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Leipziger Tageblatt und Handelszeitung : 30.01.1909
- Erscheinungsdatum
- 1909-01-30
- Sprache
- Deutsch
- Vorlage
- SLUB Dresden
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id84535308X-190901304
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id84535308X-19090130
- OAI
- oai:de:slub-dresden:db:id-84535308X-19090130
- Sammlungen
- Saxonica
- LDP: Zeitungen
- Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
-
Zeitung
Leipziger Tageblatt und Handelszeitung
-
Jahr
1909
-
Monat
1909-01
- Tag 1909-01-30
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Monat
1909-01
-
Jahr
1909
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8, Beilage Touuabend, 3V. Januar IvttS. Leipziger Tageblatt. Nr. S». ISS. Jahrgang. Feuilleton. Die Well ist eine Glocke, die einen Riß hat: sie klappert, aber klingt nicht. Goethe. * wiener und Berliner Luxus. Bon Rudolph Lothar (Berlin). Im Deutschen Reichstag hat unlängst Fürst Bülow die mittleren und höheren Stände ernstlich ermahnt, den überflüssigen Luxus ein- zujchränten. »Wohlleben und Luxus sind ein gesellschaftlicher Zwang geworden. Die ge>elljchafttichen Beziehungen zwingen viele zu einem Luxus, den sie gar nicht leisten können. Die gejellichaftliche Schätzung ist eine Frage des Luxus, des Geldes geworden." Kurze Zeit darauf las ich in einem Wiener Blatt die geistvollen Ausführungen eines welt kundigen Feuilletonisten, der die warnende Geste des Reichskanzlers für Wien wiederholte. Es kann darüber kein Zweifel bestehen, datz Wien unter seinem Luxus ebenso leidet wie Berlin, wenn das auch gewitz ein lustiges Leiden ist. Aber der Wiener Luxus ist vom Berliner Luxus gründlich verschieden. Man hat eben rn jeder großen Stadt eine andere Technik, das Geld auszugeben, und wenn die Dukaten zum Fenster hinausfliegen, so führen sie in jeder Kapitale einen anderen Danz in der Luft aus. Aber sie fliegen. Und das ist di- Hauptsache. Es gibt zweierlei Luxus. Einen für sich und einen für die andern. Und da haben wir gleich den Unterschied zwischen Wien und Berlin. Der Wiener treibt Luxus, um sich ein Vergnügen zu machen, der Ber liner, um seinen Zeitgenossen zu imponieren. Der Wiener Luxus wurzelt mehr oder minder, doch stets in den primitiven Gründen des „Aushaun" und des „Drahn". Und das Drahn wiederum schöpft seine Motive aus der Lust am Rausche, am Vergessen der Nichtigkeiten des Alltags, aus dem Flugbedürfnis des einzelnen, sich in jene Regionen zu erheben, wo klingende Geigen im Blauen hängen. Dazu kommt noch eine liebenswürdig-gutmütige Dosis Eitelkeit. Von dieser Dosis leben die teuren Modewarengeschäfte, die Juweliere, die Verkäufer aller Kost barkeiten und Ueberflüssigkeiten, mit denen der Kulturmensch seine linkere Erscheinung verziert. Ganz anders liegen die Dinge »n Berlin. Man treibt hier nicht Luxus, weil der einzelne vergnügungssüchtig ist und von Himmelsahrten in die Höhen des Genusses träumt. Auch die Eitelkeit spielt hier eine weit geringere Rolle als an der Donau. Der Deutsche ist nicht eitel. Tas ist erne Tugend, die allerdings bis vor kurzem dazu beigetragen hat. datz die Witzblätter der bewohnten Erde sich über das Aussehen des Durchschnittsdeutschen und seiner Gefährtin unaufhörlich lustig machen konnten. Der Berliner Luxus entspringt dem Bedürfnis, zu imponieren. Das zeigt sich schon in der Art, wie der Berliner sein Haus verziert, wie er die Fassade der Häuser prunkvoll überlädt. Jedes einzelne Haus scheint rufen zu wollen: Sieh mich an, wie reich ich bin! Und das ist das Motto des Berliner Luxus über haupt. Man gibt Feste, man reist mitten im Winter in die kostspielig sten Orte, nicht zu eigenem Vergnügen, sondern um dem Nachbar einen möglichst guten Begriff von den eigenen Finanzen beizubringen. So ist der Berliner Luxus nach und nach aus einer Einzelleistung zu einer Massenerscheinung emporgewachsen. Sein beliebtestes Ausdrucksmittel ist das Abendessen. In den »rotzen Soupers konzentriert sich der heutige Luxus des Berliners. Um solche Feste zu ermöglichen, spart und darbt ein Haushalt wochenlang, legt sich eine Familie die größten Opfer und Entbehrungen auf. In keinem mittleren Wiener Bürgerhaus wird jahraus, jahrein so schlecht und ärmlich gegessen, wie in höheren Ständen Berlins, die aut diese Weise die Mittel zu einer glanzvollen Fete zulammensparen. Und warum? Weil die Bekannten L und N eine prunkvolle Soiree veranstaltet haben und weil man doch nicht hinter L und N zurückstcben darf, sondern sie um jeden Preis über treffen mutz. Aus diesem Wettlauf um die gesellschaftliche Anerkennung eines stanckarck ok Uso, der nicht vorhanden ist, sondern nur vorgetäuscht wird, entspringt der verderbliche Luxus, der wie ein böses Gift an dem Lande zehrt. Von dem Luxus einer Berliner Abendtasel macht man sich »n Wien gar keine Vorstellung. Daß das Essen zu Hause bereitet wird, kommt nur mehr bei kleinen Leuten vor und hört sogar schon in den unteren Schichten der besseren Kreise (wenn man sich so ausdrücken darf) all mählich auf. Das Essen ist fertig beim Stadtkoch bestellt. Und so ein Berliner Stadtkoch bat ein Bureau wie ein Minister, ist ein eleganter und vornehmer Mann mit den besten Manieren. In seinem Arbeits kabinett erinnert nichts an Küche und Restaurant. Man fühlt sich wie bei einem Grotzkausmann, und die Hausfrau, die hier ihre Bestellung macht, debattiert mit dem Ehef über kulinarische Taktik und gastro nomische Strategie des Menns mit der Gründlichkeit des raffiniertesten Geschmackes. 6 das Kuvert ist bescheiden, 10 .E ganz nett, und dann kommen Phantasiepreise. Diners zu 30 und 50 tl pro Kuvert sind gar keine Seltenheit: natürlich sind die Weine nicht mit inbegriffen. Pünktlich zur festgesetzten Stunde kommt dann der Wagen des Stadt kochs angefahren: der Koch richtet sich in dem fremden Hause wohnlich ein und die Alltagsköchin legt bewundernd die Hände in den Schotz. Aber wenn es sich nur um das Esten handelte! Das Decken der Tafel kostet ost mehr als dos ganze Menü: denn Blumen sind <l<- rixuerir, und kostbare Blumen müssen es sein. Das Tischtuch ist mit Blumen bedeckt, arotze Blumenarrangements verhindern, datz man sein Gegenüber zu Gesicht bekommt. Von dem, was ein Berliner Haus, das repräsen tieren will, in einem Winter an Blumen für Tafelschmuck ausgibt, könnte ein österreichischer Hofrat mit Weib und Kind ein ganzes Jahr vortrefflich leben. Natürlich wird überall, wo man nur etwas auf sich hält, Sekt getrunken. Der billige und gute d^ttsche Sekt chat die Freude am Champagner in Deutschland popularisiert. Er hat das typische Luxusgetränk auch jenen Kreisen ver- mittelt, die in Oesterreich vom Champagner nur träumen und im Eiskübel, der die Flasche mit dem Silberhals birgt, ein Symbol des Reichtums sehen. Mit dem billigen Sekt fängt man hier an und zum teuren schreitet man langsam vor. Man trinkt französischen Cham pagner nicht, weil die Marke einem besser mundet als die deutsche Märke, sondern weil der Nachbar Weitz, datz sie teurer ist. Ja, so komisch es klingen mag: der Berliner trinkt sehr oft Sekt nicht zum eigenen Vergnügen, sondern nur weil er zeigen will, datz er Sekt trinkt. In Wien ist der Sekt Alltagsgetränk, oder besser gesagt Allnachtsgetränk, nur in gewissen Champagnerlokalen, die man pour la dorms bouosio nach dem Theater und nach dem Souper besucht. Wenn man in Berlin durch ein elegantes Restaurant zur Dinerstunde geht, sieht man fast mehr Sektflaschen bereit stehen als Rot- und Weitzweinflaschen. Es ist von hoher und höchster Stelle wiederholt schon gegen die Verschwendung in Sekt gewettert worden, aber nichts hält diese schäumende und perlende Flut auf. Und ihr Vorstürmcn in immer weitere Kreise ist kennzeich nend für das Ueberhandnehmcn des Luxus, dem der glänzende Schein alles ist. Der silberne Flaschenhals, der scheint gar zu verlockend! Die Bequemlichkeit ist eines der beliebtesten Ködermittel des Luxus teufels. Ter Stadtkoch, der selbstverständlich Telephon hat, ist doch gar zu beguem! Man bekommt unvermutet Gäste, man klingelt an, be- stellt Schüsseln und Gerichte so viel man will, und eine Stunde später ist der Tisch parat. Ist daS nicht herrlich? Herrlich und kostspielig. Und das Geschlecht der guten Köchinnen, ein Geschlecht, auf das die beiden Hälften der Doppelmonarchre am Donaustrand mit gleichem Rechte stolz sind, stirbt hier in Berlin langsam und sicher aus. Denn für Feste und Gäste hat man die Stadtküche oder, wie man im Vor märz zu sagen pflegte, den Traiteur, und für den Alltag ist eben alles gut genug. Der Alltag mutz billig sein. Nirgends wohnen die Gegen- fätze der Küche so bart nebeneinander, wie in Berlin. Das Allerbeste und Allerfeinstc vor den Leuten, und das Geschmackloseste und Minder wertigste, wenn man allein ist. Der Wiener hatte lange ein Symbol für die Verschwendung, und das war der Fiaker. Nun hat auch der Berliner ein Luxusfuhrwerk, und das ist das Auto. Auch hier ist die Bequemlichkeit der verführerische kleine Teufel gewesen. Man erspart mit dem Auto so wunderbar viel Zeit! Und langsam wird aus diesem Zeitersvaren ein Luxusbedürfnis. Die Ausgaben für das Auto beginnen im Leben des modernen Ber liners dieselbe Rolle zu svielen, wie die Kosten des Fiakers für den mondänen Wiener von gestern. Und die Parallele ist so treffend, datz sie da und dort zur selben Phrase führte. „Er fährt im Auto" hat hier genau denselben luxuriösenNebensinn. wie „er fährt im Fiaker" in Wien. Der Fiaker war berühmt durch sein schnelles Fahren, aber trotz dem fuhr er, besonders an schönen Frühlingstagen und in der Haupt allee deS PraterS, nicht so schnell, datz man seine Insassen nicht hätte anstaunen und bewundern können. Und der Weltmann und die Welt- krau legten Wert darauf, so elegant, so schick, so schön als möglich zu er scheinen. Wo immer man den Wiener LuruS anpackt, er führt zur EinzAleistunq. Im Auto fährt man zu schnell, um deutlich gesehen werden zu können. Die Tatsache genügt. Und sie fügt sich zu dem Bilde. daS , hier jetzt gern vor der Mitwelt posiert. Es ist das Bild des eiligen, weil mit Geschäften überhäuften ManneS, dem die Geschäfte immer mehr und mehr Geld tragen, wie der Sekt beweist, den er trinkt, uni seinen Durst zu löschen, wie die Feste beweisen, die er gibt. Diesem Bilde dient der ganze Berliner Luxus, ihm bringt man die ungeheuer- sten Opfer. In Wien bewundert man den Mann, der nichts tut und nichts zu tun braucht. Der Mütziggang ist gleichsam eine Vorbedingung des Luxus. In Berlin bewundert man den Jleih, die Rastlosigkeit, die Unermüdlichkeit. Und man arbeitet weit über seine Kräfte, weil man weit über sein Vermögen ausgibl. Man schlägt ein Lebenstempo ein, wie es in Wien undenkbar wäre. Man ruiniert sich, um der Welt zu zeigen, wie reich man ist. Und der Luxusteufel, der diesen Witz erfand, lacht sich ins Fäustchen. Richard Wagner als Verkündiger -er deutschen Ttnlturidealr. Im Kammermusiksaal des Zentraltheaters sprach gestern zugunsten der Richard-Wagner-Stivendien-Stiftung Herr Geheimer Hofrat Prof. Dr. Henry Thode, der, auf dem Gebiete der Kunstwissenschaft ein Gelehrter von Ansehen, i,, verwandtschaftlichen Beziehungen zum Hause Wahnfried steht. „Hört ihr den Ruf? Nun danket Gott, datz ihr be rufen, ihn zu hören." Diesen Beginn der Wagnerschen „Parsifal"-Dich- tung stellte Herr Geheimrat Thode an den Anfang seiner Darlegungen und sprach dann zunächst von den Empfindungen, mit denen wohl Fest spielbesucher von dem Hügel, auf dem das Bayreuther Bühnenfestspielhaus steht, herabschreiten zur Stadt. Das eigentliche Thema seines Vortrages berührend, wies der Redner weiter darauf hin, wie Richard Wagner schon in den Tagen seines ersten Schweizer Aufenthaltes die Frage nach einer deutschen Kultur aufgeworfen hat. Und er erkannte mit schmerzlichstem Bedauern, datz zwar von der Tatsache einer französischen und einer eng- lischenKultur gesprochen werden könne, und datz sich vor allem die italienische Renaissancezeit als eine Zeit wahrer Kultur darstelle, datz aber dem deut- schen Volke eine solche versagt geblieben sei. Der Dreißigjährige Krieg verhinderte, datz kulturweckenoe Ideen, die aus dem Süden herauforangen, wirksam wurden. Von der Schrift „Kunst und Revolution" an, die 1850 erschien, bis in seine letzten Lebensjahre, da er in den „Bayreuther Blät- lern" das Verhältnis zwischen Kunst und Leben erörterte, hat Wagner für die Heraufführung einer deutschen Kultur gekämpft und deren Ideal, so wie er es erschaute, verkündigt. Gerade das deutsche Volk schien ihm zu hoher Kulturaufgabe berufen, schien ihm geradezu befähigt, „Beredter anderer Völker zu sein", unter Anknüpfung an jene Kulturideen, die in des 18. Jahrhunderts zweiter Hälfte durch große deutsche Dichter und Denker, durch Herder, Goethe, Schiller u. a. vertreten worden sind. Die Fähigkeit des deutschen Volkes zum Kulturbringer sah Wagner vor allem in drei Eigenschaften der Deutschen: in ihrem starken sittlichen Grundtrieb, in der ihnen innewohnenden Kraft uneigen nütziger Hingebung und in ihrem treuen Festhalten am Ileberlieferten. Diese Eigenschaften sind ins Feld zu führen gegen alles, was un deutsch ist, gegen Frivolität der Lebens, und Kunstäutzer- ung, gegen blotze Nützlichkeitstendenz und gegen die Sucht nach dem Neuen. Ter Kampf kann freilich nur dann erfolgreich enden und eine deutsche Kultur gewinnen helfen, wenn es zugleich gelingt, deutsche Schwächen zu überwinden: jenes gewisse, uns Deutschen im Blute liegende Phlegma, die üble Ucberschätzung des Fremden, auch seichten Optimismus und das Sichgenügenlassen am Mittelmäßigen. Für Wagner konnte Zivilisation und Kultur unmöglich identisch sein. Eher erachtete er jene als Feind für diese. Als Aufgabe der Kul tur bezeichnet Wagner die Herbeiführung einer Harmonie zwischen dem Rein-Menschlichen und dem Ewig-Natürlichen. DaS Rein-Menschliche ist das vom Konventionellen freigewordene Bewußt- Geistige, das Ewig-Natürliche aber ist das Unbewußte, Sinnliche, die Kraft des zeugenden Lebensdranges. Tie Harmonie zwischen beiden wird nach Wagner nur in jener Liebe, die Aufhebung des Egoismus bedeutet, erreicht. Die Liebe ist die Mittlerin zwischen Kraft und Frei- heit. Durch die Sehnsucht nach freiem Menschentum wird daS Streben nach Gemeinsamkeit bedingt. Wir müssen „Volk" werden — Volk ist der Inbegriff aller, die eine gemeinsame Not empfinden. Und Grundlage aller Gemeinsamkeit waren für Wagner Religion und Kun st. Schon diejenige seiner Schriften, die diesen Titel führt, schließt mit dem Postu lat: JesuS und Apollo. Den Begriff der Religion hat Wagner dann später noch näher definiert: ihr Wesen ist der Glaube, die Ueberzeugung von der moralischen Bedeutung der Welt. Das Dogma indes ist nur die Ucbertragung eine» an sich Unaussprechlichen in die VcrstandeSsprache, Deshalb brauchen auch Einwendungen gegen das Dogmatische längst nicht da» Wesen der Religion zu-treffen, und gebt man tief genug, so schwin det jeder etwaige WidSrspruch zwischen Religion und Wissenschaft. Als wahre Religion erkennt Wagner einzig das Christentum an, das wahre Christentum, das innerlich erfaßt, zu seelischem Erlebnis geworden ist und das uns dann das Bewußtsein von der Einheit alles Lebens gewährt. Demgemäß wird die höchste Aufgabe der Kunst sein, ihre Ideale aus der religiösen Weltanschauung zu gewinnen, oft auch wird sie in ihren Kundgebungen dem Gefühl das deutlicher machen, was das Dogma nur unvollkommen auszudrücken vermag. Enthüllerin des Kernes der religiösen Wahrheit im allegorischen Bilde, anschauliche Vermittlerin der liefern Erkenntnis vom Wesen der Welt, wie Osfenbarerin des Rein- Menschlichen — alles dies kann die Kunst werden, alles dies kann Ziel des Künstlers sein. Betrachtet man Wagners eigene große Werke, so zeigt sich an jedem schon, was auch sonst sie scheiden mag, die Idee der Liebe, die sich selbst entäußert und die Erlösungsidee. Und mehr und mehr ist darin die Versöhnung des Rein-Menschlichen mit dem Ewig-Natürlichen angestrebt. Das Kulturideal, das Wagner verkündete, mag, weil es eben ein Ideal ist, nie auf volle Realisierung zu hoffen haben. Deshalb kann cs doch Kraft ausüben auf das Leben der Gesamtheit wie des einzelnen. Ein jeder kann in seinem Innern einen Gralstcmpel errichten. Und wenn er dann hinaustritt in die Welt, wird diese ihm anders erscheinen, Heller und heiterer, und er wird Dingen auf den Grund sehen, die ihn bisher verwirrten. Zu solcher inneren Läuterung mahnt auch der Weck- ruf im „Parsifal", mit dem Herr Geheimrat Thode seinen Vortrag be schloß, wie er ihn damit begonnen hatte. Starker Beifall des gutbesuchten Saales dankte dem Redner für seine gedankenreichen, zugleich warm und lebendig gegebenen Aus führungen. k'. VV. * Berliner Theater. Unser Berliner Korrespondent schreibt uns: Karl von Levetzows Tragödie „Der Bogen des Philoktet", über deren Premiere im Berliner Theater hier schon telegraphisch berichtet wurde, ist eine beachtenswerte Talentprobc. Es ist ein Werk voll herber Schön heit, schlicht in der Anlage, kräftig in der Sprache. Der erste Akt zeigt rein-dichterische Momente, der zweite viel Artistisches, der dritte eine gute Mischung des Dichterisch-Artistischen. Manche Breiten freilich schädigen die Arbeit, manche Banalitäten, wie das drei- oder viermalige Hintereinandersetzen ein und desselben Wortes trüben den Eindruck, im ganzen aber ist diese Philoktet-Tragödie das Werk eines selbständigen Kopfes. Man Weitz, was die Sage von Philoktet erzählt, Weitz, wie Sophokles den Stoff gewandelt hat. Levetzow nun führt uns auf Lemnos vor die Felsenhöhle des Heraklesbruders, den hier Odysseus einst aus- gesetzt hat. Zehn Jahre schon klagt er hier einem Faun und einer Syrinx sein Leid, zehn Jahre schon erwartet er, der den Bogen des Herakles, dieses teure Vermächtnis, hütet, >eine Erlösung. In zwischen kommen die Griechen von Troja her. Odysseus, der Listige, führt Neoptolemos mit, des Herakles Sohn, der hier seine Tat vollsührcn soll. Denn Troja fällt um, — so verkünden die Götter — wenn Neop- tolem den Bogen des Philoktet erwirbt. Und Neoptolem sollK>em kranken Bruder seines Vaters mit der List des Odysseus krönen, soll Worte sprechen, die ihm auf den Schiffen einstudiert wurden. Da Neoptolem aber, den Faun von Syrinx schrecken, die Worte vergißt, bedeutet ihm der Jtbakerkönig, datz Philoktet seinen Bruder Herakles getötet habe. Nun schwankt Neoptolem nicht mehr; er will den Bogen rauben. Wie aber Philoktet erscheint, zaudert der schöne Gricchenknabe doch. Und Philoktet erkennt in ihm den Sohn seines Bruders, den er von dem Gift des Nessos erlöst habe, mit dem ihm Deianira, die Königin, zu Tode quälen wollte. Und wahrend Philoktet dem Griechenknaben die Göttlich keit des Herakles offenbart, kommt der Schmerz über den Kranken, der selbst von dem Gifte des Nessos getränkt ist, und der Bogen entfällt seinen Händen. Schon stürmen die Griechen heran, Neoptolemos anstehend, den Bogen Philoktets zu rauben. Neoptolem aber ruft Philoktet, bis der Krank« erwacht und den Bogen spannt, seine Pfeile gegen Odysseus und dessen Begleiter richtend. Und wieder ruft Neoptolem und aus feinen Rufen fühlt Philoktet die Stimme des Herakles. Er lätzt den Bogen sinken und schenkt dann den Bogen Neoptolem, damit er seine Tat — den Fall Troias — vollende. Und wie die Griechen von dannen ziehen, stürzt sich Philoktet, der nun das Gift der Hydra in sich ertötet fühlt, von seinem Lemnosfelsen ins Meer. ... v. * LntzerMa««» „Katzenfte," als Mnftktzram«. Iran Renouard hat den Roman „Ter Kotzenneg" von Hermann Sudermann zu einem Libretto für ein zweiaktige- Musikdrama verarbeitet, dem er den Titel „l-o moulin sileoeieui" gab. Der französische Komponist Gallois. der im voriaen Jadre mit dem Romprei» au-gezeichnet wurde, hat die Musik zu diesem Libretto geschrieben. Maa darf aus diese dramatstch-mustkalisch« Umgestaltung de» viel- gelesenen Roman» jedenfall» sehr gespannt sein. * Et« unbekanntes Fragment Lskar Wtltze». Ein noch unbekanntes I Fragment vou Oskar Wilde — „La Sainte Conrttiane oder das We b mit den I Edelfieinen" — wird daS in Le» nächsten Tagen erscheinende erne Heit der I neuen Theater-Zeiischrist „Die deutsche Bühne" zum ersten Male veröffentlichen. I Tie „Sainte Courlisane", die ihrer engen Beziehungen zur „Salome" wegen I ein besondere» literarische» Interesse beansprucht, hat Dr. Max Meyerseld üder- I setzt und eingelritet. * „Salome" bet Hammerstein. Aus New Hort wird uns gemeldet: I Die Premiere der „Salome" von Richard Straug in der Manhaitanover I HammersteinS hatte großen Erfolg. Die Tstelrolle wurde von Mary Harden > gespielt. * Bam König-Georg-Denkmal für Dresden. Gegenüber den nicht I zur Ruhe kommenden Meldungen über den Ausfall der engeren Nonkurren; I zwischen den Professoren Wrba und Sefiner, deren Modelle schon seit Monaten I ins Ständebaus abgelstfert worden sind, baden wir schon unter Lein 8. d. M. I unseren Lesern mitgeteilt, daß da- Komitee zugunsten Wrbas entschieden hat. I ES scheinen demnach doch noch Bedenken besonderer Art vorbanden zu sein, I da das Komitee noch immer nicht seine Entscheidung verössentlicht. Man I darf wohl auf den Ausgang dieser Angelegenheit gespannt jein. " Versteigerung hervorragender Menzel. Man schreibt uns au? I Berlin: Im Kunstaukuonshauie Rudolf Lepke findet am 17. Februar die Ver- I sleigerung einer bedeutenden Men zel-Kolleition halt. Wie man uns mitleilt, I umfaßt die!« Serie mebr als sechzig Originalradierungen und Litho- ! grapvien des Meisters und vor allem fein berühmtes Militärwerk, Las aus I drei Bänden besteht und 450 vom Künstler selbst kolorierte Steinzeichnungen I enthält. Menzels Mrliiärwerk ist eine der größten Raritäten des Runiiiammel- I Werks. Es wurde nur in dreißig Exemplaren e:iert und kam bisher nur I selten auf dem Kunslmarkt vor. In Berlin selbst hat man daS Werk noch I nicht auf den Auklionen angetrossen. Hingegen hat Ler Geheimrat I Lessing, der verstorbene Direktor Les Berliner Kunst lewerbemusenmS, ein Exemplar I dieser Rarität vor einigen Jahren in Paris sür den Spottpreis von etwa I 7000 Ar. erworben. DaS nun in Berlin zur Versteigerung komniei.L' Militär- werk Menzels stammt aus dem Besitz deS kürzlich dahingeschiedenen Berliner Malers Professor Fritz Werner, der es seinerzeit von Menzel, seiuem intimen Freunde, zum Geschenk erhallen hatte. Uebrigens wird auch am 16. Februar, also einen Tag vorher, bei Lepke neben anderen Meister bildern von Le n b a ä>, Gallegos. Salinas ein sehr schönes O-lbild von Menzel versteigert. Und am 9. Februar gelangt in dem genannten Berliner Kunsiauktionshause eine Sammlung von wertvollen Miniaturen aus Wiener Privatbesitz zum Ausgebot. In dieser Serie sind u. a. Stücke von hervor- ragender Schönbeit. Wir nennen hier nur Arbeiten des Fourcade 0831), Les H. Greveden um 1830. des Wieners Sticker und des Chaton. Prächtig ist ein von G. Nehrlich Ium 1830) gemalleS Bildchen ter berühmten Schauspielerin Haiyinger, das die Künstlerin in weinrotem dekollctirlen Kottum mit großer Perlenketle, Perlbommeln in den Ohren und blonder reichgelockler Friiur mir Rosen darüellt. Zu den Hauplsiückeu zählt auch ein vorzügliches auf Porzellan gemaltes Brustbild des Wiener Walze,lomponisten Lanner. * Londons Wagner-Saison. Man schreibt uns aus London: Seil vielen Jahren gehörte es zum guten Ton, während der „Grand Seafon" im Spätfrühjahr die deutsche Wagner-Oper zu frequentieren. Da kam aber im letzten Jahre Tetrazzini, die neue italienische Nachtigall, und erweckte die schlummernde Lust am bloßen Schwelgen im Ton in all den vornehmen Opernbesuchern. Tie deutschen Aufführungen waren weniger gut besucht, brachten mithin weniger, und darum entschlossen sich oie Direktoren, obwohl sie eigentlich nur die Angestellten des sich stete- künstlerisch gcbcrdenden Lpern'yndikats sind, kurzerhand mit den dcutfchen Vorstellungen tabula rosa zu machen. Während der kommenden „Grand Seafon" wird es keine Wagner-Werke zu hören geben. Jcdennoch, es steckte noch ein hübsch Stück Geld in Wagner, oas wußten diese Herren. Wie es haben? Wie es aus den Taschen der Hörlustigen in die eigenen praktizieren? Man verfiel auf ein treff liches Mittel. Man verbinde mil der Aunstlicbc den Nationalsrolz, und man werde selbst jene Kreise sangen, die schon übersättigt nach anderer Nahrung begehren. Außerdem bekäme mcin als unichätzbaren Freund und Heuer die Presse, die solcher Zwecke wegen gern etwaige Mängel mit dem Mantel britischer Eigenliebe zudccken würde. Gesagt, getan: man schuf die englischen Wagner-Aufführungen. Schon in, vorigen Jahre machte man einen Versuch damit; er gelang. Diesmal nun spielt man einen Monat lang Wagner-Werke — „Ring" und „Meister singer" —, und zwar fetzt im Winter, wo es sonst keine Opernunicr- lwtlung gibt. So erzielt man während einer bisher toten Zeit volle Häuser, und hofft später mit Weltstars das gleiche zu erreichen. So 'wird der Kuwft g-lwlfen. Mit Hans Richters Hilfe hat man erstaunlich Gutes zustande gebracht, erstaunlich namentlich, wenn man bedenkt, datz aus einem Nichts alles erst zu schaffen war, daß es keinen geübten Ensemblestamm gab, dem sich die Neulinge nur cinznsügen hatten. Ein Sinfonieorchester mußte zu cineim Bühnenorchcster, Konzert- und. Operettensänger zu Wagner-Sängern umgcstaltet, ein Cnor mußte, so weit er erforderlich ist, zusammengestellt und gesanglich wie dar stellerisch erst gedrillt, und all diese Einzelwasfcn der Opernarmee mußten dann zu einem einheitlichen Heere zusammengeschwejßt werden. Richter hat sich da als großer Stratege, aber fast noch als größerer Organisator erwiesen. Er führte seine Scharen zum Siege. Namentlich gelang ihm eine stimmung-reiche und getreue „Mcisterssnger"-Aust führnng. Dieses „deutscheste" der Wagner-Werke wurde hier in der Tat von frcmdländi'chen Kräften und vor fremdländischen Zuhörern in seiner völkischen Eigenart erlaßt, verkörpert und freudigst ausgenommen. Es war eine Freude, dem beizuwohnen, und man wurde sich dar Volks verwandtschaft der Engländer und Deutschen wieder einmal — nicht zum Schaden — stark bewußt. Nirgends außerhalb Deutschlands könnte gerade dieses Werk in fremder Sprache so dargcstcllt, so ausge chöpft so spontan ausgenommen werden. Englische Enthusiasten erhoffen aus diesen Vor- stelluntien allmählich eine selbständige englische Oper erstehen zu sehen, die London endlich eine ständige Oper geben würde und als Pflanzstätte für eine wirkliche englische Nationalvper dienen könnte. Ein schöner Traum, der aber nur dann in Verwirklichung übcraeführt werden kann, wenn Publikum und Direktoren sich ihrer Pilicbt der Kunst gegenüber voll bewußt werden. Einige Opernvorstellungen besuchen und dafür zahlen einerseits und recht viel Geld cinstecken anderseits, führen sicher nicht zum Ziele. 2. * Tie Dresdner Strautz-Woche schloß, wie unser Dresdner K.-Äorre- spondent meldet, am Donnerstag mit Ler Wiederholung der „Elektra" ab. Mein erster Eilidruck wurde dadurch nicht nur gerechtfertigt, sondern sogar noch ver stärkt: ein in vielen Einzelheiten erstaunliches, farbenprächtiges und viele neue Ausblicke in barmonstcher Hinsicht eröffnendes Werk, las aber leider der inneren Wärme und Einheit ebenso entbehrt wie der wahren Größe und Stilsicherbeil. Auch traten einige ermüdende Längen noch deutlicher zutage alS bei der ersten Vorstellung. Die Rolle der Klytämueslra sang, da Frau Schumann-Heink er krankt ist, Frl. v. Chavanne und zwar mit gutem Gelingen, wenn auch nicht mit so oroßer Stlmme und meinerhaster Charattcristik wie die erstgenannte Künstlerin. Am Schlüsse konnte Strauß mit den Darstellern vielen Hervor rufen Folge leisten» der lauteste Jubel aber brach Loch erst wieder los. al? Ernst v. Schuch, auf den stolz zu fein wir nach dein Verlause des Zyklus ivieder alle Ursache haben, aus Ler Bühne erschien. Damit war die Strauß- Wo.1e zu Ende — und alle Beteiligten, einschließlich des Publikums, dürsten bei diesem Gedanken erleichtert ausatmen, denn es war ein saures Slück Arbeit. * Hochschnlnachrichten. Zur Feier deS 160. Geburtstages Darwins wird am »Ireitag, den 12. Februar, abends 7 Uhr im »roßen Volksbaussaale in Jena Professor Ernst Haeckel »inen Vortrag über das Weltbild von Darwin und Lamarck halten. Es wird Haeckels letzter lsfenlsscher Vorlrag sein. — Professor Dr. Prandtl an der Universität Göttingen hat jetzt Las Tvema sür seine ersten Vorlesungen über Aeronautik festgestellt. Er wird zunächst ein zweistündiqeS Kolleg über wissenschaftliche Grundlagen der Luft'chiffahrt halten. — In Gießen hat sich Dr. G. Böhme für das Fach der Landwirtschaft habilitier». — Ter außerordentliche Professor für innere Medizin Tr. O. KoktS in Straßburg ist auf den 1. April emeritiert worden. — Der Privaidozent sür Deutsche Sprache und Literatur an der Universität Nancy M. Dresch in zum außerordentlichen Proiessor ernannt worden — Dem „StaatSanzeigcr für Württemberg" zufolge wurd-n an der Universität Tübingen von d>r siaats- wissenichastlichen Fakultät Dr. jur. Nieberding, von der medizinj'chen Fakultät Tr. jur. Hugo v. Strauß-Tornry, von der nalurwissemchastlichtn Fakultät Graf Ferdinand Zeppelin, General der Kavallerie a. D. in Friekricheha'ei, im Lause deS Jahre- IS08 honoris causa zu Doktoren promoviert. — Wie unser Berliner Korrespondent hört, Hal die Technisch« Hochschule in Char- lottenburg Major vou Parseval, den bekannien Konstrukteur und Ge- schSst-südrer der Motorluftschiffüudiengescllschast, für den Lehrstuhl für moderne Aeronautik in Aussicht genommen. * Kleine Ehrantk. «us Frankfurt a. M. meldet uns 'M Telegramm: Zn dem bieSjävr gen deutschen Männergesang-Wrttstreit um LenKaiier- vreiS bat da- Kaisrrvaar seine Anwesenheit zugesagt. Im Geieniatz zu den Vorjahren soll jedoch auf Wunsch des Kaiser- von besonderen Feiilichjeiten ab gesehen werden. — Au- Pari» meldet die „B.Z.": Die Schauspielerin Susanne DeSprs», die, wie berichtet, zu dem tzirsscheidra EoquelinS geäußert batie. der Tod Soquelin- lasse sie gleichgültig, erhielt im Lause tr» gestrigen Tages von ollen Seiten Briefe beleidigenden Inhalt-, sowie Drohbriefe wegen ihrer Herzlosigkeit. Susanne Dr-prs- erklärte jedoch, sie bade schwere Klagen gegen Soquelin im Herzen und könne' nicht- anderes sagen, al« daß sein Tod sie gleichgullig lasse.
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