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Ämlsblatt -es Males und -es Molizeiamles -er Lla-t Leipzig. Änzeiqeu-Preis str Inserate au» Leipzig und Umgebung di« 6gespaltene Petitzeile 2b H, finanzielle Anzeigen 90^, Reklamen 1 von au»wärt» UV H, Reklamen 1.20 vom Ausland SOH, finanz. Anzeigen 7b2z, Reklamen 1.50 Inseraten. Behörden im amtlichen Dell 40^. Bcilagegebübr b p. lausend exN. Post gebühr. Beschäslsan,eigen an bevorzugter Stelle im Preise erhöht. Rabatt nach Dar, FesterteUte Aufträge können nicht zurück gezogen werden. Für da» Erscheinen an bestimmten Lagen und Plätzen wird kein« Garantie übernommen. Anzeigen-Annahme: Augullutzplatz 8, bei sämtlichen Filialen u. allen Annoncen expeditionen de» In- und Auslande». Haupt-Filiale tverltm Sari Duncker, Herwal. Bahr Hofbuch handlung, Lützowstiaßc 10. (Telephon VI, Ütr. 40^3). Haupt-Filiale Dre-den: Eeestratze 4,1 (Telephon 4621). 184. Jahrqansi. Das wichtigste. * Graf Zeppelin hat am Sonnabend das Katharinen-Hospital in Stuttgart verlassen. sS. Dtschs. N.) * In Kopenhagen begann die Reichsgerichtsverhandlung gegen den früheren Ministerpräsidenten I. C. C h r i st e a s e n und den frühe ren Minister des Innern Sigurd Berg. (S, Ausl.) * Wie aus Athen gemeldet wird, soll der B r a n d i m A t h e n e r Königs schlosse durch die Fahrlässigkeit eines Solda ten der Schloß wache entstanden sein. (Weiteres s. Verm.j * Einer Wiener Blättermcldung zufolge hat die italienische Polizei zwei Gastwirte in Livorno unter dem Verdacht der Mittäterschaft bei der Ermordung König Humberts verhaftet. , * Bei Espinho in der Nähe von Oporto kenterte ein Fischerboot, in dem sich 36 Personen befanden; neun von ihnen er tranken. Die Far*be -er Entichliesznng. „Der angebor'nen Farbe der Entschließung ist des Gedankens Blässe angekränkelt" . . . mit diesen Worten des Dichters kann derjenige, der sich der Höflichkeit befleißigen will, die Haltung des Reichskanzlers und preußischen Ministerpräsidenten Herrn v. Bcthmann Hollwcg in der inneren und in der auswärtigen Politik charakterisieren. Unsere Politik „klappt nach", um uns eines burschikosen Ausdrucks zu bedienen. In der auswärtigen Politik lastet die Angelegenheit Mannesmann schwer auf uns. Daß es so kommen konnte, wie es gekommen ist, ist nur dadurch zu erklären, daß man im Auswärtigen Amt nicht rechtzeitig Zeit gefunden hat, die Eingaben der Brüder Mannesmann zu lesen. Wir haben bereits neulich darauf hingewiesen, daß in diplomatischen Kreisen immer wieder hervorgehoben wird, wie sehr unser Auswärtiges Amt überlastet, wie ungenügend die Zahl seines Personalbestandes sei. Wir haben keinen Grund, an diesen Angaben, die uns von unabhängigen Männern gemacht worden sind, zu zweifeln. Wenn sich dies aber so ver hält, so war es schon lange die Pflicht der leitenden Persönlichkeiten, hier Wandel zu schaffen. In diesem Ressort kann und darf nicht ge- si>c.rt werden. Die Ersparnis eines Beamtengehalts von etwa zehn tausend Mark jährlich kann uns Millionen kosten; cs heißt durchaus an falscher Stelle sparen, wenn hier die Persönlichkeiten fehlen, so daß man sich genötigt sieht, die Bearbeitung ganzer Erdteile einem einzigen Beamten zu übertragen. Es ist möglich, daß im Auswärtigen Ami ständig Ueberstunden gemacht werden; cs ist sicher, daß die Zahl der Arbeitskräfte unzureichend ist. Dann bat aber der Leiter des Aus wärtigen Amtes die Pflicht, eine Erhöhung des Personalbestandes vom Parlament zu fordern, und er hätte längst erklären müssen, daß er mit dieser Forderung stehe oder falle. Das deutsche Volk ist nicht ver pflichtet, ja, nicht einmal berechtigt, nun diese Unterlassungssünde als mildernden Umstand in Anschlag zu bringen, wenn es sich darum handelt, die Leistungen des Auswärtigen Amtes zu beurteilen. Im Falle Mannesmann hat es versagt, und Herr von Schoen, der verant wortliche Redakteur, hat noch ganz persönlich versagt. Indessen ist diese Angelegenheit von einer solchen Tragweite, daß wir uns schließlich an den Kanzler halten müssen. Er hat die Richtlinien der auswärtigen Politik fcstznlcgen, und wenn er sich mit Herrn v. Schoen identifiziert so müssen wir natürlich auch ihm sagen, daß das deutsche Volk eine Politik nicht dulden wird, die wohlerworbene Rechte aufgibt, um sehr fragwürdige Regungen der Versöhnlichkeit in Mariannes Busen zu er wecken. Hätte das Auswärtige Amt die Mannesmannschen Eingaben sofort erledigt, so wäre die heutige Lage nicht entstanden. Es gab zwei Wege: entweder mußte man die Remscheider Herren von vornherein warnen und sie darauf aufmerksam machen, daß das Deutsche Reich sie aus höheren politischen Rücksichten nicht zu schützen vermöge, oder man mußte entschlossen ihre Partei nehmen. Heute liegt nun leider die Rede des Staatssekretärs v. Schoen vor, die die Franzosen als Dokument und Argument wirksam verwerten können. Es ist wohl noch nicht dayewesen. daß der Vertreter der auswärtigen Politik dem Gegner die Beweis mittel so in die Hände spielt. Zwar war die Rede außerordentlich schwach, aber die Tatsache an sich ist außerordentlich . . . stark, und unsere Position hat sich natürlich durch sie verschlechtert. Da wird immer mit großen Worten von Weltpolitik und „moderner Hanse politik" geredet; wenn aber einmal zwei echte Typen des alten Hanse geistes auftauchen, zwei tüchtige und trotzige, kluge und mutige Männer, dann lassen die leitenden Stellen des Reiches sie fallen. Auch in der Angelegenheit Hellfeld hat die Regierung nachgeklappt. Ter Amtsrichter Kern, den man in die Zwangsvollstreckungssachen hinabgeschleudert hatte, weil er im ersten Harden-Prozetz nicht die richtige Note traf, dieser Mann hat sich — so könnte ein Witzbold sagen — furchtbar gerächt. Ein« Regierung aber, die wirklich auf der Höhe ist, die den Ereignissen auf dem Fuße folgt, hätte diese Beschlagnahme sehr wohl vermeiden können und vermeiden müssen. Es ist lächerlich, bei solchen Angelegenheiten von der Unabhängigkeit der Richter zu posaunen; jeder weiß sehr gut, daß di« höchsten Behörden Mittel und Wege haben, solche störenden Vorfälle zu vermeiden, wenn sie nur recht zeitig bei der Hand sind. Solche Mittel sind auch in der Presse lz. B. im „Tag" vom Justizrat Emil Koffkas angegebcn worden, und ibre Benützung hätte den Ruf deS deutschen Richterstandes durchaus nicht schädigen könne«. In offiziöse« Blättern wird einmal über daö andere Mal wiederholt, daß di« ganze Angelegenheit nur eine kauf- männische und juristische sei; aber man braucht nur die russische Presse zu lesen, um sich davon -u überzeugen, daß dies« Behauptung ganz fiktiv ist. Nicht etwa di« russische Hetzpress« allein, sondern auch die deutsche Zeitung „St. Petersburger Herold" hat di« Maßnahmen des preußischen Gerichtes auf das schärfste verurteilt, und sich ganz auf den Standpunkt gestellt, daß die Angelegenheit eine politische sei, und daß die Negierung die Pflicht gehabt hätte, hier vorzubeugen. Wir können dem Peters burger Blatte nicht unrecht geben. Die Erhebung des Kompetenzkon- fliktes klappte nach und der unangenehme Eindruck bleibt bestehen. Wir müssen uns aber sorgfältig davor hüten, dem Ausland Material zu bieten, das es mit einem Schein des Rechtes gegen uns verwerten kann. Was nun die innere Politik anbctrifft, so deuten alle Zeichen darauf, daß der preußische Ministerpräsident dem Landtage eine Wahl rechtsvorlage unterbreiten wird, die auch nicht eine einzige der volks tümlichen Forderungen befriedigt. Döan versichert in den politischen Kreisen Berlins, daß weder die geheime Wahl, noch die Neueinteilung der Wahlkreise in Aussicht stehe. Auch hier hat Herr von Bethmann sich augenscheinlich nicht zu einem „Ja, also", sondern nur zu einem „Ja, aber" aufraffen können. Aber nicht jeder Kunktator siegt. Wir sehen cs voraus, daß die Nationalliberale Partei durch diese Vorlage an einen Wendepunkt gestellt wird, und daß sie genötigt sein wird, hier eine präzise, oppositionelle Stellung zu nehmen. Wir sind überzeugt, daß es ihr in dieser ernsten Stunde an der Farbe der Entschließung nicht fehlen wird. Englands AubilautnsI^bv. Unsere jubiläumssüchtige Zeit scheint an einer Erinnerung achtlos voriibergehen zu wollen, die für die vergleichende Verfassungsgeschichte Europas von außerordentlicher Bedeutung ist: England erlebt in diesem Jahre den vierteltausendjährigen Gedenktag einer ununterbrochenen Fortdauer seiner monarchischen Staatsordnung! In den II Jahren von 1649—1660 war es Republik gewesen. So steht es wenigstens in den Geschichtsbüchern zu lesen. Ebendort ist freilich auch das heutige Norwegen als Königreich und Mexiko als Republik verzeichnet, obgleich König Haakon der einzige Mann in seinem Reiche ist, der nicht den geringsten Anteil an der Regierung besitzt, in ocm alten Aztekenlande aber seit vollen 34 Jahren niemand außer Don Porfirio Tiaz etwas zu sagen hat. Und wer ein wenig genauer in die englische Geschichte hineinsieht, der vermag unter dem Lord- Prolektor Oliver Cromwell nicht viel Republikanisches zu entdecken; desto mehr aber wird er zweifeln, ob die großbritannsiche Verfassung, wie sie sich seit dem Jahre 1688 fortentwickelt hat, noch den Namen einer Monarchie verdient. Es ist bemerkenswert, wie rasch das England des 17. Jahrhunderts, im Vergleich mit dem Frankreich deS 18. und 19., seine revolutionären Kinderkrankheiten überstanden hat. Den 9 Jahren von der Hinrichtung König Karls bis zum Tode Olivers entsprechen in der französischen Ge schichte volle 22 Jahre bis zum Zusammenbruche des Cäsarismus aus dem Schlachtfelde von Waterloo. Das Gegenbild des siebenmonatigen Kon- stitutionalismus unter Richard Cromwell sind etwa die Regierungen Louis Philipps und Napoleons IH., welche einen Zeitraum von 10 Jahren umfassen. Die Restaurationsherrschaft hat sich allerdings in England etwas länger behauptet; aber der zweite Restaurationsver- juch gelangte dort 1715 auf der Stelle zum Scheitern, während in Frankreich erst nach 7 Jahren, am 13. Dezember 1877, endgültig die Wagschalc zugunsten der Republik niedersank. Endgültig? In Frank reich soll man niemals prophezeien! Man braucht gar nicht an be waffnete Schilderhebungen der reaktionären Partei zu denken: die Ver fassung selbst ist noch nicht geändert, seit Mac Mahon mit Hilfe eines Senatsvotums die Volkskammer auseinandersprengte. ' Die englische Verfassungsgeschichte unter dem Hause Hannover- Koburg hat noch keine klassische Bearbeitung gefunden. Das groß angelegte Werk Macaulays ist bei Wilhelm III. stecken geblieben, dem ersten Könige der „Revolution". Welchen Einfluß unter dem letzten regierenden Stuart, der Oueen Ann, die königlichen Launen wieocr- crlangten, ist zur Genüge bekannt aus dem Scribeschen Lustspiel: „Verre d'eau." Der erste Hannoveraner mußte zähneknirschend seine Louis XIV.-Natur der Declaration of right anpassen. Der Wider- stand des zweiten, dritten, vierten Georges wurde zusehends schwächer, und zusehends söhnten sich oie unkräftigen Charaktere der Herrscher mit ihrer verminderten Machtfülle aus. Wilhelm IV., der es sich sogar in Hannover gefallen lassen mußte, daß ein Blatt Papier ^zwischen ihn und sein Volk" geschoben wurde, begnügte sich bei der cnglifchen Reform ära mit einer Statistenrolle. Victoria vollends hat in 64jähriger Negierung ihr Volk daran gewöhnt, daß der königliche Wille nicht maß geblich war. Eduard VII. ist es bis heute nicht gelungen, diese Gewöhn- heit umzustoßen. Die englische Geschichte bietet ein besonders augenfälliges Beispiel für den untergeordneten Wert geschriebener Verfassungen. Das Insel reich besitzt überhaupt keine paragravhierte Konstitution nach fest ländischem Muster. Sein staatliches Gebäude ist auf einer geringen Zahl von Grundgesetzen fundamentiert, in denen ausschließlich die ihrer Zeit strittigsten Fragen entschieden, aber keineswegs organische Bau- Pläne für die Gcsamrheit der politischen Bedürfnisse zu konstruieren versucht sind. Die Magna Charta von 1215 und die Declaration ok right von 1688 sind die wichtigsten jener Grundgesetze. Aber mit keinem Worte ist oerfassungsgerecht festaelegt, daß die Krone gezwungen sei, ihre Minister der Mehrheit des Unterhauses zu entnehmen; offiziell ist ihr vielmehr die vollkommene Freiheit der Wahl gelassen. Trotzdem wird kein König Englands es wagen, der Volksmeinung durch „Cabal"- Ministerien zu trotzen. Die Starke oer englischen Verfassung beruht darauf, daß sie in der Tradition, in den konkreten geschichtlichen Ge schehnissen, einen bessergesicherten Unterbau besitzt, als ihn papierne Festlegungen des Staatsrechtes, die dem Volke fremd bleiben, zu ge währen vermögen. Damit ist der unvergleichliche Vorzug der englischen Verfassung aus gesprochen. Alle anderen Konstitutionen sind oktrovierte, mögen sie durch die einseitige Willenserklärung eines Monarchen publiziert oder in jahrelanger Bemühung parlamentarischer Körperschaften ausae- arbeitet sein. Den Völkern wurden sie oktroyiert, aufgepfropft. Richt linien wurden skizziert, nach denen die Geschichte der Zukunft sich ent- wickeln sollte. Aus dieser künstlichen Mache erklären sich die zahl reichen Rückwärtsrevisionen der festländischen Verfassungen: Einrich tungen, die überhaupt niemals lebensfähig werden konnten oder es wenigstens zur Zeit der Verfassungspublikation noch nicht waren, muß- ten mehr oder weniger schmerzhaft wieder fvrtoperiert werden. Die englische Verfassung hat erst dann eine Umformung erfahren, wenn für diese ganz bestimmte Um formung die Zeit völlig reif geworden und ihr Bedürfnis vollkommen in das Bewußtsein des Volkes hineingewachsen war. Eben darum kennt auch das nachstuartische England keine eigentlichen Reaktionsperioden m seiner Geschichte. Die Tory-tzerrschaften haben niemals die Reform- schöpfunaen vorauSgeaangener Epochen whiggistischer Mehrheit um gestoßen! In England denkt kein einziger Konservativer daran, die ge heime Abstimmung wieder z« beseitigen, die dort erst 1872 eingeführt ist, später als bei den Wahlen -um Deutschen Reichstage. Natürlich kann es auch geschehen, daß Maßregeln einer früheren Periode als Fort schritt erscheinen, die im Äuge oeS Späteren den Charakter rückständig ster Tyrannei tragen. So ist eS mit der Testakte gegangen, dem Triumph der Whigs von 1673, welche 1829 dem Entrüstungssturm ihrer zur großen Idee der Glaubensfreiheit durchaedrungenen Epigonen weichen mußte. Die englische VerfassungSgcschichte ermöglicht es, von ihren Blättern unmittelbar die Geschichte des englischen Volksgeistcs abzulesen. Es ist ein denkwürdiges Zusammentreffen, daß genau 1910, im 250. Jubeljahre der wicdcrhergestellten monarchischen Staatsordnung, das Jnselreich an einen neuen Markstein seiner Geschichte gelangt zu sein scheint. Das Jahrhunderte alte Zweiparteiensystem ist ja unheilbar erschüttert, seitdem neben Tories und Whigs 80 Iren den unbequemen Dritten und häufig das Zünglein an der Wage bilden. Der gemein samen Gefahr gegenüber hat England die Methode erlernen müssen, die unserem deutschen Parlamentarismus die Not, nicht der eigene Trieb von vornherein aufgezwungen hatte: den Kompromiß, die Blockbildung verwandter Gruppen. Seit 1886 ist ein großer Teil der Liberalen mit den Tories zu einem Zweckvcrbande, der unionistischen Partei zusammen geschmolzen, der ursprünglich, ähnlich dem deutschen Block von 1906, jür eine einzige Wahlbcwcgung berechnet war, aber ungleich seinem deutschen Pendant, nunmehr in die Nähe seines silbernen Hochzeitsfcstcs ge langt ist. Allein der Wilde tobt an den Mauern: eine vierte Partei ist in der Bildung begriffen: die Sozialisten. Seit 1906 sind sic ein gewichtiger Faktor im Unterhause geworden. Zwar war die liberale Mehrheit so überwältigend ausgefallen, daß ziffernmäßig die Hälfte der Arbeiter vertreter in dieser Legislaturperiode entbehrt werden könnte. Aber bei englischen Wahlen entscheidet die relative Mehrheit, nicht die absolute: und diese Rücksicht läßt die Zwangslage zur Aufrechterhaltung eines freundnachbarlichcn Verhältnisses zu hohen Jahren kommen. Wenn nicht alle Zeichen trügen, wird das laufende Jahr nicht zu Ende gehen, ohne eine sehr einschneidende Verfassungsänderung, durch welche das Recht des Oberhauses eine neue, sehr erhebliche Einschrän kung erfahren wird. Abermals nicht auf dem Wege konstituierender Ar tikel, sondern einfach bei Gelegenheit der Feststellung des Budgets. Da mit wird indessen gleichzeitig der Krone eine wenigstens indirekte Mög lichkeit abgeschnitten, ihren abweichenden Willen gegen den Volkswillen durch die Vertrauten des Hofes zur Geltung zu bringen. Dem Buch staben nach besitzt der englische König ja ein absolutes Veto gegen alle positiven Gcsetzesvorschläge. Aber durch jahrhundertelangen Nichtge brauch ist dieses Recht ebenso verkümmert, wie sein Recht der freien Auswahl seiner Minister. Und gerade in England bedeutet der Buch stabe wenig und das Gewohnheitsrecht alles. Wenn König Eduard überhaupt des Tages gedenken wird, mag er den 29. Mai in tiefster Stille und mit höchst gemischten Gefühlen begehen: den Tag, an dem vor einem Viertcljahrtausend der legitime zweite Karl unter dem grenzenlosen Jubel des durch und durch monarchischen Volkes aus der Verbannung in seine Hauptstadt London zurückkehrte. Der deutsche RsichsndiniruL. Heute vor 50 Jahren, am 9. Januar 1860, starb Karl Rudolf Bromme, genannt Brommy, der Admiral der deutschen Neichsflotte, die später von Hannibal Fischer verauktioniert wurde. Der wackere Seemann hätte ein besseres Los verdient, als Ches dieser Flotte zu werden, die nie richtig das Meer gesehen bat und deren Flagge England „wie die von Seeräubern behandeln zu wollen" erklärte. Brommy ward am 10. September 1804 zu Angcr, damals einem Dorfe bei Leipzig, geboren. Er faßte den für einen Binnenländer damals höchst merkwürdigen und seltenen Entschluß, Seemann zu wer den und ging 1817 nach Hamburg, wo er auf Kanssahrieischifsen unter amerikanischer Flagge seine Laufbahn begann. Er kam viel umbcr und erwarb sich neben praktischen auch reiche theoretische Kenntnisse. Als die Griechen ihren Freiheitskamps durchkämpften, folgte er dem Lord Cochrane, der die griechische Flotte kommandierte, nach Griechenland und brachte es in dieser zum Freaattcn-Kapitän. Nach Beendigung des Krieges wurde er ins griechische Marincministerium berufen und wurde schließlich Kommandant der Kriegsschule im Piräus. AIS diese im Jahre 1843 infolge der Revolution aufgelöst wurde, wurde er zur Dis position gestellt und benützte seine Muße zu literarischen Arbeiten. Sein treffliches Buch „Die Marine", das 1848 in Berlin erschien, veranlaßte die Marinekommission der deutschen Nationalversammlung, ibn zu be rufen, um bei der Organisation einer deutschen Flotte tätig zu sein. Im Januar 1849 traf er in Frankfurt ein, trat in die technische Abteilung der Marinckommission und wurde zugleich im Ncichsministerium als Referent verwendet. Im März schickte man ihn als Ncichskommissär der Marine nach Bremerhaven, wo er die Herstellung der Flotte und die Gründung eines neuen Arsenals übernahm. Er entwickelte dabei eine Tätigkeit, die um so anerkennenswerter ist, als von den Offizieren, die ihm zur Seite gestellt wurden, nicht ein einziger vorher je ein Kriegs schiff betreten hatte. Am 4. Juni war er bereits imstande, mit drei Reichsdampfern das dänische Älokadegeschwadcr anzugreifen und von der Wesermiinvuna zurückzuschlagen. Das blieb leider die einzige Tat, die er für Deutschland vollbringen konnte. Der Rcichsverwescr erhob ihn zum Kommodore und zum Kontreadmiral, allein es geschah nichts mehr für die Flotte. Das Rcichsparlament wurde aufgelöst. Den deutschen Vaterländern war sie ein Dorn im Auge, und so mußte Bromme die Schiffe zwei Jahre hindurch verkümmern und verfallen sehen: immerhin hielt er sie mit beschränkten Mitteln im Stande. Aber der Bundestag beschloß am 2. April 1852 die Auflösung der Flotte. Zwei Schisse gingen an die preußische Marine über, die übrigen wurden versteigert. Am 31. März 1853 wurde die Bundesmarinebchörde aufge löst, und am 30. Juni erhielt er seinen Abschied. Vorübergehend trat er noch in österreichische Dienste, verließ diese aber bald wieder und brachte seine letzte Lebenszeit in einem hannoverschen Dorfe St. Magnus bei Bremen zu. Als er gestorben war, wurde seine Leiche am 13. Januar 1860 zu Schiffe nach Brake in Oldenburg gebracht, wo die zahlreiche seemännische Bevölkerung dem verblichenen deutschen Admiral die letzten Ehren erwies. Zu .Hammelwarden ist er bcigesctzt. Die Stadt Berlin hat neuerdings eine Brücke nach seinem Namen benannt. Deutsches Reich. Leipzig, 9 Januar. * Die Mitglieder der chinesischen Marinestudicnkommission besuchten am Sonnabend die Kaiserliche Werft in Kiel. Als das Boot deS Prinzen Tsai-Hsuen von der Akademiebrncke absetzte, feuerte die im Hafen liegende Flotte einen Salut von 2t Schuß. Gleichzeitig wurde auf sämtlichen Kriegsschiffen die chinesische Flagge im Großtopp gebißt Gegen 11 Uhr vormittags begab sich die Kommission von der Kaiserlichen Werft nach der im Flaggenschmuck prangenden Germaniawerft und wobnte dort dem Stapellanf eines Hochseetorpedobootes sowie eines Unterseebootes bei. * Graf Zeppelin ist am Sonnabend in guter Rekonvaleszenz aus dem Katharinenhospital zu Stuttgart entlassen worden. * An de» Gesetzentwurf über die gesetzliche Regelung der Stellen- Vermittlung, der dem Reichstage demnächst zugebcn wird, schreibt man und-. Ter Gesetzentwurf will den Auswüchsen im Stellenvermittleraewcrbe zu Leibe gehen und wird sich damit große Verdienste erwerben. Beabsichtigt ist. zunächst den Begriff „Stellcnvermittlcr" festzulegen und unter das Gesetz jede Art von Stellenvermittlung zu stellen. Damit werden auch die Herausgeber von Vakanzenlisten künftig den Vorschriften über Stellen vermittlung unterstellt und als Stellenvermittler behandelt. Die Gebühren werden gesetzlich festgelegt und das Stcllenvermittlungsgewcrbc konzesjwnS-