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Die Morgen-Au-gabe erscheint um '/,? llhr, die Abend-Au-gabe Wochentag- um b Uhr. Nedaclion und Expedition: Iohm»nes«asse 8. Die Expedition ist Wochentag- nrmnterbrochea geöffnet von früh 8 bi» Abend- 7 Uh». DezugS-Prels k» btt Hanptexpedition oder de« Kt Stadt» bezirk und den Vororten errichteten AuS» oabesteven abgeholt: vierteljährlich^».«), bei zweimaliger täglicher Zustellung in» Haus 5.50. Durch die Post bezogen für Deutschland und Oesterreich: vierieliährlich 6.—. Direkte tägliche tkreuzbandiendung in» Au-land: monatlich 7.üO. Filialen: Ltto klemm's Lortim. (Alfred Hah«), Universität-straße 3 (Paulinmn), LoniS Lösche, Katharinenstr. 14, Part, uod König-Platz?. Abend-Ausgabe. WpMr. TaMalt Anzeiger. MtsvM des H'önigkichen Land- «nd Äckksgerichtes Leipzig, des Ralhes «nd Nottzei-Ämtes der Ltadt Leipzig. 3t6. Montag dm 11. Juli 1898. Anzeigen-PreiS Äe 6 gespaltene Pettlzeile rv Pf-. Reklame« ««ter dem Redaction-strich l-ge spalten) SO^, vor den Kamiltennachrichtrn (6 gespalten) 40^. Größere Schriften laut unserem Preis» verzetchniß. Tabellarischer und Zifferasatz nach höherem Tarif. Extra - Beila-ea (gefalzt), n«r mit der Morgen-UuSgab«, ohne Poslbeförtzervng ^l W.—, mit PostbefSrderuag 70.—. Ännahmeschluß fiir Anzeige«: Abend»Au»gabe: vormittag- 10 Uhr. Morgen» Ausgabe: Nachmittag- 4 Uhr. Bet den Filialen nnd Annahmestellen je eine halbe Stunde früher. Anzeigen sind stet» an di« Expedition z» richten. Druck und Verlag von E. Polz in Leipzig. 92. Jahrgang. Der spanisch-amerikanische Krieg. Obwohl zu allem Ueberflufse die Minister in Madrid wiederholt versichern, sie hätten sich nicht mit der Frage über den Frieden beschäftigt, im Gegell theil, sie beschäftigten sich nur mit dem Kriege, so ertönen doch immer lauter die Stimmen, die zum Frieden rathen und ihr Laut scheint auch trotz der gegentheiligen Ver sicherung Gehör zu finden. So sollen die fremden Botschafter am Sonnabend Sagasta von dem gemeinsamen Wunsche der Großmächte nach Friedensschluß verständigt und Sagasta soll den britischen Botschafter m Madrid ersucht haben zu ermitteln, unter welchen Bedingungen die Vereinigten Staaten Frieden schließen würden. Angeblich soll nun der Botschafter die Angelegenheit an das auswärtige Amt in.London verwiesen haben, wohin sie natürlich gehört, und diese- soll mit Washington darüber sprechen. Auch von einer vermehrten Stimmung für den Frieden in Spanien selbst wird gesprochen. Was daran Richtiges ist, wer wagt es zu entscheiden? So lange die Spanier im Lande selbst nicht die Geißel des Krieges fühlen, wird es immer eine große Anzahl, vielleicht die Mehrzahl, sein, die zürn äußersten Widerstand entschlossen ist. Das ist der sogenannte VolkS- wille, der auf der Oberfläche schwimmt und der mit der inneren Ueberzeugung oft nichts gemein hat, der aber sich nach Andern richtet und ansteckend wirkt. Dieser Volkswille ist ein Tyrann und die Majorität ist eine Hexe. Wir haben dieser Tage auf ein Wort Bismarck s hingewiesen, jetzt stellt der „Figaro" ebenfalls eine Betrachtung über die „Furcht vor dem Tyrannen" an. Wer ist dieser Tyrann? — Der Volkswille. Vor 28 Jahren setzte IuleS Favre den Krieg fort, obwohl er genau wußte, daß es nutzlos sei, — aus Furcht vor der öffentlichen Meinung. Trochu wußte, daß ein Ausfall aus Paris nicht gelingen könnte, aber er unternahm ihn doch, opferte zahlreiche Nationalgarden, blos um die Noth- wendigkeit der Capitnlation zu beweisen. Sagasta weiß, daß eine Fortsetzung des Krieges gegen Nordamerika nur die Friedensbedingungen des Siegers verschärfen und Spanien völlig zu Grunde richten kann, aber er unterwirft sich der unverständigen öffentlichen Meinung, weil er von ihr gebrandmarkt zu werden fürchtet. „Wenn sich das Kaiser reich", schreibt der „Figaro" „vor 28 Jahren geweigert hätte, Krieg zu führen, würde es deswegen vermuthlich gestürzt worden sein. Man hat es über den Haufen geworfen, weil cs besiegt worden war, und die Männer deS 4. Sep tember haben den Krieg fortgesetzt, weil sie fühlten, daß sie unvolkstbümlich geworden wären, wenn sie den Frieden vorgeschlagen Kälten. In Spanien haben ähnliche Besorgnisse das Land in jene schmerzlichen Umstände versetzt, unter welchen es zu leiden hat. Und was das BeklagenSwertheste ist, die Völker sind durch die Macht der Thatsachen die Opfer der Furcht, die sie einflößen, und man ruinirt und vernichtet sie, um ihnen Wahrheiten klar zu machen, welche die Elite einsieht, aber nicht zu verkünden wagt." Dieser Volkswille scheint aber nicht nur Sagasta, sondern auch Martinez CampoS gefangen genommen zu haben. Noch ist seine Aeußerung über die Königin-Regentin dunkel, noch weiß man nicht, was er damit sagen will, wenn er in Abrede stellt, gesagt zu haben, daß ihn weniger der Verlust deS Geschwaders Cervera'S, als die Lage der Regentin beschäftige. „Er glaube zwar, daß Spanien und die Monarchie rüg mit einander verbunden seien, aber in erster Reih« sei er Spanier, und wenn er auch die Königin sehr liebe, so liebe er doch Spanien noch mehr". Sollen solche Worte auf eine Beiseiteschiebung der Königin-Regentin hinauSlaufeu? Sollte der Volks wille schon so mächtig geworden sein, daß man, um di« Unfähigkeit spanischer Staats- und NegierungSkunst seit hundert Jahren zu bemänteln, die Mutter deS König- opfert, ein Opfer, daS gewiß nicht bei der Mutter Halt macht? Don Carlos, der gern im Trüben fischt, erhebt sein Haupt, die Socialdemokraten rühren sich, der alte Idealist Castelar fängt an zu reden. Wer ist denn nun Herr in Spanien oder wer wird es sein? Doch nur der, der den sogen. BolkSwillen am besten leiten, ihm am besten zu schmeicheln versteht. Es sieht trübe au- in den castilischen Landen! Die Hiobsposten mehren sich. Wenn auch Marschall Blanco in einem Bericht an den spanischen Ministerath die Mittel anführt, über die er verfügt, um den Amerikanern Widerstand zu leisten, so kann er sich doch auf die Mittel nicht verlassen. Heute liegt die Meldung aus Amerika vor, daß, trotz der sonst in Amerika üblichen Sonntagsruhe, gestern das Bombardement auf Santiago begonnen und daß, wahrscheinlich als Folge desselben, General Toral sich mit der Uebergabe Santiagos unter ehrenvollen Bedingungen einverstanden erklärt habe, Mac Kinley aber eine bedingungslose Uebergabe fordere. Inwieweit diese Meldungen richtig sind, vermögen wir nicht zu entscheiden. Ein Telegramm deS „Evening Telegramm" scheint nicht gerade für die Richtigkeit zu sprechen. Doch lassen wir die Depeschen selbst reden: * Washington, 10. Juli. Ein Telegramm deS Generals Shafter von 3 Uhr 40 MIn. Nachmittag- bezeichnet die Lage al- unverändert. Er befind« sich in uneinnehmbarer Stellung und fürchte keinen Angriff. * New Kork, 11. Juli? Ein Telegramm von dem Depeschen boote „Wanda" auf der Höhe von Juragua meldet vom S. d. M., daß kurz vor der Mittag-zeit spanische Officiere mit einem Briefe von General Toral ringrtroffen seien, in dem dieser dem General Shaster mitgetheilt habe, er sei bereit, die Stadt zu übergeben, vorausgesetzt, daß seinen Truppen erlaubt werde, unangefochten mit Waffen und Feldzeichen »ach jeder Richtung hin abznziehen. Die Bedingungen worden nach Washington telegraphirt. * Washington, 11. Juli. Bon autoritativer Seite wird erklärt, Präsident Mac Kinley werde nur «tue bedingungslose Uebergabe Santiago- annrhmen. * New Vork, 11. Juli. Eine Depesche des „Evening Tele graph" au- Santiago vom 9. d. M. berichtet, General Toral habe in seinem Briefe an General Shaftrr mitgetheilt, er habe ausreichende Verstärkungen erhalten, sei auf» Beste ver schanzt und reich versehen mit Munition und Proviant. Er habe ferner darauf hingewiesen, daß seine Armee an das Klima gewöhnt sei, di« Amerikaner aber würden sicherlich während der Belagerung durch Krankheit sehr mitgenommen werden. * New Vork, 11. Juli. Eine Depesche des „New Uork Herold" aus dem Hauptquartier deS Generals Shaster berichtet, LO 000 Per sonen (? die Stadt hatte kaum 10000 Einwohner) seien auS El Laney auSgetriebea nnd ohne die Hilfe der Amerikaner dem Hungertode preiSgrgrben. Von amtlicher Seite werden über die Stärke der spanischen Truppen, welche bei Santigo während der letzten Kämpfe in Thätigkeit waren, folgende Angaben ge macht: Die Gesammtzabl der Truppen im Ost-Departement auf Cuba betrug am 1. Juli nach den genauesten Berechnungen 18500 Mann. Dieselben waren vertheilt aufdie BezirkeSantiago, Guantanamo, Holguin und Manzanillo. In Santiago ver fügte General LinareS über 6200 Mann, wovon gegen 400 in den Lazaretben lagen. Außerdem hatte Admiral Cervera 1800 Mann von der Flotte zur Unterstützung in die Stadt gesandt. Am Tage der Hauptschlacht waren diese Truppen derart vertheilt, daß 1500 Mann die innere Stadt besetzt hielten, 600 Mann unter Vara de Rey in Caney den linken Flügel und 2500 Mann unter General Rubin den rechten Flügel bei AguadoreS bildeten. Somit blieben nur 3200 Mann als Vertheidigcr der mittleren Stellungen, welche einen Halbkreis von 11 Kilometern umfaßten. Die Verluste der Spanier im Centrum werden auf 500 Mann, darunter 180 Tobte, angegeben; die kleine Truppe deS Generals Vara de Ney verlor 400 Mann, ein schließlich ihres Führers, während der rechte Flügel, der bekanntlich für die Forts des Hafeneinganges mit großem Erkolg die Rückendeckung hielt, nur 300 Mann an Tobten und Verwundeten verloren habe. — Nach dieser Aufstellung würde cs zutreffen, daß an einzelnen Stellen die Spanier gegen eine 8- und lOfache Uebermacht zu kämpfen batten. Der spanische Admiral Camara hat diese Woche, bevor er seine Fahrt durch den Suez-Canal antrat, 800 000 Francs an Passage-Gebühren für seine Flotte bezahlt. Jetzt, da er von Suez wieder zurückkehren muß, wird er nochmals die gleiche Summe zu erlegen haben. Nach anderen Mitthei lungen hätte er jedes Mal 1 300 000 FranS zu bezahlen gehabt. Die Kosten dieser Reise beweisen mehr als alles Andere die Kopflosigkeit in den spanischen Negierungskreisen. Politische Tagesschau. * Leipzig, 11. Juli. Einigen Blätter» wird gemeldet, daß dem Reichstage in der nächsten Tagung wieder ein auf die Rcichsfinanz- reform bezüglicher Gesetzentwurf zugehen werde. Wahr scheinlich gründet sich diese Meldung lediglich darauf, daß in der von dem preußischen Finanzminister in seiner dem Kaiser übergebenen Denkschrift über die preußische Finanzverwaltung der sieben ersten neunziger Jahre die Nothwendigkeit einer Regelung der finanziellen Beziehungen zwischen dem Reiche und den Einzelstaaten nicht minder eindringlich betont ist, wie dies die königl. sächsische Regierung bei verschiedenen Gelegen heiten getban hat. Jedenfalls ist bis jetzt noch nicht fest gestellt, was dem Reichstag im Herbste vorgrlegt werden soll. Nachdem sein Vorgänger zwei Entwürfe einer Reichssinanz- rcform, den einen, der den Bundesstaaten ein bestimmtes Plus der Ueberweisungen über die Matricularumlagen sichern wollte, sowie den anderen, der sie nur gegen Ueberrasckungen auS einem etwaigen Uedersteigen der ersteren durch die letzteren schützen sollte, abgelehnt hat, wird e- sich für die Regierungen vor Allem um die Fragen bandeln, ob beim neuen Reichstage befferc Aussichten für die Reichsfinanzreform vorhanden sind, und sodann, welcher Zeitpunkt für die Einbringung einer solchen Vorlage am zweckmäßigsten ist. Bon der Entscheidung über diese Fragen wird dieWiedereinbringung derRcichSfinanzreform abhängen. Daß die Regierungen auf der Reform bestehen und nach Lage der Verhältnisse bestehen müssen, ist klar. Ihr eigenstes Interesse zwingt sie dazu. Der gegenwärtige Zustand macht eine planmäßige Finanzwirthschaft in den Einzelstaaten unmöglich und wirkt bei Ueberschrntung der Ueberweisungen durch die Matricularumlagen ungerecht, weil die Zuschüsse den Einzelstaaten nach der Kopfzahl auferlegt werden. Dagegen muß sich jeder Einzelstaat wehren, der sein Steuersystem nach dem Princip der Leistungsfähigkeit eingerichtet hat. Außerdem entspricht aber auch der gegenwärtige Zustand nicht dem staatsrechtlichen Charakter deS Reiches. ES ist dem letzteren dabei die finanzielle Selbstständigkeit genommen und schließlich ist, was durchaus schädlich wirken muß, der Finanzgebahrung im Reiche die volle Verantwortung für die Beschaffung der Einnahmen entzogen. Nach alledem kann eS gar nicht zweifel haft sein, daß die Bundesstaaten im eigenen Interesse und in dem des Reiches auf der schließlichen Einführung der Reichsfinanzreform werden bestehen müssen. Ob jedoch gerade gegenwärtig der geeignete Zeitpunkt für die Wiederaufnahme dieser Arbeiten sein dürfte, ist mindestens zweifelhaft. Die schädlichen Folgen des jetzigen Verhältnisses kommen am schärfsten und eindringlichsten in Zeiten eines wirthschaft- lichen Niederganges, der sich in dem Uedersteigen der Ueber- weisungcu durch die Matricularumlagen ausdrückt, zu Tage. Dann sprechen die Thatsachen am besten für die Nothwendigkeit der Reform. Solche Zeiten sind nicht vorhanden, auch nicht für die nächste Zukunft zu befürchten. Der Schluß, der daraus gezogen werden muß, liegt nahe. Danach ist die Meldung von einer Wiedereinbringung der Reichssinanzreformvorlage in der nächsten ReichStagStagung unwahrscheinlich. Die Einbringung würde aber wohl doch erfolgen, wenn die Negierungen durch vorherige Fühlungnahme mit den Parteien die Ueberzeugung gewinnen könnten, daß auch ohne das Abwarten schlechterer Zeiten die Neichstags- mehrheil sich dem Gewichte der für die Reform in» Treffen zu führenden Gründe nicht verschließen würde. Zu dem Capitel der geistlichen Wahlbeeinflnssnngen bringt der von dem verstorbenen Centrumsführer v. Schor- lcmer-Alst begründete, gut katholische „Westfale" als Antwort auf die gröblichen Angriffe, die er wegen seiner früheren Enthüllungen von der ultramontanen Presse zu erdulden hatte, einige neue interessante Beiträge. So thcilt er auS dem Wahlkreise Lüdinghauseu-Beckum-Äareudorf mit: „. . . . Am eifrigsten in der Agitation war hier der Caplan Könert. Dieser geistliche Herr ist an den Lagen vor der Wahl bis Abends nach 10 Uhr von einem Haus zum andern gegangen und hat den Leuten den Wattendors'sche» Zettel in die Hand gegeben. Tas durfte er auch thu», denn das war sein gute- Recht. (??) Aber bei N. (den Namen lassen wir natürlich weg, um den Leute» keine Ungelegcnheiten auf den Hals zu ziehen), Bauerschast Werse, hat er die Laiidsberg'schen Zettel vor den Augen der Leute zerrissen und dafür Wattendorf aus den Tisch gelegt. Bei L., Bauerschast Elker — nur die Frau war anwesend, der Besitzer nicht zu Hause — hat derselbe geistlich« Herr sämmtliche Landsberg-Zettel, die auf dem Tische logen, einfach in die Tasche gesteckt und mitgenommen. Zum Ersätze ließ er natürlich Wattendorfs zurück. Aus Befrage» eines Bauern in der Bauern schaft Hinteler, was v. Landsberg nnd der selige Freiherr v. Schor- lemer denn eigentlich verbrochen hätte», daß die Geistlichkeit so gege» sie zu Felde ziehe, antwortete der geistlich« Herr: „Ja, wenn die Beiden im Culturkampf gestorben wären, so ständen sie groß da. Luciser ist auch einmal ein hoher Engel gewesen". DaS zur Illu stration der hiesigen Agitation." Der Artikel schließt mit folgenden Angaben: „In Sendenhorst hat nach den nn» von verschiedenen Seiten gewordenen Mittheilungen ein geistlicher Herr die Stimmzettel sür Fererlletsn. Lauernblut. 28j Roman in drei Büchern. Von Gerhard von Amyntor. (Dagobert von Gerhardt.) Nachdruck verboten. Gebauer nickte und machte dabei ein Gesicht, als ob er Wermuthblätter kaute: „Ick verstehe. Wissen Sie, daß dies ein ungeheurer Quatsch ist? Was gehen uns andere Nationen an? Ein Jeder fege doch erst vor seiner Thür! Ick bin ein Deutscher — Himmeldonnerwetter! — und 'n Deutscher will tck bleiben; meinetwegen kann die Franzosen und die Türken und die Chinesen der Teufel holen! Dat Internationale, dat is so'n richtiger Köder, um die Gimpel zu fangen! Je weniger Einer deutsch ist, je mehr führt er dies faule Wort im Munde. Hätten Sie man, Herr Maurermeister, Ihre eigenen Leute immer hübsch angehalten, unserer gemeinsamen heißgeliebten Mutter treu zu bleiben — Deutschland is doch nun einmal die Mutter, die uns Alle geboren hat —, nich een einziger Mann wäre unter die rothen Schreier jejangen, und Sie selbst ooch nich; denn wenn Sie ooch sagen, daß Sie mit der socialdemokratischen Sippe auseinander sind, so lange Sie noch von solchen inter nationalen Sachen reden, so lange steckt Ihnen immer noch 'n Troppen Jift im Blute." „Nehmen Sie mir's nicht übel, mein bester Gebauer, aber davon verstehen Sie wirklich nichts! Sie sind ein alter Soldat und haben als solcher das Recht, ein wenig Chauvinist zu sein und sich als Deutscher prahlerisch zu überheben; die anderen Nationen sind aber genau so viel Werth wie wir . . ." „Und wenn sie zehntausendmal mehr werth wären als wir", wetterte der Andere los und schlug ärgerlich mit der Hand seines verkümmerten Armes auf die Tischplatte, „so gehen sie uns doch gar nischt an, und ein Schelm iS, wer seinen eigenen Kindern das Brod entzieht, um damit Fremde zu füttern. Wir Deutsche sind nun aber thatsächlich da- erste Volk der Welt, und wer sich dessen nicht bewußt ist oder eS zu Gunsten anderer Völker blöde vergessen will, den sollte man verkehrt kreuzigen, mit dem Koppe in eenem Ameisenhaufen! Sehen Se, Herr Maurer meister, ick habe es schon immer jesagt: unsere Rothen sind arme vaterlandslose Schelme, sie treiben den unreifen Jungen, die ihnen zulaufen, die Vaterlandsliebe planmäßig au» und bilden sich ein, daß sie mit einer so um alle edlen Güter gebrachten und innerlich verlumpten Jugend eine neue besser« Gesellschaft werden gründen können — Prosit Mahlzeit! so ein Kerl, der sein Vaterland aufgiebt, dat is jenau dasselbe, wie eener, der seine Mutter verleugnet — man kann ihn wohl zu allerlei Ver brechen anreizen und er wird auch jelehrig Raub und Einbruch und Brandstiftung mitmachrn, aber al» Baustein zum Aufbau eener besseren Welt iS so een Subject doch nimmer zu jebrauchen." Petern traf dies Wort wie «in Peitschenhieb; er krümmte sich bei der unbewußten Anspielung des Andern schmerzhaft zu sammen; den Ellbogen auf den Tisch gestützt und die heiße Stirn gegen die bebende Hand pressend, so saß er da und ver harrte in längerem brütenden Schweigen. Endlich raffte er sich auf und zwang sich zu der heiseren Entgegnung: „Darauf ließe sich Manches erwidern, aber es thut hier zu weh." Er deutete auf seinen Hals. „Is auch jar nich nöthig, daß Se sich Mühe jeden; mich kriegen Se doch nich herum! klebrigen» wird's Zeit für mich, in die Klappe zu jehen; Sie sollten sich auch legen!" Ein leiser Klopfen am Fensterladen machte Beide aufhorchen. Peter war heftig erschrocken. Sein böse» Gewissen wittert« stets die Schergen d«S Gericht-. „Machen Sie noch nicht auf!" flüsterte er dem Anderen zu, „fragen Sie erst, wer eS ist." „Wer klopft denn?" fragte Gebauer, der aufgestanden und an daS niedrige Fenster gehinkt war. „Ein guter Freund", tönte eS gedämpft von draußen, „Friedrich Just; ich habe Ihnen 'wat mitzutheilen." Gebauer kehrte sich nach dem Zimmer zurück und sah Peter verständnißloS an: „Kennen Sie diesen Namen? Wenn nicht, dann muß sich der Mann wohl irren." Peter hatte überlegt: von Friedrich Just war, soweit er ihn kannte, keine Verrätherei zu befürchten; doch immerhin galt e», vorsichtig zu sein und erst abzuwarten, ob Just wirklich nur zu Gebauer wollte oder ob er wußte, wer hier verborgen war, und ob er für den Verborgenen rin« Mittheilung hatte. Er erhob sich, machte dem Invaliden rin Zeichen mit der Hand und schlich behutsam ins Nebenzimmer. Nun erst ging Gebauer mit einer ongezündrten Kerze nach dem Flur und öffnete die HauSthür. Sin kleiner rundlicher Herr, den Schlapphut in der Stirn und ein Thonpfeifchen mit duftig glimmendem Maryland im Mund«, trat gemüthlich Uber die Schwelle. „Herr Gebauer? nicht wahr? Habe Ihren Namen schon von Fräulein Meerholt nennen hören. Darf ich einen Augenblick bei Ihnen eintreten? Ich komme in nachtschlafender Zeit, aber dir Gacke ist wichtig und lridet keinen Aufschub." Sie waren in die vordere Kellerstube getreten und die fast ge leerte Weinflasche und die beiden Gläser auf dem Tische ver- riethen für Just, daß Der, den er sprechen wollte, noch an wesend war. „Mein lieber Herr Gebauer", hob er diplomatisch lächelnd an, „lassen Sie mich dreist einmal ins Nebenzimmer; ich habe dem Herrn da drinnen etwas zu sagen; es handelt sich um einen Rath, für den er mir ewig dankbar sein wird." Gebauer zögerte; er wußte nicht recht, sollte er die Anwesen heit Peter's zugeben oder verleugnen. Doch da öffnet sich schon die Thür und Peter, der gelauscht hatte, stand selbst im Rahmen und fragte gespannt: „WaS bringen Sie mir, Herr Just? Bitte, treten Sie nur hier herein"; und sich zu Gebauer wendend: „Lassen Sie sich nicht stören und gehen Sie ruhig zu Bett; wenn dieser Herr hier fort will, werd« ich ihn heraus lassen; schlafen Sie wohl!" Er zog Just mit sich in das Hinterstübchen, schloß die Thür und schaute voll innerer Unruhe auf den späten Gast. Dieser ließ sich auf einen Stuhl fallen und fragte: „Gestatten Sie? Ich bin hundemüde! Bin vor einer Stunde erst auS Potsdam zurllckgekommen mit dem Staats anwalt Tell, der im Neuen Palais eingeladen war. Nehmen Sie aber Ihre Hand aus der Brusttasche; es ist nicht nöthig, daß Sie nach einer Waffe suchen; ich bin als Ihr Freund ge kommen." Der Andere erröthete und zog befangen seine Hand wieder unter dem Brusttheil seine- JacketS hervor, wo er in der That bei der Erwähnung des Staatsanwalts nach seinem dort verborgenen Revolver getastet hatte. „Vorsicht ist zu allen Dingen nütze, Herr Just", murmelte er, gezwungen lächelnd, „übrigens glaube ich Ihnen: Sie sind schon einmal al» Freund zu mir gekommen." „Freut mich, daß Sie sich daran erinnern; um so schneller wird unser Geschäft erledigt sein." Er schaute nach der Thür und fragte: „Wird der Alte nicht horchen?" Peter schüttelte mit dem Kopfe: „Er ist angetrunken und würde zu solcher Beschäftigung nicht recht fähig sein; übrigens kann man ja nachsehen." Er ging zur Thür und machte sie schnell auf. „Was giebt es denn?" lallte Gebauer, der schon in seinem Bette lag. „Nichts, nichts! Schlafen Sie nur! Will meinem Gaste nur ein GlaS Wein eingießen." Er nahm die Flasch«, in der noch ein kleiner Rest Wein vor handen war, und kryrte nach der Hinterstube zurück: „Sie können sprechen, Herr Just; nur nicht zu laut, wenn ich bitten darf." Just that einen Zug aus seinem Pfeifchen, paffte ein Wölkchen aromatisch duftenden Rauchs von sich und sagte, scheinbar ganz unbefangen: „Es wird Ihnen vielleicht schon bekannt sein, daß Karl Ritter, aliss Carvalho, verhaftet ist und daß man einen Theil des in Giesdorf geraubten Geldes bei ihm gefunden hat." „Das interessirt mich ganz und gar nicht", stieß Peter ge preßt hervor. Just gab sich den Anschein, als ob er diese Zwischenbemerkung gar nicht gehört hätte, und fuhr immer im selben gemächlichen Tone fort: „Wenn nun Ritter oder Carvalho seine Helfershelfer auch noch nicht angegeben hätte, so wäre Ihre Mitwirkung bei dem Einbrüche doch schon durch den Umstand sattsam erwiesen, daß Sie einen an Sie gerichteten Brief unterm Fenster des aus- geraubteN Zimmers verloren haben und daß Sie von Fräulein von Brank gesehen und erkannt worden sind, al» Sie Ihren durch den Sturmwind entführten Hut wieder dingfest zu machen suchten." Er hielt inne und beobachtet« den Eindruck, den seine Worte gemacht hatten. Wenn überhaupt noch ein Zweifel an Peter's Mitschuld möglich gewesen wäre, daS Bild, das der Ueber- führte jetzt darbot, würde jeden Zweifel endqiltig beseitigt haben. Die Stirn finster gefaltet, die Hände wie in ohnmächtiger Reue geballt, den Odem hörbar und in beschleunigtem Maße durch die Nüstern ziehend und ausstoßend, so saß er am Tische; endlich aber richtete er sich energisch auf, schüttelte die Lähmung von sich und sagte entschlossen: „Wohl denn, Herr Just! Da Sie so viel schon wissen, so sollen Sie auch Alles erfahren." Und nun schilderte er sein« Beziehungen zu Carvalho, wie ihn dieser umgarnt und zur Theilnahme an einem Werk verführt hatte, daS er anfänglich al- den Bankerott seiner Ehre au- tiefstem Herzensgründe verabscheut hatte. Aber Just sollte nur nicht denken, daß er, Peter, sich in eigennütziger Absicht an fremdem Gelbe vergriffen hätte; pfui Teufel, nein! Dazu säßen ihm die ehrenfesten Grundsätze des deutschen Handwerker» denn doch noch zu fest im Blute; nicht einen Pfennig hätte er von dem Gelbe bekommen, daS auf Befehl eine» unbekannten Aus schusses der „Männer der That" mit Beschlag belegt worden sei, um den Zwecken des Anarchismus zu dienen. . . „Oder den Privatzwecken des Herrn Carvalho", warf Just spöttisch dazwischen. „Glauben Sie nur ja nicht, daß sich solch ein Gauner für Andere die Finger verbrennen würde; da» thut nur ein gutgläubiger, gern getäuschter, deutscher Schwärmer, wie Sie einer sind. Uebrigens freut eS mich, daß ich recht gehabt habe: ich sagte gleich dem Herrn Staatsanwalt, eine» gemeinen Diebstahl» ist Herr Peter Dechner gar nicht fähig; die Sache