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01-Frühausgabe Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 05.09.1898
- Titel
- 01-Frühausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1898-09-05
- Sprache
- Deutsch
- Vorlage
- SLUB Dresden
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-18980905011
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id453042023-1898090501
- OAI
- oai:de:slub-dresden:db:id-453042023-1898090501
- Sammlungen
- Saxonica
- Zeitungen
- LDP: Zeitungen
- Bemerkung
- Seiten doppelt vorhanden
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
-
Zeitung
Leipziger Tageblatt und Anzeiger
-
Jahr
1898
-
Monat
1898-09
- Tag 1898-09-05
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Monat
1898-09
-
Jahr
1898
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6642 Jntereffe dagegen, wie jedenfalls auf der Innung Veranlassen von dem Herrn Ober-Commiffar Bennemann in seinem er statteten allerunterthänigsten Berichte angeführt worden sei, leide durch sie nicht den mindesten Schaden; ganz im Gegentheil. Denn sie zahlten dieselbe Steuer wie die Bitterfelder Töpfer, sogar die dreifach größere wie jene, wenn sie ganze Brände auf einmal verkauften. Daher würde ihnen, so vertrauten sie, dilligerweise Das zu gönnen sein, was Handwerksrecht mit sich bringt, und ihnen wohl freistehen, ihre Arbeit einzeln oder in ganzen Bränden zu verkaufen. — Man scheint ihnen auch Recht gegeben zu haben. In einem Urtheil deS Oberhofgerichts vom Jahre 1728 wird der Beklagte Eli Handschuh dahin bcschieden, daß er nicht befugt sei, der klagenden Gemeinde Klein-Kühna (1H Stunde westlich von Delitzsch) zu verwehren, eine Schmiede in ihrem Orte zu erbauen und sich einen Schmied zu halten, er habe sich aller weiteren Turbation bei 20 Thaler Strafe zu enthalten. Am 2. April 1732 erfolgt auf des Syndikus der Leine weberinnung zu Delitzsch, Meister Johann Kühncrt's, weiteres Ansuchen Gerichtsbefehl aus Glesien an die Leineweber zu Kölsa (zwischen Schkeuditz und Delitzsch), sie sollten sich, da sie Hand- werks-Stöhrer und Pfuscher wären, die zu keiner Innung ge hörten, des Leinewebens enthalten und schärferen Verordnungen oder wirklicher Exekution und Aufhebung keinen Anlaß geben. Dieser Befehl wird am 8. December 1733 von der Fürst). Sachs. Stiftskanzlei zu Merseburg bestätigt und neu eingeschärft. Am 9. December aber ließen sich laut Jnnungsbrief die so schwer in ihrer Existenz bedrohten Köksaer Leineweber in die Innung zu Schkeuditz aufnehmen, nachdem sie dort vor offener Lade er schienen waren und das Meister-Recht erworben hatten. In einer vom Landesherrn Herzog Heinrich zu Sachsen u. s. w. am 9. Juni 1735 zu Merseburg ausgestellten Verordnung werden die Behörden angewiesen, darauf zu achten, daß die Delitzscher und Kölsaer folgendem, von ihnen abgeschlossenem Vergleiche nach lebten: 1) Das Handwerk zu Delitzsch erkennt die Kölsener als Landmeister an und gestattet ihnen das Weben ungehindert. 2) Die Kölsener holen kein Garn aus Delitzsch oder dessen Be zirke bei Strafe von 2 Gulden, davon 1 das Gericht, 1 die Innung zu D. erhalte, und Wegnahme des Garns. 3) Wird den Kölsnern aber von Delitzscher Amtsbezirkselnwohnern das Garn hingebracht, so können sie dasselbe verarbeiten. Diese 3 Punkte treu zu halten, hatten die Parteien vor Gericht mit Handschlag gelobt. In der Entscheidung heißt es u. A.: Es sei wider die gnädigst confirmirten Jnnungsartikel, daß die Kölsner in D. Garn holten. Andrerseits aber sei das gericht liche Arbeitsverbot an die Kölsener Leineweber, die ins Stift gehörten, ergangen, „da sie noch Pfuscher gewesen und es mit dem Schkeuditzer Handwerk nicht gehalten, anjetzo aber habe es mit ihnen eine ganz andere Bewarrdtniß; es sei nicht abzusehen, wie die Erbländer in das Stift eingreifen wollten, inmaßen die Schkeuditzer auch nicht in die Erblonde dürften, daselbst Arbeit zu holen". - - - > wie die Amerikaner Krieg geführt haben. AnS New Nork, 25. August, wird dem „Hamb. Corr." geschrieben: So lange im Kriege gegen Spanien immer ein Sieg nach dem anderen hier in Amerika gefeiert werden konnte, hat man nicht daran gedacht, von den Schrecken des Krieges zu reden. Jetzt aber kehren in langen Zügen die Trans portschiffe mit den Truppen aus Cuba und Puerto Rico zurück, und das Jammern und Wehklagen der amerikanischen Soldaten übertönt das Triumphgeschrei, von dem seit Wochen die große Republik wiedergehallt. Die Enthüllungen, die diese heim kehrenden Mannschaften mit sich bringen, sind ganz furchtbare, und ein ganzer Berg von Anklagen thürmt sich auf gegen Die, die den Krieg in so leichtfertiger und un vorbereiteter Weise begannen — aber mehr noch gegen die Ver waltung in Washington, gegen die Jntendanturbeamten. Es ließ sich ja schließlich weder verlangen, noch erwarten, daß diese Intendantur, die den Haushalt des Heeres, seine Ernährung, Bekleidung, Ausrüstung und Verpflegung der Verwundeten und Kranken zu überwachen hatte, hier in den Vereinigten Staaten so vortrefflich eingerichtet und ausgebildet sei wie beispielsweise im deutschen Heere. Aber daß sie sich so — wenn ich mir den Ausdruck gestatten darf — unter aller Kritik erbärmlich erweisen werde, das war nicht vorauszusetzen. Man fragt sich jetzt voll Entsetzen, auf wem eigentlich die Verantwortung für die traurigen Zustände laste. Es hat so ziemlich an Allem gefehlt, was ein im Felde stehendes Heer nöthig hat, und der Hungertod hat sogar den Soldaten des Landes, das sich so gern mit seinem Reichthum brüstet, in die Augen geschaut. Tagelang blieben oft die Sendungen von Nahrungsmitteln aus, und wenn sie endlich eintrafen, stellte sich heraus, daß sie schlecht und verdorben, häufig sogar überhaupt nicht genießbar gewesen waren. Wurden die Soldaten dann vom Fieber aufs Krankenlager geworfen, dann fehlte es an Medikamenten. Die Jntendanturbeamten in Washington, Tampa und Key West wußten häufig überhaupt nicht einmal, was aus manchen der Verpflegungsschiffe geworden war! Es ist vorgekommen,daß dieOfficiere und Mannschaften desBlockade- geschwaders an der Südkllste von Cuba sich wochenlang von Zwieback und Bohnen nähren mußten, weil durch das Ver sehen oder die Nachlässigkeit eines Jntendanturbeamten das Verpflegungsschiff mit den Vorräthen in Key West liegen blieb, statt daß es die Schiffe des Blockadegeschwaders mit Nahrungs mitteln und Eis versorgte. Ehe das Shafter'sche Armeekorps von Tampa nach Santiago abging, wurde fast täglich aus Washington über riesige Contracte zur Lieferung von Gemllse- und Fleischpräserven berichtet, über besonders eingerichtete Kühlungsschiffe für den Transport von frischem Fleisch und über, Hospitalschiffe, die bis zum Deck mit Medikamenten, Ver bandszeug und ausgewählten Nahrungsmitteln für die Kranken und Verwundeten beladen seien. Was ist aus ihnen geworden? Es scheint, daß auch diese Schiffe aus Versehen irgendwo zurück geblieben oder nach ganz falschen Plätzen dirigirt worden sind. Daß der Zustand der jetzt heimkehrenden amerikanischen Soldaten ein grauenhafter ist, ist nach solchen Dingen nur zu begreiflich. Während die feindlichen Kugeln in den Kämpfen um Santiago nur etwa 280 Mann getödtet haben, sind fast alle Ueberlebenden an verschiedenen Fiebern und der Ruhr er krankt. Da die Leichterschiffe, mittels deren die Transport dampfer ausgeladen werden sollten, die wirklich ihren Be stimmungsort erreichten, bis auf ein einziges von Stürmen zerstört und die Wege infolge der unaufhörlichen Regengüsse nur für Packesel benutzbar waren, konnte den Kranken nicht einmal die Nahrung und die Arznei zugeführt werden. Sie lagen zu Hunderten auf dem durchnäßten Erdboden und starben in solcher Zahl dahin, daß die Aerzte befürchteten, das ganze Heer werde zu Grunde gehen. Deshalb wurde die Rück beförderung nach dem Norden überhastet, die Lazarethschiffe wurden einerseits mit Kranken überfüllt, andererseits nicht genügend ausgerüstet, und als sie endlich in Montank Point eintrafen, waren die Vorbereitungen hier kaum begonnen. In Puerto Rico brachen zwar keine klimatischen Fieber aus, wohl aber brachten die meisten Regimenter schon aus ihren Feldlagern den Typhus mit, der nachher furchtbar unter ihnen aufräumte. Der Anblick der gespensterhaften Gestalten, die aus den Kranken schiffen herausgetragen werden, ist so entsetzlich, daß er die stärksten Männer zu Thränen rührt! Daß sich des amerikanischen Volkes eine zornige Empörung angesichts dieser Dinge bemächtigt hat, ist begreiflich. Aber es sind nur die Früchte seiner eigenen Saat, die es nun erntet. Es hat vor dem Kriege ernste, ehrenfeste Männer genug gegeben, die gewarnt haben, die dem Volke die großen Gefahren eines Sommerfeldzuges in den Tropen vor Augen hielten. Aber ihre Warnungen wurden in den Wind geschlagen und sie selbst als Feiglinge und Feinde des Vaterlandes verhöhnt und verlästert. Was aber vorausgesagt wurde, ist in seiner ganzen Furchtbarkeit eingrtroffen, obwohl ein geradezu erstaunliches Glück die amerikanischen Truppen begleitete. Was hätte werden sollen, wenn Santiago nicht so schnell capitulirt, wenn der Krieg sich noch bi» in den Herbst hineingezogen hätte? Jetzt will e» daS amerikanische Volk selbstverständlich nicht gelten lassen, daß der Krieg an und für sich die Leiden der Soldaten hervor gerufen hat. Es ist wahr, daß die Verwaltung ein Theil der Schuld trifft, aber es Ivar doch das aufgeregte, irregeleitete Volk, das die Regierung förmlich in den Krieg hineinhetzte. Ein Hauptfehler liegt noch an der besonders auf Veranlassung des Kriegsministers Alger und infolge der Nachgiebigkeit Präsident Mac Kinley's erfolgten Besetzung vieler durch den Krieg nöthig gewordener Stellen im Kommissariat, in der Truppeninspection und im Quartiermeisteramt mit völlig un brauchbaren Leuten, die solche Anstellungen hauptsächlich durch politische Einflüsse oder als Söhne reicher Väter erhielten. Auch der Verdacht, daß sich zur Unfähigkeit mehrfach auch Unehrlichkeit gesellte, liegt nur zu nahe und ist auch bereits hier und da erwiesen. Kaisermanöver. * Hannover, I. September. (Ausführlicher Bericht.) Heute am Tage der grotzen Kaiserparade über Vas X. Corps, die 17. Di vision und die Cavallerie-Division ü, war buchstäblich von früh an nicht nur „ganz Hannover «uf den Beinen", sondern auch die umlie genden Städte und Ortschaften entsandten endlose Massen, die sich zn Fuß und zu Wagen — und aus was für Wagen mitunter —, mit der Eisenbahn und aus dem Rade dem Festplatze zu bewegten. Für die Radfahrer waren denn auch bei der grotzen Tribüne beson dere Vorkehrungen zur Aufbewahrung der Maschinen getroffen. ES ist ein weiter Weg von Hannover bis da hinaus, aber in seiner ganzen Länge war er von Harrenden besetzt, die der Majestäten an sichtig werden wollten. Um 9 Uhr verliehen der Kaiser und die Kaiserin das Schloß. Der Kaiser fuhr im offenen Zweispänner, begleitet vom Flügeladjutanten Oberst Mackensen; er trug die Uni form der KönigSulanen. Die Kaiserin folgte im Sechsspänner ü In Daumont, mit Spitzenreitern, escortirt vom Lderstallmeister Grafen Wedel und Premierlieutenant v. Melgenofs, sowie einer Abtheilung der Leibgarde der Kaiserin. Die Kaiserin trug ein weißes geblümtes Seidenkleid, darüber bas Gand des Schwarzen Adler-Ordens; an ihrer Seite satz die Oberhofmeisterin Gräfin Brockdorff. Auf dem Wege durch Linden bildeten die Kriegervereine der Provinz Hanno ver, deS GrotzherzogthumS Oldenburg und des HerzogthumS Braun schweig, die Veteranen-Vereine, Gesangvereine, Handwerker-Innun gen, Feuerwehren, diese in ihren kleidsamen Uniformen mit eigenen Musikcorps, die communalen Vereine uns die Schulen Spalier, im Dorfe Ricklingen ebenso. Den kleinen frischen braunen Bauernmäd chen und Torfjungens lachte die Freude aus den Hellen blauen Augen, und jeder vorbeitrabender Officier wurde mit staunender Bewunderung begrüßt. Am Eingang zur Stabt Linden, bei der vom Architekten Sasse hinter der Ihme-Brücke erbauten schönen Ehrenpforte standen die städtischen Behörden, die Geistlichkeit und Ehrenjungsrauen. Bürgermeister v. Lichtenberg redete den Kaiser, der seinen Wagen halten ließ, folgendermaßen an: bw. Kaiser!, und König!. Majestät bringen die Vertreter der Stadt Linden ihren allerunterthänigsten Willkommensgruß ehrerbietigst bar. Seit jenen für Linden bedeutungsvollen Tage, an welchem Ew. Majestät zum ersten Male das Gebiet dieser Stadt zu be rühren geruhten, haben wir unter Ew. Majestät mächtigem Schutze eine lange segensreiche Friedenszeit durchleben dürfen. In ungeahnter Weise hat sich unsere junge Industriestadt in Folge des im verflossenen Tecennium Gw. Majestät Regierung in allen Welttheilen sichtbar gewordenen und anerkannten Em porblühens und Wachsthums unserer deutschen Industrie ent wickeln können. Mir dankerfüllten Herzen werden Ew. Majestät heute be grüßt von der Einwohnerschaft unserer Stadt, die getragen ist von der zuversichtlichen Hoffnung, daß Ew. Majestät noch viele weitere Jahrzehnte hindurch unserem deutschen Vaterlande wie bisher einen rühm- und segensvollen, unserer Hände Arbeit schirmenden und fördernden Frieden erhalten werden. Allen Gefühlen des Dankes und den Wünschen, welche wir mit der Bürgerschaft unserer Stadt am heutigen Tage hegen, geben wir, das Gelübde unerschütterlicher Treue und Anhäng- ! chkeit erneuernd, durch die Worte Ausdruck: Gott segne! Gott schütze! Ew. Kaiser!, und König!. Majestät! Der Kaiser dankte, indem er hervorhob, er freue sich zu Horen, daß die Industrie in Linden gute Fortschritte mache, und er erhoffe ein weiteres Wachsthum derselben. Ter Bürgermeister brachte ein Hoch aus, und die Eapelle der Feuerwehr fiel mit Musik ein. Der Kaiserin überreichte Fräulein Laporte einen Strauß und sprach einige Verse. Hierauf traten zwei Knaben vor, die eben falls Jeder ein Bouquet überreichten. Tie hohe Frau dankte, nahm die drei Blumensträuße und fragte u. A. die Knaben nach ihren Namen, indem sie diesen und dem Fräulein Laporte die Hand reichte. Unter brausenden Hurrahs der Bevölkerung fuhren die Majestäten weiter. In Ricklingen war vom Architekten Bögemann ein Obelisk errichtet, der die Erzeugnisse des Kreises, Salz, Kohlen re., versinnbildlichte. Hier hatten die Vertreter des Landkreises Rick lingen, der Landrath Or. Meister, der Kreisausschuß, die Kreis tagsmitglieder nebst der Geistlichkeit und den Gemeindevertrctern der vom Paradefeld berührten Ortschaften Aufstellung genommen, und der Landrath begrüßte die Majestäten. Beim Ricklinger Holz angekommen, stieg der K a i s e r zu Pferde und begad sich durch die große Ehrenpforte aus das Paradeseld. Tas Welter war trübe, klärte sich aber alsbald aus. * Hannover, 3. September. (Ausführlicher Bericht.) Ter erste, die Kaiscrmanöver regelmäßig einleitende militairische Act, die große Parade, fand heute Vormittag bei sehr günstigem Wetter statt. Tas Barometer hatte wenig glückliche Aussicht erösf- net und in der That sah es heute früh trübe genug aus; die Wolken hingen tief und einige Güsse schienen unausbleiblich. Von allen Seiten strömten die Truppen nach dem vom Generalkommando fest gelegten Plan herbei, um ihre Plätze hinter der Trace der Auf stellung einzunehmen und sich von dem Einrücken in die Linie aus zuruhen. Auf der dichtbesetzten Tribüne wurden alle anmarschiren- den Truppentheile mit lebhaftem Interesse beobachtet. Um 9 Uhr 30 Min. wurde dem commandirenden General die Meldung erstattet, daß Alles zur Stelle ist. Einige Minuten später wird die Aufstel lung eingenommen. Fast unabsehbar dehnt sich die Linie, die im ersten Treffen eine Ausdehnung von 2500 m hat. Einige Minuten vor 10 Uhr wird dem commandirenden General die Ankunft des Kaisers gemeldet; er giebt das Ankündigungscommando „Gewehr über", dem alsbald das Präsentiren folgt. Eine starke Bewegung bemächtigt sich der Zuschauer, als der Kaiser, von glänzender Suite gefolgt, nach dem rechten Flügel der Ausstellung sprengt, um zu nächst die Front der 37. Brigade abzurciten. Brausendes Hurrah ertönt, als der Monarch, der Ulanenunisorm angelegt hatte und einen Schwarzbrauncn ritt, auf dem Paradefelde erscheint. Das Wetter, vorher so wenig versprechend, hatte sich aufgeklärt, und Helle, doch nicht zu heiße Sonne bestrahlte das glänzende militairische Bild. Tie Kaiserin folgte diesmal zn Wagen ihrem hohen Gemahl; sic hatte in einem L in Daumont bespannten Wagen Platz genommen und trug «in weißes Kleid nebst dunkler Pelzboa, daze einen runden weißen Hut, mit weißen Federn verziert. Volle vierzig Minuten nahm das Abreiten der beiden Tressen in Anspruch, das bei der zweiten Linie vom linken Flügel aus erfolgte. Dann nahm der oberste Kriegsherr vor der Mitte der Tribüne Aufstellung, um den Parademarsch abzunehmen, der bei der Infanterie zunächst in Com- pagniesront im Schritt erfolgte. Der Wagen mit der Kaiserin, an deren Seite die Oberhosmeisterin saß, stand rechts neben dem Kaiser. Tie Zuschauer erhoben sich, um mit Hochs und Tücherschwenken die Majestäten zu begrüßen, eine Ovation, die dankend durch militairi- schen Gruß und Verneigen erwidert wird. Als das Regiment Prinz Albrecht sich nähert, setzt sich der hohe Ehrs, dessen Namen es trägt, an die Spitze, um sein Regiment dem Kaiser vor- zusühren; salutirend senkt der Prinz den FeldherrnstaV vor d«m Kaiser, und sprengt dann an dessen Seite, wo er von nun ab ver bleibt und vom Kaiser ins Gespräch gezogen wird. Regent Herzog Johann Albrecht führt das Mecklenburgische Grenadier-Regi ment Nr. 89 vorbei. Die beiden Pionierbataillone 10 und 9 bilden den Schluß der Infanterie, deren erster Vorbeimarsch stark eine Stunde in Anspruch nimmt. Den Vorbeimarsch des zweiten Treffens eröffnet das Olden- burgische Dragonerrcgiment Nr. 19, vorgesührt vom Erbgroßherzog von Oldenburg, der den Chef des Regiments, den Großherzog, ver tritt. Den blaurothen Lanzensähnchen der Oldenburger folgen die schwarzweihen der Königsulanen. Der Kaiser erweist seinem Regi ment die Ehre, es persönlich seiner hohen Gemahlin vorzuführen, die den Vorbeimarsch, im Wagen stehend, aufmerksam verfolgte. Das Publicum begrüßte den Kaiser mit lebhaften Hurrahrufen. Dem Braunschweigischen Husaren-Regiment reitet der Paukenift voraus, auch das Mecklenburgische Dragoner-Regiment Nr. 17, dessen roth- gelbe Fähnchen das Bild bunt gestalten, besitzt «inen solchen Pauke nisten. Ter zweite Vorbeimarsch fand in Escadronsfront in» Galopp statt. Leider wurde der zweite Parademarsch, zu dem der Kaiser seinen Standplatz gegenüber der Tribüne nahm, stark durch Staub beeinträchtigt, am wenigsten noch bei dem Marsch der Infanterie in Regimentscolonnen. Die Cavallerie und Artillerie, die nun in Es- cadrons- resp. Batteriefront im Galopp vorbeikamen, verschwanden für die Zuschauer zeitweise vollständig in grauen Staubwolken. Wiederum führten der Kaiser, Prinz Albrecht, Herzog Johann Al brecht und der Erbgroßherzog von Oldenburg die betreffenden Regi menter vor. Soviel man bei der Trübung des Gesichtsfeldes be obachten konnte, kamen besonders gut das Königs-Ulanen-, das Westfälische Cürassier-Regiment und die BiSmarck-CUrassiere vorbei. Um 1'/» Uhr ritt der Kaiser nach kurzer Kritik zu den K r i e g e r v e r e i n e n. Er nahm den Rapport derselben ent gegen und sprach seine Freude aus, so viele alte Krieger begrüßen zu können. * Hannover, 3. September. Bei dem heutigen Parade ll s n e r brachte der Kaiser folgenden Trinkspruch aus: „Ich freue Mich, baß der heutige Paradetag Mir die schöne Gelegenheit gegeben hat, Eurer Excellenz (zu General v. See deck gewandt) an der Spitze des Armeecorps Meine allerhöchste Zufriedenheit aussprechen zu können. Ich danke den hohen EontingentLherren, die hierher gekommen sind, theils als Ver treter, theils an der Spitze ihrer Kontingente, welch« am heuti gen Tage in den Reihen des Corps so herrlich abgejchnitten Haden. Und fürwahr, wenn man die Söhne des friesischen und niedersächsischen Stammes in ihrer Masse und in ihrer Schön heit in den Regimentern zujammengesaßt stehen sah, wie sie sich heute dem Auge darstellten, so konnte wohl dem obersten Kricgs- yrrrn das Hrrz höher schlagen, wie viel mehr bei dem Ge- vankcn an die folgenschwere und schöne Geschichte, die in den Fahnen der Regimenter verzeichnet ist, von den zersetzten Feld zeichen, die auf Spaniens Boden ihren Regimentern vorange weht haben, bis zu den Tagen von Mars la Tour, Spichern und Loigny. Was Vie Regimenter damals geleistet und voll bracht haben, wie sie ihr«N Fahneneid mit ihrem Blute besiegelt haben, davon erzählt die Geschichte. Wir aber freuen uns dessen, baß das Resultat ihrer Thaten das ncugeeinte und wiederer- ftandene deutsche Vaterland ist, in dessen Mitte die Parade hat stattsinben können. Ich beglückwünsche das Corps zu dem heu tigen Tage und hege die Hoffnung und die feste Zuversicht, daß diese sturmerprobten Regimenter ebensogut wie aus der Parade, auch im Manöver sich zeigen werden und, bas bin ich gewiß, im Ernstfälle auch vor dem Feinde. So erhebe Ich denn Mein Glas und trinke auf das Wohl des zehnten Armeecorps unb der ihm angeschlossenen Regimenter: Hurrah! Hurrah! Hurrah!" * Hannover, 3. September. Heute Abend 6'/, Uhr sand bei dem Kaiser und der Kaiserin Paradetafel im Rittersaal des Resi denzschlosses statt. Die Musik stellten das 73. Infanterie- und das Königs-Ulanen-Regiment. Richts vom Kaiserpaar saßen Prinz Al brecht von Preußen, die Gräfin Brockdorff, der Erbgroßherzog von Oldenburg, General Bronsart von Schellendorff, Excellenz von Lucanus, zur Linken Herzog Johann Albrecht von Mecklenburg- Schwerin, Prinz Friedrich von Hohenzollern, Botschafter Gras Mün ster, General von Hahnke, Oberhosmarjchall Graf zu Eulenburg. Gegenüber den Majestäten saßen Generaloberst Gras Walbersee, die Generale von Hofsbauer, von Seedcck, von Schliessen, der Kriegs minister General von Goßler. Weiterhin folgten die übrigen Gene rale und Würdenträger, die Militairbevollmächtigten der Bundes staaten, die sremdherrlichen Ofsiciere und die Obersten der Regi menter, die in Parade gestanden hatten. * Hannover, 3. September. Heute Abend sand aus dem Frie- deriken-Platze vor dem Schlosse Zapfenstreich statt. 1500 Musiker, von Mannschaften, welche Magnesiumsakeln trugen, be gleitet, zogen vom Waterloo-Platze her vor das Schloß. Die Maje stäten unb die hier anwesenden höchsten Herrschaften erschienen auf dem großen Balkon des Schlosses. Tie Musikstücke wurden unter der Leitung des Armee-Musikinspicienten Roßberg vorgetragen. Der Platz, welcher durch Scheinwerfer erleuchtet war, war von einer dicht gedrängten Menschenmenge besetzt. Auch heute waren zahlreiche Häuser sestlich erleuchtet. Gerichtsverhandlungen. Königliches Landgericht. Ferienstrafkamnier It. 6. Leipzig, 3. September. Kümmelblättchenspieler hatten am 9. Mai den Bäckergesellen V., der hier zugereist war, um seine ganze Baarschaft von 15 geprellt. B. war aber durch einen Dritten belehrt worden, daß er Gaunern in die Hände gefallen war, und veranlaßt worden, sein Mißgeschick einem reitenden Schutzmann mitzutheilen, der seinerseits die beiden Leute verfolgte und festnahm. Sie gaben sich für den Fleischergesellen Wolf aus Breslau und den Bäcker und Conditor Hoffmann aus. Es bestand jedoch dringender Verdacht, daß dies nur falsche Namen und die von ihnen vor gezeigten, aus dieselben Namen lautenden Legitimationspapiere ge fälscht seien. Dieser Verdacht sand in dem Umstand Unterstützung, daß bei dem angeblichen Wolf Stempel verschiedener Ortsbehörden vorgefunden wurden. Am 24. Mai bequemte sich denn auch Hoff mann endlich zu dem Zugeständniß, daß er der 39 Jahre alte Bäcker Gustav Adolf Fuchs aus Saar (Kreis Namslau) sei. Einen Monat später, am 22. Juni, gab Wolf ebenfalls seinen wahren Namen an, eS war der 32 Jahre alte Appreteur Christian Eduard Seifert aus Aue. Nachdem die Strafregisterauszüge von Fuchs und Seifert herbeigezogen waren, ergab sich auch das Motiv für den mit großer Consequenz in allen Verhören beibehaltenen falschen Namen. Es stellte sich nämlich heraus, daß Fuchs wegen gewerbsmäßigen Glücksspiels zwei Mal in Gera mit drei Monaten und in Hannover mit einem Jahr Gesängniß bestraft war, während Seifert sogar fünf Mal wegen gleichen Vergehens in Chemnitz, Wiesbaden, Magdeburg und Berlin Strafen von 8 Monate», l'/r Jahren, 2 Jahren 1 Monat, 9 Monaten und 2 Jahren er litten hat. Durch die Beweisaufnahme wurde sestgestellt, daß Fuchs am Magdeburger Bahnhof V. angesprochen und veranlaßt hat, mit ihm in die Speiseanstalt am Johanncsplatz zum Mittagsbrod zu gehen. Dort traf man mit Seifert zusammen und es wurde vorgeschlagen, Nachmittags einen Spaziergang nach dem Napolconstein zu machen. Am Bayerischen Bahnhof ging ein Mann an ihnen vorüber, der sein Taschentuch herauszog und dabei, anscheinend aus Ver sehen, sein Portemonnaie mit herausriß. V. hob es aus und gab es ihm zurück. Aus Dankbarkeit lud der Verlierer die drei Wanderer zu einer Runde Bier ein und schloß sich dann ihrem Spaziergang nach dem Napoleonstein an. Unterwegs machte man eine Ruhepause und setzte sich in einem Straßengraben nieder. Dabei erzählte der Neuhinzugekommene, der mit den beiden andern im Bunde war und die Comödie mit dem Portemonnaie nach ge troffener Verabredung, um sich harmlos einzuführen, in Scene gesetzt hatte, er habe gestern ein neues Spiel kennen gelernt, das mehrere Studenten ihm gezeigt hätten und bei dein er mehrere Flaschen Wein verloren hätte. Er zeigte ihnen nun das sogenannte „Kümmel blättchen", bei dem drei Kartenblätter rasch durcheinander geworfen verdeckt hingeworsen werden und die Lage eines vorher bezeichnete» Blattes errathcn werden muß. Fuchs ging zunächst auf den Vorschlag ein und wettete eine Runde Bier mit dem Hinzugekomnienen den sie nur unter den Spitznamen „Natur" kennen wollen. „Natur" machte nun die Procedur so ungeschickt, daß V. ganz genau sah, wo die verlangte „grüne Sieben" lag, während Fuchs natürlich falsch rieth und verlor. Das Gleiche geschah, als Seifert zehn Mark (richtiger gejagt eine Spielmünze) setzte und verlor. Als V. auch hier den richtigen Platz, wo die Sieben lag, angeben konnte, riethen ihm die beiden unglücklichen Spieler, doch ein Mal sein Glück zu versuchen. V. war auch nicht abgeneigt, einen Thaler zu riskiren, aber seine neuen Freunde riethen ihm, doch mindestens 20 zu setzen. So viel hatte nun zwar V. nicht, aber er ließ sich doch verleiten, seine ganze Baarschaft, 15 zu setzen und verlor sie natürlich. Der glückliche Gewinner gab ihm aber 1 als Reisegeld und forderte ihn auf, sich in Lönnern bei seinem Ver wandten, der Bäckermeister sei, zu melde», dort werde er Arbeit finden und seinen Verlust ersetzen können. Dann entfernte er sich. Fuchs und Seifert aber folgten ihrem Complicen, den sie in einem vorher festgesetzten Restaurant i» der Stadt treffen wollten, indem sie B. svorschwindelte», sie wollten ihren Koffer holen und sich am Magdeburger Bahnhof treffen. DieS wurde jedoch durch einen un bekannt gebliebenen jungen Mann vereitelt, der den Vorgang be- obachtet hatte und V. über seine Gefährten aufklärte. Mit Rück sicht auf das Vorleben der Angeklagten erkannte der Gerichtshof gegen Beide ans je ein Jahr drei Monate Gesängniß und drei Jahre Ehrverlust. Wegen Uebertretung nach 8 360 Ziffer 8 des Reichsstrafgesetzbuchs wurde Fuchs zu vier Wochen, Seifert zu fünf Wochen Hast verurtheilt. Von der erlittenen Unter suchungshaft wurden Fuchs drei Monate, Seisert zwei Monate zu- nächst auf die Hast-, dann auf dir Gefänguißstrase in Anrechnung gebracht. Nach Schluß der Nedaction eingegangen. Di« in dieser Nudnk mügelhrilten, während des Drucke« eingelaufenen Delegramme haben, wie schon au« ter Ueberschrifl ersichtlich, der Redaktion nicht Vorgelegen. Dies« ist mithin für Verstümmelungen und unverständliche Wendung«» nicht ver antwortlich ,u mache». * Berlin, 4. September. Ein Leipziger Correspondent be richtet der „Voss. Ztg." vor einigen Tagen nach der Mittheilung eines Augenzeugen, daß das Manuskript zu Herrn Moritz Busch's Buch „BiSmarck und sein Werk" mit Anmer kungen und Ergänzungen bon NiSmarck's eigener Hand versehen sei. Jetzt theilt demselben Blatte der betr. Augenzeuge Mt mit, daß seine Worte mißverstanden sein müßten. Was er gesagt, habe sich nicht auf Busch's Buch „Bismarck und sein Werk",'sondern aus frühere Veröffentlichungen Busch's bei zogen. * Berlin, 3. September. Die officiösen „Berk. Pol. Nachrichten" schreiben: „Durch die Zeitungen ging kürzlich die Nachricht, die fürstlich lippe'sche Regierung beabsichtige, gegen über dem Einspruch der fürstlich schaumburgischen Regierung die Thronfolge der gräflich Lippe-Biesterfeld- schen Linie durch ein Landesgesetz festzulegen, ehe sich der in jenem Streite angerufene Bundesrath über seine formelle Zu ständigkeit schlüssig gemacht habe. Wir bestreiten die Richtigkeit dieser Nachricht; die fürstlich lippesche Regierung wird selbstverständlich schon aus Gründen der Bundessreundlichkeit nicht die dem Bunbesratbe gebührende Rück sichtnahme außer Acht lassen." —?— Hamburg, 4. September. (Privattelegramm.) Eine von der Hamburger Ortsgruppe der Deutschen Friedensgesellschaft einberufene stark besuchte Volks versammlung faßte eine Resolution, welche dem Gedanken Ausdruck giebt, dem Abrüstungsvorscklag des Zaren müsse durch eine gcwaltigt Bewegung von Seiten des Volks ent- gezengekvmmen und dem Friedenswillen fortgesetzt machtvoller Ausdruck gegeben werden. F Sattowitz, 4. September. (Privatteleg ramm.) Die Warschau-Wiener Bahn erhielt die Erlaubniß zu den Vorarbeiten für die Warschau - Kali sch er Bahn mit Nebenlinien bis zur preußischen Grenze. *Müncheu, 3. Sept. Gegenüber den Mittheilungen der „Mil. Pol. Corr.", daß die Frage betreffend den obersten Reichs nr ilitairgerichts Hof gelöst sei und eS feststehe, daß Bayern einen besonderen Senat erhalte, wird den „Münch. N. N." von „zuständiger" Stelle versichert, daß die Frage inzwischen vollständig geruht habe. Wir haben bereits gestern unsere Zweifel an der Nachricht ausgedrückt. * München, 3. September. Der Reichskanzler Fürst zu Hohenlohe ist mit seiner Tochter der Prinzessin Elisabeth heute Abend hier eingetroffen. Zum Empfange waren die Herren der preußischen Gesandtschaft auf dem Bahnhofe an-, wesend. * BuziaS, 4. September. Die Kaisermanöver in Südungarn begannen gestern mit einer glänzend ausgeführten Attacke der Cavallerie des 7. Armeecorps, bei der sich das den Namen des Kaisers Wilhelm tragende Hüsarenregiment be sonders auszeichnete. * Haag, 4. September. Die Königin hat die Mitglieder des gegenwärtigen Cabinets auf ihren bisherigen Posten bestätigt. * London, 3. September, 10 Uhr 30. Min. Abends. Hiet verlautet, Omdurman sei am Donnerstag genommen worden; die Verluste auf englisch-egyptischer Seite sollen 2000 Mann, auf Sesiten der Derwische 8000 Mann betragen. * korunna, 4. September. Der Dampfer „Maria Christina" ist mit den von Cuba zurückkehrenden Soldaten hier eingctroffen. (Wdrhlt.) * Sebastopol, 4. September. Der Kaiser hielt gestern Parade über die Landtruppen ab und besichtigte später die Ruine des Malaiow-Thurmes. Dreyfus-Affaire. * Paris, 4. September. Der Justizminister Sarnen hatte gestern Nachmittag eine längere Unterredung mit dem Kriegs minister Cavaignac. Später conferirte Cavaignac lange Zeit mit dem Unterrichtsminister Bourgeois. * Paris, 4. September. Ein Extrablatt der Zeitung „Presse" meldee die Demission des Kriegsministers Cavaignac. — ES verlautet, der Rücktritt Cavaignac's solle erst bekannt gegeben werden, wenn Freycinet sich zur Uebernahme des Kriegsportefeuilles bereit erklärt habe. * Paris, 4. September. Die „Agence HavaS" bestätigt den Rücktritt des Kriegsministers Cavaignac mit dem Hinzufügen, dem Vernehmen nach sei der Rücktritt hervorgerufen durch eine Meinungsverschiedenheit mit der Mehrheit deS Cabinets über die Frage der Revision des D)reyfuS-ProcesseS. * Paris, 4. September. Die meisten Blätter sprechen ihre Befriedigung über den Rücktritt Cavaignac's aus. Derselbe habe um jeden Preis die Revision deS DreyfuS-Processes verhindern wollen, welche unter den gegen wärtigen Verhältnissen einzig im Stande sei, dem Lande die Ruhe wiedcrzugeben. Mehrfach versichert man, Cavaignac werde die Führung der nationalistisch-antisemitischen Gruppe übernehmen. * Paris, 4. September. Zahlreiche, vom „Siöcle" ge druckte „Die Antwort an Cavaignac" überschriebene Maueranschläge erinnern daran, daß Picquart am 9. Juli in einem Schreiben die Unechtheit des Schriftstückes von 1896 behauptete, welches den Zwischenfall Henry herbei führte. Der Anschlag enthält zwei Schreiben DreyfuS', eines gerichtet an den Kriegsminister im Jahre 1894, das zweite an den Advokaten Demange im Jahre 1895, darin betheuert DreyfuS seine Unschuld und erklärt, er habe niemals eine Unvorsichtigkeit begangen. Die Anschläge fordern schließlich die öffentliche Meinung auf, gegen die Verhaftung und Aufrechterhaltung der Gesängnißstrafe Picquart'S Ein spruch zu erheben. Die Anschläge veranlassen zahlreiche Er örterungen. (Wiederholt.) * Paris, 4. September. (Meldung der „Agence HavaS.") Die Minister sind zu morgen früh 9 Uhr zusammenberufen. Sie werden darüber berathen, ob dem Gesuche der Frau DreyfuS Folge zu geben ist. Die Aussprachen, welche be reits zwischen den Ministern stattgefunden haben, erlauben zu sagen, daß im Ministerrathe eine starke Majorität, ja selbst Einstimmigkeit dafür besteht, dem Revisionsgesuche Folge zu geben. Mit Unrecht führt man den Minister für Ackerbau, Viger, und den Minister für öffentliche Arbeiten, Tillaye, als Gegner dieser Maßnahme an. Im Sinne der Minister ist übrigens diese Maßnahme nicht dictirt durch die Ueberzeugung von der Unschuld deS Hauptmanns DreyfuS; sie erachten die Revision vielmehr als ein Mittel, um der durch die jüngsten Ereignisse erregten und in Verwirrung gerathenen öffentlichen Meinung Genugthuung zu geben. Wenn der Ministerrath daS Gesuch der Frau DreyfuS gut aufnimmt, wird der Justizminister dem Oberstaatsanwalt be fehlen, die Angelegenheit der Strafabtheilung deS CaffationShofeS zu überweisen. Diese allein wird sich über die Begründung deS Gesuches zu äußern haben. — Man glaubt nicht, daß die Demission Cavaignac« den Rücktritt deS Ministeriums nach sich ziehen wird. Der Ministerpräsident Brisson, der Justizminister Sarrien, der Unterrichtsminister Bourgeois und der Minister des Aeußeren DelcassS batten Vormittag eine Besprechung. Sehr bemerkt wird, daß der Präsident der Republik sich beim Verlassen deS EisenbahnwaggonS ein gehend mit dem General Zurlinden unterhielt. Man folgert daraus, daß General Zurlinden wohl der Nachfolger Cavaignac's werden dürfte.
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