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01-Frühausgabe Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 17.05.1898
- Titel
- 01-Frühausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1898-05-17
- Sprache
- Deutsch
- Vorlage
- SLUB Dresden
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-18980517012
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id453042023-1898051701
- OAI
- oai:de:slub-dresden:db:id-453042023-1898051701
- Sammlungen
- Saxonica
- Zeitungen
- LDP: Zeitungen
- Bemerkung
- Seiten doppelt vorhanden, Text schlecht lesbar
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
-
Zeitung
Leipziger Tageblatt und Anzeiger
-
Jahr
1898
-
Monat
1898-05
- Tag 1898-05-17
-
Monat
1898-05
-
Jahr
1898
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Die Preise des BrodgetreideS, be sonders des Weizens, sind auch hier, obgleich in England Getreidezölle nicht bestehen, mit einer Schnelligkeit und bis zu einer Höhe emporgegangen, wie nie zuvor, selbst nicht m Jahren großer Kriege und Hungersnöthe. Für die armen Classen ist dies ein gewaltiges Unglück, und die betreffenden Regierungsbehörden sinnen ernsthaft über die geeignetsten Schutzmaßregeln nach. Ein großer Theil der Bauern und Getreidehändler hält außerdem — hierin unterscheidet sich England nicht vom Continent — seine Vorrathe zurück, um sie zu noch höheren Preisen loszuschlagen, eine Calculation, die sich wohl leider als richtig erweisen wird; denn seit wenigen Tagen sind auch auf dem großen Londoner Fleischmarkt die Preise um 5—12 pro Pfund (bei dem hier viel consumirten amerikanischen Beefum 12^s) gestiegen. Die Arbeiter der Haupt industriegebiete Nord-Englands haben in Folge dieser Ver- theuerungen ihrer Hauptnahrungsmittel energisch eine ent sprechende Lohnerhöhung gefordert, und wenn ihre eventuelle Verweigerung nickt zu einem Streik führen sollte, so läge das nur an der Erschöpfung der Parteicassen durch die letzten, leichtsinnig und unberechtigt provocirten Arbeitseinstellungen und dem herrschenden eigenartigen Streik der Kohlengräber in Wales. Man beschäftigt sich hier schon längere Zeit mit der Errichtung ausgedehntester Staatskornhäuser. Fast einstimmig giebt das betreffende Comitö des Ackerbau ministeriums in seinem Berichte zu, daß die Abhängigkeit Englands von überseeischen Brodgetreiden besorgnißerreaend sei und Vorsichtsmaßregeln ergriffen werden müßten. Nach einer Schätzung hatte man in ganz Großbritannien im Mai 1895 kaum für sieben Wochen Vorrath; im Mai 1897 nicht mehr als für sechs Wochen. Dir eigen« Production war: Importier wurden: 1854/55 . . . ca. 3 824 000 000 lcx ca. 619 700000 Ke 1874/75 .... 2 809000 000 - . 2 405000000 - 1895/96 .... 1045 000 000 - . 5 073 400000 - Man verkennt nicht, wie dringend diese Zustände einer Aenderung bedürfen und wie ungemein wichtig sie für die Kampffähigkeit Englands in einem Kriege sein würden. Man scheint überzeugt zu sein (und Wohl mit Recht), daß große staatliche Kornreservoire keinen wesentlichen (ungünstigen) Ein fluß auf Ackerbau und Getreidehandel haben würden. Höchstens würden diese die Speculationverhindern, in Zeiten derNoth dem Volke eins der wichtigsten Nahrungsmittel unerschwinglich zu vertheuern. Ein besonderes Comits aus den Kreisen des Ackerbaues, des Kornhandels, der Schifffahrt, der Marine und der Armee hätte sich möglichst bald aufs Eingehendste mit allen Einzelheiten der Beschaffung der Lebensmittel im Kriegsfälle zu beschäftigen. — Man kann sich kaum des Ge dankens erwehren, daß es vor Allem auch diese NabrungS- sorgen sind, die bis in die Regierung hinauf die Aufrechterhaltung innigster Freundschaft mit den Ver einigten Staaten betreiben. Hunger thut weh und macht mürbe. Und da man mit Rußland hier, nach der Rede Chamber- lain's, nicht mehr wird rechnen können, drückt man ein Auge zu bei vielen Veranlassungen, wenn Vetter Iohnston übermüthig oder arrogant wird, nur um mit ihm für alle Fälle hübsch im Frieden zu leben. Auch hier die englische Politik: Rein festes Büodniß, keine Verpflichtungen, die lästig werden könnten, sondern immer hübsch auSgeschaut, von wo der Wind kommt, und dann flott mit ihm gefegelt; schlägt der Wind um, so ändert man den CurS. Unter diesen ebenerwähnten Verhältnissen leidet nun Irland, daS Schmerzenskind Großbritanniens, doppelt hart. Im Parlament ist man jetzt endlich — wie lange hat eS gedauert und welcher Anstrengungen hat eS bedurft! — ernsthaft ans Reformiren, an die Lösung der irischen Frage gegangen. Die Neuordnung, besser überhaupt schlichtweg die Ordnung der Verwaltung, wird sich segensreich erweisen. Bevor die Saat aufgehen wird, sind allerdings noch viele sonnige Tage nöthig. Deo Berichten über das augenblicklich in West-Irland herrschende Elend gegenüber hat man sich hier bisher ungläubig verhalten, an Uebertreibung und blinden Lärm geglaubt. Wie groß dieser Irrthum und wie groß daS Elend ist, geht aus einem Briefe des Lord-MayorS von Dundee an den Herausgegeber des „Standard" hervor. Die gründlichen Recherchen, die seinem Berichte zu Grunde liegen, weichen sehr zu ihrem Vortheil von den Grundlagen der Mittheilungen der ernannten Regierungsbeamten ab. Der Hauptgrund der Hungersnoth liegt an den wiederholten großen Mißernten in Kartoffeln, die in den beiden letzten Jahren weit unter den Durchschnittserträgnissen zurückblieben. Allein sür'S letzte Jahr ist der Ausfall aus ca. 100 000 000 zu schätzen. Die von der Regierung zur Steuerung dieser Noth bewilligten 400 000 bedeuten nur einen Tropfen auf einen heißen Stein. DienotorischeArmuth der Pflanzer- (Bauern-) Familien Irlands in Folge der Ueberbürdung macht sie nicht widerstandsfähig gegen derartige Mißernten; so leiden jetzt circa 300 000 Menschen Mangel an nöthigster Nahrung und Kleidung, und die notbwendige Aussaat fehlt ihnen auch. Hier thut also schleunigste Hilfe noth, der man sich nicht länger entziehen kann. Bezeichnend für die Lage sind folgende Worte aus einem Manifest der weitverbreiteten Irischen National vereinigung in Irland und Britannien, das an die Iren Amerikas sich wendet mit der Aufforderung, „sich zu erheben in der Würde ihres beleidigten Bürgerrechts und zu bestehen auf derVerwerfung eine» englischen Bündnisse» und einer britischen Beschirmung . — „Warum nach Europa, warum nach England gehen für eine schirmende Flagge? Im Namen amerikanischer Freiheit, im Namen Irlands, deS Opfer» Englands, im Namen der Erinnerung an 1898, reißt nieder diese beschimpfende und unnatürliche Verbindung." — DaS ist kräftig; eS entspricht aber den Gefühlen vieler Tausende. Deutsches Reich. 8. Berlin, 16. Mai. Wie schon berichtet, hat das preu ßische KricgSministerium eine Verfügung erlassen, der zufolge die Zuweisung amtlicher Bekanntmachungen an solche Zeitungen einzuschränken sei, die, wie die „Posener Zeitung", polnischen Interessen dienen. Die klerikale und die demokratische Presse ist hierüber in Aufregung ge- rathen. Die „Germania" verlangt eine Regierungserklärung, weil die militairischen Leser der vom Kriegsministerium be zeichneten Blätter durch die kriegsministerielle Verfügung insofern geschädigt würden, al« sie wichtige militairischeBekannt machungen nicht zu Gesicht bekämen. Der Grund ist vollkommen haltlos. WaS in einem Militairverhältniß stehende Personen dienstlich zu erfahren haben, wird ihnen direct auf der Control- versammlung oder durch öffentliche Anschläge, Gemeinde behörden rc. mitgetheilt. Die amtlichen Bekanntmachungen, die daS KriegSunnisterium im Auge haben konnte, erstrecken sich nur auf Ankündigungen, belr. den Verkauf von Pferden, die Vergebung des Stalldüngers ,c. Daß eine königl. preußische Militairbehörde auS irgend einem Grunde gehalten sein sollte, derartige Bekanntmachungen Blättern zuzuweisen, die dem preußischen StaatSaedanken zuwiderlaufende Be strebungen unterstützen, ist schlechterdings nicht abzusehen. Man könnte eS bei dieser Kritik der klerikalen und der demokratischen Beschwerden bewenden lassen, wenn nicht die „Posener Zeitung" selbst mit einer Auslastung zur Sache aufwartete, die zu einem Commentar herausfordert. Die „Posener Zeitung" betrachtet die Exemplificirung auf sich deshalb als unmöglich, weil man in Officierkreisen gerade in der hier tangirten politischen Frage am vor- urtheilsfreiesten sei. Zum Beweise für die „Vorurtheils- losigkeit" der Officierkreise führt die „Posener Zeitung" den Umstand an, daß der frühere commandirende General des V. Armeecorps Herr von Seeckt gelegentlich Veranlassung genommen habe, dem gegenwärtigen Leiter der „Posener Zeitung" seine Anerkennung auszusprechen für die muthvolle Art, mit der dieser gegen die „Verhetzung" Front mache. — Wir wissen nicht, ob General von Seeckt diese Aeußerung gethan hat. Hätte er sie gethan, so würde er nach dem bekannten Erlaß des preußischen Staatsministeriums über das Verhalten der Beamten in den Provinzen gemischt-sprachlicher Bevölkerung seinen Abschied baden erhalten müssen. General von Seeckt ist vor der Verkündigung deS Erlasses verabschiedet worden. Ob er aber der einzige in hoher Stellung befindliche Militair ist, der im Sinne der „Posener Zeitung" als vorurtheilsfrei zu rühmen ist, muß nach Allem, was über die Haltung des Posener Osficiercorp» zum Erzbischof vr. von Stablewski verlautet hat, bezweifelt werden. Es wäre daher viel leicht nicht überflüssig, wenn der preußische Kriegs Minister in Bezug auf die Officiere in den Provinzen gemischt-sprachlicher Bevölkerung eine besondere Verfügung erließe, deren Inhalt mit dem oben erwähnten Erlaß deS gesammten preußischci. Staatsministerium« sich deckt. * Berlin, 16. Mai. Wir theilten vor Kurzem mit, daß dem preußischen Abgeordnetenhause eine Interpellation des Abgeordneten Wendel-Steinfels zugegangen sei, WaS die Re gierung zu thun gedenke, um die Verunreinigung der Luppe und Elster durch die Schmutzwässer Leipzigs zu verhindern. In letzter Zeit haben sich die Anträge stark ge mehrt, die von der Staatsregierung oder den Parlamenten wirksamere Maßregeln gegen die Verunreinigung der Wasserläufe forderten. Ob eS überhaupt möglich sein wird, allgemeingiltige Bestimmungen über diese Verhütung zu treffen, ist, so führt der „Hamb. Corr." zu dieser Frage auS, noch zweifelhaft. In vielen Staaten des Auslands, so in Eng land, bestehen Vorschriften, in denen die Stoffe oder Stoffmcngen, die nicht in öffentliche Wässer geleitet werden dürfen, aufgezählt sind. Selbstverständlich kann dies nur ein kleiner Kreis von Stoffen sein, immerhin sind die Interessenten durch diese Vorschriften genau darüber unterrichtet, was sie nicht thun dürfen. In Preußen wackt über die Verhütung der Ver unreinigung der Wasserläufe die allgemeine Polizeiverwaltung, in gewissen Fällen, wo auch Bergwerke in Frage kommen, in Gemeinschaft mit den Berg-Bebörden. Hierbei wird von Fall zu Fall entschieden, und es ist natürlich, daß diejenigen Interessenten, die nicht zu ihrem Rechte gekommen zu sein glauben, an die Oeffentlichkeit appelliren, um dadurch ihr vermeintliches Recht zu erreichen. Daraus erklären sich zum großen Theile die Klagen, die in letzter Zeit so vielfach wegen Verunreinigung der Wasserläufe zu Tage getreten sind. Man wird wohl nicht fehlgehen, wenn man annimmt, daß seitens der Staatsregierung die Frage nicht eher zum Austrag gebracht werden wird, bis daS nun schon seit Jahren vor bereitete WasserrechtS-Gesetz soweit fertiggestellt ist, daß eS für die parlamentarische Behandlung reif ist. In dem Entwürfe zu diesem Wassergesetze, wie er vor Jahren ver öffentlicht wurde, war ein besonderer Abschnitt der Verhütung der Verunreinigung der Wasserläufe gewidmet. Die Voll macht zu dem Erlasse der Verhütungsverordnungen war den Oberprästdenten übertragen, die vorher das Medicinal- Collegium ihrer Provinz anhören sollten. Ob es möglich sein wird, auf diesem Wege zum Ziele zu gelangen, ist nicht gewiß, sicher ist, daß die Frage zu den schwierigsten gehört, die gesetzgeberisch zu lösen sind, und zwar schon deshalb, weil nicht blos die verschiedenen Gegenden der preußischen Monarchie ganz verschiedene Interessen haben, sondern auch weil die großen Erwerbsgruppen Landwirthschaft und In dustrie sich vielfach dabei direct gegenüberstehen. * Berlin, 16. Mai. Nicht not Unrecht wiesen conservative Blätter während der letzten Zeit wiederholt auf die Noth- Wendigkeit strenger Selbsterziehung bin, wenn sie die der Gesellschaft zur Verfügung stehenden Mittel zur Abwehr der socialistischen Gefahr besprachen. Zu einer Zeit, in der von demokratisch-revolutionairer Seite alles Mögliche gethan wird, um dem Volke die „Corruption der herrschenden Classen" darzuthun, in der die tendenziöse Aufbauschung und Verallgemeinerung von Einzelfällen das erlesendste Rüstzeug des zünftigen Agitatorenthums bildet, sind gerade die zu allermeist verpflichtet, über ihr eigenes Thun und Lassen zu Wachen, denen das Schicksal eine höhere sociale Position ver gönnte. Um so befremdlicher muß demnach eine Thatsache berühren, die mit solchen Anschauungen im schroffsten Wider spruche steht und auch den milder Ürtheilenden zu allerhand Zweifeln darüber zu bewegen vermag, ob es mit dem sitt lichen Ernst gewisser Kreise der Gesellschaft wirklich zum Besten bestellt ser. Es handelt sich um eine Auslassung des Blattes „Deutscher Sport" zur Frage des, wie er innerlich, seit dem vorigen Jahre durch den Herzog-Regenten Johann Albreckt von Mecklenburg verbotenen Tauben- schießens zu Heiligendamm; daß genannte Organ der sporttreibenden Aristokratie wirft sich zum Vertheidiger de« ärgernißerregenden Unfugs aus und erlaubt sich, die Ver fügung des Regenten scharfer Kritik zu unterziehen, indem eS erklärt, dieselbe bedeute eine „Verletzung der dynastischen Pietät", da der verstorbene Großherzog an dem Tauben schießen selbst theilgenommen habe. Durch das Verbot sei demnach dem verstorbenen Landessürsten „eine schwere Krän kung, eine posthume Schmähung zugefügt" und eS sei damit zugleich „das monarchische Ansehen untergraben und der Sache der Monarchie unberechenbarer Schaden zugefügt worden". Es heißt dann wörtlich weiter: „Es handelte sich um einen Sport in idealer Gestalt, um eine Bethätigung sportlicher Fertigkeiten, die zu entwickeln und zu ver vollkommnen nicht die niedrigste Aufgabe der Regierung wäre. Gedient allein ist den socialdemokratischen und ähnlich gesinnten Blättern, die sich ins Fäustchen lachen, daß dem verhaßten Junker- thum und dem monarchischen Prestige etwas ausgewischt worden. Gedient allein ist den Wünschen einer Schullehrerwittwe, deren wiederholte Petitionen der hochselige Großherzog, um die un gesunde Sentimentalität derselben zu geißeln, mit Aussetzung eines neuen Ehrenpreises und dem Befehl der Bekanntmachung zu beant- Feuilleton. Am die Erde. Reisebrirse von Paul Lindenberg. Nachdruck verboten. Das Neujahrs-Diner beim Vicekönig. — Be grüßung seitens Seiner Excellenz. — Das Fe st mahl. — EinebedeutsameRede. — Deutsch- thum in Tientsin. — Man bekommt China überdrüssig! Tientsin, II. März. „Seine Excellenz der Vicekönig Wang-Heng-Shao giebt sich die Ehre, Herrn Soundso zum Neujahrs-Diner in der Medicin-Schule am 10. März Nachmittags 6 Uhr einzuladen —" auf rothem Papier war mit starker schwarzer Schrift diese Einladung geschrieben, die ich, trotzdem über sämmtliche Plätze schon längst verfügt war, noch der freundlichen Vermittelung unseres Konsuls verdankte. In seiner Gesellschaft und in der des Dolmetschers unseres Konsulats fuhr ich in einem von einem Kuli gezogenen Wägelchen zu der besagten Mcdicinschule, die in der europäischen Niederlassung liegt und deren Räumlichkeiten der Vicekönig gewählt, weil sein in der Chinesenstadt befind licher Damen kaum den entsprechenden Platz und Rahmen zu der Festlichkeit geboten hätte. Letztere ist ganz officiellen Cha rakters, sie vereinigt die ersten chinesischen Würdenträger mit den in Tientsin ansässigen diplomatischen Vertretern der fremden Mächte und den in chinesischen Diensten stehenden europäischen Beamten, und je später dieses Diner nach dem Schluß des ewig langen chinesischen Neujahrfestes stattfindet, als desto feiner gilt dies in den Augen der Chinesen. Eine dichte Menschenmenge hatte sich vor dem Eingang zur Medicinschule angesammelt, einige Dutzend Soldaten in ihren lumpigen Uniformen präsentirten vor den Ankommenden ihre halbverrosteten alten Flinten, und sechs Hornbläser tuteten eine so schreckliche Bewillkommnungs-Fanfare, daß selbst die lahmen Gäule der den Mandarinen-Sänften vorantrottenden Vorreiter unwillig darüber wurden und sich erst beruhigten, als man sie — rechts und links vom Eingang, an der Front de» Hauses und auf offener Straße — neben ihren Genossen angehalftert. Die Garderobenfrage war höchst einfach dadurch geregelt, daß jeder Eingeladene sich seinen Boy mitgebracht hatte, der Mantel und Hut aufbewahrte. Von dem kleinen, zugigen, gedrängt vollen Flur trat man sofort in das erste, mäßig große Empfangszimmer, gleich dem anstoßenden zweiten halb europäisch und halb chinesisch ein gerichtet. In diesem zweiten begrüßte der Vicekönig seine Gäste, an der Seite seines Tautoi's (etwa im Range und der Stellung unserer Regierungs-Präsidenten), dem man zuerst durch den be gleitenden Dolmetscher vorgestellt wurde, um dann vom Konsul dem Vicekönig präsentirt zu werden. Wang-Heng-Shao mag im Anfang der siebziger Jahre stehen, die klugen Augen blicken durch große Brillengläser, das schmale, runzelreiche Gesicht mit dem Weißen Ziegenbart hat viel Gutmüthiges an sich; Seine Excellenz trugen einen schwarzen Pelzrock und die mit den Würdeabzeichen versehene Kappe, fortwährend mit sichtlichem Behagen an einer mächtigen Cigarre schmauchend. Jedem ihm neu Vorgestellten gönnte er ein freundliches Lächeln und Diesem und Jenem auch einen Händedruck, aber Alles in gleichförmiger Weise; nur als unser Konsul ihm durch den Dolmetscher erklären ließ, daß ich aus Berlin käme, um China zu bereisen, da horchte er etwas auf und wiederholte: „Berlin?" Der Name hat jetzt bei den Chinesen einen starktönenden Klang! Immer neue Gäste nahten, in dem kleinen, von glimmendem Kaminfeuer erwärmten Raume ein farbiges Bild bietend: hohe chinesische Beamte und Generale in ihren bunten Seiden gewändern und mit ihren schön gestickten Rangabzeichen auf der Brust, meist behaglichen Aussehens in den glatten Gesichtern und von wohlgenährten Körperformen, die Konsuln in ihren goldverzierten, ordensgeschmückten Uniformen, russische, fran zösische, englische, japanische Officiere, die in irgend welchen Missionen in China weilen, daneben auch befrackte Herren, welche sich meist einer besonderen Höflichkeit gegen die hoch gestellten Zopfträger befleißigten und mit ihren langen chine sischen Visitenkarten freigebig umgingen — vielleicht, daß mit diesem oder jenem Mandarin in nächster Zeit ein „Geschäftchen" zu machen war! Die Zahl sämmtlicher Gäste mochte etwa hundert betragen, in kleinen Gruppen standen sie plaudernd umher, bis der Vicekönig das Zeichen zum Aufbruch in den Speisesaal gab, der jenseits des FlureS lag und dessen kahle, weiße Wände mit einigen aus künstlichen Blumen bestehenden Guirlanden und auf langen Papierstreifen gedruckten Con- fucius-Sprüchen verziert waren. Gefälliger sah schon die Tafel aus, bon deren weißem Linnen sich Blumen, Confect- und Frucht-Schalen, sowie zahl lose Fähnchen mit den Landesfarben der hier vertretenen Mächte abhoben. Jeder fremd« Gast saß zwischen zwei Chinese». Zu jedem Couvert gehörten neben Messern und Gabeln die Eß stäbchen aus Ebenholz mit silbernen Spitzen, schön gearbeitete silberne Schälchen für die das Salz vertretende Sauce und für geröstete Mandeln und Kürbiskerne und ein zierliches Täßchen für den unermüdlich eingeschänkten heißen Reiswein, während die Süd-, die Weiß- und Rothweine wie der Champagner in die uns gewohnten Gläser eingegossen wurden. Die Gold auf Roth gedruckte große Tischkarte wies die Speisen in französischer und chinesischer Sprache auf, ein europäisches Gericht wechselte stets mit einem chinesischen; so folgte der Schildkrötensuppe eine Suppe aus Vogelnestern, einem in Wein gekochten Fisch ein Gericht von Haifischflossen, der Rebhuhn-Pastete reihten sich verschiedene Wochen alte Taubeneier an und auf Schweine- CoteletteS folgten geschmorte Bambussprossen, und so ging es weiter fort bis zu den verschiedensten Leckereien, zum Eis, Früchten und Kaffee. Alles übrigens ausgezeichnet, auch die Weine, ebenso die Cigarren und Cigaretten, die vom zweiten Gang an fortwährend herumgereicht und eifrig geraucht wurden; der Vicekönig, der seinen Pclzrock nicht abgelegt, aber seine Würden-Kappe mit einer anspruchsloseren vertauscht hatte, rauchte fast unausgesetzt seine schweren Cigarren und sprach den Speisen nur wenig zu; zärtlich begrüßte er seine beiden, etwa acht- und zehnjährigen Söhne und seinen vier Jahre alten Enkelsohn, die, in hübsche Seidenkleider gehüllt, um den Tisch schritten und Jedem ihren Knix machten, nette und manierliche Knaben, deren Gesichter und Wesen einen intelli genten Eindruck machten. Zwei chinesische Musikcapellen spielten abwechselnd europäische Weisen, und horch, da klang mit einem Mal in heimathlichen Tönen das Lied vom „grünen Strand der Spree". Rechts vom Vicekönig saß ein russischer Oberst, links, als ältester der Konsuln, der japanische Consul: China also im Verein mit seinen treuesten und uneigennützigsten Freunden! Und es war erbaulich anzusehen, als die beiden Herren um den Vicekönig herum mit ihren Gläsern anstießen! Den ersten Trinkspruch brachte der Secretair des Dicekönigs, welch Letzterer viel zu hoch steht, um öffentlich zu sprechen, in englischer Sprache aus, indem er im Namen Seiner Excellenz den Erschienenen alles Gute und Glücklich« zum neuen Jahre wünschte. Der japanisch« Consul wünschte das Gleiche dem Vicekönig und erhoffte für den Kaiser und die Kaiserin ein langes Leben, welche Rede der Secretair in das Chinesische übersetzte. Gleich danach erhob sich der Japaner von Neuem und brachte die Ge sundheit des Vicekönigs aus, was gleichfalls in das Chinesische von dem Secretair übertragen wurde, der alsbald wieder im Auftrage und Namen seines Herrn die eigentliche Rede des Abends hielt, die von den Europäern als sehr bedeutsam be trachtet wurde, da in derselben der Vicekönig, der bisher al» Gegner aller fremden Bestrebungen betrachtet wurde, erklären ließ, daß er seine Provinz recht weit dem Verkehr erschlossen zu sehen wünsche, daß er viel davon für die Culturaufgaben des Landes erhoffe und sich über die guten Beziehungen desselben zu all' den hier vertretenen Staaten innig freue. Kurz danach setzte der Vicekönig als Zeichen, daß er das Diner für beendet betrachte, wieder seine Mandarinen-Kappe auf, er erhob sich, und Alle folgten ihm nach den oben er wähnten Empfangszimmern, in denen man sich von ihm ver abschiedete. Zehn Minuten später saßen die deutschen Herren gemüthlich im deutschen Club zusammen „bei schäumenden Pocalen". Auch in Tientsin haben sich unsere Landsleute durch diesen Club, der ein ganzes Haus einnimmt, ein behagliches Heim geschaffen, wie überhaupt hier der deutsche Handel ge bietend auftritt und im Import an erster Stelle steht, England mehr und mehr an die Seite drängend. Ein eigenes deutsches „Settlement" — das zweite neben dem in einem früheren Be richt erwähnten Hankauer — bringt diese kaufmännische Be deutung Deutschlands am besten zum Ausdruck. Irgend etwas Sehens- und Beschreibenswerthes bietet Tientsin nicht dar, Europa und China sind an diesem Platze durch den Pei-Ho getrennt; auf diesem Ufer saubere Straßen mit massiven Häusern und sorgsam gepflegten Gärten, auf jenem die meist nur aus niederen Lehmhütten bestehende, sehr ausgedehnte chinesische Stadt mit all' ihren so oft schon er wähnten Eigenschaften eines echten und rechten chinesischen Ortes. Ich kann es gar nicht ausdrücken, wie einem dieses China als Gemisch von Schmutz und Unordnung, von Verwahrlosung und Aberglauben, von Elend und Armuth, Krankheiten und Stumpf sinn, von Verrottung der oberen und Gleichgiltigkeit der unteren Classen überdrüssig wird! Gewiß ist Vieles interessant und neu, aber nach den ersten Wochen des Hierseins verblassen diese Eindrücke, da sie fast immer die gleichen find, und man erblickt überall nur das China des Verfalls und Absterbens. Und für den Touristen kommen noch die Schwierigkeiten des Reisens und Verkehrs hinzu; man glaube mir, es ist oft die ganze Energie nöthig, um den Reiseplan einzuhalten und nicht heute lieber wie morgen den chinesischen Staub — ein viel kräftigeres Wort wäre richtiger! — von den Kleidern zu schütteln und ein wahr lich nicht wehmüthiges Lebewohl dem Reiche der Mitte zuzurufen? So aber lautet trotz Fieberanfälle, trotz Kälte und Heimath- sehnsucht die Losung: „Nach Peking und zur Großen Mauer!" und sie soll und wird erfüllt werden!
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