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01-Frühausgabe Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 11.08.1898
- Titel
- 01-Frühausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1898-08-11
- Sprache
- Deutsch
- Vorlage
- SLUB Dresden
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-18980811013
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id453042023-1898081101
- OAI
- oai:de:slub-dresden:db:id-453042023-1898081101
- Sammlungen
- Saxonica
- Zeitungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
-
Zeitung
Leipziger Tageblatt und Anzeiger
-
Jahr
1898
-
Monat
1898-08
- Tag 1898-08-11
-
Monat
1898-08
-
Jahr
1898
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Di« Morgen-Av-gab« erscheint um '/,? Uh», die h.'brnd-Au-gab« Wochentag- um 5 Uhu. Re-aclion un- Erpeditio«: J»hannr»«afie 8. Die Expedition ist Wochentags ununterbrochen geöffnet von früh 8 bi- Abend- 7 Uhr. Filialen: ktt» Klemm'» Gorttm. (Alfred Hahtt^ Universitätsstratze 3 (PaulinuE-), Louis Lösche, Katharinenstr. 14, Part, und König-Platz 7. BezrrgsPrei? fn der Hauptexpedition oder den im Stadt« teLrk und den Bororten errichteten Au<- oaoestellen abgedolt: vierteljährlich ^l4L0, bet zweimaliger täglicher Zustellung ins Laus 5.50. Durch die Post bezogen für Deutschland und Oesterreich: vierteljährlich 6.—. Direkte tägliche Kreuzbandiendung in» Ausland: monatlich ^li 7.50. Morgen-Ausgabe. WpMcr Tageblatt Anzeiger. Amtsvtatt -es Königliche« Land- «nd Amtsgerichtes Leipzig, -es Mathes «n- Nslizei-Ämtes -er Ltadt Leipzig. Anzeigen-Preis ^ie -gespattrne Petitzeit« L0 Pfg. Reklamen unter demRedackionssrrich l4g«> spalten) 50^, vor den Familiennachrichte» (6 gespalten) 40/ij. Größere Schriften laut unserem Preis- onzeichnitz. Tabellarischer und Ziffernsa- aach höherem Taris. Gytrn-Vetla»«« (gefalzt), nur mit der Morgen-Ausgabe, ohne Postbesörderung vO.—, mit Postbesörderung ^ll 70.—. -— Ännahmeschluß für Iltyeigen: Abend-Ausgabe: Bormittag» 10 Uhr. Morgen-Ausgabe: Nachmittags 4Uhr. Lei den Filialen und Annahmestellen je eine Halde Stund« früher. Anzeige»« sind stet» an die Expedtttm« zu richte». Druck »nd Verlag von E. Polz ta Leipzig Ä3. Donnerstag den 11. August 1898. S2. Jahrgang. Die CabinetSordre von 1852. L2 Die CabinetSordre vom 8. September 1852 ist auch nach dem Rücktritt des Fürsten Bismarck, dem schließlich ihre Handhabung nicht mehr möglich gewesen, in Kraft geblieben. Das ist sicher. Sie konnte ihrer Natur nach auch gar nicht aufgehoben werden, denn sie beseitigen, hieße den Grund satz ausstellen, daß die Staatsverwaltung künftighin der noth- wendigen Einheit entbehren solle. Die Herstellung dieser noth- wendigen Einheit oder, wie der Ministerpräsident Graf Eulen burg sich im Jahre 1892 im Abgeordnetenhaus« auSdrückte, die Ermöglichung »eines gleichmäßigen und in gleicher Rich tung sich bewegenden Ganges der Staatsgeschäfte" ist der erklärte Zweck jener CabinetSordre Friedrich Wilhelm'» IV. Man kann diese Gleichmäßigkeit that sächlich aufbeben und daS ist ja auch seit 1890 in Preußen und im Reich gewöhnlich der herrschende Zustand gewesen. Man kann aber unmöglich erklären: Die Einheit in der Staatsverwaltung ist nicht mehr nothwendig, und das geschähe durch die Beseitigung des Inhaltes der königlichen Anordnung. Der Einwand, die CabinetSordre sei verhältniß- mäßig jungen Datums, eS müsse also auch ohne sie gegangen sein, ist hinfällig. Wir legen kein Gewicht darauf, daß kurz vor dem Jahre 1852 Preußen ein Verfassungsstaat geworden ist, denn auch der absolutistische Staat kann nur im Geiste jener CabinetSordre regiert, ordentlich regiert werden. Aber dieser Geist hat eben geherrscht, wie z. B. unter Friedrich dem Großen, oder die Regierung hat zu wünschen übrig gelassen. Nun hört man jetzt wieder, was auch schon vor acht Jahren hervorgehoben wurde, daß bis zum Rücktritt deS Fürsten Bismarck kein Mensch von der CabinetSordre ge sprochen und Bismarck selbst sie erst im Frühjahr 1890 an gezogen habe. Daraus wurde der Schluß gezogen, auch von dem damaligen Ministerpräsidenten sei ihr als einer, wie eS in Herr» Richter'S A-BC-Buch heißt, „im Laufe der Zeit ganz obsolet gewordenen" Verfügung Jahrzehnte lang keine Bedeutung beigeniessen worden und er habe sie erst auSgegraben, als er Widerstände bemerkte, die ihm auf der Nichtachtung der königlichen Anordnungen zu beruhen schienen. Wer so argumentirt, vergißt, daß es sehr viele Gesetze und Verordnungen giebt, deren Niemand Erwähnung thut, so lange nicht wider sie verstoßen Wird. An Bedeutung ver lieren sie dadurch nicht, diese wird vielmehr durch ihre still schweigende Geltung erst recht bekräftigt. Die Bedeutung der Cabmetsordre von 1852 aber erhellt aus ihrem Inhalt. Dieser lautet im Wesentlichen: „1) lieber alle Verwaltungsmaßregeln von Wichtigkeit, die nicht schon nach den bestehenden Vorschriften einer vorgängigen Be- schlußnahine des Staatsministeriums bedürfen, hat sich der betreffende Departementsches vorher mündlich oder schriftlich mit dem Ministerpräsidenten zu verständigen. Letzterem steht es frei, nach seinem Ermessen eine Berathüng der Sache im Staats ministerium, auch nach Befinden eine Berichterstattung darüber an mich zu veranlassen. 2) Wenn es zu Verwaltung-Maßregeln der an- gegebenen Art nach den bestehenden Grundsätzen meiner Genehmigung bedarf, fo ist der erforderliche Bericht vorher dem Ministerpräsidenten mitzutheilen, welcher denselben mit seinen etwaigen Bemerkungen mir vorzulegen hat. 3) Wenn ein Verwaltung-chef sich bewogen findet, mir in Angelegenheit seines Ressorts unmittelbar Vortrag zu halten, so hat er den Ministerpräsidenten davon zeitig vorder in Kenntniß zu setze», damit derselbe, wenn er es nöthig findet, solchen Vorträgen beiwohnen kann. Die regelmäßigen Jmmediatvorträge des Kriegsministers bleiben von diese: Bestimmung ausgeschlossen." Man erkennt zunächst, daß die königlichen Anordnungen die Minister keineswegs zu Commis deS CabinetchefS herab drücken. Denn einmal erstreckt sich die Beschränkung der Ressortchefs auf Gegenstände von Wichtigkeit, sodann verliert der Minister auch bezüglich solcher Angelegenheiten nicht daS Recht, dem Könige Vortrag zu halten; nur daß der Minister präsident Gelegenheit erhält, gleichzeitig der Krone einen von dem des College» abweichenden Rath zu ertheilen. Andererseits sind unter Gegenständen von Wichtigkeit nach den Einleitungsworten der Ordre solche zu ver stehen, die die nothwendige Einheit in der Regierung berühren, also dir leitenden politischen Gedanken, für die eben brr Ministerpräsident sowohl der Krone, al» dem Parlament verantwortlich ist und verantwortlich gemacht wird. Man erinnere sich nur, daß während der Amtsführung de- Fürsten Bismarck dieser und zumeist Vieser allein von der Opposition wegen aller Maßregeln, die ihr nicht behagten, angegriffen wurde und sogar weit über den Rahmen der CabinetSordre hinaus, wegen Quitquilien, über die mit dem Minister präsidenten sich zu verständigen die RefsortSchef» nicht ver pflichtet waren. Die Urheber dieser Angriffe, die jetzt in der Presse die Berufung auf eine königliche Anordnung als Borwand bezeichnen, haben auch nach Bismarck'S Abgang und »ins besondere während der Amtszeit des jetzigen Kanzler» und Ministerpräsidenten die eigentliche autoritative Stellung im Ministerium dessen Chef zugesprochen, oder richtiger sie für ihn reclamirt. Wie oft hörte und la» man, wenn wichtige Er klärungen im Parlamente von anderer Seite abgegeben wur den, als vom Präsidenten: „DaS ist Alles schön und gut, aber daS hätte Fürst Hohenlohe sagen müssen." Wie aber soll der oberste Beamte in der Regierung nach außen autoritativ auftreten können, wenn er nicht die Mittel hat, einmal zu verhüten, daß die Krone in politischen Fragen ohne ihn berathen wird, sodann die Sicherheit zu gewinnen, den klaren Willen der Krone zu erkennen, was anders al» durch unmittelbares Vernehmen nicht zu erreichen ist. ES ist der Versuch gemacht worden, die Heranziehung der CabinetS ordre von 1852 durch BiSmarck mit der von demselben Minister gegeogezeichneten CabinetSordre Wilhelm'« I. vom 4. Januar 1882 in Widerspruch zu bringen. In dieser kaiserlichen Erklärung heißt eS: „Die RegierungSacte de- Königs bedürfen der Gegenzeichnung eine- Ministers und sind, wie dies auch vor Erlaß der Verfassung geschah, von den Ministern des Königs zu vertreten; aber sie bleiben Regienmg-acte de» König», auS dessen Entschließung sie hervorgehen, der seine Willentmeinung durch sie verfassungs mäßig ausdrückt. Es ist de-halb nicht zulässig und führt zur Brr- dunkelung der verfassungsmäßigen Rechte de» Königs, wenn deren Ausübung so dargestellt wird, als ob sie von den dafür verant wortlichen Ministern und nicht vom Könige selbst auSging,. Die Verfassung Preußens ist der Ausdruck der monarchischen Tradition diese« Lande-, dessen Entwickelung ans den lebendigen Beziehungen seiner Könige zum Volke beruht. Diese Beziehungen lassen sich auf die vom Könige ernannten Minister nicht übertragen; denn sie knüpfen sich an die Person deS Königs". Wer diese Sätze versteht, wird statt der Widersprüche die volle Uebereinstimmung mit dem leitenden Gedanken der älteren CabinetSordre finden. Gerade wer so von der könig lichen Gewalt denkt, muß dafür sorgen, daß ihre Ausübung gegen Verwirrungen und vor Zweifeln geschützt ist, wie sie der Erlaß von 1852 Hintanbalten will. Und Wirren und Zweifel sind auch erst entstanden, seit nicht mehr nach dem Erlaß verfahren wird. Er existirt noch, aber lediglich al« ein Stuck Papier. Für ihn haben wir in Deutschland und Preußen schon beinahe zahllos gewordene Differenzen im Schooße der Regierung eingetauscht, sowie die Möglichkeit, daß die Oeffentlichkeit jeden Augenblick mit erdichteten Erzählungen über da« Spielen von ministeriellen Minen und Gegenminen beunruhigt werden kann. Noch heute weiß Niemand gewiß, wie Fürst Hohenlohe über da» Recke'sche Vereinsgesetz, die Verschärfung de» Margarinegesetzes durch den Reichstag und andere Dinge von Wichtigkeit gedacht hat, eine Unsicherheit, die bei der Handhabung der CabinetS ordre ausgeschlossen wäre. Ein Gespräch mit Mommsen. Ein Mitarbeiter der „N. Fr. Pr." hat in den letzten Tagen Theodor Mommsen besucht und berichtet über den Inhalt seine» Gespräche» u. A. Folgendes: „Bei der studentischen BiSmarck-Trauerseier in Berlin war Mommsen, der weißhaarige Denker, der Doyen und der Ruhm der Universität Berlin, der Gegenstand der allgemeinen Aufmerksamkeit. Theodor Mommsen, dem großen Kritiker alter und neuer Zeit, wird nicht Alle» gefallen haben, wa» Adolph Wagner sprach, der Routinier der Rede, der Panegyriker, der Mann deS „Hurrah", wie ihn einer unserer Freunde nannte. Und doch, wie andächtig horchte er, als der National - Oekonom die Gedenkrede hielt. Ich hatte Mommsen seit Januar nicht gesehen. Er hat sich either nicht verändert, ist trotz seiner fast 81 Jahre munter ind frisch. Daß sein Geist nichts an Elasticität verloren, ollte ich bald erfahren. Unser Gespräch bewegte sich selbst verständlich um den großen Tobten Deutschlands, berührte aber die meisten politischen Fragen, die jetzt in der Luft liegen. Alle Welt sprach gerade von der Spannung zwischen der Familie deS Verstorbenen und dem Kaiser. Mommsen bemerkte dazu: „Kein Zweifel — da« Temperament Bis marcks wirkt da auch noch Uber den Tod hinaus. Er war mit Groll geladen, und so auch ist er gestorben. Die acht Jahre von seiner Entlassung an bis zu seinem Tode waren ausgefüllt von Groll und Verbitterung. Es war also ganz im Geiste de« Verstorbenen, daß man nach seinem Ableben sein Entlasiungsgesuch veröffentlichte." „Glauben Sie, Herr Professor, daß rin dauerndes Zu sammenwirken deS jungen Kaiser» mit dem Fürsten Bismarck möglich gewesen wäre?" „Warum nicht? Ich kann mir Wohl denken, daß ein Nebeneinanderleben Kaiser Wilhelm'S II. und Bismarck'S hätte statthaben können. Bismarck hätte Wohl sich in Manches fügen gelernt und der Kaiser hätte, ohne den Kanzler all mächtig sein zu lassen, sich weiter der Dienste deS großen Staatsmannes bedienen können. Er bat Großes für Deutsch land gethan. Er war zum Staatsmann gemacht. Kein großer Staatsmann, der nicht zugleich den Despoten und de» Re volutionär in sich vereint! Er war Beides. Kein Glück aber war eS, daß sich durch einige Zeit in einer Person allein die Macht Deutschlands concentrirte. Weil bei ihm alle Ge walt ruhte, mußte es kommen, daß nach seinem Rücktritte Deutschland in Europa schwächer geworden schien. Man muß gerecht seinem Andenken gegenüber sein. Auch rls er am Ruder stand, war wohl Deutschland führen^ doch eine Diktatur über die Welt hat eS nicht grübt ulll- nicht üben wollen. Von selbst ergab sich auS den gros^ Erfolgen», die Bismarck geerntet hatte» der Respekt Europas vor Deutsch land, und so rief man auch die Entscheidung Deutschlands und seines Reichskanzlers an in Dingen, die uns eigentlich nichts angingen. War es etwa ein Glück für uns, daß man 1878 den Congreß zur Beilegung der orientalischen Dinge in Berlin abhielt? Von dem Berliner Congreß datirt die Verfeindung Deutschlands mit Rußland. . . ." Wir kamen auf die Memoiren Bismarck'S zu sprechen. Mommsen meinte, sie könnten von größtem Interesse sein, wenn etwa Bismarck darin Deutschlands Beziehungen zu Rußland behandelt hätte. Vielleicht hat da manche In diskretion, die BiSmarck nach dem Ausscheiden auS dem Amte begangen, noch ihre weitere dokumentarische Aus gestaltung gefunden. Wie wäre eS, meinte ich, wenn sich die deutsche Regierung veranlaßt sähe, mit Rücksicht auf zu weitgehende Enthüllungen den Verkauf dieser Memoiren zu inbibiren? Mommsen fürchtet dies keineswegs, wenngleich er sich nicht verhehlt, daß auch in diesen Memoiren der Groll die Feder geführt haben könnte. Bismarck sei eben eine durchaus rücksichtslose Natur gewesen. Wer aber vermöchte dem Genie vorzuschreiben, wie es sich äußere? Bei Bismarck war die Entrüstung natürlich. Mit Einem Ruck ward er auS allen Aemtern herauSgerissen. Der Thätigste ward zur Unthätigkeit, der Mächtigste zur Ohnmacht verdammt. Soll cs wundern, wenn sich nun in seinen Memoiren sein Temperament Luft machte? Man hatte eS in Berlin viel besprochen, daß BiSmar^ ein so großes Vermögen hinterlassen. Die Schätzungen schwankten zwischen zehn und sechzig Millionen. Mommsen berührte auch dieses Moment. Er sagte: „In dieser Rich tung soll man an Bismarck'S Andenken nicht mäkeln. Ich habe die feste Ueberzeugung, daß er stets correct gewesen. Er war durchaus unbestechlich. Wie er aber Vermögen gemacht hat? Er übernahm von seinem Vater Güter in zerrüttetem Zustande und brachte sie zur Blüthe. Er war eben ein Meister auch in der Verwaltung seines Besitzes. Er zog Reichthiimer aus seinen Wäldern, versendete daS Holz, das er in denselben schlug, in alle Welt. Man soll cs auch nicht tadeln, daß er eS als Minister nicht verschmähte, seine Güter durch seinen Einfluß zu heben. Es handelte sich einmal um einen Eisenbahnbau in Pommeru. Die Trace der projectirten Bahn führte an Varzin vorbei. Eine Depu tation begab sich zu BiSmarck mit der Bitte, die Bahn möchte anders tracirt werden. Der Fürst erwiderte: „Soll e» mir vielleicht unlieb sein, daß mein Varzin durch die Bahn ge winne?" Auch darin finde ich kein Haar, daß die Bankiers, bei denen Bismarck seine Gelber in Verwahrung hatte, für ihn mit Glück speculirten." Wir kamen von BiSmarck auf die Gegenwart, aus Oester reich und Deutschland insbesondere. Mommsen findet die Lage in Oesterreich trostlos. Er besorgt, daß der Ministerpräsident Graf Thun bereits alle Vollmachten zu deutschfeindlichen und reactionairen Maßnahmen in der Tasche habe. Und dann fuhr er fort: „Ja, seit 1866 bat ich das Schicksal der Deutschen in Oesterreich zum Schlechten gewendet. Vorläufig besteht wenigstens noch Oesterreichs Allianz mit Deutschland. Ich zweifele aber keinen Augen blick, daß diese Allianz wie die Tripel-Allianz überhaupt in Trümmer gehen muß, wenn der Slawisirungsproceß in Oesterreich fortdauert." „Haben Sie, Herr Professor, von den Reden bei der Prager Palacky-Feier gehört, in welchen der Kreuzzug aller Slawen gegen alle Deulschen gepredigt ward?" „Gewiß, wenn es nach dem Willen der Panslawisten ginge, so müßte Deutschland zertrümmert werden. Ein slawi- sirteS Oesterreich wäre der natürliche Verbündete Frankreichs, vereinigt mit diesem auch in dem Wunsche, Deutschland zu zertreten. Doch gesetzt den Fall, es komme eines Tages ein französisch-russisch-österreickischer Dreibund zu Stande. Die Hauptrolle darin wäre jedenfalls Rußland Vorbehalten. Von Rußland aber droht, wie ich meine, Deutschland keine Gefahr. Es giebt in Rußland Panslawisten', doch die russische Regierung ist keineswegs panslawistisch und führt nicht die Dcmüthigung oder Vernichtung Deutschlands im Schilde. UebrigenS ist unsere auswärtige Politik in guten Händen. Ich habe von Bülow'S Begabung die höchste Meinung. Ich würde mich herzlich freuen, wenn dieser staats kluge, feingebildete und aufgeklärte Mann «inst berufen wäre, das Ruder in Deutschland in die Hand zu nehmen. Durch seine Reden im Reichstage hat er sich bei dem deutschen Volke ausgezeichnet eingrführt. Seit Bismarck hat man nicht mehr so staatsmännisch sprechen gehört." „Wie denken Sie über die deutschen Flottenpläne?" „Um offen zu sein, ick mein», für uns ist die Marine nur Sport. Ich sage also: Die Marinepläne sind Sport, nicht etwa Dummheit. Wir brauchen die Marine, um für unsere überseeischen Handelsintcressen zu demonstriren. Also einen demonstrativen Charakter soll unsere Marine baben, aber Welteroberung steht unserem Sinnen fern. Eine Flagge brauchen wir auf den Meeren — es ist aber recht gleichgiltig, wie viel Kanonen dahinter stecken." „In England aber imputirt man den Deutschen Er oberungsgelüste." „Dir Engländer glauben selbst nicht, daß sie eS glauben." „Man wirbt in England jetzt ein wenig um die Freund schaft Deutschlands. Glauben Sic an die Möglichkeit einer Allianz zwischen Deutschland und England?" „Diese Werbungen nimmt man bei uns mit einigem Hohn auf. Die Amerikaner freilich haben für englisches Liebeswerben noch mehr Hohn. Ich glaube nicht an das Zustandekommen cincs Bundes zwischen Engländern und Amerikanern, noch weni ger aber an eine große germanische Allianz, welche die Anglo sachsen und die Deutschen in sich schließen würde. Die Engländer freilich könnten Bundesgenossen brauchen, da sic von Russen und Franzosen bedroht werden. Wer aber wird sich dazu hergeben, ihre Geschäfte zu besorgen? Eher, meine ich — und hier glitt ein sardonisches Lächeln über Mommscn's Gesichtszüge und cr sprach es halb erst, halb scherzend — eher, meine ich, könnten sich ein mal Frankreich, Deutschland und Rußland vereinigen, wie sie das britische Reich auftheilen. Frankreich etwa reißt Egypten, Deutschland das Capgebiet und Rußland Indien an sich. . . ." Bei dem vielen Ungereimten, daS das Gespräch entbält, wird man die Verantwortung dem Interviewer überlassen Autobiographisches von Theodor Fontane. In dem vor einigen Jahren erschienenen Bande „Meine Kinderjahre" hatte Fontane seine Jugendzeit bis zu seinem 12. Jahre behandelt. Der jetzt veröffentlichte neue Band *) einer Autobiographie beginnt zwar mit dem 20. Jahre, greift aber mehrfach auf die dazwischen liegend« Zeit zurück, so daß keine Lücke in den Erinnerungen zu spüren ist. Das Schwer gewicht des Buches fällt auf das vormärzliche Jahrzehnt mit seinem Reichthum an originellen Persönlichkeiten und geistigen Gährungsstoffen. lieber eine erstaunlich« Menge von bekannten Persönlichkeiten weiß Fontane fesselnd zu erzählen, wir nennen nur dir Namen Max Müller (Oxford), Moritz von Strachwitz, Paul Heyse, Theodor Storm, Georg Hesekiel, Franz Kugler und Louis Schneider; ihnen sind ganze Capitel gewidmet. Bon großem Interesse sind auch die Rückblicke auf das Leben und Streben jener wunderlichen Zeit und auf deS Dichters eigene Erlebnisse, auf seine Lehr- und Wanderfahrt. Unsere Leipziger Leser werden naturgemäß mit besonderer Antheilnahme Fon- tane's Erlebnisse in Leipzig verfolgen, wo er den Mnter 1840 bis 1841 als Provisor in der Neubrrt'schen Apotheke, Hain straße, verlebte. Fontane war von Hause au» Apotheker, un beschadet seiner dichterischen Versuch«, die sich damals schon nicht auf Gedicht« beschränkten, sondern auch Epen und Dramen ») Th. Fontane, Bon Zwanzig bi« Dreißig. Verlag von F. Fontane St E». Prei» 8 Ä. zu Tage förderten. Auch als Mtglied der Lenau-Gesellschaft und des Platen-Clubs beanspruchte unser Autor damals schon eine Anwartschaft auf die Unsterblichkeit. Bei seiner Ankunft in Leipzig hatte Fontane, den Gepäck träger, der in gutem Sächsisch den Führer machte, neben sich, den „echtesten und schönsten Theil von Leipzig, die Grimmaische Straße und den Rathhausplatz" zu pafsiren. „Ich war ganz be nommen", so heißt e» dann weiter, „und möchte behaupten, daß, soweit Architektur und Städtebild in Betracht kommen, nicht wieder in meinem Leben einen so großen, ja komisch zu sagen, einen so berauschenden Eindruck auf mich gemacht hat wie dieser in seiner Kunstbedeutung doch nur mäßig «inzuschätzend« Weg vom Pifft- und Universitätsplatz bis in di« Hainstraße. Di« Sache findet darin ihre Erklärung, daß ich, außer einer Anzahl märkischer und pommerscher Nester, bis zu jener Stunde nicht» kannte wie unser gutes Berlin, das mir von allen echten Ber linern immer ak» der Inbegriff städtischer Schönheit geschildert worden war. Und nun! welcher Zusammenbruch. Es gereicht mir noch in diesemAugenblick zu einer gewissenEitekkeitsbefriedigung, daß mein künstlerisches Gefühl angesichts de» Neuen oder rich tiger des Alten, wa» ich da sah, sofort gegen da» Dogma vom „schönen Berlin" revoltirte und instinetmäßig weg hatte, daß Städteschönhrit wa» Andere» ist al» gerade Straßen und breite Plätze mit aus der Schachtel genommenen Häusern und Bäumen. Seitdem hat sich freilich Diele» gebessert, aber hier fehlt auch jetzt noch, individuelle» Leben. Wir ahmen nach. Nur di« Schachtel, au» der genommen wird, ist etwa» größer, reicher und bunter geworden. Originelle», wie selten!" Fontane'» Einzug in da» N«ub«rt'sche Haus war minder erfreulich, denn der Principal liebt« kein« Intimität mit dem Personal, und so bekam ihn auch sein Gehilfe vorläufig nicht zu sehen. Di« Beschreibung, di« Fonteme dann von seiner Dach kammer giebt und dem Hofe, den er zu passiren hatte, wirb ältere Leipziger Einwohner gewiß anheimeln; auch dem jungen Provisor flößte all« Dunkelheit und alle Enge kein Mißbehagen ein. „Es lag in meiner Natur, mich von diesen Dingen mehr angeheimelt als abgestoßen zu fühlen. Alles Krumme und Schiefe, alles SchmustriHe, alles grotesk Durcheinandergeworfrne hat von Jugend auf einen großen Reiz auf mich ausgeübt." So steht es denn in ihm fest, daß es ihm in Leipzig gut gehen würd« — „und es ging mir auch gut!" so bekräftigt er diese Er innerung. Nach der Beschreibung des Principals und seiner Familie, di«, wie schon erwähnt, keinen intimeren Verkehr mit dem Geschäftspersonal liebten, kommt Fontane auf das Rosen thal und seine beiden Vergnügungslocal« Bonorand und Kintschy zu sprechen. Er hielt es mit letzterem und brachte hier fast jeden Sommermorgen mit Journallesen zu. Als dann aber der Herbst kam, unternahm er weitere Wanderungen, nach Gohlis und Möckern, Connewitz und Stötteritz, Liebertwolkwitz, Markkleeberg und Wachau, um das Völkerschlachtfeld kennen zu lernen. Besonders der Spaziergang Markkleeberg - Wachau machte einen gewaltigen Eindruck auf ihn. „Ich sehe noch den Luftton, d«n Abendhimmel und die Blätter, di« der Westwind die lange Pappelallec hinauffrgte, und weil mich damals außer meiner Schlachtfeldbegeistrrung auch das in etwas kindlicher Form auftretende Verlangen nach deutscher Freiheit erfüllte, so macht« sich's ganz natürlich, daß ein an jenem Marschtage ge borener Lieder-CykluS den ganzen, in einem unausgesetzten Freiheitsruf erklingenden Nachmittag, über das blos Be schreibende hinaus, auf «ine „höhere Stufe" hob. In dem Lieder-Cyklus heißt es: „Bus Leipzigs Schlachtgefilden Ich heut' gewandert bin, Da- fallende Laub der Bäum« Tanzt« vor mich hin. Der Herbst muß von den Bäumen Tie Blätter mahn und wehn, Wenn wir den neuen Frühling In Blüthen wollen sehn Ei« Herbst hat hier genommen Des deutschen Landes viel, Wann wird der Frühling kommen Für den es freudig fiel?- Des Weiteren erzählt Fontane dann, wie ähnliche Fragen und Betrachtungen an jenem Nachmittag mit der wechselnden Scencrir beständig wiederkehrten. Ein großer Dorfkirchhof ließ ihn denken, daß Deutschland ein größerer sei, und als er bald danach in Markkleeberg einem Hochzeitszugr begegnet«, dichtete er flugs: „Durchglüht von heiligem Feuer, O schön«, hehre Zeit, Hat Deutschland um die Freiheit Hier ritterlich gefreit. Doch hat sein Lieb gesunden Nur wen der Tod gefreit — Den Wunden und Gesunden Blieb fern wie je di« Braut." Bei längerem Aufenthalt« in Leipzig verlangte es Montane dann auch nach „litterarischcn Beziehungen". Er fand dies«, als der Leipziger Schillervrrein eine Schillerweste erstanden hatte, die dem Schillermuseum «inverleibt wurde. Davon machte man seiner Meinung viel zu viel Aufhebens, und er schrieb in Folge dessen ein kleine» Spottgedicht ni«d«r, da» im „Leipzig«! Tage-
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