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02-Abendausgabe Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 04.09.1896
- Titel
- 02-Abendausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1896-09-04
- Sprache
- Deutsch
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-18960904028
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id453042023-1896090402
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-453042023-1896090402
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
-
Zeitung
Leipziger Tageblatt und Anzeiger
-
Jahr
1896
-
Monat
1896-09
- Tag 1896-09-04
-
Monat
1896-09
-
Jahr
1896
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Größere Schriften laut unserem Preis« verzelchniß. Tabellarischer und Meins atz nach höherem Tarif. Extra-Vellage« (gefalzt), nur mit de, Morgen-Ausgabe, ohne Postbeförderung vO.—, mit Postbesörderung X 70.—. Annaismeschluß für Anzeigen: Abend-Ausgabe: Vormittags 10 Uhr. Morgen-Ausgabe: Nachmittags 4UhL Bei den Filialen und Annahmestellen je «in« halbe Stunde früher. Anzeige« sind stets an die Expedition zu richten. Druck und Verlag no-, E. Polz in Leipzig 45!. Freitag den 4. September 1896. Sv. Jahrgang. Die türkische Frage in russischer Beleuchtung. Die „Münchener Allgem. Ztg." findet in einer „angesehenen russischen Zeitung" Betrachtungen über die gegenwärtige Lage in ter Türkei und das Verhältniß der christlichen Well zu den Wirren, welche die Staaten des Padischab erschüttern. Da die rn-sische Politik, namentlich in diesen Angelegenheiten, eine sehr wichtige Rolle spielt und allerlei über Borschläge ver lautet, die der verstorbene Fürst Lobanoff in Wien zum Zwecke der „dauernden Beruhigung des Orients" gemacht baben soll, so glauben auch wir die Ausführungen des russischen Publicisten mittbcilen zu sollen. Sie lauten: „Die orientalische Frage nimmt gegenwärtig wieder daS hervorragendste Interesse der europäischen Mächte und der gesammlen civilisirten Welt in Anspruch. Alle christlichen Böller des Ottomanischen Reichs befinden sich gegen ihre mohamedanischen Bedrücker in Ausrubr, und die Pforte sucht vergebens den fürchterlichen Brand durch Ströme von Blut zu ersticken. Die Kreter führen die heftigsten Kämpfe, die Grausamkeiten gegen die Armenier haben neuerdings wieder begonnen, und die Griechen, Serben und Bulgaren in Make donien sind gegen ibren gemeinsamen Feind aufgestanden. Die Lage auf der Balkan-Halbinsel ist fast die nämliche, wie vor dem letzten russisch-türkischen Krieg. Nur das lebhafte Mitgefühl der europäischen Gesellschaft, das hervorragende Interesse an den Borgängen im Ottomanischen Reich, wo durch sich die damalige Aera der Christenbefreiung vom türkischen Joch auSzeichnete, fehlen diesmal. Gegenwärtig hört man weder etwas von europäischen Freischaare», noch von Geldopfern, noch von sonstigen Aeußerungen des Mit gefühls für die leidenden Christen. Woher kommt nun diese veränderte Stimmung? Die europäische Gesellschaft glaubt, die türkischen Christen seien befreit, der Berliner Trackat habe die Existenz und die Wohl fahrt aller christlichen llnterthancn des Padischab sichergestellt, und die gegenwärtigen Aufstände seien nichts als vereinzelte Ausbrüche der Erbitterung Unzufriedener, das Resultat politischer Verfolgungen, kurz — der Zntriguen Englands. Ter Berliner Traclat befreite nicht alle türkischen Christen, und hauptsächlich daher stammen die fortwährenden Wirren auf der Balkanhalbinsel. Um die Gährung in der Türkei beständig zu unterhalten und nm den Bürgerkrieg in Permanenz zu erklären, hätte man kaum etwas Geeigneteres ersinnen können. Dieser Tractat gab keiner Nationalität ihre voll ständige Freiheit; er tbeiltc die Griechen, Serben und Bul garen in Freie und Unfreie, gab den Einen Selbstständigkeit und zwang die Anderen, das verwesende Osmanische Reich zu conscrviren. Der Berliner Congreß, der ein erhabenes Problem — die Befreiung der Christen vom türkischen Zocke — zu lösen hatte, verurtheilte nicht nur einen Theil dieser Christen zu ewiger Sklaverei, er machte sogar die befreiten zu politischen Feinden ihrer unbesreilen Slammesgenossen, indem er erklärte, daß jede Hilfe, welche die freien Bul garen, Serben und Griechen ihren unter türkischer Oberhoheit gebliebenen Brüdern leisten würden» als eine feindliche Handlung gegen die Türkei betrachtet werden müsse. Die schiefe Lage, in der sich die durch Sprache und Glauben verwandten Völkerschaften befinden, ist jetzt offenbar; das natürliche Natioualgefübl gestattet weder den Griechen, noch den übrigen christlichen Völkerschaften, den Wehklagen gegen über gleichgiltig zu bleiben, die aus Kreta, Makedonien und Armenien zu ihnen dringen, und obwohl die Regierungen der Bulgaren, Serben und Griechen ihre Loyalität zu beweisen suchen, können sic cs dennoch nickt verhindern, daß ihre Völker die diplomatischen Rücksichten unbeachtet lasse» und den hilfe heischenden Brüdern ihre Hände entgegenstrecken. In einer ähnlichen schiefen und zweideutigen Lage befindet sich auch die Diplomatie in Konstantinopel: sie will einerseits die Christen und ihre gereckten Ansprüche befriedigen, hält sich aber andrer seits für verpflichtet, die Autorität des Sultans zu stützen und Diejenigen zu warnen, die sich gegen die Unversehrtheit der Türkei auflehnen. Die Beschirmung des Osmanischen Reichs ist zu einer Tradition der europäischen Diplomatie geworden. Von einer radikalen Lösung der türkischen Frage, mithin auch von einer gründlichen Befreiung der türkischen Christen, will man nichts wissen. Die Unantastbarkeit des osmanischen Staates wurde bereits in den dreißiger Jahren proclamirt, sie soll auch heute noch aufrecht erhalten werden. Schon Kaiser Nicolaus I. be zeichnete die Türkei als „kranken Mann"; die europäische Diplomatie acceplirte diese Benennung und bemüht sich nun, ihre Mission als Arzt dieses Patienten nach Möglichkeit zu erfüllen. Jahrzehntelang werden nutzlose Recepte verschrieben, aber trotz aller ärztlichen Verordnungen fahrt der Kranke fort, seine eiternden Wunden immer wieder aufzureißen. Der Berliner Congreß schrieb eine radikale Maßregel — die Amputation — vor, aber er schnitt ins lebendige Fleisch und verursachte dadurch beiden Theilen, obschon nickt in gleichem Maße, empfindliche Schmerzen. Die Amputation war notbwendig, sie geschah aber nickt an der richtigen Stelle. Man durfte nickt Theilc der Türkei, die von Christen bewohnt sind, durchschneiden, sondern mußte die mohamedanische Türkei von der christlichen Welt trennen. Europas historische Aufgabe ist, die Türkei nach Asien zurückzudrängen. Rußland wollte diese Mission nach dem letzten Kriege vollbringen, aber der politische Neid und die Mißgunst Westeuropas verhinderten die Absichten Rußlands. Europas Fehler besteht darin, daß es mit der Türkei wie mit einer europäischen Macht rechnet. Man betrachtet den Sultan wie einen civilisirten Monarchen und hält seine Minister für wirkliche Staatsmänner im europäischen Sinne. Es darf aber nicht übersehen werden, daß der Sultan gleichzeitig das Oberhaupt des Islams — d. b. der unversöhnliche Feind des christlichen Europa, ist und daß er, wenn er die Ralh- schjäge ter europäischen Diplomaten aufrichtig befolgen, wenn er die Rechte seiner christlichen Unterthanen mit denen seiner Glaubensgenossen aus die gleiche Linie stellen wollte, da durch seine heilige Mission verletzen würde. Sein Ansehen als Haupt der mohamedanischen Welt reicht weit über die Grenzen seines Reiches hinaus, und es bleibt ihm keine andere Wahl: entweder muß er seine heiligen Prärogative bis zum Aeußersteu vertheidigcn, oder er muß den Forderungen Europas Folge leisten. Die zweite Alternative bedeutet aber seine freiwillige Thronentsagung — falls er nicht eine gewaltsame Entthronung vorzieht. Der Sultan muß also einen nach zwei Seiten gerichteten Kampf führen: einerseits suchen seine undiSciplinirlen Heere die aufrührerischen Christen zu erdrücken, andererseits be mühen sich seine weisen Minister, die Wachsamkeit der europäischen Controle einzuschläfern. Als Haupt des Islams bewaffnet der Sultan einen Theil seiner Unterthanen gegen die anderen Theile, als europäischer Monarch sucht er selbst ständig zu handeln und fremde Eiumischungen fernzuhalten. Diese zweideutige Lage geht so weit, daß das Oberhaupt des Islams die ihm untergebenen Patriarchen, also die höchsten Diener der christlichen Kirche, im Kampfe mit der christlichen Bevölkerung seine Genossen zu sein zwingt. Diesen die Lage auf der Balkanhalbinsel kennzeichnenden Zwiespalt empfindet auch die europäische Diplomatie. Sie muß fortwährend balanciren und sich bald hier-, bald dorthin neigen, sie schwebt stets in der Furcht, auf die unzweideutige Frage: Wer soll geschützt werden, die Türkei oder die türkischen Christen? antworten zu müssen. Eigentlich dürfte die Antwort gar nickt zweifelhaft sein; leider ab r lasten sich die Diplomaten durchaus nicht immer von natürlichen Gefühlen leiten, sie werden gar zu häufig durch eigennützige, pseudo-patriotische Motive beherrscht. Namentlich ist eS Oesterreich, das auf der Balkanbalbinsel eine solche zweideutige Rolle spielt. Durch seinen Minister des Auswärtigen erklärte es, daß der Status guo auf der Balkanbalbinsel erhalten werden müsse, und auch der Vorschlag, die Insel Kreta zu blockiren, stammt von Oester reich. Es wollte in seiner rührenden Sorgfalt für daS Wohl der Türkei durch die europäischen Flotten einen furchtein flößenden Ring um die Insel ziehen, um den Bewohnern jede Hilfe von außen abzuschneiden und sie vollständig den Händen ihrer Bedrücker zu überliefern. Würde dieser Antrag bei den westeuropäischen Mächten Beifall finden, so müßte er durch Rußlands gewichtige Stimme zurückgewiesen werden, denn dieses fordert, wie der „Nord" berichtet, neue und größere Zugeständnisse für die kretischen Christen. Die russische Diplomatie beweist hierdurch, daß sie in moralischer Beziehung auf der Höhe ihres Berufs steht; ihr Ziel ist, den Ausstand nicht zu unterdrücken, sondern den türkischen Christen eine erträglichere Existenz zu gewähren. Ist dieses Ziel aber auch erreichbar? Sind wir nicht schon genügend enttäuscht worden? Die Diplomaten in Konstantinopel hören nicht auf, der Pforte Vorstellungen zu macken; sie verwenden sich abwechselnd für die Armenier, für die Kreter, für die Makedonier. Gleichzeitig werden von der europäischen Presse verschiedene Fragen aufgeworfen: die armenische, die kretische, die makedonische, und jede von ihnen wird einzeln erörtert. Tbatsächlich existirt aber nur eine, die türkische Frage. Es muß endlich einmal entschieden werden, ob im christlichen Europa ein mohamedanischer Staat ge duldet werden und wie man die Christen von der unwürdigen Vormundschaft der Türken befreien kann. Die Fehler des Berliner CongresseS müssen durch einen andern Congreß corrigirt werden, und wir können nur wünschen, daß sich das Gerücht von einem solchen bestätigen und daß es einem neuen Congreß gelingen möchte, das uralte Problem durch friedliche Mittel zu lösen." Politische Tagesschau. * Leipzig, 4. September. Zum bevorstehenden nationalliberalen Lelcairtentag schreibt, anknüpfend an die in Hannover formulirten For derungen, die „Trieriscke Zeitung": „Die national liberale Partei ist zwar noch heule viel homogener als Cen trum, Conservative und Socialdemokraten, und wer ihr den Rath ertheilt, sich hübsch selbst zu halbiren und nach rechts und links auSeinanderzusallen, rst gewiß nicht ihr Freund. Aber ziemlich tiefgehende Meinungsverschiedenheiten sind ganz ebenso wie bei den übrigen Parteien, vorhanden, und sie nicht zu unheilbaren Gegensätzen sich auswachsen zu lassen, ist allerdings vie Ausgabe vorschauender Politiker. Derin Hannover gewählte Weg dürste jedoch kaum der richtige sein; wir glauben, raß es besser sein würde, an der Wunde nicht allzu viel zu pflastern und zu docieru, sondern ruhig den heilsamen Einfluß der Zeit walten zu lassen. Im letzten Reichstag baben wieder holt theils einzelne, lheils viele Mitglieder der nationalliberalen Partei durch ihre Abstimmungen Verwunderung bei den Wählern erregt. Wir glauben kaum, daß sich das in größerem Maß stabe wiederholen wird, weil die Ueberlegung, daß ein liberaler Mann doch gewisse grundlegende Anschauungen nicht den Rück sichten auf die Wünsche einzelner Bevölkerungsclassen opfern darf, künftig mehr als bisher sich Bahn drecken wirb. Eine Verständigung über die im Großen und Ganzen inne zu haltende Linie ist freilich wünschenSwerth, und sie wird ohne Zweifel in Berlin auch gefunden werden. Eine theoretische Festlegung in allen Einzelfragen aber hätte wenig Zweck und könnte nur schädlich wirken. In der Praxis, nickt in der Theorie liegt das Heil, das werden hoffentlich die National liberalen bei ibren Beratbungen beherzigen und ihr Verhallen danach einrickten." — Wir würden es für zweckmäßig halten, wenn diese Stimme aus Trier, einem der vorgeschobensten Posten der nationalliberalen Partei am Rbein, in den weitesten Kreisen zu Gehör käme. Auch wir baben die Empfindung, als ob Vie Erörterungen der inneren Parteiverbältnisse auf dem Wege wären, sich zu sehr ins Detail zu verlieren. Insbesondere aber scheint es uns nicht gut zu sein, das Verlangen nach strafferer Parteidisciplin so gut wie ausschließlich mit dem Fall der Oriola, Heyl und Hosang zu begründen. Wir glauben, es würde für die Zukunst der nasionalliberalen Partei schon viel gewonnen sein, wenn in den noch aus stehenden Versammlungen und dann vor Allem auf dem Parteitage selbst darüber nacbzesonnen würde, wie die Parteidisciplin im Ganzen, nicht blos in wirthschaftlicher Beziehung, sich stärken läßt. Zum Beispiel scheint cs uns dringend notbwendig zu sein, daß ein engerer Zusammenbang der Reichs tagsfraction mit der Fraktion des Abgeordnetenhauses hergestellt wird. IederAbgeordncle wird uns bestätigen, daß die Fühlung der beiden Fraktionen beute so gut wie Alles vermissen läßt. Ist in der ReichS- tagssraction die rechte Führung augenblicklich nickt zu gewinnen, weil dies in erster Linie von Personenfragen ab hängt, so kann vielleicht in engerer Verbindung mit der Landtagsfraction die Besserung gesunden werden. Jedenfalls bandelt es sich da um einen Punkt, der verdient, mehr als bisher in die Erörterungen mitaufgenommen zu werden. Zuerst die einheitliche Führung, dann wird in der Tbal, wie die „Trierische Zeitung" meint, das Prokuren sehr bald Weiler führen als alles Studiren. Die Feier des zwanzigsten Jahrestages der Thron besteigung des Sultans ist bekanntlich ,n Konstantinopel, und zwar aus guten Gründen, sehr traurig und armselig verlaufen. Desto lebhafter und freudiger ging es an einem andern Orte her, und zwar in einer öcutfchc» Statt. In der württembergischen Stadt Oberndorf war cs, ter be kannten Heimath der Maufergewehre, wo Herr Commerzien- ralh Mauser zur Feier des Tages ein Banket veranstalletc, zu dem außer den noch dort weilenden Mitgliedern der oltv- maniscken Waffenübernahmecommission noch die Beamten und Oberleiter der Waffenfabrik, der Stadlvorstaud und andere Herren eingeladen waren. Der Bericht über das Banket wird im „Schwarzwälder Bolen" mir folgenden Sätzen eingelcitet: „Am gestrigen Tage waren cs 20 Jahre, Laß der Großhcrr der Türkei, Sultan Abdul Hamid II., den Thron bestiegen hat. Noch keiner seiner Vorgänger — die Türkei zählt bis jetzt o4 Sultane — hat, selbst in Zeiten großer Gesährnisse und kritischer Momente, des Herrscheramts mit solcher Klugheit und diplomatischem Geschick, mit unermüdlicher Ausdauer und thaikräfliger Energie gewaltet wie Sultan Abdul Hamid. Derselbe st), ein Fürst voll Milde und Gerechtigkeit, ein Mann von großer Ein« sicht und von edlem Wollen erfüllt, wird mit Ende dieses Monats 54 Jahre alt." Es gab natürlich einen Toast auf den Sultan, und Abends war man noch gemülhlick im Gasthaus beisammen, während die Arbeitercaserne, wo die türkischen Militairschüler wohnen. Feurlletsii. Ziihne. 20s Roman von E. Halden. Nachdruck verboten. Die Baronin klopfte an das Fenster; die Alte erhob sich und öffnete cs, doch zeigte sie weder Erstaunen noch Schrecken. Seit dem Unglücksfall, dessen Kunde sich mit Blitzesschnelle im Dorfe verbreitete, hatte sie nur noch einen Gedanken ge habt, und wenn sie nicht die Furcht, ibn zu erzürnen und ihm zu schaden, zurückgebalten, so würde nichts sie verhindert haben, zu ihrem Sohne zu eilen. Mit ihm war sie auch jetzt so beschäftigt, daß ibr für nichts Andres Sinn blieb. „Soll ich kommen? Ruft er mich doch zu sich?" fragte sie. Di.' Baronin nickte. „Ich bin gleich bereit, o, ich wußte eS, daß er doch nach mir begehren würde", murmelte die alte Frau. Melanie mußte sie daran erinnern, daß sie eine wärmende Hülle nöthig batte. In wenigen Augenblicken war sie bereit, und so traten sie den Rückweg zum «chlosse an. Der Sturm sctzie ihren Schritten Widerstand entgegen, ihre Füße ver sanken in dem Schnee, aber nichts vermochte die beiden Franen zu hemmen, die sich aneinander festbielten, als wollte die eine der andern zur Stütze dienen. Endlich stand die Baronin still. „Können Sie nicht weiter, gnädige Frau?" fragte die Alle erschrocken, ihr war jede Minute ein unersetzlicher Verlust. Melanie preßte die Hand auf die Brust, in der sie einen stechenden Schmerz empfand, der ihr den Athem raubte. „Es gebt gleich wieder", sagte sie beruhigend, dann fügte sie zögernd hinzu: „Meine Sorge ist groß, der Kranke kann das Glück meines Lebens vernichten, denn er besitzt ein schweres Geheimniß, und er haßt meinen Gatten und will es gegen ihn gebrauchen". Dabei umklammerte sie den Arm der alten Frau und sah ihr voll Angst und Schmerz in die Augen. Diese nickte und drückte ihr die Hand, sie verstanden sich beide ohne viele Worte und io setzten sie beide ibren Weg fort. Nun gelangten sie in daS Schloß. Melanie gab dem Hunte, der sie noch immer begleitete, den leisen Befehl, zurück zubleiben, und geräuschlos schritten sie über die Gänge und Treppen in das Krankenzimmer. Die Baronin betrat eö zuerst, und so leise sie auch bineiuschlick, das spähende Auge des Kranken hatte sie doch entdeckt und hastete in banger Frange auf ihrem Antlitz. Sie machte ein bejahendes Zeichen und schickte den Kammerdiener hinaus, um, sobald er sich entfernt hatte, die alte Frau durch die andere Thür bineinzulassen. „Mutter!" rief ihr der bleiche Mann entgegen, und in dem einen Wort lag Alles, was seine Seele erschütterte, während er über kein Glied seines Körpers gebieten tonnte. „Mein Sobn! Mein Paul! Mein lieber, alter Junge! So hast Du doch an mich gedacht, Tu hast mich doch lieb, und Du hast mich dock zu Dir gerufen!" schluchzte die alte Frau und bedeckte sein Gesicht mit Küssen. „Kannst Du mir den» verzeihen?" fragte er. „Ich that Dir so web." „Das ist Alles vergessen, wa« könnte eine Mutter nicht ihrem Kinde vergeben!" rief sie aus. „Uuv Tu bleibst bei mir?" „Ich gehe nicht von Dir." „Es wird nicht auf lange sein", sagte er mit bitterm Lächeln. „Der Tod hält mich in seinen Krallen und steigt höher und höher an mir empor. Ich bin wenig mehr als ein Leichnam." „Ich pflege Dick wieder gesund", sagte die Mutter. „Das kannst auch Du nicht", erwiderte er traurig. „Mein armer Paul! Mein armer, lieber Junge!" rief sie, und nun gab sie ihm alle Schmeichelnamen, die ihm aus seiner Kindheit so vertraut waren, wo sie ihn in_jedem Leid getröstet hatte. „Wie konnte ich Dich verleugnen!" begann er. „Sprich nicht davon, denke nicht daran, nun hast Du ja doch gemerkt, wie lieb Dn Deine Mutter hattest!" tröstete sie ibn. „Und ich danke Dir so sebr, daß Du mich zu Dir gerufen; wie hatte ich mich danach gesehnt, aber ohne Bot schaft wagt ick nicht zu kommen." „Wie bald werden wir wieder getrennt werden!" seufzte der Mann, in dessen vcn den Leidenschaften dcs Lebens durch wühlten, vom Schatten des Todes entstellten Zügen jetzt ein Ausdruck von Weichheit und Liebe hervortrat, der ihnen einen verklärenden Schimmer verlieh. „Es kann ja nickt für lange sein", sagte die alte Frau. „Schau, Paul, ick bin ein altes, gebrechliches Weiblein, und i-alv ruft auch mich der Tod, und dann komme ich wieder zu Dir, und wir sind immer beisammen." Sie saß nun an seinem Lager, hielt seine wachsbleiche, willenlose Hand in der ihren, und streichelte seine einge sunkenen Wangen. Sie lächelte ihm zu, plauderte mit ihm, erzählte ihm von seiner Kindheit, als er ihr lieber, kleiner Paul gewesen, und ihren eigenen Schmerz zurückdrängend, dachte sie nur daran, wie sie ihm die schweren Stunden er leichtern könnte. Da fiel ihr Blick auf die Baronin, die bleich wie ein Geist hinter dem Kopfende des Bettes an der Wand lehnte. „Die gute gnädige Frau hat mich selbst zu Dir geholt und Schnee und Sturm nicht gescheut", sagte sie. Der Kranke blieb stumm. „Sie ist in Angst und Sorge durch Dich", fuhr die Mutter fort, „füge ihr kein Böses zu." „Ich will ihr nichts thun, nur ein Verbrechen aufdecken, das ein Anderer beging und das ich viel zu lange verschwieg", sagte er finster. „So schweige auch ferner, laß Gott richten", sprach die alte Frau feierlich. „Nein, der Frevel soll nicht ungestraft bleiben, und wenn ich meine Augen schließe, so giebt es keinen Zeugen mehr", beharrte er. Aber die Mutter ließ nicht nach, sie bat und siebte, und immer hieß es: „Tbue es um meinetwillen, mir zu Liebe." Endlich konnte er nicht länger widerstehen. „Es geschehe, was Tu willst, Mutter", sagte er „Ich werde schweigen und die Beweise jener Schuld sollen vernichtet werden." „Gott sei Dank!" kam eS über Mclanie'S zitternde Lippen, und sie stürzte neben dem Bett nieder, ergriff die Hände des Leidenden und bedeckte sie mit Küssen und Thränen, während sie Segenswünsche für ihn murmelte. „Arme Frau!" flüsterte er, und zum ersten Male fühlte er Mitleid mit ihrem Schmerz. „Wo ist meine Brieftasche?" fragte er nun. Die Baronin zeigte ihm dieselbe, die mit Uhr, Busen nadel, Geldbörse in der Nähe des Bettes lag. „Nehmen Sie die beiten Schlüssel heraus", fuhr er fort. Sie that nach seinen Worten. ..Der größere öffnet meinen Schreibtisch. Im linken Schubfach in der Ecke befindet sich ein Kästchen, zu welchem der kleine Schlüssel gehört. Dies bringen Sie mir." Die Baronin nahm die Schlüssel, preßte noch einmal ibren Mund ans seine Hand und wandte sich zum Geben. „In kürzester Zeil bin ich zurück", sagte sie einfach. W eder verließ sie das Schloß und schritt diesmal den Ställen zu. Sie pochte an ein Fenster, hinter dem eine Laterne matt brannte. Der Stallknecht, welcher die Nackt wache halte, öffnete sofort, denn der Freiherr halte streng besohlen, Alles bereit zu halten, wenn für den Kranken etwas zu besorgen wäre. Mit Erstaunen sab der Mann seine Ge bieterin vor sich sieben. „Spannen Sie sofort das schnellste Pferd an meiiien kleinen Wagen", befahl sie ihm, „ich muß nach Hohenwalde hinüber; aber rasch und geräuschlos." Sic sprach so streng und gebietend, daß der Mann keine Widerrede wagte. In kurzer Zeit fuhr sie mit ihm davon, daS Geräusch der leichten Näder wurde durch das Geheul des im ni er stärker werdenden Sturmes übertönt. Finstern iß und Unwetter wirkten hemmend, und der Baronin erschien die schnelle Fabrt endlos. Dock nun langten sie in Hohen- walte an, wo Alles im Herrenhause im tiefen Schlafe lag. Mit Mühe wurden die Leute ermuntert, sie ließ sich in ras Arbeitszimmer des Hausherrn führen, schloß den Schreibtisch auf und nahm daS Kästchen heraus, mit dem sie nun ohne Säumen den Rückweg autrat. Ihre Zähne schlugen klappernd zusammen, ibr ganzer Körper bebte, vie erstarrten Finger vermochten kaum daS kostbare Kästchen zu halten, aber sie empfand weder Frost noch Schwäche, neck den Sckmerz, der ibr das Albiuen zur Pein machte, nur der eine Gedanke er füllte sie: „'Vorwärts, ans Ziel!" Endlich war sie wieder in Wildburg. Ter erste Schimmer dcs Morgens kämpfte mit der Dunkelheit, und in seinem ungewissen, bleichen Lickt erschien ibr Alles gespenfierbafk unk uuirdisck, sie sich selbst wie eine Spukgcstalt aus einer andern Welt. Nun stand sie an dem Krankenbette, von dem die alte Frau nicht wieder gewichen war, und sie biclt dem Leidenden, dessen Anblick sie erschreckte, weil die wenigen Stunden ihn sehr verändert hatten, das Kästchen bin. „ES ist das rechte", sagte er matt, „nehmen Sie es hin und tbun Sie damit nach Ihrem Gefallen. Die Gerichts commission brauche ich nickt mebr. Sv möge mir Goll ver geben, wie ick allem Haß und aller Feindseligkeit entsage." „Dank, tausend Dank und Gottes Segen über Sie!" stammelte sie. „Ich will für Sie beten, so lange ich lebe." „Bald bedarf ich dessen nicht mebr", sagte er leise, „aber eS thut mir wohl, daß Sie mich segnen. Auch das danke ich Dir, Mutter." Die Baronin taumelte und mußte sich an dem Bettpfosten festhalten, aber sie bezwang gewaltsam diese Schwäche. Nock war ihre Aufgabe nicht erfüllt, noch durfte sie nicht zu-
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