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01-Frühausgabe Leipziger Tageblatt und Handelszeitung : 04.11.1907
- Titel
- 01-Frühausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1907-11-04
- Sprache
- Deutsch
- Vorlage
- SLUB Dresden
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id84535308X-19071104019
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id84535308X-1907110401
- OAI
- oai:de:slub-dresden:db:id-84535308X-1907110401
- Sammlungen
- Saxonica
- LDP: Zeitungen
- Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
-
Zeitung
Leipziger Tageblatt und Handelszeitung
-
Jahr
1907
-
Monat
1907-11
- Tag 1907-11-04
-
Monat
1907-11
-
Jahr
1907
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Morgen Airsgabe 8. BnvK<'Vrei» ckr Leiv^I »ad B-rort, durch »»?«r« krtger und Sprdtteur« ins Hau» grdracht- Audgalx 4 (nur woraen«) vtrrtrltt-rlich ü M monatlich I H>. »u»«ad« L tmorani« um> adend«) virrtrl- jtßrlich 4.50 M. monailich t.50 vi. Durch dt« P»« »«»«««» (2 mal lLglich) innerhalb Lruiichland« und der beueichen Kolonien vi«riel>idrilch 5,25 M. monatlich 175 vi ausichl. Pop» deftrllgeld -ür Oesterreich v X W ß. Ungarn 8 X dterteljthrlich. Lbonnement-Annabme. Anstnstolplatz 8» det unleren Lrtaern Filialen, kprditeurea und Ännalmustellen. iowie Pofttmtern und SriestrLgern. Die einzelne iituenmer koste» Psg. Redaktion und ExpedMoai Johannttgasl« X Lelevdon Nr. I4SV2 Rr. I4«X Kr. I40S4. »erltner Nedaklion» Dureau: Berlin kiM. l Prinz Loni« gerdinand- vtrahe 1. Lelephon I» Nr S275. WpMerTagMM Handelszeitung. Nmkölatt des Mates und -es Molizemmtes -er Lta-t Leipzig. Auzekgnr-Preit Mr KN««e mch Leipzig und Umgeduna biö Sorldalteu« PetitzeU« 25 Ps., stn-nziell- Knzrige» SO Pi., »irklamen I w ; »»» auduchr« N Ps., «krkl amen 1.20 M. dmaludlandbOPl., stnanz. Anzeigen75Ps. Ueklame» l-50 M. Aus»««»»». Pehbrde» i« amtlichen keil 40 Pl. veilage^biidr 5 Bk. ». lausend exkl. Post- gedühr. «eschLsttanzrlgen an bevorzugter Stelle >« Preis« erhbht. Rabat» nach Laris Festerteilte Aufträge können nicht zurück- oe»ogea «erden. Fstr da« Erscheinen an »estiousten lag«, ,nd Plätzen wird keine Garünti« tzbrrnomiuen. Anzrig«n.Ann«d««i Ungustutplatz 8 »ei sämtlich«» Filiale» u. allen Annonceu» Ekpedttioneu d«« In. und «ullande«. H«t»1 FMal« vrrN» . T«rl Punch- , Herzoqi. «aqr. Hofbuch- handlnng Lützowstratze >0. slelephon VI. Nr. 4««). Nr. 306. Da» Wichtigst« von» Tag«» * Die Kosten für die allgemeine Ausbesserung der Ge - Halter der Neichsbeo inten werden auf über 60 Millionen Mark jährlich veranschlagt. * Wie uns aus Posen telegraphisch gemeldet wird, erscheint die Einbringung der viel erörterten Entcignungsvorlage gesichert. * Das Traktat über di «Integrität Norwegens ist am vergangenen Sonnabend unterzeichnet worden. (S. Letzte Dep.) " Aus Bern wird gemeldet: In der gestrigen Volksabstim mung wurde das neue schweizerische Wehrgesetz mit :M 102 gegen 264 183 Stimmen angenommen. * In Torre Maggiore ist, wie aus Turin gemeldet wird, ein Aufruhr auSgebrochen. Bauern erstürmten die Stadt und plünderten sie. * Aus zuverlässiger Quelle wird gemeldet, daß man an den Präs i- oenten Roosevelt mit dem Ersuchen herangetrcten sei, den Kongretz wegen der augenblicklichen Finanzlage zu einer autzerordentlichen Session einzuberufen. sS. Letzte Dep.) * Die Grotze Pardubitzer Steeple-Chase s20000 Krönens gewann Herrn Mecklenburgs „Kourgan" in einem Felde von 11 Pferden. sS. Sport.) parlamentarische Wochenschau. Sehr lang ist die parlamentarische Woche diesmal nicht gewesen, im Gegenteil, sie hat nur drei Sitzungstagc umfaßt. Aber da die Woche durch das Reiormationsfest gewissermaßen halbiert wurde, so war das Verfahren schon am praktischsten, gleich Mittwoch mittag Schluß zu machen. Am Freltag zu einer kurzen Sitzung nochmals zu erscheinen, hätte wirklich nicht gelohnt, und überdies ist das Haus viel eher dauernd arbeitsfähig zu erhalten, wenn man den Abgeordneten, die doch meist noch „nebenbei ein Geschäft haben", einen Tag der Woche zur Erledigung ihrer privaten Angelegenheiten freilätzt. Daß es diesmal statt eines freien Tages deren drei gegeben hat, wird den Abgeord- neien aber auch ans Gründen parlamentarischer Natur lieb fein: am Mittwoch beginnt die Beratung des Etats^ die jedenfalls wieder drei Tage in Anspruch nehmen wird, und da heitzt es nicht allein Kräfte für die viel Aufmerksamkeit erfordernden Verhandlungen sammeln, sondern sich auch gründlich mit der finanziell wichtigsten Vorlage der Session vertraut machen. Ueberdies hieße es die Tätigkeit des Landtages unterschätzen, wollte man behaupten, daß er in der abgelaufenen Woche nicht redlich gearbeitet hätte. Ganz abgesehen von den Fraklions- und Teputationssitzungen, die manche Stunde ausfüllen, und auch in voriger Woche ftattgcfunoen haben, ist auch von dem Plenum ein gutes Stück Arbeit geleistet worden, wenn es sich auch meist um Sachen gehandelt hat, denen der Reiz der Neuheit so gut wie völlig abaing. Daß die Frage der Schissahrtsabgaben noch einmal aufs Tapet ge bracht wurde, war sehr verdienstlich, ebenso auch, daß sie schon so bald nach Eröffnung der Session zur Erörterung stand. Vor zwei Jahren brauchte die Regierung ein volles Vierteljahr Zeit, um sich eine Antwort zu überlegen, die nachher doch keine Antwort war. Diesmal ging es prompter, und die Negierung bekannte wenigstens offen Farbe. Warum nicht immer so? Warum vor allen Dingen bedurfte es in dieser Frage überhaupt der Interpellation? Warum bat die Regierung nicht langst von selbst gesprochen? Wozu leistet sich Sachsen den Luxus von zwei als amtlich bekannten Regierungsblättern, wenn das Mini sterium sie in einer so wichtigen Frage nicht zur Arbeit hcranziehen will? Die Stellung der Negierung in dieser Angelegenheit stand längst fest. Mitte Januar d. I. hat Direktor Fischer von der lsächsisch-Böhmischen Dampfschlssahrtsgesellschast in einer Audienz des Vorstandes des konzessionierten Schis'ervereins dem Finanzminister die Erklärung abgcpreßt, daß die sächsische Regierung gegen die Ein führung von Schissahrtsabgabcn sei. Eine amtliche Verlautbarung dieser Erklärung in irgend einer Form ist aber nicht erfolgt. Ter Vor sitzende Minister im Gesamtministerium hielt es offenbar nicht für notig, die Lefsentlichkeit auszuklären, ovwohl diese doch ein gutes Recht daraus batte, den Sachverhalt zu erfahren. Als die Thronrede ebenfalls über diesen Punkt schwieg, blieb freilich nur der Weg der Interpellation übrig. Daß die Erklärung Dr. v. Rügers diesmal klipp und klar lautete: Sachsen wird für Scksinahrtsabgaben nie zu haben sein, ist sehr erfreu lich. und mit nicht minderer Freude ist es zu begrüßen, daß alle Par teien, ohne jede Ausnahme, jetzt in dieser Frage aus demselben Stand punkt stehen, wie die Negierung. Es hat lange genug gedauert, bis auch die Konservativen dahin gekommen sind, einzuicyen, wie schwer auch die landwirtschaftlichen Kreise unter diesen „Wasserchausseegeldern" zu leiden haben würden. Vor zwei Jahren waren es von konservativen Abgeordneten fast nur die aus Elbwalstkreisen, die sich dagegen er- klärten. Aber daß Futter- und Düngemittel, die jetzt aut dem billigen und bequemen Wasserwege bezogen werden können durch Schissahrts abgabcn eine erhebliche Verteuerung erfahren würden, ist mittlerweile wohl allen klar geworden. Ebenso klar ist aber, daß trotz der Erklärung der sächsischen Re gierung die Opposition der Abgabengegner nickt erlahmen darf, denn die Möglichkeit liegt noch immer vor, daß Sachsen im Bundesrate von Preußen und seiner Gefolgschaft über stimmt wird. Dann bleiben aber noch als Schutzwehren die Lsibschissahnsakte, gegen deren einseitige Aenderung durch Preußen Sachsen als Mitunterzeichner ebenso wie Oesterreich Einspruch erheben mutz, und dann der Schiedsvertrag vom 22. Juni 1861. Der preußische Standpunkt, wonach der Stader Zoll nur für die auch jetzt freibleibende Elbftrecke unterhalb Hamburgs ge golten hätte, issi wie schon erwähnt, unhaltbar. Ware er- richtig, jo hätte der Zoll für weiter als bis Hamburg aufwärts fahrende Schifte Hüber lein müssen. Tos war aber nicht der Fall. Wollte der preußische Geheimrat, der jene Behauptung ausgetüstelt hat, einmal eine Elbkarte aus den fünfziger Jahren zur Hand nehmen und sich Fahrwasjer- und Grenzverbältnisse klar machen lallen Idas rechte Elbufer war biS 1864 oänisch), so würde er bald dahinter kommen, datz für die Erhebung eines Zolles die Gegend von Brunshaufen-Stade am günstigsten war. Ties Moment sollte man doch aus sächssicher Seite kräftig hervorbeben und nicht achtlos beiseite schieben und lagen: „Gegen diesen Standpunkt wird sich nichts machen lallen." Aber Exzellenz von Rüger ist nervös geworden. Ta- zeigte sich auch bei der von ihm völlig unnötigerweise heransbelchworenen Kontroverse über Herrn v. Nostitz' Erklärungen vom 4. April. Wohl mag Herr v. Nostitz, formell betrachtet, über den Buchstaben de- ihm vom Grasen Hohentbal erteilten Auftrages hinaus- gegangen sein, sachlich bat er jedenfalls nur etwa- gesagt, was voll kommen den Tatsachen entspricht und woS der Finanzminister selbst als wahr bestätigt bat: daß nämlich die sächsische Regierung Gegnerin der SchjsfabrtSabgaben ist. Auch der zweite Gegenstand, mit dem sich der Landtag in langer Sitzung am DienStag beschäftigte, ist ein alter Bekannter; aber einer, Montag 4. November 1907. den man gern los sein möchte und der nur dann los zu werden ist, wenn er von selbst geht. Denn so überflüssig die Erste Kammer bei uns in Sachsen schon längst ist, so kann sie doch nicht abgeschatft werden, so lange sie nicht selbst ihre Zustimmung dazu gibt. Tas fällt ihr natürlich nicht ein, und daher haben alle an sich durchaus berechtigten Anträge auf ihre Beseitigung nur akademisch-theoretiscyen Wert. So heißt es also, sie wenigstens so weit „modernisieren", wie es irgend möglich ist. Die Kon servativen unter Opitz Führung machen freilich größtenteils dabei nur mit, damit es so aussieyt, als ob sie auch eine Reform der Ersten Kammer wollten. In Wirklichkeit sind sie mit dem jetzigen Zustande ganz zufrieden, und deshalb auch die allgemein gehaltene Form ihres Antrages, die freilich längst nicht allen zusaat. Ueberraschend viele er klärten sich in ebenso überraschender Deutlichkeit für den Langhammer- schen Antrag. Dieser zeigt einen gangbaren Weg. ist aber noch nicht konsequent genug durchgebildet, insofern als er das Prinzip der Wahl nicht glatt durchführt und auch hinsichtlich der Vertreterzahlcn nicht volle Gerechtigkeit walten läßt. Wenn zehn gewählte Vertreter von Handel und Industrie im Oberhaus« sitzen sollen, gut: warum dann aber nur zwei Vertreter der Gewerbetreibenden, warum nur je ein Vertreter der Lehrer, Aerzte, Necktsanwälte? Warum sollen die Tech niker, Nahrungsmittelckemiker. Künstler, Redakteure usw. gar keinen Vertreter erhalten. Warum sollen Industrielle und Aerzte ihre Ver treter wählen, warum soll der Vertreter der Anwälte von der An- waltskammer erkoren werden, die Vertreter der Gewerbetreibenden und Lehrer aber vom Könige ernannt werden? Gegen dieses Er- nennungsprinzip kämpft man dock hauptsächlich aus liberaler Seite. Und da will es ein liberaler Antrag wieder hineinsckmuggeln? Das ist geradezu widersinnig. Deshalb muß der Langdammersche Antrag dahin modifiziert werden, daß das Wahlprinzip ausnahms- los für alle Berufe eingeführt und die Vertreterzahl für die Gewerbetreibenden und die übrigen oben erwähnten Be rufe entsprechend der Zahl der Industriellen und Kaufleute erhöbt wird. Und zwar bald. Daß die Reform der Wahlen zur Zweiten Kammer augenblicklich noch dringender ist, soll zugegeben werden, darin liegt aber noch kein Grund, die Reform der Ersten Kammer aus die lange Dank zu schieben. Taß die Reaierung an die Umgestaltung des Organisations gesetzes ä., betreffend Trennung von Justiz und Verwaltung, bereits bcrangcgangen ist, hat man mit erfreulicher Deutlichkeit oom Minister Grafen Hobentbal gehört. Zweckmäßig dürste es aber sein, den jetzt den beteiligten Vcrwaltunas- und Gerichtsbehörden vorliegenden Entwurf auch schleunigst der Kritik der Öffentlichkeit zu unterbreiten. Denn das Publikum ist doch schließlich der am meisten beteiligte Faktor. Vom bayerischen Landtag. fSchiffahrtsabgaben. — Der „Fall Roßhaupte r".s Aus München wird uu, geschlichen. Fast zur gleichen Zeit, da die Einführung der Schiffahrtsabgaben im sächsischen Landtage besprochen wurde und wieder einem so energischen und erfreulichen Widerstände bei Regierung und Volksvertretung be gegnete, fast zu derselben Zeit wurde sie im bayerischen Landtag in sehr bemerkenswerter entgegengesetzter Weise erwähnt. Bei der Besprechung der Kettenschiffahrt auf dem Main sprach nämlich der Zentrumsabge ordnete Gerstenberger die Ueberzeugung aus, daß sich auch der Reichstag durch die Aenderung der Neichsversasiung für die Sckiffahrtsabgabeu entscheiden werde und er erklärte die rückhaltlose Zustimmung deS Zentrums. Tie bayerische Regierung hat sich bekanntlich in dieser so wichtigen Frage sckon längst aus Seite Preußens geschlagen, weil dieses die Fort führung der Mainkanalisation von Offenbach nach Aschaffenburg, worüber bereits ein Staatsvertrag besteht, von der Einführung der Schisfahrtsabgaben abgängig macht. Dieses Werk ist ja für Bayern von sehr großer Bedeutung. Aber abgesehen von der Frage, ob nicht Preußen am Ende auch ohne Schiffahrtsabgaben, wozu allerdings nun- mehr die Aushebung der gesetzlichen Bestimmung erforderlich gewesen wäre, eingetrilligt hatte, abgesehen von der weiteren Frage, ob Preußen und Bayern vereint den Widerstand gegen die Schiffahrtsabgaben im Reiche und im Auslande besiegen werden, ließe sich untersuchen, ob die Diplomatie des Frhrn. v. Podewils geschickt gebandelt hat, als sie sich von den übrigen süddeutschen Staaten, Sachsen usw. trennte, statt gemein sam mit diesen dem führenden Bundesstaate zu zeigen, daß sein von den Agrariern diktierter und einem gesunden wirtschaftlichen Prinzip zuwider- lausender Wille im Reiche nickt ausschlaggebend ist. Eine solche Haltung der bayerischen Negierung wäre ganz gewiß dem Ansehen und Einfluy Bayerns im Reiche zuträglicher gewesen. Man sollte meinen, daß das bayerische Zentrum, das doch sonst sogar die Fahne des ödesten Parti- kularismus schwingt, eigentlich diese Forderung in erster Linie aufftellen müßte. Aber seine agrarischen Interessen gehen auch seinem Partiku- larismus und seinem Prenßenhassc vor. In der Donncrstag-Sitzung der Zweiten Kammer wurde ein libe raler Antrag beraten, der durch den „Fall Roßhaupter" hervorgerufen ist. Er sei nochmals kurz erwähnt. Bei der letzten Landtagswahl wurde in einem Münckener Wahlkreise der in den Werkstätten der Staatscisen- bahnen beschäftigte Lackierer Roßhaupter als Abgeordneter gewählt. Er stellte an das Verkehrsministerium das Gesuch, ihm für die Diner der Session Urlaub unter Fortbezug seines Lohnes zu gewähren. Die Frage beschäftigte einen Ministerrat, der sich, wie man logt, gegen den Willen des VerkebrSministcrs, für die Gewährung des Gesuches entschied: dabei Wurde unter Vermeidung des Ausdrucks „Urlaub" von Dienstbefreiung gesprochen. Dieser Entscheidung fehlte nun jede gesetzliche Grundlage. DaS Land, tagswahlgesetz bestimmt nämlich in seinem Art. 35 nur, daß den Staats- beamten und den im öffentlichen Dienste siebenden Personen, wenn sie als Abgeordnete gewählt sind, Urlaub gewährt werden muß. Von Arbeitern in Staatsbetrieben ist keine Rede, niemand hat bei der Be- ratnng des Gesetzes an sie gedacht. Die Sozialdemokratie batte denn auch ans eine Ablehnung deS Gesuches gerechnet, um dann einen furcht- baren Feldzug gegen den „Klasienstaar" und seine Negierung inszenieren zu können. Und vor diesem Gedanken hat die Negierung, das läßt sich durch alle schönen Worte nicht verwischen, einfach kapituliert. In ihrem Respekt vor den königlich bayerischen Sozialdemokraten ist ihr ein noch einsgckerer und dabei korrekter Ausweg gar nicht in den Sinn gekommen, gegen den auch die Sozialdemokratie nichts hätte einwenden können, näm lich dem Abg. Roßhaupter zu erwidern, sie könne seinem Gesuche wegen der im Gesetz vorhandenen Sätze vorerst nicht entsprechen, werde aber den Landtag mit der Ergänzung deS Gesetzes beschäftigen. Die Negierung stützt nun ihre Entscheidung unter Umgebung aller juristischen, staatS- und etatSrcchtlichen Grundsätze darauf, es sei Wahlgesetze kein Verbot enthalten, den staatlichen Arbeitern die gleiche Begünstigung wie den Staatsbeamten zu gewähren und daher sei sie aus dem Verwaltungswege dazu befugt. Ein VersassungSpesetz kann alwr nach Ansicht der bayerischen Negierung durch Eingriffe der Verwaltung ohne weiteres geändert und ergänzt werden. Ter Staat, bzw. der Ver- kebrSminister, so argumentiert sie weiter, kann hier als „Arbeitgeber" handeln und daher den Lohnsortbezug auS eigener Machtvollkommenheit bewilligen. Ein Minister darf aber ohne Genehmigung deS Landtag? über StaatSgelder verfügen. Welches Lamento über Verletzung deS EtatSrcchtS würden die Sozialdemokraten in einem anderen Falle an stimmen — hier haben sie — auf die Höhe der Summe kommt eS dem 181. Zabrqanq Ium Ttampfe nm die Armee in Frankreich. Der stille Kampf um die Armee, der in Frankreich -wischen der Regierung und den Kommandostellen geführt wird, ist nieder e.nmal leb- Hafter emporgeslackert. Die Kammerdebatten am Freitag wurden sehr leidenschaftlich geführt. Tas Buch Humberts: „Sind w,r verteidigt? , und ein Aufsatz des Generals Langlois in der „Revue des deux monde^ über „Unsre militärische Lage" gaben reichlich Stoss zu Erörterungen. Es verlohnt sich, den Inhalt der ernsthafteren LangloiSschen Au->- sührungen kurz wiederzugeben: „ - ..... , „E-i ist nötig, damit man eine exaktere Vorstellung von der Wirk lichkeit der Dinge bekommt, die Gefechtseinheiten der verschiedenen Waffengattungen, die unsere Armee zusammensetzen, zuerst zu betrachten. Ten 633 Jnfanteriebataillonen, den 102 Kavallerieregimentern und den 574 Feldbatterien zu je 6 Geschützen l3144 Fenerscklünden! Deutschlands stellt Frankreich gegenüber 651 Bataillone Infanterie, 89 Kavallerie regimenter, 506 Batterien zn 4 Geschützen 12024 Feuerschlündc). W?nn wir unsere afrikanischen Truppen auSscheiden, haben wir ans dem Kon tinent nur 598 Bataillone, 79 Regimenter Kavallerie und 494 Batterien oder 1976 Geschütze . . . Das, was betroffen macht, ist unsere Unter- legenheit an Kavallerie und besonders an Artillerie. Nun bat aber der Feldzug in der Mandschurei, wie alle früberen Kriege, die unaufhörlich wachsende Wichtigkeit der Artillerie gezeigt. Die Gefahr unserer Lage in dieser Hinsicht ist also handgreiflich." Das zweite, waS von Be deutung ist, ist die strategische Verteilung der Streitkräfte, besonders die der Truppenteile, die, an der Grenze verteilt, bestimmt sind, den strategischen Aufmarsch zu decken strorryo« cks aouvorturvl. Auch in vieler Beziehung sei Deutschland bester gestellt als Frankreich, b-hanptei General Langlois. Die Deutschen könnten mit Leichtigkeit, wegen zahlenmäßiger Ueberlegenheit der Grenztruppen, die erste Staffelstellung der Franzosen nehmen und so deren strategischen Aufmarsch vereiteln. Tahin wirke auch noch eine zweite Besonderheit der Verhältnisse, der Unterschied der Verfassungen beider Länder: der Deutsche Kaiser könne zu jeder Minute di« Mobilmachung anordnen, während in Frankreick zeit» rnnbende Formalitäten vorhergehen müßten sZustimmnng des Paria- mentS!). So gewänne Deutschland am Anfang einen großen 'Vor sprung. Und Deutschland denke beständig daran, im aeaebenen Aneen- blicke unerwarteterweise und plötzlich über Frankreich herznsollen. kXU Wer nach 3t:iäbriaem Denken noch nicht zur Tat gekommen ist. kann doch höchstens Mitleid, keine Furcht Hervorrufen! Nur aus den Fall, daß Frankreich uns »winat zum Kriege, kann das Bismarck'cke Wort ange wandt werden, doS Langlois sehr unterstreicht: „Die erste Mitteilung, die die Mächte von unseren Absichten erhalten we^k.'n, wird der Donner der preußischen Kanonen in der Ehampaane sein." 1875.) Langlois malt das Unglück aus: „Nehmen wir an, daß der Dent'cke Kaiser, ent- schlossen, unS zn überfallen, am 2. des Monats »ns anoreif.m will. V 'M 1. abends an werden unter dem Vorwande einer Hebung die nächsten Garnisonen an die Grenze vorgeschoben, in der Weise, daß die letztere am 2. morgens überschritten werden kann. Diese Bewegung würde, wohl verstanden, zu Fuß anSgesührt. Der Mobilmachungsbefehl würde ab» . gefertigt am 1. abends gegen 9 Ubr fürs ganze Reich und von ll Uhr abends oder Mitternacht an würden sich die ersten Eisendohnzüae in Be wegung sitzen' eS würden sich die in einem Umkreis von 200 Kilometern nm Elmtcan-SalinS -nsammengerasften Truppen in ihrer Friedens» stärk» am Morgen des 2. der Grenze nähern. Die Truppenausladunge:, würden beginnen den 2. gegen 3 Ubr morgens und würden unaufhörlich ordauern, und am Vormittag, in dem Augenblick, wo unsere Regierung kaum benachrichtigt Ware, hätte eine ungeheure Woge von Angreifern Frankreich überschwemmt. Die Truppen dieser ersten Staffel würgen ankommen aus der Linie Spincourt. Etain, Nancy, Belfort gegen Mittag, ohne Widerstand gesunden zn hoben' aus dicsir Linie würde das erste Vorgefecht stattfinden. Am Kampsi könnten auf unserer Seite nur tril- nebmen die Truppen der Gren,stellung Longwn-Toul-Bclsort. 46 Ba taillone, 28 Schwadronen, 136 Kanonen. DaS Eingreifen unserer Di visionen von Verdun und Saint-Mihiel könnte sich erst zn spät bemerk- bar machen. Aber während deS ganzen Tage» würden die deutschen Eisenbahnzüge Verstärkungen herbeisühren, aus französisches Gebiet bis unmittelbar hinter die Feuerlinie." Diese Jnnnsion würde nun in: Grenzgebiet bis weit nach dem Innern alle militärische Organisations arbeit bindern, besonders die Einziehung der Reservisten: damit wä^en die Gernzsestnngcn sBesiort, Toul, Epinal und Vcrdun) aus ihre dürf tigen FriedenSgarnisonen angewiesen. Weiter sei höchst bedenklich di geringe wirkliche Friedensstärke der Gefechtseinheiten überhaupt, wie sie durch daS Gesetz vom 21. Mär- 1995 festgestellt sei; bedenklich sei der Mangel an Unteroffizieren. Und nun der Geist der Armee. „Unsere Armee von 1870 besaß den besten Geist: da? was ihr fehlte, außer der Zahl, daS waren für den Krieg wohlvordereitete Führer." Da hat man sogleich nach dem Kriege einen tüchtigen Anlauf zur Beste- rung gemacht. „Die schnelle Reorganisation unserer Kräfte und tue außeiordentlichen Fortschritte gaben allen Vertrauen, Begeisterung, Hoffnung. Bei den Manbvern von 1891 erreichte die Armee den Gipfel Grundsätze gegenüber natürlich gar nicht an — nichts dagegen einzn- wenden. Nun sei bemerkt, daß sich gegen den Inhalt der Regierungs entscheidung nur ganz vereinzelte Stimmen in der bayerischen Presse erhoben haben, während in der Kammer nur die Freie Vereinigung sic sehr scharf kritisierte, weil es sich um einen Sozialdemokraten handelt, die anderen Parteien aber darüber einig waren, daß jeder Staate»- arbeiter, ohne Unterschied der Parteistellung, als Abgeordneter auf Ur laub und Lohnfortbezug Anspruch erhalten solle. Dazu gibt es aber nur einen Weg: die Ergänzung des Verfastnngsgesetzes. Dielen Weg schlägt der liberale Antrag ein. Die Negierung aber stellt sich auf den fast unglaublichen Standpunkt, eine solche Aenderung sei nicht nötig, auch künftige Fälle ließen sich auf dem Verwaltungswege erledigen. Der Grund des Widerstandes kann nur in der Befürchtung liegen, in der Kammer der Neichsräte würde sich nicht die nötige Zweidrittelmehrheit finden und dann die Negierung erst recht in der Tinte sitzen, eine Be fürchtung, die höchstwahrscheinlich gar nicht zutrifft. Und die Parteien? Die Sozialdemokraten waren zwar volsrm vc>len8 für den Antrag, halten ihn aber nicht für dringlich. Das Zentrum aber, besten ganze Presse noch vor einigen Wochen die gesetzliche Re gelung als unabweisbare Pflicht bezeichnete, ist wieder verschiedener Meinung. Seine Mehrheit beantragte durch den Abg. Lerno die Uebcr- Weisung des Antrages an einen Ausschuß, was bei der ausgezeichneten Begründung durch den Abg. Dr. Thoma völlig unnötig wäre, eine an- scheinend geringe Minderheit des Zentrums aber erklärt sich auch gegen eine Ansschußberatung, weil kein Grund zn einer Versossungsändernnq gegeben sei. Wie der Antrag ans dem Ausschuß herauSkommt, läßt sich nicht sagen. Der Abg. Lerno stellte sich allerdings dazu freundlich, ober unter manchem Wenn und Aber. Jedenfalls stcbt fest, daß es außer den Liberalen keiner Partei darum zu tun ist, mit allem Nachdruck ein Vcr- sastnngsgcsetz vor Eingriffen der Verwaltung -n schützen. Das Ganze mag aber als Beitrag zur Charakteristik bayerischer Regierungspolitik und Verhältnisse dienen.
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