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2. MW M LkiMl TWdlM Mil Avger Nr. S8H, vRiitG 8. Nmmbtt IM. Lindererziehung bei den Vaturvöikern. L. 6- »Die Geschichte jeder Wissenschaft ist eine Ge schichte d«S Kampfes mit dem Vorurthcil." Dieses bittere, aber wahr« Wort trifft am schärfsten bei den modernen Wissenschaften, der Psychologie, der Nationalökonomie und der Ethnographie, zu. Ein Capitel zu diesem Thema stellt auch das Problem der Kindererziehung bei den uncroilisirten Völkern dar. Der Züricher Privaidocent Steinmetz veröffentlicht soeben in der „Zeitschrift für Socialwissenschaft" eine kritisch geordnete Fülle von> Thatsachen dieses Wissensgebietes, die geeignet er scheinen, die alten Grundsätze über die Kindererziehung bei den Naturvölkern über den Haufen zu werfen. Ausgehend von einer vierfachen Gliederung der Erziehungsweise, stellt er auf Grund der Aufzeichnungen und Reisewerke der ethnographischen Forscher fest, das gerade in den niedersten Culturstadien das Verhältniß zwischen Eltern und Kindern durchaus kein liebloses und rohes ist, wie dies bisher fast durchweg angenommen wurde, sondern im Gegenthcil ein sehr liebevolles und zartes. So versichert der Missionar le Jeune, dass die Apachen-Jndrcmer es nicht anschen können, daß ihre Kinder gestraft, nicht einmal, daß sie gerügt werden; einem weinenden Kinde verweigern sie nichts. Die Patagonier, be richtet Musters, verweisen ihre Kinder nie, obgleich sie von ihnen mit der größten Frechheit behandelt werden. Ja, die Eltern richten, wenn sie die Kinder unversehens im Zorne einmal ge schlagen haben, ein Fest an, um die Kinder wieder auszusöhnen; der Vater spricht seinen Sohn mit „Sie" an, der Sohn „duzt" den Vater. — Die Eskimos üben nicht den geringsten Zwang auf ihre Kinder, damit diese etwas lernen. Bei den Kajak kirgisen ermuntert der Vater förmlich den Sohn, die Mutter zu mißhandeln. Di« Kinder der Eingeborenen auf den meisten polynesischen Inseln und dem Festlandc Australiens werden furchtbar verhätschelt; Aehnliches wird von vielen afrikanischen Völkern gemeldet. So sind bei den Namaqua die Eltern gegen ihre Kinder sehr zärtlich und freuen sich, wenn jene so stark geworden sind, daß sie ihre eigenen Eltern prügeln können, denn dann haben sie die Ueberzeugung, daß sie auch im Kampfe be stehen werden. Und auch in der folgenden Erziehungsclasse, wo sich An fänge einer gelinden Züchtigung finden, sind noch größtentheils unstäte Völker vertreten, und die übrigen gehören zu der niedersten Stufe der Ackerbautreibenden, zu den Jäger bauern. Es dienen bei ihnen nicht svwhl Schläge als Zuchtmittel, als vielmehr abergläubische Drohungen mit den bösen Geistern; auch an die Ehrsucht appelliren die Eltern, oder wie es bei den Mandan-Indianern ist: es sucht der Vater den Sohn, der mehr Neigung zum Frauenwerke hat, mit Geschenken und Schlägen davon abzubringen. Auch das Schwarzmalen mit verkohltem Holze, und zwar so lange, bis das Holz verbraucht ist, gehört zu den Abschreckungsmitteln. Die Fidschi-Insulaner erzählen ihren Kindern von den Thaten ihrer Ahnen phantastische Geschichten, in die sie eine bestimmt« Moral einflechken. Auch Zaubermittel bindet man den Kindern um den Hak, die ihnen Gefahr bringen würden, sobald sie Uebles thäten; man kratzt die Kinder im Schlafe mit einem Fischzahn und deutet das hernach: das habe der große Geist geihan. Irgend welche Aus bildung erhalten nur bisweilen die Knaben im Viehtreiben Und im Waffengebrauch. Die dritte Gruppe, wo strenge Zucht geübt wird, ent hält nur ein unstätes Volk, Victorra-Australneger, dagegen beobachten wir hier die höchstentwickelten Jndianerstämme, über haupt die Naturvölker der höchsten Stufen. Verweise, leichte Prügel, Fastenstrafen,-auch Enterbung, gelten bei ihnen'als Erziehungsmittel. Rohe, herzlose Behandlung findet sich hier noch nicht, sondern kommt erst neben der völligen Ver nachlässigung der Kinder in der vierten Classe vor, die nur wenige und dann fast durchweg nicht einer niedrigen Stufe angehörende Stämme umfaßt. So heißt es osn den Onegon- Jndianern, daß dort die Männer stolz auf die Unart ihrer Kinder wären, weil sic Beweise der Männlichkeit darin erblicken, und daß sie ihnen darum nicht die geringste Erziehung zu Theil werden ließen. Bei den Betschuana läuft der Knabe von 2—6 Jahren frei herum, bei den Wanjamwesi aber lebt, wie die Afrikaforscher Dameron und Reichardt übereinstimmend be richten — der 7 jährige Bengel schon im Clubhaus; er ist gänzlich frei, sobald er von der Mutter entwöhnt ist. Nach dem dritten Lebensjahre ist er nicht mehr kindlich. Auf Tahiti laufen die Kinder schon mit dem 8. Jahre oft fort, die Chewsurenkinder reden schon mit 8—10 Jahren ein Wort in der Gesellschaft mit. Wir begegnen in dieser Gruppe der ungebundensten Freiheit unter den Kindern, einer frühreifen Selbstständigkeit, die uns Kulturmenschen, die wir bis zu 16 Jahren Kinver sind und oft 20—30 Jahre von den Eltern abhängig leben, seltsam be rührt. Bei den Wilden existirt diese lange Dumme-Jungen- und Backfischzeit gar nicht — die Knaben werden dort sofort zum Manne. Die Gcsellschafts- und Wirthschaftsordnung ist so einfach, daß man ohne langjährige Schulung sich gut frei in ihr bewegen kann. Bei den sibirischen Stämmen lernt der Knabe mit 3 Jahren reiten, mit 6 Jahren hütet er große Schaf- bezw. Kameelheerden, mit 10 Jahren heirathet er. Achnlich bei einigen Jndianerstämmen, bei Venen der Zauberer den 7jährigen Jungen zum Mann und Krieger weiht. Gleiche Verhältnisse bieten auch australische Stämme. Diese frühe Un abhängigkeit der Kinder von den Eltern wird zum großen Theil auch nur durch den üppigen Reichthum der Natur, in der sie leben, ermöglicht. Das Erzichungsverfahren der anderen Gruppen, z. B. die Verwöhnung und Verhätschelung der Kinder, die sich, wie oben berichtet, gerade bei den allerniedrigstcn Völkern am stärksten findet, erklärt sich auch meist aus den natürlichen Verhältnissen. Die schon biologisch wahrscheinliche „Affenliebe" der Eltern zu den Kindern ist da eine einfache Naturnothwendigkeit, wo, wie bei den dürftigsten Horden, das Leben der Kinder durchaus von der Pflege der Eltern abhängt. Auch bestehen hier so lvenig Normen, daß es zu deren Erfüllung keiner Zuchtmittel bedarf Scheinbar auffällig, jedenfalls wieder einmal dem Dogma der älteren Ethnographen widersprechend, ist di« Thatsache, daß die Verwöhnung und das Nachgeben gegen Kinderlaunen gerade bei den kriegerischen Stämmen vorkommt. Durch philosophische Abstraction und Association (kriegerisch, mili- tairisch, streng) verleitet, behaupten die Sociologen, daß die kriegerischen Völker ihre Kinder streng erziehen und die friedlichen sanft. Die Wahrheit ist aber auch hier paradoxer als die Theorie. Nur einige Beispiele statt hundert! Die gewiß kriegerischen Indianer verabscheuen jede Züchtigung und ver hätscheln ihre Kinder sehr. Bei den See-Dajaken gilt das Urtheil: „Er ist sehr unartig", als das größte Lob. Gerade die leidensck-aftliche Sucht, tapfere Krieger zu erziehen, führt zur völligen Willfährigkeit gegenüber der jugendlichen Frechheit. Bisweilen spielt allerdings auch die Furcht vor Vergeltung im Alter unter den Gründen der Zurückhaltung der Eltern gegen die Kinder eine Rolle. Daß neben dieser Art zur Heranbildung zum Krieger auch eine andere Praxis, die sich zwar nicht der harten Strafen, sondern der Gewöhnung an Schmerz und Lebensrauhheit bedient, wie z. B. der Beschneidung und Einsperrung^ bei einzelnen Kriegerstämmen im Schwange ist, darf allerdings nicht geleugnet werden. Im Allgemeinen aber findet sich die strengere Zucht erst in den fortgeschritteneren Stammesorganisationen, wo sich wirt schaftliche und gesellschaftliche Normen reicher entwickelt haben und der Ahnencultus gepflegt wird. Hier hat das Kind viel vom Vater zu lernen, es wird also auch die Anwendung von Zuchtmitteln ganz natürlich sein; ja, wenn mit immer weiter schreitender Cultur der Ahnen- und Götterdienst dann selbst ständig von Priestern besorgt wird, die bald ein ganzes, ver wickeltes Moralsystem dem Stamm aufzwingen, dann begegnen wir den Drohungen mit himmlischen Strafen und der cerc- moniellen Ruthenzüchtigung. Bekanntlich ist auch aus den Klosterstuben die Ruthe in unsere Kinderstube gelangt, es wurde der gottgefällige Asketismus in ein praktisches Familienzucht- mittcl umgewandelt. Die beiden Lehrsätze über die Kindererziehung der Natur völker, die behaupten, vie Strenge der Erziehung entspreche immer dem Grade der Rohheit eines Volkes, und kriegerische Völker erziehen ihre Kinder sehr streng, sind durch Steinmetz' Thatsachensammlung und Kritik ins Wanken gebracht; daß sie schließlich auch mit den Erfahrungen der modernen Cultur- gesellschaft nicht übcreinstimmen, darauf sei zum Schlüsse noch hingewiesen. Denn wir haben eine dreifache Behandlung der Kinder auch jetzt in der westeuropäischen Bevölkerung. In der gänzlich ungebildeten Classe werden die Kinder roh vernachlässigt oder ohne Erziehung verwöhnt, in den etwas höhren Kreisen der tüchtigen kleinen Leute dürfte man noch die strengste Dis- ciplin antreffen, bei den Reichen wird unter der üppigen Weich lichkeit und Sicherheit des Lebens die liebevolle Schonung der Kinder wieder Sitte, die höher Gebildeten, die auf Grund moderner pädagogisch - psychologischer Anschauungen ihren Kindern weitesten Spielraum zur Entfaltung ihrer Eigenart lassen, können hier freilich nicht zum Vergleich kommen. Verein für Gemeinwohl zu Leipzig-West. 0. Leipjig-Plngtvitz, 5. November. Mit dem gestrigen Abend hat der Verein seine Thätigkeit im Winterhalbjahr 1898/99 ausgenommen; zugleich hat er in seinem allgemeinen Geschäftsprogramm die bereits im vorigen Jahre beschlossen« Aenderung eingeführt, die Volksunterhaltungsabende nicht mehr ausschließlich Sonntags abzuhalten, sonoern sie möglichst auf einen Wochentag zu verlegen. Diese Aenderung sollte den Be strebungen des Vereins in doppelter Hinsicht nützen, einmal weil die Möglichkeit, über einen großen Saal für die Versammlungen zu billigem Preise zu verfügen, eher gegeben ist, und zweitens, Veil für die Abende auch leichter bessere rednerische Kräfte zu haben sind als an Sonn- und Festtagen. Die Befürchtung, daß durch die Verlegung der Abende auf die Wochentage der Besuch derselben leisen könnte, lag allerdings nahe und wurde vom Vorstand in Erwägung gezogen, indessen glaubte man durch Reichhaltigkeit des Programms, vurch eine vorzügliche Zu sammenstellung desselben, durch die gewählten Vorträge und die Person des Vortragenden diese Gefahr einigermaßen abschwächen zu können. Und was das Programm <des gestrigen Abends anlangt, so enthielt es in der That auch Alles, was man von einem guten Volksunterhaltungsabend mit Fug und Recht ver langen kann. Die Chorgcsänge führte der Gesangverein „E i n t r a ch t"-Kleinzschochrr aus; er hat schon in früheren Jahren seine Kräfte in den Dienst des Vereins gestellt ünd that es gestern wiederum mit einer Reihe von Gesangstücken in hervor ragender Weise. Seine Lieder, „Abendfeier" von Attenhofer, „Der Wald" von Häser, „Sandmännchen" von Zander, „Es steht eine mächtige Linde" von I. Pache, waren durchweg gute Leistungen, brav cinstudirt und unter kunstgeübtcm Dirigenten stab des Herrn Peterheinz stimmungsvoll und rein gesungen. Fräulein Johanna Röthig brachte im ersten Theil des Abends die Arie aus der RegimcntStochter „Es ist geschehen", im zweiten Theilc drei recht hübsche Volkslieder — Brahms' „Von ewiger Liebe", Schumann's „Frühlingsfahrt" und „Die Nachtigall" nebst Zugabe — zu Gehör und wußte sich damit die Ohren und Herzen der Zuhörer trefflich zu verbinden. Herr Max Wünsche zeigte seine Meisterschaft auf dem Violoncell in Servais' „ .Vl<>r<.^uu cks Oonoert" und in drei Sachen von Bach (Air), Klengel (Wiegenlied) und Coßmann (Tarantella) Deklamationen boten die Herren Hans Werner und Re gisseur Proft vom Leipziger Stadttheater, Ersterer solche ernsteren Inhalts, Letzterer in heiterem Genre; Beide wußten den im vorigen Jahre im Verein erworbenen Ruhm durch brillante Leistungen zu vermehren. Den Vortrag ves Abends über „Perlen und Perlmutter" hielt Herr Professor Marshall- Leipzig. Es ist eine nicht ganz leichte Aufgabe, wissenschaftliche Sujets in allgemein verständlicher, volksthüm licher Weise zu behandeln — vr. Marschall versteht dies meister lich und bewies es an diesem Abend von Neuem. Er führte die Hörer in seinem einstündigen Vortrag in die Meeres- und Fluß tiefen, in denen die Taucher in schwieriger Arbeit nach den Perl muscheln suchen, und erklärte ihnen das Wesen der Perlmutter, unter welcher man die inneren Schichten 'der Schalen der Perl muschel rc. versteht, die auf ihrer Innenseite bas der Perlmutter eigene Farbenspicl zeigen. Dies wird nicht durch Pigmente, sondern durch die Struktur der Schalen hervorgebracht und be ruht auf der sogenannten Jnterferenzwirkung. Die Substanz aus welcher die Perlmuscheln bestehen, ist kohlensaurer Kalk mir etwas organischen Stoffen. Die Perlen wiederum werden ir den Muscheln gefunden, sie sind ein krankhaftes Erzeugniß der selben und zwar ein Product der organischen Widerstände dec Muschel gegen fremde Eindringlinge und gleichen in ihrem Bau der Perlmutter. Der Herr Redner ging nach den interessanten naturgeschichtlichen Erklärungen auf das VerbreitungS- bez. Ausfindungsgebiet der Perlmuscheln und Perlen — Persischer Golf, Großer und Indischer Ocean, Küste von Ceylon, Rothes Meer rc. —, auf ihren Werth, auf ihre Ausbeute — in Sachsen wurden Fluß-(Elster-)Perlen in den Jahren 1721—1836 ins gesammt 15 293 im Werthe von 39 147 okk gewonnen — und aus ihre Schätzung unter den Völkern der Erde seit Jahrtausenden vor Christus bis auf die heutige Zeit über und gab im Anschluß daran einige historische Anekdoten aus dem Leben der Perlen (Antonius und Klcopatra, Paul II. von Rußland, König Philipp von Spanien rc.), um mit Rückert's wundervollem Lied« „Ein Engel weint" zu schließen. Das Publicum bezeugte dem Herrn Redner seine Dankbarkeit durch reich gespendeten Beifall. Wenn so der erste Abend des Vereins für Gemeinwohl zu Leipzig-West bei einem recht guten Besuche einen in der That gediegenen Ver lauf hatte, so ist dies neben den trefflichen Leistungen der an ihm Mitwirkenden doch auch nicht zum Mindesten das Verdienst des Leiters desselben, Herrn vr. Klee, welcher in seiner Be grüßungsansprache auf die Idee der Bolksuntrrhaltungsabend: hingewiesen hatte, die, wie der heutige Besuch in Plagwitz be weise, im Volke immer mehr Anklang und freudige Aufnahme finde. Möge dies auch in Zukunft so bleiben! Verein für die Geschichte Leipzigs. —o. Der erste Vortragsabend, welchen der Verein im gegen, wärtigeu Winterhalbjahre veranstaltet hatte, wurde am Mittwoch, 2. November, im Versammlungslokale, Richard-Wagner^aal im „Thüringer Hof", abgehalten. Der Betuch war sehr zahlreich und stt'stittmlt' tmn i killll V0L WllMM Illlll fglMeil 8i «Illi 1 o II dssiuLb moi-gen Montag, lien 7, tlovemlm. klistsv Aeeknsl', HoMöksrLvt.