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02-Abendausgabe Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 09.06.1898
- Titel
- 02-Abendausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1898-06-09
- Sprache
- Deutsch
- Vorlage
- SLUB Dresden
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-18980609027
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id453042023-1898060902
- OAI
- oai:de:slub-dresden:db:id-453042023-1898060902
- Sammlungen
- Saxonica
- Zeitungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
-
Zeitung
Leipziger Tageblatt und Anzeiger
-
Jahr
1898
-
Monat
1898-06
- Tag 1898-06-09
-
Monat
1898-06
-
Jahr
1898
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Größere Schriften laut unserem Preis- verzeichniß. Tabellarischer und Ziffernsatz nach höherem Tarif. Extra-Beilagen (gefalzt), nur mit der Morgen-Ausgabe, ohne Postbefürderung 60.—, mit Postbeförderung 70.—. Annahmeschluß für Anzeigen: Abend-Ausgabe: Bonnittag- 10 Uhr. Marge n-Ausgabe: Nachmittags 4 Uhr. Bei den Filialen und Annahmestellen je eine halbe Stunde früher. Anzeigen find stets an die Expeditio» zu richten. Druck und Verlag von E. Polz in Leipzig. 287. Donnerstag den 9. Juni 1898. S2. Jahrgang. Der spanisch-amerikanische Krieg. —t>. Als die Nachricht von dem Kampf vor Santiago de Cuba, am Montag, in Madrid eintraf, beschloß der Senat einstimmig, den General Cervera zu beglückwünschen. Die Börse nahm die Meldung mit einer Baisse auf. Sie ist auch in diesem Falle das richtig gehende internationale Thermo meter gewesen. ES ist den Spaniern am Montag nicht gut ergangen, sonst würde die Regierung nicht anstehen, Sieges depeschen zu veröffentlichen. Sie schweigt und die amtliche Depeschen-Censur auf den Philippinen gestattet nicht, daß Bersionen telegraphirt werden, die von der amtlichen ab- weigen. Man schweigt also, weil man etwas zu ver schweigen hat. Unterdessen treffen Nachrichten ein, welche von einem Bombardement CaimaneraS, des den Eingang der Bucht von Guantanamo (östlich von Santiago) beherrschenden festen Hafenplatzes, berichten. Sie lauten: * New Bork, 8. Juni. Eiu Telegramm aus Cap Haitien meldet, dort gehe das Gerücht, daß am Dienstag früh um 5 Uhr 30 Minuten bei Caimanera eine große Schlacht geschlagen worden sei. Fünf amerikanische Kriegsschiffe hätten ein schweres Bombardement gegen die dortigen Befestigungswerke begonnen. Es sei ein förm licher Hagel von Geschossen gewesen, der viele Gebäude inner- halb der Befestigungen zerstört habe. Die spanische Artillerie hahe lebhaft geantwortet und eine Zeit lang Stand gehalten. Das Feuer der Amerikaner habe aber nicht nach gelassen, und die meisten Schüsse derselben seien wirkungsvoll gewesen. Die Spanier seien schließlich gezwungen worden, ihre Stellungen am Ufer aufzugeben und sich in die Stadt zurückzuziehen. Später seien sie auch von dort mit den Ein wohnern geflohen. Der Kommandant des Districts habe besohlen, Caimanera niederzubrennen, bevor eS übergeben werden müsse. Die Spanier sollen einen letzten Versuch machen, die Ameri kaner von der Landung abzuhalten. Nach den letzten Nachrichten hätte die Landung gestern versucht werden sollen. Es wurde schon früher gemeldet, daß Landungen größerer Truppencontingente bei Guantanamo versucht werden sollten. Der Kampf am DienStag hat also den Zweck gehabt, für die Landung freien Weg zu schaffen. Wie dem Londoner „Daily Chronicle" aus Washington vom 8. d. Mts. gemeldet wird, ist an diesem Tage die amerikanische Armee unter dem Commando des Generals Shafter von Tampa ab gegangen. Die Armee ist 27 000 Mann stark, worunter sich 20 600 Mann Infanterie, 16 Regimenter reguläre Truppen, 11 Freiwilligen - Regimenter und ferner 5 Schwadronen Cavallerie, 4 Batterien leichte Artillerie, 2 Batterien schwere Artillerie und ein Bataillon Genie- Truppen befinden. Die Armee muß am Freitag oder Sonn abend vor Santiago eintreffen, worauf die Landung sofort versucht werden soll. Diese Meldung wird bestätigt durch den New Horker Correspondenten der „Times", welcher hinzu fügt, die in 29 Transportschiffen untergebrachten Truppen beständen durchaus aus regulärem Militair. Wir glauben nunmehr, daß ein Landungsversuch bei Guantanamo in Scene gesetzt werden wird, wo man weit weniger Widerstand als bei Santiago zu erwarten hat. Sonst ist heute von Cuba noch zu melden, daß auf der Eisenbahnlinie zwischen Canas und Alguizar die Insurgenten beim Passiren des Zuges eine Dyna milbombe explodiren ließen, wodurch ein gepanzerter Waggon zerstört, sechs Sol- Fenilleton. Lauernblut. 1) Roman in drei Büchern. Bon Gerhard von Amyntor. (Dagobert von Gerhardt.) Nachdruck verboten. Ter Rang ist das Gepräge nur, Der Mann das Gold trotz alledem. Robert Burns. Erstes Buch. — Erstes Capitel. „Barmherziger Gott! Was wird der arme William dazu sagen. Und alle Beide todt — erschlagen — beraubt?" Der Goldschmied Wilhelm Lampert faltete seine bis zur Brusthöhe erhobenen Hände und starrte mit leerem Blicke auf die flimmernden, mit allerlei kostbaren Schmuckgegenständen an gefüllten Schaukästen seines Ladens. „Ich habe die Todtenscheine sowie die wenigen in den Taschen der beiden Leichen gefundenen Papiere für Herrn William mit gebracht", versetzte der Ueberbringer der traurigen Botschaft; „wenn Sie mir nur seine gegenwärtige Wohnung angeben wollen." „Genthiner Straße 316. Ich denke doch, daß er dort noch wohnt; wir haben ihn fast seit drei Monaten nicht mehr ge sehen; ein so fleißiger, strebsamer Assessor, wie unser William, hat nicht viel Zeit zu Besuchen. Ach, was hätten die armen Eltern für Freude an diesem Sohne gehabt, wenn ihnen die Rückkehr nach Europa beschicken gewesen wäre! Und was wird meine ahnungslose Frau dazu sagen! Aber nein — sie war nicht ahnungslos; sie sagte mir schon immer in der letzten Zeit, als gar keine Briefe mehr von Frau Tell eingingen: Gieb acht, Wil helm, in Amerika ist etwas passirt; dies lange Schweigen ist mir verdächtig. Und ein Wunder wäre es auch nicht, fügte sie dann wohl hinzu, wenn diese Leute einmal von der Nemesis er eilt würden, denn Frau Victorine hat sich doch gar zu schlecht benommen und mein Vetter Karl — eben Ihr Herr Tell, der eigentlich Dechner hieß — muß auch ein rechter Vagabund geworden sein, daß er gar keine Sehnsucht mehr nach seinen drei Söhnen empfindet und nun schon ein Vierteljahrhundert lang da drüben umherstrolcht und mit seinen Kunststücken den Leuten das Geld aus der Tasche gaukelt." lieber das Gesicht des Anderen, dem diese vertraulichen Mit- theilungen gemacht wurden, flog ein Ausdruck herben Schmerzes. baten und ein Passagier getödtet und acht Soldaten und zwei Passagiere verwundet wurden. Aber was ist diese immerhin betrübende Nachricht gegen die HiobSposten, die jetzt von den Philippinen in Madrid eintreffen! Wie uns von dort gemeldet wird, hatten gestern der Kriegsminister und der Marineminister eine Audienz bei der Königin-Regentin. Es heißt, der Gouve rneu r der Philippinen habe gemeldet, der ganze Archipel, mit Ausnahme der VisayaS-Jnsel, sei im Aufruhr. Der Gou verneur habe sich tu de» befestigte» Theil der Stadt Manila zurückgezogen, um Aguinaldo von dort aus Widerstand leisten zu können. Die amtliche Depesche aus Manila, welche der Kriegsminister gestern dem Ministerpräsidenten vorgelegt hat und die nicht veröffentlicht werden sollte, lautet nach der „Agence Fabra": „Die Lage ist sehr ernst, Aguinaldo ist rS gelungen, das Land für einen bestimmten Tag zum Ausstand zu bringen. Da die Eisenbahn- und die Telegraphenlinien abgeschnttten sind, bin ich mit allen Provinzen außer Verbindung. Die Ein wohner der Provinz Cavite haben sich in Masse erhoben. Städte und Dörfer werden beschossen und von zahlreichen bewaffneten Banden besetzt. Eine Truppeuabtheilung verthridigt die Linie Zagote, um das Eindringen des Feindes in die Provinz Manila zu verhindern. Da der Feind aber auch über Bulacan und Laguna, sowie über Moron vordringt, wird die Hauptstadt von der See- und der Landseite her eingeschlossen und angegriffen werden. Ich suche Len Geist der Bevölkerung zu heben und werde alle Mittel des Widerstandes erschöpfen, mißtraue aber den Eingeborenen und Freiwilligen, denn zahlreiche Desertionen sind bereits vor gekommen. Varolor und JmuS sind schon in der Gewalt des Feindes. Ter Widerstand ist mächtig und wenn ich nicht mit der Unterstützung des Landes rechnen kann, werden die z» meiner Verfügung stehenden Streitkräfte nicht genügen, zwei Feinden die Stirn zu bieten." Das Telegramm ist vom 3. Juni datirt. Es hat in Madrid höchst allarmirend gewirkt, zumal da ihm die folgende Meldung auf dem Fuße folgte: * Madrid, 8. Juni. Hier ist das Gerücht verbreitet, die Garnison Manilas habe capitultrt nnd wove sich lieber Sen Amerikanern ergeben, als von den Auf ständischen hinmordcn lassen. Weiter wird unS gemeldet: * Madrid, 8. Juni. In Anbetracht der Ereignisse aus den Philippinen traten vor der gestrigen Sitzung der Deputirten- kammer die Führer der Minoritätsparteien zusammen. Sagasta forderte sie auf, im Hinblick auf den Ernst der Lage sofort das Budget zu bewilligen und die Kammer in Permanenz zu erklären. Salmeron, Römers Robledo uud Barrio lehnten die Aufforderung des Ministerpräsidenten ab. — Bei der Eröffnung der gestrigen Sitzung der Deputirtenkammer drängten die Drputirteu und Senatoren in den Saal. Alle Minister waren zur Stelle. Sagasta gab eine Erklärung ab, in der es heißt, das spanische Volk müsse die schlechten Nachrichten mannhaft und gefaßt ausnehmen. Die Regierung habe nach der Be schießung von Cavite drei Telegramme aus Manila erhalten. In dem ersten habe der Genrralgouverneur nach der Ver nichtung der spanischen Flotte versichert, er sei im Besitze ge- nügender Vertheidigungsmittel und rechne auf die Unter stützung der Eingeborenen; in der zweiten meldet der General- Gouverneur, Aguinaldo gelinge es nicht, die Bevölkerung Er war von mittelgroßem, biegsamem, ein wenig zur Fülle neigendem Wüchse; die nachtdunklen Augen, die ihm unter scharf gezeichneten Brauen glommen, senkte er, scheinbar peinlich berührt, zur Erde. Auf seinem kurz geschorenen, dichten, schon leicht ergrauten Haare saß ein weicher Filzhut mit ungemein breiter Krempe; der großgewürfelte graue Cheviot-Anzug und die an einem Lederriemen über die Schulter hängende, mit einem Stahlbügel verschlossene Tasche verriethen den Reisenden, der thatsächlich erst vorgestern in Hamburg vom Schiffe gestiegen war. ' „Sie nehmen mir meine Offenherzigkeit nicht übel, Herr Just", fuhr der Goldschmied fort, da der andere, den Blick zu Boden gesenkt, in schmerzlichem Schweigen verharrte, „Sie waren der Genosse des Herrn Tell . . ." „Nur sein Diener, Herr Lampert, nichts weiter; freilich auch gelegentlich sein Helfer bei den Vorstellungen." „Da werden Sie. natürlich meinem Urtheil über den Ver storbenen nicht beistimmen?" „Nein, Herr Lampert, wenigstens nicht so ganz. Auch Mrs. Tell war immer eine gütige Herrin gegen mich, und ich müßte mich sehr irren, wenn sie nicht alle die Jahre da drüben an der ungestillten Sehnsucht nach ihrem Sohne ernstlich gekrankt hätte. Die früher so hübsche und blühende Frau war zuletzt recht welk und häßlich geworden; Sie würden sie kaum wieder erkannt haben." „Warum kehrte sie dann nicht zu ihrem Sohn zurück, den sie uns als kaum zweijährigen Buben zu seinen beiden Stiefbrüdern hierher auf den Hals geschickt hatte? Ist so etwas schon da gewesen? Den ganzen Kindersegen dieses Herrn Tell, richtiger Dechner, haben wir aufgezogen! Eine Mutter hätte sich nicht so leicht von ihrem Sohne trennen dürfen." „Sie war an den Gatten gebunden und dieser wollte von einer Rückkehr nach dem Vaterlande nichts mehr wissen; da arme Kind aber wäre bei dem unsteten Umherwandern der Eltern an Leib und Seele zu Grunde gegangen. Ich selbst habe ihr zugerebet, die sich damals bietende Gelegenheit zu benutzen und den kleinen William nach Europa in geordnete Verhältnisse zu schicken. Ach, es mag ihr schwer genug geworden sein; die arme Frau hat so wie so unter dem rauhen und unversöhnlichen Wesen des Mannes wohl Manches zu erdulden gehabt." „Sie hat es nicht anders verdient, das heißt, ich rede hier als kurzsichtiger Mensch und urtheile nach dem Scheine", verbesserte sich der Goldschmied, indem er seine scharf erhobene Stimme zu einem sanfteren Töne herabmäßigte. „Ich bin ein Christ, mein lieber Herr Just, und will meinen Nächsten nicht vcr dämmen; der liebe Gott allein sieht in die Herzen und kennt die zur Erhebung zu bringen, die dritte Depesche sei die gestern eingegangene. Silvela und Roinero Robledo (?) bieten der Negierung ihre Unterstützung an. Robledo beschuldigt das Cabinet der Unthätigkeit und sagt, ma» habe 39 Tage verstreichen lassen, ohne ein en Entschluß zu fassen. Redner protestirt Lagen, daß event. ein unehrenhas ter Friede geschlossen werde. Sagasta erwidert, die Regierung sei weder für die Ereig nisse auf den Philippinen, noch für den von Cervera eingeschlagenen Weg verantwortlich. Die Negierung habe Schritte gethan, die er nicht mittheilen könne, weil es nicht patriotisch sein würde. Diese letzte Aeußerunz ist vieldeutig. Vielleicht meint Sagasta die Absendung eines Geschwaders nach den Philip pinen, vielleicht einen neue» Appell an die Mächte um Ver mittelung. Daß Sagasta'S Haltung besonder- imponirend sei, kann man nicht sagen. Er weift jede Verantwortlichkeit für den unglücklichen Gang der Dinge ab, giebt damit aber nur zu, daß die Regierung ohne jeven Einfluß auf den KriegSplan und die Operationen der Commandeure auf dem Kriegsschauplätze ist, von denen sie über den wirklichen Stand der Dinge falsch unterrichtet und zu falschen Schlüssen und Maßregeln verleitet wird. Eigcnthümlich berührt dabei die Erwähnung des von Cervera eingeschlagencn Wege- in einer Weise, die anzudeuten scheint, daß man mit der Taktik des Admirals, d. h. seiner Flucht in den Hafen von Santiago, in Madrider Negierungskreisen nicht einverstanden ist. Die von den Philippinen eingetroffenen Nachrichten zeigen die Früchte der verkehrten spanischen Politik, welche wohl einsab, daß die Aufständischen, von denen man doch wußte, daß sie den Amerikanern nicht grün sind, zum größten Theik durch die Gewährung von Reformen zu gewinnen waren, aber die Lösung dieser Frage plötzlich wieder all calsuäas xraooas verschob, weil daö erste Erforderniß einer Ver- waltungSreform das gewesen wäre, den TerroriSmuS der Mönchsorden zu brechen. Man sieht daraus wieder, wer in Spanien regiert. — Einige politische Persönlichkeiten haben sich über die Lage wie folgt geäußert: Der Kriegsminister sagt, der Generalgouverneur der Philippinen werde sich bis aufs Aeußerste vertheidigcn. Silvela glaubt, der Augenblick sei gekommen, wo der äußerste Entschluß gefaßt werden müsse, eine der Lage gewachsene liberale Regie rung zu bilden. Vega du Armijo hält die Zeit für eine Intervention der Mächte für gekommen. Morre erklärt die Meldung eines englischen Blattes über seine angebliche Stellungnahme gegen die Regierung für falsch. Lopez Domingue; meint, eine Intervention der Mächte stehe bevor, denn die Philippinenfrage interessire ganz Europa. DaS Letztere ist richtig, aber wir glauben nicht, daß die europäischen Mächte Lust und Muth dazu finden werden, Amerika ähnlich in die Zügel zu fallen, wie es nach dem letzten chinesischen Kriege Rußland, Frankreich und Deutsch land mit Japan gethan haben. Diplomatische Weiterungen werden sich ja aus der Besitzergreifung der Philippinen durch Amerika zweifellos ergeben, vielleicht auch kriegerische Ver wickelungen, vorläufig aber kommt es darauf an, daß bei dem revolutionairen Chaos auf den Philippinen die Angehörigen fremder Staaten nickt zu Schaden kommen. Deutschland hat in dieser Hinsicht erfreulicher Weise vorgesorgt, so daß man nichts zu befürchten braucht. Es ist seiner Zeit unbemerkt geblieben, daß am 14. Mai die „Nordd. Allg. Ztg." mit officiösem Sperrdruck verkündete, die Nachricht, daß Biceadmiral v. Diederichs nach Manila gehen werde, sei unbegründet, in Berlin sei davon nichts bekannt, der Admiral habe keinen Auftrag erhalten. Jetzt ist derselbe, wie wir im Morgenblatte mittheilten, eingetroffen, weil die Verhältnisse auf den Philippinen von Tag zu Tag einen schlimmeren Charakter annahmen. „Kaiserin Augusta", mit dem der Admiral nach Manila abge kämpft, ist unser schnellster Kreuzer; eS scheint also Gefahr im Verzüge zu sein. Die „Kaiserin Augusta" trifft die beiden Kreuzer „Irene" und „Cormorau" daselbst an, sie befinde» sich dort bereits seit drei Wochen zum Schutze der Deutschen und haben eine segensreiche Thätigkeit nach verschiedenen Richtungen hin schon entfaltet. Die 961 Mann, welche sich auf den drei Kreuzern befinden (436, 365, 160), bilden schon eine stattliche maritime Streit kraft, und gestützt auf dieselbe, kann Viceadmiral v. DiederickS die deutsche» Interessen nachhaltig und energisch vertreten; bis jetzt ist übrigens den Deutschen, die sich ja in ihrer großen Anzahl an Bord der Kreuzer „Irene" und „Cormoran" eingeschifft hatten, noch kein Haar gekrümmt worden; die Kanonen der drei Kreuzer werden hoffentlich Angriffe der Rebellen auf Deutsche und deutsches Eigenthum fernhalten. Politische Tagesschau. * Leipzig, 9. Juni. „Die Locialvcmokratc» versuchen eS abzuleugnen, daß sie die Vernichtung des Privateigenthums und eine Zerstörung deS Familienlebens durch Zwangserziehung der Kinder anstreben. Und doch folgt die- einfach Alles ans ihrem Programm nnd ist auch aus socialdemokratischen Schriften, wie Bebel'S „Frau", klar zu ersehen." Man sollte meinen, daß dieser Satz, der die Gefährlichkeit der Social demokratie klar kennzeichnet, einem der Regierung nahe stehenden Blatte entnommen sei, aber er findet sich in der „Freisinnigen Zeitung" deS Herrn Eugen Utchter. Indem dieses Blatt in einem knappen, klaren Satze die von einer Herrschaft der Socialdemokratie drohende Gefahr darlezt, widersprickt es am besten der in fortschrittlichen Blättern immer wieder auftauchenden Behauptung von der „Mauserung" der Socialdemvkratie. Denn eine Partei, die das Privateigentum vernichten und das Familienleben zerstören, also zwei der wichtigsten Grundlagen der gesellschaftlichen Ordnung be seitigen will, wird man doch Wohl nicht als vergleichsweise harmlos »»sprechen wollen. Zum Zweiten aber legt die »Freis. Zeitung" durch diese Erklärung über die Gefährlichkeit der Socialdemokratie selbst dar, wie geradezu verbrecherisch die Haltung der freisinnigen VolkSpartei gegenüber der Socialdemo kratie in der gegenwärtigen Wahlbewegung ist. Es ist bekannt, daß in verschiedenen Gegenden Deutschlands, z. B. in Schleswig- Holstein, von den nationalen Parteien angeregt worden ist, die bürgerlichen Parteien möchten sich von vornherein ver pflichten, wenigstens bei den Stichwahlen einander im Kampfe gegen die Socialdemokratie zu unterstützen. Diese Anregung ist unter nichtigen Vorwänden überall von der freisinnige» Volkspartei abgelehnt worden, und man muß also darauf gefaßt sein, daß in manchen Wahlkreisen die Fortschrittler den Socialdemokraten zum Siege verhelfen werden. Man wird also die Macht Derer fördern, von denen man selbst behauptet, daß sie die wichtigste» Einrichtungen der menschlichen Gesellschaft vernichten wollen. WaS sind aber gegenüber der Zerstörung deS Familienlebens und des Privat eigentums die Gegensätze, die zwischen den bürgerlichen Parteien bestehen? Man wird sich den Satz der „Freisinnigen Beweggründe unserer Thaten. Meine Frau aber, die mit den Verhältnissen sehr genau bekannt war, meint, so scandalös, wie ihres Vetters Gattin, habe sich eine junge Ehefrau und Mutter noch nie in dieser großen Stadt benommen." „Ich weiß nicht recht, was man meiner armen Herrin eigentlich zum Vorwurfe machte; ich erinnere mich nur, daß sie mir einmal zuraunte — es war auf einer unserer letzten Reisen westlich vom Mississippi, und sie weinte damals heimlich sehr viel —: „„Just, wenn Sie Europa noch einmal Wiedersehen und dort etwas Schlechtes von mir hören sollten, dann glauben Sie nur ein Viertel davon und vertheidigcn Sie mich; ich war besser als mein Ruf."" So sagte sie zu mir, und, Herr Lampert, ich habe die Menschen kennen gelernt: in den Augen der armen Frau war ein Etwas, das mich an ihren Worten nicht zweifeln ließ." „Sic sind ein braver Mann, Herr Just, und treten für die ein, mit der Sie jahrelang gute und schlimme Stunden ge- theilt haben. Das ist nur in der Ordnung; meine Frau freilich wird sich nicht so leicht von ihrer Meinung abbringen lassen." Friedrich Just seufzte zu dieser Bemerkung; dann nickte er langsam mit dem Kopfe und brummte unter seiner glattrasirten, aber durch feine dunkle Bartwurzeln bläulich angehauchten Oberlippe hervor: „Das sogenannte schwache Geschlecht ist immer am stärksten in der Verurtheilung unglücklicher Frauen." Und wieder in einen geschäftsmäßigen Ton übergehend, fuhr er mit seiner etwas hohen Stimme fort: „Sie sprachen von drei Söhnen dcsHerrn Tell; ich kenne nur den einen, Herrn William." „Die beiden Brüder Dechner sind Söhne aus Tell's erster Ehe; sie leben ebenfalls hier. Sie wissen doch, daß Mr. Tell eigentlich Dechner, Karl Dechner, hieß; er ging schon einmal als junger Mann nach Amerika und machte dort seine Kunststücke in den Schaubuden. Er mußte damit ein schönes Geld zusammen gebracht haben; denn eines Tages kam er hier wieder mit einer Frau an und äußerte die Absicht, fortan als Rentner bei uns zu bleiben. Seine Gattin schenkte bald darauf Zwillingen das Leben, starb aber leider im Wochenbette. Er geberdete sich erst wie toll; er schien sich in Schmerz und Verzweiflung ganz auf lösen zu wollen; doch schon nach wenigen Wochen erklärte er uns, er hielte es nicht länger mehr aus, er müßte wieder reisen. Gegen alle Einreden meiner Frau blieb er taub; er beschwor uns, wir möchten uns der Zwillinge annehmen und sie so aufziehen, als wenn es unsere eigenen Kinder wären. Mit Eifer griff meine Frau zu; wir haben niemals Elternfreuden genossen, und sie nahm daher nur gar zu gern die Kinder in unser Haus; auch redete sie nun Herrn Dechner selber zu, sein wild aufgewühltes Herz durch eine größere Reise wieder zur Ruhe zu bringen. Das Kostgeld, das er uns anbot, lehnte ich natürlich ab; wir hatten, Gott sei Dank, so viel, daß wir die beiden Buben aus eigenen Mitteln noch sättigen konnten. So reiste er denn ab und ließ lange Zeit gar nichts von sich hören. Erst nach drei Jahren tam er plötzlich wieder zurück und brachte seine zweite Frau mit, Victorine, eine geborene Albin, die er in Canad» geheirathet hatte. Diese Frau — nun^ Sie haben sie ja lange genug gekannt — war eine sehr hübsche Erscheinung, sie hatte französisches Blut in den Adern und der Blick ihrer schwarzen feurigen Augen hatte es uns Allen erst angethan. Tas Pärchen fing an, hier eine Art Haus zu machen; sie em pfingen Gäste aus den gebildeten Gesellschaftskreisen, denen der Hausherr dann und wann ein Kunststück zum Besten gab und denen die frische und natürliche Liebenswürdigkeit der jungen Hausfrau außerordentlich gefiel. Das ging so an die zwei Jahre fort, bis auf einmal das Verhältniß der Gatten getrübt erschien. War es, weil Frau Victorine dem Gemahl keine Kinder schenkte oder weil sie ihm Grund zur Eifersucht gab? Ich weiß es nicht. Eines Tages erfuhren wir, daß sie ein Verhältniß mit einem jungen Ulanenofsicier hätte. Wir waren empört und zogen uns von ihr und ihrem Gatten gänzlich zurück. Ich hatte auch gegen den Letzteren ein Vorurtheil, weil er sich um seine Zwillinge, die immer noch bei uns waren, gar nicht mehr kümmerte; in einer Hinsicht war das freilich recht erwünscht, denn meine Frau hätte die beiden Jungen gutwillig auch nicht mehr hergegeben, sie hatte sich schon förmlich in sie vernarrt. Daß er übrigens, als er bald darauf zum zweiten Male nach Amerika gegangen war und seine Frau, die Ursache dieses jähen Entschlusses, dahin mitgenommen hatte, seinen ehrlichen Namen ablegte und sich drüben nur noch William Tell nannte, das schien mein Vorurtheil nur zu rechtfertigen — hatte er vielleicht etwas zu verheimlichen? Hatte er sich seines Familiennamens zu schämen?" „Gestatten Sie, Herr Lampert", unterbrach Friedrich Just den gesprächigen Goldschmied, „das hatte wohl einen anderen Grund. Mein Herr trieb drüben eine Zeit lang auch das Ge schäft eines Kunstschützen und da sollte ihm wohl der Name William Lcll als Reclame dienen." „Nun, das mag ja sein; mir aber hat dieser abenteuerliche Namenswechsel nie gefallen und die traurige Folge ist auch nicht ausgeblieben: drei Söhne eines und desselben Vaters, die Zwil linge erster Ehe und der drüben ihm von Victorine endlich ge schenkte Sohn William, tragen jetzt verschiedene Familiennamen und sind einander so entfremdet, daß sie bei jeder zufälligen Begegnung sich absichtlich den Rücken kehren."
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