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02-Abendausgabe Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 07.07.1898
- Titel
- 02-Abendausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1898-07-07
- Sprache
- Deutsch
- Vorlage
- SLUB Dresden
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-18980707020
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id453042023-1898070702
- OAI
- oai:de:slub-dresden:db:id-453042023-1898070702
- Sammlungen
- Saxonica
- Zeitungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
-
Zeitung
Leipziger Tageblatt und Anzeiger
-
Jahr
1898
-
Monat
1898-07
- Tag 1898-07-07
-
Monat
1898-07
-
Jahr
1898
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Größere Schristen laut vnserem Preis« Verzeichnis. Tabellarischer und Ziffernsatz nach höherem Tarif. Extra Beilagen (gesalzt), nur mit der Morgen«Ausgabe, ohne Postbeförderung 60.—, mit Postbesördrrung 70.—. Ännahmeschluß für Äazeigen: Abend-Ausgabe: Vormittags 10 Uhr. Morgen-Ausgabe: Nachmittags 4Uhr. Lei den Filialen und Annahmestellen je eine halbe Stund« früher. Anzeigen sind stets an die Expedition zu richten. Druck und Verlag von E. Polz in Leipzig. Donnerstag den 7. Juli 1898. 92. Jahrgang. Der spanisch-amerikanische Krieg. <H> Wenn man den Nachrichten aus Madrid trauen könnte, so wäre dort alles ruhig und iu Ordnung. Die Stimmung im ganzen Lande müßte danach eine gehobene sein und das spanische Volk für die Fortsetzung deö Krieges schwärmen. Wir sind nun allerdings der gegentheiligen Meinung und können die Ansicht der spanischen Minister durchaus nicht theilen. Wenn man darauf hinweist, daß in Cuba »och 100 000 Mann stehen sollen, daß in Santiago kaum ein Sechstel der spanischen Streitkräfte betheilizt war, daß Havanna bedeutend besser befestigt sei, als Santiago und sich die Amerikaner besinnen würden, diese Stadt anzugreifen und doppelte Verluste davon zu tragen, so ist die Antwort darauf die Gegenfrage, wie eS ge kommen sei, daß Spanien der Aufständischen nicht Herr werden konnte, bevor die Amerikaner inS Land kamen, und wie es dann, nach bedeutender Schwächung, auf einen Sieg über Amerikaner und Aufständische rechnen könne. Wir verstehen vollkommen, daß man sich in Madrid an einen Strohhalm klammert, daß man sich einzureden sucht, es sei nicht Alles verloren, daß man vielleicht auch Recht hat, auf einen oder den anderen kleinen Sieg zu bauen, aber am Schlüsse der Calculation muß man doch zu dem Facit kommen, daß schließlich die Uebermacht Amerikas den Sieg davon trägt. In Amerika ist jetzt das Feuer des Patriotisinus entzündet, die blutigen Opfer, die gebracht wurden, stacheln zur Rache und kräftigerem Handeln an und die KriegS- begeisterung greift tiefer und weiter um sich. In Chicago bat sich sogar ein Regiment vollständig ausgerüsteter Deutsch-Amerikaner gebildet und der Negierung seine Dienste augeboten. Von einer Entscheidung vor Santiago verlautet noch nichts. Welche Gründe hier vorliegen, weiß man nicht. Ist der Aufschub der Gnade Shafter's, dem Einseben Kinley's, dem Eintreten der Mächte zu verdanken, fühlen sich die Amerikaner noch nicht stark genug zum Sturm, oder wartet man so lange, bis der Oberstcommandirendc General Mil es angekommen ist, um ihm einen Theil der Lorbeeren zu kommen zu lassen? Eine bestimmte Antwort läßt sich hierauf nicht geben. Wir müssen uns daher begnügen, nachfolgende Depeschen abzudrucken: * Madrid, 6. Juli. Ter Haiidelsminister Gamazo wurde heute von der Königin-Negentin empfangen und hatte sodann eine lange Unterredung mit dem Minister des Aeußern, Herzog von Almodovar. Diese Thatsache wird viel besprochen. Man behauptet, cs handele sich um eine Veränderung im Cabinet. — Die Königin-Regentin unterzeichnete ein Teeret, durch welches die Obersten Ordoüez und Escario zu Generalen ernannt werden. * Madrid, 6. Juli. Die Minister zeigten sich gestern beim Verlassen des Ministerraths sehr zurückhaltend. — Die Re- gierung hat eine Drahtnachricht des Marschalls Blanco erhalten, in dem er um Geld bittet. — Der Marineminister bestreitet, daß da» Geschwader Caniara's nach Spanien zurückkehrc. — Der Mi nister des Acußeren empfing zahlreiche Beileidsdepeschen fremder Regierungen. — General Linares ergriff trotz der Ver änderungen den Oberbefehl der Armee von Santiago wieder. * Madrid, 6. Juli. Obgleich die Regierung die Depeschen anhirlt, verbreitete sich schon am Montag daS Gerücht von der Niederlage Cervera's in der Stadt. Die amtliche Bestätigung verursachte sodann eine gewaltige Bestürzung. Man klagt die Regierung an, daß sie trotz gegenteiliger Meinung mehrerer Admirale doch dem Geschwader den Befehl zur Ausfahrt gegeben habe. Cervera führte den Befehl mit größter Tapferkeit aus, obgleich die „Cristobal CoISn" dir vorschriftsmäßigen Geschütze großen Kalibers nicht besaß. Die Truppen hier in Madrid sind consignirt, man fürchtet Unruhen in der Stadt; bis jetzt ist dieselbe jedoch ruhig. Politische Tagesschau. * Leipzig, 7. Juli. Die Feststellung der Thatsache, daß die bürgerlichen Parteien mit fast alleiniger Ausnahme der National liberalen an Stimmenzahl verloren haben, während die Tocialdcmokratic die zweite Million überschritten und einen Zuwachs von rund 226 000 Stimmen zu verzeichnen bat, beginnt ihre Wirkung bereits auözuüben. DaS ist um so be greiflicher, als bei den letzten Wahlen etwa 100 000 Wähler weniger abgestimmt haben, als 1893, obwohl in den ver flossenen fünf Jahren die Zahl der Wahlberechtigten um fast 600 000 gestiegen ist. Auf der Linken, wo man jahrelang das Socialistengesctz und die BiSmarck'sche Politik für das An wachsen der socialdemokratischen Flutb verantwortlich machte, und auf der Rechten, wo man seit 1890 bei allen Gelegen beiten die „Klinke der Gesetzgebung" znr Eindämmung dieser Fluth in Bewegung zu setzen rieth, bricht die Erkenntniß durch, daß mit solchen Einseitigkeiten nichts gethan ist und daß von unten herauf aufs Neue aufgebaut werden muß, wenn die socialdcmvkratische Agitation in den Grenzen bleiben soll, in denen sie sich unschädlich auStoben kann, bis die wirthschafllichen Verhältnisse über sie hiuweggeschritten sind. Bei diesen Wahlen hatte die socialdemokratische Agitation mehr »och als 1893 ihr Programm sammt Zukunftsstaat und dem sonstigen umstürzlerischen Zubehör in die Ecke gestellt. Es liegt eine ganze Reibe von Wahlflngblättern vor, in denen je nach der Parteigruppirung der betreffenden Wahlkreise lediglich mit dem AgitalionSinventar der dort vorwiegenden extremen bürgerlichen Bewegung erfolgreich operirt worden ist. So nimmt cS nicht Wunder, daß die Socialdemokratie gerade dort die meisten neue u Erfolge zu verzeichnen hat, wo in kurz sichtiger Befehdung der anderen bürgerlichen Parteien und der Regierung am meisten über die Schnur gehauen worden ist. So ist die agrarische Agitation für die alt- conscrvativen Wahlkreise geradezu verhängnißvoll geworden. Wenn der einfache Bauer täglich liest, wie in den Berliner- Organen, die seine Interessen zu vertreten vorgeben, mit den unmittelbaren verantwortlichen Berathern der Krone umgesprungeu und ihnen heute Unfähigkeit, morgen böser Wille oder was sonst noch vorgeworfen wird, dann hat eine an Ort und Stelle einmal gegen den Landrath und die OrtS- nnd GutSbehörden sich wendende focial- demokratische Agitation ein leichtes Spiel, wenn sie nur dem Bauer nicht zu grob an die monarchischen und reli giösen Glaubensartikel fährt. Und wenn obendrein von der Rechten, noch mehr aber von der Linken her und im Centrum damit gesündigt wird, daß man die socialdemokratische Unterwühlung in den Wind schlägt und der eigenen Gefolg schaft einredet, der Umsturz liege jedenfalls noch in weiter Ferne und man könne daher ohne Sorge hinter der Deckung des Wahlgeheimnisses dem anderen bürgerlichen Candidaten, der gerade mit dem Socialdemokraten kämpft, noch einmal den Gnadenstoß geben —, dann ist es doch unausbleiblich, daß die Masse», soweit sie irgendwo der Schuh drückt, entweder gleich socialdemokratisch oder überhaupt nicht wähle». Wir sehen vcn Erfolg der nationallibcralen Partei vor Allem darin begründet, daß sie, zweckloser Principienreitcrei und leerem Gezänk aus dem Wege gebend, unbekümmert um Be fehdungen von rechts nnd links, das Gesa mmtwohl zum Ziel genommen, sich auf kleinliche Agitationstaklik überhaupt nicht eingelassen und vor Allem im deutschen Bürgerthum daS Gefühl der Solidarität und der staatsbürgerlichen Pflicht erfüllung wach gehalten bat. Tas ist auch der Weg, auf dem die Wähler, die diesmal mit der Socialdcmokratie ge gangen sind, ohne sich zu ihren Principien zu bekennen, wieder ins bürgerliche Lager znrückzusühren sind. Sollen die bürgerlichen Parteiprogramme, gleichviel wie sie sind, gegen die Socialdcmokratie Stand halten, dann muß in erster Linie mit der bisherigen politischen Methode der gegen seitigen Verärgerung und des AufbauschenS kleiner Differenzen zu schroffen Gegensätzen gebrochen werden, denn sie führt lediglich zur Abstumpfung der Wählerschaft gegen die social demokratische Wühlarbeit, wenn nicht gar zur directen Stellungnahme der von bürgerlichen Agitatoren gegen bürger liche Candidaten aufgereizten bürgerlichen Wähler für den sccialdcmokratischcn Bewerber. Wie wir im heutigen Morgenblatte mittheilten, bat die ultramontane „Germania" den alte» Kohl, daß die Be rufung von Professoren der technischen Hoch schulen Berlin, Hannover und Aachen inS preußische Herrenhaus ohne Gegenzeichnung der Minister erfolgt sei, wieder aufgewärmt und dieses Gericht mit Ver den „Akadem. Blättern" entnommenen „Enthüllung" gewürzt, der Kaiser babe selbst erklärt, daß er schon vor drei Jahren dem Ministerium einen solchen Vorschlag gemacht, aber damals Widerstand gefunden und deshalb jetzt, ohne das Ministerium zu befragen, selbstständig die Berufung verfügt habe. Wir behielten uuS, als wir der „Germania" diese ..Enthüllung", ans der; daS Blatt die in jüngster Zeit ausgetretenen Kriscngerüchlc zu erklären suchte, entnahmen, eine Richtigstellung vor, die nicht überflüssig wird durch die folgende Kundgebung in der heutigen Nummer der vfficivsen „Berl. Corr.": „DaS „Berliner Tageblatt" übernimmt in seine Morgen ausgabe vom 6. d. M. aus den „Akademischen Blättern" die Mit theilung, daß die jüngste Berufung der drei Professoren der tech nischen Hochschulen in daS Herrenhaus ohne ministerielle Gegen- Zeichnung erfolgt sei. Diese Behauptung ist ebenso unbegründet, wie alle übrigen daran geknüpften Bemerkungen." Daß statt der „Germania" daS „Berl. Tagebl." von der „Berl. Corr." wegen einer Falschmeldung aufs Korn ge nommen wird, ist charakteristisch für unsere politische Lage, die ungenügende Form der Berichtigung für Len Mangel an Verständnis der Hintermänner deS ossiciösen Organs für die Wirkung falscher Behauptungen, denen mit einem einfachen „Unbegründet", statt mit einer ausführlichen Klarlegung deS ThatbestandeS entgcgengetretcn wird. Wir wiederholen daher, was wir schon früher zur Beleuchtung der Angelegenheit an geführt haben. Am 15. Juni d. I. richtete der Kaiser an Professor Slaby in Charlottenburg folgendes Telegramm: „Um ein Zeugniß dafür abzugeben, wie hoch ich die Entwickelung der modernen exacten Wissenschaften anschlage in ihrem Werth für die Hebung unseres Volkes, habe ich beschlossen, daß das Poly technikum im Herrenhause vertreten sei, und ernenne Sie als den Berufensten der Vertreter zum Mitgliede des Herrenhauses. Wilhelm. I. R." Dieses Telegramm entbehrte der ministeriellen Gegen zeichnung, bedurfte ihrer aber auch nickt, weil es kein.- Regicrungöhandlung, sondern eine private Kundgebung des Kaisers war, die einen Commentar zu der nachstehenden amtlichen Meldung des „Reichsanzeigers" vom gleichen Tage enthielt: „Seine Majestät der König haben Allergnädigst geruht: den Geheimen Regierungs-Rath Professor vr. Slaby zu Charlottenburg, den Geheimen Regierungs-Rath Professor Launhardt zu Hannover und den Geheimen Regierungs-Rath Professor Jntzc zu Aachen aus besonderem Allerhöchsten Vertrauen zu Mitgliedern des Herrenhauses aus Lebenszeit zu berufen." Vergleicht man das Telegramm mit der amtlichen Meldung, so erkennt man, daß die im Telegramm aus gesprochene Absicht deS Kaisers in einer Form verwirklicht worden ist, die dem Wortlaute deS Telegramme- nicht ganz entspricht. Der Grund hierfür liegt aber nicht darin, daß das Telegramm der ministerielle» Gegenzeichnung ermangelt, sondern in dem Bestreben, der Sache nach verfassungs- und gesetzmäßig vorzugehen. Das Gesetz, betr. die Bildung der Ersten Kammer vom 7. 5. 1853, bestimmt, daß die Erste Kammer durch königliche Anordnung gebildet wird; letztere „Verordnung wegen Bildung der Ersten Kammer" vom 12. 10. 1854 ertheilt das Präsentationsrecht zum Herren hause nur „einer jeden Landes Universität". Will man auch de» technischen Hochschulen daS Präsentations recht verleiben, so bedarf eS laut dem angczogeuen Gesetze vom 7. 5. 1853 eines Abänderungs-Gesetzes. Auf daS Zustandekommen eines derartigen Gesetzes bat augen scheinlich der Kaiser, der gerade an seinem Negierungs jubiläum seine Werthschätznng der exacten Wissenschaften be kunden wollte, nicht warten mögen. So wurde denn die durchaus verfassungsmäßige Form der Berufung auf Lebens zeit gewählt. Daß es wünschenSwerth ist, auf dem Wege der Gesetzgebung de» technischen Hochschulen und ähnlichen Faktoren daS Präsentation-recht zu verleihen, haben wir früher ausgeführt. Die gestern mitgetheilie Nachricht aus Oesterreich, daß der vom niederöslerreichischcn Landtage beschlossene Gesetz entwurf, nach dem an allen öffentlichen Volks- und Bürger schulen Niederösterreichs die Unterrichtssprache ausschließlich die deutsche sein soll, nicht die kaiserliche Sanction erhalten hat, hat große Beunruhigung hcrvorgerusen. Und die Beunruhigung ist wohl natürlich, wenn mau bedenkt, daß cS sich um einen einstimmig gefaßten Beschluß der Vertretring des StammlandeS der Monarchie bandelt, der sich als eine nationale und unter den gegenwärtigen Verhältnissen geradezu unerläßliche Schutzmaßregel darstelll. Welche Gründe zu dieser Zurückweisung geführt haben, ist vorläufig nicht abzusehen, es scheint aber, als ob die Sp rachen- frage überhaupt in ganz Oesterreich gesetzlich geregelt werden sollte und als ob man infolge dessen den Beschluß deS einen Land tags negirt hätte. Freilich kann gegen eine solche Annahme pessi mistisch eingewandl werden, daß sich in Wien sehr viel Tschechen befinden, die man durch die Sanclionirung deS deutschen Schul unterrichts zu verletzen glaubte und daß man deshalb den Beschluß in den Papierkorb fallen ließ. Was übrigens die Sprachen frage in Böhmen anbelangt, so schält sich nun allmählich aus Aeußcrungen verschiedener Persönlichkeiten die Absicht des Feuilleton. Lauernblut. 25j Roman in drei Büchern. Von Gerhard von Amyntor. (Dagobert von Gerhardt.) Nachdruck vcrbonn. „Ob ich ihm nicht sagen müßte, was ich in jener Nacht gesehen habe?" fragte sich Ellen, die die Erinnerung an die blitzerhcllte Erscheinung Peter Dechner's nicht mehr los werden konnte und dabei immer an den Staatsanwalt denken mußte. Sie setzte ihren zierlichen, in Goldkäferleder steckenden Fuß auf den Tritt des vor dem Theaterflügel des Schlaffes haltenden Wagens und lehnte die Unterstützung des ihr beim Aussteigen Ritterdienste an bietenden Papas fast beleidigt ab. „Aber, Papa! Gieb nur Mama den Arm, ich folge Euch." Und wie sie die Schwelle des Schlaffes überschritt, war sie schon wieder mitten im Nachsinnen über Das, was ihr die Pflicht zu thun gebot. Durfte sie länger schweigen? War es nicht ein Unrecht gegen den Papa? War Ne vermeintliche Schonung des Staatsanwalts nicht eine Tharheit? Was gingen den ehren- werthen Herrn Tell die Sünden eines Anderen an, der zu fällig mit ihm verwandt war? Sie beschloß, noch heute Abend dem Staatsanwalt zu sagen, was sie wußte; gerade aus dem Umstande, daß sie ihm ganz unbefangen diese Mittheilung machen wollte, sollte er erkennen, wieso gar kein Grund für ihn vorlag, zu erröthen und sich durch d:k Persönlichkeit des Verbrechers gesell schaftlich bloßgestellt zu wähnen. Mit diesem Entschluß hatte sie ihren Umhang in einem der Dorräume abgelegt und nun trat sie neben ihrer Mutter und vom Papa gefolgt in den Muschel saal, wo die Versammlung der Gäste stattfand. Tell, der sich der freundlichen Einladung des Freiherrn zur gemeinschaftlichen Benutzung des Wagens nur aus Scheu, mit Ellen zusammenzukommen, entzogen hatte und mit anderen Ge ladenen nach dem Palais gefahren war, sah die Brank'sche Familie unmittelbar vor sich in den Grottensaal eintreten. Die stattliche Garde-Ulanen-Uniform des Landedelmannes, das dunkelblaue, mit langer Schleppe versehene Sammtkleid nebst den vielen funkelnden Brillanten der Frau von Brant und der hell rosa seidene Anzug Ellen's, über den sich ein Feenschleier von gleichfarbiger Gaze in duftige Falten legte, gaben zusammen ein lebhaftes und stimmungsvolles Bild, das aber auf den inner lich gequälten und mit sich uneinigen Mann des Gesetzes seine Wirkung durchaus verfehlte. Er wurde plötzlich wieder inne, daß er doch eigentlich gar nicht in diese auserwählten Kreise gehörte, daß ihn nur ein toller, vielleicht boshafter Zufall hierher gebracht hatte, und daß der Kronprinz von ihm nur Aufklärung in einer Sache verlangte, die er, trotz der von ihm veranlaßten Verhaf tung Carvalho's, bisher doch eigentlich nur zu verdunkeln bemüht gewesen war. Unfroh und verbittert schaute er sich im Saale um. Wenn irgendwo, so wuroe ihm hier wieder in ihrer ganzen Tiefe die Kluft aufgedeckt, die den bürgerlichen Beamten von allen jenen Sonntagskindern des Glückes trennte, die auf vererbtem Grund besitze Hausen und ihre Ahnen bis in die graueste Vorzeit zurück verfolgen können, und wenn man ihm auch noch so freundlich ent gegenkommen und scheinbar auf gleichem Fuße mit ihm ver kehren würde, es gab doch Wendungen des Gespräches, oft Be tonungen einzelner Worte, aus denen unabsichtlich immer wieder das Bewußtsein der verzogenen Glückskinder herausklang, daß sie eigentlich doch aus ganz anderem Teige geformt seien, als der dunkle „Roturier", mit dem sie so herablassend zu verkehren gerade einmal Lust und Neigung hatten. „Hol die Pest die ganze Gesellschaft!" grollte er im Stillen, „hier gilt der Mensch nicht das, was er ist, sondern nur das, was er vorstellt." „Sie machen ja ein Gesicht, als ob Sie Essig verschluckt hätten", neckte ihn Völker, der Maler, der ihn zu seiner Ueber- raschung entdeckt hatte. Er strahlte vor Lust und Behagen. „Sehen Sie doch nur um Gottes willen die wunderbare Pracht dieses Grottensaales! Diese glitzernden und flimmernden Me tallstufen und Edelgesteine an den Wänden! Dieses wogende Lichtmeer, das, von Regenboqenreflexen durchzittert, um die Krystallkronleuchtrr wabert! Das ist ein Zucken, Leuchten und Sprühen! Nur ein Meister wie Adolf Menzel konnte etwas Aehnliches in seinem famosen „Abrndconcert" wiedergeben . . . . es ist wie in einem Märchen, wie in einem unterirdischen Zauber saal der Gnomen und Berggeister!" „Sie schwärmen", versetzte Tell kühl und unbewegt; „natür lich, Sie sind ja ein Künstler, der hier in Farben schwelgen kann, und dazu sind Sic noch einer von jenen Sonderlingen, die freiwillig der Aristokratie die Schleppe tragen." „Nun ... ich lasse sie mir eigentlich mehr mittragen, Ver ehrtester! Ich bin selbst ein Aristokrat; ich erwidere nur die Bücklinge, die man mir zuerst macht." „Wie kommen Sie denn hierher?" „Das möchte ich Sie fragen. Ich male den kronprinzlichen Herrschaften ein Bild und verdanke wohl nur dem Umstande die Einladung; aber Sie, der Großinquisitor aller Bösewichter und Uebelthäter, wie kommen Sie in diese ehrbar-sittsamen Kreise?" Das harmlose Scherzwort traf den Staatsanwalt viel tiefer als Völker ahnen konnte; auch reizte es Tell, daß ihm die ohnehin schon so beneidenswerthen Auserlesenen noch als besonders ehr bar und sittsam vorgehalten wurdrn. „Ich wünschte, ich wäre zu Hause geblieben", stöhnte er mißmuthig auf; „Schopenhauer hat ganz recht: man hat in dieser Welt nur die Wahl zwischen Einsamkeit und Gemeinheit." „Ho, ho, ho! Warum denn so gallig, so weltanklägerisch? Doch freilich, Sie sind entschuldigt: Ihr großer Gewährsmann behauptet ja auch, daß alle ausgezeichneten und überlegenen Menschen melancholisch seien. Du lieber Gott! Ich muh wohl ein recht flaches Durchschnittssubject sein, denn ich fühle mich hier außerordentlich behaglich und angeregt." „Das bilden Sie sich doch nur ein; es ist eine von den Autosuggestionen, zu denen ihr Künstler nun einmal besonders veranlagt seid. Sehen Sie doch nur hin, unter welche Menschen wir gerathen sind! Dort baut ein Kammerherr die Würden träger und Exccllenzen wie eine Schachtel Bleisoldaten auf! Hier wird Alles nach dem Tschin gewissenhaft abgetheilt und ge ordnet! Wir Beide, die wir keine Ordenssterne und keine hohen Titel und keine zwriunddreißig Ahnen haben, wir haben das zweifelhafte Recht, an der Wand zu stehen und der Parade aufstellung aller dieser Hofberühmtheiten in Ehrfurcht zuzu schauen . . . ." „Und ist das nicht ein unvergleichlicher Genuß?" unterbrach ihn munter der Maler. „Wo würden wir hingerathen mit Ihrer Verwerfung der Stände? Diese Gliederung ist doch ein Naturgesetz, ein unerläßlicher Factor der Fortentwickelung deS Menschengeschlechts! Wenn sich auch einmal Nullen bis in die höheren Schichten verirren, so sind das Anomalien, die gar bald an sich selber zu Grunde gehen, die durch das unerbittliche Gesetz der natürlichen Auslese früh oder spät wieder ausgetilgt und vernichtet werden. Die Sehnsucht der Schwärmer nach einer Zeit allgemeiner Nivcllirung ist ja die allerbeklagenswertheste Kurzsichtigkeit; man muß schon so leichtgläubig wie ein Social demokrat sein, um von der Beseitigung der naturnothwendigrn Stände-Unterschiede einen Fortschritt zu erwarten; die allgemeine Gleichmacherei würde uns im Gegentheil sehr bald ins Chaos, in die Thierheit, zuriickfiihren. Doch da tönt der pochende Stob des Hofmarschalls . . . aufgepaßt! Die Herrschaften kommen!" Tell überragte mit seiner hohen, kräftigen Gestalt die meisten der Geladenen; er konnte daher bequem den Eintritt des kron- prinzlichen Paares und seines Gefolges übersehen. Freundlich leuchtenden Auges, im frohen Glanze seiner Siegfriedsschöne, bewegte sich der Kronprinz lässig vorwärts, sah sich frei im Saale um und beqann dann, sich den ihm zunächst stehenden und sich tief verbeugenden Herrn zu widmen und, hier eine Hand bietend, dort ein flüchtiges Wort der Begrüßung oder einen Scherz zum Besten gebend, von Einem zum Anderen langsam weiter vorzuschreiten. Die Frau Kronprinzessin that mit be strickender Huld ein Gleiches den Damen gegenüber, und Tell konnte beobachten, wie sie längere. Zeit mit Frau von Brank sprach, der sie schließlich die Hand reichte, die diese mit tiefem Knixe ehrerbietig an die Lippen führte. „Ja, ja", dachte Tell, „Namen und Stellung berechtigen hier dazu, bemerkt und ausgezeichnet zu werden; doch wehe dem Armen und Unbekannten!" Er hatte noch die Antwort auf Völker's letzte Acußerung auf der Zunge, aber er verschluckte sie; hier war kein Ort zu solchen Auseinandersetzungen, und zudem war der Maler ein unverbesserlicher Optimist, an dem so wie so Hopfen und Malz verloren schien. Wenn dich nun der Kronprinz nach dem Stande dieser un seligen Einbruchsgeschichte fragen wird, fuhr er in seinen uner freulichen Selbstbetrachtungen fort, was wirst Du ihm sagen? Bist du nicht verpflichtet, jede Schonung Peter's aufzugeben und rückhaltlos zu melden, wie die Dinge stehen? Dem Kronprinzen gegenüber würde es dir ja am Ende nicht schwer fallen, er ist ein menschenfreundlicher und aufgeklärter Herr; er würde dir keinen Vorwurf aus deinen Beziehungen zu Peter machen. Aber die Welt, die Gesellschaft! Gegen diese ist auch ein Kronprinz machtlos; er könnte dich nicht schützen und vor dem Interdikt nicht bewahren. Eine in der Vorhalle des Schlaffes den Blicken der Gesell schaft entzogene Mintaircapelle begann das Concert mit einer Ouvertüre. Die Frau Kronprinzessin hatte mit einigen bevor zugten älteren Damen an einem Tisch in der Mitte des Saale» Platz genommen; zu beiden Seiten von ihr standen halbkreis förmig geordnet kleinere Tischchen, an denen sich der übrige weibliche Theil der Gesellschaft auf weiß- und goldverzierken Rococoseffeln niedergelassen hatte. Auch für die Minister und Generäle hatte sich hier und da noch ein Stuhl an den Tischen der Damen gefunden, während die Herren geringeren Grade? und namentlich die vielen jüngeren Officiere an den muschel- und steingeschmückten Wänden entlang einen glänzenden Rahmen des bunten Bildes darstellten; ein Theil von ihnen stand und schaute mit Interesse nach den Damengruppen, ein anderer Theil hatte es sich bequem gemacht und ruhte sich in den alterthiim- lichen, seidrngepolsterten Wandseffeln behaglich aus. Tell stand in einer Ecke des Saales, in der sich der Concert- flügel befand; neben dem Flügel saßen ein paar Sänger und Sängerinnen der königlichen Oper, die zu den musikalischen Solovorträgen hierher befohlen waren. Doch er hatte weder
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