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Leipziger Tageblatt und Handelszeitung : 27.01.1910
- Erscheinungsdatum
- 1910-01-27
- Sprache
- Deutsch
- Vorlage
- SLUB Dresden
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id84535308X-191001276
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id84535308X-19100127
- OAI
- oai:de:slub-dresden:db:id-84535308X-19100127
- Sammlungen
- Saxonica
- LDP: Zeitungen
- Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
-
Zeitung
Leipziger Tageblatt und Handelszeitung
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Jahr
1910
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Monat
1910-01
- Tag 1910-01-27
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Monat
1910-01
-
Jahr
1910
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4. Beilage Donnerstag, 27. Januar 191V. Leipziger Tageblatt. Nr. 2«. lv4. Jahrgang. Feuilleton. Eigensinn ist das wohlfeilste Surrogat für den Charakter. Hebbel. * Grenoble. Von Carl Lahm (Paris). Vor französischen Proviuzstädten empfinde ich einen gelinden Schauder, Menn ich mir vorstelle, daß ich in ihrer „Grande Rue" mit ! dem „Cafe de Paris" und der „Svus-Prefccturc" im Renaissancestil mehr als zweimal vierundzwanzig Stunden zubriugcn mühte. Ich habe während zehnjährigen Aufenthalts in der Republii vergebens die sym pathische Provinzstadt gesucht, die leine Mi 000 Einwohner zählt: ich habe sie vergebens gesucht vvn Ost nach West, von Nord nach Süd: nirgendwo hätte ich aus die Dancr auch nur „abgemalt" sein mögen. Die ganze Bürgerschaft scheint Sommer und Winter immer nur ein Ideal zu haben: so oft es geht, auf acht Tage nach Paris zu fliehen, wo der Betrieb nicht stockt, wo der Klcingeist und Klatsch unbekannt und wo die Franzosen alle — Pariser sind. . . . Die .Hotels schlecht, die Theater auf Tourneen zweiter Güte angewiesen, die Kaufläden gar nicht zu ver gleichen mit denen, die man in ähnlich grossen Orten Deutschlands, Oesterreich.Ungarns oder der Schweiz zu scheu gewohnt ist: wegen des geringen oder überhaupt nicht zu konstatierenden Bevölkerungszuwachses leine neuen Viertel — abgesehen von einigen Bädern, von Lyon, Bordeaux, Marseille und drei oder vier anderen Hauptplätzen neben der Kapitale, sind die Städte der Republik recht sehr aus dem toten Punkt angelangt. Hat man die alten Baudenkmäler gesehen, hat man sich der Schönheit landschaftlicher Umgebung erfreut und will man dazu im Ge spräch mit den Einheimischen etwas von ihrem Stolz auf die Vaterstadt erfahren, dann merkt man zumeist, dass dieser Stolz nur in beschränktem Mas;e vorhanden ist — die braven Leute reden mit strahlenden Augen von Paris, von Paris, dem Ziel all' ihrer Wünsche. Sie sind auch nicht erstaunt, daß sich keine Fremden bei ihnen ansicdeln. Wozu? Möchten sic doch selbst andere Lust atmen, die großstädtische, und wenn die Ge schäfte nicht wären . . .! Der Magistrat, der Offizier, der Priester, alle möchten nach der Ville-Lumisre. Die Riesenlaterne Paris zieht die Mücken, Schmetterlinge und Vögel unwiderstehlich an. Grenoble kann ich nicht ganz ausnehmen. Es ist als Provinzstadt wohl kaum weniger die durchgängige Langeweile, in Häuserquadrate auSgcbaut. Aber es hat Vorzüge vor vielen der französischen Schwester städte. Es bat ausnahmsweise eine Fremdeukolonie. Das veranlaßt schon zum Rufe: „Attention!" Man sucht nach der Ursache. Ist es die Reinlichkeit der Straßen und Plätze, die alsbald den Ankömmling ans eine tüchtige Munizipalität schließen läßt? Zum Teil wohl: denn in der Unreinlichkeit gleichen viele französische Provinzortc dem groß artigen Pariser Muster. Ist es die einzigartige, wunderbare Lage? Zweifellos. Denn wenn die Menschen nichts Unerhörtes an Architektur im Höbental der Jstzre za leisten wußten, die Natur baute eine gigan tische Architektur rings herum: einen Alpenrahmen, der die Erinnerung an das Berner Oberland nicht zu fürchten braucht. Und dazu hat Grenoble seine Universität. Die ist beinahe noch mehr wie das glückliche Schicksal, die Eingangspforte zum Dauphins-Hochgebirge zu sein, für die Isdre-Stadt Grund ihres Aufblühens und ihres Rufes im AuSlaude geworden. Es ist das alte Spiel der Hochschulwandcrung: die Provinz jugend eilt mit Begierde in die Hauptstadtnniversität, die Hauptstadt jugend gern nach jener Prcvinzuniversität, wo's frische Bergluft und etwas Romantik zu atmen gibt. Ein paar geschickte und verdienstvolle Männer haben aus Grenoble eine Art französisches Heidelberg oder Innsbruck zu machen gewußt; sie hingen den Alpenstock nnd den Rucksack an die Pedellenglocke. Sie taten noch mehr, sic machten den Ausländern den Aufenthalt ebenso nützlich wie angenehm, so daß man sagen darf: nirgendwo können sie heute besser Französisch, besseres Französisch lernen, wie in Grenoble. Zur Arbeit, die sic in die Sprache und Kultur Frankreichs einführen soll, bläst ihnen die Gletscherwelt frische Luft zu. -- Doch reden wir zuerst ein wenig von der Stadt. Dann von ihrer Alma mater. Nnd bewahren wir uns einen Blick in die Gletscherwelt für zuletzt. Nach Grenoble gelangt man über Lyon oder Genf. Die Schweizer Reise der meisten deutschen und österreichischen Touristen findet ihr Ende in der schönen Stadt des „Lac Lsman": danach beginnt das zu weite, das auch zu unbekannte Ausland. Chamonix und der Montblanc erhalten nur noch einen gewissen Prozentsatz der üblichen Fremdenflut, die alljährlich das europäische Zentralhochland von Konstanz bis Genf durchströmt: Grenoble aber muß sich schon mit einigen Msällen be gnügen, die von des Herrn Tische fallen. Frankreich bat es nicht ver standen, aus seiner Landschaftsschönheil das Riesenkapital zu schlagen, das es bei einer modernen Organisation und Propaganda vom Tou ristenverkehr einheimsen müßte. Zunächst fehlt es schon an einer be- auemen, schnellen und billigen Zugverbindung über Genf. Einmal im Dauphins angelangt, ist der Fremde ganz erstaunt über die Wunder, die sich vor ihm austun. Da sicht er Grenoble, umgürtet von dem Sappe» mit der Grande-Cbartreuse und ihrem Dutzend Ausflugsherrlichkeiten, von den Pies de Beledonne, von der ungeheuren Meise, die dem Mont blanc nur um eine Handvoll Höhenm-eter den Rekord läßt, vom Pelvoux und von ungezählten Bcrgspitzcn, die sich am Horizont ein schier unent wirrbar köpfereiches Rendezvous gegeben. Im Winter, wenn der Schnee das ganze Hochland überzuckert hat, wenn der Mond seinen Silöerschein darüber ausaießt, dann zeichnet sich die Stadtsilhouette mit Türmen und entblätterten Baumkronen prächtig Vvn diesem souveränen Hintergrund ab; die Laternen am Ufer und auf den Brücken werfen lange Lichtreslexe in die wilden Wasser der Is«re — die Amateurpboto dieser magischen Nachtszenerie hat gewiß die Weltrunde angetreten. Für den Wintersport bietet Grenoble ein nicht minder privilegiertes Terrain wie St. Moritz oder Chamonix: nur liegt es zu fern von der Touristen straße. Die frühere Hauptstadt des Dauphinä hat cs nick« über 70000Ein wohner hinaus gebracht: die Höhenlage von 211 Metern wäre kein Hindernis zu schnellerer Entwickelung, da das Gelände von Lyon an ganz allmählich ansteigt. Die Industrie.hat aus nächster Nähe gewaltige Energiequellen „weißer Kohle" zur Verfügung; im Tal der Romanchc wringt der Fluß nicht nur zur Augensreudc von hohen Felsen nieder. Die ganze Stadt wird denn auch billigst elektrisch beleuchtet, und die altbcrübmten .Handschuhfabriken benötigen schon 20000 Pserdckräfte für ihren Betrieb: nahezu 15 Millionen Paar Lederhandschuhe im Werte von 35 Millionen Franken bilden jährlich den Hauptexport der Dauvhinä-Industrie, die auch noch wesentlich in Filzhütcn und Papier „macht". Wenn eine Stadt nichts von Cholera und Typhus zu besorgen bat, ist es Grenoble, dessen unvergleichliches Qucllwasscr auch im Hoch sommer mit nur 11 Grad aus der Küchenlcitung fließt. Der Wasser reichtum und die teils sehr windgeschützte Lage gestatten es auch, einige hübsche Parkanlagen mit etwas tropischem Anstrich den trotzigen Alpen riesen der Nachbarschaft vor die Nase zu pflanzen. Es war also alles gegeben, um aus dieser Stadt die wahre „Königin der französischen Alpen" zu machen, wie man Grenoble gern nennt, nnd was es noch nicht ganz ist. Der breite Cours de Saint-Andres mit seiner Allee hundert jähriger Bäume, die sich über eine Stunde Wegs ausdehnt, erweckt beim Verlassen des Bahnhofs einige bedeutende Erwartungen: aber kommt man über den Boulevard Gambctta und die Avenue Alsace-Lorrainc mit ihren prosaischen, stillosen Backstcinhäusern nach der Place Victor Hugo, die von einer Berlioz-Statue geziert wird, dann atmet man gleich eie provinziale Atmosphäre. Die Place Grenettc, der Zentralpunkt der zctadt. aus dem die elektrische« Straßenbahnen zusammenlaufen, die Grande Rue mit allerlei bescheidenen Kaufläden und Hotels, geleiten zum Palais de Justice, dem interessantesten architektonischen Monument Grenobles, das in seinem reinen Renaissancestil und mit einem gotischen Mittelbau, der Kapelle, recht stattlich aussieht, ohne den Rouenner Justizpalast vergessen zu machen. Hier batte einmal das be rühmte Parlament des Dauphins seinen Sitz, das durch seine selbst herrliche Beratung im nahen Schloß Vizille den Anstoß zur großen Revolution gab. Doch die Ursprünge des Palastes reichen auf Franz I. nnd gar aus Ludwig XI. zurück. Der schwarze Marmortisch, der bei der denkwürdigen Abstimmung in der Ständesitzung vom 14. Juni 1788 diente, ist nach dem Stadthaus verbracht worden, das ehemals dem Constable de Lesdignisrcs gehörte, und an das sich der Hühschc Stadt garten anschließt. Im Saale des Zivilgerichts bewundert man die prachtvollen gotischen Holzschnitzereien des deutschen Bildhauers Paul Jude aus dem Jahre 1520. Unweit vom Justizpalast befindet sich auch gas etwas prätentiöse Zentenardenkmal der Revolution, das die „Union deS troiS Ordres" versinnbildlicht. Von den Kirchen ist die halb romanisch, halb gotisch gebaute Notre-Tame weniger beachtenswert wie die Eglne Saint - Lauren: mit ihrer Krypta aus dem l>. Jahrhundert, sic als daS älteste erhaltene religiöse Bauwerk Frankreichs gilt; auch die 1220 errichtete Kirche Saint-Andre mit ihrem oktogonalen und von vier Glockentürmchen flankierten Spitzturm lohnt wegen des Grab denkmals Bahards «inen Besuch. Außer der üblichen Präfektur mit billiger Renaissancefassade, wie die Republik sie vielen Provinzstädten als einziges Geschenk an neuen staatlichen Gebäuden bescherte, verdient die mit dem Museum vereinigte Bibliothek als architektonisch bedeut samere Erinnerung an das zweite Empire Erwähnung: sowohl die Bildergalerie mit Fragonards, Watieaus und einigen guten Stichproben der italienischen, spanischen, flämischen und holländischen Schulen, wie die 190000 Nummern fassende Büchersammlung sind der Stolz der Stadt. Aber mit dieser kurzen Aufzählung sind wir am Ende. Die Cafes, das Theater, alle gesellschaft lichen Vcrcinigungsplätz: sind bescheiden, und das Leben ist trotz der Studentenschaft, die jugendliches Element in die Straßen bringt, nicht so bunt, wie in Alt-Heidelberg etwa — es gibt keine trink frohen Semester mit Couleurs, Korpshunden und Schmissen. Am meisten gefällt mir die Stadt in ihren Gärten auf den Bcrgabhängen; sie steigen empor bis jenseits der Forts, die Genoblc von zwei Seiten bekrönen, so der englisch angelegte Jardin de l'Jle-Verte mit einer unbeschreiblich schönen Aussicht auf die Bergkette der Belledonnc. Hinauf durch die Montse Chalemont, die an gewisse Treppengassen Neapels erinnert, am Fort Rabot vorbei, kommt man zur „Bastille" (483 Meters, der Citadellc Grenobles, von wo man einen großartigen Blick auf die Stadt, die Alpen und bis zum Montblanc genießt. Am Abhang des Fort Rabot hat die Militärverwaltung der Uni versität einen ausgedehnten Garten für die Erholung und Sportübungen der Studenten überlassen. Ein noch willkommeneres Geschenk machte der Staat der Universität mit dem nach dem Trennungsgesetz freigc- wordenen Bischofspalast nnd Seminar; die auf tausend angewachsene Zahl der ausländischen Studenten (zwei Drittel davon beteiligten sich am Ferienkursus) hatte die Erweiterung der Räumlichkeiten zur unum gänglichen Notwendigkeit gemacht. Aus der Seminarkapelle wurde ein Amphitheater mit 800 Platzen, und im vergangenen November wurde gleichzeitig mit den Nebenanstaltcn einer nationalen Papeterieschulc, eines geologischen Instituts und eines Instituts der Mpengeograplne das phonetische Institut für Ausländer feierlich eröffnet. Das Comits de Patronage des Etudiants Etrangers, dem Grenoble den Fremden zufluß verdankt, hat sehr richtig erkannt, daß jene Ausländer, die sich in einer französischen Universität einschreibcn ließen, in der .Hauptsache der Spracherlernung halber kamen; darum sorgte es dafür, daß ihnen ein hervorragender Konversationsunterricht geboten werden konnte. Tic Feinheiten der französischen Aussprache und die französischen Sprach- ieinhciten wurden zu einem besonderen wissenschaftlichen Zweig der Universität erhoben; der Unterrichtsminister gab die Ermächtigung, den Fremden, die erfolgreich dem Kursus beiwohnten, ein phonetisches Diplom auszustellcn. Das Programm dcr besonders stark besuchten Ferienkurse verteilt die ausländischen Studenten zunächst in Gruppen von je sechs, die unter Leitung eines Lehrers lesen; dann sieht es vor: Uebersetzungen resp. aus dem Deutschen, Englischen, Italienischen und Russischen: Phonetische Ucbnngen; Grammatik: Französische Aufsätze: Vorlesungen über die französische Literatur^ Politik, Handel, Geographie. Entsprechend dem Bildungsgrade hebt sich das Niveau der sehr reich lichen Auswahl von Vorlesungen: das französische Theater, die bildende Kunst, jede Kulturwissenschaft wird von hervorragenden Gelehrten mit so viel Ueberncht nnd System behandelt, daß z. B. Graf Posadowsky, der nach Abschluß seiner staatsmännischen Karriere für sechs Wochen kam, den ganzen Winter über blieb und sich sehr anerkennend über alle Lehr einrichtungen ausdrücktc. Das deutsche Element wiegt in Grenoble imnrer vor und ist, wie es scheint, besonders beliebt. Die 3000 deutschen Studierenden, die bisher aus der Universität eingeschrieben wurden, haben auch zumeist die angenehme und preiswürdigc Aufnahme, die sie in der Jsere-Stadt fanden, im besten Andenken behalten. Leider haben sie nur zu oft die Grenobler Bürger wegen ihres Wagemuts im Bcrgkraxeln in Besorgnisse gestürzt. Tic Alpenriesen im Tanphinä sind mit die gefährlichsten, die den Hochtouristen verlocken können. Nach einer liebenswürdigen Hochland» ichaft in der nächsten Umgebung Grenobles (Sappey mit dem berühmten Likörkloster der Chartreux, die nach Spanien auswandern mußten, Rachais, Saim-Nizier und andere Bcrglcin von 1000 Meter), nach der Kleinbahnfahrt durch das idyllisch dem romantischen Romanchetal vor gebettete Schwefelbad' Uriage, beginnt die Gletscherwelt, sobald man über das Höhendorf Bourg-d'Oisans hinaus und auf einer der höchsten Fahrstraßen Europas über La Grave nach dem Lautaret, mit den Ab zweigungen über den Galibierpaß (20>58 Meter) und über Brianqon, ge langt ist. Von dem Flecken La Börarde erklimmen Verwegene die Merje (3982 Meter), die Ecrins (4103 Meter) usw., die man mit der nötigen Führerkarawane und bei hervorragenden Qualitäten als Bergsteiger schon bezwingen kann, an die sich aber auch leider immer mehr Un berufene herauwagen, um nicht nur ihr eigenes Leben, sondern auch oft das der wackeren, zu Rettungskvlonnen herbeigeeilten Bergbewohner aufs Spiel zu setzen. Dabei kann jeder Tourist, wenn er will, im Wagen und Automobil, leicht die wundervollsten und unvergeßlichsten Aussichtspunkte in nächster Nähe der Meije erreichen; La Grave stelle ich beinahe noch über die Kleine Scheidegg und über den Montanvert, so überwältigend ist der Anblick des Mcije-GIctschcrs. Wenn die An strengungen des französischen Touringklubs und des Dauphins-Fremden Vereins einmal ihre volle Wirkung erreicht haben werden, dürfte Gre noble aus der provinzialen Universitätsstadt das reiche Interlaken der französischen Alpen werden. Berliner rNnsik. Berlin, im Januar. Verhältnismäßig lau setzte nach dcr willkommenen Weihnachts pause der zweite Teil dcr Saison cin. Was er uns bisher an nennens werten Vorgängen brachte, ist bald aufgczähll. Im sechsten Phil harmonischen Konzert feierte Isayc stürmische Triumphe. Er war so klug, sich ganz in den Grenzen seiner virtuosen und künstlerischen Eigenart zu halten. Nikisch brillierte mit des cspritvollen Franzosen „Zauberlehrling" und der immerhin seltener gespielten J-Moll-Sin- fonic (Nr. 4) von Tschaikowsky. Richard Strauß zeigte sich im jüngsten Sinfonielonzert der unvergleichlichen Kgl. Lapcllc als meße eleganter als temperamentvoller Brahms-Interpret (Sinfonie Nr. :l(. Auch Alexander Ritter und Max Schillings kamen in diesem Konzert zu Worte, ersterer mit seinem sinfonischen Walzer „Olafs Hochzeits reigen", letztgenannter mit dem „Erntefest und Moloch". Schil lings dirigierte selber am Abend zuvor das zweite Konzert des exzellenten Geigers Felix Berber, der sein (Schillings) neu ent- standenes Violinkonzert mit achtenswertem künstlerischen Erfolg zu: Uraufführung brachte. Das ausgedehnte dreisätzige Opus zeichnet sich in den beiden Ecksätzen durch geistvolle, reichlich kapriziöse Faktur au«'-. I Der Mittclsatz birgt eine breit ausgeführte, rdcl und tief empfundene I Kantilene, die trotz ihres Uebermaßcs an Länge eine starke Wirkung I ausübtc. Dem Solisten stellt Schillings eine zwar schwierige, aber I violinistisch interessante und dankbare Aufgabe. Bemerkenswert ist das I Geschick, mit dem das Soloinstrument dem sinfonisch behandelten I großen modernen Orchester gcgenübergestellt ist, ohne von diesem cr- I drückt zu werden. Berber übertraf sich mit dcr Wiedergabe der Novität I selbst. Der Zufall fügte cs, daß am gleichen Abend Siegmund I von Hanseggcr das Blüthner-Orchester dirigierte, nachdem er l bereits vor Weihnachten an derselben Stelle überzeugende Proben I seiner außergewöhnlichen Direktionsbefähigung geliefert hatte. Man l würde hier den Münchner Gast gern als ständigen Leiter der großen I Sinfonickonzcrtc des Blüthncr-Orchesters sehen. - Zu den bemerkens- I werten Begebenheiten zählt auch die erste Berliner Aufführung des Oratoriums „Von den Tageszeiten" von Friedrich I E. Koch, ein Werk, das draußen im Reich seinem Urheber schon oft- I mals zu Anerkennung und Ehren verhalfen hat. Tie hiesige, unter I der Leitung von Professor Georg Schumann vonstatten gc- I gangene Aufführung hatte unter allen möglichen ungünstigen Begleit- I crscheinungen zu leiden und wurde dem schätzenswerten Werke nicht in I allen Punkten gerecht. Der künstlerische Gesamteindruck war immer- I hin ein Achtung gebietender. — Im letzten StranSky-Konzert I kam ferner Paul Ertel mit dem klangvollen Vorspiel zu seiner I Oper „Gudrun" erfolgreich zu Worte. Aus der hier noch unbekannten I siebenten Sinfonie von Mahler führte Frind im fünften Konzert der I „Gesellschaft der Musikfreunde" die raffiniert konzipierte, effektvolle I zweite Nachtmusik vor. — Von weiteren Konzerten sei dcr Novitäten- I Liederabend von Wladimir Mctzl genannt, der den selber bc- i gleitenden Autor als einen gewandten, mit seinem Empsinden zum Teil I jedoch stark an der Oberfläche haftenden Tonsetzer von gewisser Eigen- I art zeigte. Ein anderer Novitätenabend war Klavier- und Lieder- I schöpfungen der russischen Komponisten Balakirew und Lia- I punow gewidmet. Julia Culps Kunst verhalf bier den nur zum I Teil lebhafter interessierenden Liedern zu freundlicher Anerkennung, I während dcr Pianist I. Wißmann die von ihm gespielten Klavier- I stücke nicht zu rechter Geltung zu bringen vermochte. Onni Aosiwors. * * Bau» Leipziger Ltatzttheater. Aus dem Bureau des Leipziger StadttheatrrS wird uns mitgeteilt: AIS nächste Neueinstudierung im Schauspiel bat die Direktion Grillparzers Trauerspiel „Sappho" gewählt. Die erste Aufführung ist für die zweite Hälfte deS Februar vorgesehen. k. Ter Kampf um den „Felvherrenhügel". Aus Wien schreibt man unS: Roda Roda, dein unermüdlichen Erzähler militärischer und orientalischer Schnurren und Schwänke, und seinem dramatischen Kompagnon Karl Rößler ist bei ihrem ersten dramatischen Versuche der glänzendste Erfolg zuteil ge worden, aber die ewig neidige nnd nörgelnde Zensur hat sie diesen Triumph nicht zur Neige anskosten lassen. Nach 10 erfolgreichen Aufführungen, denen der Kriegsminister und mehrere Mitglieder des kaiserlichen Hauses angewohnt batten, mußte „Dcr Felkherrenhügel" oder „Tie Sehnsucht nach dem Zylinder", diese köstliche Manöververstflage, vom Spielplane verschwinden. Ter Titel allein sagt schon, was dieses witzige Stück beinhaltet. Es erzählt be kanntlich die Leidensgeschichte eines Obersten, den cS nach den Freuden deS wohlverdienten Ruhestandes dürstet. Aber man läßt ihn nicht willig ziehen, da er noch sehr verwendbar ist. Er aber denkt sich in bezug auf den Dezernenten des Ministeriums: „Und bist du nicht willig, so braurb ich Gewalt" und patzt bet den Manöver» nur so darauf los. in dcr seligen E'w'artnna. nun doch den „blauer Bogen" zu bekommen. Ter Manöver- lommnndant findet jedoch in diesen vrrrwsiselten Anstrengungen, die Situation „umzuschmeißen" nur die Anwendung der Wwnbrlen japanischen Methode, nnd der Obersr fällt die Stufenleiter — hinauf. In dem Stücke agieren selbst verständlich Militärs aller Grade und Waffen und es fehlt nickt an ein wenig ins Karikaturistische gezogenen Gestalten. Aber es fand sich irgend eine Hof- versönlichleit, die sich an die Ausnahme wörtlicher Wendungen aus den ver- schiedenen Dienst- und Exerzierreglements in dem Text des Stückes und an die Verwendung erster Uniformen stieß, und plötzlich legte die Polizei den beiden Direktoren dec „Neuen Wiener Bübue", die, aus einem Variets hervorgeaangen, bloß eine Singspielhaklenkonzessiou besitzt, obwohl sie hochliterarische Stucke aus führt, nahe, aut weitere Ausführungen zn verzichten, da es sonst Schikanen wegen der Konzession geben könnte. Tie Autoren verlangten nun von der Bühne Schadenersatz unter Hinweis darauf, daß ein Verbot ja nickt erfolgt sei, und die Tirektoren wandten sich einerseits wegen der befürchteten Schaderersatz- ansprüche, anderseits aus Furcht vor Schikanen wegen der Konzession an das Polizeipräsidium — um ein förmliches AufführnngSvcrbot. Polizei, Gerichte und Advokaten — alles wurde in Bewegung geletzt, um die verschiedenen Staud- vunlte vor einer Verrückung zu bewahren, ia es fanden sogar Prolestversamm- langen dcr Schauspieler statt, da durch Absetzung deS Stückes viele Darsteller des personeurcichen Bühnenscherzes entlassen wurden — kurz Wien bat wieder eine Tbeatcrassäic, wie cs keine halte seit den Tagen, da Hauptmanns „Rose Bernd" über Auftrag einer müden Erzherzogin vöm Bnr.rtbeater verschwinden mußte, um einige Wecken später mit Hansi Niese in der Titelrolle am BolkS- thealer eine fröhliche Wiedcrauferstebung zu feiern. Rostands Pantomime. Aus Paris wird telegraphiert: Edmond Rostand hat der Direktion deS Porte-Saint-Martine-Theaters in Paris eine Pantomime übergeben, die noch in dieser Saison zweimal wöchentlich als Matinee mit Gnitry in der Hauptrolle dargestellt werden wird. Ausstellung im Kmlstpcrci» Leipzig. Neben den großen Kollektionen von Fritz Oßwald nnd Georg Santer haben die Ausstellungen einiger jüngerer Künstler im Kunstverein einen schweren Stand. Fritz Brändel ist cin Maler von weiträumigen Seelandschaften. Seine Bilder haben fast alle dasselbe Format, sie spiegeln alle dieselbe Stimmung wider nnd sie scheinen auch alle mit denselben farbigen Elementen aufgebaut. Eie sind alle nicht sehr differen ziert und ermangeln etwas der Vertiefung, der gerade dieses Thema fähig ist. Doch weis; Brändel ganz hübsche Bilder zn geben. Gewisse Stimmungen, unter denen die Farbe de§ MeereS einen merkwürdig Hellen grünen Ton aunimmt, weiß er ganz geschickt zu schildern, ebenso die mannigfachen Formen uud Farben dcr Wolken, die in der feuchten Atmosphäre des Meeres von so großem malerischen Reiz lind. Gerade hier scheint er sich am erfolgreichsten betätigen zu können. Leo Rautb begegneten wir schon öfters in Leipziger Kunstialons als Schöpfer graphischer Arbeiten, eine Anzahl von Bildnisstudien gibt diesmal einen Be griff von seinen! malerischen Können. Sie sind nicht gerade vollendet zu nennen, diele Porträts von eleganten Herren, die Ranth unS vorsührt, aber sicher recht geschickt gemacht, flott eingesetzt nnd gut bis in alle Details ver standen. Nur in der Farbe sind sie vielleicht etwas unausgeglichen nnd matt, wenn auch einzelne Bilder, wie der Herr in Uniform, überraschens gut und lebendig wirken. W. Feldmann bringt ein paar gut und tüchtig gemalte Landschaften, Alfred Bachmann eine Anzahl von ;em abgetönten Strand bildern, außerdem werden wir noch bekannt gemacht mit den Arbeiten zweier Zeichner, die sich mit der Illustration von Märchen beschäftigt haben. Albert Erbert hat WiedukindS Märchen mit hübschen BilLckeu geschmückt, ganz in dcr gemütvollen Art, wie eS etwa die Künstler von GerlachS Jugendbüchern gemacht haben; humorvolle Zierleisten mit Tierwotiven und größere Bildchen von guter Schwarz-Weiß-Wirkung „Vom Kinde, das in den Himmel wandern wollte und dergl. Die Arbeiten von Franz Arnold sind ganz ähnlich, vor allem manch hübsche landschaftliche Darstellung findet sich unter ihnen. 1>r. 3olmnnss Letüanerer. * Gnstav-Mahler-Feft in Mannheim. Man schreibt uns aus Mann- heim: Tas MannlieiiucrHoithrater-Orchester veranstaltet vom 13. bis 17. Mai in den Sälen deS Rosengartens cin großes Musik fest, das Gustav Mahler gewidmet ist. Am Sonntag, den lö. Mai, wird Mahler ein Beet- Hoven-Kouzert dirigieren, wo die VI. und V. Sinfonie zur Aufführung komme» sollen, am Montag, den 10. Mai, folgt alsdann unter Mitwirkung hervorragender Solisten eine Lieder-Matinee von ausschließlich Mablerscken Kompositionen lmit Orchester- und Klavierbegleitung! und am Dienstag, den 17. Mai, die Ausführung der 2. Mahlerschen Sinfonie für Soli, Chor und Orchester. Sämtliche Veranstaltungen stehen unter der Leitung Gustav Mahlers, der bei dieser Gelegenheit auch zum ersten Male seit seiner Wiener Tätigkeit wieder in einem deutschen Theater dirigieren wird. Tas Muülsest soll "nämlich am Freitag, Len 13. Mai, mit einer Meistersinger-Auf führung im Hoftheater unter MahlerS Direktion eingeleitet werden. * Ein neues Merk von Wilamowitz. Eine griechische Kulturgeschichte, die das innere Leben der Antike in seinen Zusammenhängen erklärt, ist ein Wunsch, dessen Erfüllung die Gelehrten schnsücklig erhoffen, den auch weite Kreise der Gebildeten feit langem hegen. Professor Ulrich von Wilamowitz- Möllendorf, der bereits in seiner in Professor Hiunebergs „Kultur der Gegen wart" erschienenen, genial angelegten griechischen Literaturgeschichte ein großartiges Bild von der dichterischen und geistigen Entwicklung des Hel lenentums geschaffen, bat nun nach langjähriger Arbeit ein Werk vollendet, das die Ergänzung zn seiner früheren Darstellung bilden soll. Diese „Kul turgeschichte Griechenlands" wird in Kürze erscheinen und bildet ebenfalls einen Band der großen von Prost Paul Hinneberg bei Teubner herausgc- gebcnen Wissenschafts-Enzyklopädie ..Die Kultur der Gegenwart". Das neue Werk des gefeierten Berliner Altertumsforschers umfaßt das gesamte Staats- uud Gesellscheistslcben von Alt-Hellas. * Arnöernng in ver Bahn des neuen Kometen. Sir Robert Ball und der Stab Ser Astronomen des Observatoriums von Camb ridgc haben, wie ein Telegramm meldet, eine plötzliche Aenderun g des Kurses des Kometen von Johannesburg festgestellt nnd verfolgen Liese mit großem Interesse. Der Schweif des Kometen wird auf eine Länge von 90 0000 Meilen geschätzt. — Aus eine Anfrage des „Lok.-Anz." teilt Direktor Arckenhold mit, daß eine Kursänderung des Kometen möglich nnd wahrscheinlich ist, denn auf jede Veränderung Les clelrrischen Zustandes der Sonne reagiert die Kometenmaterie. Tie angegebene Länge des Schweifes von nenn Millionen Meilen dürste niedrig geschätzt sein. Sie wird ungefähr 18 Millionen englische Meilen betragen. * Cin Preis für „Verkehr mit einem Planeten". Bon der franzö- fischen Akademie der Wissenschaften ist für das Jahr 1910 ein Preis für „Ver kehr mit einem Planeten" zu vergeben. Es ist dies, wie die „B. Z. a. Mitt." mitteilt, dcr Peter-Guzman-Preis von 100 000 Fr. Höhe, dem die Witwe GuzmanS dem ausgesetzt hat, der mit einem anderen Planeten als dem MarS — dcr MarS ist also „ausgeschlossen" — irgendeine Verständigung erzielt. Bis cS jemandem gelingt, düste Bedingung zn erfüllen, werden die Zinsen zum Kapital geschlagen, nm cann nach je fünf Jahren in Form anderer Preise für Fortschritte auf dem Gebiete der Astronomie verteilt zu werden. * Zeitschriften. „Die Schaubühne", Wochenschrift für die gesamten Interessen des Theaters, berausgegelen von Siegfried Jacobsobn, enthält in der vierten Nummer ihres sechsten Jahrgangs: Neues von Alten? Bon Julius Bab. — Eulenberg und Nivoire. Bon S. I. — Abschied von Schlenthrr. Von Stefan Großmann. — Schubert. Bon Arthur Kabane. — Simson. Von Herbert Eulenberg. — Berliner Zukunftsmusik. Von Fritz Jacobsohn. — Schutz. Bon Peter Altenberg. — Karl Kraus. Von Karl Adler. — Macbetb. Von Peter Günther. — Der Fall Roland. Von S. I. — Annahmen, llranfftihrnngen. Engagements. Nachrichten. Die Presse. — Die „Sckaubühne" erscheint im Verlag Erick Reiß, Berlin-Wefiend. * Kleine Chranik. Nietzsches philologischer Nachlaß erscheint dem nächst im Verlag von Alfred Krön er in Leipzig unter dem Titel „Ddiio- loeie»", Gedrucktes nnd llngedruckte- von Friedrick Nietzsche. Ta- Ganze ist auf Lrei Bände berechnet; der erste Bond wird im Februar auSgegrbcn. — Aus Altenburg wird unS gemeldet: Der Herzog bat dem tzofrat Richarf. dem Direktor des Stadttbeaters in Halle, die Große Goldene Medaille fttr Kunst und Wissenschaft verliehen. — „Der G. m. b. H.-Tenor" (vier Akte au- dem Leben eines Sängers) betitelt sich das neueüe Werk, daß der bekannte Schriftsteller Arthnr Lioplehit; soeben vollendet bat. — DaS „Berl. Tarcbl.st meldet: William Waner ist vom Direktor Gettke vom 1. September ab als stellvertretender Direktor und Lberreausenr des Hebbel-TveaterS ver pflichtet worden. Herr Waner ist augenblicklich Regisseur am Berliner Neue« Theater, wo sein Kontrakt mit Ende dieser Saison ablänst.
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