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02-Abendausgabe Leipziger Tageblatt und Handelszeitung : 25.11.1905
- Titel
- 02-Abendausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1905-11-25
- Sprache
- Deutsch
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id84535308X-19051125028
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id84535308X-1905112502
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-84535308X-1905112502
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
-
Zeitung
Leipziger Tageblatt und Anzeiger
-
Jahr
1905
-
Monat
1905-11
- Tag 1905-11-25
-
Monat
1905-11
-
Jahr
1905
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Vezuq-.Preis t» d« »der bereu «»«gar» M« abgehov: vierteljährlich ^ssL40, bet täglich zweimaliger Zustellung tu» Hau» vierteljährlich » Durch unser, aus wärtigen Ausgabestellen «ad durch di« Post bezogen jür Deutschland uud Oesterreich vierteljährlich 4.50^ sür di« übrige» Länder laut ZettungSpretSliste. Nedaktiou und Expeditiour JohauntSgajj« 8. r«r«ph»» «L 154 Nr. «r. 117» iverltuer Nedaktiou-.vurraur Berltu SV 7, Dorotheensrraß, LS. Del. I. Sde. VS75. vrrsduer Nedaktiou- - Bureau: DvMm»»U.L0m»«itzstie.«^ D«l.I,Nr.LS8L Abend-Ausgabe. WWMr.TaMaü Handelszeitung. Amtsblatt Ses ASuigl. Land- ««- des HSnigl. Amtsgerichtes Leipzig, -es Nates und -es Nolizeiamtes -er Ltadt Leipzig. Lazetgen-Prei» vt« S ges paU«»« Petttzeil« W Vs. gaurüiea^ Vvhmrug-« uud Stelle» Luz^g« M Vt. Finanzielle «a,eigen, «eschäftSanzetgen «ter Dext oder au desooderer Stell, nach Daris. Für da« Erscheinen a» destimmtea Dagen u. Plätze» wird kein« Harantte übernommen. Aozeigen-bttmahme: Lugusku-Pla» «4, ES, Joh-muiSgass«. Di« Expedition ist wochentags unnater- rochen geäsfuet von srüh S bis abend« 7 Uhr. Ftlütt-Exp «Litton: Berlin. LLtzowstr. 10. . . Dresden, Marieustr-S«. Druck uud «erlag vo» «. Pol, tu Leipzig sJuh. De. R. » W. «ltathardtX Herausgeber; Dr. Biktor Kltukhardt. Ztr. 6V1. Sonnabend 28. November 1.908. SS. Jahrgang. Var WHligrlr vom ragr. * In England soll Ende Januar das Parlament auf» erlöst uud zu Neuwahlen geschritten werden. Bis dahin »leibt da- jetzige Kabinet wahrscheinlich im Amte. (S. Ausl.) * Nach Meldung des „Standard* soll sich die Mandschureiarmee in offenem Aufruhr befinden. Angeblich hätten die Soldaten Chardin in Brand gesteckt. * Noch unzuverlässige Londoner Depeschen behaupten, daß ÄLstI im Sterben lrege. politisch« ragerrcha«. Leipzig, 25. November. Die neuen Retchsstcuern. Ohne einer Besprechung der einzelnen neuen ReichSsteuern vorgreifen zu wollen, die zu dem schon durch unsere mehr theoretisch gerichteten Borbesprechungen angebahnt wurde, sei dem Gesamteindruck in Kürze Ausdruck gegeben, den die nun zum Abschluß gelangten Veröffentlichungen der „Nordv. Allg. Ztg.* über den Inhalt der ReichSfinanzresorm Hervor rufen. Ma» kommt dabei über einen starken Ein druck der Enttäuschung nicht hinweg. Denn was hier geboten wird, ist keines Falls eine gründliche Reform, die den Anfang dazu macht, das ganze Steuerwescn des Reichh auf eine neue Basis zn stellen oder diese wenigstens vorzubereiten. Selbst der anerkennenswerte Versuch die Höhe der Matrikularbeiträge neu und fest zu regeln, kann dafür nicht gelten. Das Ganze ist unv bleibt ein Flick- werk, das zu dem den Eindruck hervorruft, eS sei das Resultat von Kompromissen zwischen sich widerstreitenden Anschauungen innerhalb der Bundesstaaten, vielleicht auch der Reichsregierung selbst. Wohl macht mau mit der R e i ch s e r b s ch a ft Sst e n e r einen bescheidenen Anlauf, zu einem direkten Steuersystem zu greifen, aber die Freude darüber wird sofort getrübt durch die neben sächliche Stellung, die man absichtlicher Weise gerade dieser Steuer eiugeräumt hat, woraus man ertcnnen iann, mau sie von seiten der Regierung überhaupt wohl nur mit eingestellt hat, um den Freunden der direkten Steuern das große Bukett der neuen indirekten Steuern etwas annebm- barer zu machen. Daß Tabak und Bier würden bluten sollen, war ja schon seit Monaten bekannt. Die für sie ge wählte Form der Besteuerung läßt zwar hoffen, daß die Be lastung breiter Volksmassen gering ausfallen wird, so weit sie al- direkte Konsumenten getroffen werden. Anders dürfte die Frage liegen, wenn man an die bei ihrer Herstellung und dem Handel mit ihnen in Betracht kommenden Berufsstände denlt. Hier liegt bei der Brausteuer die Gefahr vor, daß das kleine und mittlere Braugewerbe noch weiter geschädigt wird, als eS schon durch den natürlichen Konkurrenzkampf mit der Großindustrie geschieht. Bei der Tabaksteuer liegt dagegen die Gefahr einer empfindlichen Verschiebung der deutschen Tabakindustrie zugunsten SüdveutschlandS unv zum Schaden Nordveutschlands offen zu Tage. Allein das wird alles im Einzelnen nachzuprüfen sein. Üeberblickt man daS ganze Stenerbukett, so ergibt sich folgendes Bild: Tabak- und Biersteuer 100 Millionen Aus daS Reich entfallende der Erbschafts ¬ steuer 48 - Frachturkundenstempel 41 » MehrertrSae aus den Zöllen 25 - Outtt»»grsteu«r 16 - Fahrkartensteuer 12 - Luxus-Automobilsteuer ........ 3V. - Summa 245V. Millionen lleberraschend hoch ist hier der mutmaßliche Betrag aus dem Frachturkundenstempel angesetzt, eine Steuer, die schwer auf dem Handelsverkehr lastet, der Verbilligung der Tarife uotwendig hätte und nun mit einer weiteren Ver teuerung bedacht wiid. lleberraschend niedrig dagegen be rechnet der Reichssckretär die Einnahmen aus den neuen Zöllen. DaS ist eine Stelle, an der man jedenfalls eine Korrektur in der Ausstellung der aus den geplanten Steuern zu erwartenden Einnahmen für leicht möglich halten muß. Auf starken Widerstand wird auch die Quittungssteuer stoßen, dir, wenn sie auch Beträge bis zu 20 nicht treffen soll, neben der finanziellen Belastung mancherlei Chikanen im Gefolge haben wirv. Der heftigste Widerstand aber wird wohl der Fahrkartensteuer entgegcngestellt werden. Sie nimmt sich wie ein Hob» aus gegenüber unserer Zeit, die im „Zeichen des Verkehrs* stehen will und sie be deutet gegenüber der Hoffnung, die man eine zeitlang bei unS in der Richtung einer Reform der Personentarife ge hegt hat, daß diese Hoffnungen wieder einmal illusorisch zu werden drohen. Eine Satire auf daS Wort, daß wir im „Zeichen des Verkehrs* stehen, ist auch die in Aussicht genommene Steuer auf Automobile. Zwar sollen die gewerbsmäßig betriebenen Automobile steuerfrei bleiben, aber indem man alle anderen als „Luxus* bezeichnet, die der Steuer unterworfen werben, offenbart die Regierung auch hier wieder, wie wenig Sinn unv Verständnis sie dafür hat, daß man neue Verkehrsmittel fördern, nickt belasten soll. Bei diesen vielen Ausständen, di« man schon bei einer ganz allgemeinen Betrachtung der neuen Steuern erheben muß, bleibt nur die Hoffnung bestehen, daß eine gründliche Rejormarbeit des Reichstages an diesem Steuerbukett etwas Erträgliches und Befriedigendes schaffen möge. So wie die Steuerprozelte jetzt liegen, wäre auf ihre Annahme im Reichstag nicht zu rechnen. Die Bestrafung des Generalstreiks. Die „Deutsche Arbeitgeber-Zeitung" will den von der Sozialdemokratie gelegentlich angedrohten Generalstreik durch strafgesetzliche Maßregeln von vornherein unmög lich machen. Es soll nämlich bestraft werden, wer es unternimmt, „Arbeitseinstellungen hcrvorzurufen, die in folge ihres Umfanges geeignet sind, das Deutsche Reich in wirtschaftlicher Hinsicht durch Unterbindung seiner Produktion, seines Handels oder seines Verkehrs dem Aus-oude gegenüber za schädiget Das gleiche gilt, wenn die Schädigung nur einen Bundesstaat oder mehrere einzelne Bundesstaaten betrifft." Diese Be stimmung würde gar kein Spezifikum gegen den General streik sein, sondern könnte auch auf jeden großen Einzel streik zur Anwendung gelangen. Denn wenn der große Bergarbeiterstrcik vom letzten Januar oder der Streik in der Berliner Elektrizitäts- und Metallindustrie in diesem Herbst einige Wochen länger gedauert hätten, so wäre das Deutsche Reich zweifellos wirtschaftlich geschädigt worden. Noch klarer tritt diese Möglichkeit der Aus- legung des Gesetzes in die Erscheinung durch den Schluß satz, der von der Schädigung eines einzelnen Bundesstaates spricht. Der Streik der Schauer leute inHamburg vor 9 Jahren hat unzweifelhaft diesen Bundesstaat schwer geschädigt, der neue Para graph hätte also auch auf einen solchen Streik Anwen dung finden können. Selbst aber, wenn es gelänge, einen gegen den Generalstreik gerichteten und nur ihn treffen den Strafgcsetzparagraphcn zu formulieren, so würde die Geschichte der letzten Zeit uns zu Gegnern einer solchen Bestimmung machen. Wo hat der General streik Erfolg gehabt? In dem absolutistischen Rußland, wo es an der Möglichkeit der von der „Deutsch. Arbeitgeber - Zeitung" geforderten „exemplarischen" Strafen sicherlich nicht gebrach. Und wo hat er einen vollständigen Mißerfolg gehabt? In dem konstitu tionell-parlamentarisch regierten Italien, wo man ihn im September vorigen JahreS sich ruhig ent wickeln und — zusammenbrechcn ließ. Der einzige Effekt war damals die unmittelbar auf den Generalstreik zu- rückzuführende Niederlage, die die Sozialdemokratie bei den sechs Wochen später stattgefundenen Parlaments wahlen erlitt. Mit einer solchen Wirkung des General streiks könnte doch Wohl auch die „Deutsche Arbeitgeber- Zeitung" zufrieden sein. Und diese Wirkung würde ein treten, während Strafandrohungen gegen den General streik genau die entgegengesetzte Wirkung haben, d. h., die Reihen der Sozialdemokratie stärken würden. Dieses Urteil gilt auch über eine Resolution, die der K o n s e r - vativeBerein inDreSden unter Führung des Abg. Dr. Kühlmorgen faßte, um den Reichskanzler zur Vorlegung eines entsprechenden Gesetzentwurfes gegen einen etwaigen Massenstreik zu bewegen. Ein Brief Bebels. Irgend ein hervorragender Patriot und Professor der magyarischen Universität Klausenburg hat sich vertrauensvoll mit ver Frage an August Bebel gewendet, ob er eS gut heiße, daß die Sozialdemolraten der ungarischen Nation, die be kanntlich nichts Wichtigere« zu tun hat, als die magyarische BesehlSiprache in der Armee zu fordern, in den Rücken fallen und die Frage des allgemeinen Wahlrecht« aufrollen, statt den „Willen der Nation" gegen den Willen des König« durchsetzen zu helfen. Bebel hat dem Klausenburger Patrioten nun durch sein Antworisckreiben wenig Freude bereitet. Er erwiderte ihm folgendermaßen: Berlin, den 12. November 1905. Sehr geehrter Herri Auf Ihre offen« Anfrage eine offene Antwort: Das ungarische Parlament vertritt nicht dir ungarische Nation, viel weniger die andern in Ungarn lebenden Natio nalitäten, die, wenn nicht zu der ungarischen Nation, doch zu dem seit vielen Jahrhunderten auf ungarischem Boden lebenden Bolte geboren. Das ungarische Parlament ist nicht die Ver tretung der ungarischen Nation, sondern der in Ungarn herr schenden Klaffen, des Adels, des Großgrundbesitze«, der Geistlich keit und der Bourgeoisie. Die große Mehrheit der ungarischen Nation ist außerstande, bei dem reaktionären Wahlsystem und dem bei den Wahlen au-geübtem Druck durch Regierung und herrschende Klassen ihre Vertreter in das ungarische Parlament wählen zu können. Die andern in Ungarn lebenden Nationali- täten find, obgleich sie die Steuervflicht uud die Militärpflicht, mit einem Worte alle ihnen vom ungarischen Staate auferlegten Pflichten, erfüllen muffen, von der Möglichkeit eine Bertrrtung ihrer Interessen im Parlament zu^erlcngrn, ausgeschlossen! Ein Parlament, das auz solcher Basis ruht, hat kein Recht, im Nameu de- Volkes zu sprechen urid zu handeln. Und wenn ein solche« Parlament sich weigert, wie e« daS Ihre getan hat und weiter tun wird, daS allgemeine, gleiche, direkte und geheime Wahlrecht als Grundlage für dir Wahlen für das Parlament anzuerkennen, so verdient e«, daß es weggesegt wird, einerlei mit welchen Mitteln. Seine Rechts stellung beruht auf Usurpation, und Usurpation — und fei sie noch so alt — schafft kein Recht. Ich finde eS also durchaus natürlich, daß meine ungarischen Parteigenossen sich gegen da ungarische Parlament erklären und das allgemeine, gleiche, direkte und geheime Wahlrecht nehmen, von wo sie e- herbekommcn können. Ich stehe auch uicht an, zu erklären, daß ich Wort für Wort das Urteil unterschreibe. daS Ihr Ministerpräsident von Fejervary über die Unfruchtbarkeit und vollkommene Unzulänglichkeit de« bisherigen ungarischen Parlamentarismus gefällt hat. Ich wünschte, daß er sein Programm durchsühren könnte, da- Ungarn erst zu einem modernen Staate machte, waS eS bis heute nicht ist. Herr Leopold Schwartzer, so heißt der urmagyarische Patriot von Klausenburg, rem dies Malheur passiert ist, hat mit seiner neugierigen Frage an Bebel eine schöne Bescherung angerichtet. Die ungarische sozialdemokratische Partei hat nämlich beschlossen, diesen Bries m vielen tauiend Exemplaren im ganzen Land zu verbreiten und dadurch die Agitation gegen die Kossuthisten in die weitesten Kreise der Bevölkerung zu tragen. Die Antwort BebelS aber hat die Koalitions presse ganz aus dem Hänschen gebracht. Der führende „Budapesti Hirlap* meint ganz unverfroren, die nichtmagya- rischen Nationalitäten genössen zehnmal mehr Freiheit als die Polen im deutschen Reiche, wobei das edle Magyarenblatt ganz vergißt, daß in Deutschland die Polen mit allen anderen Bürger» des Reicks längst daS allge meine, gleiche, direkte und geheime Wahlrecht haben, gegen das sich die Magyaren so sehr sträuben, weil eS die Herrschaft der magyarischen Minorität in ihren Grundfesten bedroht. Zum Schluß setzt „Budapests Hirlap* Herrn Bebel den Stuhl vor die Tür und meint: „Herr Bebel mag daheim eine große Autorität sein, aber wir können ihn darum nickt als Richter zur Entscheidung solcher Dinge acceptieren. E) bedarf eine« großen Ausmaße« von Tollkühnheit unv Ge wissenlosigkeit, in Vie Sache einer Nation hineinzureden, ohne sich die Mühe zu nehmen, die politischen Verhältnisse auch nur soweit kennen zu lernen, als sie der oberflächlichste ZeitungSleser kennt.* Es ist belustigend, zu sehen, wie die Herren nun Bebel abschütteln wollen, während sie eS doch waren, die seine Autorität anriesen! Deutsches Keich. Leipzig, LS. November. ?. Etat-Überschreitungen sind in der sächsischen Finanz periode 1902/03 nach dem Rechenschaftsberichte bei folgenden Kapiteln des Etats vorgekommen: Kap. 2S Verzinsung der Staats- und Finanrhauptkassen-Lchulden 1,7S Kap. 27 auf den Staatskassen ruhende JahreSrenten 98,82 >6; Kap. 28 Ablösung der dem Domäneu-Etat nicht angehöriges Lasten 725,02 .4; Kap. 30 Stenographische- Institut 786,27 Kap. 31 Allgemeine Regierung«- und Ver- walrungSangelegenheiten 7,54 ^k; Kap. 34 OrdenS- lanzlei 6458,51 (Der Mehraufwand bei dem letzt genannten Kapitel ist erfolgt durch besonder« zahlreiche Ordensverleihungen im Jahre 1902 au« Anlaß de« Re gierungswechsels unv 1903 bei den großen Kaisermanövern). Die Rechen«chaftSdeputalion beantragt: diese Ueberschreituugeu nachträglich zu genehmigen. Vorsitzender und sür diesen Fall auch Berichterstatter ist der Abg. Goutard-Leipzig. Die Deputation beantragt ferner, bei einer Reihe weiterer Kapitel des Rechenschaftsberichts auf die Fwanzperiode 1902/03 die Rechnungen uicht zu beanstanden. * Die hessischen LandtagSwahleu, die gestern end gültig zum Abschluß gelangten, haben folgendes Resultat gezeitigt: Nationalliberale und Zentrum ziehen in bis heriger Stärke wieder in den Landtag ein, Sozialdemo kratie und Freisinn haben je einen Sitz gewonnen, antise mitische Ba'.ernLündler uud Fraktionsloses« einen Sh verloren. * Ministerialrat Dr. Thiel hat sich jetzt in einem Schreiben an den Präsidenten des Bundes der Saal- und Konzertlokal- inhaber wegen seines ihm verargten Urteils über die Gast wirte zu rechtfertigen gesucht. Er versichert, daß e« ihm fern gelegen bat, den ganzen Stand der Gastwirte zu be leidigen. Er habe nur gesagt, und daran halte er fest, daß sich unter den kleinen Schankwirten viele zweifelhafte Existenzen befänden. Da« sei statistiich längst festgesetzt, das sei von ihm nur angeführt worden als ein weiterer Beweis für seine Behauptung, daß bei uns Distributw-Gewerbe sich quantitativ auf Kosten der Gesundheit übermäßig entwickelt haben und daß eS besser sei, wir hätten weniger, dasür aber gute, lebenskräftige und gesundheit-frische, als viel schwache unv ungesunde. * Die Aletschteucruns. Der neue Oberpräsident der Rheinprovin; Frbr. v. Schorlemer richtete an die Regierungs präsidenten eine Verfügung, worin den Verwaltungsbehörden zur Pflicht gemacht wird, Erwägungen darüber anzustellrn, wie der Fleischteuerung entgegenzutrelen, namentlich die Ver sorgung der ärmeren Bevölkerung mit billigem Fleisch stcher- zustellen sei. Da nach den durch die Landwirtschaftskammer bestätigten Angaben Mangel an schlachtreifem Vieh nicht vorhanden sei (?), müßte man besonder- dahin streben, die Verbindung zwischen Viehzüchter und Konsumenten nicht nur dem Zwischenhandel zu überlassen, sondern einen direkten Bezug des Schlachtviehes von den Produzenten seitens der Metzger anzubahnen. — Bisher sind diese Verhandlungen erfolglos gewesen. * Moralische VerlcumSungSscuche. Mit diesem kräftigen Wort charakterisiert der Stuttgarter „Beobachter* treffend Feuilleton. kein Irsuerreichen trügt ckor Ort, Drauf tockxvunck cku gesunken. blur bunter blüht ckle Lrcke fort. Die einst ckein Zlut getrunken. Wer fühlt mit uns? Stiefmutter bistur, 2u gross für ttsssen unck lüeden, Hat spielenck unsres Samens 8pur Ins rinnencke Wssser geschrieben, wilkelm tzeetr. Adam Mickiewicz. l1855 — 26. November — 1905.) Ern tiefsinniger Spruch der Volksweisheil sagt, daß daS Lied der Nachtigall schluchzender, wehmutsvoller und Herz erareifender klingt, wenn sie als arme Gefangene im engen Käfig schmachtet, als wenn sie es an lauen Frühlingsobenden in dre sinkende Dämmerung hinausslötet. Auch von manchen der größten Dichter der Menschheit gilt ähnliches. Erst wenn sie dem Hcimtztsboden entwurzelt sind, entfaltet sich ihre Be gabung und ihr Können zur höchsten Blüte. Unter den Dich tern des 19. Jahrhunderts haben nicht wenige dieses Los erfahren. Die Weltansstwunng Heinrich HeineS hat ihre bedeutsamste Vertiefung in jener Zeit seines Lebens erfahren, die er unter der schweren Last des Leidens in Paris ver brachte, und in der er aus der „Matratzengruft" heraus den köstlichen „Roman>ero" dichtete. Georg Herwegh schuf seine berühmten „Gedichte eines Lebendigen" im Auslande, und auch bei Gottfried Kinkel regte der dichterische GcninS am lebhaftesten seine Schwinaen erst, nachdem dem durch Karl Schur» aus wunderbare Weise aus der Spandauer FeftunaS- -oft Befreiten di« Schweis em« gastlich« Statt« bereitet batte. Im ureigensten Sinne befruchtend für die dichterische Schaffenskraft ist der Aufenthalt im Auslande aber auch für Polens größten Dichter, für Adam Mickiewicz geworden, dessen Todestag am 26. November dieses Jahres zum 50. Male wiederkehrt. Mickiewicz wurde als Sproß einer armen adelignr Familie am 24. Dezember 1798 in Zaoste bei Nowogrodek lNeuenburgf in Litthauen geboren.*! Seinem Vater, der sich und dte Seinen mit einer mäßigen Advokatenpraxis mühselig durchs Leben brachte, war es nur mit großen Schwierigkeiten mög lich, den Knaben das Gymnasium m Minsk absolvieren jfu lassen. Nachdem Adam schnell und als Vorzugsschüler dte Mittelschule durchlaufen, kam er schon im Alter von 16 Jahren, mit einem Regierungsstipendium ausgestattet, auf die Universität Wilna, wo er zunächst Mathematik und Physik, und in den späteren Semestern Philosophie und Literatur studierte. Seine erste Anstellung fand er rm Jahre 1819 als Lehrer am Gymnasium in Kowno, wo er in Latein und in der polnischen Sprache Unterricht gab. Eine unglückliche Liebe zu Marja Wereszczaka, dann ver ehelichter Gräfin Pultkamer, warf ihn in lebensgefähr licher Krankheit auf das Siechenbett. Der Sturm der Ge fühle seines leidenschaftlich bewegten Herzens drückte ober auch dem kaum dem Grabe Entrissenen die Feder zum dichte rischen Schaffen in die Hand, und es entstanden- damals seine Balladen und Romanzen, sein Epos Grazyna, und das erste seiner anerkannt großen Dichterwerke „Dziady", „Ahnen- ftter, in der er seiner unglücklichen Liebe ein poetisches Denkmal setzte, aber auch schon seinem Schmerzgefühl über das traurige Geschick seiner von den Russen geknechteten Nation ergreifenden Ausdruck verlieh. Das Erscheinen der ..Ahnenseier" bedeutete mehr als einen - ndepunkt, eine förmliche Revolution in der sckön-acistigen Literatur des SlaventumS. Es bedeutete den Sieg der Ro mantik über den von Frankreich hierher verpflanzten starren und öden Klassizismus. Die „Ahnerffeier, deren Stoff übrigens dem Kampfe der Listbaner gegen den Deutschorden entnommen ist, und die deshalb den russischen Machthabern weniger verdächtig erscheinen mußte, war aber auch im *> Nock neueren Forschungen war Mickiewicz von väterlicher Seite ruthenischer, von mütterlicher Seile jüdischer Abstammung. D. «ed. i Sinne jener Zeit eine eminent politische Dichtung. Unter der durchscheinenden Gewandung von Begebenheiten, die der Dichter einer um viele Jahrhunderte zurückliegenden Ver gangenheit entnahm, erkannte jeder national fühlende Pole den deutlichen Hinweis auf die aktuellen Verhältnisse der Gegenwart »on Anno 1822. DaS Werk gewann deshalb im Heimatlande des Dichters schnell die Popularität eines Na- tlvnalepos, das die Samenkeime der polnischen Revolution von 1830 unter den polnischen Patrioten in demselben Sinne ausgestreut hat, wie kaum ein Menschenalter später die Dich tungen von Juliusz Stowacki das Feuer des Ausstandes von 1863 angesacht habem Wenn die administrativen, politischen Behörden auch nicht gleich unmittelbar nach dem Erscheinen der „Ahnenfeier" direkt gegen Mickiewicz vorgingen. so hatte er doch ihr Miß trauen wachgerusen, das zum Abdruck kam, als der Dichter um seine wissenschaftliche Bildung unter Leitung des Ge schichtsforschers Lelewel sdeutsch: von Lölhöffels zum Abschluß zu bringen, im Jahre 1823 noch Wilna »urückkehrte. Als Mitglied der bei der Regierung höchst mißliebigen Studen tenverbindungen der „Philareten und der „Strahlenden" wurde Mickiewicz am 24. Oktober 1824 plötzlich festgenom- men, nach mehrmonotlicher Haft nach Petersburagcbracht und in das innere Rußland verbannt. Jndeß die Maßrege lung wurde mit verhältnismäßiger Milde onsgelührt. Er erhielt die Erlaubnis zu einer Reise nach Odessa und der Krim s1825s, wo ihm die Anregung zu den „Krimschen Sonetten" wurde die in der Uebersetzung von Schwab auch im deutschen Musenalmanach von 1834 Aufnahme sanden. Er verdankte diesen Gedickten auch eine Stelle im Gefolge des Fürsten Galitzin, des Gouverneurs von Moskau, der ihn dorthin mitnaym und ihm später auch die Erlaubnis erwirkte, nach Petersburg gehen zu dürfen. Hier vollendete er sein den völligen Sieg der Romantik besieaelndes Epos „Konrad Wallenrod", in dem er, zum Teil noch auf Byrons Pfa den wandelnd, Einzelheiten von entzückender Schönheit bietet, bei denen der Grundzug immer ein glühender Patriotis mus ist. Während sich die polnische Jugend an diesem Buch« be- rauschte, dessen Handlung wieder in der littbauisch-preußi- scheu Vorzeit spielte, war der Dichter — sehr zu seinem Gluck — ins Ausland gegangen. Hätte er sich noch ein Jahr langer in Rußland ausgehalten, so wär« ihm «WeiselSohn« das Schicksal so vieler anderen Patrioten bereitet worden, die au' den Befehl Paskiewitschs entweder noch Kriegsrechi hingerichtet, oder in die Gefängnisse Sibiriens geschickt wur den. Er bereiste zunächst Deutschland, dessen Dichtern er nächst denjenigen Englands mächtiae Anregung verdank hatte, und wallfahrte bei dieser Gelegenheit auch nach Weimar, wo Goethe ihn am 18. August 1829 zusammen mit seinem Landsmann Odyniec empfing. Auf dem Wege über die Schweiz ging er nach Italien, wo er in Rom seine be- rühmt« „Ode an die Jugend" verfaßte. Die Kunde vom Ausbruch der polnischen Insurrektion wirkte wie Feuerwein auf sein Blut. Er eilte über Dresden nach Paris, wo er in Wort und Schrift für die Sache Polens wirkte, und begab sich sodann nach Posen, um dem Schauplätze der Er eignisse näher zu sein. Als der Ausstand niedergeworfen war und Polen aus km,send Wunden blutend am Boden log. erkannte er, daß sür ihn im weiten Reiche des Zaren kein Platz mehr sei, und ging über Dresden »u dauerndem Aufent halt sim Jahre 1832j nach Paris, und hier erst entfaltete sich, wie hei den oben genannten exilierten Dichtern, und wie bei dem auS seiner Vaterstadt Florenz verbannten Dante, sein Genie zur vollen Blüte. Hier schloß er mit Celina Szvmanowska, einer Tochter der berühmten Pianistin, die Goethe in Karlsbad über seinen tiefen Sckmerz um Ulrike von Levetzow durch ihren bezau bernden Gesang und Spiel hinwegtröstete, eine Ehe, die wenigstens in den ersten Jahren ibm ein nicht allzusehr «c- trübtes Glück gewährt zu haben scheint. Ter Schmerz um das «edemütigte Vaterland und die sehn suchtsvolle, im Schluß doch vergeblich gebliebene Hoffnung, wieder in die Heimat zurückkehren zu dürfen, wirkten aber als die mächtigeren Impulse aus sein Seeleninstrument, dem Mickiewicz die herrlichsten Akkorde entlockte. Mit Hülse der Erinnerungen an seine Kindheit dichtete er das gewaltigste, ländliche Epos der Weltliteratur, seinen „Pan Thaddaens oder der letzte Sajasd in Litthauen". das ibn den Dichter fürsten aller Nationen als ebenbürtig an die Seite stellt. Kurz vorher hatte er schon den dritten Teil seiner „Ahnen feier" vollendet, und in den „Büchern deS polnischen Volkes und der polnischen Pilgerschaft" ,n der Schrechwesse der Bibel die Bestimmung Polen« in Vergangenheit und Zukunft behandelt. Den Zenit seines Schaffens bedeutete aber der „Pan Thaddoeu» «d di« „Od« an die Jugend", Di« H-ffch-
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