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02-Abendausgabe Leipziger Tageblatt und Handelszeitung : 12.05.1910
- Titel
- 02-Abendausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1910-05-12
- Sprache
- Deutsch
- Vorlage
- SLUB Dresden
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id84535308X-19100512024
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id84535308X-1910051202
- OAI
- oai:de:slub-dresden:db:id-84535308X-1910051202
- Sammlungen
- Zeitungen
- Saxonica
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
-
Zeitung
Leipziger Tageblatt und Handelszeitung
-
Jahr
1910
-
Monat
1910-05
- Tag 1910-05-12
-
Monat
1910-05
-
Jahr
1910
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Amtsölatt Les Rates und des Bolizeiamtes Ser Stadt Leipzig. Änzeigen-^reis iär Inserate au« Leiv,,, und Umgebung dl« stgeivaltene hl) ww breit» Detitzeil« 2L 2Z, di« 74 Mi» drmt, «eklamezeU» I von aulwärt» 30 ilieNamen 1.20 ^ssz Jnlerate van Behdrden >m amtlichen Test di« 74 mw breit« Petitzeil« 40 «eichäliranzeigen mit Ptahvorichriste» an» in der Adendautaad« iw Preise erhöht. Rabatt »ach Larij. Beilagegebstbr L p. Tauiend epkl. Postgedühr. fleftrrteUte Auittta« können mcht zurüit» o«zogen werben, »ür da» ^richeinra an »»stimmten Tagen und Plätzen wird kein» Garantie übernommen. «neigen. Annahme! Ilugustutzplatz 8, de, iimtlichen Filialen u. allen Annoncen- Gzpedltionen de» gu» und Ausland««. Vairpt-Siltal« iv»rlt»! Aarl Diluiker. tzer,ogl. Bahr. Hosbuch- landlung, Lützouftiabe IL lTe.evdan VI, Ülr. 4009). Haut».Filiale Dre«dem Srestraße «, t lTelcphon 4621). Nr. 130. lv4. Jahrgang vannersltis, »en iS. mal isio Naolevelt über üle Deltkultur-Sewegung. Berlin, 12. Mai. (Telegramm.) In der Aula der Berliner Universität sprach heute mittag 12 Uhr Theodore Roosevelt vor einer glän zenden Hörerschaft über die „Weltkultur-Bewegung". (The World Movement.) In seinen Einleitungsworten gedachte Roosevelt des bevorstehenden Jubiläums der Univer sität Berlin und der eigenartigen Gefühle eines Mannes, der von einer noch im Werden be griffenen Nation in ein Land mit unvordenklicher Vergangenheit kommt, zumal wenn dieses Land mit seiner alten Geschichte dennoch voll stolzen Ver trauens in die Zukunft blickt und in der Gegenwart all die überschäumende Kraft froher Jugend zeigt, wie das mit Deutschland der Hall ist. Roosevelt warf sodann einen flüchtigen Blick auf die wechselvolle äußere Geschichte des Jahr tausends, das vergangen ist, seit das römische West reich tatsächlich ein deutsches Kaiserreich wurde, bis das große Haus der Hohen; allein empor stieg, das endlich Deutschland in die vorderste Front der Völker der Menschheit einrücken sah. „In dieses Land einer ruhmvollen Vergangenheit und glänzen den Gegenwart, in dieses Land großer Erinnerungen und starker Hoffnungen komme ich als Ange höriger eines jungen Volkes, das mit jeder der großen Nationen des mittleren und west lichen Europas blutsverwandt und doch wie der von jeder verschieden ist, das von jeder viel ererbt oder erworben hat, aber doch jede Erbschaft und jede Erwerbung in etwas Neues und Fremdes verändert und entwickelt. Der deutsche Anteil an unserem Blut ist groß, und ich selbst führe meine Ab stammung auf jenen Zweig der Niederdeutschen zu rück, der Holland aus der Rordsee emporaehoben hat. Und noch mehr, wir haben von ihnen nicht nur einen großen Teil des Blutes, das durch unsere Adern rinnt, entnommen, sondern auch einen großen Teil der Gedankenwelt, und dank der vorausschauenden Weisheit Seiner Majestät des gegenwärtigen Kaisers ist das innige und freundschaftliche Verhältnis zwischen beiden Ländern jetzt in jeder Beziehung enger, als es je zuvor war. Sodann ging der Redner auf sein eigentliches Thema, die „Weltkultur-Bewegnng", über. Der Ge- dankengang seiner Ausführungen war etwa folgender: In unendlich kleinen Stufen hat sich der Mensch durch die unteren Grade der Tierähnlichkeit vor- wärtsqeschoben und gekämpft. Die ersten Kulturen, non denen wir unzweideutige Zeugnisse besitzen, ent banden in Mesopotamien und im Niltal vor etwa sechs- oder achttausend Jahren. Ihre her vorragendsten Eigenschaften sind ihre Zeitdauer und ihre vergleichsweise Starrheit. Mit dem Zusammen bruch dieser alten Kulturen rückten die Völker in den Vordergrund, mit denen unsere eigene Kulturge schichte gewissermaßen beginnt, die Juden, die Griechen und die Römer. Zum ersten Male begann da etwas, was wenigstens eine Weltbewegung ondeutete. Vor etwas über vierhundert Jahren wurde die unkerbrochene Bewegung in der Richtung auf eine Weltkultur von neuem ausgenommen, als die Erfindung der B u ch d r u ck e r k u n st und die Reihe von kühnen Seeabenteuern, die in der Ent deckung Amerikas gipfelten, ihre volle Wir kung auf das materielle und intellektuelle Leben aus- Müben begannen. Seitdem haben, Jahrhundert für Jahrhundert, die Aenderungen an Schnelligkeit und Kompliziertheit zugenommen und in dieser doppelten Hinsicht im letzten Jahrhundert ihren Höhepunkt er reicht. Heute übt die europäische Kulturart so ziemlich auf dis gesamte Welt eine mehr oder minder tiefe Wirkung aus. Zum Guten und zum Schlimmen sind die Völker der Menschheit enger denn je zuvor miteinander verbunden. Dampf und Elektrizität haben unserer Rasse die Herrschaft über Land und Wasser gegeben, wie nie zuvor, und zurzeit sieht die Eroberung der Luft unmittelbar bevor. Wie Gedanken für alle Zeiten in Büchern niedergelegt werden, so lassen Telegraph und Telephon den Raum verschwinden. Die Fortschritte im Bereich des reinen Intellekts sind von gleicher Bedeu tung gewesen, und ebenso sinnfällig ist das Spiel der neuen Kräfte in der moralischen und reli giösen Welt. Die gesamte Weltkultur-Bewegung nimmt beständig an Geschwindigkeit zu. In dieser Bewegung gibt es Anzeichen von vielem, das Uebles verheißt. Die einzige frühere Kultur, mit der unsere heutige verglichen werden könnte, ist j-ne Periode der griechisch-römischen Kultur, die sich von dem Athen des Themistokles bis zum Rom des Marcus Aurelius erstreckt. Bildung, Luxus und Raf finement. große materielle Güter, großer Landbesitz. Zunahme in der Meisterung mechanischer Hilfsmittel und angewandter Wissenschaft — das sind alles Kennzeichen unserer Kultur, wie sie Kennzeichen der wundervollen Kultur waren, die vor zwanzig Jahr hunderten an den Gestaden des Mittelmeers blühte, und sie gingen dem Zusammenbruch der älteren Kul tur voraus. Doch auch die Unterschiede sind zahlreich. Die ein zige Tatsache allein, daß die alte Kultur auf Sklaverei basierte, zeigt die weite Kluft, die zwischen beiden gähnt. Sodann ist eine der Haupt- gefahren der Kultur stets ihre Tendenz gewesen, einen Verlust an männlichen Kampfeiaenschaften. an Kampflust herbeizufübren. In unseren modernen Zeiten ist das gerade Gegenteil der Fall. Ein dritter starker Gegensatz ist in den Beziehungen zwischen Reichtum und Politik m finden. In den klassischen Zeiten, als sich die Kultur ihrem Höhe punkt näherte, wurde die Politik ein anerkanntes Mittel zur Erwerbung großer Reichtümer. Heute würde es buchstäblich einen Weltskandal geben, wenn einer das tun wollte, was ein römischer Prokonsul als mäßig betrachtet haben würde und was sogar in der englischen Kolonialverwaltung vor anderthalb Jahrhunderten nicht als ungewöhnlich gegolten haben würde. Sollen auch wir den Weg der alten Kulturen gehen? Wir dürfen nicht sicher sein, daß die Antwort verneinend lauten wird; aber dessen können wir sicher sein, daß wir nicht untergehen wer den, es sei denn, daß wir unser Ende verdienen. Ich persönlich glaube nicht, daß unsere Kultur untergehen wird. Ich glaube, daß wir im ganzen besser und nicht schlimmer geworden sind. Aber sicher lich werden sich die goldenen Ruhmesträume der Zu kunft nicht erfüllen, wenn wir sie nicht mit hoch gemutem Herzen und mit starker Hand, durch unser eigenes tatkräftiges Handeln zur Er füllung bringen. Wir bedürfen zuerst der haus backenen, alltäglichen Tugenden. Wenn der Durchschnittsmann nicht arbeiten will, wenn er in sich nicht den Willen und die Kraft hat, ein guter Gatte und Vater zu sein, wenn die Durchschnittsfrau nicht eine gute Hausfrau ist, eine gute Mutter vieler gesunder Kinder, dann wird der Staat untergehen, gleichgültig, wie glänzend seine künstlerische Ent wicklung oder seine materielle Leistung ist. Dazu muß jene Organ isationskraft hinzukommen, jene Fähigkeit, gemeinsam zu einem gemeinsamen Ziel hinzuarbeiten, welche das deutsche Volk im letz ten halben Jahrhundert in so hervorragender Weise gezeigt hat. Aber die Nahrung des Geistes ist noch wichtiger, als die des Leibes. Unsere Dankes schuld an die Männer der Wissenschaft ist unberechen bar. Nie haben Philanthropie und Humanität eine solche Entwicklung wie heute gesehen. Ein ungerech ter Krieg ist zu verabscheuen; aber wehe der Nation, in welcher der Durchschnittsmann den Kampfesmut verliert, die Kraft, als Soldat zu dienen, wenn der Tag der Not herankommen sollte! Man kann von einer Kultur träumen, in welcher Moralität, ethische Entwicklung und ein aufrichtiges Gefühl der Brüder lichkeit sich frei halten von falscher Sentimentalität und von den häßlichen und üblen Leidenschaften, die so ost die Beteuerungen von sentimentaler Verehrung der Menschenrechte begleiten, einer Kultur, die eine hohe materielle Entwicklung erzielt ohne Unterord nung des Geistigen und Seelischen, aufrichtiges Ver langen nach Frieden und Gerechtigkeit ohne Verlust jener männlichen Eigenschaften, ohne welche keine Friedensliebe oder Gerechtigkeit einer Nation etwas nützt, die vollste Entwicklung wissenschaftlicher For schung ohne den Wahn, daß Intelligenz je den Charak ter ersetzen könne — denn vom Standpunkt der Nation sowohl wie des Individuums ist Charakter das eine viraleBesitztum. Schließlich sollte die Kulturbewegung, deren Puls schlag jetzt in jedem Winkel der Erde gefühlt wird, die Völker der Erde z u s a m m e n b r i n g e n. Aber der gute Bürger muß zuerst ein guter Bürger seines eigenen Landes sein, ehe er mit Vor teil ein Bürger der ganzen Welt werden kann. Ich wünsche Ihnen Gutes. Ich glaube an Sic und Ihre Zukunft. Ich bewundere die außerordentliche Größe und Mannigfaltigkeit Ihrer Errungenschaften auf so weiten und so vielen Gebieten; und meine Bewun derung uns meine Anteilnahme sind um so größer, weil ich so fest an die Einrichtungen und an das Volk meines eigenen Vaterlandes glaube. pvlitilche Nachrichten. Die Trauertage in Lonüon. Trauergottesdienst. London, 12. Mai. (Tel.) Der König, die Königin und die Königin-Mutter, mit anderen Fürstlichkeiten, wohnten gestern einem kurzen Gottesdienst bei, den der Erzbischof von Canterbury an der sterblichen Hülle König Eduards hielt. — Die Königin-Mutter hat befohlen, daß das Faksimile ihres Briefes an das englische Volk veröffentlicht und daß der Ertrag aus dem Ver kauf der Kopien zu wohltätigen Zwecken verwendet werden soll. Kaiser Wilhelm. London, 12. Mai. (Tel.) Kaiser Wilhelm wird, wie verlautet, erst am Tage vor der Beisetzung König Eduards in Windsor, also am Donners t a g, den 19. Mai, mit dem Prinzen Heinrich von Preußen in London eintreffen. Unter günstigen Umständen kann die Ankunft des Kaisers <-»ch bereits am 18. Mai erfolgen. Der Kaiser wird im Bucking ham - Palast wohnen; ob auch Prinz Heinrich, dessen Anmeldung später erfolgte, im Buckingham - Palast abstcigen wird, ist zweifelhaft. Davon, daß Expräsi dent Roosevelt mit dem Kaiser auf der „H o h e n z o l l e r n" nach London kommt, ist hier nichts bekannt. Kiel, 12. Mai. (Tel.) Die Kaiserjacht „Hohe n. zollern" geht am Sonnabendabend durch den Kaiser-Wilhelm-Kanal nach Vlissingen, wo das Schiff Kaiser Wilhelm zur Fahrt nach London uusnehmen wird. Bei der Ucberfahrt nach London wird das Schnellboot ^Sleipncr" die „Hohenzollern" begleiten. Slndere fürstliche Trauergäste. London, 12. Mai. (Tel.) Hier sind gestern dir Kaiserin-Mutter von Rußland und Groß fürst Michael eingctroffen und am Bahnhöfe vom König und der Königin empfangen worden. Auch der Herzog und die Herzogin von Cachsen-Koburg-Eotha trafen bereits zu den Bcisctzungsfeierlichkeiten hier ein. Belgrad, 12. Mai. (Tel.) In Vertretung des Königs wird sich Kronprinz Alexander zu dem Leichenbegängnis König Eduards nach London begeben. Der Gesandte in Paris, Wesnitsch, und Divisionskommandeur Vojowitsch werden ihn be gleiten. Die Zuspitzung der kretischen Frage. Konstantinopel, 12. Mai. (Tel.) Auf Befragen erklärte gestern der Minister des Aeußern der Depu tiertenkammer, daß die Eidesleistung der kre tischen Kammer die türkischen Rechte ver letz e. — Er teilte mit, daß die Schutzmächte in ihrer soeben eingegangenen Antwortnote erklär ten, daß die Eidesleistung eines Teiles der kretischen Deputierten aus den Namen des Königs der Hellenen an dem Statusquo der Insel nichts ändere. Der Minister finde die Note unzureichend, doch werde sie von der Pforte als Zusicherung der Beibehaltung der Souveränitäts rechte der Türkei interpretiert, der Ministerrat teile die Auffassung. Die Eidesleistung könne keineswegs etwas an dem Regime der Insel ändern. Was die Kretcr auch täten, die Insel werde stets ein Teil Gin neuer pitsval. „Man erblickt hier den Menschen in den ver- wickektsten Lagen, die die ganze Erwartung spannen, und deren Auslösung der Divinationsgabe des Lesers eine angenehme Beschäftigung gibt. Das geheime Spiel der Leidenschaft entfaltet sich hier vor unsern Augen, und über die verborgenen Gänge der In nige, über die Machinationen des weltlichen sowohl geistlichen Betruges wird mancher Strahl der Wahrheit verbreitet." Diese Sätze stehen in der Vor rede, die Schiller 1792 im Auftrage eines Jenenser Verlegers zu dem ersten Teile der „Merkwürdigen Nechtsfälle nach Pitaoul" schrieb. Der Advokat Fran cois Gayot de Pitaval mar schon 50 Jahre tot, als der Dichter und Historiker sein —von dem Parlaments- odookaten Francois Richer inzwischen fortgesetztes — Werk dem deutschen Publikum empfahl. Das Lob nützte nicht viel: Von den „Causes cslebres et inter essantes" erschienen nur vier Bände in deutscher llebersetzung. Doch an Versuchen, nach seinem Bei spiel Sammlungen interessanter Strafrechtssälle zu publizieren, hat es auch nach 1792 nicht gefehlt. 1842 begründet Willibald Alexis den „Neuen Pitaval", der es auf 60 Bände bringt. Und schon vorher hat Anselm von Feuerbach seine berühmte ..Aktenmäßige Darstellung merkwürdiger Verbrechen" erscheinen lassen. Später schienen die Bestrebungen, auf kri minalistischem Gebiet Material für den Kulturhisto riker zu sammeln, zu erlöschen. Die Folge war, daß die Spelunkenphantasie der Hintertreppenromanciers sich dieses Arbeitsfeldes bemächtigte: das „geheime Spiel der Leidenschaft", das einst Schiller fesselte, wurde zu Schundromanen verarbeitet. Als ein verdienstliches Werk ist daher die von Herrn Hugo Friedländer, dem ältesten und best geachteten Berliner Gerichtsreporter, unter dem Titel „Interessante Kriminalprozesse" herausgegebene Sammlung zu begrüßen, deren erster Band — mit einer Vorrede von Justizrat Erich Sello — soeben im Verlage von Hermann Barsdorf in Berlin erschienen ist. Der Betrachter hat darin seinen Standpunkt nicht allzu hoch gewählt; nicht mehr will er sein, als ein tüchtiger Chronist, der, was er in manchem Gerichtssaal sah und hörte, gewissenhaft verzeichnet. Psychologisch oder gar juristisch eindringende Arbeit gibt er nicht; bescheiden begnügt er sich, zu solchem Schaffen brauchbares Material zu liefern. Der Leser mag selbst urteilen, selbst zu erkennen suchen, was aus jedem der „Fälle" für den Juristen, den Psychologen zu lernen ist. Dafür bewahrt solche Selbstbeschrän kung den Autor auch vor der Sucht, die Ereignisse sensationell zuzustutzen und ins Theatralische umzu fälschen. Keine „Stimmungsbilder^ keine „krimina listischen Plaudereien"! Und trotz (oder vielleicht in folge) dieser schlichten Sachlichkeit sind Friedländers forensische Bilder im besten Wortsinne unterhaltend; denn auf jeder Seite des Buches spürt man die leiden schaftliche Hingabe des Betrachters an seinen Gegen stand, die Anteilnahme an dem Geschehen, von dem zu erzählen sein Lebensberuf ist, und schmeckt den Reiz, den nur die Darstellung des Selbstgesehenen zu gewähren vermag. Der erste Band der Sammlung bringt an größe ren Berichten den lantener Knavenmoroprozeß vom Jahre 1892, den Kwilecki-Prozeß, den hannoverschen Spielerprozeß, den Prozeß gegen die angeblichen Mörder des Rittmeisters v. Krosigk. Am besten ge lungen scheint mir die Darstellung des Verfahrens gegen das Blumenmedium Anna Rothe. Ueberall ist das Wesentliche des Falles scharf beleuchtet und ge schickt gruppiert, und so wird bei aller gebotenen Knappheit die wünschenswerte Vollständigkeit erzielt. Die Zeugenaussagen sind im Auszug, aber zum Teil in direkter Rede wiedergegeben; ebenso manches Kreuzverhör in direkter einander folgender Frage und Antwort. In geschickter Zusammenfassung sind auch die Plädoyers reproduziert, markante persönliche Be merkungen sind wörtlich verzeichnet. Nichts pro zessual, psychologisch, persönlich Interessantes fehlt auf diesen farbigen und wirklichkcitstreuen Bildern; ein kräftig gestaltender Tatsachcnsinn hat sie ge wirkt. der von trockener Pedanterie und blutiger Kolportagephantasie gleich weit entfernt bleibt. Dem nützlichen Buche sind viele Leser zu wünschen. Sherlock Holmes kommt ja gerade wieder sacht aus der Mode: vielleicht wird da Raum für den „neuen Pitaval". Dr. jur. Triton Isirücvlstoin. Vas Msr-Reger-Lelt in Dortmund. m. Das jüngste Werk Regers, „Die Nonnen", für ge mischten Chor und Orchester fand, wie schon gemeldet, eine überaus warme Aufnahme. Das über ein merk würdig mystssch religiöses Gedicht von Martin Böelitz aufgebaute Stück ist in der Stimmungszeichnung charakteristisch und steigert sich zu einer klanglich über wältigenden Klimax. An harmonischen Feinheiten ist das Werk reich, doch hat man hier nirgends die Empfindung des gewaltsam Unmotivierten. Die Wiedergabe der hinsichtlich der Intonation beträcht lich schwierigen Komposition machte dem aussühren- den „Konzertvcrein" unter der Leitung von Pro fessor Julius Hanssen alle Ehre.— Die zweite Kammermusik Matinee brachte zunächst das zum Teil recht wertvolle Es-Dur-Streichquartett (Op. 110), von den „Böhmen" temperamentvoll und plastisch ge spielt. Es folgte die melodisch reizvolle, im Ausdruck erquicklich sanfte Cello-Sonate (Op. 78), für die sich Professor Hugo Becker, vom Komponisten am Flügel aufs künstlerischste assistiert, mit seinem reifen Können erfolgreich ins Zeug legte. Eine weitere Gruppe geschickt gewählter Lieder gab der ausgezeich neten Frau Fischer-Marctzki zum zweiten Male Ge legenheit, ihre von hoher Intelligenz getragene Jnter- pretationskunst zu dokumentieren. Den Abschluß machte die „Passacaglia nebst Fuge für zwei Kla viere", eine der glücklichsten und einheitlichsten Schöpfungen Regers, die dieser zusammen mit der unvergleichlichen Frau Kwast-Hodapp zu zün dender Wiedergabe brachte. — Tas zweite Orchester konzert im „Fredenbaum" brachte nach dem Vor- aufgcgangenen keine Steigerung mehr. Dem Violin konzert sind bei allem guten Willen nur schwer nennenswerte Vorzüge abzugewinnen. Die kaleido skopische thematische Kleinarbeit läßt kein befriedigen des Gefühl formaler Einheitlichkeit und Geschlossen heit aufkommen. Marteaus hingebender Idea lismus und sein alle technischen Schranken über windendes Können brachte eine erschöpfende Wieder gabe des schwierigen Werkes zustande. Auch die Hiller- Variationen, sicherlich eine der reifsten Schöpfungen des bisherigen Neger, machten diesmal nicht den starken Eindruck, den ich früher von ihnen empfangen hatte. Georg Hüttner hatte sich der Partitur mit voller Liebe angenommen; aber es fehlte doch das rechte Fluidum. Tiefe Eindrücke hinterließen die Liedervorträge der Frau Lula Mysz-Gmeiner, die ganz aus dem Dollen ihres wunderschönen stimm lichen Fonds und ihres künstlerischen Empfindens schöpfte. Zum Schluß wurden Reger begeisterte Ovationen dargebracht. Das offizielle Finale des Festes bestand in einem von der Stadt Dortmund im alten Rathaussaal dargebotenen Festbankett, bei dem manch begeisterte Rede vom Stapel gelassen wurde. Auch Max Reger selber ergriff in seiner humorvoll behäbigen Weise das Wort und verschaffte sich damit noch einen Extraersolg. Das Festkomitee und die Stadt Dortmund können mit Reckt stolz sein auf dieses Fest, durch das der Sache Regers ein guter Dienst geleistet worden ist. L»ul Sodvors. * Der Umbau des Mainzer Stadttheater«. Aus Mainz wird uns telegraphiert: Der Umbau des Stadttheaters ist in neue Schwierigkeiten geraten. Nach der Bauarbeiteraussperrung hatte bekanntlich die Stadt beschlossen, den Theaterumbau in eigener Regie auszuführen. Die bauausführende Firma bat nunmehr beim Landgericht einen Antrag auf Erlaß einer Verfügung gestellt, wonach der Stadt Mainz bei den Bauarbeiten am Ctadttheater die Benutzung der der Firma gehörigen Gerätschaften, Maschinen usw. untersagt werden soll. * Der Neubau des Hamburger Thaliatheaters. Aus Hamburg wird uns telegraphiert: Hofrat Bachur erwarb vom hamburgischen Staat das am Alstertor, in der Nähe des Jungfernstieges befind liche Terrain der ehemaligen Marientaler Bierhalle zwecks Neubaues des Thaliatheaters. Das ictzige Theatergebäude wurde 1843 errichtet. * Entdeckung eines römischen Tempels bei Aachen. Aus Aachen berichtet man der „Franks. Ztg ": Die Ausgrabungen ber Curnelimünster haben unter der Leitung von Professor Max Schmid zur Ent deckung einer römischen Tempel an läge geführt, die in das Jahr 80 n. Chr. zurückgeht. Man fand in der Cella des Heiligtums Teile einer aus gezeichneten Wandmalerei, wertvolle Bruchstücke des Vauwerks, Bronzeplaketten und Münzen aus der Zeit der Antonme. Der Tempel war dem ,.<>enwo Varnevl" gewidmet, wie sich aus einer Inschrift ergibt. Die Ortschaft Barnen um lag an der großen Militärstraße, die vom Aermelkanal durch die Velgica über Limburg nach Düren und Köln führte; sie war bis in die zweite Hälfte des dritten Jahrhunderts in römischem Besitz. * Neue Funde beim Palazzetto Venezia. Der Abbruch des Palazzetto Venezia in Rom durch die österreichische Regierung fördert immer neue Funde zutage, die erkennen lassen, daß sich unter dem Renaissancepalast mittelalterliche und antike Bauten befanden. In dem bis jetzt freigelegten Südwest viertel des Gartens stieß man auf den Hof eines Festungsturmes, in dem man zwei runde Brunnen schächte und neben jedem von ihnen einen antiken, im Mittelalter als Wasscrtrog benutzten Sarkophag fand. Der größere, ovale Sarkophag zeigt das sich zweimal wiederholende Relief eines einen Hirsch überfallenden Löwen und stammt aus dem 4. Jahr hundert n. Chr.; er ist leider in drei Stücke zer brochen zutage gefördert worden. Der kleinere, besser erhaltene Sarkophag zeigt aus der Front in der Mitte die Gruppe von Eros und Psyche; rechts und links davon sitzen nahe an den Ecken trauernde Eroten, die sich aui ihre umgestürzten Fackeln stützen; an den Seiten sind Greife angebracht. Die Arbeit dieses Sarkophags, der für ein Kind bestimmt war, gehört dem Ende des 2. Jahrhunderts n. Chr. an. Wie dem Cicerone (Herausgeber Dr. Georg Bier« mann) aus Rom berichtet wird, gedenkt die öster reichische Regierung alle Funde in einem eigenen Palazzetto-Venezia-Museum auszustellen; sie wird auch den Garten nicht bloß bis zum heutigen Strahen- Niveau, sondern noch tiefer b>) auf die antiken Ueberreste hinabgehen, wodurch wichtige topogra phische Fragen des alten Rom aufgeklärt werden dursten.
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