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01-Frühausgabe Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 20.09.1898
- Titel
- 01-Frühausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1898-09-20
- Sprache
- Deutsch
- Vorlage
- SLUB Dresden
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-18980920012
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id453042023-1898092001
- OAI
- oai:de:slub-dresden:db:id-453042023-1898092001
- Sammlungen
- Saxonica
- Zeitungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
-
Zeitung
Leipziger Tageblatt und Anzeiger
-
Jahr
1898
-
Monat
1898-09
- Tag 1898-09-20
-
Monat
1898-09
-
Jahr
1898
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^77 Ri» Vkorgen-VluSgab« erscheint um '/,7 Uhr. die Abend-Au-gab» Wochentag« um b Uhr. Re-actio» nnL Lrpeditioa: Johannes,«sie 8. Die Expedition ist Wochentag« ununterbrochen geöffnet von früh 8 bi« Abend» 7 Uhr. Filialen: ktto Klemm'» Eortim. (Alfred Hahn), UniversitätSslraße 3 (Paulinus), LoniS Lösche. Katharine-,istr. 14, pari, und k!önig«platz 7. Bezugs-Pre^ k der Hauptexpedition oder den im Stadt bezirk und den Vororten errichteten Bus» aabestellen abgeholt: vierteljährlich bei zweimaliger täglicher Zustellung in« Haus L.bO. Durch die Post bezogen für Deutschland und Oesterreich: vierteljährlich «ck 6.—. Direkte tägliche Kreuzbandiendung ins Ausland: monatlich 7.S0. Morgen-Ausgabe. UciMgcrTagt-lall Anzeiger. Ämlsblatt -es königlichen Land- nn- Amtsgerichtes Leipzig, -es RatHes «n- Nolizei-Ämtes -er Ltadt Leipzig. Dienstag den 20. September 1898. AuzeigeuPreiS die Kgespaltme Petttzeile SO Pfg. Reklamen unter dem Rrdaction«strich (4 g» spalten) üO>4, vor d«n Famtli»nuachrtchte» (6 gespalten) 40^. Größere Schriften laut unserem Preis« ve^eichuiß. Tabellarischer und Zifferasatz nach höherem Tarif. Extra-Beilagen (gesalzt), nur mit der Morgen «Ausgabe, ohne Postbeförderung 60.—, mit Postbesördorung ^4 70.—. Avnahmeschluß f«r Anzeigen: Abrnd«Au«gabr: Bormittag« 10 Uhr. Margen-Ausgab«: Nachmittag« 4 Uhr. Bei den Filialen und Annahmestellen j« ein« halbe Stunde früher. Anzeigen sind stets an d!« Gr-editia» zu richten. Druck und Verlag von E. Pol- in Leipzig. 92. Jahrgang. Lonne» in Zukunft Grundstücke noch „verpfändet" werden? I>. Man wird sich nach dem Inkrafttreten des neuen bürger lichen Gesetzbuches an zahlreiche neue Rechtsbegriffe gewöhnen muffen. Dasselbe bricht mit rechtlichen Anschauungen, welche tief im Volke eingewurzelt sind, und bei näherer Prüfung muß man sogar bedauerlicherweise die Wahrnehmung machen, daß zu diesem Bruch irgendwelche Veranlassung gar nicht vorhanden war. Unter dem Banne des römischen Rechtes haben auch die Verfasser des bürgerlichen Gesetzbuches nur allzusehr gestanden! Das ist der Grund, warum mit alteingewurzelten Rechts begriffen aufgeräumt wurde. Doctrinaire rechtliche Erwägungen machten ihnen den Garaus. So hat man auch das Jmmobiliarpfandrecht aus dem bürgerlichen Gesetzbuch beseitigt. Grundstücke können in Zukunft nicht mehr zur Sicherung eines Gläubigers „verpfändet" werden. Mit dem Be griffe der Verpfändung eines Grundstückes ist aufgeräumt worden. Man wird sich an den neuen Begriff des „Grund- credits" und der „Capitalbelastung" gewöhnen müssen. Unser sächsisches bürgerliches Gesetzbuch spricht im zweiten Abschnitt des Sachenrechtes vom „Pfandrecht an unbeweglichen Sachen" und erklärt im § 387 die „Hypothek" als ein solches Pfandrecht, das durch die Eintragung der zu sichernden For derung in das Hypothekenbuch entsteht. Diese Anschauung be herrscht auch die übrigen Landrechte, nicht aber das neue bürger liche Gesetzbuch, das im achten Abschnitt von „Hypothek, Grund schuld, Rentenschuld", und im neunten Abschnitt, ganz davon getrennt, vom „Pfandrecht" handelt. Daß man für den ersten Abschnitt in Juristenkreisen den Obertitel „Grundstückspfand" hinzugefügt hat (Prof. Fischer), ist nicht im Sinne des Gesetz gebers, der ein Pfandrecht an Grundstücken eben nicht mehr kennen will, und die Ansicht, daß die Hypothek als Verpfändung eines Grundstückes anzusehen sei, als irrig über Bord geworfen hat. Die Frage, ob dies nothwendig war, ob es sich vom Stand punkt« der Rechtswissenschaft aus rechtfertigt, hat jetzt der Kammergerichtsrath Eichhorn in Berlin in der „Deutschen Juristenzeitung" behandelt und er gelangt zu einer Verneinung der Frage. Er weist darauf hin, daß im ersten Entwurf die Hypothek noch als Pfandrecht an Grundstücken behandelt worden ist, und daß sich, trotzdem im Gesetzbuche dieser Standpunkt fallen gelassen wurde, der Inhalt der Bestimmungen des letzteren sich in der Hauptsache genau mit denen des Entwurfes deckt. Der Name ist geändert, die Sache ist dieselbe geblieben. Eich horn betont ausdrücklich, daß der Grundgedanke der Hypothek als eines Pfandrechtes durchaus erhalten geblieben ist und bringt für diese seine Behauptung auch eine Reihe schlagender Beweise. Die Wirkung der Hypothek ist dieselbe wie die des Pfandrechts. Dort sucht der Berechtigte wegen seiner Forderung Befriedigung aus dem Grundstücke, hier aus der Sache, welche verpfändet ist. Beim Pfände geschieht dies durch den Verkauf desselben, bei der Hypothek durch die Zwangsversteigerung, die ebenso wie jener an bestimmte, strenge Formvorschriften gebunden ist. Ein etwaiger Mehrerlös gebührt dem Eigenthümer oeS Grundstücks wie dem des Pfandes. Wenn Mehrere auf dasselbe Pfand Anspruch haben, so ist für den Rang des Pfandrechtes die Zeit der Bestellung maßgebend. Ebenso aber bestimmt sich da» Rangverhältniß unter mehreren Hypotheken nach der Reihen folge der Eintragungen. Besteht das Pfandrecht an mehreren Sachen, so haftet jede für die ganze Forderung. Ebenso haftet bei der Gesammthypothek jedes Grundstück für die ganze For derung. Da» Pfand haftet für die Forderung und deren Zinsen, für Kosten der Kündigung, der Rechtsverfolgung und des Verkauf-, und ebenso haftet daS Grundstück „Kraft der Hypothek" für di« gesetzlichen Zinsen der Forderung, sowie für die Kosten der Kündigung und der Rcchtsverfolgung. Eine Uebertragung des Pfandrechte» ist schließlich nur gleichzeitig mit der Crsston der Forderung zulässig, ebenso können Forderung und Hypothek nur gemeinsam übertragen werden. Damit ist die Reih« der gemeinschaftlichen Charakterzüge von Hypothek und Pfand aber noch gar nicht erschöpft. Und worin unter scheiden sie sich denn nun eigentlich? Eichhorn constatirt einen einzigen Unterschied, der darin besteht, daß das Pfandrecht beim Erlöschen der Forderung untergeht, während die Hypothek trotz Tilgung der Forderung, bis zu ihrer Löschung im Grundbuch, noch bestehen bleibt. Wegen dieses einzigen Unterschiedes die ganze Umwälzung! Nur deswegen soll di« Hypothek in Zukunft nichts weiter sein, als eine Last, die der Eigenthümer des Grund stücks zu Gunsten seines Gläubigers auf dasselbe gelegt hat. Diese Last aber soll der Sicherung der Forderung des Gläubigers dienen, ebenso wie di« Belastung einer Sache mit dem Pfand recht. ES hat also auch der neue Begriff der Hypothek wieder die allerengste Beziehung zum Pfandrecht. „Noch jetzt", sagt Eichhorn, „obgleich die Hypothek nicht mehr als Pfandrechts kategorie im bürgerlichen Gesetzbuche erscheint, steht sie in ihren einzelnen Wirkungen mit einer Ausnahme dem Pfandrecht an Mobilien völlig gleich, und ihre rechtliche Bedeutung als „Be stellung zur Sicherheit für eine Forderung" und als Anweisung des Eigenthümers an den Gläubiger, sich im Falle der Nicht befriedigung aus dem Werthe der Sache, gerade wie beim Pfände, bezahlt zu machen, tritt überall deutlich hervor. Und doch soll sie kein Pfandrecht mehr sein? Seit Jahren sind die Notare und Grundbuchrichter gewöhnt, bei Aufnahme einer Hypothekenbestellung dem Eigenthümer erklären zu lassen- „Ich verpfände für Capital, Zinsen und Kosten des Darlehns u. s. w. mein im Grundbuch« bezeichnetes Grundstück", während man jetzt lernen soll, zu sagen: „Ich belaste wegen dieser Forderung mein Grundstück mit einer Hypothek." Die längst in das Volksbewußtsrin übergeaangen«, dem Juristen wie dem Laien leicht verständliche Auffassung, daß die Hypothek ein Pfandrecht gewähre, soll in Zukunft der Auffassung weichen, daß di« Hypothek in ihrer normalen Form „dem mit einem Personalcredit verbundenen Grundcrrdit dient". Aber ist das eine rechtliche Konstruktion, mit der sich etwas anfangen läßt? Was ist damit gewonnen, wenn wir Hypothek und Grundschuld als „Belastung eines Grundstücks definiren" und sie als Formen des modernen Creditwesens bezeichnen? Eichhorn zeigt im Weiteren, daß von einem Gewinn gar nicht die Rede sein kann, weil die Rechtswirkung der Belastung bei der Hypothek ganz dieselbe ist wie beim Pfandrecht, also für dieselbe Sache nur eine neue, befremdende Definition gegeben wird. Der Haupt inbegriff des Pfandrechts ist die Verwerthung des Pfandes und diese Verwerthung ist auch die Hauptsache bei der Hypothek. Das haftende Object soll dem Creditgeber dazu dienen, sich be zahlt zu machen. Wie sich beim Pfandrecht der Eigenthümer des Verfügungsrechtes über die Pfandsache entäußert, so ent äußert sich bei der Hypothek und auch bei der Grundschuld der Grundstückseigenthümer seines Verfiigungsrechtes über einen entsprechenden Werthantheil vom Grundstück. „Sollte es da wirklich so schwer sein", fährt EicUorn fort, „der Hypothek und der Grundschuld die richtige Stelle im Rechtssystem anruwrisen, und sollte es wirklich nöthig sein, sie ihres Pfandcharakters zu entkleiden, nur weil sie sich nicht in die römisch rechtliche Schablone mehr hineinzwängen lassen? Es ist ja richtig, daß die deutsche Hypothek etwas ganz Anderes ist als die einstige Hypothek« des Prätors Servius, aber es handelt sich ja doch nicht darum, alte längst vergessene Rechtsbegriffe ausdem Grabe herauszuholen, sondern nur darum, jedem Rechtsinstitut einen wissenschaftlich:» Boden zu geben, und dieser fehlt der Hypothek, wenn man gezwungen ist, sie nicht mehr als ein Pfandrecht anzusehen." Da zur Aufgabe des bisherigen Standpunktes hauptsächlich die Schwierigkeiten geführt haben, welche die Konstruktion der Grundschuld bereitet, meint Eichhorn, daß die Grundschuld ruhig als Ballast über Bord geworfen werden rönne, da sie sich so wieso in wenigen Jahren völlig überleben dürfte und nur noch die Hypothek populär sein werde. „Diese Hypothek aber", so schließt der Verfasser, „mag sie auch noch so selbstständig ge staltet werden, hat doch immer einen ausgesprochenen Schuld grund, und wo man diesen zu einer Grundstiicksbelastung in Beziehung setzt, ist und bleibt das Rechtsgeschäft, durch welches dieses geschieht, seiner inneren Natur nach eine Ver pfändung, gleichviel, ob man es so nennt oder nicht. Giebt man dies zu, so reiht sich der achte Abschnitt des Sachenrechts in den neunten in natürlicher Weise ein, und darum erhält man eine befriedigende Definition der Hypothek, dann giebt es auch wieder ein Jmmobiliarpfandrecht!" Wir stimmen den Ausführungen Eichhorn's allenthalben bei und können es nur auf das Tiefste beklagen, daß man im neuen bürgerlichen Gesetzbuch mehrfach, um der „römisch-rechtlichen Schablone" willen, Begriffe geopfert hat, welche im Volks bewußtsein festsitzen. Das Volk wird in Zukunft sich daran gewöhnen müssen, von einer Belastung des Grundstücks zu reden, nennen wir es aber dabei immer nach wie vor — die Ver pfändung desselben! Deutsches Reich. * Leipzig, 19. September. Als siebenter Band der von vr. Gustav DierckS herausgegebenen Sammlung von Lebens beschreibungen unter dem Titel „Männer der Zeit" (Verlag von Carl Reißner, Dresden und Leipzig) ist soeben „Ludwi g Windthorst, ein Lebensbild" von I. N. Knopp er schienen. * Berlin, 19. September. Die Aussichten der Land- wirthe in Südwestafrika werden, trotzdem das Land von der Rinderpest soeben heimgesucht worden ist, doch drüben so günstig beurtheilt, daß die Siedelungsgesellschaft für Süd- westafrika jetzt an die Durchführung des Planes geht, eine Unter kunft für solche Leute zu schaffen, welche erst einmal Boden und Klima, Vieh und Leute und deren Sitten kennen lernen wollen. Ein deutscher Landwirth, der nach Südwestafrika geht, wird eben nur in ganz außergewöhnlichen Ausnahmesällen im Stande sein, seine Kenntnisse drüben sofort zu verwerthen. Klima, Boden, Land und Leute sind so ganz anders, daß er erst von Neuem lernen muß. Dabei ist das Mißtrauen der Eingeborenen gegen Neuangekonimene so hinderlich, daß dieselben nur gegen hohes Entgelt und unter großer Mühe Leute, und zwar schlecht« be kommen. Die Siedelungsgesellschaft, welche in Windhoek thätig ist, ist nun bereit, sowohl Eleven wie Volontaire aufzu nehmen. Die ersteren müssen sich auf mehrere Jahre verpflichten und das erste Jahr etwa 700 jährlich Zuschuß haben. Im zweiten Jahr erhält der Eleve Verpflegung und Unterkunft uno ein monatliches Taschengeld, und im dritten Jahre 1200 bis 1800 <--( Gehalt nach Leistung bei freier Station. Die Ueber- fahrtkosten fallen dem Eleven zu. Für Volontaire sind natürlich die Aufwendungen größer, 750 bis 1200 okk jährlich. Bei dieser Gelegenheit sei noch darauf hingewiesen, daß die Rinderpest außer ihrem schweren Nachtheil gerade für die Viehzucht der Weißen auch nicht zu unterschätzende Vortheile brachte. Da sie zuerst bei den Hereros ausbrach und dort wllthete, ehe die Impfung bekannt war, so sind diese Hauptviehzüchter für eine Reihe von Jahren von Vieh entblößt. Sie producirten so billig, daß ein Weißer nicht mit ihnen in Wettkampf treten konnte. Die Rinderpest aber hat auch für sie die Produktionskosten erhöht. L, Berlin, 19. September. Wie dringend sowohl von ärztlicher Seite wie auS den Communalverwaltungen heraus die re ichSg esetzli che Regelung der zur Bekämpfung gemeingefährlicher Krankheiten erforderlichen Maß nahmen gewünscht wird, hat sich auf der 23. Versammlung des Deutschen Vereins für öffentliche GesundheitSvflege ge zeigt, die soeben in Köln stattgefunden hat. Einstimmig beschloß die Versammlung: „Im Interesse der öffentlichen Gesundheit ist »ine einheitliche Regelung der zur Bekämpfung gemeingefährlicher Krankheiten erforderlichen Maßnahmen aus dem Wege der Reichsgesetzgebung dringend erwünscht." Und mit erdrückender Mehrheit wurde der zweite Satz angenommen: „Die Aufsicht über die Ausführung der zur Bekämpfung gemein gefährlicher Krankheiten erforderlichen Maßnahmen ist neben den ordentlichen Polizeibehörden den zuständigen Mrdicinalbeamten zu übertragen." Um so bcmerkenswerlher ist dieser Beschluß, al» der Ministe rialdirektor aus dem Cultusministerium Herr I)x. v. Bartsch bei dem ersten Satz dringend zu der Formulirung rietb, daß „man eS dankbar anerkenne", wenn die NeichSregierung eS „von Neuem unternehme", ein ReicbSsruckengesrtz einzubringen, und den zweiten Satz für „entbehrlich" hielt. Die Ver sammlung hielt eine kräftigere Tonsärbung an, Platz und daran hatte sie nicht Unrecht, bei der Gedulo, mit der bisher die „Vorbereitung" der vorstehenden Fragen seitens der daran interessirten Kreise im Lande hingenommen werden mußte. Besonders bemerkenSwerth Warrn die Ausführungen von Professor vr. Gärtner aus Jena, welcher nachwicS, wie empfindlich bei der Verschiedenheit der LandeSgesetzgebunz der Aus WasserMauen. Von vr. Hans Wagner. Nachdruck Verbote». Zum Kurischen Haff lenkt wohl selten ein Naturliebhaber seine Schritte und es hat auch noch Niemand dort ein Touristen land entdeckt. Aber es lohnt sich der Mühe, dorthin wenigstens einmal einen Blick zu werfen. Denn jener Erdenwinkel hat sich in seiner Weltabgeschiedenheit so viel Fremdes, Culturfernes und Fremdartiges bewahrt, wie kaum eine andere Gegend unseres Vaterlandes. An jener Ecke des südöstlichen Haffes, in die die Deime mündet, grenzen die deutschen Marken an die litauischen Gaue, und es ist ein echtes rechtes Grenzgebiet, wild und roman tisch, wie es sich gehört, von Schleichwegen durchzogen, die vor einem halben Jahrtausend die litauischen Krieger ins deutsche Ordensland führten und die heute dem Wilderer dienen, eine unheimliche Gegend, so ganz geeignet, allerhand verstecktem Thun schützendes Obdach zu gewähren. Zwischen dem Deimefluß, der schon eine ganz stattliche Breit« hat und den südlichen Deltaarmen des Memel breitet sich nämlich der sogenannte „Große Moosbruch" aus, ein unabsehbar weites flaches Moorfeld, erfüllt von schlüpfriger, schlammiger Torferde, dem wichtigsten Brennmaterial Ostpreußens, mit trügerischem Grasdach und durchzogen von zahllosen natürlichen Canälen und Gruben, die die Gewässer deS halbrussischcn Memelflusses mit denen der Deime verbinden. Nur hin und wieder einige krüppel- hafte Birken oder Brombeergesträuch und Weiden oder Erlen, sonst eine moosige Decke, die nur an den größeren fließenden Gewässern einem üppigen Wiescngelände Platz macht. Reiher, Kraniche und Wildenten, Bekassinen und zahlreiche Schnepfen, dann — die Otter unter den Vögeln — Kormorane, auch See raben, Moorfexe und Vielfraß genannt, die von Skandinavien herüberkommen, Möven und andere Wasservögel vom Kurischen Haff kreischen über die Oede. Auch Falken, Habichte und bis weilen Seeadler fehlen nicht. Finden sie doch in dem zahlreichen niederen Gethier reichliche Atzung. An Füchsen und Mardern mangelt es nicht, und auch der Dachs und die Otter ist nicht un bekannt und Roth- und Schwarzwild ist überreichlich vorhanden. Aber der König der Thiere ist hier der Elch, der Zeuge einer ver gangenen Welt und so recht passend in diese unmodernen Gefilde. Er hat dort ein letztes Refugium gefunden, aber der Kampf ums Dasein wird ihm nicht leicht. Die unsichere Pflanzendecke bricht so manches Mal unter dem vorsichtig Schreitenden zusammen, der schwere Körper finkt immer tiefer ins lebendige Grab de« Moore». Dann schoart sich do» Geschmeiß der Füchse um den Wehrlosen, sie gehen der todtbringenden Waffe der gewaltigen Schaufeln vorsichtig au» dem Wege und warten geduldig, bi» die Kraft des mächtigen Hauptes erlahmt ist. Oft genug macht aber der Mensch dem Meister Reinecke einen Strich durch die Rechnung. An Seilen zieht er den Elch aus dem Torfloch und befreit ihn so aus seiner gefährlichen Lage — wenn er nämlich Achtung vor dem Gesetz hat — oder aber er nimmt die will kommene Beute für seine eigene Küche in Beschlag. Denn di« Freude am Wildbraten ist in dieser Gegend be sonders stark verbreitet, und mehr als die zarte Hausente und den saftigen Rinderbraten liebt der Anwohner dieses Bruches den kaut goüt des Wildes. Das treibt ihn zu manch' gefährlichem Wagniß. Im Frühling und im Herhjt, wenn die Eisdecke noch oder schon zu schwach ist, als daß der Elch sie schnell passiren könnte, fällt so mancher strafbare Schuß. Die Gesetze ahnden das schlankweg als Wilddieberei. Aber der in Wasserlitauen Heimische, der sich nicht entwöhnen kann, Wild als freies Eigen- thum zu betrachten — er treibt mit Leidenschaft den Sport, das jagt-bare Gtzthier zu beschleichen, wo «S austritt und er denkt nicht an die gesetzlichen Strafen, wenn er gewiß ist, auf dem Anstand einem kapitalen Hirsch die todtsichere Kugel aufs Blatt senden zu können oder den balzenden Auerhahn anzuspringen. Es ist nicht Gewinnsucht, es ist edle Jagdleidenschaft und wenn auch da» Gesetz hart straft, moralisch verurtheilt den Wilddieb kein Mensch dort, wie ja auch die Spartaner nichts Arges darin fanden — man durfte sich nur nicht ertappen lassen. Wilvdiebern thut dort der Gutsbesitzer wie der Bauer und dec Tagelöhner, der vom Militair her weih, wie er die oft roh selbst gezimmerte Flinte gebrauchen muß. Die Förster haben einen harten Stand und so mancher muß sein Leben lassen, der dem Wilderer unachtsam vor die Flinte läuft. Die Forfigeschichte de» großen MooSbruche» trieft von Blut. Wie sollte e» auch ander» sein? Die groteske Wildheit der Natur steckt ihr Bewohner an. Von den Förstern waltet Keiner lange seine» Amtes, Niemand ist vor der Kugel des Wilderers sicher und die Pascher geschichten au» dem Bayrischen Wald, dort am Moosbruch fänden sie ein würdige» Pendant. E» überrascht dort Niemand, wenn eS eines schönen Tages heißt: „Den Förster haben sie „all" wieder er schossen." Schwer ist das Amt de» Staatsanwalts, sein Mühen ist selten von Erfolg gekrönt, das Moorbruch ist schweigsam und seine Bewohner nicht minder, die ja Alle unter einer Decke stecken, stecken müssen, denn „berissen" hat wohl Jeder etwa». An Ausdehnung und Häufigkeit find wohl die Schwurgerichts sitzungen in Labiau unübertroffen und sie geben einen schaurigen Einblick in die Culturverhältniffe Wafferlitauens. Wer die Tagesordnung der Schwurgerichte durchsieht, wird über rascht sein über die Fülle schwerer Verbrechen, die dort begangen werden und besonder» über die große Zahl der Meineid- und Giftmordprocess« — dieser Specialitat des gesammten Litauens. Die Untersuchungsrichter in Kaukehmen und Labiau sind viel geplagte Leute, und wer da» Talent zum Triminalschriftsteller in sich fühlt, der möge sich vertrauensvoll an sie wenden, sie werden ihm allmonatlich den reichlichsten Stoff bieten können. Besonders das Gift zur Beseitigung von lästigen Miterbcn oder Ausgedingern und Altsitzern genießt die allseitige Sym pathie in Litauen. Einen schönen Ruf hat ganz Litauen nicht. Das Sprich wort „Trau' Du dem Litauer!" ist die warnende Lebensregel, die der deutsche Vater seinem Sohne aufs Eindringlichste und aus gutem Grunde einschärft. Aber am verrufensten ist doch das sogenannte Wafferlitauen. Allerdings hat der Litauer auch viele liebenswürdigen Eigenschaften. Es ist ein hoher Genuß, einem litauischen Gottesdienst beizuwohnen, wenn die getrennt sitzenden Geschlechter sich den Gesang gegenseitig zuwerfen, ein hoher Genuß auch, die litauischen Volkslieder zu hören und auf dem weitberühmten litauischen Gesangsfeste in Tilsit die musikalische Begabung dieses Völkchens zu bewundern; eine Freude ist es auch, den litauischen Landwirth in seinem Wirken zu beobachten oder wenn er mit vier Stuten lang dahergesaust kommt, und «ine Pracht ist es, den Litauer trinken zu sehen. Das Letztere ist übrigens ein Thema, das einer kleinen Ab schweifung werth ist! Den sogenannten „stillen Suff" kennt er nicht, der Litauer, er muß frohe Zechgenossen haben, die leben und leben lassen. Da heißt es stets „Einer für Alle", und das Recht, eine Lage zu „sprndirrn", läßt sich Niemand nehmen. Dazu kommt ein reizender Biercomment, der von Jedem strikt befolgt wird und der in seiner Vollkommenheit auf Gottes Erdboden wohl seines gleichen suchen dürfte. Die vielfach „im Reiche" verbreitete An sicht von der Trinkfestigkeit der Ostpreußen ist wohl von Litauen auf die ganze Provinz übertragen, ob mit Recht, lasse ich dahin gestellt. Da mich dieser süffige Gegenstand zu einem ExcurS geleitet hat, so mag auch gleich Einiges über ostpreußische Ge tränke mit gestattet sein. Mit Schauder spricht der Reichs deutsche von dem Grog, dem „ostpreußis.chen Maitrank". Wer aber je eine gemüthliche Grogstunde in Ostpreußen und in Litauen erlebt hat, der wird zugestchcn, daß die dortige Grog stunde zu dem Behaglichsten und Molligsten gehört, was es auf dem Gebiete des Kneiplebens giebt. Allerdings muß man es verstehen, Grog zu kochen, und das ist eine Kunst, die so Mancher nie lernt. Die parfumirten Grogs, die man im Reiche allerorten vorgesetzt erhält, sind ein schmähliches Getränk und geeignet, in jedem redlichen Ostpreußen schwarzen Pessimismus über die Schlechtigkeit der Welt aufkommen zu lassen. Ein ostpreuhischer Gastwirth, und hätte er auch die elendeste Spelunke auf dem Lande, würde es nicht wagen, seinen Gästen einen schlechten Grog vorzusetzen, er wäre seines Lebens nicht sicher. Er begnügt sich, eine Rumslasche, Zucker und einen Napf springend frisch ge kochtes Wasser hinzusetzen — Alles klebrige besorgen die Gäste selbst. Da ist ein noch ungelöstes — trotz emsigen Probirens — noch ungelöstes Problem, wie viel Zucker zum Grog gehört. Meiner Erfahrung nach hasten di« Kupfernasen den Zucker, und das sind wohl die Weisesten unter den Weisen. Ebenso un berechtigt, wie der Abscheu des Reichsdeutschen vor dem Grog im Allgemeinen, ist die Ansicht, baß Grog, im Sommer zu trinken, ein Zeichen beginnender oder schon zum Ausbruch ge kommener Verrücktheit sei. Ich habe es erlebt, daß in Zoppot im dortigen Curgarten eine allgemeine Flucht von den benach barten Tischen stattfand, als mein Tischgenossc, ein Pfarrer aus Litauen bei circa 30 Grad Hitze einige Glas Grog — es können kaum 6—7 gewesen sein — trank. Man hielt augenscheinlich den Mann für verrückt, er aber vertrieb nur wohlerfahrener Weise die äußere Hitze durch die innere und brachte dabei dieselbe Logik in Anwendung, wie seine Landsleute, die den Schafpelz gegen Hitze und Kälte tragen, indem sie die Wolle im Sommer nach außen, im Winter nach innen wenden. — Außer Grog trinkt man in Litauen noch viel Portwein, den man in jeder Landschänke in vorzüglicher Qualität erhält. Weine liebt der Ostpreuße nicht, oder nur süße, z. B. Sect — ein Zeichen, daß er kein Wcinkenner ist. Es ist bezeichnend in dieser Hinsicht, daß es in Tilsit eine großartige Sektkellerei giebt. Im Uebrigen giebt es in Königsberg ganz vorzügliche Biere, das Schön- buscher und Ponarthcr, beide auch in Berlin vielfach und gern getrunken. Die Rivalität zwischen Königsberg und Danzig, die die östliche Geschichte mehrere Jahrhunderte lang beherrscht, ist für die Cultur längst zu Gunsten der Krönungsstadt ent schieden. Der Königsberger Gambrinus hat eine Armee von Bierfässern nach Danzig geführt und so sich die durstigen West preußen zinsbar gemacht. Ist eine Stadt, die kein genießbares Bier erzeugen kann, denn überhaupt von weltgeschichtlicher Be deutung? Wenn eine Maßregel vom „grünen Tisch" dictirt ist, dann ist es die. in einer bierlosen Stadt ein« Hochschule errichten zu wollen! Doch das nebenbei. Kehren wir nach diesem Excurs wieder zu den Unsitten der Litauer zurück. Es sind da leider sehr starke Defekte im litau ischen Volkscharakter, die, wie erwähnt, bei jeder Schwurgerichts verhandlung in erschreckender Weis« zu Tage treten. Abgesehen von dem übermäßig leichten Sinn im Verkehr der Geschlechter mit einander, muß besonders der starke Hang zur Lüge, zum Meineid und zum gewaltsamen Eingreifen in das Schicksal Anderer mittelst der Handwaffen und vor Allem Gift gerügt werden. Es sind das die traurigen Ueberreste des heidnischen Litauens, die das Bild dieses liebenswürdigen Völkchen» ver dunkeln, und die die verhältnißmäßig kurze Zeit äußeren ChristenthumS nicht hat tilgen können. Die neue deutsche Ein wanderung beginnt ja erst mit den Salzburgern im ersten Drittel des 18. Jahrhunderts von Gumbinnen aus, und die Weltabgeschiedenheit des Ländchens hat Einflüsse christlicher Ethik nur in kleinen Dosen gestattet. Der Theil Litauen, von dem hier speciell die Rede ist, da« sogenannt« Wafferlitauen steht noch besonders weit zurück, und kann mit Recht «in verrufener Winkel genannt werden. (Schluß folgt.)
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