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3. Beilage Donnerstag, 27 Januar 11NV. Leipziger Tageblatt. Nr. 2« 104. Jahrgang. Mußestunden. Pension Gras LVa!devsee 34 s Roman von G. von Stokmans. :?tachdruck verboten.) „Und woher wußte man, daß cs gerade Moosturner war, welcher den Streich ausgesührt hatte?" „Man schloß es aus seiner Kühnheit und gewissen Anzeichen, die seine Tätigkeit fast immer 'begleiten. Er arbeitet auch nicht allein, sondern hat überall seine Spione und .Helfershelfer." „Offenbar ein geschickter und schlauer Mensch". meinte der .Hof prediger, „aber schließlich kommt doch einmal einer, der klüger ist als er, und man steckt ihn ein. In Brüssel haben sie jetzt auch einen ding fest gemacht, der in verschiedenen Winterkurorten als französischer Prinz auftrat und viel Unheil angerichtct haben soll." Edendorf, der mit dem Essen beschäftigt war, blickte von seinem Teller auf. „Kürzlich?" fragte er ruhig u'nd nachlässig. „Ja. gestern oder vorgestern. Meine Berliner Zeitung brachte heute früh die Nachricht. " „Wie hieß denn der Kerl?" „Das weiß ich wirklich nicht. Dergleichen hat für mich zu wenig Interesse." Nun mischte sich die junge Malerin in das Gespräch. „War der Name nicht Graf? — Daniel Graf? — Ich habe die Notiz auch gc- lesen." „Möglich. Wie gesagt, ich achte im allgemeinen auf dergleichen nicht. Nur soviel weiß ich, daß er an irgendeinem Ort der Riviera unter der Jcunesse doree eine große Nolle gespielt haben soll." Edendorf schien die Sache nicht mehr zu interessieren, aber Madame Bcruview schüttelte unwillig den Kopf. „Ich begreife nicht, wie eine so minderwertige und fragwürdige Persönlichkeit mit gebildeten Men schen wochenlang ihr Spiel treiben kann", sagte sie gereizt. „Es müssen doch immer Momente eintrcten. wo die Unechtheit zum Vorschein kommt und die innere Roheit sich verrät." Ter Sohn sah seine Mutter voll zärtlicher Verehrung an. „Es ist eben nicht jeder so klug und sensitiv wie du", sagte er lebhaft. „Hätte der schlimme Patron sich in deine Nähe gewagt, er wäre wohl schnell genug entlarvt worden." Die Malerin nickte. „ES war sogar eine bedeutende Belohnung auf seine Entdeckung gesetzt, eines großen Juwelendicbstahls wegen, den er verübt hat." „Wirklich? Und in Brüssel haben sie ihn gefaßt?" „Ja, ein geschickter Detektiv war seiner Spur bis dahin gefolgt." Edendorf lachte herzlich. „Gottlob, daß es noch solche Leute gibt", sagte er befriedigt. „Die Sherlock.Holmes sterben, wie mau sieht, nicht aus." Seine Stimmung wurde nun immer heiterer und mitteilsamer. Noch nie hatte man den Grafen so sprühend lebhaft und angeregt ge sehen. Er bildete den Mittelpunkt der ganzen Gesellschaft, und Madame Boruview strahlte im Bewußtsein, einen so klugen und reizenden Sohn zu besitzen. Um so schweigsamer und unliebenswürdiger erschien .Herr von Oberhof. Erika, die mit Frau Lotti, der Gräfin und anderen Pensionären au einem benachbarten Tische faß, beobachtete ihn mit einer gewissen Unruhe und Sorge, uud warf dabei auch dann und »vann einen Blick auf Fräulein Krapp iu deren stillem, gedrücktem Wesen sich seine Ver stimmung widerzuspicgeln schien. Ob sie die Ursache desselben war? Fast schien es so. Seit jener unerwarteten Begegnung am ersten Abend, welche für beide Teile offen bar eine peinliche Uerraschung war, zeigte Herr von Oberhof eine wachsende Ungleichheit und Unsicherheit in seinem Wesen, eine Art Ge reiztheit und Nervosität, welche sich nur schwer verbergen ließ. Fräu lein »rapp, der er geschickt aus dem Wege ging, und die sich ihrerseits nie allein an ihn heranwagte, schien wie eine Mahnung, ein lebendiger Vcrwurf auf ihn zu wirken, und Erika war überzeugt, daß es die Ver gangenheit war, die einen so sichtbaren Schatten auf ihr zufälliges Bei sammensein warf. Tas junge Mädchcn hatte seltsamerweise das Gefühl, als werde sie davon mitbctroffcn. Mitleid mit dem verschlossenen, einsamen Manne, der alles mit sich allein abmachen mußte, regte sich mächtig in ihrer Brust, und zugleich ein ganz ungerechtfertigter Groll gegen Fräulein Krapp, die, wie es schien, recht zur Unzeit noch einmal in der Pension aufgetaucht war. Immer wieder grübelte Erika über der Frage, welche Beziehungen zwischen den beiden bestanden hatten und noch bestehen mochten, und ohne sich dessen voll bewußt zu sein, starrte sie gedanken voll hinüber nach dem anderen Tisch, wo Edendorf eine so glänzende Nolle spielte und Oberhof wie der steinerne Gast zwischen ihrer Tante und der Schriftstellerin faß. Dann, mit einem Male geschah etwas, das sie absolut nicht begriff, und das sie erschreckt zusammenfahren ließ, wie ein Schuß, der unver mutet in nächster Nähe eines Menschen abgegeben wird. Zwei fremde Herren, welche, wie sie, die Sammlungen im Schloß betrachtet hatten, erschienen auf der Bildfläche, sahen sich nach einem freien Tische um, und schritten auf den schattigen Platz zu, auf welchem Oberhof mit der übrigen Gesellschaft saß. In demselben Augenblick sprang der alte Herr, der sie von weitem hcrankommen sah, ganz un vermittelt auf, wandte sich blitzschnell um. und verschwand ohne ein Wort der Erklärung und Entschuldigung unter den Bäumen des Parkes. Die Fremden bekamen nur seinen Rücken zu sehen. Erstaunt und be stürzt blickten die Pensionäre ihm nach und Erika hörte deutlich, wie der Gras laut lachend sagte: „Donnerwetter, weshalb ergreift Herr von Oberhof die Flucht? Sollte der am Ende auch ein Hochstapler sein?" Der Hofprediger lächelte befangen. „Herr von Oberhof hat jeden falls kein ganz gutes Gewissen", sagte er zögernd. „Daß er von den beiden nicht erkannt sein wollte, liegt auf der Hand." - Man quittierte mit einem verlegenen Lächeln über den Scherz, aber ein lebhaftes Befremden blieb zurück, und Frau Rother-Gemund sah sich veranlaßt, für den Abwesenden eine Lanze zu brechen. „Nun", meinte sie, „der alte Junggeselle ist eben ein Sonderling. Vielleicht graute ihm davor, seine Freunde oder Verwandten hier mit uns allen bekannt zu machen, vielleicht gehören sie zu denen, die auf Reisen höchst unbequem sind und Ansprüche machen, die man nicht er füllen kann und will. Jedenfalls war seine Bewegung eine ganz impulsive und er wird sie uns nachher gewiß erklären." Indessen nichts dergleichen geschah. AIS man zur festgesetzten Zeit die Wagen bestieg, um heimzufahren, zeigte es sich, daß Herr von Ober hof immer noch fehlte, und man beunruhigte sich über seinen Ve.bleib. Dann erzählte einer der Kutscher, der alte Herr in dem grauen Anzug habe sich nach 'dem kürzesten Fußweg erkundigt, der von Favorite nack Baden-Baden führe, und diesen auch sofort eingeschlagen. Man brauchte also nicht mehr auf ihn zu warten und fuhr über Oos in die Pension zurück. Dabei wußte der Graf es mit großem Geschick so cinzurichtcn, daß er mit Frau Lotti allein im letzten Wagen saß, und die junge Witwe, welche während des Aufenthaltes im Schloß und Park vergeblich ver sucht hatte, in seine Näbe zu kommen, wurde nun durch dieses ungestörte Zusammensein, diese herrliche Fahrt durch den dämmernden Sommer abend reichlich entschädigt. Die Anwesenheit des Kutschers legte ihnen ja eine gewisse Zurückhaltung auf, im Grunde fühlten sie sich aber schon ganz als Brautpaar, und Gras Edendorf gab der reizenden Frau deut lich zu verstehen, daß nur die Rücksicht auf seine Mutter ihn verhindere, jetzt schon frei und offen mit seiner Bewerbung hervorzutreten. Sie begriff sein Zögern und gestand ihm errötend, daß das Geheimnisvolle sogar einen gewissen Reiz für sie habe. Ein verschwiegenes Glück sei gewissermaßen ein doppeltes Glück, und wenn auch bei den jungen Mädchen der guten Gesellschaft erst die öffentliche Verlobung ihnen eine Gewähr für die Zukunft und die Berechtigung gäbe, ihre eigenen Ge fühle unverhüllt zu zeigen, so sei dies bei einer selbständigen jungen Frau, welche das Leben kenne, doch ganz etwas anderes. Sie ihrerseits vertraue ihm vollkommen und sei gern bereit, ihm und sich selbst die von kindlicher Pietät vorgeschriebene Wartezeit bis zu einem gewissen Grade zu versüßen. Erika beschlich unterwegs ein quälendes, lähmendes Gefühl. Ober hof war in den letzten Tagen nicht nur nervös und verstimmt gewesen, er hatte sich ihr gegenüber auch in Widersprüche verwickelt, und nun kam die Szene im Park von Favorite dazu, um sie zu verwirren und sein wachsendes Schuldregister nochmals zu belasten. Sein auffälliges, formloses Betragen angesichts der ganzen Pension stimmte so gar nicht mit seiner vornehmen Denkungsweise und guten Erziehung überein, und sie suchte nach Gründen, um es zu begreifen und zu entschuldigen. Aber sie fand sie nicht. Nur so viel vermochte sie mit dem feinen In stinkt des Weibes zu ahnen, daß er vor einer Art von Krisis stand und innerlich im Kampf lag mit sich und der ganzen Welt. Das schmerzte sie. und als sie an diesem Abend zu Bett ging, klopfte ihr Herz unruhig und laut. Dann kam die stille Nacht mit ihrem verborgenen, segensreichen Walten. Sie befreite im Schlummer die Geister der Wahrheit und Er kenntnis, welche am Tage gebunden unter der Schwelle des Bewußt seins lagen, und brachte ihr einen merkwürdigen Traum, der sic bc- glückte und auch im wachen Zustande noch lange in ihr nachwirktc wie ein bedeutungsvolles, wichtiges.Ereignis, bas ihrem Wünschen und Wollen ganz neue, lichte Bahnen wies. (Fortsetzung folgt.) (Auf Wunsch wirb der Anfang dieses Roman- neu hinzutrekendea Abonnenten kostenlos nachgeliefert.) ctss lcksusss Ksumungs-Ves-Ksuk äss ssssammtsn WarsnIsAkrs: 60s1ke8tr. 1 l^uxu8tu8platr) könixl. LLeks. Hoflieferant. Herroxi. eilend. Hoflieferant. Wlobslslsttv, Lsnüsnsn, Vvoksn, Vi'isnlslisvks LÄvkvi'vivn- vsr kads.1t suk äis üdlieksn VerlraukspreiZö bsträsst bi8 ru 30 Verkauf nur §e§en Larratüunx. Vmtau8ek unä ^U8nakl86näun§en können nickt 8tattünäsn.