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01-Frühausgabe Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 16.05.1898
- Titel
- 01-Frühausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1898-05-16
- Sprache
- Deutsch
- Vorlage
- SLUB Dresden
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-18980516010
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id453042023-1898051601
- OAI
- oai:de:slub-dresden:db:id-453042023-1898051601
- Sammlungen
- Saxonica
- Zeitungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
-
Zeitung
Leipziger Tageblatt und Anzeiger
-
Jahr
1898
-
Monat
1898-05
- Tag 1898-05-16
-
Monat
1898-05
-
Jahr
1898
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Größere Schriften laut unjerem Preis- verzeichniß. Tabellarischer und Zissernsatz nach höherem Tarif. Extra-Beilagen (gefalzt), nur mit der Morgen-Ausgabe, ohne Postbesörderuilg 60.—, Mit Posrbesörderung 70.—. Aunahmeschluß für Auzeige»: Ab ead-Ausgabe: Vormittag- 10 Uhr. Morgen-Ausgabe: Nachmittag- 4Uhr. Bet den Filialen und Annahmestellen je eia« halbe Stunde früher. Anzeigen sind stets an die Expedition zu richten. Truck und Verlag von E. Polz in Leipzig. Montag dm t«. Mat 1898. 82. Jahrgang. Lebenshaltung. Die außerordentlichen Fortschritte auf den Gebieten der Technik, des Verkehrs und des öffentlichen Gesundheitswesens, welche in den letzten Jahrzehnten des 19. Jahrhunderts oft und nachdrücklich hervorgehoben worden sind, erwecken unter den Zeit genossen die Vorstellung, daß die durchschnittliche Lebenshaltung der Bewohner von Mitteleuropa seit dem ersten Drittel diese- Jahrhunderts sich ungemein gehoben hat, ja es scheint uns wohl, als ob damals unsere Eltern und Großeltern bei mittlerem Wohlstände unter Verhältnissen gelebt haben, welche heute selbst der ärmsten Clafse der Bevölkerung kaum mehr genügen würden. Ein flüchtiger Vergleich*) der heutigen Lebensweise in den großen Städten des deutschen Reiches mit derjenigen vor 50 bis 80 Jahren bestätigt allerdings diese Ansicht. Offenbar haben sich unter den Bewohnern aller deutschen Großstädte die Ansprüche an ein behagliches Dasein ungemein erhöht, was besonders deut lich sich ergiebt, wenn man sich einen solchen Großstädter mit seinen heutigen Lebensgewohnheiten in eine entsprechende städtische Haushaltung zu Anfang des Jahrhunderts zurückversetzt denkt. Man kann sich leicht vorstellen, wie sehr derselbe zu nächst die mannigfachen Verkehrsmittel vermissen würde, durch welche heutzutage allerlei Nachrichten, Anfragen, Aufträge rc. in wenigen Minuten, Briefe, Zeitungen, za auch Personen in wenigen Stunden auf Entfernungen hin befördert werden, deren Zurücklegung zu Beginn des Jahrhunderts ebenso viele Tage und Nächte, dabei einen weit größeren Geldaufwand erforderte. Wie mühsam würde es ihm ferner erscheinen, bei Hereinbrechen der Dunkelheit mittels Stahls und Feuersteins sich Licht zu ver schaffen, statt den Hahn der Gas- oder elektrischen Leitung zu drehen oder ein Streichhölzchen zu entzünden. Ebenso würden Wasserleitung, modernes Steinpflaster, Straßenbahnen, abend liche Straßenbeleuchtung, abgesehen von zahllosen anderen Leistungen unserer hochentwickelten Kunst und Technik, schwer vermißt werden. Unbestreitbar hat die Art der Ansprüche an ein behagliches Dasein, an einen gewissen Comfort, sich gewaltig geändert, und die mittlere Lebenshaltung, der „8tnuäar6 oL Uk«", hat sich «wenigstens nach unserer gegenwärtigen Auffassung) in den letzten Jahrzehnten weitaus mehr gehoben als vordem in Jahr hunderten. Indessen wird Niemand behaupten wollen, daß unsere Eltern oder Voreltern in ihrer Jugend geringere Freude am Dasein gehabt, weniger Lust und Wohlbehagen empfunden baben als wir, ober daß ungetrübte Gesundheit, ausgiebiger Lebensgenuß heute einem größeren Theil des Volkes als da mals beschicken sei. Vor Allem ist auch darauf hinzuweisen, daß der eben berührte, so erhebliche Unterschied zwischen Einst und Jetzt hauptsächlich die Verhältnisse der Großstadt be trifft; nicht überall im deutschen Reiche sind ähnliche gewaltige *) Wir entnehmen diese interessante fonologische Studie dem 18. (Ergänzungs- und Register-) Band zur fünften Auflage von Meyer's Lonversations-Lexikon. Veränderungen der DaseinSverhältnisse eingetreten, wie m den Mittelpunkten des Handels, des Verkehrs und der Industrie. Die Bewohner zahlreicher ländlicher Gemeinden im Osten des preußischen Staates, die zerstreut wohnenden Familien in vielen deutschen Gebirgsthälern der Rhön, des Bayerischen Waldes, des Erzgebirges machen auch gegenwärtig, am Ende des 19. Jahrhunderts, an eine sie befriedigende Lebenshaltung noch so geringe Ansprüche daß eine wesentliche Wandlung derselben in Jahrzehnten kaum zu bemerken ist, und Niemand wird be streiten, daß trotz aller Fortschritte des Verkehrs, der Technik und Hygieine der Unterschied zwischen den Lebensansprüchen eines Handelsherrn in Berlin, Hamburg oder Leipzig und denen eines Hofbesitzers in einer ländlichen Dorfschaft der preußischen Ostprovinzen heute weit größer ist, als der Unterschied in der Lebenshaltung einer und derselben Bevölkerungsclasse am gleichen Orte jetzt und vor 6—8 Jahrzehnten. Fast ebenso bedeutsam wie die Fortschritte auf dem Ge biete der Technik und des Verkehrs erscheinen uns gewisse Errungenschaften der Heilwissenschaft und der Volks- gesundheitspflege. Sie haben in die Lebens anschauungen der gesammten Bevölkerung einen gewaltigen Um schwung seit dem Ende der ersten Hälfte unseres Jahrhunderts herbeigeführt, der allerdings nicht in jeder Hinsicht als Um schwung zum Besseren, d. h. als erfreulicher Fortschritt für das Gemeinwohl, angesehen werden darf. Zu den größten Errungenschaften auf diesem Gebiete gehört es, daß eine der gefürchtetsten Volksseuchen früherer Zeit, die Blattern, in Deutschland gänzlich ihren Schrecken verloren hat, daß viele bösartige Fieber, Malariafieber und sogenannte typhöse Fieber, bei uns weit seltener geworden sind, daß endlich der verderbliche Hospitalbrand und andere schwere Wundkrankheiten, welchen früher ein großer Theil aller Verletzten unabwendbar erlag, jetzt in deutschen Heilanstalten nach allgemeiner Einführung der antiseptischen, bez. aseptischen Behandlungsmethode kaum mehr vorkommen. Leider läßt sich indessen die Frage, ob solche Errungenschaften der Heilwissenschaft für die Gesammtheit des Volkes ein erhebliches Sinken der Sterbezifferzur Folge gehabt haben, nicht bejahen, denn neue Krankheiten, vielleicht auch häufigere schwere Verletzungen, haben bewirkt, daß die Zahl der Sterbenden jetzt, wie auch damals, alljährlich nur wenig hinter der Zahl der Neugeborenen zurückbleibt. Nach amtlichen Ausweisen kamen im heutigen Gebiete des deutschen Reiches auf je 10000 Einwohner 1841—1850 durchschnittlich jährlich 282 Sterbefälle 1851—1860 . - 278 1861—1870 - « 284 1871—1880 - . 288 1881—18L0 , « 265 Letztere Ziffer scheint allerdings ein erhebliches plötzliches Sinken der Sterbeziffer für das letztabgelaufene Jahrzehnt zu beweisen, doch muß hinzugefügt werden, daß auch die ent sprechende Ziffer der jährlich geborenen Kinder von 407 (im Jahrzehnt 1871—80) auf 382 im folgenden Jahrzehnt herunter gegangen ist. Der das Gedeihen eines Volkes in gewissem Sinne kennzeichnende Ueber schuß der Geborenen über die Gestorbenen war also im letztabgelaufenen Jahrzehnt 1881—90 trotz verminderter Sterblichkeit nicht höher, sondern geringer als im unmittelbar vorangegangenen Jahr zehnt, nämlich 117 gegen 119 auf je 10000 Einwohner. Aller dings ist diese letzte Ziffer des „natürlichen Bevölkerungs zuwachses" im Durchschnitt der Jahre 1881—1890 (117) um 23 höher als diejenige der Jahre 1841—1850, da im damaligen Jahrzehnt der jährlich« Ueberschuß der Geborenn über die Ge storbenen nur 84 auf je 10 000 Einwohner betrug; indessen darf man ein solches stärkeres, natürliches Wachsthum der Be völkerung nicht unbedingt als einen erwünschten Fortschritt bezeichnen. Nach bekannten volkswirthschaftlichen Grundsätzen ist ja das raschere Wachsthum nur dann als Zeichen steigender Volkswohlfahrt erfreulich, wenn auch die Menge der in dem selben räumlichen Gebiete produeirten Lebensmittel entsprechend stärker zugenommen hat; Letzteres für das deutsch« Reich zu erweisen, wird aber nicht möglich sein. Eine weitere hochbedeutsame Errungenschaft der ärztlichen Wissenschaft muß erwähnt werden, welche in den letzten fünfzig Jahren eine tiefgreifende Aenderung in den Lebensansprüchen der Menschen herbergeführt hat. Seitdem man gelernt hat, ärztliche Operationen am tranken Menschen und andere chirur gische Eingriffe, wie das Zurechtrücken verrenkter oder ge brochener Gliedmaßen, die Entfernung von Fremdkörpern, Geschossen rc., mit Hilfe von Betäubungsmitteln schmerzlos auszuführen, seitdem man ferner allgemein dem von Schmerz gequälten Kranken durch narkotische Mittel wohlthuende Er leichterung weit sicherer und öfter als früher verschafft, will Niemand mehr heftige Schmerzen erdulden. Vergegenwärtigt man sich die Leiden eines vor 50 und mehr Jahren, sei es im Kriege, sei es in friedlicher Berufsarbeit, z. B. im Berg werk, schwerverletzten Mannes, wie er ohne Betäubungsmittel, auch ohne die Segnungen der Aseptik und der künstlich herbei geführten örtlichen Blutleere eingreifende, erschöpfende Operationen erdulden mußte, denen in der Regel langdauernde Wundfieber folgten, so muß man zugestehen, daß heute unendlich geringere Anforderungen an die Standhaftigkeit und Ausdauer solcher Verletzten gestellt werden, wofür der Einzelne im Rückblick auf frühere Zeiten gewiß dankbar sein muß. Indessen die daran sich knüpfende Frage, ob für die Gesammtheit des Volkes ein heilsamer Fortschritt auf diese Weise erreicht sei, läßt sich wiederum nicht unbedingt bejahen. Ein großer Theil der civili- sirten Europäer hat es gegenwärtig verlernt, nicht nur selbst heftige körperliche Schmerzen zu erdulden, sondern auch solche Schmerzen erdulden zu sehen, und eine Folge davon ist, daß zur Zeit eine gegen früher übermäßig gesteigerte Empfindsamkeit Platz gegriffen hat, welche uns nicht zum Vorzüge gereicht. Nicht nur müssen jetzt viele öffentliche Gewalten mit Rücksicht auf die modernen „humanen" Anschauungen des Volkes davon abstehen, an einem Sträfling, auch wenn er ein noch so roh sich geberdender Verbrecher ist, eine körperliche Strafe zu vollziehen, nicht nur müssen verkommene Menschen, selbst wenn sie noch so grausam gegen Andere vorgegangen sind, in Ge fängnissen, Zuchthäusern rc. sorgsam ernährt und gepflegt, vor jeder Erkrankung ängstlich behütet werden, sondern auch auf die Thiere erstreckt sich schon das unseren Voreltern in solchem Grade durchaus fremde „Humanitätsgefühl"; das zeigen u. A. die zahllosen Unterschriften unter den vielen, alljährlich an die Volksvertreter gerichteten Bittgesuchen, in denen dagegen Einspruch erhoben wird, daß an Thieren, seien es Natten, Mäuse, Hunde oder Katzen, physiologische Versuche, etwa über die Wirkung eines neuen Heilverfahrens, angestellt werden. Mit unsagbarem Schaudern gedenkt daher die jetzt lebende Generation der Folter und des sonstigen „hochnothpeinlichen" Gericht verfahrens früherer Zeiten und vergißt dabei, daß damals ein Anderes, in Ausdauer, Standhaftigkeit, Schmerzverleugnung er zogencs Geschlecht lebte, welches an Willensstärke das heutige zweifellos übertraf, und in dessen Empfindungen wir uns nicht mehr zurückversetzen können. Galt es doch noch zur Zeit Napoleon's I. für feig und unmännlich, wenn einer seiner Grenadiere bei einer Amputation vor Schmerz schrie; nur bei einigen wenigen, besonders schmerzhaften Operationen waren Laute des Schmerzes gestattet. Wirft man weiterhin einen Rückblick auf die Zustände dec öffentlichenWohlfahrtspflegevor 50—80 Jahren, so muß man vor Allem mit hoher Befriedigung der im Laufe des Jahrhunderts erzielten besseren Fürsorge für Kranke, zumal für mittellose Krankenhausinsassen und für Gebrechliche, namentlich die früher recht bedauernswerthen Geisteskranken, gedenken und darf rückhaltlos hierin einen sehr werthvollen Fortschritt anerkennen. Minder hoch sind manche Errungenschaften auf dem Gebiete der Kinder pflege im Interesse des Gemeinwohles zu veranschlagen. Zahlreiche Personen, Vereine und auch Behörden bemühen sich heutzutage, in „Krippen", Säuglingsasylen und ähnlichen An stalten eine möglichst große Anzahl der in elenden Verhältnissen und zum Theil von sittlich verwahrlosten Eltern geborenen Kinder aufzuziehen und zu brauchbaren Mitgliedern der mensch liehen Gesellschaft heranzubilden; neuerdings ist man sogar schon bestrebt, vorzeitig geborene, lebensschwache menschliche Früchte in „Brutapparaten" künstlich zu erhalten und zu ge deihlicher Entwickelung zu bringen. So lange diese Versuche vereinzelt bleiben, verpflichten sie zweifellos einige Familien zu großem Danke, dem Gemeinwohl dienen sie aber nicht, wenn sic auf allgemeine Kosten und in großer Zahl stattfinden, denn auf solche Weise werden zumeist Individuen großgezogen, welche körperlich und nach ihrer vererbten Veranlagung oft auch seelisch dem Kampf ums Dasein wenig gewachsen sind, welche z. B. nach ihrer Körperbeschaffenheit den Witterungseinflllssen und eindringlichen Krankheitserregern später nicht erfolgreichen Widerstand entgegensetzen können. Die neuerdings festgestellte Thatsache, daß die Lungenschwindsucht vom 15. Lebensjahre ab die ärgsten Verheerungen da anrichtet, wo die Säuglingssterb lichkeit gering ist, daß sie andererseits unter der gleichen Zabl i Fauillaton Verrathene Liebe. Ein Grinnerung-blatt aus Schiller'» Leben. Bon L. Gerhard. Nachdruck verbalen. Prinz Carneval regierte in Dresden. Heller Lichterglanz strahlte an einem Februarabend des Jahres 1787 aus der ersten Etage eines stattlichen Gebäudes der Altstadt. Heitere Walzerklänge ertönten, und in den großen Sälen bewegten sich tanzend, plaudernd, scherzend die Geladenen im Maskencostüm. Dort ließ eine graziöse Spanierin ihre Kastagnetten erklingen, hier hing sich eine zierliche Französin in den Arm eines deutsch)» Ritters, übermüthig lachend schlüpfte ein Harlekin durch die Menge, mit Scheltworten von einem Bettelmönch verfolgt. Dieses Suchen und Finden, diese Täuschungen und Neckereien unter dem Schutz der Larve waren gar zu amüsant, und alle Anwesenden gaben sich ihnen gern hin. Nur zwei hochgewachsene Jünglinge, in ähnliche, dem Zeit alter Ludwig's XIV. nachgebildete Eostüme gekleidet, irrten ziemlich planlos durch die Säle. Sie waren zu fremd in dem Kreise, um rechtes Vergnügen zu finden. Doch plötzlich legte der größere von Beiden seine Hand auf den Arm des Ge fährten und flüsterte erregt: „Sieh diese reizende Italienerin! Beim Zeus! Ein lieblichere- Köpfchen erblickte ich selten, und wie stolz und anmuthig ist dir Haltung der schlanken Gestalt! Ich will mich ihr nähern." „So geh', mein Friedrich, dabei bin ich überflüssig", lachte der Andere. „Schöne Maske, Du wandelst einsam; gestattest Du, daß ich Dich führe?" Zwei große schwarze Augen musterten den Fragenden. „Mich dünkt", erwiderte die Venetianerin mit metallischer Stimme, „Du bist an der Elbe Gestaden ein Fremdling; doch komm, vielleicht berühren sich unsere Geister, wie magnetische Pole." Sie legte ihren schlanken Arm in den seinen und zog ihn in einen weniger vollen Raum. „Bist Du ein Jünger deS MarS, oder welchem der Götter huldigst Du?" „Nicht den Göttern, holde Maske, es sei denn heute dem Schalk, dem Cupido; den Musen bin ich unterthan." „So glaub' ich Dich zu kennen, Fama trug Deinen Namen längst schon zu mir. Zeig' Deine Hand!" Ihr rosiger Finger malte geschwind ein I' und ein 8 in seine Handfläche. „In der That, Du hast Recht!" erwiderte er überrascht. „Ich aber siehe vor einem Räthsel und freue mich, daß bald die mitternächtige Stunde eS löst und ich Dein schönes Antlitz schaue." «Die Phantasie zaubert wohl dem Dichter ein Bildniß vor, das der Wirklichkeit nicht entspricht. Ich bin keine schwär merische Luise Millrrin, keine Amalia —" „So sag', in welche Farben muß ich meinen Pinsel tauchen, um Dich zu malen?" Sie zuckte die vollen Schultern. „Ein Weltkind bin ich", antwortete sie in leichtem Ton, „bald ernst, bald lustig, bald gut, bald böse." „Also ein reizendes Gemisch!" So ging das Gespräch fort, theilS scherzhaft, theils ernst. Den jungen herzoglich weimarischen Rath Friedrich Schiller zog das reizende, geistvolle Mädchen mächtig an; ungern nur überließ er es anderen Tänzern, und als die Uhr zwölf schlug und alle Larven fielen, auch die der Venetianerin, stand er in ihrer unmittelbaren Nähe. Sie verneigte sich neckisch, mit einem Lächeln um den holden Mund. „Nun sind Sie enttäuscht, nicht wahr, Herr Poete?" Der feurige Blick seiner großen Dichteraugen widersprach lebhafter als jede Betheuerung. „Kommen Sie", sagte sie vertraulich, „ich will Sie Mama vorstellen", und sie führte ihn zu einer vornehm aussehenden älteren Dame, Frau von Arnim, einer Officierswittwe. Neben dieser tauchte das pikante Gesichtchen seiner Freundin, der begabten Frau vr. Sophie Albrecht, auf, die er bereits vor Jahren in Frankfurt kennen gelernt, wo sie ihre ersten Triumphe auf der Bühne gefeiert. Sie, die für Schiller'- Genius eine schwärmerische Verehrung besaß, begrüßte ihn fröhlich, und bald kam eine lebhafte Unterhaltung in Gang. Des Dichters Blicke lösten sich kaum von dem beseelten Antlitz des Fräulein Henriette Elisabeth von Arnim, und wie ein Rausch kam es über ihn, wenn sie das Wort an ihn richtet«. Noch brannte in seinem Herzen die Liebe zu Charlotte von Kalb, noch der Schmerz der Abschieds von ihr, die ihm nimmer angehören konnte; er sehnte sich nach einer theilnehmenden Frauenseele, und diese glaubte er in seiner neuen Bekannten gefunden zu haben. Er gab sich heiter und gesprächig und be achtete nicht di« abweisende, fast strenge Miene seines Freundes Ferdinand Huber, dem das schöne Mädchen gar nicht zu gefallen schien. Immer mehr Verehrer sammelten sich um Henriette von Arnim, und mit Jedem wußte sie zu vlaudern; Schiller aber empfand, als sie ihm abschiednehmend die Hand reichte, einen leisen Druck ihrer schlanken Finger, sah einen feuchten Schimmer in ihren dunklen Augen. Lange lag er in dieser Nacht schlaflos in seiner bescheidenen, mit Huber getheilten Wohnung beim Hofgärtner Fleischmann in der Neustadt; alle seine Gedanken waren bei Henriette, und am anderen Tage schilderte er sie in glühenden Farben seinen vertrauten Freunden, dem Consistorialrath Gottfried Körner, dessen lieblicher Frau Minna und deren Schwester Dora, Huber'S Braut. Der sehnsüchtige Wunsch, von dem schönen Mädchen zu hören, es wiederzusehen, trieb ihn zu Sophie Albrecht. Hier ver kehrten di« verschiedensten Elemente, hauptsächlich Schauspieler, Schriftsteller, Gelehrte, aber auch Angehörige anderer Stände, darunter die Arnims. Frau Sophie hatte wohl die lebhafte Bewegung ihres genialen Freunde» in Gegenwart Henriettens bemerkt, und da sie nach Schiller'» eigenem Ausspruch „ein Herz besaß, ganz zur Theilnahme geschaffen und über den Kleinigkeits geist der gewöhnlichen Zirkel erhaben", und in der einstigen Ver bindung de» Dichter» mit der schönen Aristokratin nicht» Un mögliche» sah, lud sie die Beiden öfter» zusammen ein. Schiller machte auch der Frau von Arnim seinen Besuch, und sedel neue Wiedersehen der Angebeteten schürte nur die Liebe»- gluth in seinem Innern. Immer wieder bewunderte er ihre edle Gestalt, ihre tadellosen Züge, ihren Geist, und seine Phantasie schmückte sie mit guten Eigenschaften, die sie nicht besaß. Henriette fühlte sich geschmeichelt durch die Huldigungen des schon berühmten Dichters, vielleicht auch sprach eine Stimme in ihrem Herzen für ihn. Auch die Mutter schien seiner Bewerbung nicht abgeneigt zu sein; weder verbot sie seine Besuche, noch untersagte sie es ihrer Tochter, Blumen und werthvollere Ge schenke von ihm anzunehmen, und doch war sie weit davon ent fernt, ihn wirklich zum Gemahl Henriettens zu bestimmen. O nein, sie wollte endlich aus ihren kläglichen Verhältnissen, aus der Misere ihres nur scheinbar glänzenden Lebens heraus, und dazu mußte ihr die schöne Tochter helfen. Sie sollte eine gute Partie machen, aber die Bemühungen Schiller's, des be kannten Dichters, konnten dazu dienen, andere reichere Bewerber anzuziehen. Schiller ahnte von dem schmachvollen Handel nichts; immer tiefer verstrickte er sich in seine Leidenschaft und befand sich bald in dem Zustande, den er so treffend in Don Carlos und später im Mortimer gezeichnet hat. Nachdem er einmal Henriette in den Armen gehalten, einmal ihre schwellenden Lippen geküßt, war ihm kein Opfer für sie zu groß, zu schwer. Damit die Geliebte sich elegante Toiletten kaufen konnte, die sie liebte, sandte er ihr oft einen Theil seiner geringen Einkünfte, den sie sich nicht entblödete anzunehmrn. Seine Lust, alle ihre Wünsche zu erfüllen, trieb Schiller sogar dazu, den Carlos in Prosa für die elende Summe von 12 Du katen zu verkaufen! Als der Frühling das Elbgelände mit zauberischen Reizen schmückte, verreisten die Arnim's. Wie öde und leer erschien Schiller jetzt die schöne Stadt! Weder im Umgänge mit Huber noch in dem sonst ihm so lieben Körner'schen Kreise fand er Ersatz für die mit der Geliebten verlebten Stunden. In der Hoffnung, daß die Natur sein erregtes Gemüth beruhigen werde, zog er nach Tharandt, aber auch der Anblick der grünen Hügel, der blumigen Felder und ragenden Wälder erstickte nicht die Sehnsucht in seinem Herzen, immer wieder beauftragte er Frau Minna und Dora, sich nach den Arnim's zu erkundigen. Sie erfüllten seine Bitten nicht gern, denn sie waren über zeugt, daß e» nie zu einer Verbindung Schiller's mit dem koketten Mädchen kommen werde, aber sie ehrten seinen Wunsch und schonten sein erregtes Gemüth. Zur Stärkung schickten sie ihm gute» Bier in seine selbstgewählte Einsamkeit, in der er sich „wie Robinson auf einer wüsten Insel" vorkam, und da» neckische Dorchen fügte für den verliebten Freund den Werther und die Usisous äauxereuses hinzu. Endlich kehrten die Ersehnten nach Dresden zurück, und Henriette sandte dem Dichter als Erwiderung seiner glühenden Briefe ihr Stammbuch, damit sie ein Andenken von ihm erhielte. Er schrieb in der Erinnerung an ihre erste Begegnung folgende Verse: »Tki treffend Bild von diesem Leben, Ein Maskenball hat Dich zur Freundin mlk gegeben, Mein erster Anblick par Betrug. , Doch unser Bund, geschloffen unter Scherzen, ' Bestätigte die Sympathie der H»rz«n. trin Blick war uns genug, lind durch die Larve, die ich trug, Las dieser Blick in meinem Herzen, Das warm in meinem Busen schlug, spat führte das Verhängnis uns zusammen, Doch ewig soll das Bündniß sein, Ich kann Dir nichts als treue Freundschaft geben. Mein Herz allein ist mein Verdienst, Dich zu verdienen, will ich streben, Dein Herz bleibt mir, — wenn Du das meine kennst!" Im Mai folgte er der Geliebten nach Dresden und wohnte im Körner'schen Hause in der Nähe des Japanischen Gartens. Sobald er die Freunde begrüßte, eilte er zu Arnim's. Be rauschend war die Wonne des Wiedersehens. Immer wieder zog er Henriette in seine Arme und sie erwiderte seine Küsse. Zu seinem höchsten Entzücken schenkte sie ihm ihr Portrait, das sie im Glanze ihrer Schönheit zeigte. Schiller sandte ihr bald darauf auch sein Bild. Am liebsten hätte er sie nun vor aller Welt die Seine ge nannt, aber Henriette wußte ihn zu überzeugen, daß dieses erst möglich wäre, wenn er eine unabhängige Stellung einnähme. „Das heimliche Glück ist so viel süßer", sagte sie mit ent zückendem Lächeln. „Komme so oft Du willst; kann ich Dick einmal nicht ungestört sprechen, so stelle ich ein Licht an das Fenster meines Zimmers." So geschah's, aber mit bitterm Gefühl sah Schiller die Kerze recht oft ihm zur Umkehr leuchten. Die Verwandten nahmen seiner Ansicht nach Henriette zu oft in Anspruch. Körner'- wußten es besser; nicht Familienangehörige empfing das Mädchen in jenen Stunden, sondern ihre reicheren und vornehmeren An beter. Sie unterrichteten Schiller in zarter Weise davon. Er brauste auf und wollte es nicht glauben; wie konnten der G« liebten Augen lügen? Aber da die Freunde immer energischer in ihn drangen, wurde er doch endlich argwöhnisch. Und eines Abends, als wieder das Licht ihm sagte: „Heute darfst Du nicht kommen!" stieg er doch leise die Treppe empor. Da hörte er im Zimmer eine Männerstimme im Tone der Leidenschaft Henriettens Namen nennen und sie in liebevoller Weise ant worten. — Wie gebrochen stürzte er heim. So war er also wirklich betrogen, nur ein Spiel ihrer Laune gewesen! Er zürnte ihr und konnte sie doch lange nicht vergessen. Aber die Enttäuschung ward er los, indem er sich jetzt mit vollem Eifer in die Arbeit versenkte. Das Bild der schönen, „aber abgefeimten Betrügerin" malte er sowohl in seiner Griechin im „Geisterseher" als auch in der Fürstin Eboli, später verlieb er einige ihrer Züge der „königlichen Heuchlerin" Elisabeth. So half ihm sein Genius, da« Liebesleid überwinden, und ein Jahr darauf fand er in seiner tiefen Neigung zu Charlotte von Lenge feld ein reines und volles Glück. - - Obgleich Henriette von Arnim Schiller betrogen und sich zuerst mit einem jungen Grafen von Kunhrim und nach dessen Tode mit dessen Onkel gleichen Namens vermählte, war ihr der glerchgtttig. Unter heißen Thränen nahm sie von ihm Abschied und ost mag sie in ihrer nicht glücklichen Ehe mit schmerz,cher Wehmuth seiner gedacht haben. Sein Bild hing bis zu ihrem im Jahre 1847 in Dresden erfolgten Tode über ihrem Bett. -
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