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Leipziger Tageblatt und Handelszeitung : 04.01.1910
- Erscheinungsdatum
- 1910-01-04
- Sprache
- Deutsch
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id84535308X-191001049
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id84535308X-19100104
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-84535308X-19100104
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
-
Zeitung
Leipziger Tageblatt und Handelszeitung
-
Jahr
1910
-
Monat
1910-01
- Tag 1910-01-04
-
Monat
1910-01
-
Jahr
1910
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BezugS.Prei» str Leipzig und Soror» durch «Her» »räger und Kprdttrure in» Hau» gebracht: Vit H monatl.. k.7it »irrtelitbri Bet unIernAilialen u. Nunadmeftellen adgeyoU« iS ««natl., r.LS »ierteljährl. v«ch die Vogi innerhalb Druiichlanb» und der drntichr» «olonieu »ierteljShri. lt.ilit monatl. I2i» ^ik aullchl. Posidestellacld ferner in Belgien, Tänrmarl. den Donauslaaren, Ilallen, Luxemburg, Niederlande. Ülor» Wege». Oesterreich-Ungarn, Bnbland, Schwede», Schwer,». Spanten. An alle» übrigen Staate» »ur direkt durch di« «eichillt»llelle de» Blatte« erhältlich. Da» Lelvjiger tageblau ericheini wSchenb- ltch < mal und »wae morgen» Ubnanemenr-iilnnobme > Sugolln-platz 8, bei unteren Irägern, Filialen, Spediteure» u»d Annahmestellen, wwie Postämtern und Brtettriger». Lt> «tn^lne Nummer kostet kV «edakttv» m>» Geschäktäkellr» Johanni«gaste 8» Fer»,prrchrr, 14«WL 14 SW. 14SS4. Vcip,;igtr Tagtblalt Handelszeitnng. Amtsblatt des Rates und des Raüzelamtes der Ltadt Leipzig. Anzeigen-PreiS iür Inlerai« «u» Leipzig an» Umgebung dm Vgelvalren, Petiizeil» 2L sinnnzielle Anzeigen so LH, Sieklamell l »m> au«wLn» SV «eNumen l.At dom Auiland bitLi, Nnanz Anzeige» 76^ Reklamen Oüi Inserate» Behörden amilichenLeNäv^Z. Beilagegedüdr d ^g lautend «xkl. Post gebühr. Geichüilouuzeigeu an bevorzugter Stelle IM Preite erhöht. Rabatt nach lartt Ietterleilie Autkrüg« tünnen alchi zurück gezogen werden ?,ür da« iLrlcheine» «n vestiinmten tagen und Plätze» wird kein« iLarann» übernommen Anzeigen-Annahme! AaguN»«pl«tz bei tLnilIlchen Filialen n allen ttnnoucen- iLxpebiNonen de» In- und Aullande». Haupt Sillas, Verls»' Aarl Luna er. Hrrzogi. Baur. Hofhmt« Handlung, Lützomstiabe Ivi tLelevstüii VI, Ar. 4MU). Haupt-Siltale Lresdr»: Secstrutze 4, t <Tclephon 4621). Nr. 3. Dienstag 4. Januar 1910. m. Jahrgang. Das wichtigste. * Am heutigen Dienstag findet in Meiningen die Vermählung des Großherzogs von Sachsen-Weimar mit der Prinzessin Feodora von Sachsen-Meiningen statt. König Friedrich August von Sachsen nimmt an den Hochzeitsfeierlich, keilen teil. * In der neuen demokratischen Wochenschrift „Das freie Volk" wird das Programm der demokratischen Vereinigung ver öffentlicht. sS. d. bes. Art.j * In Berlin begann am Montag der Parteitag der preußischen Sozialdemokratie. sS. d. bes. Art.j * Prinzessin Luise von Belgien führt ihre in Köln aus gesprochenen Drohungen aus und läßt durch eine Mittelsperson im „Matin" eine zwei Spalten lange Darstellung über die Vorfälle vonMeyerling, den Tod des Kronprinzen Rudolf, veröffentlichen. sS. Verm.) * In Spanien wird der Ausbruch eines von anarchi stischer Seite vorbereiteten General st reiks befürchtet. sS. Ausl.) Aunö N1N den ßkibevnlisnirrs. Für einen Partcipolitiker mit selbständigen Gedanken gibt es eigentlich keine schönere Tätigkeit als die, der sich die vier Männer Wiemcr, Müller, Schrader und v. Payer, kürzlich hingebcn konnten: die Ausarbeitung eines Programms. Ungefähr nm dieselbe Zeit hat, wie man jetzt erfährt, Herr v. Gerlach über dem Demokratenprogrammc gebrütet. Wir nennen die Programmarbeit eine schöne Tätigkeit. Man horcht dem inneren Gewissen ab, was sein soll. Wir geben für Ge meinschaft und einzelne Gesetze. Gleich einem Moses bestimmen wir die Bahn, auf der das Leben der Nachkommendcn ablaufen soll. Propheten und Königen werden wir gleich. Ein ekstatischer Zustand, ein „Schauen", ähnlich dem der religiösen Naturen, müßte die Programme der Parteien hervorbringen, die das Diesseits möglichst gut gestalten wollen. Oder wenigstens müßte dieser Zustand der Programmabfassung vorangeben. Die Abfassung selber mag sich dann nüchterner und überlegter abspielen. Zu den besten Programmen vom Standpunkt eines entschiedenen Liberalismus und vom Standpunkt des Stils gehört das Programm der „Vereinigten Liberalen und Demokraten Bayerns" swobei man wissen muß, daß den Hauptbestandteil dieser Liberalen die National- liberalen ausmachenj. An ihm haben die bayrischen Nationalsozialen, unter denen sich damals Brentano, Curtius und Dohrn hervortaten, geistig mitgearbeitet, und die Nationalsozialen haben von ie auf Wort kunst Wert gelegt. Mitgearbeitet hat von den jüngeren Nationalliberalen namentlich der Augsburger Stadtarchivar Dr. Dirr, ein Mann, hervorragend durch politische Leidenschaft und durch die Fähigkeit, taktische Situationen zu erfassen, sie aber zugleich groben sachlichen Ideen unterzuordnen und mit heftiger Rede die Mehrheit auf seine Seite zu bringen: diese Fähigkeit scheint er bet den jüngsten Streitigkeiten der bayrischen Liberalen wieder an den Tag gelegt zu haben, da mit der Resolution, die vorläufig einen Vertrags zustand herstellte, sein Name in Verbindung gebracht wurde. Zusammen mit seinem Freunde, dem jungliberalen Landtagsabgeordneten Rechts anwalt Dr. Thoma sAugsburgj, versteht er, rings in den bayrischen Städten dem bedrängten liberalen Volksteil kräftigen, nervenstärkenden Zuspruch zu erteilen, ganz besonders aber, in urwüchsiger, hinreißender Rede den Bauern des katholischen Algäu, dieses alten „Ketzerwinkels", die liberale Botschaft wie einst der dort unvergessene Völk zu verkünden. Diese alle hätten, wäre ihnen freie Hand gelassen, stilistisch ein schöneres und schwungvolleres Programm gefertigt als die „Viermänner", denen freilich die Hände gebunden waren. Ob sich Herr v. Gerlach, schon um etwas Eigenes zu bieten, bemüht hat, die demokratische Plattform künstlerischer zu gestalten? Ist es freilich nötig, daß neben dem neuen freisinnigen Organis mus noch ein anderes, „entschiedeneres" Parteilcbewesen besteht? Wir haben uns längst gewöhnt, das als Schicksalsschlu-ß zu betrachten. Viel leicht mit Ausnahme kurzer Zeitstrecken wird es noch für lange hinaus Leute geben, die gerade das für den allein echten Liberalismus halten, sich abzusondern und die andern, für schmähliche Kompromißler und Verräter zu erklären. Eine Parteibildung, die darauf ausgeht, alle Linksliberalen in sich aufzunehmen, wäre falsch konstruiert: umgekehrt muß man geordnete Vorkehrungen für die linkslibcralc Wildenschaft, Finkenschaft oder wie man sie nennen will, treffen. Es muß Sammel becken für die Unzufriedenen und Krakeeler geben, und die große links liberale Gemeinschaft mag ein gutmütiges Paukverhältnis mit dieser Wildenschast unterhalten. Solange noch innerhalb des größeren Frei sinns ein ängstliches Gefühl gegenüber dem kleinen Bruder zur Linken herrscht, ist eine Schwäche in der Parteikonstitution vorhanden. In der Blockzeit batten die Freisinnigen noch viel zu viel Angst vor Barth, Breitscheid, v. Gerlach und ihrer Presse. „Wir müssen durch", so äußerte man sich damals; die positive Mitarbeit an der Steuergesetzgebung war so etwas wie ein Spießrutenlaufen: aber man war entschlossen, mit aufeinander gepreßten Zähnen durch alle Be schimpfungen zu dem als richtig erkannten Ziele hindurch zu stürmen. Das ist nun anders. Die Zerstörung des Blocks — wir berichten nur, wir beurteilen nicht — bat die Einigung des Freisinns erleichtert, dazu allerdings Wohl auch die im Block empfangene Erziehung zu aktiver Po litik, endlich der Tod Barths, dieses eifrigen Agitators. Nun bietet das Häuslein derer, die weiser sein wollen als alle Minister und Partei führer, das erheiternde Schauspiel einer unendlichen Katzbalgerei „im Innern", und ihre Wirkung nach außen, namentlich ihr Beitrag zur Bekämpfung der Reaktion ist aus Null herabgesunkcn. Nach unserem Empfinden behandelt die „Freisinnige Zeitung", die alle Tage lange Be richte über die Streitigkeiten der Demokraten bringt, diese Dinge immer noch zu ernst und schwer. Auch der Spaß hat sein Recht. Unerwarteterweise ist auch die Einigkeit innerhalb der national liberalen Partei gestört worden. Ueber Großblock und Mauscrungs- theorie gehen die Meinungen auseinander, auch eine taktische Ver ständigung mit dem Freisinn will man nicht allerorten als alleiniges Prinzip gelten lassen. Am deutlichsten haben bisher die Bewohner des mecrumschlungenen Schleswig-Holsteins ihren Widerspruch gegen Bassermanns Kölner Rede, die hier hauptsächlich in Betracht kommt, zum Ausdruck gebracht. Wir möchten dazu hier nicht Stellung nehmen. Uns liegt vorerst an der Einsetzung der Kräfte aller liberalen Parteien für gemeinsame Zwecke. Merkwürdigerweise findet sich in dem Augen blicke, wo der nationallibcrale Parteiführer der Mauserungstheorie einen Schritt näher rückt, in einem nationallibcralen, der Sozialdemo, kratie nicht schroff entgegentretenden Blatte ein heftiger Angriff auf einen Freisinnigen, der sich besonders hervorgetan hat durch Befür wortung des Zusammengehens mit der Sozialdemokratie. Wir meinen Naumann. Aber gerade dieser hat sich in den letzten Monaten zurück gehalten: cs ist uns nicht bekannt, daß er in letzter Zeit in besonders energischer Weise den Großblock, dem ja doch auch etwa zwei Drittel der freisinnigen Parteiangchörigen abgeneigt sind, befürwortet oder sonst wilde radikale Ideen geäußert hätte. Die Sozialdemokratie als bündnisfähig ansehen oder wenigstens dieser Möglichkeit nähertreten, auf der andern Seite aber den Freisinnigen Naumann, der dock wohl als Anhänger der deutschen Wehrmacht und der Monarchie gelten muß, ablehnen, ist ein Widerspruch, der hoffentlich bald beglichen wird. Vom liberalen Standpunkte erscheint es als aller erste Aufgabe, die großen liberalen Parteien: die be stehende nationalliberale und die werdende freisinnige, in sich selbst einig zu halten: als zweites Stadium käme dann in Frage, ob ein ge meinsames Wirken dieser beiden liberalen Heeressäulen ermöglicht wer den kann. Einen Zustand des Streites, wie er in Bayern zu beobachten ist, möchten wir auch als Uebcrgangsstadium vermieden sehen. Wir brauchen jetzt liberale Parteien, die autoritativ zum Ausdruck bringen, was der liberale Bevölkerungsteil will. Das Programm der Demokratischen Vereinigung, dessen Aus arbeitung einem fünfköpsigen Ausschuß übertragen worden war, ist jetzt in der ersten Nummer des von Tr. Breitschcid herausgcgebenen neuen demokratischen Wochenblattes, genannt „Das freie Volk", veröffentlicht wordeü. ES begnügt sich »it allgemeinen Richtlinien zur die Poluek und zeigt im ganzen recht radikale Zuge. In 11 Paragraphen eingeteilt, fordert es die Demokratisierung von Reich, Staat und Gemeinde zur Verwirklichung des Prinzips des Selbstbestimmungsrechts des Volkes und das allgemeine, gleiche, geheime und direkte Wahlrecht mit Ver hältniswahlen für alle Vertretungskörper und für alle erwachsenen Staatsangehörigen beider Geschlechter. Weiter heißt es: „Die Demo kratie betont den Reichsgedanken ebenso stark wie das Recht der ein zelnen Persönlichkeit. Dem Neichsinteresse gebührt stets der Vorrang vor dem Interesse der Einzelstaaten. Alle Politik hat dem Endzweck zu dienen, die freie Entwicklung der Persönlichkeit zu ermöglichen. Für Gesetze und Verwaltungsmaßregeln darf nur das Gemeinwohl maßgebend sein, nie das Interesse einzelner Personen oder Klassen. Deshalb dürfen niemand aus öffentlichen Mitteln Sondervorteile nach Art der Liebesgaben zugewendet werden.' Das zweckmäßigste Mittel zur Förderung der Produktion ist der Freihandel. Die Gewerbefreihcit ist zu verteidigen gegenüber den Versuchen, technische Fortschritte im Inter- esse einer angeblichen Mittelstandspolitik hintan zu halten oder durch Ringbildungen Privatmonopole zum Schaden der Allgemeinheit zu schaffen. Ueberall, wo der Privatbetrieb den Interessen der Allgemein heit zuwiderläust, hat Verstaatlichung oder Kommunalisierung zu er folgen. Durch Bodenreform ist dafür zu sorgen, daß das private Recht am Grundeigentum hinter den höheren Interessen der Allgemeinheit zurücktritt. Die Demokratische Vereinigung fordert eine Fortentwick- lung unserer Wirtschaftsordnung mit dem Ziel, der Arbeit in jeder Gestalt einen immer höheren Anteil an dem Produktionsertrage zu sichern. Durch die Schaffung eines einheitlichen Nrbeitsrechtcs, sowie konstitutionelles Fabriksvstem ist das Recht der Persönlichkeit im Wirt- schastsbetriebe sicher zu stellen. Gesetzlicher Höchstarbcitstag, weitgehen der Arbeitsschutz und eine zweckmäßige, auf Selbstverwaltung be ruhende Versichcrungsgesetzgcbung sind ebenso im Interesse der Ar- beiter, wie der Produktion zu fordern. Die Sozialpolitik muß danach streben, jedem Staatsangehörigen ein Existenzminimum zu sichern. Die Bedürfnisse de? Reiches sind in erster Linie durch progressive di rekte Steuern aufznbringen. Die Steuern und die Zölle auf die Lebens notwendigkeiten müssen beseitigt werden. Das Heer ist zu einem Volks heer nmzugestalten, mit gleicher Dienstzeit für alle Verpflichteten: sie ist allmählich auf das für die kriegsmäßige Ausbildung erforderliche Maß berabzusctzen. Die Militärgerichtsbarkeit, die nur für Dienstvergehen bestehen bleiben darf, ist möglichst nach dem Muster der Zivilgerichts barkeit zu gestalten, insbesondere ist die Öffentlichkeit des Verfahrens sicher zu stellen. Die Disziplinarbefuanisse und ehrengerichtlichen Vor schriften sind gesetzlich zu ordnen. Vergeben gegen Untergebene sind ebenso streng zu bestrafen wie Vergehen gegen Vorgesetzte. Die Demo kratische Vereinigung fordert Trennung von Staat und Kirche. Dem Reiche gebührt die Aufsicht über die Schule. Den religiösen Gemein schaften stebt keinerlei Einwirkung aus sie zu. Der Besuch der össent- sichen Volksschule ist obligatorisch und unentgeltlich, allen dazu Befähig- ten ist der Bestich der höheren Lehranstalten zu ermöglichen. Tic aus wärtige Politik de? Reiches hat dem Frieden und der Kultnrentwickluug zu dienen. Im Wege internationaler Vereinbarungen ist die all mähliche Minderung der Rüstungen zu fordern. Angriffskriege dürfen nur mit Zustimmung des Reichstes bcschl-sssen werden. Internatio nale Streitfragen sollen durch Schiedsgerichte bcigelegt werden." Len Lveöo Reiians. sVon unserem Pariser I-.-KorrespondentenZ Paris, 1. Januar. Ein Credo Nenans, das gerade in die Neuiahrsstimmung nicht übel Paßt, stellt die Tochter des großen Schrift stellers, Frau Psichari, dem „Matin" aus dem unverösfentlichteu Nach- laß ihres Vaters zur Verfügung: die nachfolgenden, von Idealismus überströmenden „Erwägungen" Renans wurden 1817 und 1818 als geistige Vorbereitung für einen Roman niedergeschriebcn, den er nicht vollendet hat. — „Ich habe so viel zu erleben, ich will so viel erleben, daß ich keine Zeit habe, für die Außenwelt zu leben. Ich will mir nichts entgehen lassen, ich will alles einheimsen. Bald will ich mich ins politische Leben stürzen, bald mich in die Wissenschaft versenken, bald nur der Liebe leben, bald weit weg auf dem Lande in einer unbekannten Hütte, bald dem Schauspiel der Welt. O unfaßbar Unbestimmtes in meinem Herzen, ewiges Thema aller Poesie, Mysterium der Tinge, Liebe! Verborgener Gott, universelle Gewalt, die du dich selbst wieder- findest! Und wenn man bedenkt, daß dies alles nur eine vereinzelte Erscheinung im ungeheuren Busen des Unendlichen ist, die Erscheinung eines Tages, dann packt mich eine heilige Traurigkeit, die Freude ist; alle Worte verpuffen: alle? ist wahr, alles Chimäre, alles verwischt!" — „Ich glaube an das Werk der modernen Zeiten. Tas ist vielleicht mein bestes, mein genauestes Glaubensbekenntnis, jenes, auf das ich mich am häufigsten berufe." — „Alles, was schön ist, entzückt meine Seele; alles, waS heilig ist, erregt meines Herzens Schlag. — „Das Leben ist zu kurz. Es bedürfte eines ganzen Lebens, um zu lieben, eines Levens, um zu wissen, eines Lebens, um zu handeln, ach!, und wenn man lieben will, muß man fast darauf verzichten, zu wissen, und wenn man wissen will, muß man fast daraus verzichten, zu lieben. Das ist grausam." — „Ich möchte mit der Moral einen Platzwechsel vornehmen. Man macht daraus etwas ganz Negatives: nicht stehlen, usw. . . Der Mensch aber, der nur in dieser Art moralisch wäre, wäre der farbloseste, traurigste und unschönste Mensch. "Ter moralischste wäre der kalte und leblose Mensch. Nein, der moralische Mensch ist der schöne Mensch, der Mensch, der wenig an diese kleinen Dinge und diese vulgären Regeln denkend, das Schöne durch alle Poren cinatmet. Tas Wichtige ist, oaß er stark empfindet, daß er sich über den bleichen Horizont erhebt, der das vulgäre Leben, ob es auch edel und schön ist, begrenzt. Ter Unsterbliche ist der, der nur das Fertige, Ganze sieht, der, vielleicht getreu diesen kleinen Pflichten, weder Elan noch Liebe hat. Alles ist jenem erlaubt, der in Gott wohnt." — „Früher lebten oie großen Männer auf Kosten der andern: Alexander, Napoleon waren groß, indem sic die Menschheit verachteten. Das hat ausgehört. Größe wird fein, rein, moralisch, intellektuell zu sein. Ich teile nicht die Gemeinplätze, die man auf Eroberer anwendet. Jene, die Alexander als bloßen Narren betrachten, der Asien in Brand steckte aus reinem Vergnügen, sind Dummköpfe. Wie wäre es heute mit dem menschlichen Geist bestellt, wenn Alexander nicht seinen wundervollen Eroberungszug unternommen hätte? Nein, die Kriege und Eroberungen waren Werkzeuge des Fortschritts. Aber dem wird nicht mehr so sein sin fernerer Zukunft), wenn alle Welt rationalisiert sein wird." — „Man muß nicht in der Geschichte Stabili tät suchen. Sobald eine Entwicklung bei ihrer Reife aygelangt ist, beginnt die Fäulnis. Tas Juli-Regime erlangte 1816 seine Reife. Von da an wurde das Uebel, das in ihm steckte, von Tag zu Tag unerträg licher. Bis dahin war cs vom langsamen Wachsen verborgen worden. Während der Wachstumsperiode wird oas Nebel nicht sichtbar, aber mit der Reife deckt es sich auf." — „Fährt man flußabwärts, dann öffnet sich oft bei einer Slrombieguna vor dem Auge ein neuer und un erwarteter Horizont. . . So bei der Februarrevolution. Die Bourgeoisie zog langsam ihres Weges dahin. Der Sozialismus demaskiert sich; sie sieht, daß sie dahin geführt hat, sie erschreckt über sich selbst. Und sie verflucht das 18. Jahrhundert, das dahin geführt hat! Geht! Geht! Die Pille muß heruntcrgeschluckt werden." „Die Zivilisation triumphiert immer über die Angriffe der Un zivilisierten, nicht indem sic sich ihnen widersetzt und sie ausschlicßt, son- ocrn indem sie sie aufnimmt. Tatsächlich besiegte Athen Mazedonien, weil zwanzig Jahre später Alexander die Welt durcheilte, aus Vergnü gen, dem Geschwätz der Bürger Athens Nahrung zu geben. Tatsächlich besiegte Griechenland Rom, weil hundert Jahre später Nom völlig griechisch war. Tatsächlich besiegte Rom die Barbaren, weil sie, sobald sie sich den Zugang erzwungen hatten, nur noch trachteten, Römer zu werden, latcmstch zu sprechen und die Formen und Gebräuche anzu nehmen. Das Kaiserreich, die Autorität kommen von Rom." „Ich fasse einen Roman als eine ganz innerliche Geschichte, ohne jeden äußerlichen Zwischenfall auf. Fünf oder sechs Seelen einander gegenüber gestellt, immer in der gleichen äußeren Situation, nur innerlich im In tellekt und Gefühl von Revolutionen heimgesucht." — „Frauen beten und singen in einer Kirche. die Augen über ihren Büchern; überall Hauben und Röcke, Frauenduft. Weißgekleidete Priester führen den Vorsitz. Draußen hört man Trommeln und Trompeten, Pferde, Militärmusik. Tas ist das menschliche Leben: Männer und Frauen." — „Tie Frau kann als die immerwährende Fortcrhaltung des ästhetischen Gefühls in der Mensch heit, selbst innerhalb der schrecklichsten Barbarei, betrachte: werden." — „Warum habe ich keine Frau um mich, die mir grollt? Warum holt sie mich nicht weg von meinem Nationalismus, von meinem Lachen, das mitunter ein Lachen Voltaires ist? Eine fromme Frau an meiner Seite, die über meine Kühnheit aufgebracht ist und mich gehörig aus schilt!" — „Ich will den in Schönes und Vollkommenes verliebten Seelen mein Ideal enthüllen, so wie ich es verstehe; ich will im Gegen satz zur schändlichen Sinnlichkeit unserer Jugend und dem Realismus unserer primitiven Leute einen ganz himmlischen Typus darstellcn, der durch's Leben geht, das Auge gen Himmel gerichtet." — „Die schönste Poesie ist die, die nicht in Verse gesetzt wurde. Das wirkliche Gefühl zweier Herzen, die sich nicht sorgten, es zum Ausdruck zu bringen. Denn gerade durch das Ausgedrücktwerdcn verliert es." „Die Kirchtürme zerstören, heißt eine Menge Landschaftsbilder zerstören. Was wären unsere Städte und Dörfer mit ihren stets gleichen Häusern ohne diese schmucke Zierde? Das genügt: das Malerische wiegt die Moral auf. die Kritik." — „Oh himmlische Harmonie des Menschen! Tausend verfchie- denc Stimmen, Wissenschaft, Liebe, Philosophie, Poesie, Schönheit, Güte, Wahres, Ideal, heilige Liebe, oh alle schönen Tinge, die durch alle Poren die Schönheit schlürfen, die Schönheit, mit der die Luft geschwän- gert ist. die wir atmen! Oh Gott, ich berühre dich!" — „Jbr nennt mich skeptisch. Nein: die Einheit, der Fortschritt der Menschheit, die Würde des Menschen, die göttliche Bestimmung der Menschheit, daran glaube ich, dasiir gäbe ich mein Leben. Wie könnt Ihr danach sagen, ich wäre ein Skeptiker?" — „Ihr seid Skeptiker und wir sind die Gläubigen. Wir glauben an den menschlichen Geist und seine göttliche Bestimmung, wir glauben an die Menschheit und an ihre unvergängliche Zukunst. Wir glauben an das Gute und das Vollkommene." — „Ich sterbe in der Religion der Zukunft." Das sind Leitsätze, die Renan einst niederschrieb, und die erstaun- licherweise noch nicht der Oesfentlichkeit bekannt wurden. Vielleicht auch wollte der spätere Renan, der in einigen Punkten seinen Idealismus korrigierte, um sich wissenschaftlicheren Grundsätzen anzuschlceßcn, nicht dies Bekanntwcrdcn in der Oesfentlichkeit. Deutscher Reich. Leipzig, 4 Januar. * Verlobung eines preußischen Prinzen. Der dritte Sohn des verstorbenen Prinzen Albrecht von Preußen, Prinz Friedrich Wilhelm von Preußen, hat sich mit der ältesten Tochter des Herzogs Viktor von Ratibor, Prinzessin Agathe von Rati- bor und Corvey verlobt. Der Kaiser gab die Verlobung bei dem Familicndiner am Neujahrstage im Königlichen Schlosse zu Berlin be kannt. Prinz Friebrich Wilhelm Viktor Karl Ernst Alexander Heinrich von Preußen wurde am 12. Juli 1880 in Kamenz geboren und ist der jüngste Sohn des 1906 verstorbenen Prinzen Albrecht, Regenten von Braunschweig, und der 1898 verstorbenen Prinzessin Marie von Sachsen- Altenburg. Der Prinz hat in Bonn studiert und mehrere Jahre beim 1. Garde-Ncgiment z. F. Dienst getan, wo er bis zum Major aufrückte. 1908 wurde er beurlaubt, damit er oie Geschäfte der inneren Staats verwaltung kennen lerne und sich gleichzeitig für die Ucbernahme der großen, von seinem Vater hinterlassenen Besitzungen vorberciten, für die der Kaiser ihn an Stelle seiner beiden älteren im Auslande lebenden Brüder bestimmt hatte. Er war längere Zeit bei der Regierung und
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