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Leipziger Tageblatt und Handelszeitung : 31.01.1910
- Erscheinungsdatum
- 1910-01-31
- Sprache
- Deutsch
- Vorlage
- SLUB Dresden
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id84535308X-191001313
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id84535308X-19100131
- OAI
- oai:de:slub-dresden:db:id-84535308X-19100131
- Sammlungen
- Saxonica
- LDP: Zeitungen
- Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
-
Zeitung
Leipziger Tageblatt und Handelszeitung
-
Jahr
1910
-
Monat
1910-01
- Tag 1910-01-31
-
Monat
1910-01
-
Jahr
1910
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BezugS-PreiS I»r L«ipzi, u»d Bor ort» tz»rch «1«« LrtaM und Svedi»«re i»4 Heu« ^bracht: »ieHeljthrl. unirr» AUial«»».»nnahweftelleua!>«thoU: 7» 4 monatl., »IS dieEjährl. Lmch die Dost: innrrhalb Deulichiand« und der deutsch« poloaien vierteltLhrU »SS monatl. l^S -udlchl. Poftdestrllaekd. Ferner in vrlgien, DLnemark, den Donmrftaaten, grölten, Lureinburn, Ntederiand«, Sior» Iven«, Oesterreich-Ungar», Stueland, Schweden, Schweig u. Spanien. An alle» übri^n Staaten nur direkt durch di» Ee«ch«t4sirlle des Statte« erhtlUtch. Da« Leipgraer Lag«Klatt erscheint wichen», lich 7 mal «nd M>ar morgen«. Mwunemeut-rlnnadme: Tugnstu-Platz 8, bei unsere» LrSger», Filialen, Spediteuren und Lnnadmestelleu. sowie Posttmtrrn u»d BriestrLgern. Di« eingelne Nummer kostet 1v stledaktto» und Geschäftsstelle: 2oha»ni«gassc 8. Fmusprecher: 14S9L l4«». 14004. UchMerTagtblatt Handelszeitnng. Amtsblatt -es Rates und -es Rolizeiamtes -er Lta-t Leipzig. Anzeigen-Prei- istr Auserat« au« t!eip»tg ,»» Umgeb»», di« «»spalten« Petitgeile L sinanziell« stlugeigea Ä ch, Neklaaen l so» auIwLrt» cv Reklamen »vm ilutleod SOch, fiiianz. kln^igeu Reklamen UL) Inserate», vehdrden >m «nrlichruDeü40ch. Seilagegebübr L ^st p. Lausend egkl. Pos:, gebsthr. Seschstftlangeigrn au deuorguzler Stell« im Preis« erhitzt. Rabatt nach Dari, Feftrrteilt« Rusträa» Unnrn nicht prrück- «egogen werde». Für da« Lrscheinen an bestimmten Lagen und Plätzen wird kein, Baranti« übernommen Muei^n. Hinnahme, Lugustusplatz 8, del sämtlichen Filiale» u. allen Annoncen- ExpedUionen de« I». und «utlande«. Paupt.Filiale Berlt»: Earl Duncker, Her,o,i. S°vr. Hofbuch- landlnng, Lützowftlatz« ,L (Leierhan VI, Re. 4M3-. Paupt-Filtalr LreSdea: keestratze 4,1 delepbon 46211. Nr. 3V. Montag 31. Januar 1910. 104. Jahrgang. Das wichtigste. * Bei der Reichstagsersatzwahl im Kreise Eisenach — Dermbach war bis Sonntcrgnacht ein endgültiges Ergebnis noch nicht eingetroffen. Eine Stichwahl zwischen dem nationallibcralen und sitzialdemokratischen Kandidaten ist als sicher anzunehmen. sS. Dtschs. R. und Letzte Dep.) * Der König von Griechenland hat der Einberufung einer griechischen Nationalversammlung zugestimmt. (S. Ausl.) * Der französische Kreuzer „C HL t e au r e n a u l t" ist an der marokkanischen Küste gescheitert. (S. Letzte Dep.) Die Tat -es Aanrrscharrers. Parlamentarier zum Zwischenfall. Die ganze deutsche Presse hallt wider von dem Lärm, den im Reichstage Herr von Oldenburg erzeugt hat. Die konservativen Blätter, soweit sie sich überhaupt schon äußern, suchen schüchtern oder auch ganz offen das Gebaren dieses Abgeordneten und seiner Parteifreunde zu verteidigen. Die liberale Presse aller Schattierungen ist einstimmig in der völligen Verurteilung des Herrn über Januschau; von der sozial demokratischen Presse ganz zu geschweigen. Jedenfalls wird der Vor gang noch weithin Spuren hinterlassen, und deshalb erschien es uns zweckmäßig, über die Ereignisse des Sonnabends mit dem Reichstags- abgeordneten für Leipzig, HerrnJustizratDr. Junck, zu sprechen. Abg. Dr. Junck führte ettva folgendes auS: Es ist schwer, eine erregte Szene zu schildern, wenn man selbst dabei gewesen ist. Ich habe allerdings eine derartig starke Erregung im Reichstage noch nicht mit erlebt, solange ich dem Reichstage angehöre. Nu» bin ich zwar weit entfernt, die Bedeutung einer Be- nielkung aus dem Munde des Abg. v. Oldenburg zu überschätzen; ich glaube auch nicht, daß er zu den Politikern gehört, auf deren Meinung selbst im Kreise seiner eignen Parteigeuossen entscheidendes Gewicht gelegt wird. Immerhin ist es aber sehr bedauerlich, daß gerade die Gelegenheit eines so wichtigen Etats wie der unseres Militärs von den Konservativen benutzt wird, einem Redner das Wort zu gestatten, von dem Entgleisungen zu erwarten sind. Das ist auch der Grund, weshalb der Abg. v. Oldenburg, wiederum ohne daß dies der Bedeutung de» In halts sener Worte entspräche, unter auffälliger Aufmerksamkeit des Hauses zu sprechen pflegt: Man hat immer bei seinen Reden daS Gefühl, daß sich etwas ereignet. Natürlich kommt es in jedem Parlament vor, daß ein Redner einmal entgleist. Dann ist es aber Aufgabe des Präsidenten, in ruhiger und würdiger Weise einzugreisen. Ich weiß aus eigner Erfahrung, daß es auf diese Weise sehr wohl möglich ist, solchen Szenen vorzubcugen, wie sie am Sonnabend der deutsche Reichstag leider erlebt hat. E n derartiges Eingreifen der Präsidenten liegt auch im Interesse des Redners selbst. Es machte den Eindruck, als ob der amtierende Präsident der Situation nicht gewachsen war, und als ob er auch nicht das rechte Gefühl für die dem Reichstag zugefügte Be leidigung hatte. Sonst hätte er, woran er absolut nicht behindert war, noch später dem Abg. von Oldenburg einen Ordnungs ruf erteilen müssen. Statt dessen wandte er sich namentlich gegen die Zurufe von sozialdemokratischer Seite, baute Herrn von Olden burg die Brücke zu einer sehr matten Entschuldigung, reagierte aber andererseits nicht auf das ebenso provokatorische Auf treten des konservativen Abgeordneten Kreth, der bei seinem Ruse nach einem Tierarzt leider vergaß, daß es in solchen Momenten doppelt Pflicht eines Mannes von Form ist, Ruhe und Besonnenheit zu be wahren. Welter ist nicht zu verkenne», daß der ganze Vorgang eine sympto- ma tische Bedeutung hatte, und daS ist bas Schmerzlichste an der ganzen Sache. Es mag immerhin denkbar sein, daß der Abg. von Olden burg zunächst nur die Absicht hatte, ein Beispiel anzuführen, bis zu welcher Grenze der Gehorsam eines Soldaten seinem obersten Kriegs herrn gegenüber gehen müsse. Richtig war daS von ihm gewählte Beispiel durchaus nicht; denn der Soldat ist nicht verpflichtet, den Befehl zu einer verbrecherischen Handlung auszusübren. Man denke sich, daß der vom Abg. von Oldenburg supponierte Leutnant mit tO Mann im Reichstag erschienen wäre. Dann würde er dort sicher soviel Kenntnis unserer Verfassung gefunden haben, daß er sich ärgster Lächerlichkeit ausgesetzt haben würde. ES ist aber auch bezeichnend für den Abg. von Oldenburg, daß er sich als . Objekt deS von ihm gewünschten Kadavergehorsams gerade den deutschen Reichstag gewählt hat. Dieses Parlament scheint ihm danach da- corpus vilv zu sein, an dem man derartige Experimente vornehmen kann. Es ist ganz auffällig, wie die konser vative» Herren den Reichstag zu benutzen verstehen, wenn es sich um ihre Interessen handelt, daß sie aber anderseits die deutsche Volksvertretung recht niedrig einschätzen. In dieser Beziehung ist eS von großer Bedeutung, daß sich auS den Reihen der Konservativen auch nicht einer gefundea hat, der offen zugab, daß die Worte des Abg. von Oldenburg zu mißbilligen seien. Für verständige Männer hätte durch eine solche Erllärung der Vorfall sehr an Bedeutung verloren. Allein, e- erfolgte nicht nur keine Mißbilligung, sondern, al- Herr von Oldenburg abtrat, lauter Beifall! Das deutsche Volk möchte diesen Beifall nie vergessen! Vom streng monarchischen Standpunkte de- Herrn von Oldenburg an- sind seine Worte erst recht zu verurteilen. Keiner der Bundes- surften wird sie zwar erust nehmen, aber der Abg. von Oldenburg mutet ihnen doch, da der Reich-tag auf der Reichsverfassung beruht, eine» Bruch des ewige» Bundes zu, der die deutsche» Stämme vereinigt, und für dessen Bestand auch die deutsche» Fürsteu ihr Wort verpfäudet haben: vor alle» Dingen mutet er diesen Verfassung-brach de» Fürste« de- Staate« zu, dem wir im wesentlichen da- Deussche Reich verdanken, dem KSaig von Preußen! Mag H«r von Oldenburg für seim-Persoa keinen Wert auf die Bereinigung aller Deutsch«, iu «neu» Reich« lege» — da- scheint au« der geschmack- vollen Einrede hervorzugehe», mit der er sich an die Süddeutschen wandte, indem er sie offenbar ironisch al« .Bunde-brüder* bezeichnete — für uns ist die Reichsverfassung die magna obarta des deutschen Volks! Sie ist nur als solche heilig, und wir dulden nicht, daß über sie unziemliche Scherze gemacht werden. Wir bean spruchen, daß jeder Deutsche, der die Ehre hat, Mitglied des deutschen Reichstags zu sein, den nötigen Respekt vor dieser Institution hat und seine Worte (wie es unter ernsten Männern überhaupt üblich ist) wägt, ehe er sie ausspricht. Welche Folgen sich aus dem Vorfall ergeben werden, hängt zu- nächst einmal von den Entschließungen des zweiten Vizepräsidenten ab. Daß die Mehrheit des Hauses sein passives Verhalten gegen den Abg. von Oldenburg sehr mißbilligt, hat er erfahren. Sogar daS sonst so getreue Zentrum hat ihm gegenüber versagt. Es ist sehr zweifelhaft, ob die Nationalliberalen auf einen Wechsel in der Person des zweiten Vizepräsidenten Wert legen, da dem Erbprinzen zu Hohen lohe als Persönlichkeit alle Achtung gezollt werden muß. Höchstens könnte die Frage aufgeworfen werden (und unseres Erachtens muß dies vor allen Dingen geschehen, d. Red.), ob eS von einem Manne seines Standes überhaupt erwartet werden kann, daß er diejenige Empfindlichkeit für das Ansehen des deutschen Reichs tages hege, die eben doch in solchen Momenten unbedingt not wendig ist. Es liegt nicht in meiner Natur, die Bedeutung derartiger Vor gänge zu übertreiben. Trotzdem aber habe ich den Eindruck, daß der Vorfall nicht ohne Einfluß aus unser gesamtes innerpolitisches Leben, namentlich aber ans die Be ziehungen der Parteien zueinander sein wird. Auf jeden Fall muß der Vorgang als eine ernste Mahnung gelten, daß von den Rechten des Reichstags nichts nachgelassen wird, daß eifersüchtig über ihnen gewacht werden muß, ja im Gegenteil dahin gestrebt werden muß, die Kompetenzen der Volksvertretung zu erweitern. Das Ansehen des Reichstags muß durch Auftritte wie die des letzten Sonnabends allerdings Einbuße erleiden. Vielleicht liegt das aber gerade in der Richtung der Wünsche derjenigen Herren, die sich solche Exzesse leisten zu dürfen glauben. Deshalb gilt für alle übrigen Mitglieder des Reichstags die Mahnung HauS Sachsens iu den .Meistersingern": .Aufgepaßt, das darf nicht sein!" Vs» unserem Berliner Korrespondenten erfahre» wir noch: o. Berlin, SV. Januar. sPrivattelegramm.) Ein nationalliberaler Reichstagsabgeordnetcc, der Zeupe der Vorfälle am Sonnabend war, legte uns seine Eindrücke und sein Urteil in ungefähr folgender Weise dar: Allerdings tann man der Auffassung nicht ganz unrecht geben, daß der Abgeordnete v. Oldenburg durch seine Aeußerung nicht etwa den Kaiser zum Vcrfassungsbruch veranlassen wollte. Man kann der Aus legung folgen, daß mit den Worten von dem „Leutnant und den zehn Mann" ein Beispiel äußerster Disziplin angeführt werden sollte. Darin mag der Erbprinz zu Hohenlohe vielleicht recht haben Indem Herr v. Oldenburg aber d i e s Beispiel wählte, sagte er etwas, was für den Reichstag beleidigend war. Es kann schwer lich bezweifelt werden, daß in dem Ausspruch zugleich die innerste Ansicht des Redners über Königtum und Parlament zutage kam; mit zehn Mann könnte „die ganze Bande" auseinandergetriebcn werden — so ist offenbar die Gesinnung, die den Redner beseelt. Ist cs schlimm, daß er eine solche Gesinnung hat, so ist es noch schlimmer, daß er dieser Gesinnung Ausdruck gibt, und am allerschlimmsten, daß er den Ausdruck der Geringschätzung dericnigen Körperschaft ins Gesicht schleudert, der er selbst angehört. Indem die konservative Frak tion ihm am Schluß Beifall spendete, indem keiner der noch folgenden konservativen Redner, v. Bieberstein und Kreth, gegen v. Oldenburg aus- trat, hat sie gezeigt, daß auch sie die ganze Institution des Parlaments mit einem Gefnhl ansicht, daS der Verachtung verwandt ist. Kein Kon servativer — das ist wichtig — hat sich erhoben und gesagt, das Wort sei eine Entgleisung, es gebe nicht die Meinung der Konservativen wieder. Als Herr v. Oldenburg anfing: „Der König oder Kaiser muß zeden Augenblick imstande fein, zu einem Leutnant zu sagen: Nehmen Sic zehn Mann", dachte ich mir, er würde etwa fortfahren: „und stürzen Sie fick von diesem Felsen herunter". Das wäre ein gänzlich irreales Beispiel gewesen, das den Zweck gehabt hätte, den äußersten Erfolg der Disziplin zu schildern. Aber Herr v. Oldenburg wählte ein anderes Beispiel, das seine Wertschätzung deS Parlaments ausdrückte. Er handelte wie einer, der, um den Begriff der Körperverletzung klarzumachen, einem andern sagt: „Nehmen Sie einmal an, ich haute Ihnen rechts und links ein paar Tüchtige hinein." Oldenburgs Aeußerung war und bleibt für den Reichstag beleidigend und der Präsident hätte ihn daher zur Ordnung rufen müssen. Dagegen kann ich, wie schon an gedeutet, nicht der sozialdemokratischen Behauptung zustimmen, Olden burg habe zum VerfaffungSbrnch ausgcfordert und auch den Kaiser be- leidiot. Der präsidierende Erbprinz zu Hohenlohe hat nicht richtig erkannt, daß eine Beleidigung des Reichstages vorlag; eine andere Frage ist es, ob deshalb der von ihm an Herrn Ledebour erteilte Ord nungsruf unberechtigt ist. Ma» kann nicht sagen: weil der Präsident im Falle Oldenburg nicht das Richtige getan bat, habe er auch ein etwaiges tolles Betragen eines anderen Mitgliedes des Hauses nicht rügen dürfen. Wir werden ganz kühl nach Prüfung des Stenogramms entscheiden, ob dieser Ordnungsruf berechtigt war. Ich habe selbst dabei- gesessen, es war aber ein solcher Trubel, daß ich nicht sagen könnte, was im einzelnen vorgefallen ist und was unmittelbar den Ordnungsruf begründete. Ich weiß nur, daß Herr Ledebour sich ganz wild gebärdete und den Präsidenten anschrie, und ich glaube den Ruf verstanden zu haben, daß jener die Ehre deS Reichstages besudle. Politisch kann man die Frage, ob der Ordnungsruf berechtigt war, nicht entscheiden, sondern einfach sachlich. Die Erledigung der Sache findet übrigens nach der Geschäftsordnung des Reichstags lediglich durch eine Abstimmung statt, eine Besprechung ist unstatthaft. Abgeordneter Bassermann, der vorher sein Bedauern darüber ausgesprochen hat, daß eine solche Aeußerung im Reichstag siel und daß dann nrch Beifall seitens einer Partei ertönte, ist später mit Reckt dafür cingetreten, daß die Abstimmung erst erfolgt, wenn das Stenogramm vvrliegt. Der Reichstagsabgeordnete Träger, Mitglied der Freisinnigen BolkSpartei, äußerte sich ungefähr wie folgt: Ein Urteil darüber, ob Herr v. Oldenburg die Ansicht der Konser vativen Wiedersehen wollte, möchte ich jetzt nicht fällen: aber so. wie der Ausspruch fiel, war er von d«r größten Ungehörigkeit, denn er enthielt eine Beleidigung deS Reichstags, nicht zuletzt auch des Kaifers und eine vollständige Mißachtung der Der- fassung. Wenn ich zu einem andern sage: „Nehmen Sie an. Sie machten einen Eingriff in die Kasse", so wäre dos doch ganz ungehörig. Man kann doch nicht im Reichstag einen VerfaffungSbrnch durch den Kaiser als möglich hinstelle«. Auch konnte der Ausspruch als Belei digung der Armee aufgefaßt werden. In jedem Falle hätte der Präsi- sident den Redner zur Ordnung rufen müssen. Daß dies die allgemeine Ansicht war, ging aus der Haltung der Reichstagsabg:- vrdneten mit Ausnahme der Rechten und auS der Unruhe auf der Tribüne hervor. Selbst in Beispielsform durfte man so etwas nickt sagen. Ich wiederhole: nach meiner Ansicht war der Präsident ver pflichtet, den Abgeordneten v. Oldenburg zur Ordnung zu rufen, zumal, da er aus dem Verhalten des Hauses und der Tribünen erkennen mußte, daß der Ausspruch als Störung der Ordnung des Hauses empfunden worden ist. Es ist schon vorgekommen, daß nachträglich ein Ordnungsruf erteilt ist, aber das kommt hier nicht in Frage; für Oldenburg ist der Fall erledigt. Der Präsident hat ausdrücklich eine Auslegung des Olden- burgischen Ausspruchs gegeben und, da sich Herr v. Oldenburg selbst dieser Auslegung angeschlossen hat, ist ein Weiteres wohl nicht mehr möglich. Ueber die Situation, die für die Erteilung des Ordnungsrufes an den Abgeordneten Ledebour maßgebend war, läßt sich ein endgültiges Urteil erst fällen, toenn der stenographische Bericht vorliegt. Welche Konsequenzen der Erbprinz zu Hohenlohe etwa aus einer Nichtbilligung des Ordnungsrufes ziehen würde, ist seine Sache. Wenn das Haus den Ordnungsruf nicht billigt, wäre dos jedenfalls aufzufassen als Kritik an dem ganzen Vorgang und dem Verholten des Präsidenten. Der Abgeordnete Träger verwies im übrigen auf die Bestimmungen der Geschäftsordnung über die Aufrechterhaltung der Ordnung. ES kommen in Betracht 88 60 und 61. Es heißt da u. a.: 8 60. Die Aufrechterhaltung der Ordnung in den Sitzungen liegt dem Präsidenten ob. Wenn ein Mitglied die Ordnung verletzt, so wird es von dem Präsidenten mit Nennung des Namens daraus zurück gewiesen. Im Falle gröblicher Verletzung der Ordnung kann das Mitglied durch den Präsidenten von der Sitzung ausgeschlossen wer den. Leistet dasselbe der Aufforderung des Präsidenten zum Ver- lassen des Saales keine Folge, so hat der Präsident in Gemäßheit des 8 61 dieser Geschäftsordnung zu verfahren. Das zur Ordnung ge rufene oder ausgeschlossene Mitgliü» ist berechtigt, spätestens am foi- genden Tage schriftlich Einspruch zu erheben, auf welchen der Reichstag, jedoch nicht vor dem dorauffolgenden Tage, ohne Dis kussion darüber entscheidet, ob der Ordnungsruf oder die Aus weisung gerechtfertigt war. 8 61. Wenn in der Versammlung störende Unruhe entsteht, so kann der Präsident die Sitzung auf bestimmte Zeit aus setzen oder ganz aufheben. Kann sich der Präsident kein Gehör verschaffen, so be deckt er sein Haupt und ist hierdurch die Sitzung auf eine Stunde unterbrochen. Ob es geboten gewesen wäre, nach 8 61 zu verfahren und die Sitzung zu unterbrechen, wollte Abg. Träger nicht entscheiden. Deutsches Reich. Leipzig, 31. Januar. * Die Reichstagsersatzwahl im Kreise Eisenach—Dermbach hat ein überraschendes Ergebnis gezeitigt: nach den letzten Feststellungen dürfte, wie uns ein Privattelegramm aus Eisenach meldet, der Sozialdemo krat Leber mit einer Mehrheit von 200 Stimmen als gewählt zu betrachten sein. Nach den bis Sonntagvormittag vorliegenden Ergebnissen waren abgegeben für Leber (Soz.) 10181, für Dr. Appelius (Natl.) 5716, für Hädrich (Dsoz.) 3940 Stimmen. ES standen da noch die Er gebnisse von 10 kleinen Gemeinden aus, nach drrml Tinleuren sich die absolute Mehrheit Lebers auf rund 200 Stimmen stellte. Damit geht ein Wahlkreis der bürgerlichen Parteien verloren, der bis 1905, wo ihn Schack eroberte, in nationalliberalem bzw. freisinnigem Besitz war. Neben der Schack-Affäre trägt die Reichsfinanzreform die größte Schuld am Berlusr dieses Kreises. — Bei der Hauptwahl im Jahre 1907 erhielten im ersten Wahlgang Dr. Winter (Natl.) 6089, Leber (Soz.) 7875, Schack (Wirtsch. Vgg.) 6985 Stimmen. In der engeren Wahl erhielt Schack 9831, der Sozialdernokrat Leber 9509 Stimmen. * Zur Frage der Schiffahrtsabgabe«. Wie bekannt, hat der Bund der Industriellen auf seiner Generalversammlung am 24. Januar d. I. sich gegen Schiffahrlsabgaven ausgesprochen. Diese Tatsache verdient besondere Beachtung, denn wie aus dem nunmehr vorliegenden ausführlichen Bericht über die Generalversammlung ersichtlich ist, wurde diese Resolution bean tragt durch den Verband Thüringischer Industrieller, der auf der Versammlung mit vertreten war. Es geht daraus jedenfalls das eine hervor, daß die Anschauung des Ministers von Zille, der kürzlich den Standpunkt der meiningischen Staatsregierung im Sinne der preußi schen Schiffabrtsabgabenpolitik präzisierte, von der thüringischen Industric in ihrer Gesamtheit nicht geteilt werden dürste, wabrschein- lich auch nicht durchgängig von der meiningischen Industrie. Die Resolution deS Bundes der Industriellen ist aber auch insofern bedeutsam, als aus der Generalversammlung auch Vertreter des Verbandes Württembergischcr In dustrieller anwesend ivaren und daß in dem Generalversammlungsbcrrcht nichts verlautet, daß sich diese württemberaischen Vertreter gegen die Reso lution gewendet hätten. Die Resolution ist also einstimmig gefaßt worden. * Zur Frage dcr Besetzung des e»,bischöflichen Stuhles in Pose» wird dec „Schlei. Ztg." aus Rom gemeldet: „Die aktive Teilnahme der Polen am Zustandekommen der Reichsfinanzresorm und der Kanzler wechsel Haden im Vatikan einen Augenblick die Hoffnung auf eine Einigung erweckt. Sie ist jedoch sehr rasch wiever verflogen. Im Gegenteil, man glaubt beule in dem Staatssekretariat nahesiebenden Kreisen zu wissen, daß die preußische Regierung überhaupt sobald keinen Schritt m der Posener Angelegenbeit tun wird; ja, daß eS nicht aus geschlossen erscheint, den ErzbischosSsitz unbesetzt zu sehen, solange die Gesanuhaltunz deS Pcleniumö die Fortsetzung der heutigen Ostmarken politik nötig macht. * Huusu-Bund und Privatbeanrte. I» der letzte« Präsivialsitzung deS Hansa-BundeS ist beschlossen worden, di« Frage der PensionSver- sicheruug der Privatbeamten in Bearbeitung zu nehmen. Es wird z» diesem Zweck ein Ausschuß aus führenden Kreisen der Arbeitgeber und Angestellten gebildet werten. * Die Ueberftcht der ReichSeinnnhwev an Zöllen, Steuern und Gebühren slir die Zeit vom 1. April bis ,um 31. Dezember 1909 ergibt eine Mehreiuuahme von 185 Millionen Mark gegenüber dem gleichen Zeiträume de- Vorjahre«, wenngleich der bereit mehrfach hervorgehobeue Umstand, daß die Ergebnisse de- JabreS 1998 beträchtlich hinter der Schätzung zurückbl'tbeu, auch für die Bewertung de« obigen Mehrbetrages für 1909 von Einfluß ist, so zeigt doch die Ziffer jedenfalls eine erfreuliche Bestätigung ver Annahme, daß unser wirtschaftliches Leben in fortschreitender Aufwart-bewegung begriffen ist. Bon den neuen Steuern haben eine besonver- bemerkenswert« Entwick lung auszuweilen die Stempelabgabe von GruudstückSüberlragungm und die?euchtmitt»lsteu«r. Bei den übrigen Steuern laßt sich ein feste- Bild noch nicht gewinnen, doch lassen die Uedersichten auch keinerlei Momente erkennen, welche gegen eiie normale Entwicklung speäche«.
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