Suche löschen...
Leipziger Tageblatt und Handelszeitung : 05.01.1910
- Erscheinungsdatum
- 1910-01-05
- Sprache
- Deutsch
- Vorlage
- SLUB Dresden
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id84535308X-191001052
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id84535308X-19100105
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-84535308X-19100105
- Sammlungen
- Saxonica
- LDP: Zeitungen
- Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
-
Zeitung
Leipziger Tageblatt und Handelszeitung
-
Jahr
1910
-
Monat
1910-01
- Tag 1910-01-05
-
Monat
1910-01
-
Jahr
1910
- Links
- Downloads
- Einzelseite als Bild herunterladen (JPG)
-
Volltext Seite (XML)
BezugS-Prei» M Letpji- und >üoron« durch »nler, »rtgrr und SvedUrure ta« Hau» gebrach!, Vtz äz monatt., L.7V u6 »ierteNLbrl. Bei unlern Filialen u. Annahmestellen adgeholtt IS L monatl.. t.LS vieriellLhrl. Durch dte chosti tnnerhald Deuljchland» und der deutschen Kolonien viertel,idri. 8.60 ^r, monatl. I^iO ^6 -utlchl. Postdestellgelk. Ferner in Belgien, Dänemark, den Donaustaalen, Italien, Luxemburg, Niederlande, 'Nor wegen. Oesterreich-Ungarn. Rußland. Schweden, Schweiz u. Spanien. In allen übrigen Staaten nur direkt durch di« «eschälttftelle de« Blatte« «rklSltlich. Da« Leiozmer Dagedlatt erscheint wichend- Uch « mal und »war morgen» Abonnement-Annahme - Augustu-pla, 8, bet unseren Drägern, Filialen, Spediteuren und Annahmestellen, sowie Postämtern und Briefträger». Dte einzelne Stummer kostet 10 Skebaktton und Sirschäftästeller Johannisgasse 8. Fernsprecher, 14 ML 14 KL. 14894. MMerTlUMM Handelszeitung. Ämtsölalt des Nates und des Nolizeiamles der Ltadt Leipzig. Anzeigen-Preis sstr Inserate »US r«wz>« and Umgebung di« kgeipalten, Pesirzrile 2ü iinnnz,elle Anzeigen 10 Reklamen I von auSwLtt» 80 Reklamen 1.20 uU vom Ausland nnanz Anzeigen Reklamen Wil ^A. Inseraten. Behörden im -mll>chenTeiI4v^d Beilagegebübr b o Laulend exkl. Post gebühr. Geichaiisanzeigen an bevorzugter Stelle im Preise erhöht. Rabatt nach Taril Feitertellt« Auiträg« können nicht zurück gezogen werden. Für da» itrtchemeu an delttininten Lage» UN» Plätzen wird kein« älarantt» übernommen. Nnzcigeu-Annahme, AugustuSvlatz bei jämllichen Filialen n. allen Annoncea- lLxpedltionen de» Iu» and Auslande«. Haupt-Filiale Berlin Aarl Duncker, Herzog,. Bapr. Hofduch» landlung, Lützowstiahe KL (Telephon V I. Nr. .-Ni). Haupt-Ftliale LrrSbritt Secftratze 4,1 (Telephon 4621). Nr. L Mittwoch 5. Januar 1910. m. Jahrgang. Dos wichtigste. * In Gegenwart des Königs Friedrich August von Sachsen fand am Dienstag in Meiningen die Vermählung des Grobherzogs Wilhelm Ernst von Sachsen-Weimar mit der Prinzessin Feodora von Sachsen-Meiningen statt. Der König von Sachsen brachte bei der Hochzeitstafel auf das junge Paar einen Trinkspruch aus. sS. d. des. Art.) * Die Vertreterversammlung des Sächsischen Lehrervereins in Dresden nahm eine Resolution zugunsten der konfessionslosen, allgemeinen Volksschule an. sS. d. bes. Art.) * Der Bundesrat wird am 6. Januar über den mecklen burgischen Verfassungsantrag Beschluß fassen. sS Dischs. R.) * Die ungarische Mini st erkrisis ist durch die endgültige Ernennung Dr. Lucacs' zum Ministerpräsidenten beigelegt. sS-Ausl.) ' Die Zahl der ausständigen Bergarbeiter in Northumber- land und Durham soll je 20 000 betragen. sS. Ausl.) * In den lehten Tagen sind von der Petersburger politischen Polizei über 1100 Verhaftungen vorgcnommcn worden. lS. Ausl.) Frankreich iin Jahre jyoy. (Von unserem Pariser ^.-Korrespondenten.) Paris, 2. Januar. Uenflublioa ack astra. — seit Bestehen der dritten Republik haben die Republikaner noch nie zuversichtlicher und ruhiger in die Zukunft geblickt, als bei dieser Jahreswende. Innen und außen hat sich ihre Macht gefestigt; im Neigen der Völker spielt man wieder die Grande Na.ion. In einer Nückbetrachtung auf das politische Jahr Frankreichs sehen wir als Hauptleitmotive im Innern „Syndikatsbewegung", im Aenßern „Marokko" immer wiederkehren. Die ans Ruder gelangte Demokratie, der Radikalismus, hatte gegen das von ihr mit Worten verwöhnte Proletariat, gegen Sozialdemokratie und Anarchismus, das Autoritätsprinzip im republikanischen Staat zu verteidigen. Eine schwere Aufgabe, bei der die Demokratie mitsamt der Republik scheitern konnte. Ein Zufall wollte es, daß jener Mann, der den demokratischen Rcpublikanismus personifizierte, Georges Clemenceau, als Minister präsident die Aufgabe hatte, die bisherigen Verbündeten der fortschritt lichen Bourgeoisie, die sozialistischen Arbeiterbataillone, zu bekämpfen. Tic Klerikalen und alle Reaktionären waren nur besiegt worden, weil der Sozialistenführer Jean Jaures dem Ministerium Combes durch dick und dünn Hilfe leistete; diese Hilfe mußte mit allerlei Zugeständ nissen bezahlt werden, die sich nachher bitter rächten. Der Uebermut der C. G. T., der Confödöration Generale du Travail, die sich aus den Leitern aller Gewerkschaftsunionen zusammenseht, würbe schließlich selbst den „unifizierten" sozialistischen Parlamentariern, d. h. jenen, die alle fernere Zusammenarbeit mit bürgerlichen Negierungen ablchnten, un erträglich; über deren Köpfe hinweg dekretierte die Confe-deration den Generalstreik, als dessen Ziel sie offen den Umsturz der bestehenden Staatsordnung bezeichnete. Die Lage war sehr klar: Die Verbündeten von gestern umstritten die gemeinsame Siegesbeutc wie Fafner und Fasolt den erworbenen Nibelungenhort. Clemenceau war Fafner. Man konnte ihm nicht vorhalten, daß er den znm Feind gewordenen Bruder zu zart anfaßte. Die Niederwerfung der Streiks ging nicht ohne Blut vergießen ab. Des alten Demokraten Herz härtete sich, vielleicht etwas mehr, als man es um den geraden Verlauf von seines Lebens Richtlinie hätte wünschen mögen. Manche sprachen schon von Diktatur. Der un gewohnte Kommandoton des Chefs wurde von einigen seiner Unter gebenen nachgeahmt und zur unmittelbaren Ursache des Bcamtenstreiks. Unterstaatssekretär Simyan hatte mit einigen verletzenden Worten am 12. März eine Meuterei im Zentraltclcgraphenamt hervorgerufen — das Signal zum großen „Chambardement", zum Umsturz der bürger lichen Gesellschaft, schien gegeben. Der Ausstand der „Postiers" nahm sofort einen erschreckenden Umfang an; der Telegraph und das Telephon funktionierten nicht mehr, die Briefträger und der ambulante Bahn postdienst im ganzen Lande unterbrachen jeden Verkehr von Schrift- und Drucksachen. Die vollständig überraschte Negierung mußte sich zu Verhandlungen mit den Abgesandten ihrer unbotmäßigen Untergebenen herablassen; Herr Clemenceau sah ein, daß der Moment zu gewaltsamem Niederzwingen des Ausstandes nicht geeignet war; er machte ebenso weitgehende wie zweideutige Versprechungen, von vornherein entschlossen, sie nicht zu halten. Kaum war nach der Kapitulation der Regierung am 21. März die Ordnung wieder im staatlichen Betrieb eingckehrt, als Clemenceau entgegen seiner Zusicherung die Streikführer einzeln vor nahm, sie des Amtes enthob oder versetzte und damit schier absichtlich einen neuen Ausstand, doch auch seine Niederwerfung vorbereitete. Der sozialistische Justizminister Briand hielt am 29. März in der Normandie eine bemerkenswerte Rede, in der er theoretisch prachtvoll die tiefen Ursachen der Syndikatsbewegung darlegte, aber die Befürch tungen der Bürgerschaft nicht beschwichtigte. Er verglich den Triumph des Individualrechtes während der Großen Revolution mit dem Kamps um das Vereinigungsrecht in der Gegenwart — Zusammenschluß der Schwächeren zum neuen Sturmlauf gegen die Stärkeren, Besitzenden; kein einzelner hat diese moderne Ausglcichsbewegung hervorgcrufen, kein einzelner wird sie anfhalten können; auch die Staatsangestcllten wird man nicht vom Zusammenschluß abhalten. Doch wie nach 1789 das In dividuum erst lernen mußte, daß seine „Menschenrechte" ihm auch Pflich ten auferlegten, so wird das im wirtschaftlichen Kampf entstandene Syn dikat lernen müssen, daß es neben den Rechten Pflichten hat, immer unter dem höheren Gesichtspunkt der staatlichen Gemeinschaft. In dieser Zeit der Gärung hörten die vom ersten Erfolg berauschten Beamten nur die offizielle Verkündung ihres Syndikatsrechtes, nichts von ihren Pflich ten, vom Streikverbot. Entsprechend ihrem Prinzip, zu geben und zu nehmen, duldete die Regierung die Bildung eines sog. Studienkomitees für ein „Beamtenstatut", dem Delegierte aller Beamtenkategorien an gehörten. Die Gesetzgebung hatte sich bisher über oic Vereinsrechte der Staatsangestellten ausgeschwiegen. Aber während in dem offiziell patro- nisierten Komitee sofort der Streik als Kampfmittel für Beamte verdammt wurde, bereitete sich der Generalstreik der Beamten im Lande unaufhalt sam vor; eine revolutionäre Hochflut schien über die Republik nieder gehen zu sollen, wenn auch auf dem sozialistischen Parteikongreß in St. Etienne am 15. April nur persönliche Wäsche gekocht wurde: die parlamentarischen Führer ängstigten sich mehr noch vor einem Sieg der Revolution, für den sic nicht vorbereitet waren, als vor der Niederlage. Es war ein Marsch der Massen ohne Köpfe. Am 30. April dekretierten 10 000 Postiers im Tivoli-Vauxhall den zweiten Ausstand. Heller En- thusiasmus herrschte. Die Delegierten der Eisenbahner waren da, „König" Pataud namens der Elektriker, die Erdarbeiter — aber, o Wunder, diesmal bekundete Clemenceau vor der viel größeren Gefahr der vereinigten Beamtenschaft und des Proletariats keine Furcht: statt zu verhandeln, verabschiedete er am 16. Mai, als der Poststreik nach einiger Unschlüssigkeit <lo kaato ausbrach, gleich am ersten Tage 313 Be amte, und jeder folgende Tag brachte eine ähnliche „Karre" zur Hin richtung Bestimmter. Die Eisenbahner marschierten nicht, die Elektriker setzten Paris nicht einmal in Dunkelheit. Größte Verwirrung trat in den Reihen der Streikenden ein; auch aus der Provinz kamen schlimme Nachrichten. Man schrie Verrat in den Versammlungen, und schon am 18. Mai wurde kapituliert. Wie Clemenceau die Pataud, Griffulhe und andere Hauvthclden der Arbeitsbörse im entscheidenden Augenblick in die Hand bekam, wie es bewirkt wurde, daß die Streikparole für die verschiedenen Gewerkschaften nicht gleichzeitig und zu spät ausgegeben wurde, das wird man vielleicht in Zukunft erfahren und die Macht der Geheimfonds bewundern. Als am 20. Mai endlich von der ConfSdäration Genorale du Travail der allgemeine Ausstand erklärt wurde, war es nutzlos. Nach einigen Straßenbagarren nahmen auch die Pariser Erd arbeiter wieder die Arbeit auf. Am 26. Mai verließen die Matrosen der Handelsmarine ihre Schiffe, und Marseille erlitt abermals großen Schaden. Es war der Regierung nicht schwer, den Feind vereinzelt zu schlagen, mitunter willigte sie auch in Opfer, besonders wo sie das selbst nichts kostete: Marineminister Picard gab als Schiedsrichter den Matrosen gegen die Reeder in der Hauptsache recht. Die Eisenbahner wurden mit Pensionsverbesserung usw. vertröstet und man beschloß, ihre Forderungen auf friedlichem Wege zu verfechten. Man muß sich aber fragen, was geschehen wäre, wenn der „Wind des Wahnsinns", der im vergangenen Mai durch die Republik blies, gleichzeitig mit den Postiers d'e Eisenbahner und Schiffsbemannungen in den Streik mitfortgerissen hätte. Was neben diesen aufregenden Vorgängen 1909 in der inneren Poli- tik geschah, war weniger wesentlich. Die partiellen Senatswahlen am 3. Januar brachten den Radikalen, deren Regiment nichts bedroh:, 20 neue Sitze. Die klerikale Bewegung versuchte es neuerdings mit einem Angriff gegen die staatlichen Schulen, was den Bischöfen unlieb same Prozesse der beleidigten Lehrerschaft zuzog. Der Spektakel, den das Häuflein der „Camelots du Roi" machte, ist ebensowenig der Er wähnung wert, wie der törichte Ueberfall des jetzt begnadigten royalisti schen Kellners Mattis auf den Präsidenten Falliöres. Die Militaristen auf der Rechten wurden durch die stark patriotische Schwenkung der Radikalen unter Clemenceau. der den HervLismus mit aller Energie aus dem Heer tilgte, zum Schweigen gebracht. Die Reform dcr Kriegs gerichte ging nicht halb so weit, wie man es von den herrschenden Männern ans der Dreysuszeit erwartet hatte. General Picquart mühte sich mehr um die am 12. Juni vom Senat angenommene beträchtliche Artillerieverstärkung, während der Radikale Messimy die Losung aus gab: „Rufen wir Afrika zu Hilfe!" und damit als Palliativmittel für die Entvölkerungssorge die Gründung eines Negerheeres von 30 000 Mann vorbereitete. Die Debatte über die Zustände in der Kriegsmarine war es, die zu den bedeutendsten parlamentarischen Zwischenfällen führte. Ganz ähn- liche, nur schlimmere Lieferungsgeschichten, wie man sie im Kieler Pro- zeß aufdeckte, hatten im Vorjahr Thomson zum Rücktritt gezwungen, und Picard mußte sich eine Untersuchungskommission gefallen lassen, deren Präsident Thäophile DelcassL, der Unvergessene, war. Hatte Clemenceau in allen Fragen allgemeiner Politik stets große Majoritäten, so ließ er sich, von den gehässigen Angriffen des Exministers des Aeußeren gereizt, vor dem Votum über die Beendigung dcr Marineenquete zu derartig scharfer Kritik der Marokkopolitik DelcassLs sortreißen, daß die in ihren patriotischen Gefühlen verletzten Abgeordneten ihn am Vorabend vor den Sommerfericn, am 20. Juli, stürzten. Thöophile hatte eine schöne Revanche für den traurigen Abgang, zu dem ihn das Ministerium Rouvier 1905 aus Furcht vor einem Krieg mit Deutschland verurteilt hatte. Clemenceau aber hatte dies überraschende Ende seiner knapp drei- jährigen Ministertätigkeit weniger der wiederkehrenden Beliebtheit des bissigen Delcass«, als seinem eigenen ungestümen Temperament zuzu schreiben, das ihm schon so manchen bösen Streich gespielt hat. Die Krise dauerte nur wenige Tage, da der Vizepräsident des Kabinetts mit der Neubildung betraut wurde: Aristide Briand wurde der erste sozialistische Ministerpräsident — aber sein Sozialismus erschreckt nicht. In seiner Antrittsrede sagte er, er „adaptiere" sich seiner Stellung. Seitdem hat er vielfache Beweise gegeben, daß er aus der Republik keinen Zukunfts staat machen will. Sehr viel zu rühmen brauchen sich die Parlamente über ihre prak tische Tätigkeit im vergangenen Jahre nicht. Tas progressive Einkom mensteuergesetz Caillaux' wurde zwar am 9. März von der Kammer votiert, aber der Senat hat seine Beratung auf unbestimmte Zeit ver tagt; somit hatten die dem Gesetz gewidmeten hundert Kammersitzungcn keinen praktischen Erfolg. Das Oberhaus beschäftigte sich unablässig mit der Arbeiterversicherung, der es aber eine ganz andere Form gab, wie die Kammer. Noch ist die Beratung nicht zu Ende, wenn auch das obli gatorische Prinzip durchgegangen ist; Briand versprach den Deputierten, wenigstens diese Reform werde vor den Neuwahlen perfekt werden. — Das Votum der Simplon-Anschlußbahnen ist wichtig für den Handels verkehr mit Italien und wird Deutschlands Bahnen schädigen. — Dreißig Sitzungen wurden dem neuen Zolltarif gewidmet, der den mit der Republik Handel treibenden Ländern zum Weihnachtsgeschenk gemacht wurde. Cruppi, der Handelsminister Clcmcnccaus, hatte gewisse Diplo maten, wie Fürst Radolin, durch Herrn Pichon beruhigen lassen, dcr nicht der Regierungsinitiative entspringende Tarif werde nicht mehr vor den Neuwahlen 1910 durchgehen. Cruppis Nachfolger, Dupuy, war sehr viel protektionistischer gesinnt und ließ sich von der Zollkommission der Kammer ins Schlepptau nehmen. Man kann sich noch auf ein schönes Geschrei in Deutschland, Oesterreich-Ungarn, der Schweiz, Belgien und England gefaßt machen, wenn erst einmal alle von den enormen Zoll erhöhungen betroffenen Exporteure die neuen Tarifsätze kennen, z. B. die Spiclzeugfabrikanten die Erhöhung um nahezu 40 Prozent! Der Senat hat bereits die Annahme des neuen Tarifs vor Ende Februar ver sprochen! Jene Diplomaten, die wie Fürst Radolin, nicht rechtzeitig freundschaftliche Vorstellungen machten und nachdrücklichst verfochten, haben eine beträchtliche Verantwortung auf sich geladen. Die äußere Politik Frankreichs befand sich in einer Epoche des Glücks. Man darf sagen, daß ihm die Verbürgerlichung seines Diplo matenkorps sehr zu statten kam: Ein großes Land braucht heute draußen weniger Salongrößen als praktisch und kaufmännisch nicht unerfahrene Vertreter. Selbst die vielgepriesene englische Diplomatie, die 1909 im Balkan ihre Schlappe eingestand, kann nicht mehr mit. Die Brüder Cambon, BarrSre, Crozier — das sind Männer der modernen Zeit. Ihnen verdankt Herr Pichon, der selbst ein kluger, erfahrener und in seinem Auftreten bescheidener Mann ist, die heutige glänzende Lage der Republik nach außen hin. Tie Freundschaft mit England wurde durch nichts getrübt. Rußland ist mit goldenen Ketten an Marianne gefesselt; Herr Iswolski konnte bei seinen Enttäuschungen mit Graf Aehrenthal in Paris keine anderen als friedliche Ratschläge erhalten. Italien nähert sich mehr und mehr der lateinischen Schwester, mit der es im Juni feierlich Solferino-Erinnerungcn austauschte. König Manuel von Por tugal war Gast des Herrn FalliSres, der auch in Brest eine stark isolterkc Zusammenkunft mit dem Zarenpaar hatte. Mit Spanien kam es wegen Marokkos zwar zu einigen Auseinandersetzungen, da General d'Amadc im Oktober die Befürchtung aussprach, sein Kollege Marina könne Taza besetzen und so Frankreichs Verbindungsweg von Algier über Fez nach dem Atlantischen Ozean abschneidcn. d'Amade wurde zur Disposition gestellt, aber von der Kolonialpresse über die Maßen gelobt. Man erfuhr bei diesem Zwischenfall den Inhalt des spanisch-französischen Geheim vertrages von 1904, der Marokko schon sehr hübsch unter beide Länder aufteilt. Die Erschießung Ferrers und die Kundgebungen in Paris waren nützlich für die Beendigung des spanischen Vorrückens in Melilla, da nach Mauras Sturz der Liberale Moret das Marokkoabenteuer ein stellte. Das große Ereignis war das deutsch-französische Marokko-Ueberein- kommen von Anfang Februar, mit dem sich Deutschland politisch völlig aus dem Sultanat zurückzog und dafür nur wirtschaftliche Vorteile ver- langte, die aber nicht näher formuliert wurden. Die öffentliche Meinung glaubte an einige Geheimabkommen, die Deutschland als wirkliche Kom pensation für die Aufgabe einer vierjährigen Politik voller Schwierig keiten und Kriegsdrohungen bedeutende Vorteile in anderen Wcltgegen- den geben würden. Kurz vor Jahresschluß hat Minister Pichon be kundet, daß der Triumph seiner Diplomatie billiger war. Nicht einmal die Bagdadbahn soll Deutschland gelassen werden, die Internationali sierung bleibt Grundbedingung französischer finanzieller Teilnahme. Eine Marokkoanleihe, gegen die sich Mulcy Hafid bis zum letzten Moment gesträubt hatte, bringt das Sultanat weiter unter die fran zösische Vormundschaft — materiell hat die Republik allein den Vorteil von der deutsch-französischen Annäherung, die im Reichstag von den Herren v. Bethmann Hvllweg und v. Schoen gepriesen wurde. Moralisch läßt sich eine vorteilhaftere Stimmung zugunsten Deutschlands in Frank reich nicht leugnen. Der Tod des Herrn v. Holstein am 9. Mai ließ Frankreich erleichtert aufatmen; auch der Abgang Bülows wurde nicht beklagt. Die neuen Herren in dcr Wilhelmstraßc waren die Liebcys- würdigkeit selbst. Nachdem das Schiedsgericht im Haag so glücklich die Affäre der Deserteure von Casablanca aus dem Wege geräumt hatte (Ä. Mai), träumen Friedensfreunoe von der Möglichkeit eines allgc- meinen Schiedsgerichtsvertrages zwischen Deutschland und Frankreich. . . Die Hochzeitsfeierlichkeiten in Meiningen nahmen, wie wir bereits berichteten, am Montag ihren Anfang. Ter Bräutigam der Prinzessin Feodora, d^r Groß Herzog von Sach sen-Weimar, und die als Gäste an der Hochzeitsfeicr teil nehmenden Fürstlichkeiten, darunter König Friedrich August von Sachsen, trafen im Laufe des Vormittags und in den ersten Nachmittagsstunden des Montags in Meiningen ein und wurden offi ziell empfangen. 4 Uhr 30 Min. empfing die Braut die verschiedenen Abordnungen, die Geschenke darbrachten. Eine Viertelstunde später überreichte der König von Sachsen der Brant als ein Zeichen sächsischer Kunstindustrie als Hochzeitsgefchenk einen Spiegel mit kostbarem Porzcllanrabmen aus dcr Meißner Por zellanmanufaktur. Nm 5 Uhr fanden Familientafel und Mar schallstafel statt. Um 7 Uhr abends begann die Festvorstellung im Neuen Hofthcater. Nachdem die Fürstlichkeiten auf ein Fanfaren signal erschienen waren, nahm in der vordersten Reihe der Fürsten loge zur Rechten des Brautpaares der König von Sachsen, zur Linken Prinz Heinrich der Niederlande Platz. Darauf begann die Fest vorstellung von Goethes „Iphigenie". Abends prangte die Stadt in herrlicher Festillumination. Trotz des ungünstigen, trüben und regne rischen Wetters hatten sich zahlreiche Menschen eingcfundcn, die sowohl bei der Ankunft als auch bei dcr Abfahrt den hohen Herrschaften be geisterte Ovationen darbrachten. Am Tienstagvormittag 9 Uhr erfolgte die Ziviltrauung des Großbcrzogs Wilhelm Ernst von Sachsen- Weimar mit dcr Prinzessin Karola Feodora von Sachsen-Meiningen durch den weimarischen Staatsminister Dr. Rothe in Gegenwart des Herzogs von Sacbsen-Mciningen und des Prinzen Albert von Sachsen- Weimar. Um 11 Uhr fand dw kirchliche Einsegnung statt. Pünktlich setzte sich der Hochzeitszug in Bewegung. Voran schritt der Hofmarschall, ihm folgte der Großherzog und die Frau Grvßherzogin von Sachsen-Weimar, der König von Sachsen mit dcr Prinzessin Fried rich von Sachicn-Meiningen, dcr Herzog von Sackssen-Meiningen mit der Fürstin zu Schaumburg-Lippe, Prinz .Heinrich der Niederlande mit der Prinzessin Heinrich VII. Rcuß j. L. Die Geistlichkeit erwartete das hohe Paar an dcr Tür des Marmorsaales. Nach dem Chorgesang „o bona ,Ic«u" hielt dcr Prälat S ch m i d t h c n n c r - Karlsruhe die Traurede über Offenbarung, Kap. 2. Vers 10: „Sei getreu bis in den Tod. so will ich dir die Krone des Lebens geben", woraus die Einsegnung erfolgte. Während die Kanonen einen Salut von 21 Schüssen abgaben, ertönte abermals Cborgesang. Es folgte ein Schlußgebet, Vaterunser und Segen. Der Cborgesang „SanctuS" schloß die Feier. Das hohe Paar und die fürstlichen Gäste verließen darauf in derselben Reihenfolge den Marmorsaal. Es folgte die G r a t ii l a t i o n s c o u r und darauf die F c st t a f c l. Dabei saß der Großherzog von Sachsen-Weimar neben seiner Gemahlin: links neben dem Großbcrzog saßen die Prinzessin Friedrich von Sachsen-Meiningen. Prinz Heinrich der Niederlande, Prinzessin Adelheid von Sachsen-Meiningen, Prinz Ernst von Sachsen- Meiningen; rechts neben der Großherzogin der König von Sachsen, die Fürstin zu Schaumburg-Lipve, der Fürst zu Lippe; gegenüber dem Brautpaar der Herzog von Sachsen-Meiningen, zu seiner Rechten die Prinzessin Heinrich X^ll. von Neuß. Prinz Friedrich von Sachsen-Mei ningen, Prinzessin Marie von Sachsen Meiningen; links vom Herzog die Prinzessin Karola zu- Lippe, Prinz Albert von Sachien-Weimar, Prinzessin Heinrich XXXIV. von Reuß. Während der Festtafel erhob sich der König von Sachscn und hielt folgenden Trinksprncb: „Mit gütiger Erlaubnis Seiner Hoheit des Herzogs ist mir die hohe Ehre zuteil geworden, hier im Namen aller Anwesenden unseren herzlichen und innigen Glückwunsch dem lieben, jungen Paare auszusprechen. Lieber Vetter! Liebe Cousine! Es war mir eine
- Aktuelle Seite (TXT)
- METS Datei (XML)
- IIIF Manifest (JSON)
Erste Seite
10 Seiten zurück
Vorherige Seite