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Bezugt-Pr«. Nr >eiP,ia und Vorort« barch imser« träger und Spediteur« in» Hau» »«bracht: »u»gab« ä (nur morgen») »trrtrltthrüch 8 Vl. »onamtb I vt. Autgad« I (morgen» und ab«od») vterttt» tährlich 4.S0 «. monallich 1L0 «. Durch dt« Most bezoaen (2 mal täglüh) innerhalb DeuUchland« und der deuNchcn Molinien vierteljährlich 5,25 M., monatlich 1.75 M anllchl. Po», deftellgetd iür Oesterreich 9 L « d. Ungarn S L vierteljährlich. Lbonnement-Lnnabm«. Augustulnlatz 8» bei unseren Lrägern, Filialen. Spediteure» und annahmeftellen. «wie Postämtern und Briefträgern. Die einzeln« lltummer kost«t 10 Pf». sttedaktion und ErpedUto«: Johauuttgasle 8. Lrlrdhon Rr. iE. Nr. ISSSd. Nr. IE. verltnrr Redaktion« Dur««»: Berlin HIV. 7 Prinz Loui» Ferdinand» sstrahe 1. Lelephvn 1, Rr. 9275. Abend-Ausgabe 8. AMgtrTagMM Handelszeitung. Amtsblatt des Rates und des Nolizeiamtes der Stadt Leipzig. Auzeigen-PreiS sür Jnlerate au« Leipzig und Umgebung di» 6 gespaltene Petitzeile 25 Ps., ftnanziell- Lnzrigen 36 Ps., Reklamen I M.; von auswärts 3V Pf Reklamen 1.20 M. vom Ausland 50 Ps., finanz Anzeigen 75 Pi. Reklamen l.50 M. Inserate v. Behörden im amtlichen Teil MP' Beilagegebübr 5 M. p. Tausend exll. Post gebühr. iNeichäfteanzeige» an bevo- uztl: Stelle im Preise erhöbt. Rabatt nach Tarn. Festertttllc Austräge können richt zurück gezogen werden, (für da« itrscheincn au bestimmten Tagen und Plätzen wird keine Garantie übernommen. Anzeigen-Annahme: Augustuöplatz 8 bei sämtlichen Filialen u. allen Annoncen expeditionen de« In- und Auslande«. Haupt Filiale Berlin start Tunck Herzog!. Bayr. Hosbuch- handlung Lützomstrabe 10. (Telephon VI. Nr. 4603) Nr. 3VS. Donnerstag 7. November 1907. 101. Jahrgang. Das wichtigst« vom Sag«. * Der Kaiser hat nach einem uns zugehenden Privattelegramm besohlen, daß die in London lebenden deutschen Reserve offiziere der Armee und Marine sich gelegentlich seiner Anwesenheit auf der deutschen Botschaft dort einfinden sollen. Es wird eine Ansprache des Kaisers erwartet. * Die Zahl der auf dem Hulk „Blücher" Umgekomme- nen beläuft sich auf zeh n. (S. Neues a. o. W.) * Das französische Gclbbuch über Marokko ist ausgegeben. lS- Ausl.j * In der englischen E i se n b a h n k r i s i s ist gestern abend eine Verständigung zustande gekommen. IS. Ausl.j * In Helsingfors ist ein Kongreß der russischen Kadetten zusammengetreten. * Deschanel wird als Nachfolger Bompards aus dem Petersburger Botschofterpostcn bezeichnet. Regierung und Nebenregierung. Die erste Etatdcbatte im sächsischen Landtage brachte nicht die polt- rischen Sensationen, die viele Tribünenbesucher wohl erhofft hatten. Das große Jinanzexposs des Herrn v. Rüger enthielt nur wenig lieber- raschungen. Man kannte den Etat nnd man mußte von vornherein als selbstverständlich annehmen, daß die Regierung an dem festhalten würde, was sie in dem von ihr ausgearbeiteten Etat dem Lande geboten und verweigert hatte. Man konnte sich auch denken, daß es dem Finanz minister nicht an Gründen gegen die nattonalliberalcn Anträge zu- gunsten der Staatsbeamten fehlen würde, ja, in eingeweihten Kreisen wußte man sogar schon, daß endlich auch Herr v. Rüger zu der Erkennt nis gekommen sei, daß man über kurz oder lang auch den Sachsen gestatten müsse, auch des Sonntags vierter Klasse aui der Eisenbahn zu fahren, obwohl der Fmanzminister noch heute der Ansicht ist, daß die vierte Klasse eigentlich nur für Arbeiter und Marktfrauen geschaffen worden sei, und Arbeiter und Marktfrauen fahren bekanntlich an Sonntagen nicht auf der Bahn, sondern bleiben hübsch zu Hanse. UebrigenS haben wir ta uoch^ein starkes Bollwerk gegen das Schreckgespenst der vierten Klasse an Sonntagen, die Erste Kammer, die sich schon bei der letzte,. Beratung über diese Frage in der Session 1905/06 so gesinnungstüchtig erwies. Aber ein interessantes Moment brachte die Etatrede des Herrn v Rüger doch — eine Erklärung der Regierung über die „Konkurrenz", die Nebcnregierung. Die Erklärung lautete — wenigstens für den, der das nötige Maß von Glauben besitzt — höchst beruhigend: Eine N e b e n r e g i e r u n g existiert nicht, sie hat nie existiert und es ist auch nie der leiseste Versuch gemacht worden, einen ungesetzlichen Einfluß auszuüben, der dieses harte Wort gerechtfertigt hätte. Und an diese Freudenbotschaft knüpfte der Minister, der in diesem Augenblicke nicht für sich selbst und sein Ressort, sondern für das ganze Ministe rium sprach, einige in Form und Ton recht freundliche, in ihrem In halte aber ganz gesalzene Ermahnungen über „unbedachte Worre in der Hitze des politischen Kampfes", Worte, die besser unausgesprochen geblieben wären. Während diese bitteren Worte von den Lippen des Finanzministers kamen, richtete mancher teilnahmsvoll den Blick au die Negierungstribüne, auf der Herr v. Nostitz die kleine Standredc genoß. Aber auch seinem Schmerz folgte eine kleine Freude, denn wenige Minuten später, nach einer abermaligen bissigen Bemerkung, hielt Herr v. Rüger es für angebracht, mit einer Art von „Ehren- erkläinng" herauszurücken. Er sagte, er habe keineswegs die Ab- sicht gehabt, der Ehre des Beamten, der die erwähnte Aeußerung getan, zu nahe zu treten. Tie Rechte freute sich über die Erklärungen des Herrn v. Rüger gewaltig. Den Herren fehlte offenbar das Verständnis für die Situation. Sie waren sich jedenfalls im Augenblick nicht klar darüber, was es bc- deutet, wenn ein Staatsminister die Möglichst der Annahme anerkennt, er habe der Ehre eines hohen politischen Beamten zu i ahe treten wollen. Herr v. Nostitz machte auch ein recht vergnügtes Gesicht dabei, aber wohl aus einer anderen Ursache. Gegen die Anerkennung dieser Möglichkeit ist selbst die echte Rüger sche Form der „Ehrenerklärung" nur von geringemBelang. Interessant ist dagegen die Tatsache, daß der Rügerschen Erklärung offen bar Verhandlungen hinter den Kulissen vorausgegangen sind. Tie höheren Rcgierungsbeannen wußten ^avvn, denn die Re- gierungstribünc füllte sich erst in der zweiten Stunde der Rede des Finanzministers, — das Interesse an den rein finanziellen Ausführungen hatte die Herren also nicht gelockt. Sie zerstreuten sich auch bald daram wieder. Ein weiterer Beweis für die Verhandlungen hinter den Kulissen aber ist die alsbald von dem konservativen Etotredner offi ziell im Namen der Partei abgegebene Erklärung, daß die Konservativen nach den „überaus entgegenkommenden Erklärun gen des Herrn Ministers die Angelegenheit der Nebenregie- rung nicht weiter verfolgen wollen". Ein gehaltvolles „Aha!" war die Antwort von den Plätzen der Freisinnigen. Die Nationallibe ralen schwiegen, wäbrend die Konservativen dankerfüllten Herzens Bei- 'all zollten, wohl in dem Glauben, oaß die leidige Affäre damit aus der Welt geschafft worden sei. Wir sind nicht der Ansicht, daß Einflüsse, die von zwei hohen Rc- gierungsbcamten — wir erinnern an die Ausführungen des KreiShaupt- manns Dr. Rumpelt, der auch von einer Verwirrung der Beamten sprach — mit Mißfallen bemerkt und unangenehm empfunden worden sind, nicht vorhanden gewesen sein können, nur weil der Flnanrminsster erklären kann, nichts davon zu wissen. Dr. Rumpelt war mit dem Vorgehen des Legationsrats v. Nostitz gewiß nicht einverstanden und die Wirkungen dieses Vorgehens waren auch ihm höchst peinlich, — aber auch er bat in der berühmten Einigkeitsoersammlung der Konservativen bestätigen müssen, daß solche Einwirkungen ausgeübt oder jedenfalls versucht wor- den sind, wenn er sie auch nicht als „Ncbenregierung" bezeichnete. Der weitere Verlauf der Etatdebatten wird vermutlich noch mehr Klarheit — oder auch mehr Verwirrung — in die Angelegenheit bringen. Es wird üch zeigen, ob auch die F r e ickv n s e r v a t i v « n in dieser Sache gleichen Schritt und Tritt mit den Herren Ulrich, Andrä, Opitz usw. gehen. Un mittelbar nach der Erklärung des Finanzministers batte der Abg. Lang- Hammer eine längere Unterredung mit dem Grafen Hohenthal. Vom Wetter werden ste kaum gesprochen haben. Wohl auch nicht von den Ein nahmen der Staatsbabncn. — aber selbst wenn die nationalliberale Fraktion beschließen sollte, den „häuslichen Zwist" der Konservativen auf sich beruhen zu lallen, wird die äußerste Linke kaum ans eine eingehende Besprechung der Angelegenheit verzichten. Solche Sachen werden in der Etatdebattc ausgetragen oder nie, und es wäre falsch, sie nicht aus zutragen. Die technischen Lrivatbeainten. Im Novemberhett des „Archivs für Sozialwissenschast und Sozial politik" sTübingen, I. E. Mohr-Paul Siebeckj wird die Beweaung der Privatbeamten in zwei Aufsätzen behandelt. H. v. Frankenberg erörtert die vielbesprochene Tagessrage: Die Pensionsversicherung der Privat angestellten, und Dipl.-Jng W. Mertens die Bewegung der technischen Privatbeamten. Frankenberg begründet noch einmal die Notwendigkeit der Pensionsversicherung der Privatbcamten und kommt bei Erörterung der Art der Versicherung zu dem Ergebnis, daß nicht eine Sonder- einrichtung, sondern die Einfügung in die große, schon bestehende Reichs- Versicherung geboten ist. Frankenberg geht noch weiter und redet „einer umfassenden Versicherung der gesamten erwerbstätigen Bevölkerung gegen die wirtschaftlichen Folgen von Krankheit, Unfall, Alter, Invali dität und Verlust des Ernährers" das Wort. Er entwickelt einen Plan für eine allgemeine Ncichsvcrsicheruny aller nach Beendigung der Schul- pflicht gegen Lohn oder Gehalt beschäftigten Personen einschließlich der Hausgewerbetreibenden. Dieser weitausschauende Plan hat seine An- Hänger, er hat aber auch seine eifrigen Gegner, die dem Wirtschafts leben und der gesamten Arbeit des werktätigen Volkes nicht den In dividualcharakter und die natürliche Grundlage des Fürsichselbersorgens genommen wissen wollen. Mit Benutzung statistischen Materials untersucht Mertens zunächst die rechtlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse der technischen Privat- beamten. Wer sich mit diesen Dingen nickt beschäftigt bat. wird sick wundern, wenn er aus dem Aufsatze von Mertens die Gehaltszifsern z. B. der Techniker entnimmt. In einer größeren Berliner Maschinen fabrik hatten von den technischen Angestellten 97 Proz. ein Monats gehalt bis zu 125 .K, nur 16 Proz. über 200 .stund die übrigen 47 Proz. ein Gehalt auf der Zwischenstufe, zwischen 125 und 200 .E. In einer mittleren Münchener Maichinenfabrik bezieht von den 9 Technikern der Chefkonstrukteur und Oberingenieur monatlich 200, der älteste Ingenieur der Firma 180, der dritte 150 „kl. Die Gehälter der übrigen gehen herab von 120 bis aus 50 .kl. Das Publikum stellt sich wohl meist die Gehälter dieser Beamten wegen der gesellschaftlichen Achtung, die sie genießen, weit höher vor. Durch Zusammenstellung dieser und anderer Zahlen, die teils privaten, teils amtlichen Untersuchungen entnommen sind, dürste mancher Fernstehende in die Verhältnisse eingesübrt werden. Ter Ver fasser tritt dabei als Standesgenosse und Verfechter von Standesintcr- essen aus, weiterhin auch einer Standesorganisation, nämlich des im Mai 1904 gegründeten Bundes der technisch-industriellen Beamten,' dessen sozialpolitisches Programm eingehend gewürdigt wird. Soviel scheint sicher zu sein, daß die Zeit vorüber ist. wo das Organisationsbedürsnis der hier in Frage kommenden Stände allein durch hauptsächlich fachwissenschaftliche Vereine, wie den Verein deutscher Ingenieure, den Verein deutscher Chemiker, den Verband deutscher Elektrotechniker und den deutschen Technikerverband, befriedigt wird. In jenen Vereinen arbeiten Unternehmer und Arbeitnehmer zusammen, und es ist daher untunlich, daß sie sich mit den Standesinteressen einer der beiden Gruppen identifizieren. Mertens erkennt daher auch an, daß z. B. der bekannte Verein deutscher Ingenieure aus Sclbsterhaltung davon abschcn müsse, sich an der praktischen Lösung sozialpolitischer Probleme zu beteiligen; dagegen werde der Verein mehr als bisher neben rein technischen Fragen auch wirtschaftliche in den Kreis der wissenschaftlichen Betrachtung ziehen und der wirtschaftlichen Ausbil dung seiner Mitglieder größere Aufmerksamkeit schenken müssen. Die Reibungen der neuen Organisationen, die die wirtschaftlichen Intercllen der Angestellten in den Vordergrund rücken, mit den alten zum Teil berühmten Verbänden deuten darauf hin, daß ein neues Stadium in den Beziehungen der Industrie zu ihren technischen Angestellten an gebrochen ist. Nämlich eines, wo die Arbeitgeber und die technischen Arbeitnehmer mehr klassenartig einander gegenübertreten werden. Das mag man im Interesse des sozialen Friedens bedauern — aber die Tatsache wird dadurch nicht verschoben. Sie wird dazu dienen, den richtigen raockus vivendi zu finden. Und daraus kommt es schließ lich allein an, wenn die Lage der technischen Privatbeamtcn endlich gebessert werden soll. Feuilleton. Wenn ich einen König ernannte, so hielt er sich gleich für einen König von Gottes Gnaden, so epidemisch ist dies Wort. Napoleon. * Volksvorstellnngen. Unter Volksvorstellungen sind im folgenden nur solche Vorstellungen ,u verstehen, bei denen die Preisfestsetzung und vor allem die Art des Billettvertriebes zeigen, daß die unteren Klassen, hauptsächlich vre orga nisierten Arbeiter, das Publikum bilden sollen. Die „sogenannten" Volksvorstellungen — Klassiker-Abende, Vorstellungen zu ermäßigten Preisen, Nachmittagsvorstellungen — gehören nicht dazu: das sind im besten Falle volkstümliche Vorstellungen. Die Frage der Volksoor- itellungen in dem eben gekennzeichneten Sinn ist aktuell geworden, seit dem in Frankfurt a. M. im Jahre 1894 die erste wirkliche Volksvor stellung gegeben worden ist. Tort hatte sich ein Ausschuß für Volksvor- lesungen gebildet, der sich die unentgeltliche Verbreitung der Bildung unter der arbeitenden Bevölkerung als Ausgabe setzte. Drei Männer widmeten ihre Kraft den Arbeiten des Ausschusses: der hochherzige, weit blickende Finanzmann CH. L. Hallgarten, der demokratische Stadtrat Dr. K. Flesch und der sozialdemokratische Chemiker L. Ovificius. Es wur den Vortragszyklen aus allen Gebieten der Wissenschaft und der Kunst veranstaltet; es wurde dafür gesorgt, daß die Museen der arbeitenden Bevölkerung zu geeigneten Zeiten unentgeltlich geöffnet wurden usw. Tieie Veranstaltungen kamen einem Bedürfnis der Zeit entgegen. Je stärker die Arbeiterorganisationen wurden, desto größer wurde das Bildungsbedürfnis der aufgeklärten Arbeiter. Und da sich die Arbeiter- organisationen noch zu schwach fühlten, da sie ihre Kräfte noch voll ständig im wirtschaftlichen Kampfe ausbrauchtem nahmen sie in ver- schiedenen Städten die ihnen von bürgerlicher Seite gebotene Hilfe in der Bildungssraae an. Heute ist das bekanntlich anders geworden. Tie sozialdemokratische Partei und die freien Gewerkschaften wenden seit dem Beschlüsse des sozialdemokratischen Parteitages in Mannheim der lelbständigen Lösung und Leitung der Bildungstrage ihre ganze Auf merksamkeit zu: in allen größeren und mittleren Städten sind Arbeiter- bildungsausschüsse gegründet worden. In einer Frage wird aber wohl vorläufig noch ein gewisses Zusammengehen der Arbeiterbildungs- ausschüsse mit bürgerlichen Ausschüssen notwendig sein: in der Frage der Volksvorstellungen. Zu dieser Frage veranstaltete nun der Frankfurter Ausschuß für Volksvorlesungen eine Enquete, durch welche der Stand der Volksvor- stellungen in den deutschsprachigen Gebieten erforscht werden sollte. l„Zur Frage der Volksvorstellungen. Eine Enquete, veranstaltet vom Ausschuß sur BolkSvorlesungen in Frankfurt a. M., bearbeitet in dessen Auftrag von Otto Becker. Verlag von Quelle L Meyer in Leipzig. 19O7."j Er versandte im Dezember 1905 an über 200 deutschsprachige Theater des In- und AuSlaude» einen Fragebogen, 108 Fragebogen wurden beantwortet. Ich weiß nicht, welcher Prüfung der Herausgeber diese Antworten unterworfen — abgesehen von einigen Fällen, darf man ledoch annebmen, daß die Antworten sich mit den Tatsachen decken und als zuverlässiges statistische- Material zu verwerten waren. In vier Tabellen werden die Resultate der Enquete übersichtlich dargestellt. Tabelle I gibt zunächst eine allgemeine Uebersicht der Presse des teuersten Platzes und des billigsten Sitz- bzw. Stehplatzes in den ein zelnen Theatern bei den lausenden Vorstellungen. In Tabelle II ist die Relativbcrcchnung durchgesührt, wieviel billige Plätze — Plätze bis zu 75 Psg. bei gewöhnlichen Preisen — pro Vorstellung, und wieviel pro Jahr au; je 1000 Einwohner der Stadt verfügbar sind. Tabelle III gibt eine Zusammenstellung über die Zahl der Volksvorstellungen und die pro Jabr und pro 1000 der Bevölkerung verfügbaren Karten sur diese. Tabelle IV bringt in gleicher Weise eine Uebersicht der volkstümlichen Vorstellungen, d. h. derjenigen Vorstellungen, die in bezug auf die Preis verminderung den Volksvorstellungen gleichen, bei denen aber eine Be schränkung des Kartenverkaufes aus Arbeitnehmer nicht stattfindet. Tie Tabelle IH verdient das größte Interesse. Aus ihr ergibt sich, daß die pro Jahr auf je 1000 Einwohner kommenden Plätze im Presse von 10—75 Psg. betragen: für Magdeburg 62, für Leipzig 49, für Dres den 19, für Stuttgart 42, für Elberfeld 56, für Halberstadt 79, für Mannheim 81, für Erfurt 72, für Augsburg 60, siir Aachen 27, für Kassel 55, für Frankfurt a. M. 19, für Offenbach 83. für Darmstadt 21, iür Heidelberg 51, für Karlsruhe 82, für Straßburg 48, für Mül- Hausen i. E. 118 und sür Weimar 298. Weimar mit seinen 31 000 Ein- wohnern nnd 1000 Plätzen im Theater erreicht also den Rekord; Frank furt a. M., die „fortgeschrittenste" Stadt Deutschlands, einen Rekord nach unten. Anders ist wieder das Verhältnis, wenn wir die Zahl der pro Jahr gegebenen Volksvorstellungen in Betracht ziehen. Es kommen jährlich auf Dresden 7—8, arss Leipzig 27, aus Stuttgart 10, auf Magde burg 12, aus Erfurts?, auf Weimar 10, auf Frankfurt a. M. 8, auf Mannheim 10, auf Straßburg 7, aus Darmstadt 3—4, auf Heidelberg 4, auf Mülhausen i. E. 12^und aus Oppeln 24. Daß aber die oberschlesssche Hauptstadt sich an der Spitze befindet, bedeutet vom künstlerischen Stand- punkt aus wenig. Tenn die Veranstalter dieser „Volks"-Vorstellungen haben weniger allgemein erzieherische, als speziell germamsatorssche Zwecke im Auge. lTeswegen finden in einem großen Teil von Ober- »chlesien diese Volksvorstellungen nicht nur zu stark ermäßigten Preisen statt, sondern es werden sogar Gratiskarten verteilt.! Vergleicht man nun die Zahl der jährlichen Volksvorstellungen mit der Zahl der jähtlichen Vorstellungen, so ergibt sich, daß noch sehr viel zu tun ist: da stehen die 8 Volksvorstellungen Frankfurts neben r-60 Vorstellungen, die 27 Leipzigs neben 700. die 12 Magdeburgs neben 225, die 10 Stuttgarts neben 300, die 10 Mannheims neben 415, die 4 Heidelbergs neben 187, die 3-7! Darmstadts neben 1000. In den günstigsten Fällen beträgt ober die Zahl der Volksvorstellungen 4 bis 6 Prozent der Gesamtzahl der jährlichen Vorstellungen. Dieies Miß verhältnis ist leider in der genannten Broschüre nicht scharf genug herausgearbeitet, nicht deutlich genug unterstrichen. Eine der schwierigsten Fragen ist die Art und Weise des Billett vertriebes. Vorläufig ist noch kein einheitlicher Weg eingeschlageu wor den. Jede Stadt macht es anders. In Dresden werden die-Volks vorstellungen als „Vorstellungen sür Minderbemittelte" angekündigt. Anscheinend unberechtigte Käufer werden durch Kontrollbeamtc an der Kasse zurückgewiesen. In Leipzig werden die Vorstellungen vom Ar beiterverein arrangiert, der sür jede Vorstellung eine Pauschalsumme an die Direktion zahlt und die Karten nur an seine Mitglieder weiter- verkauft. In Magdeburg erfolgt der Kartenverkauf zu Treiviertel durch bie Vorstände der Krankenkassen und zu Einoiertel durch die Theaterdirektion. In Mannheim werden die Karten an Arbeitgeber- und Arbeiterorganisationen gegeben. In Kassel ist der Arbeiter bildungsverein der Veranstalter: er übernimmt für 800 .kl Karten, gibt sie teils an die Arbeiter selbst, teils an andere Arbeitervereine ab. In Mülhausen i. E. erhält das freie Gewerkschaftskartell 200, das christ- liche 100 Karten. Ein Teil der Karten wird in Schulen umgesctzt. In Heidelberg werden die Plätze von der Theaterkasse in verschlossenen Kuverts verkauft. In Weimar verkauft die Ortskrankenkasse chmtlicke Karten einzeln m Kuverts. Ein ganz kompliziertes, aber- wirksames Verkaufssystem hat Straßburg: eine Halle, zwei verschiedene Türen, wachthabende Feuerwehrleute, Kontroll karten spielen dabei eine Rolle. Den Vorzug scheint mir, wie dem Herausgeber der Enquete, das in Frankfurt a. M. übliche System zu verdienen, wenn es auch noch sehr verbesserungsbedürftig ist. Dort werden die Karten zu den Volksvorstellungen im Lchauspielbausc und im Opernhause jeweils dem Ausschuß für Volksvorlesungen über geben, der sie an die ihm angeschlossenen Vereine und Gewerlfchasten verteilt. Tic Verteilung der Karten liegt einer _Kartenverteilungs- kommission ob, die aus dem jetzt fest angestellten Sekretär des Aus schusses und fünf Arbeitcrvertretern besteht. Tie Arbeitervertrcter werden in der Plenarsitzung von den Vertretern aller angeschlossenen Vereine — der stärkste: die freien Gewerkschaften haben über 33 000 Mitglieder — alljährlich gewählt. Tie Karten werden an die Gewerk- schäften nach ihrer jeweiligen Mitgliederzahl abgegeben. Durch die aus fallend geringe Zahl der in Frankfurt a. M. gegebenen Volks- Vorstellungen hat fick die Notwendigkeit herausgestellt, bei einer Vor stellung nur die Hälfte der Vereine in Betracht zu ziehen, damit der Prozentsatz der jeweils zur Verrechnung kommenden Karlen nicht zu gering ist. — Dieses Frankfurter System könnte sebr aut die Praxis zu einer allgemeinen, einheitlichen Gestaltung des Billettvertriebes bei Volksvorstellungen bilden, und Becker hätte das auch ruhig ausiprecheu dürfen. Allerdings müßte die Kurzsichtigkeit gewisser Theaterleitungen, die rückschrittliche Gesinnung einzelner Städte aufhören. Fälle, wie der jüngst in Elberfeld vorgekommcnc, wo dem Arbeiterbildungsverein das Tbeater aus politischen Gründen verweigert wurde, müßten unmöglich sein. Becker weist in seiner Broschüre besonders auf die Tatsache hin, daß sich im allgemeinen für die mittleren Städte günstigere Zahlen ergeben, als sür Großstädte, und macht im Anschluß daran Vorschläge, die ich nicht ohne weiteres gutheißen kann. Um den großstädtischen Theatern die Möglichkeit zu geben, „ohne finanzielle Ovser Volkskunstpflegc zu betreiben", schlägt er ihnen vor, die bei klassischen Vorstellungen er fahrungsgemäß unbesetzt bleibenden Plätze zu billigen Pressen in ärmeren Bevölkerungskreiscn abzusctzen. Dieser Vorschlag ist an sich gut gemeint, sollte aber mit der Frage der Volksvorstellungen nickt in Zu- 'ammcnhang gebracht werden. Das Publikum dieser Vorstellungen dar' nickt einen Augenblick — wie cs beute noch vielfach mit vollstem Recht geschieht — glauben, daß ihm nur das vorgesetzt wird, was die andern übrig lassen. Vom erzieherischen Standpunkte aus wäre das völlig verfehlt. AuS demselben Grunde kann ich auch einer weiteren Anregung Beckers nicht zustimmcn: eventuell eine speziell „verein fachte" Inszenierung für Volksvorstellungen einzuführen. Die Be- fürchtung Beckers, die moderne, künstlerischrassiniertc Ausstattungs- weise könnte die Aufmerksamkeit der Besucher vom Inhalt des Stückes ablenken, teile ich nicht: aus Grund langer Beobachtung von Besuchern der Volksvorstellungen. Im engsten Zusammenhang damit muß ich auch die Tendenz einzelner Theater verurteilen, die Volksvorstellunaen aus Sonntagnachmittage zu verlegen. Ter Abend des Werktags soll den Besucher in feiertägliche Stimmung bringen. 8—«.