Suche löschen...
02-Abendausgabe Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 06.06.1898
- Titel
- 02-Abendausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1898-06-06
- Sprache
- Deutsch
- Vorlage
- SLUB Dresden
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-18980606028
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id453042023-1898060602
- OAI
- oai:de:slub-dresden:db:id-453042023-1898060602
- Sammlungen
- Saxonica
- Zeitungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
-
Zeitung
Leipziger Tageblatt und Anzeiger
-
Jahr
1898
-
Monat
1898-06
- Tag 1898-06-06
-
Monat
1898-06
-
Jahr
1898
- Links
- Downloads
- Einzelseite als Bild herunterladen (JPG)
-
Volltext Seite (XML)
BezugsPreis k dir tzauptexpedition oder den im Stadt» bezirk und den Vororten errichteten Ans« gabrstellen ab geholt: vierteljährlich ^i4.bO, bei zweimaliger täglicher Zustellung ins Hau« S.üO. Durch die Post bezogen für Deutschland und Oesterreich: vierteljährlich . Direkte tägliche Kreuzbandiendung i»S Ausland: monatlich 7.50. Die Morgen-Ausgabe erscheint um '/,7 Uhr. die Abend-Ausgabe Wochentags um 5 Uhr. Redaktion und Expedition: IohnnneSgaffe 8. Die Expedition ist Wochentags ununterbrochen grössnet von früh 8 bis Abends 7 Uhr. Filialen: Otto Klemm'« Sortim. (Alsred Hahn), Universitütsstrahr 3 (Paulinum), Lont» Löscht, Katharinenstr. 14, part. und Königsplatz 7. Abend-Ausgabe. KipMer TagMall Anzeiger. Amtsökatt des Äönigttcyen Land- und Amtsgerichtes Leipzig, des Rathes und Notizei-Amtes der Ltadt Leipzig. 281. Montag den 6. Juni 1898. AnzeigenPreis die 6gespaltene Petitzeile 20 Pfg. Reclamen unter dem Redactionsstrich (4^a- spalten) 50^, vor den Familiennachrichten (6 gespalten) 40^. Größere Schristen laut unserem Preis« verzeichntß. Tabellarischer und Ziffernjatz nach höherem Tarif. 8rtra-Beilagen (gesalzt), nur mit der Morgen - Ausgabe, ohne Postbefürderung SV.—, mit Postbefördrrung 70.—. Annahmeschluß für Anzeigen: Abend-Ausgabe: Vormittags 10 Uhr. Morgen-Ausgabe: Nachmittags 4 Uhr. Bei den Filialen und Annahmestellen je rin« halbe Stunde früher. Anreisen sind stet« an die SrpeDitia« zu richten. Druck und Verlag von E. Polz in Leipzig. 82. Jahrgang. Der spanisch-amerikanische Krieg. —Amerikanische Berichte suchen den Siegesjubel der Spanier wegen der am Freitag erfolgten Ingrund bohrung des „Merrimac" im Hafeneingang von San tiago und des erzwungenen Rückzugs des ihn begleitenden schweren Kriegsschiffes ins Lächerliche zu ziehen, indem sie behaupten, die Versenkung des „Merrimac", eines alten, unbrauchbaren Kastens, sei gerade beabsichtigt gewesen, um den Hafen zu sperren, ein Entrinnen der spanischen Flotte unmöglich zu machen und so einen großen Theil deS Santiago- BleckadegeschwaderS frei zu bekommen. In einer offenbar von dem amerikanischen Geschwaderchef inspiriten, nach London lancirten Privatmeldung deS „Reuter'schen Bureaus" — datirt am 3. dieses MonatS „in Sicht von Santiago" — heißt eS, schon vor mehreren Tagen sei von Admiral Sampson (also ist Admiral Schley bereit- von Sampson abgelöst) der Ent schluß gefaßt worden, den „Merrimac" in den Grund zu bohren, weil es ihm unmöglich geschienen habe, die spanische Flotte auf eine andere Weise zu fassen. Auf die Aufforderung Sampson's, daß Freiwillige sich melden sollten, hätten Lieutenant Hop so n und viele Mannschaften sich zu der That erboten. Am Donnerstag Abend habe der „Merrimac", der so von Torpedos umgeben worden sei, daß man letztere von der Brücke aus zum Explodiren habe bringen können, in der Nähe ter „Newyork" Stellung genommen. Freitag um 3 Uhr Morgens sei der „Merrimac" langsam gegen die Küste hin vorgegangen. Auf einen Schuß vom Fort Morro aus hätten die Amerikaner erkannt, daß der „Merrimac" von den Spaniern bemerkt worden sei. Auch die anderen Batterien hätten nun das Feuer eröffnet, das eben die Amerikaner nicht hätten erwidern können, weil sie befürchten mußten, daß ihre Geschosse die Mannschaft des „Merri- niac" treffen könnten. Der „Merrimac" sei dann von Lieutenant Hopson mit Absicht, also nicht von den Spaniern in der Nähe des Forts Estrella in den Grund gebohrt worden. Der Plan sei geglückt, und die Hafen einfahrt vollständig gesperrt. Die Spanier hätten daö Wrack unter dem Feuer der amerikanischen Schiffe nicht sprengen können. Man wisse, daß die spanischen Schiffe „Colon", „Maria Theresa", „Vizcaya" und „Almirante Oquends" sich im Hasen von Santiago befänden, und man glaube, daß noch andere Schiffe, vielleicht Torpedo boote, dort seien. Die Mannschaft des „Merrimac" habe die Absicht gehabt, sich in einem Boote, daS der „Merrimac" im Schlepptau hatte, zu retten, es sei aber nicht gewiß, ob sie sich des Bootes habe bedienen können, jedenfalls sei kein Mann umgckommen, sondern Alle seien von den Spaniern gefangen genommen worden. Die spanische Flotte in Santiago sei vollständig blockirt und zur Ohnmacht verurtbeilt. Demgegenüber halten die Darstellungen von officieller sp an ische r Seite daran fest, daß mehrere amerikanische Schiffe versucht hätten, in den Hafen von Santiago einzudringen, daß der nicht nur mit 8 Mann, wie die Amerikaner behaupten, besetzte Hilfskreuzer „Merrimac", offenbar um zu sondiren, vorausgeschickt worden sei und daß spanische Torpedos ihn zum Sinken gebracht hätten. Alle Mann an Bord seien bis auf sieben Matrosen und einen Ofsicier, welche gefangen ge nommen wurden, ertrunken. Die Sprengung des Wracks sei tatsächlich gelungen, da die Amerikaner doch nicht Tage und Nächte lang ununterbrochen schießen konnten, die Hafen mündung also wieder frei und die Ausfahrt nach wir vor möglich. Man muß bei diesen schreienden Widersprüchen in der Berichterstattung die Sache vorläufig auf sich beruhen lassen, wenn man sich auch des Eindrücke« nicht erwehren kann, daß die amerikanischen Quellen färben, denn sie corrigiren nach träglich ihre erste Meldung, welche zugirbt, daß es sich um ein Forciren des Hafens gehandelt hat und daß der „Merrimac" von einem starkarmirten Kriegsschiff begleitet worden sei. Wozu auch sonst die abermalige Beschießung der Forts von Santiago am Freitag von 3 bis 4*/, Uhr früh, also gleich zeitig mit dem Vordringen der beiden amerikanischen Schiffe, wenn man den Hafen nicht forciren wollte? Wäre die spa nische Flotte unter Cervera toatsächlich zur Ohnmacht verur- theilt und säße in der „Mausefalle" fest, so hätte ein weiteres Verweilen deS amerikanischen Geschwaders vor Santiago überhaupt keinen Zweck mehr. Statt dessen soll da« Bombardement Santiagos am Freitag Abend zum dritten Mal erneuert worden sein — ohne endgiltigen Er folg natürlich, denn sonst hätte man längst Berichte über das, was vorgefallen. Hatten die Amerikaner wirklich die Absicht, den Hasen zu verlegen, so ist dieselbe jedenfalls ge scheitert, denn die Sprengung eines Wracks mittels Dynamit ist doch allzu leicht ausführbar. Im Dunkel bleibt noch, wo sich das Reserve-Ge schwader CLmara'S befindet, das am 3. Juni Cadiz mit unbekannter Bestimmung verlassen haben soll. Es besteht, beträchtlich stärker als die Flotte Cervera'S, aus den Panzer schiffen „Pelayo" und „CarloS V", dem geschützten Kreuzer „Alfonso XIII", den nicht geschützten Krerizern „Patriot»" und „Rapido" (früher „Normannia" und „Columbia"), den Torpedobootzerstörern „Audaz", „Ossado" und „Proserpina", den Hilfskreuzern „Alfonso Xil.", „Buenos Ayres", „Antonio Lopez" und „Ciudad de Cadiz", insgesammt also zwölf Ge fechtseinheiten. Ist das Geschwader nach Cuba unterwegs, so braucht es beinahe drei Wochen, um sein Ziel zu erreichen. Unterdessen hätten die Amerikaner Zeit genug, gegen Cuba oder Puerto Rico einen großen Coup zu führen. Aber wir erinnern daran, daß vor etwa 10 Tagen schon das Aus laufen dieses Hilfsgeschwaders gemeldet wurde. Das jenige, welche- Cadiz am 3. Juni verlassen hat, könnte also das zweite spanische Reservegeschwader sein, von dem es mehrmals hieß, eS sei in der Bildung begriffen und mache Uebungen bei Cadiz. Ist dem so, dann könnte die erste Hilfsflotte schon in etwa 1l Tagen in den Gewässern der Antillen erscheinen, wenn sie nicht nach den — Philippinen unterwegs ist. Unmöglich wäre dies nicht, denn die Nach richten mehren sich, welche von der Entsendung einer Flotte nach Manila wissen wollen. Kürzlich hieß es, eine spanische Flotte (es sollte freilich die Cervera'S sein!) hätte das Cap der guten Hoffnung um schifft und heute Morgen mußten wir die Meldung ver zeichnen, daß ein spanisches Geschwader am 27. Mai im Indischen Ocean gesehen worden sei. Gelänge eS, bei den Philippinen die Scharte von Cavite wieder auszuwetzen und die spanische Waffenehrezuretten,so wäre der Augenblick gekommen, wodieFriedenSvermittelungen der Mächte von Neuem einsetzen könnten. Daß Spanien zu einer solchen Action drängt, liegt, wenn es auch officiell bestritten wird, nahe, da seine Finanzen arg zerrüttet sind, und es sich nicht im Stande fühlt einen Krieg in zwei Welt- theilen noch lange weiter zu führen. Immer mehr nähert man sich dem Punct, wo Spanien der Alhem ausgebt und Amerika daS Heft in die Hände bekommt, weil ihm unver, siegbar Hilfskräfte zur Verfügung stehen. Der scharfe Artikel der Petersburger „Nowosti" gegen Amerika zeigt, daß eS nicht an mächtigen Stimmen fehlt, dir bereit sind, ganz Europa zu einem Druck auf die Vereinigten Staaten, selbst mittels Waffengewalt, auf zurufen. Wir sind aber der Meinung, daß dabei ab solut nichts herauSkommt. In dem griechisch-türkischen Krieg hat das europäische „Concert" ja bewiesen, was es leisten, resp. was eS nicht leisten kann, und dort hatte man eS mit dem kranken Manne in Konstantinopel und dem Bißchen Griechenland zu thnn. Wo sind jetzt die „vereinigten Flotten von zwei oder drei Mächten", die die amerikanischen Hafenstädte auf beiden offenen Küstrnlinien bombar- diren können, ohne daß eine vierte Macht, oder vielleicht auch eine fünfte, den Vereinigten Staaten an die Seite spränge? Sind Cuba und die Philippinen einen Weltkrieg werth? Die Sympathien fast aller europäischen Staaten sind allerdings aus spanischer Seite, weil es ungerechter und frivoler Weise angegriffen worden ist, aber mit mehr als papierenen Pro testen können sie nicht dienen und für dir hat man in Amerika nur Hohn. Die einzige Rettung für Spanien ist, daß es den Krieg baldigst beendet. Dazu bedarf es aber einiger schlagender Erfolge. Damit, daß auch die Amerikaner noch so gut wie nichts au-gerichtet, ist Spanien nicht geholfen. Wir fügen hier noch die sonst bis heute Mittag ein gelaufenen Meldungen an: * Havanna, 5. Juni. Ein Befehl des Generals Blanco untersagt den auswärtigen Zeitungsberichterstattern den Aufenthalt auf Tuba; diejenigen Berichterstatter, die diesen Befehl übertreten, sollen als Spione angesehen und dem Militairstraf« gesetzt gemäß abgenrtheilt werden. * Madrid, 5. Juni. Der Marineminister hat die Anord ¬ nung in Erinnerung gebracht, nach der Mittheil ungen über die Bewegungen der Geschwad er untersagt sind. Der Ministerrath beschäftigte sich heute mit den Kriegsangelegenheiten, besonders mit der Lage deS amerikanischen Geschwaders, die insolgr von Krankheiten unter den Mannschaften nicht sehr gut sein soll. Der Minister deS Auswärtigen brachte eine Reihe von Mittheilungen zur Kenntniß des Ministerraths, die den Mächten unterbreitet werden sollen, weil sich au- ihnen angeblich eine Verletzung deS Völkerrechts durch die Amerikaner ergiebt. Der Kriegsminister theilt mit, er habe in Manila anfragen lassen, ob sich die Nach richt von einer Explosion auf dem amerikanischen Panzerschiffe „Baltimore", die von „Lloyd's Bureau" in London verbreitet worden sei, bestätige. Politische Tagesschau. * Leipzig, 6. Juni. Als eine Art von Bestätigung und Ergänzung dessen, waS der Leitartikel „Ast die Toeialdemokratie eine Arbeiter parteis" in Nr. 275 deS „Leipz. Tagebl." vom 3. dss. Mts. ausfübrt, um die Behauptung der socialdemokratischen Führer, alles Gute, wa« den Arbeitern zu Theil geworden, stamme von den Bemühungen dieser Führer, Lügen zu strafen, kann folgende Notiz in Nr. 44 des „Evangelischen Arbeiter boten" gelten: Im Jahre 1897 wurden von Arbeitgebern, Stadtver- waltungen, Gesellschaften und Privaten in Deutschland 82 Stiftungen mit einem Eapital von 27'/, Millionen Mark gemacht. Diese Gelder sind zum Besten der Errichtung von BolkSheil- stättrn, Volksparks, Prnsionscassrn, Unterstützungs- cassen, Dienstprämien, Arbriterwohuhausrrn, Volks bädern, Kochschulrn, Kinderheimen u. f. w. zur Verfügung gestellt worden. Bon 66 Arbeitgebern allein wurden zum Besten ihrer Arbeiter 8100 000^. gestiftet. In socialistijchen Blättern liest man von derartigen Dingen nicht-, da girbt es nur „Blutsauger des Volkes". Die Leiter de« socialdemokratischen Wahlfrldzuzs werden freilich mit dieser Notiz genau so verfahren, wie mit den unlängst beigebrachten ziffermäßigen Nachweisen der hervor ragenden materiellen Zuwendungen des Flottengesetzes an die Arbeiter der verschiedenartigsten Industriezweige. Diese Nachweise sind den Herren begreiflicherweise um so unangenehmer, je weniger sie sich widerlegen lassen. So werden sie denn von den socialdemvkratischen Wahl regisseuren entweder völlig todtgeschwiegen, oder als nickt der Rede Werth hingestellt. Wir glauben es Wohl, daß den aus . der wohlgefüllten Parteikrippe sich nährenden „Zehntausendmarkproletariern" die den Arbeitern zu Gute kommenden Vortheile deS Flottengesetzes wie überhaupt unserer ganzen, ebenfalls gegen die systematische Opposition der socialdemvkratischen Führer zu Stande gekommenen arbeiterfreundlichen Socialrrformcn geringfügig erscheinen. Wer mit den von der Arbeiterschaft erpreßten Parteisteuergroschen das Leben eine« großen Herrn zu führen vermag, kann auf IahreSlöhne von 1500 bis 2000 mit mitleidigem Achselzucken herabsehen. Tie Arbeiter selbst denken über diesen Punct sicherlich ganz anders, als die von ihnen lebenden Drohnen. Tausende und Abertausende von Arbeitern, denen jene Ziffern trotz aller socialdemvkratischen Parteicensur zu Gesichte kommen, durchschauen jedenfalls mit aller Klarheit das ge wissenlose Spiel, da« die Führer mit den Arbeiterinteressen treiben. Aber sie trauen sich nicht, ihrer wahren Herzens meinung unverhüllten Ausdruck zu geben, auS Furcht, um Arbeit und Existenz gebracht zu werden. Alle diese unter dem Joche der Führertyrannei keuchenden Lastthiere der Socialdemokratie sollten eS sich gesagt sein lassen, daß, wenn sie au« dieser unwürdigen Lage erlöst sein und zu einem freien, menschen würdigen Dasein gelangen wollen, sie nichts Vernünftigeres und Klügere« im eigenen Interesse wie im Intereffe ihrer Familien thun können, al« die Ketten der socialdemvkratischen Parteisclaverei mit dem Stimmzettel in der Hand zu zerbrechen, indem sie am Wahltage ihre Stimmen nur solchen Bewerbern zu wenden, welche auf dem Boden der wahrhaft arbeitersreundlichen und volkSthümlichen Politik de« Schutze« der nationalen Arbeit stehen. Denn diese Politik allein ist e«, deren Fortsetzung im künftigen Reichstage den Arbeitern noch ganz andere Aussichten auf Verbesserung ihrer materiellen Lage eröffnen wird, wenn sie politische Reife genug bethätigen, um den socialdemvkratischen Schleppern am Wahltage energisch die Thür zu weisen. Der Alberschweiler FronleichnamS-Procetz hat, wie der Telegraph bereit« gemeldet, zu einer gründlichen Niederlage der ultramontanen Hetzer geführt, die ihn veranlaßt haben. Bekanntlich war der evangelische Pfarrer Gerbert in Saarburg wegen Beleidigung deS Pfarrers L'Huillier, des Veranstalters der „lebenden Bilder", von einem Schöffen gerichte zu 500 Geldstrafe verurtheilt worden. Er hatte gegen diese« Urtheil Berufung eingelegt, das Gleiche aber Feuilleton. Lanitätsraths Türkin. 14) Eine Kleinstadt-Geschichte von KlauS Rittland. Nachdruck verboten. Nach Ströbenhagen zurückgekehrt, machte Armgard einen Gang durch die Wirthschaftsräume. Da hörte sie hinter der halbgeöffneten Thür des Milchkellers zwei Stimmen, diejenige Frau Martha's, der alten Wirthschafterin, die Armgard sich oon ihrer früheren Heimath mitgebracht, und eine fremde. Was sie sagten, machte Armgard stutzig. „Ich ließ mir so was nicht bieten an der armen Baronin ihrer Stelle", sagte die eine, Fremde, und Frau Martha antwortete: „Ich kann's noch immer nicht glauben; unser Herr ist " Da erblickten sie die Schloßherrin und verstummten. Jetzt fiel es dieser ein, daß in letzter Zeit häufig solche eifrigen Zwiegespräche ihrer Dienst boten ganz plötzlich bei ihrem Nahen unterbrochen worden waren. Sie dachte nach — und ließ dann Frau Martha zu sich kommen. „Wer war das Mädchen, mit dem Sie vorhin sprachen?" fragte sie. „Meine Freundin, eine Plätterin aus Klützow." „Ich habe da ein paar Worte gehört, die mir aus gefallen sind." Martha erschrak. „Ich weiß, daß Sie mir treu ergeben sind, und ich ver langt jetzt, daß Sie mir Alles ganz genau erzählen, hören Sie, Alles — ich habe meine Gründe dazu." Nach vielem Sträuben und Bemänteln kam denn nun die ganze böse Rendezvousgeschichte zu Tage, mit allen Detail«, auch daß Armgard der „Türkin" das Haus verwiesen haben sollte. „Das war der Tag, wo ich Toilette für das Pantzow'sche Diner machte, entsinnen Sie sich?" bemerkte die Baronin. „Ich ließ Fräulein Körting bitten, eine halbe Stunde zu warten. Sie mußte aber ihren Onkel abholen, war in Eike und wartete daher nicht. Sehen Sie — und so wahr wie dieses „Hinaus verweisen" sind natürlich auch all die übrigen Märchen. So, und nun lassen Sie mich allein." Sobald die Andere sich entfernt hatte, war es mit Armgard's mühsam bewahrter Selbstbeherrschung vorbei. Schluchzend brach sie auf dem weißzottigen Eisbärenpelz zusammen. — Und es kam eine böse, traurige Nacht für die kleine Sportbaronin. Am nächsten Morgen, als Romin heimkam, reichte sie ihm den anonymen Brief. Verächtlich warf er ihn auf den Tisch. „Infamie." — Dann erzählte sie ihm, was sie von Frau Martha gehört. Er fuhr empört auf, schimpfte auf das „elende Pfahl- bürgcrpack" und wollte dann möglichst schnell — als ob die Sache seine Frau eigentlich gar nichts anginge! — zur Tages ordnung übergehen. Aber dieses Mal war der „gute Kamerad" nicht so bequem wie sonst. Sie war zu sehr gekränkt, zu heftig aufgerüttelt in den Tiefen ihrer Seele. Endlich einmal mußte Curt's Sündenregister aufgerollt werden, endlich einmal der seit Jahren angesammelte Sprengstoff still eingesteckter De- müthigungen, nagender Eifersuchtsschmerzen explodiren. Und der Sturm brach los: Nun sei das Maß voll; länger könne sie dieses Leben nicht ertragen; nun möge er wählen zwischen ihr und seiner Geliebten; über ihre Schwelle dürfe Jndschi nicht mehr kommen; sie könne, wolle nicht länger die Rolle der ge duldigen, Alles verzeihenden Ehefrau spielen — und so weiter. Romin war erstarrt. So etwas hatte er noch nicht erlebt. Ganz Unrecht hatte sie ja nicht, freilich, aber er hatte immer geglaubt, sie sei das Muster einer vernünftigen kleinen Frau, sie mache sich überhaupt keine Kopfschmerzen um dergleichen. Und nun? War das die kühle, ruhige Armgard? Er suchte zu erklären, zu entschuldigen, aber nichts half. Endlich forderte sie von ihm, er solle ihr sein Ehrenwort geben, daß die Geschichte erfunden sei. Er gab es ohne Zögern. „Auch, daß Du nie — nie versucht hast, Dich Fräulein Körting zu nähern?" Herr gott, sie war ja entsetzlich heute! Curt schwieg. „Aha" — sie nickte, mit einem bitteren Lachen — „also nur ihrer Tugend, ihrem Anstandsgefühl verdanke ich's, daß die Leute nicht Recht haben." Beide schwiegen minutenlang. Armgard schluchzte. „Eigent lich hätte ich keinen Grund, Mitleid mit ihr zu haben", begann sie dann wieder, „sie hat mich Thränen genug gekostet. Freilich unschuldig, denn allerdings" — das sprach sie leise vor sich hin —, „etwas Unrechtes habe ich von ihr nie gesehen. Im Grunde habe ich sie selbst gern; ein reizendes Geschöpf ist sie ja — und gut zu Pferde sitzt sie, trotz ihres Gewichts! Leid thut sie mir doch! Wie sie gestern aussah! Doppelt schändlich ist es von Dir (indem sie sich von Neuem erhitzte), ganz ge wissenlos. Du weißt, in welcher kleinlichen, klatschsüchtigen Um gebung das Mädchen lebt — aber das ist Dir ja ganz egal, ob Du Jemand compromittirst." Sie sprang auf. Die Hände V die Jaquettaschen gesteckt, mit einem bösen, stirnrunzelnden Gesicht lief st« im Zimmer auf und nieder — und er stand vor dem Fenster, trommelte an den Scheiben und kam sich so miserabel, unbehaglich und blamirt vor wie noch nie im Leben, wenigstens nicht mehr, seit er als Junge seinen letzten Haus lehrer hinausgeärgert hatte. Recht, recht lange dauerte diese beklommene Situation. Da endlich hielt Armgard mit ihrem Dauerlauf inne, stellte sich vor ihren Mann und sagte: „Das Mädel thut mir leid. Ich werde heute Nachmittag nach Klützow fahren, sie abholen, recht viel in der Stadt mit ihr herumkutschiren, Besorgungen machen und recht freundlich mit ihr sein. Bielleicht sagen sich da doch die Menschen, daß nichts daran sein kann, wenn sie uns beide so zusammen sehen -7- und dann werde ich sie überhaupt zu mir heranziehen — zu mir, Du bleibst natürlich ganz aus dem Spiel —, im August, wenn Du ins Bad gehst, dann kann sie mich mal länger besuchen und —" Da geschah etwas, worüber der kleinen Sportbaronin die Worte im Halse stecken blieben, etwas noch nie Passirtes: ihr Mann sank vor ihr auf die Knie, legte den Arm um ihren Leib und bedeckte ihre kleinen Hände mit zärtlichen Küssen. „Nanu?" fragte sie selig verblüfft. Und er, der sonst so Redegewandte, fand nur das eine Wort für seine Gefühle: „Osnllervoman!" Sie meinte es gut mit ihrer Freundschaftsdemonstration für Jndschi, die kleine Sportbaronin; aber viel half es nicht. Sie war zu sehr als nachsichtige Gattin bekannt. Und dann, wenn die Leute in so einem stillen Kleinstadtsumpf erst mal den er frischenden Reiz eines netten kleinen Scandals gekostet haben, dann lassen sie sich diese Lebenswürze nicht gern gleich wieder rauben, sondern verschließen lieber Augen und Ohren und bleiben trotz aller Gegenzeugnisse dabei: 's ist doch was dran! Als neue Bekräftigung der Sache kam ja nun noch des jungen Baumeisters plötzliche Abreife dazu; noch am Tage feiner letzten Unterredung mit Jndschi hatte er Klützow ver lassen; die aufkeimende Neigung war natürlich bemerkt worden, ja sogar die Bootsahrt zu Zweien hatte man beobachtet, nun aber war Alles vorbei; selbstverständlich! Nun bedankte sich Fritz Olfers! > Zufrieden und angeregt durch die vielen neuen Eindrücke, war der Sanitätsrath von seiner Heidelberger Reise zurück gekehrt. Wie batte er sich unterwegs darauf gefreut, Jndschi Alles zu erzählen und sie zu loben, daß sie ihn zu der Reise angefeuert; denn von selbst hätte er den — für seine Verhältnisse so gewaltigen — Entschluß ja nie gefaßt. Und nun trat sie ihm fo verändert, so theilnahmlos, trübe, gebrochen entgegen! Er war tief bekümmert, als er erfuhr, was man seinem Liebling zu Leide gethan. Jndschi erzählte ihm Alles, auch von dem, was sie bisher ganz in sich verschlossen, von ihrem kurzen Liebestraum fprach sie ihm einmal in einer stillen vertraulichen Stunde. Er wollte nicht daran glauben, daß Alles vorbei sei; „wenn er Dich einmal liebgewonnen hat, dann kann er nicht so plötzlich von Dir lassen, dann kommt er wieder." Aber sie schüttelte traurig den Kopf. „Nein, er kommt nicht wieder. Und ich wünsche es auch nicht. Ich habe damals in der unglückseligen Stunde zu klar eingesehen, daß wir nicht für einander passen." „Mein armes Kind!" Ach, er wußte gar nicht, was er ihr Alles zu Liebe thun sollte, fo grenzenlos leid that sic ihm. Er fühlte wohl, daß sie mehr litt, als sie ihm eingestehen wollte. Arme Jndschi! Wenn sie sich auch alle Mühe gab, stark zu sein, es wollte ihr nicht gelingen. Ach, wenn nur die Nächte nicht gewesen wären, die langen, stillen Nächte, wo man so viel Zeit zum Grübeln und Weinen hatte! Da fragte sie sich immer und immer wieder, wie es nur geschehen konnte, daß all das süße, junge, hoffnungs selig aufsprießende Glück so mit einem Male zertreten, vernichtet worden war? Und wodurch? Durch ein Nichts, ein albernes Lügengewebe, das war so erbärmlich, widerwärtig, tragikomisch! Ein Schicksalsfchlag und doch wieder nur wie die Parodie eines Schicksalsschlages! Manchmal dachte sie daran, Fritz zu schreiben — aber nein, das litt ihr Stolz nicht. Ihr Stolz war jetzt ihre einzige Stütze. Er mußte sie auch wappnen der Kliitzower Welt gegenüber. Wenn man sie kühl grüßte — gut, so dankte sie noch kühler. Wenn man sie mied — wohl, sie konnte allein bleiben, brauchte diese Menschen nicht — stand viel zu hoch über den Zwergseelen! — Recht schön in der Theorie — aber in Wirklichkeit? Jndschi, das liebebedürftige Geschöpf, mit dem weichen, empfindlichen, allzu eindrucksfähigen Gemütb, welches jede raube Berührung als Schmerz empfand — ihr war ja jetzt jeder Schritt aus dem Hause, jedes Zusammentreffen mit Menschen eine qualvolle Operation — eine Quelle unsagbarer Pein. Eines Abends, als der Sanitätsrath von der Praxis heim kam, fand er sie in Thränen. Sie war das erste Mal seit jenen Junitagen wieder im Singvcrein gewesen und da hatten sich die anderen Damen so häßlich benommen — so isolirt hatte sie sich gefühlt — nein, sie konnte es nicht länger aushalten! „Laß mich fort, Onkel", bat sie schluchzend. „Die alte Borstel möchte ja so gern wieder zu Dir ziehen, nicht wahr? Schreibt sie nicht immer so sehnsüchtige, anhänglich« Briefe? Laß sie kommen. Und ich — —" „Willst Du nach Konstantinopel zurück?" „Nein — um keinen Preis. Ich will auf eigenen Füßen
- Aktuelle Seite (TXT)
- METS Datei (XML)
- IIIF Manifest (JSON)
Erste Seite
10 Seiten zurück
Vorherige Seite