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02-Abendausgabe Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 09.07.1898
- Titel
- 02-Abendausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1898-07-09
- Sprache
- Deutsch
- Vorlage
- SLUB Dresden
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-18980709028
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id453042023-1898070902
- OAI
- oai:de:slub-dresden:db:id-453042023-1898070902
- Sammlungen
- Saxonica
- Zeitungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
-
Zeitung
Leipziger Tageblatt und Anzeiger
-
Jahr
1898
-
Monat
1898-07
- Tag 1898-07-09
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Monat
1898-07
-
Jahr
1898
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LAS Eine ungarische Regierung mit aufrichtig dualistischer Ge sinnung hätte diesen Zolltarif nicht ausgearbeitet, denn er ist, strafrechtlich gesprochen, die Verleitung zur wirthschaft- liehen Trennung der beiden RrichStheile seitens rücksichtsloser aber mächtiger Privatinteressen; er zeigt ihnen den Weg, auf dem Ungarn nach Hinscblachtuug seines Bauernstandes in ein Land gegen jeden Wettbewerb geschützter Mono pole verwandelt und der allgemeine Wohlstand einer unbegrenzten Gewinnsucht auSgeliefert werden könnte. Dieser Zolltarif mit seinen wahnwitzig hohen Sätzen ist wirklich eine Monopolsordnung, darauf berechnet, daß die Kaufkraft und der Verbrauch der Nation von Wenigen auSgepreßt werden. Die Selbstsucht muß durch den Tarif angestachelt werden, und so hat die dualistische ungarische Regierung einen Stoß hegen die Monarchie geführt, indem sie durch den Reiz unerhörter Begünstigungen m den Zöllen dieGegner deS Ausgleichs verstärkte. Für die Trennung werden künftig alle Glücksjäger sein, die sich nicht darum kümmern, daß die Landwirthschaft zertreten wird, wenn nur ihr Weizen blüht. Deshalb ist dieser Zoll tarif eine Sünde an Ungarn wie an der Monarchie; deshalb ist er ein unverbesserlicher politischer Fehler." Wirthschaftlich ist der Tarif wohl überhaupt nicht durchführbar. Er bedeutet den Krieg nicht allein gegen Oesterreich, sondern gegen alle Handelsvölker. Wie gestern aus Washington gemeldet wurde, hat der Präsident der Bereinigten Staaten, Mac Kinley, die vom amerikanischen Cougreß zu Gunsten der Annexion der Hawaii-Inseln gefaßte Resolution unterzeichnet und das amerikanische Marinedepartcment hat sofort einem Kreuzer Befehl gegeben, nach Hawaii abzugehen, dort die Flagge der Bereinigten Staaten zu hissen und die Inseln der Union ein zuverleiben. Damit erhält eine Episode der amerikanischen Expansions-Politik, die nach verschiedenen Richtungen hin von großer Bedeutung ist, ihren vorläufigen Abschluß. Bekannt lich ist die Haltung der Unionsregierung in dieser An gelegenheit keineswegs immer die gleiche gewesen; Prä sident Cleveland hat seiner Zeit die Annexion nach drücklich abgelehnt und auch der jetzige Präsident ist zu Beginn seiner Amtszeit dem Plane nicht günstig ge sinnt gewesen. Wenn jetzt die Angelegenheit dennoch mit der Annexion abschließt, so beweist das, daß die Expansions politiker jenseits deS OceanS gegenwärtig durchaus die Oberhand haben. Wie sehr daS der Fall ist, läßt sich ari dem am 17. Mai vorgelegten Bericht erkennen, mit welchem der Ausschuß deS amerikanischen Repräsentantenhauses für aus wärtige Angelegenheiten sich für die Annexion aussprach. In diesem Bericht war mit dürren Worten gesagt, die Annexion stehe in Uebereinstimmung mit der Monroe-Doctrin, die zwar jeder europäischen Macht verbiete, sich in Angelegen heiten deS amerrkanischen ContineutS oder der benachbarten Inseln einzumischen, den Vereinigten Staaten jedoch in dieser Hinsicht keine Beschränkung ausevllege. WaS die politische Be deutung d«S jetzigen Vorgehens Amerika- anlangt, so ist es richtig, daß den Amerikanern von einer europäischen Macht der Besitz Hawaiis kaum streitig gemacht werden dürfte. Nach einer Art stillschweigender Uebereinkunft ist seit Jahren angenommen worden, daß die Inselgruppe ihnen zufallen werde. Die einzigen ernste» Coucurreuten um den Besitz Hawaiis waren die Japaner, welche denn auch früher Schritte gethan haben, um die Annexion abzuwehren. Der oben erwähnte Ausschußbericht hebt gleichfalls die Besorgniß, die Japaner könnten den Amerikanern zuvorkommen, als einen Grund für di« sofortige Annexion hervor. Deutschland wird den Amerikanern den Besitz der Inselgruppe nicht mißgönnen, aber mit der Wahrscheinlichkeit rechnen, daß die amerikanischen Machthaber die Philippinevfrage in ähnlicher Weise zu lösen trachten. Deutsches Reich. 2 verlt«, 8. Juli. Die allmonatliche» Listen, welche der socialdemokratische Parteivorstand unter dem Titel „Unter dem neuesten CurS" in seinem Berliner Central organ veröffentlicht, gewähren einen tiefen Einblick in die Werkstätten der Socialdemokratie. Diesmal werden nahezu 6 Jahre Gefänguiß und 850 »E Geldstrafe aufgerechnet. Diese Strafen vertheSen stch auf 28 Straffälle; darunter kommen vierzehn auf Beleidigungen, die gegen Werkmeister, ArntSvorsteher, Lehrer, Richter, BerkehrSiuspectoren, Bürger meister, Polizeipräsidenten und Pastoren gerichtet waren. Bezeichnender aber sind die beiden folgenden Fälle, auf welche mehr als die Häffte der oben angegebenen Strafsumme entfallt: Berlin. Zwei Zimmerer 1 und 2 Jahre Gefängniß wegen gemeinschafttichrn Hausfriedensbruch» bezw. Körper-Ber- letzuog. Hamburg. Ein Hafenarbeiter wegen Mißhandlung eine» Streikbrecher» 6 Monate Gefängniß. In diesen zwei Sätzen schließt sich folgende Kette: Die socickldenwkratische Agitation sucht in der Arbeiterschaft zunächst daS RechtSgefühl zu ersticken, dann hetzt sie sie auf. Aeußert sich dann bei dem minder gebildeten Mann die Ver hetzung m Verbrechen gegen Leib und Eigeothum von Mit menschen, in Mißhandlung von Mitarbeitern, worauf die Gerichte die gesetzliche Strafe ertheilea müssen, dann greifen die Singer und Genoffen zur Feder und setzen voll Ent rüstung den Sträfling auf die Märtyrerliste der socialdemo- kratischen Umsturzparlei und Hetzen und ertödten das Rechts gefühl damit weiter. * Berlin, 8. Juli. Es ist neuerdings von verschiedenen Seiten den vom Reichsamt deS Innern herausgegebencn statistischen Uebersichten über den deutschen Außenhandel, den sog. .grünen Heften", der Borwurf der Unzuverlässigkeit gemacht worden. Um Verwechselungen zu vermeiden, sei nach einer Ausführung der „Tägl. Rd." daraus aufmerksam ge macht, daß cs drei, eigentlich sogar vier Statistiken des deutschen Außenhandels giebt: Zunächst bringt die „Statistik des deutschen Reichs" alljährlich in zwei umfangreichen Bände» eine Uebersicht über die cominerziellen Ergebnisse des letztvorhergehenden Jahres unter dem Titel: „Aus wärtiger Handel des deutschen Zollgebietes im Jahre . . . . (bis 1890 „Waarenverkehr de» u. s. w."). Diese enthält einmal eine Zusammenstellung des Handels nach Artikeln, derart, daß unterhalb der Angabe jedes Artikels und seiner Ge- sammt-Ein-(und Ausfuhr die wichtigsten Herkunfts.(und Bestimmungs-)Länder nebst den aus sie entfallenden Ziffern namhaft gemacht sind, ferner eine Zusammenstellung nach Ländern derart, daß unter jedem Land die für dasselbe wichtigsten Artikel angegeben sind. Da sich die nach beiden Prin- cipien gesammelten Ziffern natürlich nicht decken, so ist bereits hier der unleugbare Mißltand vorhanden, daß eine vollständige und erschöpfende Statistik eines einzelnen Landes oder eines einzelnen Artikels, die zuweilen recht erwünscht wäre, nicht vorhanden ist; besonders in früheren Jahren waren die Lücken recht beträchtlich. Außerdem hat nun Las Reichsamt des Innern im Laufe de- ver- flossenen Winters eine Serie von 24 Heften herausgegeben, betitelt: „Auswärtiger Handel des deutschen Zollgebiets nach Herkunfts- und Bestimmungs-Ländern in deu Jahren 1880 bis 1896." Dies sind die sogenannten „grünen Hefte". Neben diesen besteht endlich eine dritte Ver- öffentlichung, in etwas kleinerem Format und moosgrünem Um schlag, betitelt: „Der auswärtige Handel des deutschen Zollgebietes im Hinblick aus die Handelsverträge mit Belgien, Italien, Oesterreich-Ungarn, Rumänien, Ruß- land, Schweiz und Serbien für dir Jahre 1880 bis 1896." Dieses Werk, das übrigens nicht, wie die übrigen Statistiken, im Buchhandel käuflich ist, sondern nur vom Neichsamt des Innern direct an gewisse interessirte Stellen abgegeben wurde, ist eS, auf das sich jene Ausstellungen bezogen, insofern, als die Ziffern für die Ein- fuhr der berücksichtigten Staaten aus Deutschland hier nun ganz andere sind, als die in den „grünen Heften" und der „Statistik des deutschen Reichs" enthaltenen entsprechenden Ziffern der Ausfuhr Deutschlands nach jenen Ländern. Endlich existirt noch das „Statistische Jahrbuch für das deutsche Reich". Dieses wird jährlich herausgegeben vom kaiserlich statistischen Amt und enthält eine Uebersicht der wesentlichen allgemein interessireuden Er gebnisse der amtlichen deutsche» statistischen Thütigkeil, darunter auch Len deutschen Außenhandel. Die für diesen in Frage kommenden Ziffern sind jedoch lediglich ein gekürzter Auszug aus der „Statistik des deutschen Reichs", und zwar in der Zusammenstellung nach Artikeln, und haben für die hier in Rede stehenden Mißstände keine weitere Bedeutung. — Der Kaiser hat heute, wie auS Odde telegraphisch gemeldet wird, gelegentlich der Enthüllung der Gedächtniß- tafel für den Lieutenant zur See v. Hahnke dem Comman- danten und einigen Officieren des norwegischen Panzers „Harald Haarfager" OrdenSdecorationen, sowie dem gleichfalls anwesenden deutschen Generalconsul in Christiania Coates ein werthvolles Andenken persönlich überreicht. Außerdem wurde der Lansmann von Odde dccorirt, und einige Bauern, die sich bei der Auffindung der Leiche des Verunglückten hervorgethan hatten, erhielten Geschenke. Die Abreise nach Eide erfolgt heute Nachmittag. Gestern verließ der Kaiser des schlechten Wetters wegen nicht die „Hohenzollern". — Der tiefgründige „Vorwärts" schreibt in seinem Aerger über Herrn v. PodbielSki's Erlaß an die Post beamten: „Wenn sämmtliche Excellenzen nebst hock- bezahltem Zubehör aus dem Staatsdienste schieden, so Ware das ein leicht zu ersetzender Verlust. Vielleicht gar keiner. Wenn dagegen die Hunderttausende der niederen Postbeamten, der niederen Eisenbahnbeamten u. f. w. plötzlich entfernt würden, so wäre eö zu Ende mit dem Post- Staat, mit dem Eisenbahn-Staat und mit dem Reste von Staat". Wir acceptiren die hier niedergelegte» auSgereiflen VerwaltungS-Maximen. Aber oxvmplu tiabunt! Die ReichS- Postbehörde ist eine rückständige Bourgeois-Einrichtung, von der man die nöthige Einsicht oder gar eine Initiative in der vom „Vorwärts" anaedeuteten Richtung nicht erwarten darf. Die socialdemokratische Parteileitung hingegen mit ihrem ungeheuren „Zubehör" ist, wie Jeder weiß, zielbewußt und, was die Hauptsache ist, sehr „hochbezahlt". Llessieurs les soeialiskes eommeuevrout. — In einem Berliner BeleidigungSprocesse, dem schwere Beschuldigungen zu Grunde lagen, hatte ein Zeuge bemerkt, er habe von dem nunmehrigen Kläger keinen günstigen Eindruck gewonnen, weil dieser nicht gleich nach der — öffentlichen — Ausstreuung der Anschuldigung klagbar geworden sei. Darauf antwortete der Vorsitzende deö Schöffengerichts: Na, das will ich nun nicht sagen, denn es hat doch seine zwei Seiten. Daß er (der Kläger) eine gewisse Veranlassung gegeben hat, daß also ein Verdacht aus ihm ruhte, das wird wohl außer Zweifel sein. Ich würde ihm kaum dazu rathen, zu klagen, denn hundert gegen eius zu wetten, wird der Betreffende wegen Wahrnehmung berechtigter Interessen freigesprochen, und dann ist er (der Kläger erft recht blamirt. Wenn Jemand so etwas am Biertisch erzählt, so ist da» etwa- Andere». Persönlich aber hätte er sich den Be treffenden kaufe» u»d zur Rete stellen müssen. Dieser richterliche Ausspruch verdient eS wohl, vor dem Versinken in die Vergessenheit bewahrt zu werden. — Ueber einen zweiten Fall von katholischer Wieder taufe berichtet die „Hannov. Pastoralcorr." aus der Pro vinz Hannover: „Ein Mädchen in O., geboren in einer evangelischen Militair- gemeinde in der Provinz Hannover, verlobte sich mit einem Katho liken in O. Sie entschloß sich, zur katholischen Kirche übrrzutreten, meldete sich zu diesem Zweck bei dem katholischen Pfarrer, lieferte den ihr abverlangten Geburts- und Taufschein und erhielt den Bescheid, daß sie, da der eingereichte Schein keine Taufzeugen enthalte, vor dem Uebertritt erst getauft werden müsse. Ein weiteres Bemühen um einen vollständigeren, auch die Taufzeugen enthaltenden Tauf schein blieb erfolglos. Das katholische Pfarramt bleibt daher bei feinem Verlangen, daß die Braut, ehe ihr Uebertritt vollzogen werden könne, zuvor getauft werden müsse, da nicht nachgewiejen sei, daß sie die heilige Taufe empfangen habe (l). Bei ihrem Vor- fatze, überzutreten, verharrend, will die Braut sich in das Unser- weibliche fügen und wird sicherem Vernehmen nach die Taufe baldigst vor sich gehen." Wenn die katholische Geistlichkeit selbst die amtlichen Taufscheine der evangelischen Kirchen nicht anerkennen will, so wird nichts übrig bleiben, als diese und andere Zeugnisse in Zukunft durch staatliche Behörden ausstellen zu jassen und deren verbindliche Kraft durch Gesetz sicher zu stellen. — Die allgemeine Einführung von leichten Sommer- röcken.sür die Postunterbeamten, insbesondere Brief träger und Landbriefträger, ist von 1899 ab in Aussicht ge nommen. Wie die „D. VerkehrSztg." hört, haben die Ober- Postdirectionen Anweisung erhalten, die bisherigen Verträge wegen Lieferung von Dienstkleidern für Unterbeamte sämmt- iich zu kündigen, damit bei der Neuverdingung vom 1. April 1899 ab die Beschaffung von Sommerröcken berücksichtigt werden kann. — In der preußischen Fabrikaufsicht, die Anfangs der neunziger Jahre reorganisirt wurde, sind im Jahre 1897 bereits 186 Beamte beschäftigt gewesen. Davon waren 26 NegierungS- und Gewerberäthe und 4 Stellvertreter der selbe», 92 Gcwerbc-Inspectvren, 64 Gewerbe-Assistenten. — Der durch den Leckert-Lützow-Proceß bekannt gewordene „Journalist" Leckcrt, der am 8. December 1896 von der Berliner Strafkammer am Landgericht I zu einer Ge- fängnißstrafe von N/z Jahren verurtheilt wurde, wird in den nächsten Tagen aus dem Plötzenseer Gefängniß, wo er seine Strafe verbüßte, entlasten werden. Leckert wurde zum Theil mit schriftlichen, znm Theil mit Buchbinderarbeitcn im Gefängniß beschäftigt. Sein Freund von Lützow, der eben falls in Plötzensee sitzt, hat noch einige Monate dort zu zubringen. — Der Lehrer und Stadtverordnete Otto in Charlotten- burg erklärt der „M. Zt." zufolge, daß ihm von der Ein leitung eines Disciplinarverfabrens gegen ihn, weil er einen zur Erledigung wichtiger Privatangelegenheiten ge währten Urlaub zu Wahlagitationen benutzt habe, nichts bekannt sei. — Personalien: Nach Berlin zurückgekchrt sind die preußischen Minister v. vr. Bosse aus St. Andreasberg und Breseld auS Halle, ebenso der Unter-Staatssecretair im Ministerium für Handel und Gewerbe Lohmann von Halle a. S.; abgereist ist der Unter- Staatssecretair im Ministerium der öffentlichen Arbeiten Fleck mit mehrwöchigem Urlaub nach Tirol. * Glücksburg, 8. Juli. Die Kaiserin, die kaiserlichen Prinzen, sowie die Prinzessin Heinrich trafen um 5 Uhr auf der Aacht „Iduna" hier ein, wurden bei der Landung von dem Prinzen Julius von Schleswig-Holstein begrüßt und begaben sich unter den Hochrufen der zahlreichen Menge nach dem Schloß des Prinzen Julius von Schleswig-Holstein. Nach Besichtigung des Schlosses begaben sich die Herrschaften au Bord der „Iduna" und traten später die Rückfahrt nach Kiel an. * Lübeck, 7. Juli. Die Bauarbeiter traten heute, dem „Berl. Tgl." zufolge, in den Streik, weil ihre Forderungen auf Lohnerhöhung von den Arbeitgebern abgeiehut wurden. * Hamburg, 8. Juli. Der sieben Tausend Mitglieder zählende Co ns umverein „Gesellschaft zur Vertbeilung von Lebensmitteln", der sechzehn Magazine besitzt, beschloß gestern in einer außerordentlichen Generalversammlung, den Brod- bedarf ausschließlich von den die Gesellenforderunzen be willigenden Bäckern zu beziehen. Der Verein setzte im vorigen Jahre für über eine Viertelmillion Brod ab. Sonst ist der Stand des Streiks unverändert. * Stettin, 8. Juli. Hier waren bisher die Einwohner mit einem Einkommen unter 900 steuerfrei, wurden aber nicht in den Gcmeindewählerlistcn geführt. Nach den letzten Communalwahlen strengten ein Handelsmann und ein Hausdiener auf Kosten der socialdemokratischen Partei- casse gegen die Stadt ein Strcitverfahren an, durch daS sie ihre Eintragung in die Gemeindcwählerlisten erzwingen wollten. Sie führten auS, eS liege kein gesetzlicher Grund vor, sie von dem Wahlrecht auszuschließen, auch wenn sie nicht zur Steuer herangezogen seien. In letzter Instanz entschied auch das Oberverwaltungsgericht zu Gunsten der Kläger, indem eS erkannte, daß auch Einwohner mit einem Einkommen von 660—900 „E wahlberechtigt und somit in die Wählerlisten einzutrazen seien.Jnfolgedtfleu hielt eS derMaaistrat für angemessen, nun auch diese Bewohner zur Steuer heran- zuziehen, denn er hielt eS für eine Ungerechtigkeit gegen alle übrigen Steuerzahler, wenn auch Nichtsteuerzahler zur Wahl zugeiaffen würden, außerdem müsse berücksichtigt werden, daß dadurch 13 000 Einwohner mehr zur Steuer herangezogen würden und die Stadt dadurch eine jährliche Mehreinnahme von mindestens 60 000 erzielte. Der Magistrat hatte deshalb in der Stadtverordneten-Versammlung eine Vorlage eingebracht, vom 1. Juli d. I. ab die Steuerpflicht bei einem Einkommen von mehr als 660 beginnen zu lasten. Diese Vorlage wurde nach längerer Erörterung mit großer Mehrheit angenommen. * Schnetdemühl, 8. Juli. Der Vorstand des hiesigen KriegervereinS hatte kurz vor den Wahlen beschlossen, den Buchdruckereibesitzer Haremann wegen seines Eintretens für die Wabl des freisinnigen TöchterschuldirectorS Ernst auS dem Verein auszuschließe». Wie sich nun die „Berl. VolkSztg." auS Schneidemühl melden läßt, hat die Generalversammlung des KriegervereinS diesen Beschluß auf gehoben. Der in dieser Art rectificirte Vorstand legte sein Amt nieder. Die anwesenden Reserveofficicre verließen die Versammlung. * Witzenhaufen, 8. Juli. Man hofft, die „Deutsche Colonialschule" bereits am 1. April ». I. eröffnen zu können. Ueber daS Ziel, dem die Schule zustreben soll, und ihren Charakter führte der Geschäftsführer der „Colonial- schule", 'Divisionspfarrer Fabarius zu Koblenz, auf der 5. Hauptversammlung deS rheinischen Verbände« deS evan gelischen AfrikavereinS auS: Die großen äußeren Erfolge, welche die katholische Mission aufzuweisen habe, beruhten auf einer Verquickung von Religion und Culturarbeit. Der Haupt erfolg sei erzielt durch den Ankauf von Sclavenkindern, die in den Missionsklöstern zunächst eine praktische Ausbildung erfahren hätten, dann mit den Gebräuchen der katholischen Religion bekannt gemacht seien. Nach ihrer Verheirathung seien sie in der Nähe der Missionsstation angesiedelt worden und in einem solchen AbhangizkeitSverhältniß ge halten, daß anS Sclaven Hörige geworden. Die evangelische Mission jedoch betrachte vielfach die Erziehung zu praktischer Thätigkeit als nebensächliches Beiwerk. Der „Afrikaverein" und die „Colonialgescllschast" betrachteten nun als eines ihrer Ziele, die Erziehung zu praktischer Thätigkeit bei der evan gelischen Mission zu fördern. Sie wollten die Mission da durch unterstützen, daß sie tüchtige, vor Allem sittlich erzogene Menschen als Culturpioniere hinausschicke, die mit der nötbigen sittlichen Reife und christlichen Denkungsart eine gewisse Schulung für die Aufgaben in den Colonialgebieten mitbringen. Dieser Gedanke habe nach dreijähriger Vor arbeit zur Gründung einer Colonialschule geführt, und der Vxrein hoffe, daß die neue Colonialschule für die Entwickelung der afrikanischen Colonien von allergrößter Wichtigkeit sein werde. * BrcSlan, 8. Juli. In Folge von Lohnstreitigkeiten legten in Glogau sämmtliche Cbromolithographen des Fl« Mining'sch en Verlages die Arbeit nieder. /?. Aus Baven, 8. Juli. In badischen CentrumS- kr eisen ist mau sehr ärgerlich darüber, daß das NeichSamt des Innern den Freiburger Professor der Geschichte FabriciuS znm 3. Dirigenten der NeichslimeScommission ernannt hat. Hat doch soeben erst Pfarrer Wacker den ge nannten Gelehrten, weil er ein politischer Gegner deS CentruinS ist, auf das Heftigste bekämpft und dabei auch die wissenschaftliche Bedeutung des Professors Fabricins herab gesetzt. Da kommt seine Ernennung sehr ungelegen! * München, 8. Juli. Der Reichskanzler Fürst zu ohenlohe traf heule kurz vor 9 Uhr Abends mit seiner ochter Prinzessin Elisabeth auS Schillingsfürst hier ein und wurde am Bahnhofe vom Personal der preußischen Gesandt schaft empfangen. Am Montag kehrt er zu längerem Aufent halt wieder nach Schillingsfürst zurück. Oesterreich-Ungarn. Sprachcufragc. * Wien, 8. Juli. Ein von jungtschechischer Seite auSgegebeneS Communique erklärt, die Partei sei zu der Ver sicherung ermächtigt, die Meldung, als beabsichtige der Ministerpräsident Graf Thun, die Sprachenfrage in Böhmen in der Weise zu regeln, daß bei den sogenannten einsprachigen Aemtern die Institution von Dolmetschern eiugesührt werde, entspreche nicht den Thal fach en. Unruhen. * Wien, 8. Juli. Wie die Abendblätter auS Olmütz melden, kam eS gestern Abend neuerdings zu Ruhe störungen. Tie Excedenten bewarfen die Polizei mit Steinen. Die Polizei machte von der Waffe Gebrauch, ver letzte einen Excedenten und nahm mehrere Verhaftungen vor. Frankreich. Esterhazy; TrcyfuS. * Parts, 9. Juli. (Telegramm.) Die gegen Major Esterhazy wegen deS UeberfalleS auf Oberst Picquart ein geleitete Untersuchung wurde suSpendirt, bis die von dem militairischen DiSciplinargerichte zu fällende Entscheidung denn ein so urplötzliches Verschwinden aus Berlin kam mir äußerst verdächtig vor. Ms noch verdächtiger muß es freilich erscheinen, daß diese Abreise, wie ich zufällig hinterher erfahren sollte, der reine Schwindel war; Monsieur Peter befindet sich nach wie vor in Berlin, und zwar in einem Versteck, wo er ziemlich sicher vor der heiligen Hermandad ist." Test, der immer aufmerksamer zugehört hatte, fragte ge spannt: „Ei, wie erfuhren Sie das?" „Ich war zu Herrn Adolf Dechner in der Friedrichstraße gegangen, da ich dort Näheres über Peter's Reisezwecke erfahren zu können glaubte. Herr Adolf wußte aber gar nichts von seinem Bruder und hörte von dessen Abreise zum ersten Male. Wie wir noch darüber sprechen, kommt seine Braut aufgeregt ins Zimmer in der unverkennbaren Absicht, dem Bräutigam eine wichtige Mittheilung zu machen; wie sie mich aber gewahr wird, stutzt sie und fängt etwas gezwungen von gleichgiltigen Dingen zu reden an. Ich merke gleich, daß ich im Wege bin, und gebe meine Absicht kund, mich zurückzuziehen. Doch der peinliche Herr Adolf — nun, Sie kennen ihn ja, Herr Staats anwalt! — will daS nicht dulden, ich würde es Lbelnehmen; warum Sabine nicht auch in meiner Gegenwart sprechen wollte? Ich wäre doch ein alter Freund des Hauses und dergleichen. Ich mußte also bleiben, und nun schüttete das geängstete Fräujein ihr Herz aus. Peter Dechner war in Berlin und hatte sich an ihren Beistand gewandt; er würde als Socialdemokrat mit Ausweisung bedroht, so hatte er ihr vorgeflunkert, und deshalb möchte sie ihm ein Versteck verschaffen, wo er vorläufig sicher vor dcr Polizei wäre." „Und sie hat es ihm verschafft?" »Ja. Herr Staatsanwalt." „Schwachherzige Weiber! Wo denn?" Just überlegte. Er kannte den Entschluß Tell's, jetzt rück sichtslos vorgehen zu wollen, aber er wußte auch, daß trotz dieses Entschlusses dem Staatsanwalt das Herz arg bedrückt war. Wenn Jemand Teil'» Verwandtschaft mit dem Verbrecher hätte aus der Welt schaffen oder den Verbrecher wenigstens spurlos verschwinden lassen können, er würde sich voraussichtlich Tell's wärmste Erkenntlichkeit erworben haben, vorausgesetzt, daß diesen selbst dabei kein Vorwurf irgend einer Pflichtverletzung träfe. So erwiderte Just denn ausweichend: „Irgendwo in einer Kellerwohnung des Nordens." „Sie müssen doch Straße und Nummer wissen?" „Ich habe leider beider vrrgessen." „Nun, man wird e» morgen von Sabine Meerholt erfahren." „Gewiß; sie kennt ja da» Versteck." Die Beiden hatten nunmehr den Bahnhof erreicht und stiegen in einen Wagenabtheil, in dem sich keine anderen Gäste aus dem Neuen Palais, sondern nur ein paar von Magdeburg her kommende Reisende befanden. Als sich der Zug in Bewegung gesetzt hatte, neigte sich Tell zu seinem Nachbar Just und fragte leise: „Sie machen sich so viele Mühe und Unruhe in der bewußten Sach« . . . warum denn, alter Freund? Was haben Sie davon?" Der Gefragte hob sein Antlitz und sah den Frager wie ein Bräutigam die Braut an. „Mein lieber Herr Staatsanwalt! Ich möchte Ihnen so gern dienen, so gern nützlich sein!" — Er hatte Tell's Hand gesucht und drückte sie nun verstohlen in zärtlichster Weise. Unwillkürlich erwiderte Tell diesen Druck, dann aber sagte er, sich spöttisch gegen die eigene Bewegung wehrend: „Was haben Sie an mir, mein bester Just? Ich bin ein unzufriedener und mürrischer Gesell, an dem Sie Zeit und Kraft nicht ver schwenden sollten." „Doch, doch! es macht mir Freude. Dankbar sein zu dürfen, macht immer Freude, und dankbar bin ich Ihnen: Sie waren der erste Berliner, der mir altem Kerl freundlich und ver trauensvoll entgegenkam — das werde ich Ihnen nie vergessen." Während dieses zwischen Männern etwas ungewöhnlichen Gefühlsaustausches saß dicht nebenan in einem AbtheU erster Classe Fräulein Ellen von Brank mit ihren Eltern und der „sauren Mathilde", die sich auf dem Bahnhofe an Frau von Brant angeschlossen hatte. Ellen hatte die ihr zugekehrte Hälfte deS Lampenschirmes heruntergeschlagen, um durch die Anderen unbeachtet zu bleiben und die Rolle einer Schlummernden spielen zu können. In Wahrheit schlief sie aber nicht, sondern dachte an den Staats anwalt und die unbegreifliche schroffe Art, mit der er ihr ent- gegengetreten war. Der bläuliche Schein deS Lampenschirme» dämpfte die frischen Farben ihres Gesichtchens und legte kreis förmige Schatten um ihre geschlossenen Augen; langsam, wie im Traume, fuhr sie mit der Hand empor, um heimlich zwei Thränlein fortzuwischen, die an ihren dunklen Wimpern entlang geglitten und von da wie demantenblinkende Thautropfen auf die Rosen ihrer Wangen geperlt waren. Die Anderen merkten es nicht. Auch der leise Seufzer, der aus Ellen's Brust quoll, wurde von ihnen nicht gehört, denn die „saure Mathilde" war gerade dabei, über den Hof und die Gesellschaft, die ihr beide heute nicht» recht gemacht hatten, eine ganze Fluth von Schwefel säure auszugießen. Sechzehntes Capitel. Zur selben Stunde saß Peter Dechner mit seinem Wirthe, dem Invaliden Gebauer, in dessen Kellerstübchen zusammen. Die Fensterläden waren geschlossen, auf dem Sophatische brannte die Lampe, neben ihr stand eine Flasche mit schwerem Rheinwein, aus der Peter dann und wann sein und des Anderen Glas mit leise zitternder Hand füllte. Es war eine recht schlechte Nacht gewesen, die Peter verbracht hatte, und Sabine hatte nur die Wahrheit gesagt, als sie ihrem Bräutigam und Friedrich Just berichtete, daß Peter nicht wohl wäre. Er war um Mitternacht fiebernd aufgewacht und hatte keinen Schlaf mehr finden können. Druck im Gehirn und in den Schläfen, schmerzhaft stechender Kehlkopf, hämmernde Pulse, Beängstigungen, die er bisher nicht gekannt hatte und die ihn ab und zu mit plötzlicher Heftigkeit ans Herz zu greifen schienen, hatten ihn völlig munter erhalten, und schaudernd hatte er sich gestagt, ob er am Ende ernstlich erkranken würde. Eine wilde Gedankenjagd war durch sein Hirn gegangen und hatte ihm den Angstschweiß auf die Haut getrieben. Er sah sich wieder mit Carvalho durch den Giesdorfer Park schleichen, er fühlte wieder das geheime Entsetzen, das ihn damals befiel, als er vor dem geöffneten Wandschränkchen stand und eine innere Stimme ihm vernichtend zurief: „Dieb! Räuber! Ehrloser!" Auf die Dauer konnte er eS in seinem immer heißer werdenden Bette nicht mehr aushalten; er war aufgestanden und hatte sich an das einzige ihm zur Verfügung stehende Tischchen gesetzt, um den genauen Hergang seiner Betheiligung an dem Einbrüche, gewissermaßen als seine Selbstvertheidigung, niederzuschreiben. DaS gleichmäßige Schnarchen Gebauer'S im Nebenzimmer störte ihn zuletzt aber derart, daß er die begonnene Arbeit unterbrach, das unfertig« Stück derselben in seine Tasche steckte und nun ruhelos auf und ab zu wandeln begann. Allmählich schlug seine innere Hitze in Frost um, die Hähne begannen ihm zu klappern und er mußt« wieder da» wärmende Bett aufsuchen, in dem er aber erst gegen Morgen in einen kurzen, bleischweren Schlummer fiel. Als der Tag heraufgekommen und siegreich auch in die unter irdische Wohnung gedrungen war, stand Peter auf, kleidete sich mit matter Hand an und trat in die vordere Stube, seinen Wirth zu begrüßen. „Herr des Himmel»! Wie sehen Sie denn aus?" hatte ihn dieser angeschrieen; „Sie werden mir doch nicht krank werden?" Peter hatte mit dem Kopfe geschüttelt: „Ich habe nur schlecht geschlafen." Doch der Invalide, der einige Erfahrung in den Hinfällig keiten und Gebresten des menschlichen LeibeS besaß, war an Peter herangehumpelt, hatte ihm den Puls gefühlt und sich dann die Zunge zeigen lassen. „Wissen Sie was?" hatte er seine Untersuchung beendet, „Sie scheinen mir eine tüchtige Erkältung weg zu haben; Sie dürfen heute Abend nicht wieder ausgchen, Sie bleiben hübsch zu Hause, und wir brauen uns einen steifen Grog, der wird Ihnen den Schaden wieder austreiben." Mit dem steifen Grog war nun Peter nicht einverstanden gewesen; als der Abend hcreingebrochen war, hatte Gebauer von dem Gelde, das Peter's Bruder am Nachmittage heimlich durch Sabine gesandt hatte, ein paar Flaschen schweren Weines holen müssen, und Peter versuchte nun sein aites Hausmittel, sich mit Hilfe des Rebensaftes wieder in eine bessere Verfassung zu versetzen. Gebauer, des Weines gänzlich ungewohnt, hatte schon tief geröthete Wangen, feucht schwimmende Augen und eine leicht anstoßende Zunge; dabei verrieth er ober die entschiedene Neigung, durch langathmige Reden seinen Gastfreund über die Lage der Gesellschaft und die nach seiner Meinung erforderlichen Um gestaltungen derselben gründlich aufzuklärcn. Wäre Peter nicht innerlich vom Stachel d«r Reue zerfleischt wordrn, er hätte wohl kaum dem Geschwätz des braven Alten so geduldig zugehört; so aber lieh er ihm ein williges Ohr, indem er den schlichten Mann und seine kindliche Weltanschauung und die unerschütter liche Treu« und Festigkeit seines Charakters im Geheimen be neidete. „DaS kann ja Alles nur auf internationalem Wege geregelt werden", hatte Peter im Laufe deS Gespräche- einmal mit heiserer Stimme hingeworfen. „Wenn ick dieses dämliche Wort nur höre", war der Alte gereizt aufgesahren, „dann krabbelt eS mir in allen zehn Fingern; allemal steckt da eine Teufelei dahinter! Wat heißt ei denn eigentlich?" Peter verbarg ein geringschätziges Lächeln und sagte be lehrend: „Der internationale Weg ist derjenige Weg, drr auf die wechselseitigen Beziehungen der Völker untereinander ge bührend Rücksicht nimmt; man soll, um bei unserem Falle zu bleiben, mit der Reform nicht einseitig in Deutschland vor gehen — dann hat sie gar keinen Zweck —, sondern man soll sie zu gleicher Zeit bei allen Nationen in Angriff nehmen." (Fortsetzung folgt.)
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