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01-Frühausgabe Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 27.06.1898
- Titel
- 01-Frühausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1898-06-27
- Sprache
- Deutsch
- Vorlage
- SLUB Dresden
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-18980627014
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id453042023-1898062701
- OAI
- oai:de:slub-dresden:db:id-453042023-1898062701
- Sammlungen
- Saxonica
- Zeitungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
-
Zeitung
Leipziger Tageblatt und Anzeiger
-
Jahr
1898
-
Monat
1898-06
- Tag 1898-06-27
-
Monat
1898-06
-
Jahr
1898
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»VezugS'PretS in Irr Hauptexpedition oder den im Stadt bezirk und den Vororten errichteten Aus- aaoestellen ab geholt: vierteljährlich^ 4.50, bei zweimaliger täglicher Zustellung ins Haus 5.50. Durch die Post bezogen für Deutschland und Oesterreich: vierteliährlich 6.—. Directe tägliche Kreuzbandiendung inS Ausland: monatlich 7.50. Die Morgen-AnSgabe erscheint um '/,7 Uhr. die Abend-Ausgabe Wochentags um 5 Uhr. Redaction und Expedition: IohanneSgasse 8. Dir Expedition ist Wochentags ununterbrochen geöffnet von früh 8 bis Abends 7 Uhr. Filialen: ktto Klemm's Sortim. (Alfred Hahn), Universitätsstraße 3 (Paulinum), Louis Lösche. Katharinenstr. 14, Part, und KönigSplatz 7. Morgen - Ausgabe. WWM Tageblatt Anzeiger. Amtsblatt des Königlichen Land- nnd Amtsgerichtes Leipzig, -es Natljes und Notizei-Amtes der Ltadt Leipzig. ^°31S. Montag den 27. Juni 1898. Anzeigen.PreiS die 6 gespaltene Petitzeile 20 Pfg. Reclamen unter dem RedactionSftrich (4ge» spalten) 50^, vor den Familiennachrichte» (6 gespalten) 40^. Größere Schriften laut unserem Preis- verzeichniß. Tabellarischer und Ziffernsatz nach höherem Tarif. Extra-Beilage» (gesalzt), nur mit der Morgen - Ausgabe, ohne Postbeförderung ^l 60.—, mit Postbefördernug ^l 70.—. Annahmeschluß für Anzeigen: Ab end-Ausgabe: Vormittag» 10 Uhr. Margen-AuSgabe: Nachmittags 4Uhr. Lei den Filialen nnd Annahmestellen je eine halbe Stunde früher. Anzeigen sind stets an die Erpedtttan zn richten. Druck und Verlag von L Polz tu Leipzig. 92. Zahrgang. Amtlicher Theil. Die Arbeiten einschlietzlich Materiallieferung zur Ver längerung bezw.ilSrhöhnng der Flügelwällc aus dem Schul- schicszttande zu Borna sollen Montag, den 4. Juli 18S8, Vormittags 11 Uhr, im Geschäftszimmer des Unterzeichneten, in der Kaserne des 107. In fanterie-Regiments in Leipzig-Möckern, Mannschastsgebäude L, ver geben werden, woselbst auch die Verdingungsunterlagen rc. zur Ein- sicht bezw. Entnahme gegen Erstattung der Selbstkosten ausliegen. Zuschlagsfrist 4 Wochen. Angebote mit entsprechender Aufschrift sind versiegelt und ge bührenfrei bis zu obigem Zeitpunkte einzureichen. Der König!. Garnison-Baubeamte 11 Leipzig. Städtebilder aus Sachsen. Crimmitschau. Nachdruck verboten. III. (Schluß.) Der Bodcn in der Umgebung Crimmitschaus ist fruchtbar, dies gilt insonderheit von der Pleißenaue. Auf den Höhen findet man hauptsächlich Sand, Thon und Kalkstein, die Kalk brennerei hat sich daher eingebürgert und ist so leistungs fähig, daß sie nicht nur den Ortsbedarf befriedigen kann, sondern auch noch ein ganz ansehnliches Quantum nach auswärts ver frachtet. Ein Rundgang durch die Stadt bietet des Interessanten mancherlei. Der Reisende, der vom Bahnhof her die Stadt betritt, erblickt zunächst den mit freundlichen Anlagen ge schmückten Postplatz, auf dem sich das K r i e g e r d e n k m a l erhebt. Durch die Bahnhofsstraße gelangt er in die innere Stadt, dabei überschreitet er die Albert brücke, eine von der vier eisernen Brücken, die den äußerst lebhaften Verkehr zwischen dem linken und rechten Pleißenufer vermitteln. Von der Albertbrücke ab mutz er die alte Badergasse durchwandern, um an den Marktplatz zu gelangen. Hier fesselt vor allen Dingen der imposante Rathhausbau sein Auge. Die Geschichte des Crimmitschauer Rathhauses ist interessant, giebt sie doch einen Rückblick auf die so wechselvollen Schicksale der Stadt. Der Tradition nach soll das erste Rathhaus 1010 er baut worden sein, zerstört ward es 1430 bei dem Einfall der Hussiten, wobei auch sämmtliche ältere Urkunden verloren gingen. Nach seinem Aufbau ward es bereits 1450 im sächsischen Bruder kriege wieder zerstört, auf den Brandmauern ward ein dürftiger Neubau aufgeführt, der 1499 wegen Baufälligkeit wieder ab gebrochen werden mußte. In diesem Jahre ward ein neues Rathhaus aus Steinen aufgeführt, das der Stadtverwaltung bis 1771 diente. Ueber hundert Jahre entsprach dieser Bau den Bedürfnissen der Stadt, der großartige Aufschwung in den letzten zwanzig Jahren aber forderte es, daß ein Um- und Er weiterungsbau erfolge, er ward in den Jahren 1891/92 mit einem Aufwande von 156 333,72 ausgeführt. Das Project zum Um- und Neubau hat der königliche Baurath Herr Arwed Roßbach aus Leipzig ausgearbeitct, dem auch die Leitung des von den ortsangesessenen Gewerken ausgeführten Baues über tragen wurde. Den Stadtverordnetensaal des neuen Rathhauses schmückt ein von einem früheren Stadtverordnetenvorsteher der Stadt geschenktes und von Herrn Maler Rödig in Dresden ge maltes Bild Sr. Maj. des Königs Albert von Sachsen. Auf dem Marktplatze erhebt sich ein Monumental-Brunnen. Die Mitte desselben schmückt eine Bronzestatue, eine Spinnerin darstellend, welche die Crimmitschauer Industrie versinnbildlicht. Das Standbild ist der Stadtgemeinde aus den Mitteln des sächsischen Kunstfonds gewährt worden; der Brunnen selbst ist eine Schenkung des größten Wohlthäters von Crimmitschau, des verstorbenen Buchdruckereibesihers Carl August Thieme. In nächster Nähe des Marktplatzes liegt der Kirchplatz; hier erhebt sich die in rein gothischem Stile ausgeführte St. Lauren- iiuskirche. Einer altehrwürdigen (Überlieferung zufolge soll diese Kirche schon 1010 erbaut worden sein, aus Urkunden aber geht hervor, daß sie bereits vor 1222 bestanden haben muß, denn in einer bischöflichen Urkunde aus diesem Jahre wird der Pfarrkirche des heiligen Lorenz in der Stadt Crimmitschau zuerst Erwähnung gethan. Die Laurentiuskirche war ur sprünglich im romanischen Stile ausgeführt, um 1350 ward sie im gothischen Stile umgebaut. Dieselbe ward im Hussiten kriege zerstört, 1470 wieder aufgebaut und 1513 um das ge räumige Schiff erweitert. Im Jahre 1893 trat der Kirchen vorstand einer Erneuerung der altehrwürdigen Kirche näher und beauftragte den wohlbewährten Leipziger Kirchenbaumeister Julius Zeißig mit der Anfertigung der Pläne und der Leitung des Renovationsbaues. Am 9. April 1896 begannen die Re novationsarbeiten, bereits nach achtmonatiger Thätigkeit waren dieselben zur höchsten Zufriedenheit aller Betheiligten vollendet. D.ie Kirche hat 1000 Sitzplätze, der Umbau mit allen Schen kungen beanspruchte eine Summe von 170 000 Besonders sehenswerth sind die Glasmalereien, die von Professor G: ges in Freiburg im Breisgau ausgefiihrt worden sind. Am Kirchplatze erheben sich das neuerbaute Pfarrgebäude, das Archidiaconat. Die stattliche Realschule, die nach den Plänen des Herrn StadtbauinspectorsRichter erbaut wurde und am 19. Mai vorigen Jahres geweiht Ward, befindet sich an der Lindenstraße. Der Gesammtflächenraum des Schulgrundstückes umfaßt 4116 Quadratmeter, so daß der Neubau ringsum von Gartenanlagen umgeben werden konnte. Die Bausumme stellte sich auf 152125 <^. Die Realschule liegt in dem vornehmsten Theile Crimmitschaus, die zahlreichen prächtigen Villen geben dem Stadttheile einen vornehmen, großstädtischen Charakter. In der Nähe befindet sich auch der Kaiser platz, der mit Anlagen versehen ist. Auf dem Taubenmarkte erhebt sich das Kaiser-Wilhelm- Denkmal, das nach den Entwürfen des Leipziger Künstlers Herrn Arthur Trebst ausgeführt ward; die ansehnlichen Mittel hierzu wurden durch freiwillige Beiträge patriotisch gesinnter Bürger aufgebracht. Gegenüber dem Denkmal befindet si> das Wahrzeichen Crimmitschaus, es besteht aus einem viereckigen Thurme, der aus grauer Vorzeit stammt, an ihn schließen sich noch Theile der vormaligen Stadtmauer. Wie schon aus dem Vorstehenden zu ersehen, ist die Stadt verwaltung stets darauf bedacht gewesen, inmitten der Straßen züge freie Plätze und Anlagen zu schaffen. Dies hat sie auch in neuester Zeit mit Unterstützung der national gesinnten Bürger schaft bethätigt. Um dem Ehrenbürger von Crimmitschau, dem Altreichskanzler Fürsten Bismarck, für kommende Geschlechter ein bleibendes sichtbares Gedenkzeichen zu schaffen, erwarb die Stadtgemeinde von der Kirchgemeinde das Areal des alten Friedhofes, welches 16 000 qm groß ist, um es in einen Stadt park umzuwandeln. Zu Ehren des Fürsten Bismarck soll diese neue Anlage „Bismarckhain" genannt werden. Zur Aus schmückung derselben stehen dem Rathe 19 000 zur Verfügung, die durch freiwillig gewährte Beiträge der Einwohnerschaft zu sammengeflossen sind. Um geeignete Entwürfe zur Ausführung des Planes zu erhalten, erließ der Rath durch Vermittelung des Vereins deutscher Gartenkünstler ein Preisausschreiben, worauf 39 Entwürfe eingingen, von denen drei prämiirt wurden. Der hauptsächlichste Erholungspunct der Crimmitschauer Einwohner ist der Sahnpark, ein liebliches Stück Erde, das von dem Sahnbach durchflossen wird. Er umfaßt eine Fläche von 26 Ua 67,9 g. Der Sahnpark oder der „Sahn", wie er meist genannt wird, bildete in seinen früheren Zeiten den Waldtheil eines Gutes, des „Kitschergutes", das 1558 Hans von Kitscher um 2000 Gulden an den Rath von Crimmitschau verkaufte. Bis in die letzten Jahre sah man den Sahnpark als finanzielle Erwerbsquelle an, davon ist man jetzt abge kommen, denn die städtischen Körperschaften sind eins in dem Gedanken, daß der Sahnpark vor Allem ein Erholungsort sein soll. In der Mitte des Sahnparkes liegt ein der Neuzeit ent sprechend eingerichtetes Restaurant, „das Forsthaus"; auch be^ finden sich im Parke drei größere Teiche, von denen der eine eine Badeanstalt für Frauen und eine solche für Männer enthält. Auch die weitere Umgebung Crimmitschaus bietet Gelegenheit zu angenehmen und lohnenden Ausflügen. Die in der Nähe liegenden Ortschaften Dänknih, Mosel, Blankenhain, Grimberg und Gosel werden wegen ihrer reizenden Lage vielfach von Spaziergängern ausgesucht, ebenso das idyllisch gelegene Dorf Ponitz; einen besonderen Anziehungspunct bildet auch Schloß Löbichau mit seinem Parke. Die dreiviertel Stund, von der Stadt entfernte Schweinsburg bietet dem Alterthum- freundc vieles Interessante, noch führt eine steinerne Brücke über den Wallgraben und der mit dem Namen „Stecherei" be zeichnete Ort ist der Turnierplatz. Die gesammte Einrichtung der Schweinsburg erinnert an längst entschwundene, vergangene Zeiten. Von den kommunalen Einrichtungen Crimmit schaus erfreut sich besonders dasSchulwesen einer besonderen Fürsorge der Bürgerschaft und des Rathes; dasselbe ist nach Möglichkeit den gewerblichen Verhältnissen der Stadt angepaßt. Die Realschule entwickelte sich aus der 1868 errichteten höheren Knabenschule und erlangte Ostern 1872 das Recht zur Ausstellung des Zeugnisses für den einjährig-freiwilligen Mili- tairdienst. Am 19. Mai 1897 bezog diese Anstalt ein neue?, zeitgemäßes Heim. Die höhere Mädchenschule ward 1875 errichtet, sie umfaßt sechs aufsteigende Classen, in den ersten zwei Jahren werden die Schülerinnen, die in die höhere Mädchenschule eintreten wollen, in der mittleren Mädchenschule unterrichtet. Neben der mittleren Bürgerschule besteht noch eine einfache Knaben bürgerschule und einfache Mädchenbürger schule. Mit der Mädchenbürgerschule ist seit Ostern 1897 der H a u s h a l t u n gs u n t e r r i ch t als obligatorisches Unter richtsfach verbunden. Der Haushaltungsunterricht soll die Mädchen befähigen, später einen einfachen Haushalt zu führen und durch diesen rein praktischen Zweck dem allgemeinen Er ziehungsziele dienen. Er ist in seiner Eigenart besonders dazu angethan, erziehend auf die Mädchen einzuwirken, sie zu den Tugenden der Höflichkeit, der Sauberkeit, des Fleißes, der Sitt samkeit, der Ordnungsliebe, der Sparsamkeit anzuhalten. Die Anregung zu dieser weiteren Ausgestaltung des Mädchenunter richts verdankt die Schule der Hochherzigkeit eines Bürger-, der laut Stiftungsurkunde vom 1. Januar 1895 dem Stadt rathe zur Errichtung der Haushaltungsschule und zu Unter stützungszwecken die Summe von 30 000 überwies. Die Haushaltungsschule besitzt ein für ihre Zwecke eigens herge richtetes eigenes neues schönes Heim, das nach den Plänen des Herrn Stadtbauinspector Richter hier im Jahre 1896 errichtet ward. Die allgemeine Fortbildungsschule zählte im Schuljahre 1897/98 ca. 300 Schüler, diese waren in 12 Classen vertheilt; außer der allgemeinen Fortbildungsschule bc steht in Crimmitschau noch eine Handelsschule, eine Webschule und eine gewerbliche Fortbildungs schule. Die Webschule ward 1863 gegründet, seit 1886 ist eine A p p r c t u r s ch u l e mit ihr verbunden. Fsttilletsn» Ein Sonntag in Christiania. Von Bertha Framholtz (Berlin-Schöneberg). Nachdruck verboten. „Weißt Du ganz genau, daß in Norwegen das ewige Smörgasbord - Essen aufhört?" fragte ich mißtrauisch meinen Mann. „Das weitz ich ganz genau", entgegnete er, „in Christiania wird dinirt wie in jeder anderen Grohstadt und außerdem giebt's dort auch keinen schwedischen Punsch mehr." „Nun, dann ist's gut, dann wollen wir morgen fahren", stimmte ich zu, denn von dem unausgesetzten Smörgasbord*) hatte ich Magendrücken bekommen und das Gratis-Aquavit- trinken hatte bei meinem Mann einen ganz bedenklichen Hang zum Feuchten hervorgerufen. Außerdem ging mir der sützliche Punschgeruch, der gleich einer Wolke über Stockholm schwebte, gar nicht mehr aus der Nase. Nun hatte ich aber von dem Eisenbahnfähren in und durch Schweden schon etwas gelernt. Speisewagen werden in die Züge nicht eingestellt; an den Stationen, wo längerer Aufenthalt ist, stürmen die Eingeborenen den Speisesaal und haben im Handumdrehen die aufgestapelten Vorräthe vertilgt, so daß für den bescheidenen Fremdling nichts mehr übrig bleibt, — dieser hat also die beste Aussicht darauf, langsam zu verschmachten, denn unter einer zwölf- bis fünfzehnstündigen Fahrt geht's selten ab. Ich kaufte mir daher einen schwedischen „Eßkober" und ließ denselben im Hotel Rydberg mit belegten Brödchen und einigen Flaschen Bier füllen. Auch ein Fläschchen Aquavit ließ ich hineinpacken, — natürlich zum ausschließlichen Gebrauch für meinen Mann! Sonnabend gegen Abend fuhren wir los: da kamen wir Sonntag früh gegen acht in Christiania an und hatten den ganzen Tag vor uns. In Schweden sind die Wagenabtheile niemals überfüllt; wo sollen denn auch die Reisenden Herkommen in einem Lande, in dem man stundenlang fahren kann, ohne auch nur die kleinste Holzhütte zu erblicken? Da machten wir's uns bequem, und schon nach kurzer Zeit langte mein Mann den „Eßkober" herunter. Wir speisten mit dem besten Appetit, denn das Zurechtmachen von Brödchen haben die Schweden nun einmal heraus. Das Bier war auch bald getrunken, und als mein Mann das Fläschchen Aquavit erblickte, verklärte ein freudiger Schimmer sein so wie so schon sanft geröthetes Gesicht. Bedächtig goß er ein Gläschen ein und schlürfte es hinunter. „Hm", schmunzelte er und streichelte behaglich die Gegend seines mittleren Menschen, in der der Magen liegt. Dann nahm er noch ein Gläschen, noch eins . . . Dreimal hörte ich sein langgedehntes „Hmmm", dann ertönte ein Geräusch, als ob wir uns einer Sägemühle näherten. Ich horchte hoch auf, aber als der Zug mit unverminderter Geschwindigkeit dahin sauste, blickte ich auf meinen Mann. Der hatte sich in eine Ecke gedrückt, schlief den Schlaf des Gerechtem und schnarchte dazu ein Quartett. . . . Was sollte ich da machen? Ich drückte mich auch in eine Ecke und schlief ebenfalls. — — — „Charlottenborg, — Charlottenborg!" riefen die Schaffner aus. 1 Kleine belegte Butterbrode, di« in Schweden gebräuchlichste Kollation. „Huah", machte mein Mann und rieb sich den Schlaf aus den Augen. Auch ich wachte auf: Die Sonne warf ihre ersten Strahlen auf die thaufrischen Gräser und ließ die spiegelglatte Fläche des nahen Sees in rosigem Lichte erglühen. „Das ist die letzte schwedische Station", erklärte mir mein Mann, „komm', wir wollen hier Kaffee trinken, so lange Aufenthalt ist schon." Wir schlossen uns den übrigen Reisenden an, die nach dem „Matsaal" eilten und erwischten auch richtig noch zwei Tassen Kaffee. „Willst Du nicht einige Brödchen und eine Flasche Wein mitnehmen?" fragte ich. „Ach, Unsinn", wies mich mein Mann ab, „in einer Stunde sind wir in Norwegen und können kräftig frühstücken und Bier und Wein trinken, so viel uns immer gefällt." „Na", zögerte ich, „überleg' Dir das. Sicherer ist sicherer und vorgesehen ist besser als nachbcdacht . . ." „Aber Frau", wies er mich zurecht, „langweile mich doch an diesem prachtvollen Sommermorgen nicht mit solchen ab gedroschenen Redensarten." Wir stiegen wieder in unser Coup« und lustig gings hinein nach Norwegen. Plötzlich erschien der Schaffner mit noch einem Uniformirten und machte uns begreiflich, daß das ein Zollbeamter sei, der unser Gepäck revidiren wolle. Mein Mann machte ein erstauntes Gesicht, nahm den Schlüssel und öffnete den Koffer. Dann kam die Plaidrolle, die Hutschachtel und der Eßkober an die Reihe. Zollpflichtiges wurde trotz sorgfältigsten Nachforschens nicht ge funden. . . . „Merkwürdig", meinte ich, „ich denke, Schweden und Nor wegen gehören zusammen, weshalb knöpfen sie sich denn die Zölle ab? Mir scheint, hier werden wir noch Wunderdinge erleben." „Vorläufig erlebe ich nichts weiter", knurrte mein Mann, „als daß ich großen Hunger verspüre und einen noch größeren Durst dazu." „Hättest Dir aus Schweden was mitnehmen sollen", er innerte ich ihn. „Ach, laß mich in Frieden", wehrte er ab, „in einer Viertel stunde sind wir in Kongsvinger, da wird kräftig gefrühstückt und ein Glas Bier getrunken. Willst Du auch was?" „Gewiß, und ein paar Brode esse ich auch", bestellte ich prompt. Kaum hatte der Zug gehalten, da war auch mein Mann schon draußen und lief nach der Restauration. „Zwei Käse- brödchen habe ich gekriegt", meinte er kleinlaut, als er zurückkam, „Bier gab's noch nicht . . . Wahrscheinlich ist noch nicht an gesteckt, 's ist noch zu früh —" Wir würgten trockenen Halses die Brode hinunter. „In Aarnäs werde ich mich anders vorschen", knurte mein Mann, „da werde ich gleich Flaschenbier verlangen, da können sie sich nicht damit ausreden, daß noch nicht angesteckt ist." Station Aarnäs kam, aber mein Mann brachte wiederum kein Bier. „Sonderbar", erzählte er, „hier hatten sie nun wieder kein Flaschenbier. „Und 's ist doch immerhin ein ganz netter Bahnhof , . . Donner-Sachsen, wenn so was in Deutschland vorkäme . . ." Und er ballte unwillkürlich die Faust, als wollte er sie auf ein Beschwerdebuch niederfallen lassen. „Auf der nächsten Station werde ich mitkommen, ich werde mir schon Bier zu verschaffen wissen", erklärte ich sehr energisch, denn nachgerade wurde mir die Sach« denn doch zu dumm. In Lilleström war ich die Erste im Restaurant und drängte nach dem Buffet, mein Mann hinter mir drein. „Zwei Glas Bier!" rief ich der Buffetdame zu. Die zuckte die Achseln. „Zwei Flaschen Oel*)", rief ich nochmals, und hielt in der Meinung, sie habe mich nicht verstanden, zwei Finger in die Höh«. Wiederum Achselzucken. „Schwerebrett", wetterte da mein Mann los, „Bier, — Oel, 6« la diöre, — Porter, Münchener, Pilsener..." — „Nix Spirituosa", kam es endlich von ihren Lippen, „Thee, Selter, Limonade." Wüthend riß ihr mein Mann eine Flasche Selterwasser aus der Hand, goß ein Glas voll ein und stürzte das bläulich schimmernde Zeug hinunter. „Das Frauenzimmer war zum mindesten verrückt", brummte er, als wir wieder zum Zuge schritten, „in einer Stunde sind wir in Christiania, da wollen wir im Hotel mal ordentlich vorlegcn." — Der Hotelomnibus stuckerte durch die menschenleere Karl- Johans-Gade. „Hier scheint's mächtig fromme Leute zu geben", bemerkte mein Mann, „um die Zeit scheint Alles in der Kirche zu sein, selbst die Restaurationen sind geschlossen." Nachdem im Hotel die Zimmerfrage erledigt war, wollten wir frühstücken. In der Vorhalle traf mein Mann einen Kellner. „Heda!" hielt er diesen an, „bringen Sie mir doch mal rasch einen Cognac, dann Frühstück, dazu Oel, viel Oel. . ." Der serviettenschwenkende Jüngling machte ein Gesicht, als ob er eben aus den Wolken gefallen sei, verschwand und — kam nicht wieder. Wir warteten zehn — fünfzehn Minuten. Mein Mann ging zum Portier. „Was ist denn das für 'ne Wirthschaft hier?" fuhr er diesen an, „vor 'ner Viertelstunde habe ich einen Cognac bestellt, jetzt ist er noch nicht da. Das ist ja eine Bummelei sondergleichen!" Der Portier legte sein würdiges Gesicht in Falten, schüttelte sein graues Haupt, machte eine abwehrende Handbewegung und sagte: „Nix Spirituosa." — „Norwegischer Schafskopp", gab ihm mein Mann — zum Glück sehr unverständlich — zurück, schob seinen Arm unter den meinen und führte mich auf die Straße. „Das könnte mir gerade passen", raisonnirte er draußen, „hier bei diesen Koffern mein Geld auszugeben. Komm' nur, wir werden schon ein Local finden. Ach, siehst Du, da oben ist das Schloß, da wird's wohl was geben." Wir klapperten die Karl-Johans-Gade ab, vertieften uns in einige Seitenstraßen, marschirten bei der Universität vorbei, in weitem Bogen ums Schloß herum, — nichts war zu ent decken, was einem Restaurant auch nur ähnlich gesehen hätte. „Aus Respect vor dem Schloß haben sie sich nicht mal getraut, in dessen Nähe eine Kneipe aufzumachen", spottete mein Mann, „aber da scheint mir doch . . . natürlich, jetzt haben wir ge wonnen Tivoli" steht da auf jener Fahne." Wir gingen ins „Tivoli". Hier war's hübsch; ich bestellte Frühstück und Mittagessen zugleich, — es gab nur a la aart«. „Zwei Cognacs und die Weinkarte", rief mein Mann dem Kellner noch nach. Der trug auf, was der Magen nur immer verlangte. Wir langten tüchtig zu, denn der Hunger war da! „Kellneeer!" rief mein Mann so laut, daß es durch das Speise zimmer schallte. „Cognac, Weinkarte!" Der Kellner knickte ordentlich zusammen, dann legte er den Zeigefinger der rechten Hand quer über die Lippen und brachte — eine Limonade und eine Selters. „Na weißt Du", platzte mein Mann heraus, „dieses Christiania ist einfach ein Dalldorf <-n «roa! Jetzt werden wir nach dem Hafen gehen, Bier wird getrunken, und sei es auch in der elendesten Schifferspelunke!" Längs des Hafens waren alle Budiken geschlossen .Nun fahren wir raus nach Oskarshall", erklärte mein Mann, „im Reisehandbuch steht: besuchtester Vergnügungs- und Erholungs- *) Oel — Vier. ort, dort werden wir doch von dem Wassergetrinke verschont bleiben." Wir trotteten prustend und schwitzend Vie staubigen Wege der Halbinsel entlang. Als wir nach langem Suchen kein Restaurant zu finden vermochten, klopfte mein Mann beim Portier an, der den Aussichtsthurm bewacht. „Limonade, Selters", nickte der Mann, „nix Spirituosa." Dicht an der Abfahrtsstelle des Dampfers liegt des Oskarshaller „Tivoli". Wir sprachen vor. „Thee, Limonade, Selters", erklärte der Kellner, „nix Spirituosa." — „Ernst kann man diese Kerls gar nicht mehr nehmen", lachte mein Mann grimmig, „jetzt fahren wir nach Hause und legen uns ins Bett, ich will hier meinen Verstand nicht auch noch verlieren." Im Hotel war das CafS gedrängt voll Menschen. „Hier gehen wir erst noch mal 'rein", meinte mein Mann. Kaum hatte ihn die Cassirerin erblickt, als sie auf den Knopf der elektrischen Leitung drückte. Die Kellner kamen aus allen Winkeln herbei. Einer davon näherte sich meinem Manne: „Ich bin Deutscher", stellte er sich vor, „der Herr wünschen Henrik Ibsen zu sprechen? — Bitte, hinten im Lesezimmer. Wen soll ich anmelden?" Mein Mann blickte mich hilfesuchend an, er glaubte natür lich, er habe wieder einen Tollhäusler vor sich. „Nein", wandte ich mich an den Kellner, „lassen Sie Ihren Herrn Ibsen ruhig im Lesezimmer sitzen. Wir wollen eine Flasche Wein oder ein Glas Bier trinken . . . ." „Leider unmöglich, gnädige Frau, ganz unmöglich", setzte mir der Kellner auseinander. „Spirituosen erhalten Sie in ganz Norwegen am Sonntag nicht. Wir haben hier ja ein Mäßig- keitsgesetz: von Sonnabend Abend sechs bis Montag früh acht Uhr darf weder Wein, noch Bier, noch Branntwein ausge schänkt werden. Wer's trotzdem thut, wird bestraft, auch droht ihm die Concessionsentziehung." Mein Mann starrte kopfschüttelnd auf die Straße. „Ein Mäßigkeitsgesetz", staunte er, „wer hätte das vermuthet! Aber da sehen Sie doch mal", er zerrte den Kellner zum Fenster, „da drüben, — dort —" Da stand ein Hafenarbeiter an eine Hausthür gelehnt, hatte eine mächtige Branntweinflasche aus der Tasche gezogen und nahm einen herzhaften I)-Zng. „Ja, sehen Sie", belehrte uns der Kellner, „das ist einer von den vorsichtigen Leuten, die sich ihren Vorrath schon am Sonnabend vor sechs Uhr einkaufen. Das thun nämlich hier Alle . . . ." „Aber das Mäßigkeitsgeseh?" forschte mein Mann. „Hierfür giebt es kein Gesetz", meinte der Kellner achsel zuckend. „Ist den Herrschaften vielleicht ein Glas Portwein ge fällig?" Die Augen meines Mannes leuchteten auf: „Portwein? Ich denke — nix apirituo^s!" „Portwein gehört in Norwegen nicht zu den Spirituosen", lächelte der Kellner verschmitzt. „Was Sie sagen", schmunzelte mein Mann und setzte sich, „dann bringen Sie uns gleich 'ne ganze Flasche." „Das bedaure ich", lehnte der Kellner ab, „Portwein in Flaschen ist spiritnr^a, Portwein in Gläsern aber nicht." „Dann bringen Sie mir sechs Gläser!" bestellte mein Mann lachend. Zum Staunen der anderen Gäste fuhr der Kellner die Gläser- Batterie vor meinem Mann auf. „Na Proost", stieß er mit mir an und leerte sein Glas mit einem Zug, „ein merkwürdiges Land dieses Norwegen!" . . . ,
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