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01-Frühausgabe Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 30.04.1898
- Titel
- 01-Frühausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1898-04-30
- Sprache
- Deutsch
- Vorlage
- SLUB Dresden
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-18980430010
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id453042023-1898043001
- OAI
- oai:de:slub-dresden:db:id-453042023-1898043001
- Sammlungen
- Saxonica
- Zeitungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
-
Zeitung
Leipziger Tageblatt und Anzeiger
-
Jahr
1898
-
Monat
1898-04
- Tag 1898-04-30
-
Monat
1898-04
-
Jahr
1898
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Schon 1895 standen Reichstag und Reichskanzler der Zulassung der Frauen zum medicinischen Studium und zur ärztlichen Approbation sehr wohlwollend gegenüber, und wenn nach den Erklärungen, welche der Staatssecretair des Innern, Graf von Posadowskh, Ende Januar im Reichstag abgegeben hat, dieses Wohlwollen sich gegenwärtig zu der positiven Bereitwilligkeit, die Zulassung der Frauen zu den ärztlichen, zahnärztlichen und pharmaceutischen Prüfungen von Reichswegen herbeizuführen, verdichtet hat, so bleibt eigentlich nichts mehr übrig, als daß die Kultusministerien und Universitäten den Frauen auch die er forderliche Gelegenheit zur Vorbereitung auf diese Prüfungen geben, bezw. dieselben in den Stand setzen, regelrecht ihren Fach studien obzuliegen und die hierfür nothwendige Gymnasial bildung zu erwerben. Dabei wäre es aber völlig verkehrt, wenn man diese Forderung dahin auffassen wollte, daß die Regierungen künftighin kritiklos jedem derartigen Ansinnen entsprechen müßten, oder wenn man ohne Weiteres alle diejenigen Berechti gungen als gegeben erachten wollte, über deren principielle Fest stellung man zuständigen Ortes auf Grund vielseitiger Er hebungen und nach Maßgabe der gegenwärtigen Verhältnisse erst noch schlüssig zu werden hat. Selbst der eifrigste Vertreter der Frauenfrage wird vernünftigerweise nicht verlangen können, daß die Behörden auf einmal aus einer Reserve heraustreten, zu der sie gerade in Hinsicht auf die seitherige Entwickelung der Dinge direkt verpflichtet sind. Der bayerische Kultusminister hat Wohl den richtigen Ausdruck gebraucht, wenn er diejenige Regierung in der Kammer als „leichtsinnig" bezeichnete, die sich hier, ohne die erforderlichen Garantien von Seite der Interessenten, einer großen moralischen wie materiellen Verantwortlichkeit aussetzen wollte. In Berlin und Leipzig bestehen bekanntlich Vorberei tung!?- und Gymnasialcurse für Frauen, und wenn es auch nicht zutrifft, daß die Leipziger Abiturientinnen wegen plötzlich ein getretener Verlobungen oder Verheirathungen vom Besuche der Universität abgehalten wurden, so kann dagegen aus ihrer fast ausschließlich fremdländischen Herkunft ebensowenig auf ein allzugroßes Bedürfniß weitergehender Maßregeln für das In land geschlossen werden, als die immerhin auffallende Examen verschiebung einen guten Eindruck hervorzurufen im Stande ist. Das Fiasko des Karlsruher Mädchengymnasiums, bei welchem Anlaß es sich leider nur zu deutlich gezeigt hat, daß selbst die führenden Geister der Frauenbewegung ihre kleinlich persönlichen Anschauungen und echt weibischen Eifersüchteleien nicht den höheren Interessen der gemeinsamen Sache unterordnen können, kann ebenfalls nicht als Aufmunterung für die Behörden betrachtet werden, und es ist wohl das Nächstliegende, wenn man die neuerdings vielfach besprochene und in ihrer Form etwas un gewöhnliche Ablehnung des Gesuches zur Errichtung eines städtischen Mädchengymnasiums in Breslau durch den preußischen Kultusminister mit diesen Thatsachen und außerdem mit den Bedenken in Zusammenhang bringt, die sich ergeben müssen gegenüber einer Anstalt, die das Recht erhält, an Mädchen Reife zeugnisse zum Universitätsbesuch auszustellen, so lange man über die Regelung des letzteren selbst noch im Unklaren ist. In Bayern werden, wie der Minister im Landtag erklärte, „zur Zeit die Universitäten darüber einvernommen, ob und in welcher Weise sich die Zulassung von weiblichen Studenten der Medicin empfehle", und auch der Obermedicinalausschuß wird sich darüber zu äußern haben. Ebenso sind in Preußen, wo die Frauen einstweilen unter gewissen Voraussetzungen nur als Gast hörerinnen zum Universitätsunterricht zugelassen werden, ähn liche Erhebungen im Gange; ferner hat sich nach Andeutungen, welche der Historiker Prof. Oncken vor Kurzem in Wien machte, die Universität Gießen über diese Zulassungsfrage schlüssig zu machen, und im sächsischen Kultusministerium, das seit 1897 Damen ebenfalls zuläßt, war man zu Ostern, wie der Minister in der Ersten Kammer bemerkte, auf die Gesuche einer größeren Anzahl muli Isminini xeneris „vorbereitet". Alle diese Anzeichen berechtigen wohl zu dem Schlüsse, daß die Sache in gute Bahnen kommen werde, wenn sie sich selbst bezw. aus Eigenem als gut und durchführbar erweist. Statt großer Reden und Demonstrationen wären daher positive Leistungen besser am Platz. Achnlich wie die Volkshochschule durch ihre Erfolge die Zweckmäßigkeit ihrer Einrichtungen er wiesen und damit die gegen sie gerichteten großen Vorurtheile jetzt zum größeren Theile beseitigt hat, sollten auch die Frauen, die ja „keine Vorrechte, dafür aber Rechte" verlangen, endlich zur Einsicht kommen, daß auf dem Wege zweckmäßigen Handelns mehr erreicht wird als durch Polemik und — Reklame. Umstürzlerische, die hohen Sonderausgaben des Weibes störende Elemente in der Frauenbewegung haben auf dem letzt genannten Wege bis dato der ganzen Sache empfindlich geschadet, und wenn über den jüngst veröffentlichten „amerikanisirenden" — man möchte direkt sagen— hysterischen Reichstagswahlaufruf von Frau Schulrath Kauer und Frl. I)r. Anita Augspurg sogar in den freisinnigsten Blättern mit Lachen oder Unbehagen zur Tagesordnung Lbergegangen wurde, so dürfte dies den Genannten nur ein weiterer Beleg dafür sein, daß, wie ihnen schon vor einigen Jahren in München ein höherer Staatsbeamter in einer Frauenversammlung erklärte, der Staat seine Gesetze der Mensch heit anpaßt, wiesieist, und nicht, wie sie in der utopistischen Perspective einiger Weniger noch werden könnte. Diese wohl gemeinten Worte wurden aber damals schon erstickt im blauen Dunst der Cigaretten und — Reden der anwesenden Damen. Für die specifisch akademische Seite der Frauenfrage liegt die Sache zur Zeit nicht viel anders, und es ist wohl die über wiegende Majorität des deutschen Volkes mit der im Reichstage vom Prinzen Schönaich-Carolath vertretenen und äußerst beifällig aufgenommenen Auffassung einig, welche dahin lautet, daß weder eine grundsätzliche „Frauen-Emancipation" erstrebt werde, noch die Vorbereitung zu allen akademischen Studien, sondern daß nur in dem bescheidenen Umfange des beim weiblichen Geschlecht that- sächlich vorhandenen Bedürfnisses nach höherer Berufsbildung eine solche ermöglicht werden soll, und zwar in erster Linie für die Ausbildung von Aerztinnen, Apothekerinnen und Lehrerinnen an höheren Mädchenschulen. Unser oberstes Parlament hat damit auch dieser akademischen Tagesfrage die ihrem derzeitigen Stadium zukommcnde Auf merksamkeit geschenkt, und wir können am Schlüsse dieser Be trachtungen nur mit stolzer Genugthuung feststellen, mit welch' verständnißvoller Fürsorge die deutschen Volksvertretungen allent halben um die gedeihliche Weiterentwickelung der höchsten Cultur- und Lehrstätten des Landes und um die Erhaltung ihres Welt rufes bemüht sind. Diese Arbeit kann unseren Parlamenten aber noch wesentlich erleichtert werden, wenn die Hochschulen, deren idealer Zu sammenhalt durch keine innerdeutschen Landesgrenzen beeinflußt zu werden braucht, in etwas engerer Fühlung als bisher ziel bewußt Stellung nehmen zu Fragen von allgemeiner Bedeutung, die wohl durch die Parlamente und obersten Verwaltungs behörden formell erledigt werden, in denen aber die deutschen Hochschulen in ihrer Gesammtheit die ausschlaggebende Stimme haben. - , Ein englisch-amerikanisches Lündniß? B Die Nachricht, daß die Cabinette von Washington und London über eine Annäherung, ja ein eventuelles Bündniß der beiden von ihnen vertretenen Staaten ver handeln, eröffnet für die Weltpolitik sehr bedeutsame Per spectiven. Die Gründe, weshalb beiderseits auf ein solches Bündniß Werth gelegt würde, sind nicht schwer zu erkennen. Es wäre für die Bereinigten Staaten wohl von Werth, sich in ihrem gegenwärtigen, doch recht ernsten Kampfe mit Spanien die Unterstützung Großbritanniens zu sichern. England brauchte da nicht einmal offen gegen Spanien unter die Waffen zu treten; die Engländer verstehen eS, unter der Flagge der Neutralität so zu verfahren, daß sie doch dem von ihnen begünstigten Theile Förderung erweisen und dabei gewöhnlich zugleich noch Geld in ihren Beutel fließen lassen. Auch wir Deutsche haben während des Krieges 1870/71 Veranlassung gehabt, uns über das „neutrale" England beschwert zu fühlen; und waS damals uns in unserer gewaltigen Position geschah, den» sind die viel schwächeren Spanier natürlich erst recht hilflos preisgegeben. Interessant wäre dabei, daß ein BiindnißEnglands und der Vereinigten Staaten gegen Spanien eine bereits einmal eingenommene Frontstellung wiederholen würde. Als sich die spanischen Staaten Mittel- und Südamerikas befreiten, war eS Lord Canning, der zum Berdrusse deö Heiligen-Allianz- Europas die Anerkennung der insurgirenden Staaten aus sprach und sich damit an die Seite der Union stellte. Da mals rechtfertigte England daS Vorgehen mit Rücksicht auf seine Handelsinteressen; heute würden eS freilich nicht diese Interessen sein, die England an die Seite der Vereinigten Staaten führen. Es ist vielmehr die Besorgniß wegen eines Conflictes -mit Rußland, d>e die Engländer sich nach einem Bundes genossen umsehen lassen soll. Die jüngste Entwickelung der ostasiatischen Dinge scheint doch in der Seele der englischen Regierung einen tiefen Stachel zurückgelaffen zu haben. Erklärlich genug, wenn man bedenkt, daß Rußland sich dabei thatsächlich als der stärkere Theil gezeigt und England wohl endgiltig aus Nordchina hinauSmanövrirt bat. Kommt es nun je zu einem Zusammenstöße Englands mit Rußland, so würde in Ostasien — wie englische militairische Autoritäten bereits unzweideutig erklärt haben — Wei-hai-wei keinen ge nügenden Stützpunkt für die englischen Operationen bilden. Einen solchen Stützpunkt würde aber England besitzen, wenn ihm die Union einen Hafen an ihrer pacifischen Küste zur Verfügung stellen würde; und unzweifelhaft würde eine solche Maßregel im Falle eines russisch-englischen Krieges den englischen Operationen ebenso sehr zu Hilfe kommen, als ihnen gegebenen Falls die Mitwirkung der schnellfahreuden ameri kanischen Schiffe von Werth sein könnte. Liegen so die Vortheile, die ein englisch-amerikanisches Bündniß den beiden contrahirenden Tbeilen gewähren würde, auf der Hand, so stehen doch auch dem Gedanken dieser Allianz wieder ernste Bedenken entgegen. Unzweifelhaft haben die Völker Amerikas und Englands viel Gemeinsames. Schon die Gemeinsamkeit der Sprache bedingt dies, aus der sich eine gewisse Verwandtschaft der Anschauungen und Gewohnheiten von selbst ergiebt. Trotzdem sind die Sympathien der beiden Völker keineswegs sehr leb haft. Daß die Engländer noch heute auf die Amerikaner mit einem ziemlichen Hochmuth herabsehen, dafür bringt jedes Jahr neue Zeugnisse. Die Amerikaner aber sahen, wie man z. B. aus Sealsfield's kulturhistorisch sehr wertbvollen Romanen erkennen kann, vor etwa 50 Jahren mit einem mit Bewunderung gemischten Neide auf die Briten. In zwischen ist die Bewunderung gesunken, die Abneigung ge stiegen, und eö hat die bekannte Venezuela-Angelegenheit die wenig freundlichen Gefühle der Amerikaner für die Engländer in volles Licht gestellt. Derlei nationale Antipathien aber fallen bei einer Bündnißpolitik doch recht sehr ins Gewicht. Auf der anderen Seite steht vor diesem Bündnisse als ein ernstes Hemmniß die bekannte Monroe - Doktrin. Ist dock England in Mittel- wie in Südamerika mit erheb lichem Colonialbesitze engagirt. Und wenn die Union, wie eS den Anschein hat, entschlossen ist, die Monroe Doktrin bis in ihre äußersten Cvnscguenzen zu verfolgen, so würde nächst Spanien England Wohl am meisten sich von dieser Politik bedroht fühlen müssen. Dust, but not least ist an Canada zu denken, den unmittelbaren Nachbarn der Union. Canada ist zwar gegenwärtig sehr englisch loyal; daß aber die geogra phische Lage und das wirtschaftliche Uebergewicht der Ver einigten Staaten die Frage der Vereinigung der beiden Nachbarländer über lang oder kurz spruchreif machen muß, liegt auf der Hand. Vom Standpunkte der gegenwärtigen politischen Lage müßte ein eventuelles englisch-amerikanisches Bündniß doch recht ernst beurtheilt werden. Schlägt sich England auf die Seite der Union, so liegt die Wahrscheinlichkeit nabe, daß dann Frankreich für Spanien, an dem es aus Nassenver- wandtschaft, politischen Gründen und Geldinteressen Antheil nehmen muß, seine Macht in die Waagschale wirft. Aus dem Kriege zweier Staaten könnte dann ein Weltkrieg werden. Nicht minder gefährlich wäre die Spitze des Bünd nisses gegen Rußland. Die große Abrechnung, die ja freilich einmal zwischen Rußland und England wird slattfinden müssen, würde durch diesen Schritt der englischen Regierung wesentlich näher gerückt erscheinen. Da bei dieser Abrechnung wir Deutsche auf dem ostasiatischen Schauplatze nun auch nicht mehr ganz unbethciligt sein würden, so sehen wir uns auch hier wieder an die Nothwendigkeit gemalmt, unsere Seestreitkräfte im Stand zu hallen und zu verstärken. Vorläufig liegt aber doch die Realisirung der englischen Wünsche noch in weitem Felde. Wie uns ein Londoner Telegramm meldet, hatte der Berichterstatter der „Times" in Washington mit dem Präsidenten Mac Kinley eine Unterredung, aus der hervorgebt, daß der Präsident fest davon überzeugt ist, die augenblickliche Lage sei nicht derart, daß ein anderes Band zwischen England und den Ver einigten Staaten nöthig sei, als dasjenige derFreund- schäft, und daß er glaubt, es werde auch kein Grund zur Aenderung dieser Sachlage eintreten. Das ist eine ziem lich bestimmte Absage und aus ihrer Form gebt auch hervor, daß der anbietende Tbeil England war. Also auch in Washington ein Bündnißkorb! Feirilletsn. Küche und Tisch in England. Bon L. Schubert. Nachdruck verböte». Französische und englische Küche sind die beiden Gegenpole in der modernen Kochkunst. Je nachdem sie zu dieser oder jener mehr hinneigen, classificiren sich die kulinarischen Leistungen der anderen Kulturvölker, — die des Südens, für die besondere Bedingungen gelten, natürlich ausgenommen. Die deutsche Küche nimmt eine Mittelstellung ein; sie steht in der Neigung zu Gemüsen und in der Zubereitungsart der Speisen der fran zösischen Kochkunst näher, legt aber auf das gebratene Fleisch einen größeren Werth als sie. Französisch und englisch jedoch sind gastronomische Gegensätze. Französisch ist die Bevorzugung der leichten feinen Speisen, englisch sind die Großen. Fran zösisch ist die sorgfältige und individuelle Zubereitung aller Ge richte, englisch die Neigung zum Natürlichen. Der französische Koch würde einen Kunstfehler begehen, wenn er nicht stets mit Feuer und Zuthaten so sparsam umginge, als eS das Gericht nur erlaubt; die englische Küche kennzeichnet eine große Ver schwendung. Das künstlerische Moment, das der französischen Kochkunst seine Eigenart giebt, geht der englischen ganz ab, wie denn auch Albion nie einen großen Kochkünstler hervorgebracht hat. Selbst die Zahl der geschichtlich bekannten britischen Fein schmecker ist eine recht beschränkte. König Karl II. galt aller dings als ein würdiger Rival des Roi solsil und in der lüderlichen Zeit der vier George, der Thackeray ein literarisches Denkmal gesetzt hat, waren höhere gastronomische Leistungen an der Tagesordnung. In Frankreich muß selbst die bescheidene Köchin eine gewisse Schule durchmachen, wenn sie für voll ge nommen sein will; die Mary oder Nelly aber, die in einer englischen Küche waltet, hat unter allen Dienstboten eine beneiden-werth« Stellung. Nie denkt sie daran, wie ihre ehr geizigere welsche Kollegin, selbst auf den Markt zu gehen und mit strenger Auswahl und Ueberlegung einzukaufen; ihr bringt vielmehr der Lieferant Alles in» Haus, und da der Speisezettel deS Engländer» relativ klein ist, die Zubereitung de» Gerichts sich durchaus nicht sehr mannigfaltig gestaltet und die Ge müse nur eben abgekocht werden, so ist allerding» ihre Arbeit und ihre Kunst im Allgemeinen nicht bedeutend. Daran haben Kochschulen u. dergl. m. bisher nicht viel ändern können, werden e» auch bei der konservativen GemüthSart John Bull« in absehbarer Zeit nicht thun. Und übrigens fühlt sich der Engländer bei seiner Kost auch durchaus wohl. Man nimmt allgemein an, daß das neblige Klima seines Landes und die große Arbeitsenergie, die von dem Engländer verlangt wird, die natürlichen Ursachen sind, die seine substantielle Kost bedingen Jedenfalls gehen die haupt sächlichsten Charakteristika der englischen Küche schon in ziemlich alte Zeit zurück. Bereits im 17. Jahrhundert spielten Roastbeef und Pudding die Rolle, die ihnen noch heut zugewiesen ist. Ja bereits aus der Zeit Heinrich's VIII. wird von dem großen Reichthum englischer Mahlzeiten an substantiellen Fleischgerichten erzählt. Damals gab ein englischer Kaufmann als Grund dieser Erscheinung an, daß die Briten so viel Geflügel und Wild zu Hause hätten, daß sie Gefahr liefen, von ihm aufgezehrt zu werden, wenn sie es nicht lieber selbst äßen. Jedenfalls hatte der Mann insoweit Recht, als Englands enormer Reichthum an Wild und Vieh auf die Gestaltung der englischen Tafelgenüffe von entscheidender Bedeutung geworden ist. Welche Liebe die Briten im Laufe der Jahrhunderte zu ihren nationalen Fleisch gerichten gewonnen haben, das ist beinahe ein rührender Zug. England ist das einzige Land, das ein Gericht der Ehre ge würdigt hat, es zum Gegenstand einer Nationalhymne zu machen; das Lied vom Roastbeef, das die Königin unweigerlich jedes Jahr zu Weihnachten anhören muß, nimmt insofern in der Literatur der Volkshymnen eine höchst eigenartige Stellung ein. Kein Wunder, daß daS Roastbeef in der allgemeinen Meinung in ähnlicher Weise zu einem festen Kennzeichen des Vollblut-Eng länders geworden ist, wie andere Nationen vom Begriffe des Deutschen die Wurst und das Sauerkraut nicht zu trennen ver mögen. Daß übrigens das Roastbeef in England keineswegs roh, sondern so zubereitet wird, daß es beim Anschnitte eine leicht röthliche Färbung zeigt, darf wohl heute nachgerade bei jedem Menschen, ausgenommen manche deutsche Restaurateure, als be kannt vorausgesetzt werden. Suppen und Saucen sind vielleicht die schwächsten Seiten der englischen Küche. Bon der schier unendlichen Zahl schmackhafter Suppen, die der Franzose genießt, hat der Engländer keine Ahnung. Für ihn giebt es außer der Fleischbrühe nur noch eine ziemlich kleine Zahl konsistenter Suppen, wie Turtlesuppe oder Aalsuppe. Aber die Suppe gehört überhaupt nicht zu den be liebten und allgemeinen Gängen der englischen Tafel, und die neueren physiologischen Untersuchungen scheinen ja in diesem Punkte dem englischen Gebrauche Recht zu geben. Daß auch die Kunst der Zubereitung von Saucen, in der die französische Küche gleichfalls excellirt, in England so wenig entwickelt ist, hat u. A. darin seinen natürlichen Grund, daß im englischen Hause da» Suppenfleisch im Allgemeinen keine weitere Verwendung findet. Und gerade in dem Streben nach fernerer Au»nuhung de» Suppenfleisches hat für die französischen Köche ein großer An trieb gelegen, immer neue Zubereitungsarten und Saucen zu er finden. Man kocht überhaupt in England viel magerer als bei uns, und der Engländer, der sich der deutschen Küche anpaffen soll, findet nichts abscheulicher, als die oft fettig zubereiteten Gerichte, die bei uns auf den Tisch kommen. Dafür bedient sich der Engländer mit Vorliebe sehr scharfer Würzen, die wohl nur er im Stande ist, zu vertragen und zu goutiren. England ist das Land der Pickles und jener scharfen Saucen, die in neuerer Zeit auch bei uns einige Verbreitung — freilich in viel spar samerer Verwendung — gefunden haben. Aber diese Zuthaten können nicht verhindern, daß die englische Küche auf einen nicht britischen Magen, besonders in der ersten Zeit, in sehr unan genehmer Weise belastend wirkt, wozu neben der kräftigen Derb heit der Speisen besonders auch die Monotonie der englischen Mahlzeiten beiträgt. „Sage mir, was du ißt, und ich werde dir sagen, was du bist." Aus der englischen Küche ergiebt sich der konservative Sinn der Engländer mit unverkennbarer Deut lichkeit. Man kann Großbritannien von Süden nach Norden durchreisen und wird stets von )»»m (Schinken), rnutton (Hammelstück) und Roastbeef begleitet sein, wenn auch natürlich geringe Variationen je nach dem Geschmacke des Hauses, den Produkten und Sitten des Bezirks vorkommen. Ebenso sind die bei uns so außerordentlich schwankenden Tischzeiten und die in unseren bürgerlichen Kreisen leider noch immer nicht genug ge pflegten Tischsitten ein für allemal kanonisch festgelegt und überall gleich. Der Engländer ist sehr streng in der Beurtheilung des Be tragens bei Tische. Wer das Messer je zum Munde führen oder die Gabel in der rechten Hand halten würde, wer sein Fleisch mit einem Male in kleine Stücke schnitte, bei Tische nicht in gerader Haltung säße oder Messer und Gabel nach der Benutzung nicht auf den Teller legte, wer die Serviette anders verwenden würde, als sie halb entfaltet sich über die Kniee zu legen, der würde sicherlich als ein schlecht erzogener Mensch in der Gesell schaft sehr bald unmöglich sein. Deutsche Geschäftsreisende, die, von ihrer Arbeit ermüdet, an einer englischen Wirthstafel Platz nahmen, haben schon oft über die dort herrschende Steifheit und Feierlichkeit sich beklagt. Die Formen sind allmächtig. In jedem halbwegs anständigen Hause ist es geboten, bei der Haupt mahlzeit, die bekanntlich etwa um 6 Uhr Abend- stattfindet, in großer Toilette zu erscheinen, gleichviel ob Gäste anwesend sind oder nicht. Die Sitte hat ihr Hübsches: sie kennzeichnet in wohlthuender Weise den Abschluß des Arbeitstage» und bekundet eine Rücksichtnahme der Hausgenossen aufeinander, deren Mangel bei uns ja schon Bismarck beklagt hat. Aber sie bringt auch nothwendig den Geist der Förmlichkeit mit sich. Englisch« Mahl zeiten Pflegen langweilig zu sein. Schon äußerlich wird auf einen künstlerischen Schmuck der Tafel nicht der Werth gelegt, wie es in Frankreich selbst im bescheidenen Bürgerhause der Fall ist und sich glücklicherweise in neuester Zeit auch bei uns mehr und mehr einbllrgert. Und auch die Unterhaltung pflegt meist unter dem Banne der Strenge der Formen zu stehen. Von jenen von dem geistreichen und gemüthvollen Gustave Droz ge priesenen Mahlzeiten, bei denen man „die Ellenbogen auf den Tisch stemmen" darf, weiß der Brite der besseren Klassen nichts. Die Unterhaltung beginnt eigentlich erst dann, wenn die Hausfrau mit einer Verbeugung gegen die älteste anwesende Dame die Tafel aufgehoben hat und die Damen sodann das Speisezimmer verlassen. Diese in England festgewurzelte und noch heute ganz allgemeine Sitte hat unstreitig etwas Barbarisches an sich und hat auch in ihren Folgen sich als sehr ungünstig erwiesen. Sie scheint ihren historischen Ursprung zu haben. Die Engländer sind seit alten Zeiten wegen ihrer Zechlust be kannt, wie ja schon Jago zugiebt, daß man in England sich ge waltig auf das Bechern verstehe. An ihre Mahlzeiten pflegten sich Trinkgelage zu schließen, bei denen eS so wüst und unfläthig zuging, daß cs für Damen ganz unmöglich war, ihnen beizu wohnen. So entstand die Gewohnheit, den Herren nach beendeter Mahlzeit das Speisezimmer zu überlassen. Dann tritt der Port wein in sein Recht. Jeder Halbwegs leidlich situirte Engländer hält darauf, einen guten Port in seinem Keller zu haben, und wer Portwein wirklich kennen lernen will, muß nach England gehen, wohin die weitaus größte Quantität der guten echten Sorten aus Portugal exportirt wird. Stellt man nun auch nicht mehr, wie früher in England, an einen Mann von Welt die Forderung, daß er ein six-dottle-man sei, so wird doch bei diesen aftem-ckinnor-Gelagen gewöhnlich sehr scharf gezecht, und der Weingenuß wie die Unterhaltung überschreiten auch heute noch recht oft das Maß und die Zucht. Die Ladies pflegen dann wohl noch einmal zu erscheinen, aber nur auf einen Augenblick, und das ist in der Mehrzahl der Fälle auch recht gut. Die Herren aber sitzen oft noch lange bei dem schweren Tranke. Der Vollblut-Engländer liebt seine Küche über Alles — trotz aller französischen Kochkunst. Einige Sitten und Gewohnheiten der englischen Küche haben ja in jüngster Zeit auch bei uns Ein gang gefunden; im Ganzen ist sie aber eine so scharf ausgeprägte nationale Erscheinung, daß sie für uns mehr ein interessante- Phänomen al» rin nachahmenSwertheS Beispiel bildet.
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