Radikale und Sozialistisch-Radikale, 29 unab hängige Sozialisten und 74 geeinigte Sozialisten. Die Nationalisten gewinnen einen Sitz, die Links-Republi kaner elf, die geeinigten Sozialisten neunzehn Sitze. Die Reaktionäre verlieren neun, die Progressisten einen, die Radikalen und Sozialistisch-Radikalen 21 Sitze. — Die R a d i k a l e n, die S ozi a l i st i s ch- Radikalen, Links-Republikaner und unabhängigen Sozialisten, zusammen 370 Deputierte, werden als künftige Regierungs mehrheit angesehen, der 222 O p p o s i t i o n e l l e gegenüberstehen werden. Damit würde die neue Kammer im großen ganzen einen ähnlichen poli tischen Charakter tragen wie die bisherige. Die Eröffnung der Nationalversammlung in Kreta. * Kanea, 10. Mai. (Tel.) Die National versammlung wurde im Namen des Königs von Griechenland durch den Präsi denten der provisorischen Regierung, Scoulou- d i s, eröffnet. Bei Nennung des Königs von Griechenland brachen die christlichen Mitglieder der Versammlung und die Zuschauer in stür mische Beifallsrufe und Hochrufe auf die Vereinigung Kretas mit Griechenland aus, während die mohammedanischen Mitglieder schrift lichen Protest einbrachten. Nachdem der Präsi dent der Nationalversammlung, Michelidakis, die Dersanimlung aufgefordert hatte, durch ihren Eid auf den König von Griechenland ihren früheren Beschluß über die Einverleibung Kretas von neuem zu bekräf tigen, erfolgte unter neuen stürmischen Beifallskund gebungen die Eidesleistung. Die in der Form der Eröffnung beschlossene Brüskierung der türkischen Regierung — diese hatte verlangt, daß die kretische Nationalversammlung nicht im Namen des Königs von Griechenland er öffnet werden solle — wird einen lebhaften Protest zeitigen, und die Schutzmächte können sich dann alle Mühe geben, um weitere ernstere Folgen zu ver hindern. Der Aufstand in Albanien. Paris, 10. Mai. (Tel.) „Echo de Paris" meldet aus Saloniki: Zwischen den Rebellen und den in das Aufstandsgcbiet entsandten Truppen kam es zwischen Bazardja und Badokovanzu einer Schlacht, die noch andauert. Mehrere wichtige Punkte wurden von den Truppen besetzt. Die Lage in Abessinien. Harrar (Abessinien), 10. Mai. (Tel.) Die Kaiserin Taitu befindet sich in Gefangen schaft. Ls herrscht Ruhe. Trotzdem macht sich das Fehlen einer einheitlichen Regierung allenthalben bemerkbar. Die Zurückziehung der Truppen aus Britisch-Svmaliland hat die Dankalis ermutigt. Sie sind bereits in Dschibuti eingetrosfen, wo man stündlich das Landen französischer Truppen er wartet. Eisenbahn und Telegraph nach Dschibuti sind unterbrochen. Vergangene Nacht kam es zwischen albanesischen Truppen und den Dankalis zu einem Kampf. Die Dankalis wurden geschlagen. Es besteht jedoch Hoffnung, den Aufstand bald zu unterdrücken. In Harrar ist der Gouverneur von Tafart mit der Armee eingetroffen. Meiningen. Impressionen und Stimmungen. Don Paul Westheim. Dämmerweben. Ein Maientag voll Sonnenduft und Waldesgrün zerrinnt in den leisen Schatten des Abendnebels. Noch ein paar warme Lichtstrahlen glitzern auf den Gipfeln der Höhen, huschen noch ein mal spielerisch tänzelnd über die grünen Kronen der Buchen und versinken in den lautlosen Gängen der Nadelhölzer. So entläßt einen der Thüringer Wald. Er ist so groß und so still. Hier gibt's keine Attrak tionen, diese Natur hat keine Pointen, keine Kulis- jeneffekte. Die Silhouette des Gebirges schwingt sich breit und ruhig aus. Es ist jener wohligwarme Märchenboden, auf dem ein Schwind, ein Richter ihre Heimat finden konnten. Bilder voll wundersamer Zähigkeit schlummern in diesen Waldwinkeln. Gewaltsam mutz der Wanderer sich losreitzen. Ein schriller Pfiff ertönt. Aus einem schwarzen Loch im Berge — fast mit einer märchenhaften Unheimlichkeit — braust die Eisenbahn heraus. Türen klappen. Signale erschallen. Müde, voll von dem würzigen Duft dieses blühenden Lebens fährt man von Bahn hof zu Bahnhof. Orte, deren Namen man nie gehört, liegen eingebettet in die Wunderpracht dieser schwei genden Wälder, in die Schönheit dieser schlichten Landschaft. Sie gleiten am Auge vorüber und sind doch nur Hinweise, nur Vorbereitungen für die Hauptstadt dieses Ländchens: Meiningen. Beim Heraustreten aus dem Bahnhof bleibt man erstaunt, unsicher, zaghaft stehen. Man liest noch ein mal den Namen auf dem Stationsschild. Erst die An wesenheit einiger Hotelburschen und Gepäckträger ver gewissert einen, daß man wirklich in einer bevölkerten Stadt ist, und beruhigt tritt man nun unter das breite Laubdach der Allee, die sich hier entlang zieht. Diese Linden senden den Duft ihrer Blüten so süß und be rauschend in den warmen Abend hinein, zwischen den Stämmen erscheinen ein paar Menschen. Irgendein Bürger ergeht sich hier mit den Seinen. Er schnappt frische Luft nach des Tages ruhiger, gemütlicher Ar beit. Die Frau und ihre erwachsene Tochter — oder ist es eine Nachbarin? — hecheln ein bißchen; sie haben noch den Rest der Tagesordnung vom letzten Kaffeekränzchen zu erledigen und laßen auf ihren Zungen die räudigen Schafe unter ihren 15 989 Mitbürgern Revue passieren. Den Redestrom unter bricht plötzlich eine kleine Gruppe, die gemeßenen Schrittes entgegenkommt. Man flüstert sich den Namen irgendeiner kleinen Exzellenz aus der Um gebung des Hofes zu, die hier mit ihren Damen pro meniert. Ein paar Schritte weiter blitzen Uniform knöpfe durch das Dunkel. Dienstmädchen kreischen auf. Einzelne Paare — merkwürdig genau abaezählt: immer ein Männlein neben einem Weiblein — tauchen undeutlich auf und verschwinden schnell vor dem Blick des Neugierigen. Man fühlt, daß eine Kaserne in der Nähe sein mutz. Schließlich kommt auch das Wirtshaus, in dem das obligate Grammo phon für den Rhythmus des harmlosen Vergnügens sorgt. — Ein mahnendes Trompetensignal hallt plötz lich durch die Kronen der Linden. Die Mädels spitzen flink ihr Mündchen und laßen sich von den gesunden Soldatenlippen einen Kutz aufdrücken. Die Burschen eilen dann nach Norden zu in die Kaserne, und die Mädels gehen stillvergnügt in die Küche der gnädigen Frau oder in das Wohnzimmer des Mütterchens. Im Städtchen endet der Tag. * Der Mond gleitet langsam aus einem Wolken knäuel heraus und strahlt sein mildes, bleiches Licht über die ruhigen Wipfel des „Englischen Gar tens". Ties und schwer neigen sich die mächtigen Aeste der alten Bäume über das wellenförmige Park terrain. Majestätisches Schweigen herrscht ringsum. Kein Mensch ist weit und breit in dieser blühenden Einsamkeit. Selbst die Vögel schlummern. Man schreitet so leicht und frei über die breiten Wege. Fast achtlos geht man an einer hohen, runden Säule vor über. Undeutlich bebt sich ein Adler, der auf der Spitze hockt, vom Hintergrund ab. Man weiß schon, es ist ein Denkmal zur Erinnerung an den deutsch französischen Krieg. Man gibt sich gar keine Mühe, es klar zu erkennen, denn man fühlt, es ist wie all die vielen anderen, die im lieben deutschen Vaterland so kunstlos herumstehen. Das patriotische Herz hatte es gut gemeint. Damit begnügt man sich und geht weiter. Und windet sich durch leicht verschlungene Pfade. Da strebt zwischen den Wipfeln eine kleine Gruftkapellc empor. Ruhige, gotische Formen dehnen sich hinauf, als wollten sie heraus aus dem dichten Gestrüpp an der Erde in den freien Aether hinein, als wollten sie sich den Blüten gleich ins Sonnenlicht recken. Bei Tage könnte man an diesem Heideloffschen Bau die schonen Glasgemälde von Dörtel bewundern, ehe man eine Büste des empfindsamen Humoristen Jean Paul entdeckt, der ja in Meiningen seinen Titan geschrieben hat. Man bemerkt hier schon eine Unterbrechung der Baumgruppen. Ein paar Renaißancebauten schieben sich ein. Nach der Stadt zu mutz ein Palais liegen, man schließt es wenigstens aus dem regelmäßigen, monotonen Aufklappen der Militärstiefelsohlen, die von einem Schilderhäuschen her durch das Dunkel knarren. Don der anderen Seite aber wirst das wieder errichtete Theater seinen breiten Schatten in den Park. Ein Duft voll winkelstiller Poesie lagert gleich Eine breite Straße führt nach der Innenstadt. Unter einem Brückenbogen zwängt sich ein Nebenarm der Werra hindurch. Die «tadt schläft. Ein Giebel- fensterchen entsendet ein paar dünne Lampenstrahlen. Durch runde Butzenscheibchen kann man in einen Bierkeller hineinblicken, wo noch ein paar Nachzügler vom braunen Saft festgehaltcn sind. Dann tritt man unter einem niederen Torbogen in die Georgstraße ein. Diese Wölbung erinnert an alte Wachttürme oder an die niedrigen Torbrückenhäuser, die man noch in ganz kleinen, von der zerstörenden Zeit wenig be rührten Oertchen mit Entzücken findet. In das Stübchen über der Sonnenuhr denkt man sich einen achtsamen Türmer hinein, der dem vorsorglichen Bür ger die friedliche Ruhe sichert. . . . Allein auch die sem Henneberger Haus fehlt die ehrwürdige Vergangenheit mit der bunten, romantischen Ge schichte. Es ist ebenfalls eine Meinlngerei, ein steinernes Spiel — das man sich allerdings gern ge fallen läßt. Einem richtig gehenden Beamten von der Bau polizei, der mit dem Lineal gut zu hantieren versteht, muß wohl vor dieser Fassade dos Hennedcrger Hauses jedesmal ein Stich durch die Seele gehen. Wer mit der Tätigkeit dieser Herren in mehreren Orten etwas vertraut ist, kann es kaum verstehen, warum sie das „lästige Verkehrshindernis" nicht „beseitigt" haben. Doch für Meiningen sorgt schützend eine höhere Hand. Der kunstsinnige Herzog, dem als begeistertem Erben das subtile Kunstverständnis seines Geschlechts über einem Märchenschleier über der grauen Ruine des Gartens. Doch man sei vorsichtig. Man lasse sich nicht von seinen romantisierenden Empfindungen zu Dummheiten verleiten. Man träume sich Uber diesen Mauern kein verfallenes Kloster zurecht. Das schmale Seitenpsörtchen mit dem schaurig-düsteren Spitzbogen, unter dem ein geheimnisvolles Treppchen abwärts führt, war niemals der Eingang zu einer Folter kammer oder zu feuchten Kerkerlöchern. Weder Ritter noch Mönche noch Nönnchen haben jemals zwischen diesen Mauern ihr Unwesen getrieben. Das Ganze ist eine echte „Meiningerei . Historisch treue, stilvolle Kulißen sind einmal aus Stein statt aus Leinwand aufgebaut worden. Und die Unbefangenen merken nichts. Ein seltener gedruckter Poet Hal sich sogar einmal von dieser architektonischen Parodie in spirieren laßen, und man erzählt sich, sein Gedicht sei auch nur eine fragmentarische Ruine geworden. Der Kundige weiß sogar, daß diese seltsame Dekoration einen praktischen Gebrauchszweck erfüllt. Zwischen den steinernen Wänden steckt nämlich ein verborgenes Häuschen mit einer elektrischen Kraftanlage für das Hoftheater. Daher auch das geheimnisvolle Rauschen zwischen den Bogen der „Ruine". kommen ist, läßt sich jeden — selbst den unscheinbarsten — Bauplan seiner Residenz vorlegen. Und oft sucht er Geschmacksentgleisungen zu verhüten, Anregungen zu bieten und frische Bestrebungen zu fördern. Der Fremde bekommt sogar als Kuriosum ein Haus ge zeigt, an dem der Fürst eine Art Eeschmacksbvpothek besitzt. Die Fassade gehört nämlich ihm, mit seinem Gelds hat er eine Verunzierung seiner Stadt verhütet. Diese liebevolle Sorgfalt ist allerdings nur erfreulich bei einem Herrscher, der ein so ausgeprägtes Ee- schmacksempfinden wie der Herzog von Sachsen- Meiningen besitzt. Ihm verdankt die Stadt das selt sam anmutende Henneberg-Haus, das dem ganzen Straßenbild solch ein gemütliches, anheimelndes Ge präge verleiht. Ohne ihn hätte wohl ein roter Poli zeistift die Faßade ein bischen glatt rasiert?! * Zwischen den Dachfirsten ragen die beiden Turm spitzen der Stadtkirche heraus. Sie stehen ge wißermaßen als lleberreste eines alten, von Kaiser Heinrich II. gestifteten Gotteshause neben einem ziem lich jungen Anbau. Architektonisch läßt sich nichts gegen die Gestaltung einwenden, wenn ihr auch jene sakrale Majestät fehlt, mit der an manchen Stätten der Glauben sein Wahrzeichen hingestellt hat. Doch man bat keine Zeit, solch spekulativen Er wägungen nachzuhängen, denn man wird gefesselt, wird entzückt von einem erlesenen Marktbrünnchcn, das daneben steht. Der zarte Rhythmus dieser Orna mentik fließt in schwingenden Wellen herab von der Krone des Kaisers über die Falten seines Ornates, pulst durch die Säulchen hindurch und wird von den spielenden Wasserstrahlen weitergetragen in die große, runde Schale, die breitkantig in der Erde wurzelt. Meiningen hat dem höchstens in dem Brünnchen „An der Kapelle" etwas Aehnliches entgegenzusctzen. Wie fein und zart schlängelt sich auch dieses Säulchen em por, um das Miniaturmodell eines Kapellchens zu tragen. An den breiten, schweren Formen des Rat hauses sieht man vorbei. Man erinnert sich, daß hier irgendwo ein Gasthaus steht, in dem Schiller auf seiner Flucht gerastet hat. Eine Gedenktafel wird ja wohl angebracht sein?! Ich weiß nicht, ob der Wirt das „Schillerstübchen" bereits kapitalisiert hat, oder ob hier noch eine touristische Attraktion zu schaffen ist. Mich interessierte mehr die Kronen-Apotheke, die in den schlichten Formen unserer guten architektonischen Vergangenheit erhalten geblieben ist. Hier eröffnet sich einem ein intimes Bild in das Schlundgätzchen, das in seiner winkeligen Abgeschlossenheit sich „so malerisch" darbietet. Vielleicht liegt auch der Stim mungsreiz in der Beleuchtung der Stunde? Am Tage, wenn wir mit unseren oygienischen und prak-
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