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Anzeigen sind stets an ds« Expedition zu richten. Anreigen-Preis die 6 gespaltene Petttzeile 20 Pfg. Reklamen unter dem Nedaction-strich (4ge- spalten) üO^z, vor den Famitiennachrichtrn » (k gespalten) 40/^. Größere Cchrisirn laut unserem Preis- ve^zrichniß. Tabellarischer und Ziffernsatz uach höherem Tarif. Anzeiger. AmLsvlatt des Lömgkichen Land- und Amtsgerichtes Leipzig, des Nnthes und Nottzei-Ämtes der Ltadt Leipzig. Extra-veilagen (gesalzt), nur mit der Marge»-Ausgabe, ohne Postbesörderuag ^l SO.—, mit Postbesördrrung 70.—. Zur Handwerkerfrage. Daß mit dem neuen Handwerkergesctz die Hand- werkersrage abgeschlossen ist, wird Niemand behaup ten wollen. Man braucht nur «inen Blick in da» JnnungSlager zu werfen, um einen Begriff von der Zerfahrenheit in den An schauungen der Handwerker selbst über DaS, waS ihnen noththuk, zu erhalten. Unsere neuere Gesetzgebung ist infolge de» rücksichtslosen Drängens gewisser Jnteressenkreise schon manchmal auf schiefe Bahnen gedrängt und hat so den eigentlichen Zweck, die Gesundung bestehender Mißstände zu erzielen, nicht erreichen können. Mit dem Handwrrkergesetz ist eS nicht anders. Kaum ist ein Jahr seit seinem Bestehen verstossen, da be ginnt die objektive Fachwissenschaft an ihm schonungslose Kritik zu üben. Zu Denen, die die Wissenschaft genöthigt bat, den früheren innungsfreundlichen Standpunkt aufzu geben und einer erheblich praktischeren Auffassung der Lage des Handwerkes und des WerthcS seiner Corporationen Raum zu geben, gehört der aus seinen früheren gewissen haften und unbefangenen Forschungen auf dem Gebiete der Gewerbepolitik bekannte Nationalökonvm Hugo Böttger. Wir haben dieser Tage einen kurzen Abschnitt auS seinem mit dem ganzen wissenschaftlichen Apparate, mit vielen Tabellen rc. ausgestatteten Werke „Geschichte und Kritik deS neuen Handwerkergesetzes" (Verlag 2 bei Eugen DiederichS, Florenz und Leipzig) wiedergegeben. Es ist namentlich ein Verdienst dieser Arbeit, das bisher tief in der Gewerbestatistik und den neun Bänden „Unter suchungen deS Vereins für Socialpolitik über die Lage deS Handwerks" verborgen gelegene wissenschaftliche Quellengebiet der heutigen Handwerkerfrage zum ersten Male gründlich er schlossen zu haben. Böttger hat auS ihnen das Resultat ziehen müssen, daß unsere neue Handwerkerpolitik mit den thatsächlichcn Verhältnissen und Bedürfnissen in Widerspruch steht und auf den Zusammenhang mit den einfachsten Lehren der Volkswirthschast verzichtet hat. Er geht dann auch scharf mit der Tendenz unserer zünstlerischen Handwerkerpolitik und mit den einzelnen Vorschriften deS neuen HandwerkergesetzrS ins Gerickt. Im geschichtlichen Theile weist er nach, daß fast alle neuen Vorschriften der rückschrittlichen Particulargesetzgebung vor 1869 oder dem österreichischen Gewerberechte gleichen Charakters entnommen sind. Er constatirt neben dem siegreichen Vordringen deS Großbetriebes und der Maschinen fabriken die dem selbstständigen Kleingewerbe mindestens ebenso gefährlichen Wirkungen der Hausindustrie und des VerlagsystemS, der Ein- und Angliederung handwerksmäßiger Kleinbetriebe in und an größere Unternehmungsformen. Auf Grund dieser ungemein schwierigen und in ihren Resultaten werthvollen Studien kommt Böttger zu der Ueber- zeugung, daß zum Theil mit dem Handwerkergesetz nutzlose Arbeit verrichtet wird, und zum Theil den städtischen Innungen zu Liebe daS noch lebensfähige Landhandwerk ge- sckädigt und die kapitalkräftigen gesunden Handwerksbetriebe, welche sich gegenwärtig im Uebergange zur Klein- und Mittel industrie befinden, zu ihrem und zum Schaden unserer Volks- wirthschaft in den Zunftbann hineingezwängt und in der Kraftentfaltung gehemmt werden. Es liegt in der Natur einer wissenschaftlichen Abhandlung, die sich „Geschichte und Kritik eines Gesetzes" nennt, daß sie in der Hauptsache kritisch veranlagt ist und daß sie die Besse rung und Reformvorschläge den gesetzgeberischen Kräften selbst überläßt. Immerhin verfehlt Böttger nie, die Richtung anzugeben, in der sich nach seiner Ansicht eine nützliche Hand werkerpolitik zu bewegen hätte. So tritt er denn z. B. für Fachschulen, namentlich für Lehrlingswerkstätten ein, die sich in Baden und Württemberg bewährt haben. Als tüchtig erkannte Handwerksmeister sollen Zuschüsse von der Negie rung erhalten, damit sie ohne Lehrlingsausbeutung einen guten Handwerksnachwuchs heranbildea. Nicht nur für das Handwerk, sonder» auch für unsere Industrie ist die tüchtige Lehrlingsausbildung unentbehrlich. Die reine Schultheorie erweist sich als zu wenig schöpferisch, mit der Praxis vieler kleiner Meister sieht es traurig auS, da muß also der Staat mit der Subventionirung brauch barer Lehrmeister einspringen. Gewerbehallen, ständige Ausstellungen von HandwerkSerzeuguissen, Mustersamm lungen, Wanderbibliotheken mit Mustern und guten Fachzeitschriften, Wandercurse für Tischler, Schneider, Sckuster in abgelegenen Gegenden und manches andere noch wird für das nothleidende Handwerk empfohlen. Von den Handwerkskammern, dem eigentlichen Kern deS neuen Handwerksgesetzes, hält Böttger an sich recht viel. Er meint: ,Ln der Handwerkskammer sehen wir eine Einrichtung, die im hohen Maße dem socialen und wirthschastlichrn Fortschritte dienen könnte, wenn sie ein nach Möglichkeit unbefangenes Organ der Interessenvertretung aller Theile deS Handwerks würde. Wo der BezirkSumfang der Kammer die richtige Größe hat, damit vom Centrum bi» an die Peripherie de» örtlich begrenzten Handwerks ununterbrochene stetige Verbindungen unterhalten werden können, wo tüchtige, gewissenhafte Handwerksmeister den gejchästssührenden Ausschuß bilden und diesem rin sachkundiger Secretair zur Seite steht, da wären eigentlich alle Voraussetzungen gegeben, um eine Körperschaft von ähnlicher oder noch größerer Kraft wie die Handels- oder Handels- und Gewerbekammern rc. zu schaffen. Dir Handelskammern könnten sich mit der Aufstellung der Lehrlingsvorschriften und Prüfungsordnungen begnügen und ihre Durchführung und Ueberwachung den localen Handwerks- au-schüssen und Eewerbeinspectoren überlassen. Um so intensiver könnte sie sich alsdann den fruchtbringenden Ausgaben der An» regung zum gemeinsamen Rohstossbezug, zur Creditver» bessrrung (Escomptirung der Außenstände, Einschrän kung des BorgunwesenS rc.), der directen Fühlung mit den gesetzgebenden Gewalten und mit der öffentlichen Meinung, der Förde rung von Meisterfachcursen, der Verbreitung kaufmännischer Kenntnisse, der Errichtung von Modelljammlungen, Bibliotheken, Ausstellungen, der Einführung von Wandervorträgen und Wonder- cursrn widmea. Bon bedeutendem Werthe für die Erkenntniß der wirtbschaftlichen Zustände könnten auch die regelmäßigen Berichte der Haudwerk-kammeru über die Lage und Bedürfnisse der localen Ge werbe sein, sie würden di« rein wissenschaftlichen Untersuchungen in glücklichster Weise ergänzen und den wiffeuschastlichen UntersuchungS- Methoden stet» frische- Material zuführeu, dessen es bei einer so jäher Entwickelung auSgefrtzten Materie dringend bedarf. Von einer vernünftig organisirten Handwerkskammer wären demnach die vor- theilhaftesten Wirkungen zu erhoffen. Nun glaubt aber Böttger, daß das Wahlverfahren zur Handwerkskammer manche Erwartungen illusorisch machen müßte: Die Handwerkerinnungen und diejenigen Gewerbevereine und sonstigen Bereinigungen, welche die Förderung der gewerblichen Interessen de» Handwerk- verfolgen und mindestens zur Hälfte ihrer Mitglieder auS Handwerkern bestehen, wählen jetzt die Mitglieder und Ersatzmänner der Handwerkskammer. Tie Folge dieser einem bequemen Wahlverfahren dienenden, die Bildung von Handwerkskörperschasten begünstigenden Maßregel ist die, daß, wo die Innungen da» Heft in der Hand haben, die bisher abseit» stehenden Intelligenz»» im Handwerk sich an der Handwerks kammer nicht bethriligen, und die Innungen numerisch und vcr- muthlich auch geistig die Handwerkskammern beherrschen werden. Wir haben alsdann einige politische Actionscomites mehr, aber keine Wohlfahrt-- und Sachverständigen-Organe. Wo dagegen die Gewerbeverrine obenauf sind, da bedarf eS eigentlich kaum noch neuer zusammenfassender Jnterrffen-Bertretongen, denn diese Ge- wcrbevereine sind meistens vortrefflich arbeitenden Eeutral-Organi- sationen angegliedert. DaS platte Land, welches weit mehr als die Städte über lebensfähiges Handwerk verfügt, ist im Großen und Ganzen mangelhaft organisirt und wird sich auch schwer überall in Gewerbevereine und Innungen einrangiren lassen. ES ist also bei der Jntereffen-Vertretung hauptsächlich auf daS Wohlwollen der städtischen Innungen angewiesen. Diese aber sind seit AlterS her dem Landhandwerk durchaus nicht wohl gesinnt. Hier und in manchen anderen Punkten hat sich der Ge setzgeber lediglich von der JnnunzSbewegung schieben lassen und ist dabei, wie die Bewegung selbst, in die Irre ge raden. Mag man nun die Böttger'schen Auslassungen in allen Punkten unterschreiben oder hier und da anderer An sicht sein, jedenfalls dienen sie dazu, das Gewissen der Regierungen sür das vernachlässigte Handwerk wach zu er halten und den Wahn zu zerstören, daß mit einem halben Hundert von Paragraphen auch nur einem Dutzend Hand werkern geholfen werden könnte. Die Genfer Mordthat. -t> Noch immer steht die gesammte cultivirte Welt unter dem furchtbaren Eindruck der bestialischen That, welche dem uns treu verbündeten Oesterreich seine Kaiserin, dem tiesbeklagenS- werthen Herrscher dieses Reiches die greise Gemahlin raubte. Fern am Genfer See, im schlickten Sterbegemach liegt die todte Kaiserin ausgebahrt, und in Schönbrunn ringt der edle Kaiser heroisch nach Fassung, um sich trotz der Wucht des gewaltigen Schlages, der ihn so jählings ge troffen, aufrecht zu erhalten und das Scepter nicht aus der Hand zu verlieren. Es ging während der letzten Tage in Wien das Gerücht, Franz Josef sei ent schlossen, die Krone niederzulegen, aber zum Glück deuten alle Aeußerungen ans seinem Munde darauf hin, daß er in unerschütterlichem Gottvertrauen auch mit diesem namenlos schweren Schicksale sich abzufinden weiß, und daß er die Bürde seines erhabenen Amtes in beispiel loser Pflichttreue weiter zu tragen gedenkt. Zum Heile Oesterreich-Ungarns! Denn wenn der Herrscher des in nationalem Zwiespalt zerrissenen Doppelreiches heute seine das Auseinanderslrebende noch zusammenhaltende Hand ab zöge, wäre der Zerfall des Völkerconglomerates an der Donau wohl kaum mehr aufzuhalten. Die Person dieses seltenen, mild und gerecht, wie ein Vater über seine Unterthanen waltenden Monarchen, zu dem man in Wien, in Pest und in Prag mit gleicher ungcbeuckelter Liebe und enthusiastischer Verehrung emporschaut, ist das einigende Moment, ist die feste Angel, an der das Geschick Oesterreichs hängt. Möge die Vor sehung, die ihn so vielfach heimgesucht, ihm Muth und Kraft geben, das Haupt hochzuhalten und auszuharren am Steuer ruder des Staates! Ein Trost fließt dem Dulder auf dem Kaiserthrone im allerreichsten Maße zu: die innige Theilnahme jedes fühlenden Menschen, wer eS auch sei und wo er auch weile. Selbst die Anhänger des extremsten Radikalismus versagen ihm nicht ihr Mitgefühl. Man darf es auS- sprechen: Eine Welt weint mit dem Kaiser, dem nichts erspart geblieben und der nicht müde wird, zu fragen: Wie konnte ein Mensch Hand anlezen an diese Frau, die Niemand in ihrem Leben rin Leid und nur Gutes gethan hat! Nun, ihr Hingang war wenigstens — und auch daS mag ein Moment des Trostes sein allem Anschein nach ein völlig schmerzloser, denn alle Berichte stimmen darin überein, daß die meuchlings Ueberfallene nicht einmal eine Ahnung gehabt hat von der furchtbaren Bedeutung deS Stoßes, den der Mordbube gegen ihr edles Herz geführt. Sie ist schmerzlos hinübergeschlummert aus einem Leben, das ihr ein voll gedrückt und geschüttelt Maß deS Leidens gebracht von den Tagen der Jugend bis ins Alter, aus einem Leben, das ihr schließlich deS Lebens nicht mehr werih schien. Ueber die Person des Mörders, dessen Nationale genau festgestellt ist, besteht kein Zweifel mehr. Er hat sich als Anarchist bekannt und er ist thatsächlich ein solcher voa reinstem Wasser, eitel und cynisch, wie sie sich noch alle gezeigt, die vor ihm zur Propaganda der That ge schritten. Gefällige Federn gewisser Parteien haben ihn für irrsinnig zu erklären versucht, allein nach dem Benehmen, daS er demUntersuchungsrichtergegenüber zeigt, hat man eSmiteinem, in juristischem Sinne wenigstens, völlig zurechnungsfähigen Kopf, mit einem seine That Wohl überlegenden und vorbereitenden Verbrecher zu thun, der es selbst als eine Beleidigung halb ent rüstet, halb spöttisch zurückweist, wenn man ihn nicht für voll nimmt und ihm den „Ruhm" nicht läßt, seinen Gesinnungs genossen ein Beispiel dafür gegeben zu haben, wie sie ihre „Pflicht" erfüllen sollen. Er reibt sich einem Caserio, der den Präsidenten der französischen Republik, Carnot, erstach, einem Angiolitti, der den spanischen Ministerpräsidenten, CanovaS del Castillo, erschoß, einem Acciarido, der einen, glücklicherweise mißglückten, Mordversuch auf König Humbert von Italien machte, und Anderen dieses Gelichters würdig an. Aber die „Ideen", die ihn und den Anarchismus überhaupt beseelen, brachte Luccheni reiner Hum Ausdruck als seine Vorläufer, denn er wollte nicht ein gekröntes Haupt als solches treffen, um mit den Repräsentanten der gegenwärtigen Ordnung in Staat und Gesellschaft aufzuräumen. Er sagte sich: nicht einen Tag bleibt ein Thron verwaist, deshalb führt eS nickt zum Ziele, wenn man im Fürsten nur den Fürsten trifft. Seine „Idee" war, mit einer „unbegreiflichen" That allge meines Erstaunen, daS Aufsehen einer ganzen Welt, Schrecken aller Orten zu erregen, um dieser Welt zu zeigen, daß im Dunklen feindlicke Mächte wirken, die sie aus den Fugen zu bringen und daS Unterste zu oberst zu kehren den Muth und den Willen und nach der Ueberzeugung der Anarchisten auch die Macht haben. Ter andere Zweck, den der teuflische Vernichter eines dem politischen Getriebe völlig fernstehenden, aber erhabenen Frauenlebens verfolgte, war nach der Theorie des Anarchis mus, wie wir schon einmal andeuteten, der, dem Proletariat aller Lander, den „Geknechteten" und „Enterbten" die Reveille zum allgemeinen Kladderadatsch zu schlagen und sie aufzuwecken zur Entscheidungsschlacht, an deren siegreichem Ausgange zu zweifeln sie im Hinblick auf den Schrecken, den seine vorbildliche That verbreitet, sehr im Unrecht seien. Vorwärts zur Tagesordnung über den parlamentarisch ver sumpften SocialiSmus, von vem kein Heil zu erwarten, vorwärts zur Selbstbefreiung durch Blut und Eisen: das ist die Losung des Anarchismus, daS war der Leitstern des Genfer Mordbanditen! Ob Luccheni aus eigenem Antrieb und auf eigene Faust gehandelt, dürfte die Untersuchung ergeben. Er war der Bundesleitung in Bern als einer der gefährlichsten Anarchisten bekannt und wird als solcher kein Leben im Verborgenen geführt, sondern mit seines Gleichen Verkehr gepflogen und Pläne geschmiedet haben. Darauf deutet ja auch die Ver haftung einiger Verdächtiger hin, von denen der eine wahr scheinlich um die That gewußt und dabei geholfen hat. Schon die letzten Tage vor dem Morde hat man der Kaiserin verdächtige Gestalten folgen sehen, und als Luccheni sich auf dieselbe gestürzt, ist ihm ein alter Mann im Weißen Barte aufmerksamen Auges gefolgt. So ist es nicht aus geschlossen, ja sehr wahrscheinlich, daß man einem förmlichen Complott auf der Spur ist. Vielleicht ist es möglich, daß der tief unter das Thier gesunkene Verbrecher in Luzern, das die Todesstrafe kennt, abgeurtheilt wird, aber es ist nicht einmal wünschenSwerth. Er verlangt danach, daS Sckaffot zu besteigen, denn nur wenn sein Haupt fällt, ist die Gloriole des Märtyrers ihm sicher, während er bald vergessen sein wird, wenn die Pforten des Kerkers sich hinter ihm geschlossen haben. Folgende Meldungen sind noch zu verzeichnen: * Wien, 13. September. (Telegramm.) Die Kron- prinzessin-Wittwe Stephanie ist heute früh auS Darmstadt Feuilleton. Unser diesjähriges Manövergelände. Landschaftliches und Geschichtliches. Bon Hermann Pilz. Na-dnick »rrbotnl. Den Zügen der Truppen in die Manövergelände zu folgen, ist immer lohnend. Werden doch zum Manövriren immer Ge genden ausgesucht, welche sich durch Höhenzuge und Flußthäler auszeichKen, und so alle Reize der Natur besitzen, welche der Tourist sich ersehnt. Das diesjährige Manövergelände erstreckt sich östlich von Mühlberg, Riesa, Lommatzsch, Nossen bis westlich nach Pegau, Zwenkau und Markranstädt. Südlich wird es durch Frohburg, Kohren, Geithain, Rochlitz u. s. w., nördlich durch Taucha, Wurzen, Dahlen, Oschatz, was die Hauptort schaften anlangt, abgegrenzt. Es wird also das Stromgebiet der Elb« und das Flußgebiet der beiden Mulden, der Zschopau, der Pleiße, Elster und Parthe berührt. Welche Ortschaften in diesen Gebieten von den Ma- növern betroffen werden, läßt sich im Voraus nicht sagen. Aber diese Gebiete sind sowohl landschaftlich als auch geschichtlich so interessant, daß es sich wohl verlohnt, einmal eine Wanderung durch ihre Gelände zu unternehmen. Das Flußgebiet der Mulde eröffnet unS den Blick in die romantischsten Gegenden de» Sachsenlandr», in denen sich Lieb lichkeit und Anmuth mit Erhabenheit und Großartigkeit in über raschender Weise vereinigt. Nehmen wir Wurzen zum AuSgang. Das Manöverfeld begreift hier Fluren in sich, die oft genug Schauplatz heißer Kämpfe gewesen sind. Zwar war der „Wurzener Saukrieg", eine Fehde zwischen dem letzten Bischof von Meißen Johann IX. von Haugwitz und Han» von Carlowitz, nicht von weltgeschichtlicher Bedeutung, und auch bei dem „Wurzener Fladenkrieg", der im Jahre 1542 infolge verweigerter Türken steuer zwischen Kurfürst Johann Friedrich und seinem Vetter Hhrzog Moritz ausbrach, ging es unblutig her, aber um so verhängnißvoller war 1387 der „Pfaffenkrirg", sowie Ostern 1637 die von den Schweden über die Stadt verhängte Heim suchung, die fast alle Gebäude derselben einäscherte. Wurzen liegt romantisch an der Mulde hingestreckt und erhält noch besonderen Reiz durch die im Norden befindlichen Hohburger Berge, von denen schon der nächstgelegene Spitzberg eine hübsche Rundsicht gewährt, der di« große Wurzener Eiercognac-Flasche, von der aus di« Rundsicht ebenfalls nicht unbedeutend ist, keine Con- currenz machen kann. Wandert man von Wurzen aus südlich die Mulde entlang, so geht es zunächst durch Flachland, Wiesen und Felder, die aber hier und da, z. B. um Oelschlltz, wellen förmiges Terrain bilden und das nahe Porphyrgebirge des Muldenthales ankllndigen. Bei Trebsen erblicken wir den Seelingstädter Colmberg, den Katzenberg und den Hengstberg. Von Seelingstädt aus geleitet eine bequeme Straße über Beiers dorf und Hohnstädt nach Grimma. Auch hier ist das Terrain meist wellenförmig und man beherrscht von der Höhe das Thal, so daß hier verschiedentlich« Urbungen der Artillerie stattfinden. Lohnender ist natürlich der Weg am Multxnufer über Trebsen, Nerchau, Golzern, Schloß Döben nach der freundlichen Stadt „Grimmy", wie sie in alten Urkunden heißt. Bei Nerchau steigt daS Ufer schon höher an. Die auf dem Kirchberge befindlichen Wälle sind offenbar Reste einer alten Befestigung. Von Nerchau führt der Weg nach den Fabrikwerken von Golzern, während Dorf Golzern auf der Hohe liegt, so vom Thale aus unsichtbar bleibt. Beide Muldenufer steigen jetzt schnell an. Auf dem linken Ufer führt der Weg über Schmorditz nach der Deditzer Höhe, dem höchsten Punct der weiteren Umgebung Grimmas, auf dem eine trigonometrische Station errichtet ist, und von hier über Dorf Golzern nach Dorf und Schloß Döben. Bei Döben fällt da» Ufer steil ab und man erkennt hier die ganze Gebirgsbildung. Dieselbe gehört zu dem nordwestwärts vom sächsischen Mittelgebirge sich hinziehenden, nach Norden immer tiefer sich senkenden, mit Quarz und Felsspathkrystallen ge mischten Porphyrgebirge, das über Grauwacke gelagert ist. Einen prächtigen Blick in da» Thal und die gegenüberliegenden Ort schaften Böhlen und Hvhenstädt genießt man vom Zetten aus, der allerdings jetzt durch die Abholzungen gelitten hat. Ein origineller Porphyrkegel am Rande d«r Zetten wird „die Feuer esse" genannt. Da» altersgraue, imposante Schloß Döben ist ein alter Rittevsitz, auf dem 1188 Albrecht der Stolze seinen Vater Markgraf Otto den Reichen, weil er sich in der Erbtheilung benachtheiligt glaubte, gefangen gehalten haben soll. Die Burg grafen von Döben oder „Dewin" lag oft in Fehde mit den Mark grafen von Meißen. Von Döben führt ein schattiger Waldweg über den Galgenberg direkt nach Grimma, man kann aber auch über den Schomerberg nach Dorna wandern, dessen idyllischer Gasthof ein« behagliche Unterkunft gewährt. Bei Dorna bringt die Fähre aufs andere Ufer und hier erreicht man Grimma ent weder auf dem von Felsgeröll bedeckten Uferweg oder über die hochgelegenen Ortschaften Böhlen mit stattlichem Gutsschloß und Hohnstädt, dem stattlichen Dorfe, von dem aus Seume seinen Spaziergang nach Syrakus unternahm. Ein in der Nähe befind licher Thalgrund mit seltsam geformten erratischen Blöcken wird Seume's Ruhe genannt. Auch Schiller weilte 1801 in Hohn städt auf der Besitzung d«s Buchdruckereibesitzers Göschen. Vom Tempelberg oder Burgberg, einst Weinberge, führt der Weg schnell nach der Lindenpromenade Grimmas hinab. Grimma ist von allen Seiten von Höhenzügen umgeben, so daß man seiner erst in nächster Nähe ansichtig wird. Die Stadt hat eine so prächtige Lage, daß Melanchthon an Joachim Camerarius schrieb: Cullum 68t iu tino tatn hkvsiao via oppickum, in quo wkclim vivere. Ihre Bedeutung hatte die Stadt im Mittelalter, als auf dem geräumigen Schlosse die sächsischen Landesherren refidirten und Landtage abhielten. Rivalisirte es doch damals mit Leipzig und rühmte sich, daß seine Stadtmauer eine halbe Elle oder „um eines Ziegels Länge" dicker sei als die der Lindenstadt. Hinter Grimma werden die Ufer niedriger, aber ihre be- tvaldeten Höhen bieten auch hier ein stimmungsvolles Land« schaftsbild. Auf der Ostseite grüßt der Stadtwald mit dem Rabenstein herüber, auf der Westseite Gattersburg, Pulverthurm und der Nadel-Hochwald, von dem aus sich die Gefechtsübungen mehrfach bis nach dem Exercirplatz von Großbarkau hinüber er streckten. Am Fuße dies«» duftenden Hochwaldes liegt Kloster Nimbschen, aus dem einst Katharina von Bora entfloh, ihm gegenüber Höfchen, an da» sich dann Förstgen und Koffern an reihen. Im letzgenannten Orte befindet sich ein kurfürstliche» Jagdschloß mit nicht unbedeutenden Deckengemälden, das aber leider dem Verfall preisgegeben ist. Van Kloster Nimbschen führt der Weg im Walde nach Schaddel und Klein-Bothen oder der Bahnstation Groß Bothen und von hier erreicht man in etwa Z Stunde das hochgelegene Dorf Kötteritzsch mit seinem im posanten Schloß, der Perle des Dt-uldenthales. Von den Kötteritzscher Höhen aus wird schon der Colditzer Hain- d«rg und das Schloß sichtbar. Hier fließt b«i den Dörfern Groß- und Kleinsermuth die Zwickauer und Freiberger PZrlde zusammen. Es ist ein eigenartiger Naturgenuß, von der Kötteritzscher Höh« oder von der Höh« von Collmen, wohin uns ein stark aufwärts führender Pfad bringt, in das Kreuzthal der Mulden zu blicken. Auch die am jenseitigen Muldenufer gelegenen Ortschaften Schönbach, Zschatzsch, Thumirnichts und Hohnbach geben ein liebliches Bild. Auch befinden wir uns fortwährend auf bergigem Terrain und d-ie Mulde entzieht sich unseren Blicken. Wir wandern von Collmen zunächst auf Zschadras, wo sich eine Station der Colditzer Irrenanstalt befindet, und erreichen, bergabwärts wandernd, bald den mit einer chinesischen Mauer umgebenen Colditzer Thiergarten, auf dessen schattigen Waldwegen wir bis nach Colditz geführt werden. Mächtig ragt das alte Schloß, einst ein glänzender Fürstensih, auf steilem Felsen empor, jetzt eine Heimstätte der geistig Umnachteten. Die Stadt selbst macht theilweise noch einen alterthümlichen Eindruck, z. B. in der Nähe des Schloßberges und Marktes, und ist ein verkehrsreicher Ort. Aufwärts von Colditz nimmt das Muldenthal einen wild romantischen Charakter an. Man erreicht zunächst die Lostauer Mühle mit dem Burgberg, auf dem einst die Wrndenburg Titi- buzi gestanden hat und jetzt der Wettin-Thurm emporragt, der zur Erinnerung an die Wettinfeier im Ruinenstil erbaut wurde. Ueber die freundlichen Dörfer Lastau, Kralapp, Weidih, wo man über die Mulde fährt, und Poppitz erreicht man Rochlitz. Auch Rochlitz liegt mit seinem doppelthiirmigen Schloß in einem tiefen Thalkessel. Das Schloß, welches im 11. Jahrhundert «rbaut wurde, galt für uneinnehmbar, wurde indessen 1223 von Land graf Ludwig dem Heiligen erstürmt. Die Thürme des Schlosses hießen im Mittelalter die „Jupen" und man sagte im Volke: „Wer die Rochlitzer Jupen anhat, der ist vor Sonne, Regen und Wölfen gesichert." Den schönsten Anblick bietet da» Schloß von