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02-Abendausgabe Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 26.09.1898
- Titel
- 02-Abendausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1898-09-26
- Sprache
- Deutsch
- Vorlage
- SLUB Dresden
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-18980926024
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id453042023-1898092602
- OAI
- oai:de:slub-dresden:db:id-453042023-1898092602
- Sammlungen
- Saxonica
- Zeitungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
-
Zeitung
Leipziger Tageblatt und Anzeiger
-
Jahr
1898
-
Monat
1898-09
- Tag 1898-09-26
-
Monat
1898-09
-
Jahr
1898
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Di* Morgen-Au-gabe erschrtut am '/,7 Uhr, di* Abrud-Nutgalx Wochintag» um L Uhr. Nedaciion und LrpeLitio»: IahanneSsaffe 8. Die Expedition ist Wochentag- ununterbrochen grössnet von früh 8 bi- Abends 7 Uhr. Filialen: Otto Alcmm'S Sortim. (Alfred Hahn), Univerjitatsstraß* 3 (Paulinuin), Loui» Lösche, Katharine»str. 14, pari, und AöuiL-platz 7. Bezugs-PreiS I» tz« Hanptexpeditto» oh« d« st» Ptadt- btttU und drn Vororten errichteten Lu-- aavrstrllen abgeholt: viertrljährtich -.SO. v«t zwrimaltaer täglicher Zustr llung in- Hans -«K.ÜO. Durch die Post brzoaen für Teutschland und Oesterreich: vierteliährlich S>—. Direkte täglich* Krruzbandirndung ins Ausland: monatlich ^l ISO. Abend-Ausgabe. MMcr TaMaN Anzeiger. Ämtsklatt des Lönigticherr Land- nnd ÄtttLsgerichtes Leipzig, des Rathes und Noüzei-ÄNtles der Ltadl Leipzig. ^89. Montag den 26. September 1898. Arrzeigerr'PreiS die 6 gespaltene Petitzeile SO Psg. Reklamen untn dem Redaction-strtch (4as» spalten) bO^I, vor den FamiliinnachrtchNn (6 gespalten) 40^. Größere Schriften laut uns«rem Preis- verzrichniß. Tabellarischer und Ztssernsatz »ach höherem Tarts. Ertra-Vetlaßen (gefalzt), nur mit der Morgen-Ausgabe, ohn, Postbeförderunr 60.—, mit Postbrsörderung 70.—. Annahmeschluß fLr Anzeigen: Abend-Ausgab«: Vormittag- 10 Uhr. Mvrg«»-Ausgabe: Nachmittag- - Uhr. vei den Filialen und Annahmestelle» je «t»e halbe Stund« früher. Anzeigen sind stet» an die Expedition zu richten. , »2—^ - Druck und Verlag von E. Polz in Leipzig, 92. Jahrgang. Politische Tagesschau. * Leipzig, 26. September. Da- herbe Urtheil, da- über die Veröffentlichungen Moritz Busch'- fast überall in Deutschland laut geworden ist, scheint einen Max diese- Moritz auf die Idee gebracht zu haben, seinen Genossen durch die Ausstreuung zu vertheidigen, für den literarischen Nachlass des Fürsten Bismarck sei keine Stätte zn finden, an der eine streng unparteiische Ver- werthung diese- unschätzbaren historischen Materials ge sichert erscheine, und es sei daher nicht nur ein besonderes Verdienst Busch's, sondern auch seine Pflicht, das von ihm gesammelte Material an die Oeffentlichkeit zu bringen. Keinep anderen Zweck kann unseres Erachtens eine Ausstreuung haben, zu deren Verbreitung sich die „Kölnische Zeitung" und die „Wiener Neue Freie Presse" hergegeben haben. In der ersteren lesen wir: „Wie sächsische Blätter wissen wollen, wäre Bis- marck'S literarischer Nachlaß, einschließlich der frag- mentarischen Mein oiren, der Universität Leipzig an geboten worden, die aber die Annahme abgelehnt habe. Eine Bestätigung dieser Behauptung bleibt abzuwarten." Und das Wiener Blatt veröffentlicht folgendes Tele gramm : Leipzig, 24. September. Die Familie Bismarck bot der Universität Leipzig ö7 Kisten von Handacten und Briefen an. Frau von Arnim und vr. Thrysander begründeten in wiederholten Schreiben diesen Entschluß damit, daß BiSmarck'S Mutter der Familie eines Leipziger Gelehrten entstammte. Horst Kohl war bereits zum Curator für die Bismarck sammlung auscrsehen. Plötzlich verweigerte die säch sische Regierung die Annahme, was in hiesigen Gc- lehrtenkreisen lebhaft bedauert wird. Das angebotene Material ist allerdings völlig chaotisch. Eingeweihte er- zählen, es befinde sich darunter eia sechzig Druckbogen um fassendes Manuskript Lothar Bucher's. Man befürwortet die schleunigste Sammlung der Briese, damit die Originale nicht vom Auslande angekauft werden. Die „Köln. Ztg." wird sich hoffentlich verpflichtet fühlen, sich von ihrem Gewährsmanne die sächsischen Blätter bezeichnen zu lassen, die jene Nachricht verbreitet haben sollen; man kommt dadurch vielleicht auch auf die Spur des Max, der die Mär erfunden hat, die Leipziger Universität habe die Annahme deS literarischen Nachlasses BiSmarck'S abgelehnt. Denn eine frei erfundene Mär ist eS. Wie wir sogleich beim Lesen der Meldung anaahmen und wie uns auf Erkundigung bestätigt wird, ist an der Stelle, die von einem solchen Angebote unter allen Umstanden etwas wissen müßte,nicht das Geringste davon bekannt. Nicht einmal eine Andeutung irgend welcher Art, unserer Universität den literarischen Nachlaß deS Fürsten übergeben zu wollen, ist von irgend einem Mitglied« der Familie de- Altreichs kanzler- dem berufenen Vertreter der Universität gemacht worden. Es kann mithin auch keine Ablehnung erfolgt sein. Schon hieraus rrgiebt sich, waS von dem Leipziger Telegramm der „N. Fr. Pr." zu halten ist. Wenn ihr Verfasser der sächsischen Regierung die Ablehnung zuschiebt, für die er in der „Kölnischen Zeitung" unsere Universität ver antwortlich macht, so hat er jedenfalls noch einen be sonderen politischen Zweck im Auge, dessen Erreichung ihm hoffentlich recht bald durch eine amtliche Erklärung au- Dresden vereitelt wird. Aus dem Hinweise auf den „völlig chaotischen" Zustand des Materials und aus der indirecten Verdächtigung der Familie des Fürsten, eventuell den historischen Schatz an daS Ausland verschachern zu wollen, geht übrigens der geschäftliche und moralische Charakter deS Telegramm-Verfertigers so klar hervor, daß die „Neue Freie Presse" sich nicht scheuen sollte, den Verüber des Streiches öffentlich an den Pranger zu stellen. Das socialdemokratische Centralorgan zeigt sich durch die Möglichkeit eines internationale» Börnchen- gegen den Anarchismus peinlich berührt; seine Entrüstung über daS Genfer Attentat wird hierdurch aufs Neue in ihrer Nichtig keit bloßgestellt. Von anarchistischer Seite wird der Ruf nach Maßnahmen gegen den Anarchismus mit einer Drohung beantwortet. Das „Neue Leben" schreibt: „Löhnenden, unverzagten Muthes rufen wir den Herrschenden und Besitzenden zu: Kommt nur heran, wenn Euch gelüstet, ein Ertratänzlein mit uns zu wagen, und streicht die Fidel wacker, uns ist das rasendste Tempo schon gerade recht. Aber sehet zu, daß Eure altersmorschen Glieder nicht erlahmen, bevor das Stück lein zu Ende ist, es sei denn, Ihr wünscht, daß auch wir ein mal den Fidelbogen zur Hand nehmen und Euch unsere Weisen lehren." Was die Anarchisten unter Fidelbogen verstehen, weiß man von den Luccheni und Caserio. Um so befremdlicher ist es, daß von Berlin auS in dem häufig von officiöser Seite bedienten „Hamb. Corr." versichert wird, weder von italienischer, noch von anderer Seite sei bisher die Berufung einer inter nationalen Conferenz zur Verständigung über Maßregeln gegen den Anarchismus in Anregung gebracht worden; was bisher in dieser Hinsicht geschehen sei, dürste sich auf Vor stellungen bei dem Schweizer Bundesratbe gegen die Duldung anarchistischer Umtriebe beschränken. Die aus Bern in dieser Hinsicht gemeldeten Beschlüsse seien wohl zum Tbeil durch Vorstellungen der Mächte veranlaßt worden. Viel leicht ist indessen dieses Dementi des Berliner Ge währsmannes deS „Hamb. Corr." lediglich darauf zurück zuführen, daß der „Kreuzztg." aus Rom über den von der italienischen Regierung gemachten Vorschlag berichtet wird, eS werde sich auf der bereits gesicherten und binnen Kurzem zu sammentretenden Conferenz schwerlich um solche Verein barungen bandeln, deren Abschluß durch die Verschiedenheit der Gesetzgebungen der einzelnen Staaten auf Schwierigkeiten stoßen könnte, sondern hauptsächlich darum, daß von allen Seiten und in übereinstimmender Weise polizeilich vorgegangen und daS Zusammenwirken der Polizeiorgane der ver schiedenen Staaten geregelt und ausgestaltet werde. „Die Auslieferungsfragen" — so heißt eS in dem römischen Berichte der „Kreuzztg." weiter — „dürften hierbei kaum in Betracht kommen, da eS sich nicht darum handelt, sicher zu stellen, daß etwaigen Auslieferungsforderungen Folge ge geben werde, sondern darum, daß sich jeder Staat, auch obne daß an ihn eine solche Forderung gestellt werde, von den sich auf seinem Gebiete aufhaltenden ausländischen Anarchisten dadurch, daß er sie über die Grenze schafft, befreie und sein eigenes Gebiet von dem anarchistischen Verbrecherthum säubere. Wird einmal in dieser Richtung ein Uebereinkommen, be- I treffend ein übereinstimmendes Vorgeben der Polizei, ge- I sichert sein, so wird sich hieraus von selbst ergeben, daß die I in das Ausland gegangenen Anarchisten nirgends werden I verbleiben können. Kehren sie auf das Gebiet jener Staaten zurück, denen sie angehören, so wird es den dortigen Behörden möglich sein, sich ihrer in solcher Weise zu bemächtigen, um sie gründlich unschädlich machen zu können." — Wenn wirklich auf der Conferenz nichts Anderes erreicht werden sollte, als ein übereinstimmendes Vorgeben der Polizeiorgane in den einzelnen Staaten, so wäre daS allerdings nicht viel und könnte wohl auch ohne Conferenz erreicht werden. Aber es wäre immerhin etwas, und wenn die aus Bern gemeldeten Beschlüsse die Folge der von der italienischen Regierung auS- gegangenen Anregung sein sollten, so wäre ein wesentlicher Schritt zur Einigung bereits geschehen. Bis jetzt wurden die Nachrichten von einem möglichen Besuch des deutsche» Kaisers i» Athen gelegentlich der Rückreise von Palästina von den griechischen Blättern einfach wiedergegeben. Nunmehr bringt aber das sonst vernünftige und ruhige „Asty" einen wahren Schänd- und Brandartikel unter der Ueberschrift „Kaiser Wilhelm in Athen". Er geht davon aus, daß die wiederholten Nachrichten von einer Hierherkunft des Kaisers Wohl nichts Anderes seien, als eine Sondirung der Stimmung, mit der man einen solchen Besuch hier auf nehmen könne. Nachdem dann noch einmal schnell alles Böse aufgezählt ist, das der Kaiser dem Hellenismus zugefügt habe, fährt der Schreiber fort: „Wenn aber der Kaiser beschließen sollte, hierher zukommen, nm sich mit eigenen Augen zu überzeugen, welche Erfolge fein wüthender Angriff gegen Griechenland gehabt hat, so werden solche Anforderungen die Geduld des griechischen Volkes erschöpfen. Für gebildete und verständige Griechen wird der kaiserliche Besuch sicher kein Anlaß zur Kundgebung deutschfeindlicher Gefühle sein, sie werden im Ver- ständniß der Pflichten, welche die Gastfreundschaft erfordert, den Kaiser einfach kalt, aber mit Auszeichnung empfangen. Es giebt aber auch ein heißköpfiges Volk, das sich nicht leicht den An forderungen der Höflichkeit unterordnet, ein Volk, das sein Blut kochen fühlt, rin Volk, das die von deutschen Osficieren aus deutschen Kanonen (man höre und staune I L. Red.) entsandten Geschosse um feine Ohren hat savsen hören und sein Fleisch zerfetzen sehen. Wird wohl dieses Volk sich halten lassen? Wird es nicht zu feindlichen Kundgebungen schreiten, die des Kaisers antihellenische Gefühle zwar uicht ändern, aber das Land schweren Gefahren aussetzen werden? u. s. w." Das „Asty" braucht sich durchaus nicht aufzuregen, Kaiser Wilhelm kommt nicht nach Athen. Auf die Ehre, politische und finanzielle Bankerotteurs zu besuchen, hat er von vornherein verzichtet und die gegentheiligen Nachrichten sind in bestimmter Weise dementirt worden. Dem „Asty" bat sicher auch nur die Gewißheit des Fernbleibens unseres Kaisers von Athen den Muth des Gassenjungen eingeflößt, der dem anständigen Manne, welcher ihm den Rücken ge wandt hat, nachspuckt. Wäre der Besuch des Kaisers that- sächlich «»gekündigt, „Astv" würde zweifellos seinen Hetzartikel nicht geschrieben, sondern sich dessen erinnert haben, daß nicht die unteren Bcvölkerungsschichten von Athen von Haß gegen Deutschland erfüllt sind. Sie haben die furchtbaren Folgen des wahnsinnigen Krieges, vor dem Deutschland genugsam gewarnt hat, am eigenen Leibe verspürt und sehnen sich gewiß nicht nach einer zweiten Auslage. Die Deutschfeind lichkeit beherrscht ganz andere Kreise, und zwar lediglich darum, weil Deutschland eS war, das mit Entschiedenheit darauf gedrungen hat, daß Griechenland seine Staatsgläubiger endlich einmal befriedige und nicht andere Leute die Kosten seiner Mißwirtschaft tragen lasse. Die Revisionscommission hat (wie gemeldet) mit drei gegen drei Stimmen eine ablehnende Entscheidung getroffen. DaS ist die neueste Wendung im Trehfnshandel. Sie bedeutet neben der Verhaftung des Obersten Picquart wegen FäschungsverdachtS einen weiteren Erfolg der Militairpartei. Stimmengleichheit hindert ja nun allerdings den Justizminister nicht, die Revision doch anzuordnen, aber es ist leicht verständlich, daß Sarrien in einer Sache von so weittragender Bedeutung nur solidarisch mit dem Gesammtcabinet vorgehen will. Dasselbe wird heute in einem Cabinetsrath unter dem Vorsitze Brisson's Beschluß fassen und morgen wird ein Ministerrath unter Faure stattsinden. Brisson ist entschlossen, die Discussion über die Revision heute abzuschließen, so daß der Ministerrath morgen nur noch in der Lage ist, von dem Ergebniß der Berathung Kenntniß zu nehmen, aber nicht eine neue Debatte zu beginnen. DaS Resultat der heutigen Sitzung wird deshalb erst am Dienstag publicirt werden. In den mit Brisson befreundeten Kreisen bofft man noch, daß die Majorität des Ministeriums für die Revision nicht ins Schwanken gerathe, doch sind die fernerstehenden Radi- calen sehr pessimistisch gestimmt und halten eine Regierungs krisis und die Einmischung der Kammer für wahrscheinlicher, als die sofortige Möglichkeit einer Revision des DreysuS- ProcesseS. Uebrigens liegt, wie der „Frkf. Ztg." auS Paris gemeldet wird, der Meinungsdifferenz der RevisionScom- mission nach einer zuverlässigen Information folgender Sach verhalt zu Grunde: Der Commission lag nur der zweite Brief der Frau Dreyfus zur Beurtheilung vor. Die Com mission war deshalb nur in der Lage, zu erwägen, ob das Geständniß Henry's eine neue Thatsache darstelle, die Unschuld Dreyfus' zu begründen und damit die Revision zu recht fertigen. Die drei Mitglieder der Commission verneinten dieseFrage, während die drei anderen sie bejahten. Dagegen waren sämmtliche sechs Mitglieder nach Kenntnißnahme der Gerichts acten des ProcesseS DreyfuS der Ansicht, daß eine Illegalität vorliege,diedieAnnullirung deSUrtheilSbegründe. Da diese Frage nicht gestellt war, konnte die Commission kein förm liches Gutachten abgeben, doch ließ sie den Justizminister nicht obne Kenntniß ihrer Ansicht. Kommt eS also nicht zur Revision, so scheint doch die Annullirung deS UrtheilS und die Freilassung Dcyfus' gewiß. Eine neue Verhandlung und die Preisgabe der „furchtbaren" Geheimnisse deS DreyfuS- processeS bliebe der Republik somit erspart, andererseits aber würde der Excapitain restitutio iu integrum verlangen können und sicher auch verlangen. Dann aber sähe sich die Armee gezwungen, eineu Landesverräther wieder in ihre Reihe aufzunehmen, denn für die Unschuld DreysuS wäre durch die Annullirung nichts entschieden und in den Augen des Generalstabes gilt er ja nach wie vor als entlarvter Spion. Ob die im heutigen Morgenblatt mitHetheilten Ent hüllungen Esterhazy'S, die er seinem Quartier geber in London gemacht haben soll und nach denen er das Bordereau, als dessen Urheber Dreyfus bisher verdächtigt wurde, selbst auf Befehl seines Vorgesetzten Oberst Sandherr mit Kenntniß Henry's geschrieben hätte, nm ein Beweisstück gegen DreysuS, von dessen Schuld man überzeugt war, zu schaffen^ ob diese Enthüllungen von Einfluß auf die heutige Entscheidung deS MinisterratheS sein werden, steht noch dahin. Es wird davon abhängen, ob sie authentisch und der Wahrheit entsprechend sind oder nicht. Im französischen Ministerium wird man ja wohl Bescheid darüber wissen. Feuilleton. Henny Hurrah! 22) Roman von Ernst Elausen. er«edr»ck «<rr»ten. Hemskott hatte sich da- Zusammenleben mit seinem Freunde Axel Sternfeld sehr schön au-gemalt. Er war noch in Ober italien gewesen und traf zu gleicher Zeit mit ihm in München «in. — Sie suchten sich eine Wohnung; zwei Schlafzimmer, ein Wohnzimmer und «inen Atelierraum. „So, nun kann's loS gehen, Axel! Ich möchte einmal wieder unter Leuten leben, die arbeiten, daS Leben von der Sonnenseite nehmen und weder literarische Neigungen haben, noch Mitglieder literarischer Vereine sind. — Man wird davon schließlich hyp- notisirt und glaubt, die ganze Welt drehe sich nur noch um Romanschriftsteller, Bühnendichter und hysterische Weiber." Hemskott packte gerade seinen Koffer au- und hielt Axel rin Paar grünlederne Schnürschuhe hin. „Da- Neueste, Axel! Unten Laubfrosch, oben fiu ä« »iöcle, genannt domo »apiou», oder das gemeine Sumpf thier mit psychologischen Räthseln unter der Gehirnrinde!" Axel lachte und besah sich Ella Seefried'S Bild, da- schon auf dem Schreibtisch stand. „So, damit wären wir fertig", fuhr Horst fort und klappte den Koffer zu. „Ich will bei Dir gleichsam inkognito leben, — klingt sehr vornehm — und wieder etwa» schaffen, wovor ich selbst Respect habe! — Das lasse ich auf meine Kosten drucken und verschenke e» an Leute, die es zu würdigen wissen, vorausgesetzt, daß sie damit einverstanden find. Ich möchte einmal eine Novelle schreiben, worin dir Weiber nicht schön »nd kein« Genie», sondern nur sehr anständig, zartfühlend und gescheidt find, worin keine Parfum» und keine neuen Weltanschauungen die Luft au»füll«n. Und vor allen Dingen möchte ich einen wirklich thatkritftigen, ge- fanden Mann zu schildern versuchen, anstatt der Jammerlappen, die in unserer Literatur umherwimmelm und winseln!" Da» waren sehr lobenswerthe Vorsätze, aber — bereit» nach einer Woche schalt Hem»kott auf das Bett, auf den Lärm im Hause, hockte den ganzen Lag in Axell» Atelier, rauchte eine gut« Cigarre nach der anderen, und klagte darüber, nicht in Stimmung zum Schaffen kommen zu können. Nach vierzehn Tagen stöhnte er, daß ihm da» Kneipenessen, da» Couvert zu einer Mark, schlecht bekäme und daß er mit den alten und neuen Bekannten im Pschorr nichts Vernünftiges zu sprechen fände! Am End« der dritten Woche zog er in eine elegant möblirte Etage auf der Königinstraße. Axel lachte ihn aus: „Du bist für ein solches Leben verdorben, Horst! Man soll sich nichts vorkügen. Wir, mit denen Du zusammen zu leben versuchst, wollen vorwärts! Du aber hast ein gewisses Ziel er reicht und mußt Dich auf dieser erreichten Höhe halten; Du bist ein Anderer geworden und ich auch; gute Freunde bleiben wir trotzdem!" „Weiß der Teufel", brummte Hemskott, „ich hatte mir das Alles so schön gedacht, aber es geht nicht, absolut nicht!" Er lag auf einem bequemen Ruhebett und dehnte behaglich die Arme: „Ich brauche Leben, Menschen! Menschen!" „Ja", lachte Axel, „aber nur von einer Sorte und diese Sorte paßt nicht zu mir." „Geschmackssache!" seufzt« sein Freund. „Willst Du einen Cognac trinken?" > > > > ! „Nein; danke! UebrigenS bin ich sehr froh, Deine Casse nicht länger in Anspruch nehmen zu brauchen." „Wieso? Hast Du einen Anfall von krankhaftem Stolz? Mensch, Du brauchst ja im Monat nicht so viel, wie ich ost an einem Abend!" „Nein, nicht deshalb! Mein« Schwester hat sich verlobt, sie geht mit einer Cousine nach Italien und wird im Frühling heirathen; die Sorge um sie bin ich los, und sie ist ja glücklich!" „So? Na, das freut mich!" HemSkott schaute den blauen Wolken seiner Cigarre nach und fragte dann gleichgiltig: „Wie heißt denn Dein Schwager?" „König!" „Officier oder Beamter?" „Kunstschlosser!" Horst Hemskott richtete den Oberkörper auf und sah mit den hübschen, lebhaften Augen seinen Freund ganz verblüfft an. „Mache keine schlechten Witze, mein Junge! Eine Majors tochter einen Kunstschlosser?" Axel lachte kurz auf: „Ja. Zu der Sorte von Menschen paffen wir vielleicht besser, als zu den Kreisen, in denen Du Dich anregen läßt." „Gieb Dir kein« Mühe, Du ärgerst mich doch nicht!" „Uebrigens ist mein Schwager rin famoser Mann, mehr Künstler al» Handwerker, wenn er sich auch nicht besinnt, hier und da in der Schmiede mit zuzufassen. Du konntest Dir ein Beispiel daran nehmen. Wenn Du Vormittags die Tischlerei betriebest und Nachmittags literarisch arbeiten wolltest, würdest Du viel.vernüuLliger» Menschen aus die Deine bringen." „Vielleicht, Axel! Es wird auch schon modern! Der alte Tolstoi hat es in Mode gebracht. Ihr seid verständige Leute, Axel, und Du hast recht! Da habe ich in Berlin ein Dutzend Häuser, in denen man sehr gut soupirt und dinirt; die Männer in diesen Kreisen sind mehr oder weniger Lebenskünstler; sie haben den feinsten Geschmack in den Zungennerven und die Weiber halten hübsch die Mitte zwischen überflüssigen, nervösen Luxusartikeln und einem netten Käfer mit leicht hysterischer An lage, und ich komme gut mit ihnen aus. Aber das weiß ich cmch" — er legte die Hände unter den Kopf und ein müder, sarkastischer Ausdruck lag in seinen Zügen — „wenn man mit unseren Knochen nach den Apfelbäumen wirft, giebt es immer noch Sternfelds und Königs, ordentliche, zuverlässige Leute, die keinen Champagner trinken, aber die Welt in Ordnung halten und vor denen sich di« Franzosen in Acht nehmen mögen! Die Decadence wächst bei uns in isolirten Reinkulturen und nicht im eigentlichen Volke." „Ja", meinte Axel; „und dieser Schlag Menschen mit diel Pflichtgefühl und wenig Theorien, mit viel Menschenverstand und gesunden Nerven, mit wenig Geld und geringen Bedürf nissen bildet doch schließlich das solide Skelett des deutschen Dolkskörpers!" „Ja, mag sein! Aber ein wenig langweilig sind sie", spottete Hemskott. „Da ist übrigens Nachricht aus Berlin; ich hatte noch einmal an die Firma geschrieben; man hat Dein« Entwürfe für elektrische Kron- und Wandleuchter angenommen." „Ich danke Dir, Horst! Das bringt Geld «in und ich habe jetzt im Wenter genügend Zeit, de» Abends an solchen Dingen zu arbeiten." Axel war freudig erregt; er wollte durch, und er schien Glück zu haben. Hemskott wollte ihn überreden, Abends mit zur Redoute zu gehen. „Mir macht der Rummel keinen Spaß mehr!" war seine Er widerung. „Wie Du willst! E» giebt verdammt nette Weiber hier in München!" Wie war das Alles jetzt Axel gleichgiltig! Aber mit Henny einmal einen solchen Ball besuchen, oh ja, da» müßte Spaß machen. Der Carneval war zu Ende und HemSkott, der ihn noch einmal hatte genießen wollen, reiste nach Berlin. „Weiß der Himmel", sagte er zu Axel auf dem Bahnhofe, „es läßt Einen nicht wieder los, dies Spreeathen! Wie ein riesiger Polyp zieht es Alles in seine Mauern, was nicht an die Scholle gebunden ist. Man sehnt sich nach Berliner Witzen, Geschmacklosigkeiten und Pöbeleien; man braucht>daS zitternde, rasche, in ungeheuren Widersprüchen balancirende geistige Leben. In München ist zu viel Ruhe! Man duselt so langsam ein und verlernt das Arbeiten. Nur immer gemüthlich, sich ja nicht gegen etwas auflehnen oder raisonniren, es sei denn gegen die Nord deutschen." In gewisser Weise mußte Axel ihm Recht geben. „Hast Du je wieder etwas von Ella Seefried gehört?" fragte er dann, mit dem Freunde am Zug hinaufgehend. „Nein! Das ist aus! Diese Ella gehört auch zu der Sorte der Sternfelds, Tressings und Königs! Sie will durchaus vor sich selbst Respect behalten. — Ich hoffe, der alte Seefried hat nicht alles Geld verloren; es sollte mir um ihretwillen leid thun!" Er stieg ein und reichte aus dem Fenster dem Freunde die Hand. „Laß es Dir gut gehen, alter Junge! Diel habe ich nicht von Dir gehabt; Dir scheint die ganze Welt mit Ausnahme Deiner Kunst ziemlich schnuppe zu sein! Thu' mir den Gefallen «und arbeite nicht so unsinnig, Du hältst es nicht aus!" „Sei unbesorgt! Meine Nerven sind gut; ich habe viel nach- zuholen. Laß es Dir gut gehen!" Zuweilen bekam Axel Briefe von Hedwig, auch hier und da einige Zeilen von Henny. Seine Antworten wurden meistens auf einer Postkarte erledigt. In einem Briefe schrieb Henny: „Hedwig blüht ordentlich auf, und ich freue mich schon auf König's Gesicht, wenn wir zurückkommen. Ich wette, daß da später eine Reihe kleiner Könige sein wird und daß daraus ein mal eine tüchtige Generation erwächst. Ich bin konservativ und habe Vertrauen zu Königen! Eine feinsinnige, feinfühlige Mutter und ein Vater, der Herz und Hand auf dem rechten Fleck hat! Ich, al» Wittwe, kann mir doch einmal solche kleinen Witze erlauben, Axel? Mit Hedwig muß ich mich in dieser Beziehung in Acht nehmen." Er lachte laut beim Lesen dieser Zeilen. Ueber ihre Gesund heit schrieb Henny nie etwas; also würde wohl Alle» in Ordnung sein. Das Atelierfenster stand weit offen, so daß der Himmel mit reinstem Frühlingsblau hereinleuchten konnte. — Axel Stern feld stand vor der Staffelei und nahm einige Verbesserungen an einem Act vor, den er kürzlich vollendet hatte. Das Atelier war sehr einfach, eine Art von Bodenraum mit einer schrägen Wand, keine Teppiche, keine'Decorationen, getünchte Wände, viel Staub, kurz, Alles trug den Stempel der Arbeit, scharfer, unermüdlicher, mit jeder Minute Tageslicht kargender Arbeit. — De» Malers Gesicht war schmaler geworden. Die Knochen über den tief liegenden Augen traten schärfer hervor, ohne die arbeitsvolle Be- gristerung, die darin leuchtet«, beschatten zu können. -
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