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02-Abendausgabe Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 13.04.1898
- Titel
- 02-Abendausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1898-04-13
- Sprache
- Deutsch
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-18980413024
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id453042023-1898041302
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-453042023-1898041302
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
-
Zeitung
Leipziger Tageblatt und Anzeiger
-
Jahr
1898
-
Monat
1898-04
- Tag 1898-04-13
-
Monat
1898-04
-
Jahr
1898
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DK Morgen-AuSgabe erscheint em '/,7 Uhr, di« Lbead-Au-gabe Wochentag- um b Uhr, Filialen: Vtt« Klemm's Eortini. kRlfrey Hahn), Untversität-straße 3 (Pauliuom). LsniS Lösche, Katharine,str. IS, patt, uad Köuig-plah, 7. Le-artion vn- Expedition: JohanneSgaffe 8. Die Expedition ist Wochentag- nnunterbroch« von früh 8 bi- Abends 7 Uhr. Bezugs-Preis K h« Hauptexpeditton oder den tm Lltadt» bezirk und den Vororten errichteten Aus- oabestellen abgeholt: vierteljährlich^4.öO, bei -wrimaligrr täglicher Zustellung in« Hau- ^l b.50. Durch die Post bezogen für Deutschland und Oesterreich: vierteljährlich ^l 6.—. Dirrcke tägliche Sreuzbaudsruduug tus AuSlaad: monatlich 7wO. Abend-Ausgabe. KipMrr TaMM Anzeiger. Asntsktatt des H'önigkichen Land- und Ämtsgenchles Leipzig, des Mathes und Nolizei-Ämtes -er Ltadt Leipzig. Anzeigeu-PreiS die 6 gespaltene Petitzeile 20 Ps^ Brrlamen unter dem Redaction-strich (4 g» ipalleu) üO-k. vor den ^amilienuachrilbt« <6 gespalten) "40/ch. Größere Schriften laut unserem Preis- perzrichuib. Tabellarischer und Zissernjatz nach höherem Tattf. Extra-Veilagen (gesalzt), a«r mit dG Morgen-Ausgabe, ohne Poflbefördrruii^' SO.—, m»t Poslbrsörderung 70.—. Itunahmeschluß für Anzeigen: Abend-Ausgabe: vormittag- 10 Uhr. 77orge n-Ausgabe: Nachmittag- 4 Uhr. Gei den Filialen und Annalmiestellea je eia» halb« Stunde früher. Llnzetge» sind stet« an die Er-e-itis» zu richten. Druck und Verlag vou E. Polz iu Leipzig l8t. Mittwoch den 13. April 1898. 92. Jahrgang. Politische Tagesschau. * Leipzig, 13. April. Der socialdemokratischc Wahlaufruf wird in dem größten Theile der bürgerlichen Presse als ein Machwerk bezeichnet, da- schwerlich den von den Berfassern erhofften Eindruck auf die Ärbeiterbevölkerung machen werde. Die „Nat.-Lib. Corr." meint, ein magerere- Wahlprogramm sei noch niemals auf gestellt worden, und begründet dieses Nrtheil folgender maßen: „Der Ausruf füllt die ganze erste Seite des „Vorwärts" aus, und doch würde auch die minutiöseste Forschung nach positiven Vorschlägen vergeblich sein. Die Verfasser des Aufrufs haben sich ein Schreckgespenst zusaminengeziinmert, daS dem gesunden Sinne der deutschen Arbeiterschaft, soweit sie noch nicht gewohnt ist, den Tiraden der „Führer" den gerade von diesen am meisten verspotteten „Köhler- glauben" entgegenzubringen, geradezu Hohn spricht. Ein ödes Schlag wort reiht sich an das andere; die verbrauchtesten Phrasen haben sich wieder eingefunden. „Das allgemeine gleiche directe und geheime Wahl- recht ist in Gefahr"; „das Coalitionsrecht ist in Gefahr"; „das geringe Maß von Vereins- und Versammlungsfreiheit soll noch mehr be schränkt werden"; „der kleine Mann soll zu einein stummen Mann gemacht werden", so lauten die Thesen, die zunächst in dem Wahl aufruf in breitester Weise abgehandelt werden. Dazu gesellen sich die herkömmlichen Phrasen von der „Ausbeutung der Arbeiter als Con« sumenten", von den „Interessen des Gcldsacks", von der „Politik der Ausbeutung, Unterdrückung und Entrechtung verarbeitenden Classen"rc. Selbstverständlich fehlen nicht die üblichen Deklamationen gegen die Schutzzollpolitik und den Militarismus, wobei die Annahme der Flottenvorlage im Reichstage speciell kritisirt wird. Die An strengungen Deutschland- auf dem Gebiete des Welthandels sind Len Verfassern des Aufrufs nur Versuche zur „Ausbeutung und Unter- drückung fremder Völker". Zwei und eine halbe Spalte lang spinnt sich dieser Faden fort in einem Tone, der genügend durch die Schlußphrase gekennzeichnet wird: „Unser Kampf richtet sich gegen Rechtlosigkeit, Ungerechtigkeit, Unterdrückung und Ausbeutung in jeglicher Gestalt. Unsere Losung ist: Tod der Noth und dem Müßiggang!" Und nun der positive Theil des Wahlaufrufs! Er beschränkt sich auf folgenden Passus: „Wir kämpfen für eine neue Staats- und Gesellschaftsord- nuug, in der Männer und Frauen als Freie und Gleiche leben und Ihätig sind, in der es keine Herrschaft des Menschen über den Menschen giebt und Las Wohlsein Aller als oberster Grund- satz aller menschlichen Ordnung anerkannt ist. Freiheit, gleiches Recht für Alle! Keine Rechte ohne Pflichten! Keine Pflichten ohne Rechte!" Das ist Alles. Die Ausmalung de- hier verheißenen Zukunfts staates bleibt wie immer jedem Einzelnen überlassen.... Uns will dünken, als sei die Socialdcmokratie noch niemals mit so zerschossener Front in den Wahlkampf gerückt, wenn auch der Aufruf mit dem üblichen „Vorwärts zu Kamps und Sieg" schließt." Darin, daß der Aufruf ein Conglomerat von Schlagworten fei, stimmen wir mit der „N.-L. C." völlig überein; trotzdem glauben wir ihm eine ganz andere Wirkung Voraussagen zu müssen, als das nationallrberale Parteiorgan. Er ist sorg fältig auf die Kreise berechnet, an die er sich wendet. Von jeher mit Phrasen gefüttert, bringen diese Kreise der Phrase die größte Empfänglichkeit entgegen und werden nicht leicht darüber zu belehren sein, daß sie mehr als je durch Schreck gespenster erschreckt und mit Schlagworten abgespeist werden sollen. Um sie davon zu überzeugen, werden in allen Wahlkreisen, in denen die Socialdemokratie eine beachtenS- werthe Stellung einnimmt, die bürgerlichen Candidaten und sonstigen Wahlredner Punct für Punct die Behauptungen des Wahlaufrufs widerlegen müssen, wenn man sich der Hoffnung soll bingeben können, die socialdemokratisch an gehauchten Massen dem Banne zu entziehen, in den die Phrase sie gezogen. Aber wie soll eine solche Aufklärung dieser Massen in Wahlkreisen ermöglicht werden, in denen mehrere bürgerliche Candidaten einander gegenüberstehen und nicht mir einander befehden, sondern womöglich auch darüber streiten, wie und wie weit die Socialdemokratie zu bekämpfen sei? Jeder Hieb, der in solchen Wahlkreisen zwischen den bürgerlichen Bewerbern fällt, jeder Jrrthnm, den einer dem anderen nachweist, jeder Vorwurf, den der eine dem anderen macht, ist willkommenes Material für die socialvemokratischen Helden der Schlagwörter und besonders willkommene Unterlage für die Phrase von dem bürger lichen „Ordnungsbrei", der eigentlich ein „Unordnungsbrei" sei, mit dem aufgeräumt werden müsse, um dem ziel- bewußten Proletariat die Herrschaft zu sichern. „Herr schaft!" Dieses eine Wort, in die Ohren der „Genossen" gedonnert, wirkt ungleich mehr, als stundenlange Reden der einigsten bürgerlichen Redner, denn eS spricht den tiefsten Herzenswunsch aller Genossen aus. Und dieses Wort klingt durch jede Zeile des socialdemokratischen Aufrufes, und des halb wird er wirken; am allermeisten aber da, wo die bürger lichen Parteien zu blind sind, um zu begreifen, daß es sich für sie um die gemeinsame Pflicht der Abwehr des Unter ganges, der Abwehr der socialdemokratischen Herr schaft handelt. Der bereits im heutigen Morgenblatte erwähnte Erlaß, den das preußische Slaatsministerium an die Ober präsidenten der Provinzen mit „cmischt-sprachtgcr Bevölkerung zur weiteren Verbreitung in der Beamtenschaft gerichtet hat, lautet: „Berlin, den 12. April 1898. In den Provinzen gemischt-sprachlicher Bevölkerung und nationaler Gegensätze legt die Aufgabe der Staatsregierung, das deutsche National- und preußische Staatsbewußtsein in der Bevölkerung zu stärken und lebendig zu erhalten, auch den Beamten des Staats und der Gemeinden, einschließlich der Lehrer, besondere Pflichten auf. Neben der gleichmäßig gerechten Erfüllung ihrer Amtspflichten gegenüber allen Bevölkerungsschichten und der festen Aufrcchthaltung gesetzlicher und staatlicher Ordnung und Autorität müssen sie auch durch ihr gejammte- außerdienstliches und selbst gesellschaft liches Verhalten an der Erfüllung der bezeichneten Aufgabe Mit arbeiten. Es liegt ihnen ob, durch ihr Vorbild den Vater- ländischen Geist zu kräftigen und die darauf gerichteten Bestrebungen der deutschen Bevölkerung zu unterstützen. Wo die Gelegenheit geboten ist, soll unter Vermeidung kühler Ab schließung eine rege, auch außerdienstliche Mitwirkung bei allen berechtigten Anstrengungen zur Hebung der Wohlfahrt des Volkes, deutscher Bildung und deutscher Cultur stattfinden. Das Staats-Ministerium weist in dieser Richtung vorzugsweise hin auf die Begründung von wirthschaftlichen Genossenschaften, die Bereitstellung deutscher, der Bevölkerung zugänglicher Bil dungsmittel, die Gründung und Erhaltung patriotischer Vereine, die Schaffung geselliger Vereinigungspuncte, die Unterstützung der in ihrer Existenz und deutschen Nationalität gefährdeten Bevölkerungsclassen und Ein- zelner, die Förderung von Heilanstalten und Stationen von Krankenpflegerinnen, die Fürsorge fürKleinkinderschulen und andere ErziehungS- und Bildungsanstalten. Dabei ist jedes aggressive Vorgehen gegen die fremdsprachliche Bevölke rung zu vermeiden und den willigen Elementen derselben die Thcilnahme überall offen zu halten. Neben der entschiedenen Ab wehr deutschfeindlicher Bestrebungen muß ein versöhnlicher Geist, gerichtet auf die allmähliche Abschleifung der bestehenden Gegensätze, daS Thun und Lassen der Beamten und Lehrer leiten. Das Staats Ministerium weiß wohl, wie ersprießlich schon jetzt von denselben in zahlreichen Fällen gewirkt wird, hat aber doch noch einmal bei Lein Ernst der Lage ausdrücklich in Erinnerung bringen wollen, welche besonderen und schwierigen Auf gaben Len Beamten und Lehrern in den bezeichneten Landestheilen obliegen, und vertraut gern ihrer willigen und patriotischen Mitarbeit im Verein mit allen königstreuen und staatlich gesinnten Elementen. Tas Staatsministerium. Fürst zu Hohenlohe, von Miquel. Thielen. Bosse. Freiherr von Hammerstein. Schönstedt. Frhr. von der Recke. Brefeld. von Goßler. Graf von Posadowskh. von Bülow. Tirpitz." Ter Erlaß liefert einen neuen Beweis dafür, Laß die preußische StaatSregierung zwar weit davon entfernt ist, eine aggressive Politik gegen das Polenthum oder gar gegen die polnisch redenden Bürger dcs eigenen Landes zu verfolgen, aber sich ihrer Pflicht zu nachdrücklicher Abwehr der auf Schwächung und Verdrängung des deutschen Elements in den Ostmarken gerichteten Bestrebungen und zn wirksamem Schutze des Deutschthums der betreffenden Landcstheile klar bewußt ist. Die deutsche Bevölkerung dieser Landestheile erhält dadurch die aufeuernde Gewißheit, daß in dem schweren Kampfe, den sie zn führen hat, die gesummte geistliche und staatliche Macht unseres Volksthums hinter ihr steht und daß die jetzige Polenpolitik Preußens in Zukunft nicht mehr jenen Schwankungen unterliegen wird, die früher sehr zum Schaden der deutschen Sache wiederholt eingetreten sind. Mit der Vorschrift des „macke in Verma»)" hat der jugendliche und noch verschämte englische Protektio nismus eine veritable BileaniS-Nede gehalten. Hier ein neuer Beweis. Der Vorstand des Vereins Berliner Kaufleute und Industrieller veröffentlicht das Folgende: „Das Londoner Zollamt (Board os Customs) hat zur Instruction der britischen Zollbehörden unter dem 28. Januar ein „Memo randum" erlassen, LaS in Nr. 51 Les „Deutschen Reichsanzeigers" veröffentlicht ist, übrigens auch auf dem Bureau des Vereins Ber- liner Kaufleute und Industrieller eingesehen werden kann. Die hier in Bezug auf mildere Handhabung der englischen Markcnschutznovelle vom 23. August 1887 getroffenen Be stimmungen entbehren in sachlicher Beziehung theilweije der nöthigen Klarheit. Insbesondere gilt dies von der Bestimmung in Nr. 5 des Memorandums, wonach deutsche Maaren unter gewissen Um ständen künftig mit englischen Handelsbezeichnungen nach England eingeführt werden können, da es Len englischen Zollbeamten überlassen bleibt, zu entscheiden, ob die Handelsbezeichnung darauf berechnet ist, den Glauben wachzurufen, daß dje Maaren britischen oder irischen Ursprungs sind. Angesichts Liej«r Sachlage giebt der Vorstand des Vereins Berliner Kaufleute und Industrieller auf Grund eingehender Erwägungen deutschen Gewerbe treibenden Len dringenden Rath, bei der Ausfuhr nach England den für die heimische Industrie segensreich gewordenen Zusatz „macko in 6ermanz?" beizubehalten oder, wenn überhaupt, von den erleichterten Einfuhrbedingungen nur einen möglichst vor sichtigen Gebrauch zu machen." , Wenn den Engländern der Vergleich mit der Geschichte von Bileam wegen des in die Erzählung verflochtenen klügeren Grauthieres nicht gefällt, so mögen sie sich an die Umwand lung deS Schimpfnamens der Geusen in eine Ehrenbezeich nung halten. Jedenfalls beweist die Aufforderung des Ber liner Vereins, daß „wir reiten". DaS Charakteristische an der Botschaft Mac Kinley'- ist dies, daß sie cs für den Augenblick als inopportun bezeichnet, die Unabhängigkeit CubaS anzuerkennen. Das ist eine directe Bestätigung unserer Auffassung, daß die Vereinigten Staaten ein Interesse nur an der Angliederung der großen Antille haben. Im Uebrigen liegt der Schwerpunct der Botschaft in der Drohung mit einer bewaffneten Intervention zum Zwecke der Pacification der Insel. Dieser Drohung ist aber vou Spanien zum vorhinein die Spitze durch die Proelamirung eines Waffenstillstandes abgebrochen und Mac Kinley kann nicht umhin, in einem Nachtrag zu seiner Botschaft zuzugestehen, daß eine neue Lage geschaffen sei, die erwogen werden müsse, und die Intervention als vorläufig aufgeschoben zu betrachten sei. Das Bedenkliche ist blos, daß der Präsident dem Congreß die Entscheidung bereits anheimgestellt, die Entscheidung über Krieg und Frieden also aus der Hand gegeben bat. Wie man uns auS Madrid berichtet, ist man deshalb dort noch nicht ohne alle Sorge und dält sich auf Alles ge faßt. Der Ministerpräsident Sagasta äußerte einem Bericht erstatter gegenüber, der Wortlaut der Botschaft Mac Kinley s sei noch nicht bekannt, sie scheine jedoch einen neuen Aufschub zuzulassen. Also eS scheint nur, gewiß ist es noch keineswegs. Wie übereinstimmend gemeldet wird, hat die Botschaft des Präsidenten Mac Kinley den Zorn der Jingoes erregt, sie sind außer sich, daß Spanien wenigstens Zeit gewonnen hat, und verlangen die sofortige Zurückziehung der Spanier. DaS scheint auch die Stimmung der Commissionen zu sein, welche augenblicklich über die Botschaft berathen. Man meldet uns darüber: * London, 12. April. Wie dem „Reuter'schen Bureau" auS Washington gemeldet wird, soll dem Vernehmen nach die Senats commission für die auswärtigen Angelegenheiten imPrincip eine Resolution zu Gunsten einer sofortigen Intervention und ferner beschlossen haben, daß an Spanien die Forderung gerichtet werden solle, Cuba zu räumen. * Washington, 12. April. (Meldung des „Reuter'schen Bureaus".) Generalconsul Lee ist hier eingetroffen und sollte heute Nachmittag vor der Senatscommission vernommen werden. Ter Bericht der genannten Commission wird sich bezüglich der Bot schaft deS Präsidenten Mac Kinley allem Anscheine nach für folgende Beschlußantrüge ausfprechen: Das kubanische Volk ist von Rechts wegen frei und unabhängig und soll es sein. Der von Spanien aus Cuba gesührte Krieg ist für den Handel, das Eigenthum und die Interessen der Bereinigten Staaten so schädlich, so grausam und barbarisch, daß es Pflicht der Regierung der Bereinigten Staaten ist, zu fordern, Laß Spanien unverzüglich sein« Land- und Seestreitkräfte von Cuba zurückztehe. Der Präsident wird ermächtigt, die gejammten Streitkräfte der Vereinigten Staaten jür die Ausführung dieser Bejchlußantrüge zu verwenden. F-irrHet»ir» Der Kampf mit dem Schicksal. 9j Roman von Hermann Heinrich. Nachdruck verboten. „Willst Du nicht die neue Wirthschafterin von Sandenburg abholen?" fragte der Amtsrath. So gern Richard seiner Frau entgegengefahren wäre, so fürchtete er doch, daß sie Beide nicht stark bleiben würden, und die Öffentlichkeit hat zuweilen scharfe Augen. „Willst Du das lieber nicht besorgen?" entgegnete er des halb. „Du kennst sie ja schon." „Wir könnten auch einfach dm Kutscher schicken. Aber nein, das geht nicht. Er würde sie im Gedränge nicht finden. Ich werde selbst gehen." — Mit seligem und doch bangem Gefühl sah Richard der An kunft seiner Frau entgegen. Als sich der Dampfer in der Ferne meldete, wandte er sich mit erheuchelter Gleichgiltigkeit der Ziegelei zu. Nach einiger Zeit rief ihn der Amtsrath ins Haus. Mit klopfendem Herzen folgte er dem Rus«, und tief holte er Athem, ehe er ins Zimmer trat. Di« alte und die neue Ladewigen waren anwesend, die Alte finster und kalt wie ein Eisberg, die neue ernst und ruhig, nur die unstät blickenden Augen verkündeten dem Eingeweihten di« innere Erregung. „Mein Sohn — Frau Lädewig, unser« neue Wirthschaf terin." Richard nickt« leicht mit d«m Kopfe, während sich Franziska verneigte. Da stand seine Frau, nach der sich seine Seel« in der langen Zeit der Trennung gesehnt hatte. Ihr goldblond«- Haar »vor unverändert, nur die Stirnlocken waren verschwunden, und die schöne, hohe Stirn lieh sie ernster erscheinen, al- sie früher ausgesrhen hatte. Ihr Teint war dunkler geworden, und die Gefwlt kräftiger. Der zarte Hauch der Kindlichkeit war abge streift, aber der Zug von hingebender Liebe, der ihn so oft ge rührt und entzückt hatte, war geblieben. Einen Moment begeg neten sich ihre Augen, aber Keine- sprach ein Wort. „Wir haben das Vertrauen »u Ihnen, daß wir mit Ihnen ebenso zufrieden werden sein können, wie mit unserer alten, gutm, treuen Ladewigen', sagte der Amt»rath streng und doch mit einem Klang von Wohlwollen in der starken Stimme. „Frau Ladewig wird noch ein« Woche bei unS bleiben und Sie tn die hiuMchen vechältniffe einführen." Franziska verbeugte sich zustimmend und ging mit der Alten. „Wie findest Du sie?" „Sie macht einen Vertrauen erweckenden Eindruck." „Ja, und ernst und schweigsam ist sie. Sie ist aus anderem Holz wie die Alte, aber in ihrer Weise nicht schlechter. Nun, wir werden ja schm. Uebrigens könntest Du etwas weniger steif gegen sie sein. Die Haltung steht Dir ja gut, aber eine Wirthschafterin ist doch eine Vertrauensperson." „Das wird sich schon finden." Der AmtSrath war ins Bett gegangen, still lagen Haus, Garten und Ziegelei. Die alte und die neue Frau Ladewigen saßen im Giebelstübchen. Die Alte hatte ihre Gleichgiltigkeit abgelegt und war bemüht, die Pflichten einer Mutter und Ver trauten zu erfüllen. „Nur tapfer, junges Blut, nur nicht runter kriegen lassen! Höchstens kann's doch schief gehen. Und geht's schief, der Richard ist Ihnen sicher, der hängt an Ihnen wie eine Klette. Hundert Väter und hundert Ziegeleien läßt er schießen, wenn es sich um seine Frau handelt. Da können Sie Gift drauf nehmen." Es klopfte leise an. „Das ist er wohl gar?" Mit finsterem Gesicht öffnete sie die Thür. „Fort, hier ist nichts für leichtsinnige, junge Männer!" flüsterte sie. „Ich muß!" Damit drängte er sich durch die Thür. Im nächsten Augenblick lagen sich Mann und Frau in den Armen. „Aber 'n bischen rasch, wenn ich bittm darf", sagte sie ener gisch und ging hinaus. Lange Zeit hielten sich Richard und Franziska wortlos um schlungen. Er küßte ihr Mund, Augen und Wangm. Sie legte ihren Kopf auf seine Schulter, und er drückte seinen Mund, wie er daS früher so gern gethan hatte, auf den zierlichen Nacken. Sie hob den Kopf, ihre Augen warm voll Dhränen, aber ein Strahl höchsten Glückes leuchtete ihm daraus entgegm. Beide lachten, ein neuer Thränenstrom drang auS Franziskas Augen, und auch die seinigen wurden feucht. Unter Lachen und Weinen setzten sie die Liebkosungen fort, bis sich di« ersten Worte: „Mein lieber, süßer Schatz!" und „Mein lieber, lieber Richard!" von ihren Lippm rangen. Nach dem ersten Freudensturm setzten sie sich. Sie legt« ihren Kopf an seine Wang«, er schlang seinen Arm um ihren Leib, und im heimlichen Flüsterton tauschten sie ihre Gedanken auS. „Daß Du so in das Haus meines Vaters einziehen mußt, daS drückt mich tief nieder." „Nicht doch, mein Schah! Um Deinetwillen ist mir nichts zu schwer. Und wenn ich Magd sein müßte! Ich will die nie drigsten Dienste verrichten. Nur ick Dir sein!" „Und unser armes Kind! Es ist entsetzlich! Den Vater kennt es nicht mehr, und die Mutter wird es nun auch vergessen." „Das ist's allein, was auch mich quält. Aber wir wollen es lieb behalten, und wenn wir wieder einmal mit ihm vereinigt werden, dann wird es an unserer Liebe die Eltern erkennen." Lange flüsterten sie so miteinander. Ihr Athem berührte sich, die Wärme ihres Blutes strömte ineinander über. Wieder und wieder drückte er sie an sich und bedeckte sie mit Küssen. Indessen stand die Ladewigcn draußen wie auf Kohlen. Sie begriff sich nicht mehr, sie schüttelte über sich selbst den Kopf. Wache stehen vor der Thür eines verliebten Paares, sie eine alte Frau, die in Ehren grau geworden war! Fünfundzwanzig Jahre lang hatte sie dem Amtsrath treu gedient, und wenn er jetzt hinter ihre Schliche kenn, so wurde sie mit Schimpf und Schande vom Hofe gejagt! Während sie diesen Gedanken nach hing und unruhig an ihrer Schürze zupfte, hörte sie drin ver haltenes Lachen und Schluchzen und das Geräusch inniger Küsse. Und die Liebelei wollte kein Ende nehmen. Endlich hielt sie es nicht mehr aus. Sie ging hinein und wies mit zu sammengekniffenen Lippen und furchtbar ernstem Gesicht nach der Thür. „Liebste, beste Frau Ladewig", bat Richard flehend, „lassen Sie uns nur noch einig« Minuten! Denken Sie doch, andert halb Jahre haben wir uns nicht sehen und sprechen dürfen! Wir sind fast gestorben vor Sehnsucht. Liebste Engelslade wigen!" Er bat so stürmisch, daß sie nicht widerstehen konnte. „Gut, noch fünf Minuten! Aber Eins müssen Sie mir versprechen." „Alles, was Sie wünschen." „Nämlich, daß Sie, wenn ich erst fort bin, nie wieder hierher kommen dürfen. Sie bringen sich sonst selbst in den Abgrund. Es giebt keine alte Ladswigen mehr, die Schildwache für Sie steht, Sie bodenlos leichtsinniger Mensch!" „Ja, ich verspreche es", sagte Richard und drängte die Alte zur Thür hinaus. Wieder stand sie auf dem dunklen Korridor, und wieder ge wann der Groll die Oberhand. So was dürften sie einer alten Frau doch gar nicht erst anbieten. Es ist ein« Unverschämt heit, eine Frechheit! Und eine Wirthschafterin war sie doch vor läufig auch blos. Gott im Himmel, wenn sie man überhaupt verheirathet waren, sie hatte ihren Trauschein ja nicht gesehen. Nein, zu welchen schlechten Dingen sie sich verleiten ließ! Plötz lich hörte sie auf dem Hofe schwere Tritte. Mit jähem Schreck eilte sie ins Zimmer. Richard und Franziska sprangen auf. „Was giebts?" Sie hob den Finger und lauscht«. Die Tritte gingen lang sam vorüber. Es war der Wächter, welcher seine erste Runde machte. Sie athmete auf. Dann faßte sie den jungen Herrn ener gisch am Arm, zog ihn zur Thür und warf ihn hinaus. Hinter ihm riegelte sie die Thür zu. Dann nahm sie Franziska in ein scharfes Verhör, aus welchem hervorging, daß es mit der Heirath doch seine Richtigkeit hatte. „Einmal und nicht wieder", sagte sie, und mit diesem Vorsatz legte sie sich ins Bett, daß die Pfosten krachten. Richard war zu erregt, um schlafen zu können. Er zündete sich noch eine Cigarre an, legte sich aufs Sopha und gab sich ganz dem glücklichen Gefühl hin, wieder mit Franziska unter einem Dache wohnen zu können. Auf Momente freilich traten auch die Sorgen wegen der Zukunft an ihn heran. Aber das Glücksgefühl war für diese Stunde doch zu mächtig, als daß es die Sorgen hätte beeinträchtigen können. Nach einigen Tagen sagte der Amtsrath: „Sie läßt sich gut an." „Den Eindruck habe ich auch", entgegnete Rick^ard. Eine Woche war vergangen, da rüstete sich die Ladewigen zur Abreise. Die große Lade und einige Koffer waren fertig gepackt. Ein großer Leiterwagen stand bereit, der sie »ach San denburg bringen sollte, denn die Dampfschifffahrt hatte für dieses Jahr aufgehört. Mit Gewalt kämpfte sie die Rührung nieder, die sie ergreifen wollte, wobei ihr altes Gesicht die lächer lichsten Grimassen schnitt. Fritz, der Kutscher, der sie eine Weile bobachtet hatte, konnte sich das Lachen nicht verbeißen. Kaum aber hatte dies di« Alte bemerkt, als sich die Rührung bei ihr in Entrüstung umsetzte und ihre Lippen sich lösten. „Was? Lachen willst Du — Du lachen über eine alte Frau? Faß Dir erst hinters Ohr, dann wirst Du merken, daß Du noch nicht trocken bist! So ein knickstiebeliger Pferde junge! Kann sich noch keine ehrliche Schnitte Brod verdienen, und will mir ausgrinnen! Wenn ich ihm nicht gekocht hätte, hätt' er nichts zu essen gehabt. So ein Bovis' Thut, als tväre er ein ehrlicher Pilz und ist voll Staub und Moder. In den Spiegel mag er gucken, dann wird er sehen, von wem er ab stammt. Geh zum Drechsler und laß Dir ein paar Hörner ansetzen! Die passen zu Deinem Gesicht. In die Heerde mag er sich verlaufen und Gras fressen. Da wird 'n Niemand von einem Hammel unterscheiden. Flegel!" Fritz hatte sich längst aus dem Staube gemacht, aber ihr hatte der Zornesausbruih wohl gethan. Von jeder sentimentalen Regung frei, trat sie zum Amtsrath, um sich zu verabschieden. Dieser drückte ihr eine gefüllt« Börse in die Hand und übergab ihr ein Schriftstück, in welcher ihr auf Lebenszeit eine klein,
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