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02-Abendausgabe Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 14.07.1898
- Titel
- 02-Abendausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1898-07-14
- Sprache
- Deutsch
- Vorlage
- SLUB Dresden
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-18980714027
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id453042023-1898071402
- OAI
- oai:de:slub-dresden:db:id-453042023-1898071402
- Sammlungen
- Saxonica
- Zeitungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
-
Zeitung
Leipziger Tageblatt und Anzeiger
-
Jahr
1898
-
Monat
1898-07
- Tag 1898-07-14
-
Monat
1898-07
-
Jahr
1898
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Grötzerr Schriften laut unserem Preis- verzeichnib- Tabellarischer und Ziffernsatz nach höherem Tarif. Extra-Beilagen (gefalzt), nur mit der Morgen-Ausgabe, ohne Postbeförderung 60.—, mit Postbeförderung 70.—. ^nnahmetchluß für Anzeigen: Abend-Ausgabe: Vormittags 10 Uhr. Mer gen-Ausgabe: Nachmittag» 4 Uhr. Bei den Filialen und Annahmestellen je eine halbe Stunde früher. Anzeigen sind stets an die Expedition zu richten. - -»<2—e», Druck und Versag von E. Volz in Leipzig. 352. Donnerstag den 14. Juli 1898. 92. Jahrgang. Der spanisch-amerikanische Krieg. Den Spaniern ist nun der erwartete Bundesgenosse erstanden: das Gelbe Fieber ist ausgebrochen und greift in erschreckendem Maße unter den amerikanischen Truppen vor Santiago um sich. Es muß ziemlich schlimm stehen, denn nach Mittheilungen aus Washington haben die Generäle Miles und Shafter Berichte gesandt, deren Veröffentlichung das Kriegsministerium verweigerte. Wenn diese Berichte etwas Günstiges enthielten, hätte man sie gewiß schon in alle Welt telegraphirt. Auch mehrere Mitglieder des Eabinets machten nach dem Schlüsse des gestrigen Eabinetsraths Mit- theilungen, in denen sie zugaben, daß die Lage auf Cuba infolge der beständigen Regenfälle wenig befriedigend sei; denn die Leiden der Truppen, namentlich der Kranken und Verwundeten, würden durch dieselben sehr verschärft. Auch mußten große Anstrengungen gemacht werden, um die Be lagerungsgeschütze von Juragua nach der ersten Linie zu schaffen, und es sind auch wegen der aufgeweichten schlechten Wege erst vier Geschütze von den dort liegenden zehn Batterien herangeschafft worden. Aus Spanien und aus Amerika wird noch gemeldet: * Madrid, 13. Juli. Beim Verlassen des Ministerrathes er klärte der Kriegsminister, keine amtliche Depesche bestätige die Capitulation Santiagos. Der Marineminister be stätigte, daß das Geschwader Watson's sich auf dem Wege nachSpanien befinde, und fügte hinzu, daß das Geschwader Camara's sich am sicheren Orte befinden werde. Der Minister des Innern stellte in Abrede, daß in Valdetorres (?) sich eine carlistijche Bande befinde. — Die „Epoca" glaubt, daß die Carlisten eine Erhebung vorbereiten, und räth zur militairtschen Besetzung der Nord - Provinzen und zur Ueberwachung der Carlistcn an der französischen Grenze. — Sagasta hat erklärt, die Friedensbedingungen, die von den Mächten veröffentlicht und als die von Mac Kinley gestellten bezeichnet wurden, feien unannehmbar. — Man glaubt hier, Laß Spanien niemals in die Abtretung Puerto Ricos einwilligen werde. Der Minister der auswärtigen Angelegenheiten erklärt die Gerücht« von Friedensverhandlungen für falsch. Marschall Blanco soll General Toral telegraphisch Befehl gegeben haben, Santiago weiter zu Vertheidigen. * Washington, 13. Juli. Wie verlautet, sprach sich der heute stattgehabte Cabinetsrath zu Gunsten des Planes aus, die Ein nahme von Santiago um jeden Preis zu erzwingen und alsdann Truppen auf den Höhen zu stationiren und die Stadt mit gegen das Fieber Immunen zu belegen. — Der „Cominerctal Advertiser" meldet aus Washington, es seien bereits IM Fälle von Gelbem Fieber in amerikanischen Orten fest gestellt worden. * Washington, 13. Juli. Es macht sich hier eine gewisse Beunruhigung geltend wegen des Ausbleibens der Nachrichten aus Santiago. . Der Kriegsrath versammelte sich heute Nach mittag um 2 Uhr im Weißen Hause. Der Secretair des Krieges Alger und der Secretair der Marine Long, sowie der General adjutant Corbin wohnten der Sitzung bei. Man glaubt, es sei betreffs der Gefährdung der Gesundheit der Armee durch das Gelbe Fieber berathen worden. * Washington, 13. Juli.AHeute bekannt gegebene Depeschen des Generals Shafter und des Generals Miles melden, daß auf Ersuchen des Commandanten von Santiago, Generals Toral, der Waffenstillstand bis morgen verlängert worden sei. Toral wünscht sich mit der Regierung in Madrid über das Anerbieten der Vereinigten Staaten in Verbindung zu setzen, die Garnison von Santiago nach Spanien zu schaffen. Toral erklärt, er sei ermächtigt, die Garnison zurückzuziehen, den Hasen, die Kriegsvorräthe und den östlichen Theil von Cuba zu übergeben. Das hiesige Kriegsdeparte- ment hat indessen die Einwilligung zu dem Abzüge der Garnison verweigert. General Shafter hat erklärt, wenn die Stadt Santiago nicht capitulire, werde er morgen das Feuer mit allen ihm zur Verfügung stehenden Geschützen eröffnen, und das Geschwader werde bei der Beschießung mitwirken. Auch in Manila herrscht unter den amerikanischen Truppen eine Epidemie, hier ist es die Dysenterie, die die Reihen der amerikanischen Soldaten decimirt. Dazu kommt noch, daß die Aufständischen nicht Ordre pariren. Ein Telegramm aus Manila vom 10. d. M. meldet darüber: * London, 13. Juli. Der Specialcorrespondent des „Reuter- schen Bureaus" meldet aus Manila vom 10. Juli: Die Ameri kaner und die Insurgenten in Cavite gehen unabhängig von einander vor. Es scheint schwierig zu sein, ein aus Ueberein- stimmung beruhendes Vorgehen zu ermöglichen. Es herrschen Zweifel über die Ausdehnung und das Anhalten des Einflusses Aguinaldo's. DieMohamedaner im Süden des Archipels er kennen die Autorität der Insel Luzon über die anderen Gegenden nicht an. Wahrscheinlich wünschen sie nur, sich Aguinaldo's und der Amerikaner zu bedienen, bis die Spanier vertrieben sind. Die Amerikaner verschieben die Operationen, bis sie genügend vorbereitet sind, um den Insurgenten die Spitze bieten zu können, falls dieselben sich wider spenstig zeigen sollten. — Der Correspondent der „Associated Preß" meldet aus Manila vom 9. Juli: Der Gouverneur von Manila veröffentlicht eine Proclamation, in welcher er die Autonomie verspricht und die Insurgenten zu gewinnen sucht, sich mit den Spaniern zu vereinigen. Aguinaldo erwiderte, daß diese An schauungen zu spät kämen. Ein solches Versprechen hätte nun freilich der spanische Gouverneur schon vor einem halben Jahre machen sollen, dann wäre die Sache nicht so weit gekommen. Nichts ge lernt und nichts vergessen, daS ist auch hier wieder Spaniens Verhängniß gewesen. Das neu formirte amerikanische Ostgeschwader, welches nach der Vernichtung der spanischen Kriegsschiffe vor Santiago de Cuba nunmehr ebenso wie das Nord-Patrouillir- Geschwader für transatlantische Expeditionen verfügbar ge worben ist, ist nun mit letzterem unter dem Befehl des Coin- modore J.C. Watson vereinigt. Das Ostgeschwader besteht aus den schweren, aber mit großem Kohlenvorrath versehenen Schlachtschiffen „Iowa" und „Oregon", dem schnellen ge schützten Kreuzer „Newark", den drei armirten Hilfskreuzern „Aankee", „Aosemite", „Dixie" und den Kohlendampfern „Alexander" und „Abarenda". Das frühere Patrouillir- geschwader steht noch unter dem Befehl deS Commodore I. A. Howell, hat aber das für lange Seefahrten un geeignete Rammschiff „Katahdin" und den für Specialdienst ausersehenen sehr schnellen geschützten Kreuzer „Minneapolis" aus seinem Verbände entlassen. Es besteht nur aus den beiden Kreuzern „Columbia" und „San Francisco", dem armirten Hilfskreuzer „Prairie" und den Transportern „Badgar" und „Southerey". Sollten die Geschwader unter Watson's Oberbefehl die Reise in die europäischen Gewässer antreten, so könnten die beiden schnellen und starken Panzer kreuzer „New Jork" und „Brooklyn", die wegen ihrer großen Kohlenvorräthe lange die See halten können, sehr gut daran theilnehmen, weil sie in Westindien entbehrlich geworden sind und die dort vorhandenen schwereren Schlachtschiffe und Monitors für die Beschießung von Küstenwerken völlig aus reichen. Einem derart zusammengesetzten Geschwader würde Spanien nicht mehr annähernd ebenbürtige Schiffe entgegen stellen können. Politische Tagesschau. * Leipzig, 14. Juli. Die Energie, mit der in den Kriegervcreinett gegen die heimlichen Socialdemokraten in ihren Reihen vor gegangen wird, giebt der socialdemokratischen Presse natür lich Anlaß zu empörten Ausfällen gegen den „Terrorismus", der bei dieser Gelegenheit wieder zu Tage komme, und be sonders zu heftigen Angriffen gegen den General v. Spitz, der bekanntlich auf dem Abgeordnetentage des Kriegerbundes in Weißenfels von einer „guten Anzahl von Heuchlern und Betrügern" gesprochen hat, die in dem Vereine seien, aber unter falscher Flagge segelten und ausgeschlossen werden müßten. Daß die „zielbewußten" Genossen aus ihren Vereinen jeden „Heuchler und Betrüger" hinausfliegen lassen würden, der socialdemokratische Gesinnung auf den Lippen trüge, aber insgeheim eS mit den Gegnern Bebel's und Liebknecht's hielte, ist selbstverständlich. Aber das ist auch etwas ganz Anderes. Wer als Socialdemokrat Ge sinnungen heuchelt, die er nicht hat, und Vereine betrügt, die antisocialdemokratische Gesinnung verlangen, der ist ein Ehrenmann und muß auch von Anderen als solcher anerkannt und respectirt werden! Das ist auch bei Leibe kein Terrorismus, denn noch hat die Socialdemokratie kein Mittel, die Kriegerver eine zur Respeclirung und Duldung derartiger Ehrenmänner zu zwingen. Terroristisch sind dagegen diese Vereine und ihre Protektoren selbst, denn diese nöthigen, wie der „Vorwärts" behauptet, „Tausende und Tausende deutscher Wähler durch moralischen und materiellen Zwang, gegen ihre Ueberzeugung in die Kriegervereine einzutretcn". DaS socialdemokratische Blatt kann und muß es ja wissen, wie wirksam materieller und moralischer Zwang zur Theilnahme an wirthschaftlichen, wie an politischen Bestrebungen gegen große Kreise der Be völkerung geübt werden kann. Nicht blos die arbeitswilligen Arbeiter bei frivolen Ausständen wissen ein Lied davon zu singen,sondern ein guterTheil der socialdemokratischenStimmen und der Arbeitergroschen, die den socialdemokratischen Führern eine behagliche Existenz sichern, ist die Fruckl des vor keinem Mittel zurückschreckenden Terrorismus, mit welchem die Socialdemokratie ihre Herrschaft über einen großen Theil der Arbeiterbevölkerung ausübt. Aber die Socialdemokratie bat doch nicht das Recht, von sich auf Andere zu schließen und, weil s i e unausgesetzt materiellen und moralischen Zwang ausübt, die Kriegervereine desselben Verfahrens zu bezichtigen. Eins dient den leitenden Geistern der Socialdemokrarie dabei freilich zur Entschuldigung. Sie können eben die patriotische und monarchischeGesinnung nicht verstehen,welche das feste Fundament der Organisation der Kriegervereine bildet. Sie können nicht begreifen, daß Vaterlandsliebe und Königslreue Herz zu Herzen treibt und daß deshalb Vereine, welche die Pflege patriotischer und monarchischer Gesinnung sich zur vornehmsten Aufgabe gestellt haben, von selbst die Männer gleicher Gesinnung an ziehen, wie der Magnet das Eisen. Im Uebrigen aber liegt in jenen socialdemokratischen Klagen über moralischen Zwang das bemerkenswerthe Zugeständniß, daß in der öffentlichen Meinung die Zugehörigkeit zu den Kriegervereinen, welche keine Social demokraten unter sich dulden, als eine Ehre gilt, während Hunderttausende der socialdemokratischen Mitläufer und heim lichen Genossen sich schämen, sich offen als Anhänger der Socialdemokratie zu bekennen. Dieses Zugeständniß ist von praktischem Werthe angesichts der Frage, inwieweit die Social demokraten sich an den im Herbst bevorstehenden Landtags wahlen in Preußen betheiligen werden. Denn hier ist be kanntlich die Stimmabgabe öffentlich, und es könnte daher die Probe auf das Exempel gemacht werden, wie groß unter den bei den Reichstagswahlen abgegebenen Stimmen die Zahl der zielbewußten „Genossen" und wie stark die der „Mitläufer" ist. An den Abdruck einer Berichtigung anknüpfend, ersucht die socialöcmokratischc „Sächsische Arbeiter-Zeitung" die „Genossen", sich erst genau zu erkundigen, bevor sie ihr Mittheilungen über irgend welche Vorgänge machen; sie schreibt dabei unter Anderem: „ES ist nicht daS erste Mal, daß wir diese Aufforderung an die Parteigenossen richten müssen; immer wieder aber gehen unS Notizen zu, die sich hinterher trotz gegentheiliger Versicherungen (I) als unwahr erweisen. Etwas mehr Gewissenhaftigkeit in der Berichterstattung ist unbedingt geboten." Wie häufig ereignet eS sich nicht, daß derartige unwahre Angaben den Glanzpunkt in den Reden socialdemokratischer Reichstagsabgeordneter bilden! Es sei nur an den Fall des Hauptmanns Prey erinnert, den Herr Bebel im Reichstage fälschlich des Mordes anklagte, ohne ein einziges Beweismittel in der Hand zu haben. Wie wenig aber die socialdemokra tischen jNedactionen vor den „Genossen", von denen sie „hineingelegt" werden, in puncto Wahrheitsliebe etwas voraus haben,'dafür liefert jeder Tag Beweise. Heute z. B. schreibt der „Vorwärts", der, je länger je mehr die Vereinigten Staaten wegen ihres Sieges über Spanien verherrlicht, ohne daran Anstoß zu nehmen, daß die Union den Krieg vom Zaune gebrochen hat, unter Anderem Folgendes: „Bei dieser Gelegenheit noch eine Frage an unsere Casernen- politiker und Paradeschritt-Anbeter: Haben sie nun gelernt, daß diese Vereinigten Staaten, die gar kein stehendes Friedensheer und eine lächerlich kleine FriedenSmarine haben, im Ernstfall eine colossalle Wehrkraft entwickeln können?" Diese Angaben schlagen den Tbatsachen ins Gesicht. Die Gesammtstärke des stehenden Heeres der Union bezifferte sich Ende 1893 auf 1901 Officiere, 22 635 Unlerofsiciere, 109 Troops Cavallerie und 60 Batterien. Die „lächerlich kleine Friedensmarine" bestand Anfang 1894 aus 6 Hochsee- Schlachtpanzerschiffen, 2 gepanzerten Kreuzern, 20 Panzer schiffen zur Küstenvertheidigung, darunter 6 mit Doppel- Fettilletsn. Lauernblut. 31 j Roman in drei Büchern. Von Gerhard von Amyntor. (Dagobert von Gerhardt.) Nachdruck verbolcn. „Wer ist denn sonst noch da?" „Der Herr Maurermeister Knoblauch und die olle Mieseke, die Hoffouriers-Wittwe." „Das fehlte noch!" dachte Tell im Stillen, „das wird ja ein allerliebster Abend werden." Dann sagte er laut: „Ich danke Ihnen, Gebauer; melden Sie nur, daß ich mich vorläufig noch zu entschuldigen bitte." „Zu Befehl, Herr Justizrath!" Der Invalide hatte die Kappe gezogen und militairisch Kehrt gemacht. Jetzt humpelte er wie eine angeschossene Krähe über die Wiese nach dem Fahrwege, der nach dem Dobener Gehöfte führte. Tell schaute ihm eine Weile nach und lächelte: „'ne alte treue Seele! sucht sich auf seine Weise immer noch nützlich zu machen, obgleich er weder ordentlich gehen, noch ordentlich zu greifen kann. Aber ich hab« ein gutes Werk gethan, ihn hier herauszunehmen; er hat den unglückseligen Peter kurz vor dessen Tode noch beherbergt; so soll er auch bei mir ein Obdach finden, bis ihm die Parze den Lebensfaden durchschneidrt." Er schob sich den Strohhut aus der feuchten Stirn, warf die Forke auf die Heulast, ergriff Zügel und Peitsche und ermunterte die Braunen durch einen Zungenschlag zum Anziehen. Die wohlgenährten Pferde gehorchten begierig; bald schwankte der Wagen über den kurzgeschorenen WiesenteppiH nach der Straße und Tell schritt leitend nebenher, und zügelte die lebhaften Thiere zu ruhigem Tempo. Der zum Bauer gewandelte Justizrath war eine stattliche Er scheinung; die wettergebräunten Wangen strotzten ihm vor Ge sundheit, seine großen, blauen Augen leuchteten wie Edelsteine; die gut sitzenden Stulpenstiefel und das blüthenweiße feine Hemd verriethen, daß er kein gewöhnlicher Bauer war; er führte das Gespann aber mit so viel lässiger Sicherheit, daß ihm die Arbeiter, die auf der Wiese jenseits der Straße noch mit dem Umwenden des Grummets beschäftigt waren, anerkennend nach schauten und keine einzige spöttische Bemerkung über den feinen Stadtherrn wagten, der freiwillig zum Bauer geworden war. Schon im dritten Jahre widmete sich nun Dell den verschieden artigsten landwirthschaftlichen Verrichtungen mit schonungs loser Einsetzung seiner Körperkräfte und in dem unermüdlichen Bestreben, der kleinen praktischen Handgriffe Herr zu werden. Ein älterer Knecht hatte ihn in allerlei Hantirungen unterwiesen, und selbst der alte Gebauer, der auch ein Sohn des Dorfes und ein früherer Feldarbeit» war, hatte ihm auf seinen Wunsch ge legentlich theoretische Belehrungen ertheilen müssen. Tell konnte, wenn es nöthig war, mit dem Pfluge eine fehlerlose Furche ziehen, er hatte sich die Kunst des Säens und Mähens angeeignet, er wußte sein Reitpferd eigenhändig zu putzen und zu satteln, mit sicherer Hand schirrte er ein Arbeitsgespann an und ab, und der frühere Jurist hatte alle diese ihm doch so ungewohnten Fertigkeiten so schnell erlernt, daß es in der That schien, als ob ererbte Veranlagung ihm dabei nicht unbeträchtlichen Vor schub geleistet hätte. Körperlich hatte er sich bei solcher Thätigkeit immer statt licher entwickelt und seine männliche Kraft und Schöne standen jetzt in vollster Blüthe; in seiner Seele aber war immer noch ein Schatten zurückgeblieben und sein Hang zur Einsamkeit und sein gelegentliches Versinken in finstere Grübelei verriethen, daß er noch zu keiner inneren Harmonie gelangt war. Als eine Art gesellschaftlicher Revolutionair war er vor drei Jahren in Doben eingezogen; wenn er auch das Verbrecherische des Anarchismus aus ganzem Herzen verabscheute, so hatte er doch lange Zeit in seiner weltflüchtigen Verbitterung mit einem Siede der gemäßigteren socialdemokratischen Bestrebungen ge- liebäugelt, von dem er sich die Beseitigung der Stände und die Erhöhung durch eine allgemeine gesellschaftliche Gleichheit ver sprach. Das war nun freilich auch schon ein überwundener Standpunct für ihn. Längst hatte er begriffen, daß sein Haß gegen die Ausschließlichkeit gewisser Menschenclassen doch eigent lich nur dem eigenen hochgespannten Selbstbrwußtsein und un genügend befriedigtem Ehrgeiz entsprungen war. Er konnte es sich nicht leugnen, daß er dem Adel und Officiersstande nur deshalb so oft in heimlichem Trotz und Mißtrauen gegenüber gestanden hatte, weil er sich diesen bevorzugten Kreisen innerlich völlig gleichwerthig fühlte; ja, er ahnte, daß, wenn wirklich einmal eine völlige gesellschaftliche Gleichheit durchgeführt werden sollte, er selber wahrscheinlich der Aufrührer sein würde, der die Lostrennung einer neuen Aristokratie der Geiste«- und Herzens bildung von der breiten rohen Masse wünschen und begünstigen würde. So hatte sich Tell in vielen Puncten selbst widerlegt; aber Klarheit und Fried« war ihm noch nicht geworden, wenn er sich auch bei seinen bäuerlichen Verrichtungen unendlich freier und Wohler fühlte, als einst am Schreibtische vor dem aufgeschlagenen Strafgesetzbuche. Auch heute wird er sich des Fehlens des von ihm so heiß er sehnten inneren Friedens wieder bewußt und, einen ungeduldigen Seufzer ausstoßend, geleitet er den Wagen in den Wirthschafts- hos, wo er vor einer Scheune still hält, in die er abladen will. Aus einem Anbau neben dem gegenüberliegenden Kuhstall tritt die schmiegsame, rundliche Gestalt Friedrich Just's in einem blauen leinenen Anzuge; er hat eine Strohkappe auf dem dichten graugesprenkelten Haare, eine schlohweiße Schürze vorgebunden und seine kleinen fixen Füße stecken in plumpen klappernden Holz pantoffeln. Wie er seinen Gönner mit dem Heuwagen bemerkt, eilt er quer über den Hof auf ihn zu und fragt mit seiner hohen, klangvollen Stimme: „Soll ich das Abladen besorgen, Herr Tell?" - „Sie, Just? Nein, das ist keine Arbeit für Sie. Sie haben sich schon genug aufgepackt. Was giebt es denn jetzt noch in der Milchkammer zu thun? Der Pächter muß die Milch doch schon geholt haben." Just schaut seelenvergnügt zu dem Frager empor. „Ich habe den Kühlapparat wieder in Ordnung gebracht. Die Leute meinten, das müsse einer aus der Stadt besorgen; ich habe ihnen aber gezeigt, daß der alte Just so etwas auch noch versteht. Es ist wieder Alles im Schick, den theuren Handwerker können wir uns sparen." „Sie sind ja ein Allerweltsmensch, ein wahrer Tausend künstler! Was wäre hier draußen ohne Sie geworden?" „Na, na, Herr Tell, Sie sind uns doch Allen über! An Ihnen haben wir ein Vorbild, das wir niemals erreichen können. Aber es bekommt Ihnen prächtig, dem Himmel sei Dank!" Mit Genugthuung sieht er an dem Hünen in die Höhe und seine Blicke bleiben fast zärtlich an dessen sonnenverbranntem Antlitz haften. „Sie schauen heute doch anders aus als damals in Moabit, da Sie jenen Schurken verdonnerten — nur ein kleiner Zug um den Mund, der gefällt mir noch nicht, der muß noch weg!" Tell zuckt die Achseln und sagt ironisch: „Aber doch nicht etwa schon heute? Meine gute Pflegemama hat wieder Gesell schaft — wenn wir uns doch drücken könnten!" „Das können Sie jeden Augenblick. Das Heu hier — heda, August, kommen Sie mal her! — das kann der hier besorgen (er deutet auf einen herbeigerufenen Knecht), ich gehe und kette den Nachen los und, wenn Sie sich umgezogen haben, fahren Sie hinüber zu Herrn von Brant, mit dem Sie so wie so wegen An lage deS Dohnenstriches sprechen wollten. Ich muß schon hier bletben und sorgen, daß die Gäste etwa» zu essen bekommen." Tell macht eine heftig abwehrende Bewegung. „Heute nach Giesdorf? Nicht um die Welt! Die Damen drüben sind zu Hause und der Majoratserbe ist auch anwesend." „Der junge Herr Walther geht Sie doch gar nichts an." „Ich kann den hochnäsigen Patron mit seinen Renommir- schmissen und seinem zurückhaltenden, gefrorenen Wesen nicht leiden. Laden Sie das Heu ab, August", sagt, er mit einer Wendung noch dem harrenden Arbeiter, „und dann", seinen Freund Just beim Arm fassend, fährt er vertraulich fort: „Kommen Sie, wir wollen hineingehen und unsere Schuldigkeit thun — es hilft doch Alles nichrs!" Das Wohnhaus, das früher den Brank'schen Vorwerksver walter beherbergt hat, ist seit zwei Jahren zu einer modernen Villa umgebaut worden. Frau Julie Lampert, in ihrem tiefen Wittwenschmerze, hatte dock das Bedürfniß gefühlt, alljährlich einige Sommerwochen recht behaglich in Doben wohnen zu können, und zu diesem Zwecke hatte das alte unpraktische Haus dem herrschenden Zeitgeschmack gemäß umgestaltet werden müssen. Die drei nach vorn, nach dem See, delegenen Zimmer des Erdgeschosses, von denen das mittlere dreifenstrig und mit einer Veranda versehen ist, dienen gegenwärtig der noch an wesenden Frau Julie zur Wohnung; von den drei Hinterstuben hat sich die Dame eine als Schlafzimmer eingerichtet, die beiden andern hat sie ihrem Pflegesohne gelassen, der sonst, wenn Frau Julie in Berlin wohnt (und das ist gewöhnlich zehn Monate lang im Jahre der Fall), das ganze Erdgeschoß zu seinem eigenen Gebrauche zu benutzen pflegt. Das erste Stockwerk hat nur Giebelfronten; im vorderen Giebel liegt ein zweifenstriges Zimmer, mit dem auf beiden Seiten je ein Alkoven mit schräger Decke verbunden ist; diese Räume bewohnt Friedrich Just. Der alte Gebauer spielt wie früher, so auch jetzt eine Art Pförtner, er hockt aber nicht mehr in einem Kellerloch«, sondern hat ein freundliches, sonniges Stübchen, dicht neben dem Seiteneingange der Villa, inne, in dem er sich sehr wohl fühlt und eine erfolg reiche Hecke von Canarienvögeln angelegt hat. „Da bist Du ja endlich, William", sagt die jetzt nur noch schwarze Seide tragende Frau Julie strahlenden Blickes, wie Tell, der sich in einen grauen Cheviotanzug geworfen hat, lässig auf die Veranda hinaustritt, wo die Dame des Hauses ihre Gäste um sich versammelt hat, und, sich an diese wendend, fährt sie mit fast komischer Gespreiztheit fort: „Die Herrschaften kennen ja meinen Pflegesohn, den Herrn Justizrath?" Auf das letzte Wort legt sie eine sckarfe Betonung. Der Erfolg dieser Frage bleibt nicht aus: von verschiedenen Seiten erschallt es zugleich: „Guten Abend, Herr Justizrath! — Endlich bekommt man auch Sie zu sehen, sehr verehrter Herr Justizrath! — Nein, Herr
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