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Größere Schriften laut unserem Preis- verzeichniß. Tabellarischer und Ziffernsatz nach höherem Tarif. Extra-Beilagen (gefalzt), nur mit der Morgen-Ausgabe, ohne Postbeförderung 60.—, mit Poslbeförderung ./il 70.—. Annahmeschluß für Anzeigen: Abend-Ausgabe: Vormittags 10 Uhr. Morgc n-Ausgabe: Nachmittags 4 Uhr. Bei den Filialen und Annahmestellen je eine halbe Stunde früher. Anzeigen sind stets an die Expedition zu richten. Druck und Verlag von E. Polz in Leipzig. 32t. Mittwoch den 29. Juni 1898. 92. Jahrgang. Der spanisch-amerikanische Krieg. —p. Heute erfährt man Näheres über die Schlappe, welche die Amerikaner bei Juragua erlitten haben. Kaum an Land gesetzt, stürmte die irreguläre Reiterei (die rougü ricler8) auf und davon und eröffnete, wie behauptet wird, ohne Wissen oder Befehl des Generals, einen kleinen Privatfeldzug gegen die spanische Infanterie, der bekanntlich mit schweren Verlusten endigte. Wie der New Aorker Berichterstatter der „Times" meldet, wird der Leiter dieses Angriffs wahrscheinlich vor ein Kriegsgericht gestellt werden, und das ist bekanntlich kein Anderer als der Unterstaalssecretair der Marine Roosevelt, der seine Marine-Uniform einstweilen an den Nagel gehängt hat und wie ein Cowboy schneidig seine rougii riäers führt. Einer seiner Rittmeister, Capron, siel bei diesem ersten Scharmützel, ebenso der Wachtmeister Hamilton Fish, ein Enkel des gleichnamigen Staalssecretairs in Grant's Mini sterium. Ein Berichterstatter des „New Jork Journal", der sich dieser eigenartigen Truppe im Buffalo-Bill-Stile an geschlossen hatte, wurde in den Unterleib geschossen; bas Geschoß drang ihm ins Rückgrat und lähmte ihm beide Beine. Mau trug ihn fort zu seinen Collegen von der Feder, wo er sich mit bewundernswerther Ruhe eine Cigarette anzündete und für sein Blatt einen Bericht über dies erste blutige Ge fecht der Amerikaner in Feindesland dictirte. Die rougtl riäer8 haben gar keine Disciplin und keine militairische Ausbildung. Die Zusammensetzung dieses Corps erklärt Alles. Dasselbe besteht aus 950 Mann, von denen bereits 450 bei Santiago gelandet sind. Die Mitglieder geboren allen Gesellschaftsschichten an. Meist sind es gebildete Leute, Miüionaire oder Söhne von Millionairen, Doctoren, Advocate«, reiche Kaufleute und Prediger. Endlich sind zwei Trupps aus Indianern gebildet worden. Die auf Cuba gelandeten rougk rickcw8 sind vorläufig noch Nicht beritten, da sie noch keine Pferde haben. Der Commandanl des rougli ricker-RegimentS ist Oberst Wood. Theodor Roosevelt, der die Anwerbung geleitet bat, ist Oberstlieutenant. Das Material der rougli riäor8 ist vorzüglich, und sie dürften, bis der Krieg zu Ende sein wird, auch eine vorzügliche irreguläre Cavalleric-Truppe bilden. Heute sind sie aber noch sehr unerfahrene Recruren, die sich überdies verpflichtet haben, bis zum Einlangen ihrer Pferde Infanteriedienst zu leisten. Bisher erleben die amerikanischen Landtruppen nur Ent- täuschungen. Keine Transportmittel, keine Artillerie, der Proviant nicht ausreichend, der Schießbedarf bald erschöpft. Auf dem kurzen Marsche von Juragua nach Sevilla warfen die Leute ihr Gepäck fort, den zusammengerollten Mantel zuerst, dann das Kochgeschirr, schließlich die dicke Winter uniform selbst, die ihnen das BekleidungSamt in Washington vorsorglich sür die Tropenhitze Weslindicns mitgegeben hatte. Zahlreiche Hitzschläge kamen vor und alle Augenblicke gebot die Erschöpfung den Mannschaften Halt zu machen. Auch sonst kamen recht ärgerliche Dinge vor. Bei einem Zuge konnten die mitgeführlen Revolver-Kanonen (System Hotchkiss) nicht in Thätigkeit treten, weil ein Mann von der Bedienung sich bei den ersten pfeifenden Geschossen auS den 5-mm- Mausergewehren der Spanier aus dem Staube gemacht und wichtige Theile des Mechanismus der Geschütze mit genommen hatte. Trotzdem scheint, wenn auch unter den größten Schwierig keiten, Shafter näher und näher an Santiago heranzukommen. Gestern Abend meldete er von Siboney auS: „Wir kommen gut (?) vorwärts. Weiter haben wir eine vorgeschobene I Stellung drei Meilen von Siboney besetzt, die der Feind I gestern aufgegeben batte." Vielleicht ist damit der Ort Vomito gemeint, den nach Madrider Telegrammen gestern 300 Mann von den Truppen Sbafter'S erreicht haben. An einen Handstreich gegen Santiago ist natürlich nickt zu denken, dazu ist es zu gut befestigt. Nach einer Conferenz mit den Generalen Lawton und Wbeeler soll Shaster nach Washington telegraphirt haben, daß Santiago nur durck eine regelrechte Belagerung und nur mit Hilfe erheblicher Verstärkungen genommen werden könne. Von Tampa sind 9000 Manu nach Key West abgegangen, um von dort nach Santiago befördert zu werden. Ändere Truppen werden nackfolgen, so daß die Armee des Genernls Shafter auf die Stärke von 30 000 Mann gebracht wird. Einen furchtbaren Verbündeten können übrigens die Amerikaner in dem Hunger finden, wenn Santiago vollständig eingcscknürt ist, und vollends hoffnungslos würde die Lage der Stadt, wen» sick folgende Meldung, an deren Richtigkeit aber wohl noch Zweifel gestattet sind, sich bewahrheiten sollte: * New Nork, 29. Juni. (Telegramm.) Wie eine Depesche aus dem Lager von Sabanilla vom gestrigen Tage meldet, fanden Aufklärungspatrouillen der Aufständischen die Leitung, durch die Santiago mit Wasser versorgt wird, unbewacht und benachrichtigten hiervon den General Whceler, der sofort Pioniere entsandte, die die Leitung, ohne Widerstand zu finden, zerstörten, so daß Santiago jetzt auf Cisternenwasser angewiesen ist. Von dem Kriegsschauplätze der Philippinen kommen gleichzeitig gute und schlimme Nachrichten. Eine von gestern nach Madrid gelangte Drahtmeldung des Generalgouverneurs der mit Mindanao den größten Theil der Philippinen bildenden Inselgruppe Visayas besagt, die Aufständischen hätten eine vollständige Niederlage erlitten. Ihr An führer Arce, der Stellvertreter Aguinaldo's, sei ge fallen. In der Depesche des Gouverneurs heißt es weiter, daß in den ganzen großen, ihm unter stellten Landstrichen Ruhe herrsche. Tie malayischen Hauptanführcr von Mindanao seien beim spaniscken Gou verneur erschienen mit der Erklärung, sie wüßten, daß cs Krieg mit den Vereinigten Staaten gebe, und seien bereit, Mann für Mann zur Vertheidigung der Souve ränität Spaniens an der Seite der Spanier zu kämpfen. Auf solche Versprechungen ist freilich, wie die Erfahrung lehrt, nickt viel zu geben. Aber auch wenn es den Spaniern gelingen sollte, die südlichen Inseln noch eine Zeit lang zu halten, um so kritischer wird für sie die Lage auf der Haupt insel Luzon und in deren Hauptstadt Manila. Eine Madrider Depesche von dort unterm 22. Juni meldet: Boten, die ausgeschickt waren, um die 1000 Mann starke Abtheilung des Generals Monet aufzusuchen, sind unver richteter Sache zurückgekehrl. Die Familie des Gen erals Augusti ist noch immer in der Gewalt der Aufständischen. GeneralPena ergab sich mit ungefährlOOOSoldaten, weil seine Leute fast alle Eingeborene waren, die zum Theil zum Feinde übergingen. Der größte Theil der Besatzung der Insel Luzon ergab sich wegen Mangels an Lebens mitteln, nur einigen Soldaten ist es gelungen, zu ent kommen. Zahlreiche Spanier, darunter auch die Gouverneure I von Babanga, Laguna nnd Bulacan, sind nach Cavite I geflüchtet. Ueber 25000 Aufständische schließen iManila ein. Alle Verbindungen Manilas nach außen sind abgeschnitten. Die Ankunft des spanischen Geschwaders wird ängstlich erwartet, weil die Lage un haltbar ist. Und nun vollends die nachstehende Meldung: * Madrid, 28. Juni. General Augnsti bat unter dem 23. d. Mts. der Negierung folgende Drahtmeldung übersandt: „Die Lage in Manila ist noch ebenso ernst wie früher. Ich halte mich in der Blockhauslinie; aber auch der Feind trifft vermehrte Maßnahmen und besetzt die Provinzen, die sich ihm er geben. Regengüsse, die unsere Bertheidigungsgräben über- fluthen, erschweren die Vertheidigung. Die erhöhte Zahl der Kranken unter meinen Truppen macht die Lage noch schlimmer, da auch die Desertionen unter den Eingeborenen beständig zunehmen. Unter der Angabe, daß er über 30 000 Ein geborene mit Schußwaffen und 100000 mit blanken Waffen aus gerüstete Eingeborene verfüge, hat mich der Führer der Auf ständische», Aguinaldo, aufgefocdert, zu capituliren, ich habe aber feine Vorschläge zurückgewiesen, ohne sie an zuhören; denn ich bin entschlossen, meinem Souverän die Treue zu halten und die Ehre unserer Fahne zu wahren bis zum Aeußersten. Ich habe über 1000 Kranke und 200 Ver wundete. Außerdem befinden sich in dem mit Mauern umgebenen Theile der Stadt viele Bewohner aus ländlichen Bezirken, die vor den Greuelthaten der Aufständischen geflüchtet sind. Diese Leute bilden für uns eine Verlegenheit und für den Fall einer Be schießung eine große Sorge, ich hege indessen bezüglich einer Be- schießung für jetzt keine ernstlichen Befürchtungen." Das Reservegesckwader Cümara's lag am Montag noch bei Port Said. Es ist nock keine Antwort bezüglich der Kohlenübernabme ertheilt worden, da die egyptische Negierung die Regelung der Frage nach internationalem Rechte abwartet. Wie uns beute aus Madrid berichtet wird, erklärte der Marineminnler Aunon, er glaube, das Geschwader Cümara's passire gegcnwärtg den Suez-Canal. Sollte das spanische Geschwader seinen Weg nach Manila fortsetzen, der noch etwa 6100 Seemeilen beträgt, so wird es die dortige amerikanische Flotte durch die beiten Monitors „Monterey" und „Monadnock" erheblick verstärkt vor finden. Ta die spanische Flotte die Nolle des Angreifers über- «r rn>.> muß, so wird di: hohe Kampftüchligkeit der sehr schwer armirten Monitors in ruhigem Wasser voll zür Geltung kommen. Der „Monterey" wird jetzt schon vor Manila eingetroffen sein, und der „Monadnock", der zum Theil von dem Kohlen dampfer „Nero" geschleppt werden soll, wird bereits von San Francisco aus die 6900 Seemeilen lange Reise an getreten haben. Das amerikanische Geschwader vor Manila besteht dann aus den geschützten Kreuzern „Olympia", „Boston", „Baltimore", „Raleigh" und „Charleston", den Monitors „Monterey" und „Monadnock", den kleinen Kreuzern „Concord" und „Petrel" und zwei kleinen Tendern. Ein Troß von 3 Kohlendampfern, 2 Trans- portdampfern, 1 Vorrathssckiff und 1 Truppenschiff steht außerdem noch dem Admiral Dewey zur Verfügung. Diesem Geschwader gegenüber werden die mit ungeübten Mannschaften besetzten Schiffe des Admirals Cümara einen recht schweren Stand haben. Auch bleibt zu berücksichtigen, daß nach der Lahmlegung des spanischen Geschwaders im Hafen von Santiago be Cuba Amerika seine Drohung, seine schnellen Schiffe nach der europäischen Seite des Oceans zu senden, jederzeit wahr machen kann, was vielleicht die Rück kehr der spanischen Manilaexpedition bewirken wird. Politische Tagesschau. * Leipzig, 29. Juni. Tie Betrachtungen der bürgerlichen Presse stimmen in der Ausfassung überein, daß die Wahlen an der Zusammen setzung des Reichstages nicht viel geändert haben. Die social demokratischen Blätter betrachten überhaupt nicht, sondern machen ihrer ungeheuren Enttäuschung Luft in WulhauS- brüchen, die stellenweise schon nicht mehr articulirt genannt werden können. Den „Vorwärts" hat der Zorn über das Berliner Ergcbniß, an dem er dem jüdischen Element einen große» Theil der „Schuld" bei ^»messen scheint, sogar das „Mauscheln" gelehrt. Er spricht, ähnlich wie kürzlich ter von der freisinnigen Vereinigung ge ärgerte Herr Richter, von einem stattgehabten „Geschmuse". Der PhilosemitiSmus der Demokraten aller Schattirungcn präsentirt sich als eine sehr zarte Pflanze, die bei einer noch so leichten Trübung des Firmaments verdorrt. Dies nebenbei. Von größerer Bedeutung sind nur die Auseinander setzungen zwischen Conservativen und Antisemiten und diejenigen, die innerhalb des CentrumS stattfinden. Die „Kreuzztg." behauptet in Beantwortung scharfer Aus fälle der antisemitischen Presse, daß außer der christlich socialen auch die deutsch-sociale „Resormpartei" — die Anführungszeichen rühren von dem conservativen Blatte her — in ihrer bisherigen Verfassung abgewirthsckaftct habe. Ihre Speculativnen seien mißglückt und speciell als „Mittelstandspartei" hätten die „Antisemiten nirgends die prahlerisch vorausgesagte Anerkennung gefunden". Das stimmt allerdings, wie nickt minder die weitere Feststellung der „Kreis zeitung", daß die Conservativen und insbesondere ihre Führer von keiner ereile im Wahlkampf heftiger angegriffen worden seien, als von antisemitischer. Ein im Wahlkreise Breölau- Neumarkt-Land von der deutsch-socialen Resormpartei gegen den Grafen Liinburg-Stirum verbreitetes Flugblatt leistet in der Thal so ziemlich das Stärkste von Allem, was in der Wahlbewegung überhaupt geleistet worben ist. Das conser- vative Parteiorgan vergißt auch nickt, den Bund der Landwirthe daran zu erinnern, baß er die anti semitische Partei als die zuverlässigste vom Bundes- standpunct bezeichnet hat, und es knüpft daran den Ausdruck deS Zweifels, daß diese Sympathie dem Bunde Vortheste ge bracht habe. Solche sind allerdings nicht zu bemerke». Die Verdienste deS Bundes liegen auf dem Gebiete der Forderung der Socialdemokratie und deS WelfenthumS. Von der Verstärkung der parlamentarischen Vertretung des Letzteren zeigt sich die „Germania" natürlich bochbefriedigt. Ueber die Erhaltung reS längst besessenen Würzburg verliert die CentrnmSpresse nicht viel Worte. Sie war ihrer sicher, nachdem die dortigen Nationalliberalen das Eintreten für den Klerikalen und gegen den Socialdemokraten proclamirt hatten. Eine um so wichtigere und erfreulichere Aenderung ist die Wiedereroberung des vor längerer Zeit an die Socialdemokratie verlorenen Wahlkreises München I durch die Nationalliberalen. Die Umsturzpartei Hal also unter den Augen ihres süddeutschen Generalissimus von Vollmar die zweitgrößte Landeshauptstadt eingebüßt, geradeso wie die Hälfte der Reichshauptstadt unter der Führung der Bebel, Singer, Liebknecht und Auer aufgehört hat, socialdemokratisch vertreten zu sein. Die Herren haben sich also nichts vorzuwerfen. Dagegen glaubt man, wie schon erwähnt, innerhalb des CentrumS Anlaß zum Austausch von Meinungsverschiedenheiten zu haben Feuilleton. Lauernblut. 18s Roman in drei Büchern. Von Gerhard von Amyntor. (Dagobert von Gerhardt.) Nachdruck vrrboten. Haßlach schaute mit Wohlgefallen auf das Mädchen; so hübsch, wie heute, war sie ihm noch nie erschienen; wenn er auch ein hartnäckiger Junggeselle war und sich heimlich gefreut hatte, als damals seinem Socius von Sabinen der Laufpaß ge schrieben worden war, so dachte er doch unwillkürlich, daß die Mitanwesenheit eines so reizenden Frauenzimmers in seinem öden, fast nur von Männern bewohnten und besuchten Hause gar nicht so übel gewesen wäre. „Da muß ich mich also bei Ihnen, Fräulein Meerholt, noch besonders bedanken", versetzte er mit einer etwas altfränkischen Verbeugung; ich habe bisher nicht gewußt, daß Frauenhände auch bei der Einrichtung einer Werkstatt von Nutzen sein können." „Was man gern thut, Herr Haßlach, das lernt man auch bald verstehen", erwiderte Sabine, die ihr reizend geschnittenes Näschen aus dem großen Bierglase hob, aus dem sie eben getrunken hatte; „es ist nicht das erste Mal, daß ich Herrn Dechner's Werkstatt in Ordnung gebracht habe . . . wenn er nur mit diesem Freund schaftsdienste zufrieden ist!" O, wie entzückt lauschte Adolf diesem unbefangenen Ge ständnisse! Vielleicht durfte er doch noch hoffen, daß ihm Sabine ihr Herz wieder erschließen würde; Freundschaft zwischen den Geschlechtern ist ja mit Liebe so nahe verwandt! Eine vierte Person trat unvermuthet ins Zimmer. Es war Peter, der im Vorbeigehen Nachsehen wollte, wie sein Zwillings bruder hier untergekommen war. Er stutzte, als er Sabine und Haßlach in Gesellschaft Adolf's fand; Sabine gegenüber hatte er ein ziemlich schlechtes Gewissen und gegen Haßlach, der ihm, trotz seiner dringenden Bewerbung, die Ausführung des Neubaues im Hofe durchaus nicht hatte übertragen wollen, begte er einen rachsüchtigen Groll. Mit verbissener Miene trat er näher, drückte seinem Bruder flüchtig die Hand und machte den beiden Anderen nur eine steife Verbeugung. „Hätte ich geahnt, Adolf, daß ich Dich bei der Mahlzeit störe und in so angenehmer Gesellschaft (auf das Wort „angenehmer" legte er einen herausfordernd spöttischen Nachdruck), ich wär' ein andermal gekommen." „Du störst mich nie, mein lieber Bruder ', versetzte Adolf mit Wärme. Der feindliche Ton Peter's that ihm weh; wenn er auch wußte, daß er ihm selbst nicht galt, so liebte er doch den Bruder viel zu innig, als daß ihn dessen galliges Wesen nicht hätte schmerzen und beunruhigen sollen. „Komm, setz' Dich ein wenig zu uns ... zu essen kann ich Dir leider nichts mehr anbieten, aber eine Cigarre wirst Du wohl nicht verschmähen." Er reichte dem Bruder seine Cigarrentasche, dann machte er Kehrt, um aus dem Nebenzimmer einen Stuhl zu holen, aber Peter hielt ihn fest: „Laß nur, Adolf, ich setze mich nicht erst; ich habe nicht viel Zeit." „Ein Maurermeister, der nicht viel Zeit hat, ist heute zu beglückwünschen", bemerkte Herr Haßlach, „das Baugewerbe trägt jetzt goldene Früchte." Peter lachte höhnisch auf: „So, meinen Sie das, Herr Haßlach? In dieser faulen, verrotteten Zeit trägt nur der Schwindel und Betrug Früchte; für ehrliche, mühevolle Arbeit sind unsere gegenwärtigen Zustände ein gänzlich unfruchtbarer Boden. Ein Narr, der sich heute noch plackt und schindet! Er hilft nur die aufgestapelten Schätze der Ausbeuter vermehren, für ihn selbst fällt nichts ab, als der nutzlos vergossene Schweiß." „Nu, nu, nu!" mahnte Adolf, gehe nur nicht gleich wieder durch! Ich gebe Dir gern zu, daß noch lange nicht Alles so ist, wie es sein könnte; aber wir leben doch in einem Zeitalter der Reformen und wir müssen anerkennen, daß es zwar langsam, aber doch mit jedem Tage besser wird." „Unsinn!" platzte Peter gereizt heraus, „nichts wird besser! Schlimmer wird es mit jedem Tage und diese bürgerliche Welt wird nicht eher begreifen, was ihre Aufgabe ist, als bis ihr die Bude über dem Kopfe brennt." „Ei, Herr Maurermeister", warf Haßlach dazwischen, „Sie wollen doch nicht etwa helfen, ihr die Bude in Brand zu setzen?" Peter maß den also Fragenden mit einem grimmigen Blicke; alle Unzufriedenheit, die in seinem Herzen gährte, mußte sich diesem Manne gegenüber einmal Luft machen. „Das werden Andere besorgen, Herr Haßlach, die Esel, die sich in dieser Bude behaglich fühlen! O, wenn Sie auch un gläubig lächeln, ich sage Ihnen, der Tag der Abrechnung wird eher anbrechen, als Sie vermuthen!" Er war ihm einen Schritt näher getreten, flammte ihn aus seinen glühenden Augen feind lich an und fuhr mit bebender Stimme fort: „Ihr Alle, die ihr den Zusammenbruch dieser kapitalistischen Schandwirthschaft mit allen Mitteln der Niedertracht und der Feigheit aufhalten möchtet, ihr beschleunigt ihn nur durch euer jämmerliches, heuchlerisches Verhalten. . ." „Ich muß doch bitten, Herr Maurermeister, daß Sie meine Person aus dem Spiele lassen, wenn Sie von einer Partei der Feigheit und der Niedertracht reden." „Gehören Sie nicht zu jener Partei? Zu jenen Vertretern des Abgelebten und Verrotteten? Zur Gilde der Ausbeuter und kulturfeindlichen Heuchler? Haben Sie mich nicht abgewiesen, als ich mich zur Ausführung jenes Baues dort anbot? (Er deutete mit der Hand nach dem Fenster, durch welches man auf die unverputzten Mauern des noch unfertigen Gebäudes sehen konnte.) Warum vertrauten Sie ihn mir nicht an? Warum bevorzugten Sie meinen Mitbewerber, dessen Voranschlag, ich weiß das ganz genau, Ihnen an Kosten einige Tausend Mark mehr zumuthet? Warum, Herr Haßlach? Ich will es Ihnen sagen: weil ich ein Socialdemokrat bin und weil Sie einem Socialdemokraten auch nicht den geringsten Verdienst gönnen wollen! Glauben Sie übrigens ja nicht, daß mich Ihre Ab lehnung etwa besonders gekränkt habe — im Gegentheil, ich habe mich derselben gefreut, denn sie ist eben eine von jenen Hand lungen, durch die Sie und Ihresgleichen den von mir ange deuteten Brand an das Gebäude der kapitalistischen Ausbeutung legen helfen — Ihre Herrschaft wird bald zu Ende sein!" „Sie sind zu aufgeregt, Herr Maurermeister; das ist ein Thema, zu dessen Verhandlung doch in erster Linie ruhiges Blut und klarer Blick gehört. Wenn Sie aber behaupten, ich habe Ihnen meinen Neubau nicht übertragen, weil Sie ein Social demokrat sind, so treffen Sie allerdings den Nagel auf den Kopf. Ich denke, Sie werden mir daraus keinen Vorwurf machen; würden Sie es Ihrerseits nicht für eine unverschämte Zumuthung halten, wenn ich Sie etwa bitten wollte, einem Zünftler oder einem Conservativen Ihre Wahlstimme zu geben?" „Wenn dieser konservative Zünftler etwa Haßlach hieße, so würde ich eher den Teufel wählen." „Nun, sehen Sie, Herr Maurermeister! Also Offenheit gegen Offenheit: ich ziehe es vor, dieses Zimmer zu räumen, ehe ich mir von einem Manne Anzüglichkeiten sagen lasse, auf die ich nur eine Antwort habe: stillschweigende Verachtung." Er verbeugte sich gemessen vor Adolf und Sabine und stapfte mit energischen Schritten hinaus. „Ha, ha, ha!" lachte ihm Peter höhnisch hinterher, „da geht er hin mit seinen ehrenhaften Grundsätzen, mit seiner geschwollenen Prohenhaftigkeit! O, wie ich diese Brut hasse! Sie stinkt wie die Wanzen! Sie ist giftiger als die Kreuzottern!" Er warf sich auf den leeren Stuhl, auf dem vorher Adolf gesessen hatte, streckte Arme und Beine von sich und fuhr voller Genugthuung fort: „Aber ich habe es ihm gegeben! Das thut wohl, un endlich wohl!" Adolf war, aufs Peinlichste berührt, hinter Peter getreten und legte ihm die Hand auf die Schulter. „Du hättest Dich nicht so gehen lassen sollen, Peter! Wozu soll das führen? Du hast Dir einen Feind mehr gemacht und ganz vergessen, daß ich der Socius des Herrn Haßlach bin." „Er wird Dir's nicht nachtragen", sagte Peter, den Kopf nach dem Bruder herumwendend; daran werden ihn schon die schönen Augen Deiner Braut verhindern, die doch nun wohl bald hier als Hausfrau schalten und walten wird; er ist, wie die meisten alten Junggesellen, ein verliebter Geck, der für einen huldvollen Blick Sabinens wie ein Pudel über den Stock springen wird." „Du sprichst von meiner Braut?" versetzte Adolf in höchster Verwirrung; das Blut war ihm bis in die Stirn emporgeschossen. Du scheinst ganz zu vergessen, daß ... ich .... ich habe doch keine Braut mehr." „Was sagst Du dazu, Sabine?" fragte Peter, nun mit dem Forscherblick eines Inquisitors das purpur-übergossene Antlitz des Mädchens musternd. „Erlaubst Du ihm, daß er Dich so schnöde verleugnet?" Und da Adolf und Sabine in verlegenem Schweigen ver harrten, fuhr er belustigt fort: „Kinder, so verstellt Euch doch nicht länger! Mir werdet Ihr doch nichts weis machen wollen, daß Ihr Euch längst wieder gefunden habt, das sicht ja ein Blinder. Wer anders, als nur die Braut, richtet dem Bräuti gam mit so viel Hingabe und Umsicht das Nest ein? Und wenn Ihr in meiner Gegenwart so kühl gegen einander thut, so will ich gehen, um Eurer Zärtlichkeit nicht länger im Wege zu sein." Er hatte sich erhoben und Sabinens zuckendes Händchen gefaßt: „Ziere Dich doch nicht so, Sabine! Ich bin wahrlich nicht eifer süchtig, ich gönne ihn Dir von Herzen, meinen viel bessern Bruder. Daß ich nicht zur Ehe tauge, das habe ich längst ein gesehen; ich bin ein unstäter, friedloser Gesell: ich könnte kein Weib glücklich machen. So geh und gieb ihm einen Kuß, damit ich sehe, daß ich Euch nicht hinderlich bin." Er schob sie mit sanfter Gewalt seinem Bruder zu. Sie sträubte sich und stammelte mit schämig gesenktem Köpfchen: „Ich weiß ja nicht, ob er mich überhaupt noch mag —?" „Ich Dich nicht mögen?" jauchzte Adolf beseeligt. „Sabine! Geliebte! Soll's denn wahr sein? Darf ich Dich wieder meine süße, kleine Braut nennen?" Sie hob ihr Antlitz und nickte ihm durch Thräncn lächelnd zu. Da zog er sie stürmisch an seine Brust und bedeckte ihr Stirn und Wangen mit Küssen, die nicht minder feurig waren als einst die Küsse seines Bruders; die lange Trennung von der Geliebten hatte eine Gluth in ihm angeschürt, deren er früher gar nicht fähig gewesen wäre.