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02-Abendausgabe Leipziger Tageblatt und Handelszeitung : 19.04.1910
- Titel
- 02-Abendausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1910-04-19
- Sprache
- Deutsch
- Vorlage
- SLUB Dresden
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id84535308X-19100419028
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id84535308X-1910041902
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-84535308X-1910041902
- Sammlungen
- Zeitungen
- Saxonica
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
-
Zeitung
Leipziger Tageblatt und Handelszeitung
-
Jahr
1910
-
Monat
1910-04
- Tag 1910-04-19
-
Monat
1910-04
-
Jahr
1910
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Amtsblatt Les Rates und des Volizeiamtcs der Stadt Leipzig. Anzeigen-Preis istr Inserate au« Leipzig und Umgebung die 6geiva'tene bl) mm breit« Petitzeile 2b H, die 74 mm breite Neklamezeile I von autwLrio 80 Reklamen 1.2V Inserate von Bebdrben -m amtlichen Teil die 74 mm breite Pelilzeile 40 H. Slelchj'tsnnzemen mit P agvorlchritten und in der Abendausgabe im Preise erhol». Rabatt nach Taris. Beilagegedühr ü v. Tausend exkl. Postgebühr. Festerleille Aufträge können nichi zurück- gezogen werden, Für da« ürscheinen an bestimmten Tagen und Plätzen wird kein« Garantie übernommen. Anzeigen-Annahme! AuguftuSpla- >4, bei sämtlichen Filialen u. allen Annoncen- Expeditionen de« In- und Auslandei. Haiivr-Silial» Berlin: Karl Duncker. Herzog!. Bthr. Hoshuch. Handlung, Lntzowstiade UX (Lcikphan VI, Nr. 4008). Haupk-Filiale LreSden: Lerilrail- ->. l zTelephon 4621). toi. Zshrgsng Dienstag, üen 19. April 1910. Nr. 107 plltltltäle Nsktirtltiten. Aus der Ersten Kammer. L. Dresden, 19. April. tPrivattel.) Die Erste Kammer erledigte heute ohne Debatte die Kapitel 62 und 63 des Etats, Botanischer Garten und Pflanzen physiologische Versuchsanstalt in Dresden sowie Land wirtschaftliche Versuchsanstalt Möckern und bewilligte alsdann in Uebereinstimmung mit der Zweiten Kammer debattelos eine Reihe von Titeln des außerordentlichen Etats. — Nächste Sitzung: Mittwoch, 12 Uhr. — Tagesordnung: Etat kapitel sowie Titel des außerordentlichen Etats, Rechenschaftssachen und Eisenbahnpetitionen. Aus der Zweiten Kammer. ?. Dresden, 19. April. (Priv.-Tel.) Die Zweite Kammer wandte sich heute zunächst der Beratung des mit Dekret Nr. 9 vorgelegten Ent wurfs eines Gesetzes zur Abänderung des Gesetzes über die direkten Steuern (Schul- dotation) zu. Danach solle in Zukunft jede Gemeinde für jedes Schulkind 2,30 .< mindestens aber 300 aus der Staatskasse erhalten. Der Be richterstatter Abg. Dr. Schanz lKons.) beantragt namens der Finanzdeputation die Annahme des Entwurfs. Verbunden mit der Beratung wurde die Beratung über den Antrag Lange- Leipzig (Soz.), wonach zur Deckung der Schullasten jede Gemeinde einen Betrag von 25 Prozent ihres Einkommensteuer - Solls aufbringen soll, während den darüber hinausgehenden Bedarf der Staat tragen soll. Weiter verlangt der Antrag, daß die Erhebung von Schulgeld ein gestellt werden soll. Abg. Lange-Leipzig be gründete diesen Antrag, indem er darauf hinwies, daß dieser die gerechteste Ausgleichung für die Schullasten biete. Von den Freisinnigen trat Abg. Dr. Rotb namens seiner Fraktion dem Depu tationsantrag und dem Antrag Lange bei. Von konservativer und nationalliberaler Seite stimmte man wohl dem Deputationsantrag auf An nahme des Dekrets Nr. 9 zu, sprach sich aber gegen den Antrag Lange aus. Die Sitzung dauert fort. Der Reichekanzler in der Herrenhauskommisston. o. Berlin. 19. April. (Originalmeldung.) Gegen über falschen Meldungen der Presse ist an unserer gestrigen Darstellung von den Vorgängen in der Wahlrechtskommission des Herrenhauses festzuhalten. Die Herrenhauskommission hat sowohl die Ergänzung der Privilegierung der Kultur träger abgelehnt, als auch hat sie eine für die Nationalliberalen und Freikonservativen unge nügende Abgrenzung der Steuerdrit- telungsbezirke angenommen, und endlich hat sie beschlossen, daß die Bestimmungen des Wahlgesetzes auf dem ordentlichen Wege der Gesetz gebung nur mit einer Zweidrittelmehr heit der Abstimmenden in beiden Häusern geändert werden können. Der Minister des Innern v. Moltke hatte sich gestern auch entschieden gegen die Fest legung der Zweidrittelmehrheit ausgesprochen. Durch diese Beschlüsse des Herrenhauses ist die L a g e k r i - tisch geworden. Infolgedessen erschien der Ministerpräsident v. Bethmann Hollweg heute vormittag in der Sitzung der Herrenhauskom mission und gab eine bedeutsame Erklärung ab. Er führte etwa folgendes aus: Er habe aus sachlichen Gründen die schwersten Bedenken gegen die Be schlüsse; die verfassungsmäßige Bindung auf die Zweidrittelmehrheit sei unannehm bar. Der ursprüngliche Antrag über die Drit- telungsbezirke, der solche Bezirke mit 10 000 und 20 000 vorsah und den der Graf Behr in der Mon tagssitzung ursprünglich gestellt, dann aber selbst amendiert hatte, treffe nach seiner Ansicht das Rich tige. Endlich sei die Ausfüllung der Lücke nötig, die durch die Ablehnung der Bestimmung der Kulturträger hergestellt sei. Damit hat endlich die Regierung sich zu einer energischen Stellungnahme aufgerafft, und diese Stel lung entspricht etwa den Wünschen der freikonser vativen und nationalliberalen Fraktion. Der Ge danke, das Wahlrecht unter einen besonderen Schutz zu stellen, ist im Herrenhausc wohl nicht ohne Mit wirkung des Herrn v. Heydebrand ausgetaucht. Da durch würde das Wahlrecht eine Ausnahmestellung erhalten, denn die übrigen Verfassungsbestimmungen, auch diejenigen über die Rechte der Krone, würden diesen besonderen Schutz nicht genießen. Der Kampf im Baugewerbe. Breslau, 19. April. lTel.) Der Kampf zwischen Unternehmern und Arbeitern im Baugewerbe hat hier nicht den Umfang angenommen, den man er wartet hat. Auf eine große Anzahl von Bauten wird weitergearbeitet. Heilbronn, 19. April. lTel.) Die hiesige gesamte Arbeiterschaft protestierte gestern abend in drei überfüllten Versammlungen gegen das Verhalten der Arbeitgeber im Baugewerbe. Im Anschluß daran fand ein Demonstrationszug statt. Zwischenfälle waren nicht zu verzeichnen. Die Polizei brauchte nicht einzuschreiten. Oldenburg, 19. April. (Tel.) Die Maurer- und Zimmermeister der Gemeinde Westerstede nahmen einstimmig eine Resolution an, in der sie erklären, daß sie eine Ausdehnung der Aussperrung auf den dortigen Bezirk vorläufig nicht für erforder lich erachten und eine kleine Lohnerhöhung unter den bisherigen Bedingungen für angebracht halten. Die Iren für die englische Regierung. Zn der Montagssitzung des englischen Unterhauses gab der Führer der Iren, Redmono, bündige Er klärung ab, daß seine Partei die Regierung auch bei der Abstimmung über das Budget unterstützen werde. Danach scheinen nun alle das Ministerium Asquith drohenden Schwierigkeiten behoben zu sein; und es darf daher den Kampf mit dem Oberhause in sicherer Zuversicht des Sieges wagen. Wir erhalten folgendes Telegramm: London, 19. April. (Tel.) Zm weiteren Verlaufe der Sitzung am Montag trat Redmond unter dem lauten Beifall der Ministeriellen und Nationalisten für die Regierung ein und führte aus, von den Nationalisten würden zwar alle Budgets als für Irland ungerecht angesehen, diesen finanzielle» Un gerechtigkeiten könne aber nur durch die Homerule abgeholfcn werden. Dieses würde erlangt werden durch die Abschaffung des Vetorechts des Oberhauses. Er sehe die Erklärung des Premierministers vom 11. April als eine genügende Garantie dafür an, daß die Homerulebewegung jetzt schnell vorwärtsgehen werde. Die Nationalisten würden deshalb die Politik der Regierung mit Begeiste rung unterstützen. Er bestreite, daß zwischen der Regierung und ihm irgendein Handel stattgefun den habe. Balfour erklärte, die Regierung habe die Unterstützung der Iren mit derPreisgabeihrer Traditionen bezahlt, deren Beobachtung ihre Pflicht gewesen wäre. Die Regierung habe den Namen des Herrschers in einer Weise in den poli tischen Streit gezogen, wie es seit Generationen nicht geschehen sei. Niemals habe die englische Regierung sich in einer solchen Lage befunden, wie die sei, in die Redmond die jetzige Regierung hineingcdrängt habe, und er hoffe, daß niemals wieder die englische Regierung in einer solchen Lage sich befinden werde. Premierminister Asquith bestritt hierauf in bestimmtester Weise, daß irgendein Handel stattgefunden habe, und stellte fest, daß seine Er klärung am 11. April vom Kabinett festgesetzt wor den sei, ohne daß man Redmond zu Rate gezogen oder befragt habe. Diese Erklärung stellte die wohlüber legte und unabhängige Ansicht des Kabinetts dar und, ob Redmond ihr zustimme oder nicht, er, Asquith, würde genau dieselbe Meinung hegen. Hierauf wurde die von Asquith cingebrachte Guillotineresolution schließlich mit 315 gegen 252 Stimmen angenommen. Roosevelt und die Abrüstung. Das „N. Wien. Journ." erfährt zu den im Um lauf befindlichen Gerüchten über die Friedensaktion des Expräsidenten Roosevelt von Berliner autori tativer Seite folgendes: In Berliner Hof- und Regierungskreisen glaubt man nicht, daß Roosevelt die Frage auch nur einer bedingten Abrüstung oder eines Still standes in der Rüstung zur Sprache bringen wird. Sollte dies dennoch geschehen, so kann schon heute die Erklärung abgegeben werden, daß Kaiser Wil helm einen absolut ablehnenden Stand punkt in dieser Frage einnimmt. Es wird bei dieser Gelegenheit daran erinnert, daß seinerzeit auf dem Friedenskongreß im Haag ein solcher Antrag von England und Rußland geplant war. Als der deutsche Delegierte vor Eröffnung der offiziellen Verhand lungen davon hörte, erklärte er, er sei von der deut schen Regierung beauftragt, aus dem Haag sofort ab- zureiscn, falls die Abrüstungsfrage auf die Tages ordnung gestellt werden sollte. Die Fremdenunruhen in China. Schanghai, 19. April. (Telegramm.) Die chine sischen Truppenverstärkungen sind in Tschangscha eingetroffen. Der Aufruhr hat nachgelassen, die Zollämter sind zerstört. Die drei Europäer, die bei dem Zusammenstoß einer Dschunke mit dem englischen Kanonenboot „Thistle" ertrunken sind, waren spanische Augustiner- mönche, unter ihnen der Bischof Perez von Nord hunan. Sie Ssllllnkswstraphe bei LWmege. Die Annahme, daß der Ballon „Delitzsch" durch Platzen der Hülle abgestürzt sei, kann nach den Fest stellungen der Untersuchungskommission des Bitterfelder Luftschiffer-Vereins nicht beibehalten werden. Es ist vielmehr endgültig seslgestellt, daß der Ballon vom Blitzstrahl getroffen ist. — Wir meldeten durch Aushang heute früh: Reichensachsen, 19. April. Nach dem Gutachten der Untersuchungskommission für dieKatastrophe amSonn- tag bestätigt sich die Annahme, daß der Ballon durch einen Blitzschlag zerstört wurde. Die Leiche des Kaufmanns Luft zeigt an der linken Wange unzweifelhaft Spuren von Blitzschlägen. Gestern abend wurden noch Kleidungsstücke Lufts und Leichsenrings gefunden, die zahlreiche Vrandspuren tragen. Außerdem wurde ein Teil des durch einen Blitzschlag vom Ballon abgetrennten Ventils ge funden. Der Ventildeckel wird noch immer vermisst. In später Abendstunde wurde auch der Ballonring entdeckt, dieser zeigt ebenfalls, daß ein Blitzschlag in ihn hineingefahren ist. — Die gestern nachmittag abgchaltene Trauerfeier für die Opfer der Katastrophe war schlicht und ernst. Der franzö sische Aeroklub sandte an den Vorsitzenden des deut schen Luftschifferverbandes ein Beileidsschreiben und drückte den Wunsch aus, von dem Ergebnis der Untersuchung, die bezüglich dieses ebenso seltenen wie entsetzlichen Unglücks eingeleitet worden sei, ver ständigt zu werden. Unser nach Bitterfeld entsandter Mitarbeiter erhielt von Bürgermeister Dippe folgende Erklärung des Vereins für Luftschiffahrt für Bitterfeld und Umgebung: Nach nunmehr genauesten Feststellungen der be gleitenden Umstände und des Befundes der Ballon hülle, sowie des kreisärztlichen Leichenbefundes rönnen wir nach Rückkehr unserer Mitglieder von Reichensachsen folgende Darstellung geben: Wie bereits gemeldet, ist der Ballon nach Ueberfliegen eines Landrückens bei Reichensachsen in einen Ge wittersturm geraten, wobei der Ballon durch Blitzschlag getroffen wurde. Netz und Ballonhülle sind nach oben aufgerissen, die Hülle ist zum größten Teile fortgeslogen; hierdurch mußte die Gondel mit dem Netz unvermittelt abstürzen. Der Tod der Insassen trat sofort ein. Nach Ansicht des Kreisarztes in Eschwege, Dr. Börner, Sarden als Redner. Ueber den Redner Harden schreibt Eduard Goldbeck, der unfern Lesern kein Unbekannter ist, im „Tag" folgenden Essay: HardenalsRedner. Man kann nicht sagen, daß die Redekunst in Deutschland ausgestorben sei, denn: hat sie je in Deutschland gelebt? Für den Nordländer gilt das Wort: „Es trägt Verstand und rechter Sinn mit wenig Kunst sich selber vor", und die Rhetorik ist und bleibt „die Pest der romanischen Raffe." Der Name des Italieners, der diesen herben Tadel ausgesprochen hat, ist mir im Augenblick nicht gegenwärtig; er scheint mehr vom Geist Savonarolas als von dem Boccaccios in sich getragen zu haben. Denn jeder, der der Schönheit huldigt, entzückt sich, „wenn um die Kräfte, die der Menschen Brust so lieb lich und so fürchterlich bewegen, mit Grazie die Rednerlippe spielt". In Deutschland aber ist die Gabe, einschmeichelnd oder hinreißend zu reden, außerordentlich selten. Wo find denn in deutschen Parlamenten die Redner, denen man mit Lust lauschen könnte? Seit etwa einem Jahre spricht Maximilian Harden häufiger öffentlich. Es ist nicht uninter essant, seine Manier zu prüfen. Welche „Mittel", im schauspielerischen Sinne des Wortes, besitzt er? Seine Stimme ist im Fundament duuiel >>nc> kräftig, in der Höhe weich und angenehm, indessen ist das Material — glücklicherweise — weder schön, noch stark genug, um den Redner zur Koketterie zu verleiten. Eine vortreffliche Sprachtechnik läßt jedes Wörtchen im entferntesten Winkel vernehmbar werden. Die Stimme vibriert auch bei den ersten Worten nichi; Harden beherrscht seine Erregung vollkommen. Er spricht außerordentlich langsam (was sehr schwer ist), und nur, wenn er in Erregung gerät, beschleunigt sich das Tempo, bisweilen bis zur Rapidität. Niemals hat er «in Blatt Papier vor sich, er spricht völlig frei. Auch insofern frei, als der Vortrag vorher kaum disponiert, geschweige denn im einzelnen fest gelegt ist. Hierin liegt der Reiz, die Stärke und die Schwäche dieser Reden. Der Zuhörer sieht den Redner ringen, er sieht das Werk werden. Die Kinder einer Zeit, deren Sesam das Wort „Entwicklung" ist, sollten für dieses Schauspiel besonders dankbar sein. Und wer sähe nicht gern bauen? Harden baut gotisch: des Domes Riesendimension, die Fülle der Details über wältigt. Wir gewahren bald die Fähigkeit, den 'Wunder knäuel der längsten Perioden unbeirrt abzurollen: die modulationsfähige Stimme hebt den Hauptsatz und die Einschaltungen in sauberer Schattierung von einander ab und erleichtert dem Hörer das Verstehen. Wir werden zur Mitarbeit aufgefordert. Harden spricht nicht wie ein Belehrender, ein Gebietender, sondern wie ein Gentleman, der, voller Achtung vor der Ueberzeugung des anderen, eindringlich, aber nicht zudringlich, seine Ansicht darlegt. Angenehm berührt sagt sich der Hörende: „Wir verkehren sts prur en ,>mr. Der Mann da oben dröhnt uns nicht ewige Wahrheiten ins Gehirn, er kennt das Wort Renans: Tont ost, rolatik mömo l adsolv." Reißt ihn nun der Gegenstand fort, so hat er wundervolle Momente. Er wetterleuchtet und blitzt. Jeder Blutstropfen weicht aus dem schmalen, feinen Antlitz; er macht eine nervöse Bewegung nach dem Halse, als wolle er sich von beengendem Druck be freien, wendet sich ungeduldig nach rechts und links, die Hände scheinen an Ketten zu reißen, heftige, kurze Sätze werden hervoraestoßen, als habe der Redner die Herrschaft über sich selbst verloren .... und jeder dieser Sätze ist ein „Schlager". Donnernder Beifall. Ein gefährlicher Moment. Harden scheint aus einer Trance zu erwachen. Sein Gesicht zeigt einen schmerzlichen, gequälten Ausdruck; er hebt die Linke abwehrend . . . und nun sagt er unfehlbar etwas höchst Unpopuläres, etwas, das den Zauber bricht, das die wohlwollende Stimmung des Publikums zer stört. „Der Menge Beifall klingt mir fast wie Hohn." Raffinierte Mache? Die würde doch zu anderen Künsten raten. Nein, er spricht in Nuancen, der Zuhörer denkt in Umriffen, und so fühlt Harden, so bald das Publikum applaudiert, daß man mehr ge hört hat, als er sogen wollte. Nichts ist Mache an diesen Reden; der beste Beweis dafür ist der, datz bis weilen, nach einer länyeren Pause des Suchens, die der Hörer irrtümlich für eine Esfektpause hält, eine stumpfe Pointe folgt. Wäre, wie manche glauben und manche zu glauben vorgeben, alles mit Mimen sorgfalt ausgeklügelt, so könnten solche toten Stellen nicht vorhanden sein. Auch die Gegner geben zu. daß Harden einer der witzigsten und geistreichsten Menschen ist, die heute leben. Es würde ihm, spräche er wohlvorbereitet, leicht sein, zu Hause den Köcher mit geschärften Pfeilen zu füllen. Für den Aufrichtigen, Vorurteilslosen sinkt die Legende, man habe es hier mit einer Paradeleistung zu tun, zusammen, sobald der erste Zwischenruf er tönt. Harden zuckt empor wie ein Schlachtroß beim Klang der Drommete. Die Replik erfolgt blitzschnell, mit überlegener Ruhe, die nur souveräne Herrschaft über den Stoff zu gewähren vermag. Und. was das Erfreulichste ist, auch diese Replik noch strebt nach Sachlichkeit, will — wenn es sich nicht um eine blöde Insulte handelt — aufklären, nicht „abstechen". Auf das Meritorische, wie man in Wien sagt, kann ich nicht eingehen. Auch derjenige, der Hardens An sichten nicht teilt, wird die Weite und Tiefe seines Wissens, die frappante Eigenart seiner Auffassung anerkennen müssen. Was ich über alles rühmen möchte, ist die ernste und vornehme Gewissenhaftig keit, mit der er den zum Migbrauch verlockenden Reichtum seiner Gaben verwaltet. Das Gefühl, für jedes Wort seinem Dämonion verantwortlich zu sein, ist in den letzten Jahren in ihm immer stärker ge worden. Er macht dem Publikum nicht die mindeste Konzession und will nicht glänzen, er will echt sein. Er verzichtet stolz darauf, zu verblüffen — und mancher geht enttäuscht hinweg. Hatte vielleicht einen Jongleur, einen Pyrotechniker erwartet und findet einen allzu ernsten Menschen, der sich mit Dürerscher Sorgfalt um die Treue seines Bildes müht, eines Bildes, das fast immer ein politisches Panorama ist. Keine Sensation, aber für den ästhetisch und moralisch Empfänglichen ein Erlebnis. Sin verloren geglaubtes Gedicht Schillers. Ottomar Kein dl, ein Prager Literaturfrcund, der speziell auch als Freund Friedrich Theodor Vischers weiteren Kreisen bekannt ist, hat ein ver loren geglaubtes Gedicht Schillers ge funden und veröffentlicht es im „Prager Tageblatt". Er schreibt hierüber: Richard Weltlich schreibt in seiner großangeleaten Schillerbiographie auf Seite 798 des ersten Bandes: „Das Gedicht (Carmen auf Wiltmeister) ist aller Nachforschungen ungeachtet bis heute verloren geblie ben." Und Eduard Boas in „Schillers Iugendjahre" sagt im zweiten Teil, Seite 212: „Das Gedicht scheint rettungslos verschwunden. Wir müssen ab ¬ warten, ob nicht etwa ein glücklicher Zufall das ver lorene Carmen ans Licht bringt." — Durch einen glücklichen Zufall gelangte ich nun in den Besitz eines alten Manuskriptbandes „Sammlung witziger Einfälle in Gedichten und prosa." Auf dem Vorsatzblatt steht u. a. geschrieben: „Wer okmc mein vrlaub thut einen Blick hierein. Wird ohne Zweifel ein Nasenweiker sein. Von Frmn Anton von Herrsrnenschwänd d. jung del seiner Abrcike »um olelchenk bekommen, Sckmlk, 17«1, d. o. Avril" (G. G. T-boll). In dem zweiten Teil: „Philosophische und andere Gedichte", S. 20—22 findet sich die folgende, etwas schwer leserliche Eintragung, deren Prüfung aus Echt heit ich berufenen Literaturhistorikern überlasten muß, so auch namentlich dem um die Schillerforschung hoch verdienten Professor Dr. Weltlich. Trauer-Ode aus den Todt des Hauptm. Wildmaister Grimmig wirgt der Todt durch unsre Glieder! — Dumpfig heult die drum cs wieder Schon ein neuer ist hinwcggerafft; Mit gesenktem Schießgewehre wanken Graue Krieger nach des Kirchhofs Schranken. Wo der tapfre, brave Milcs schlaft. Brüder, kommt! — erblasset! — schauert! zittert! Bebe jetzt, den niehmals nichts ericbittert, Grabgesühle schauern durch sein Mark! Sehet! alles, was wir Leben hießen. Was wir liebten, was wir ... . grüßen, Ligt vereitelt in dem schmalen Sarg. Von dcm Antlitz alles Roth gesunken Aus den Augen alle Lebenssunken Weggclöschet in Chaotsche Nacht — Seine Mienen, sein holseelig Lächeln Weygeblasen mit dem Röcheln, Ewig, ewig nimmer angefacht. Nie vom Sturm der Leidenschaft durchwühlet, Wie ein Bach durch Blumenbcttc stichlet Floß sein Leben hin in Melodie — Ha! was ist nun, was am schönsten Schmeichelt Nichts als Larve die der Todt uns heuchelt, — Und dann auf dem Sarg zerreißt er sie.
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