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Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 10.07.1898
- Erscheinungsdatum
- 1898-07-10
- Sprache
- Deutsch
- Vorlage
- SLUB Dresden
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-189807103
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id453042023-18980710
- OAI
- oai:de:slub-dresden:db:id-453042023-18980710
- Sammlungen
- Zeitungen
- Saxonica
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
-
Zeitung
Leipziger Tageblatt und Anzeiger
-
Jahr
1898
-
Monat
1898-07
- Tag 1898-07-10
-
Monat
1898-07
-
Jahr
1898
- Titel
- Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 10.07.1898
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Größere Schristen laut unserem PreiS- verzeichniß. Tabellarischer und Zisfernsatz nach höherem Tarif. Extra-Beilagen (gefalzt), nur mit der Morgen-Ausgabe, ohne Postbesörderung 60.—, mit Postbesörderung 70.—. Annahmeschlvß für Anzeigen: Abend-Ausgabe: Vormittag- 10 Uhr. Marge a«Ausgabe: Nachmittag- 4Uhr. Bei den Filialen und Annahmestellen je eine halbe Stund« früher. Anzeigen sind stet- an die Expedition zu richten. Druck und Verlag von E. Polz in Leipzig. 92. Jahrgang. Aus der Woche. Der neugewählte Reichstag wird nicht gewillt und nicht im Stande sein, aus sich selbst heraus Verbesserungen zu schaffen, die dem Ansehen dieser Körperschaft nützen, ihre Machtsphäre aber scheinbar verringern würden. Deshalb ist es auch ausgeschlossen, daß er das im Argen liegende WahlprüfangSwesen auf die gesunde und reelle Grund lage stellt, die ihm das englische Parlament dadurch ge geben, daß eS das ausschließliche Recht, über die Giltigkeit angefochtener Wahlen zu befinden, einem Gerichtshöfe übertragen bat. Früher oder später wird man zu diesem oder einem ähnlichen Mittel auch bei uns greifen müssen, um mit der ohne Scham und Scheu bei den Wahlprüfunaen zu Tage tretenden, aller Gerechtigkeit Hohn sprechenden Partei willkür aufzuräumen. Der Zeitpunct wäre geeignet, denn bei den letzten Wahlen haben sich Wahlbeeinflussungen, namentlich nichtamtliche und besonders geistliche, in einer Weise hervor gewagt, die sogar die Abwehr strenggläubiger Katholiken und katholischer Zeitungen, wie z. B. des von Schorlemer-Alst begründeten „Westfalen", herausgefordert hat. Aber der neue Reichstag wird sich dem Rufe der Gerechtigkeit verschließen. Könnte man diese Gewißheit nicht schon aus seiner Zusammensetzung gewinnen, so wird man durch die Beurtheilung, die die unerhörten Vorgänge in Saarbrücken bei der klerikalen und der demokratischen Presse findet, dahin belehrt, daß vorläufig nichts zu hoffen ist. Der Freisinn zeigt sich bei dieser Gelegen heit wieder in seiner ganzen Charakterlosigkeit. Die Saarbrückener Wahlbeeinslüssung müßte von dem grund sätzlichen Standpunkte, den er einzunehmen vorgiebt, dreifach verwerflich sein. Sie führte die Wünsche einer staatlichen Autorität für eine bestimmte Candidatur inS Feld; diese Autorität ist die der Krone, die gerade auch nach demo kratischer Lehre nicht in den Wahlkampf gezogen werden darf: der Druck endlich war berechnet auf Staatsbeamte, also auf Personen, die sich der Berufung aus den wirklichen oder angeb lichen Willen des Höchsten im Staate besonders zugänglich zeigen könnten. Dennoch findet Herr Richter eine der Billigung fast gleichkommende Beschönigung der klerikalen Pression, ein Organ der Freisinnigen Vereinigung bleibt an Tolerenz hinter der Volkspartei nicht zurück und die „Germania" schiebt vor ihre widerwillig herauSgestammelte Mißbilligung sofort eine Coulisse, indem sie eine in persönlicher Angelegen heit erfolgte persönliche Berufung des Grafen Hoens- broech auf den Monarchen ausgräbt, die auf den Mißbrauch von Saarbrücken paßt wie die Faust aufs Auge. ES ist eigentlich schade, daß dort das Centrumsmanbat verloren ist. Denn gegenüber einem Proteste gegen seine Wahl würden sich Centrum und Demokratie durch Ver leugnung früher vorgetragener und stenographisch nieder gelegter entgegengesetzter „Rechts"-Auffassungen so bloSgestellt haben, daß der Gedanke der Reform des Wahlprüfungs wesens nur hätte gewinnen können. Eine Frage, die allerdings für die rechtliche Beurtheilung jener Wahlbeeinslussungen gleichgiltig wäre, ist bisher nicht aufgeworfen worden: die nämlich, ob die „St. Johann- Saarbrückener Volkszeitung" und der CentrumSabgeordnete Euler vollständig, d. h. in der Sache, aus der hohlen Tonne heraus gerufen haben, als sie verkündigten, es sei an die Ressortminister die Weisung ergangen, ihre Untergebenen dahin zu belehren, „daß bei der Wahl nichts gegen das Centrum zu unternehmen sei", und als sie die Ver sicherung arzssprachen, eS sei dafür gesorgt, daß Beamte, die das Mißfallen des CentrumS hervorriefen, in Berlin eine „schlechte Note" erhalten würden. Viel leicht ist man der Frage aus dem Wege gegangen, weil man sie nicht zu bejahen vermochte und die Verneinung ein un behaglich grelles Licht in blinzelnde evangelische Augen hätte fallen lasten. Die Möglichkeit, daß Herr Euler und sein Parteigenosse nicht erfunden, sondern höchstens auSgeschmückt haben, läßt sich keineswegs so ohne weiteres ablehnen. Denn da- heutige Preußen ist ein klerikal regiertes Land, dessen Protestanten gelegentlich durch Worte, deren Bedeutungs losigkeit nicht überall erkannt wird, über diesen Zustand hinweggetröstet werden. Die vorläufige Fortdauer der Kanzlerschaft deS Fürsten Hohenlohe ändert nichts an diesem Sachverhalte, ter nach unserer Meinung Richtung und Ziel für die bevorstekencen preußischen Landtagswahlen geben müßte. Die Münchner „Allgem. Ztg." meint zwar: „Selbst der h-cb- kirchliche Theil der konservativen Partei in Preußen giebt sich nicht mehr dazu her, um der letzten Ideale deS UltramontaniSmuS willen für die gern regieren wollende Partei des Herrn Lieber die Kastanien aus dem Feuer zu holen." Allein es liegen keine Thatsachen vor, die beweisen, daß sich die Conservativen in Preußen wieder wenigstens so weit auf sich selbst besonnen hätten. Weder die evangelische Geistlichkeit, noch die führenden Laien unter den Conservativen deS nicht sprachlich gemischten Osten- haben sich im Wiederbesitz der Erkenntniß gezeigt, daß eine Unterstützung der Ultramontanen in Schule und Kirche unbedingt auf eine Schmälerung des Protestan tismus hinauSläuft. Die Schulgesetz-Campagne von 1892 hat die Sehkraft dieser Elemente, so weit sie sich auf diesen Punkt richtet, stark herabgeminvert und bis jetzt giebt es, wie gesagt, keine Anhaltspunkte für die Ansicht, daß die von jener unglückseligen Action angerichtete Verwirrung beseitigt fei. Die Bewahrung der Schule vor der, mindestens gesetzlichen, Auslieferung an den römischen Klerus muß aber daS Schibboletb in einem Wahlkampfe sein, das National liberale und Conservative nicht al- grundsetzliche Gegner zeigen soll. Darüber besteht unter unseren Parteigenossen in Preußen kein Zweifel und kann auch keiner bestehen. Nun erhalten sie von der freiconservativen „Post" einen eigen- thümlichen Rath. Die Nationalliberalen sollen die conser- vativ-freiconservative Mehrheit im Abgeordnetenhause, zu der in der früheren Gesetzgebungsperiode nur wenige Stimmen fehlten, bei den Wahlen Herstellen helfen; dann wäre es nicht nothwendig, daß sich Conservative und Centrum zu einer anderen Mehrheit zusammensänden. Nicht nöthig, gewiß. Die Nothwendigkeit war auch im Jahre 1892 nicht vorhanden. Aber die Möglichkeit bleibt und gegen sie und eine klerikal- conservative Allianz sind bessere Garantien nothwendig, als sie das augenblickliche Stillschweigen der Conservativen über ibre Kirchen- und Schulpolitik und die Plänkeleien zwischen der Centruinspresse und conservativen Blättern gewähren. Zur Bildung einer ans den beiden conservativen Fraktionen be stehenden Mehrheit dürften die Nationalliberalen um so weniger Lust haben, al- die zur Zeit geäußerten Zweifel in die Zuverlässigkeit der Freiconservativen nicht unbegründet sind. Man braucht sie nicht ein mal auf das Vorgehen der Freiconservativen in der An gelegenheit deS Vereinsgesetzes zu stützen, man braucht sich nur die Thatsache zu vergegenwärtigen, daß der Führer dieser Partei unter dem Einflüsse eines ehemals liberalen RegierungSmitgliedeS steht, dem auch in Fragen der Schul- und Kirchenpolitik nicht zu trauen man allmählich sich bat gewöhnen müssen. Die „Post" ergeht sich denn auch nur in allgemeinen Redensarten über den Cardinal- punct, sie hütet sich aber zu erklären: „Wenn wieder etwas wie eine lex Zedlitz kommt, so werden die National liberalen uns dort finden, wo wir vor sechs Jahren gestanden haben". Wenn solche Klarheit aber schon am grünen Holze der Freiconservativen vermißt wird, wessen hat man sich von den preußischen Conservativen zu versehen? Auf der anderen Seite ist zu beachten, daß der Richter'sche Freisinn vollkommene Gleichgiltigkeit in Fragen der geistigen Freiheit, zu der er innerlich gelangt ist, öffentlich und praktisch nicht verrathen darf. Er weiß, daß ihm der Verlust deS letzten Anhänger- im Lande bevorstände, wenn er in einem Kampfe um die Schule sich unzuverlässig oder auch nur lau erwiese. Seine Parole für die Landtagswahlen, die von der Existenz deS CentrumS keine Notiz nimmt und „alle Mann gegen die Conservativen" aufruft, verzeiht man Herrn Richter. Aber wenn eS im Landtage wegen der Schule zum Schlagen kommt, dann muß er den Klerikalen das Dienstverhältniß kündigen. Die Stellung der Sicherheit, die die politischen Verhältnisse des Freisinns beider Richtungen in diesem Punkte gewähren, werden die Conservativen nicht versäumen dürfen, und sie werden sie um so leichter teilten können, als sie kürzlich auch durch ihr Parteiorgan erklärt baben, die conservative Partei stelle ibre Ideale über Alles. Der Widerstand gegen die völlige Vernichtung deS staatlichen Ein flusses auf Gebieten, die im Westen der Klerikalismus schon jetzt fast gänzlich beherrscht, kann Politikern, die sich ihrer allpreußischen Ueberlieferungen rühmen, nur als ein ideales Streben erscheinen. Durch die Gewißheit, daß die „große liberale Partei", die Sehnsucht des Herrn Rickert, niemals zu Stande kommen wird, sollten sich die preußischen Conservativen nicht über die Folgen einer klerikal-konservativen Coalition täuschen lassen. Sie wissen von 1887 und von früher ber, daß brennende nationale Fragen ein weithin wirkendes Zusammengehen grundsätzlich scharf gesonderter Richtungen herbeiführen können, und die Schulfrage, im Zedlitz'schen Sinne aufgeworfen, wäre eine eminent nationale, eine die Fundamente ebenso des Reichs wie Preußens berührende. Der Umstand, daß die nationallibcrale Partei, weil sie gemäß ihrer politischen Grundauffassung nicht kann, und daß Eugen Richter, weil er aus Herrschsucht nicht will, in einer „bürgerlichen Linken" nicht aufzugehen vermögen, stände einem von dem mit den« Jesuitismus verbündeten ConservatiSmuS aufaedrungenen Zusammenschlüsse aä live nicht im Wege. Herr Richter, wir wiederholen daS, würde mitgehen müssen, so schwer eS ihm siele. Zur Zeit ist er zwar, eben um seiner erwähnten Wahlparole willen, sehr liebenswürdig gegen die National liberalen, den Kampf gegen die Freisinnige Vereinigung setzt er aber mit vermehrter Hitze fort. Einen neuen Anlaß dazu bietet eine kürzlich erschienene Lebensbeschreibung Max v. Forckenbeck'S von vr. Philippson, eine Schrift, die aller dings ihre Eigenthümlichkeit. auf Unkenntniß der Vorgänge und Personen aufgebaut zu sein, auch dort nickt verleugnet, wo sie sich mit der Stellung Richter'- zur Vereinigung der Secessionisten und der Fortschrittspartei zur deutschfreisin nigen Partei im Jahre 1884 beschäftigt. Wir haben das Buch bisher nur nebenher erwähnt, weil es keine Beachtung verdient; der Verfasser schreibt „Berliner Tageblatt"-Historie, und für Tageblatt-Leute ist Max v. Forckenbcck nun einmal ein Heros, der auS Princip die Secession herbeigeführt hat. Man weiß es längst anders. Was nun Eugen Richter angeht, so behauptet von ihm die Philippson'sche Schrift, er habe sich mit der Fusion besreundet, weil er die reiche» Leute unter den Secessionisten „für die Parteicasse der Fortschrittspartei fruchtbar zu machen" gedachte. Wir baben ost genug auf Rickter'S Zu gänglichkeit für finanzielle Erwägungen hingewiesen, aber wir stehen nicht an, ihm beizupflichten, wenn er diese Angabe Philippson's eine „boshafte Erfindung" nennt, und wir wissen auch, daß Herr Richter der Wahrheit einmal die Ehre giebt mit seiner Versickerung, lediglich die Be fürchtung, den starken, im Jahre 1881 gewonnenen Fractions- verband einzubnßen, habe ihn bestimmt, der Verschmelzung mit den Secessionisten schließlich nicht mehr entgegen zu sein. Wenn er eine ihm gegenüber verübte Bosheit, über die er sich entrüstet, ohne Bedenken gegen eine Schöpfung ber Frei sinnige» Vereinigung verübt, so thnt er nur, waS er nicht lassen kann. Deutsches Reich. L2 Berlin, 9. Juli. Der DarlehnScassen-Verein in dem rheinischen Dorfe Meschenich hat an zwei Wähler des Ortes folgendes Schreiben gerichtet: „Infolge Ihres agitatorische» Wirkens für die Social demokratie bei der Reichstagswahl betrachtet der unterzeichnete Vorstand Sie nicht mehr als zur christlichen Kirche gehörig und schließt Sie daher statutgemäß als Mitglied des Vereins aus. Meschenicher Darlehnscassen-Verein, e. G. m. unbejchr. Hftg. Der Vereins-Vorsteher Hilger Ralshoven." Der „Vorwärts" bestreitet, daß das Vereinsstatut eine Handhabe zum Vorgehen des Darlehns-VereinS biete. Vom Gesichtspunkte der politischen Moral ist eS aber ziemlich gleich giltig, ob er Recht hat. In jedem Falle hat man cs hier mit einer wirtschaftlichen Verfehmung zu thun, die Ultra- montane verhängen, weil zwei Mxschetiicher Einwohner, wahrscheinlich Bauern, jedenfalls Laien und Nichtakademiker, im Kleinsten gethan haben sollen, was der römisch-katholische Priester Wacker in Baden und ber Landgerichtsrath Feld bausch in ber Pfalz gewiß im großen Maßstabe getrieben haben. Herr Feldbausch hat vor der Stichwahl eine klerikale Versammlung folgendermaßen angeredet: „Ich fordere Sie auf und ich bitte Sie, socialbemokratisch zu wählen." Aber weder ist ihm der amtliche noch ist Herrn Pfarrer Wacker der geistliche Credil gekündigt worden. Berlin, 9. Juli. Einer der Hauptvorzüge der Ge werbeaufsichtsberichte ist die Rückhaltlosig keit, mit der sie sich über die gewerblichen Verhältnisse äußern und beobachtete Mißstände in die Oeffentlichkeit ziehen. Auf diese Weise ist cs auch am ehesten möglich, sie abzustellen. Da rum möchten wir diese Offenheit nicht missen, ob auch die Socialdemokratie, einzelne Urtheile und Vorfälle aus dem Zusammenhang reißend und tendenziös verallgemeinernd, auch diesmal wieder die staatliche Fabrikinspection zu dis- creditiren sucht. Die Feindseligkeit der Socialdcmokratie gegen die amtliche Fabrikaufsicht ist nur zu natürlich; beide sind Concurrenten um das Vertrauen der Arbeiter, und der Fabrik aufsichtsbeamte ist bei diesem Wettbewerb insofern in günstigerer Lage, als er den Arbeitern, die sich ihm anvertrauen, positive Hilfe bringen kann, während die Socialdemokratie sich in der Hauptsache auf ihre Agitation beschränkt. Außerdem ist die Hilfe des Gewerbeinspectors selbstlos und uneigennützig, die Hilfe der Socialdemokratie muß mit politischer Gefügigkeit, mit dem Gehorsam gegen die sogenannten Beschwerdecommissionen und Gewerkschaftscartelle erkauft werden, die fast durchweg wirthschaftlich maskirte Organisationen der politischen Umsturz bewegung sind. So ist denn auch das socialdemokratische Centralorgan aus Anlaß der vorstehenden Gewerbeberichte wieder bemüht, die Arbeiterschaft dadurch mit Mißtrauen gegen die Gewerbeinspection zu erfüllen, daß man ihr einflüstert, die un mittelbaren Beschwerden beim Gewerbeinspector seien unsicher. Im Lande ist man aber bereits anderer Ansicht; so hat das Barmer socialdemokratische Organ, wie der Bericht für den Regierungsbezirk Düsseldorf feststellt, den Arbeitern wiederholt in längeren Ausführungen empfohlen, in Beschwerde- und sonstigen Streitfällen die Unterstützung des zuständigen Gewerbe inspectors in Anspruch zu nehmen. Diese Stellungnahme eines „Bruderorgans" kennzeichnet mehr als alles Andere das Treiben der socialdemokratischen Centrale. Aber auch die Arbeiter selbst gewinnen bereits in steigendem Maße Vertrauen zur Gewerbe inspection, so constatirt der Bericht für Ostpreußen, Westpreußen, Pommern, Oppeln u. s. f. Nur wenige Berichte klagen, daß es noch nickt vorwärts gehen will. Bezeichnend für die social demokratischen Wünsche sind noch folgende Mittheilungen, die das Verhältniß der Jnspectoren zu den Arbeitern charakterisiren. In Danzig sind es gerade Mitglieder des „Gewerkschaftscartells" gewesen, welche den Gewerbeinspector dadurch um das Ver trauen der Arbeiter bringen wollten, daß sie ihm nachsagten, er habe eine nebenamtliche Thätigkeit bei einer Unternehmer vereinigung übernommen. Aus dem Bezirke Oppeln kommt die Klage, daß die polnisch-socialdemokratischen Arbeiterzeitungen durch Hetz- und Schmähartikel be müht sind, das von Jahr zu Jahr zunehmende Vertrauen zu den Gewerbeaufsichtsbeamten zu zerstören. In einem Falle war der Gewerbeinspector zu Beuthen genöthigt, gegen den ver antwortlichen Redacteur der „Gazeta Robotnica" wegen Be leidigung durch die Presse Strafantrag zu stellen. Das Urthcil lautete auf 8 Wochen Gefängniß. Dabei hatten die berechtigten Ansprüche der Arbeiter bei den Gewerbeinspectoren anerkannter maßen thatkräftige und meist erfolgreiche Unterstützung gefunden. Diese Vorkommnisse werden natürlich in den socialdemokratischen Blättern verschwiegen. Um so mehr halten wir uns verpflichtet, darauf hin zu verweisen. * Berlin, 9. Juli. In der „Köln. Ztg." lesen wir: „Wer das Amtsblatt des R e i ch s p ost a m t e s hinsichtlich der Perso nalienrubrik mit Sorgfalt liest, wird erstaunen, daß man höheren Ortes dem Postinspector, der zum Postrath befördert werden soll, das Amt eines solchen commissarisch überträgt, da gegen dem Postinspector, der zum Postdirector aufrücken soll, das Amt probeweise überweist. Dieser merkwürdige Brauch Fariillatsn. Verlorene Partie. Skizze auS Baden-Baden, von Paula Zillen. Nachdruck vcrdotni. I. „Darf ich Sie heut Nachmittag zum Tennis abholen, Miß Ethel?" „Ja, um halb vier — aber bitte, ganz pünktlich, Mr. Howen." Die junge Amerikanerin reicht ihm zum Abschied die Hand, ihre kleinen, festen Finger umschließen die seinen mit kurzem Druck. Dann noch ein flüchtiges Nicken — und die junge Dame verschwindet im Eingang des Hotel Stephanie. Lieutenant Howen bleibt noch ein Weilchen stehen und blickt ihr sinnend nach. Dann schlendert er langsam die Straße hinunter, in der Richtung nach dem Kurplatz zu. In seinem jungen, sympathischen Gesicht liegt ein Zug nachdenklicher Spannung — der Ausdruck eines Menschen, der mit ange strengtem Eifer das Für und Wider eines bestimmten Planes abwägt. Sie war sein« „Chance", die hellblonde, elegante Miß Ethel Falkestone, die seit den acht oder zehn Tagen ihrer Anwesenheit im Hotel Stephanie die bewundernde Aufnierksamkeit von ganz Bat^n-Baden erregte; wenigstens was den männlichen Theil der Curgäste anbetraf. Die Damen kritisirten mit einiger Schärfe ihre glänzenden Toiletten, die sie mit eleganter Gleich giltigkeit spazieren trug, und ihren lebhaften Verkehr mit ihrer Umgebung, di« fast ausschließlich aus jungen Herren bestand. Günther Howen seufzt ein wenig in Gedanken an alles DaS. Sie war so ganz verschieden von allen jungen Mädchen, die er kannte, diese kleine, zierlich gebaute, selbstbewußte Aus länderin mit den knappen, sportgeübten Bewegungen, den welt erfahrenen Augen und dem kleinen Spottlächeln um die Mund- »inkel. Es war eigentlich tollkühn von ihm, sich überhaupt so etwas wie den Schimmer einer Hoffnung zu machen, wenn man's recht bedachte — — aber das Leben bringt ja die merk würdigsten Dinge zuwege. Und — ein wenig anders war sie zu ihm wie zu allen Anderen. Er hatte schon ein paar Mal eifersüchtige Bemerkungen hören müssen. Schon vor acht Tagen, als er ihr auf dem Tennisplatz vorgestellt wurde, nachdem ihm sein Freund und Regimentskamerad Althoff fünf Minuten vorher mit wichtig hochgezogenen Augenbrauen zugefliistert hatte: „Kleine Millioneuse, Du — reizendes Mädel, was? Bischen zu hlond für meinen Geschmack. Aber daS ist ja egal. Mach Dich recht liebenswürdig, alter Sohn!" . . . Nun, er hatte sich liebenswürdig gemacht — hatte sogar mit Mr. Falkestone, einem etwa» starken Herrn mit kurzgeschorenem, grauem Haar und einem letzten, verschwindenden Hauch vom Parvenü, die lang weiligsten Gespräche geführt über deutsche und amerikanische Handelsverhältnisse, von denen er gar nichts verstand — während Miß Ethells kluge Augen zuweilen tief und forschend in die seinen blickten. Seitdem sah er sie oft, fast täglich. Und in ihrer Gesellschaft überkam ihn meist eine Art von Traumzustand — er gab sich kaum genau« Rechenschaft von dem, waS er dachte und wollte. Nur zuweilen, mitten im Grspräch, überrieselte ihn wie ein glühender Fieberschauer der Gedanke an alles DaS, was der Besitz dieses zierlichen, klugen Persönchens im Gefolgt hätte für ihn. Befreiung von dem mitleidlosen Verhängniß, daS seine junge, warmblütige Natur so knapp am Zügel hielt — von der entsetzlichen MisSre des GroschenumdrehenS — von den widerwärtigen kleinen Schulden für Cravatten, Handschuhe und Cigaretten — von dem hemmenden Riegel, der sich vor alle feine ehrgeizigen Zukunft-Pläne schob. Es flimmerte vor seinen Augen — Berlin — Kriegsakademie, Generalstab — das kühnste Ziel seiner Wünsche — und dann Urlaub, Reisen — Paris, Rom, Wien — glänzendes Leben und sorgenloses Genießen... Er suchte sich vergeblich «inzureden, daß er auf dem Wege sei, rin warmes Gefühl für Miß Ethel zu empfinden. Sein Herz weigerte sich eigensinnig, die Rolle zu spielen, die ihm zugedacht war — es war auch nicht gut zu verlangen. Denn wenn man erst vor Kurzem mit aller Willenskraft einem süßen, verlockenden Traum entsagt hat Er athmet ein paar Mal tief auf, um sich von dem beklemmen den Druck zu befreien, der auf seiner Brust liegt, richtet sich straff in den Schultern auf und schickt sich eben an, in die Sophrenstraße einzubiegen, als ihn von rückwärts eine bekannte Stimme anruft: „Du, Howen! — Herrgott, lauf' doch nicht so! — ich jage nun schon seit zehn Minuten lull spaeck hinter Dir her —" Günther Howen lachte und schüttelt dem Anderen die Hand. „Ich war ein bischen in Gedanken, Althoff — Du weißt ja, dann renne ich immer so, ohne zu hören und zu sehen." „Wo kommst Du denn her?" fragte Lieutenant Althoff mit der selbstverständlichen Ungenirtheit eines sehr guten Freundes. Er ist ein langjähriger Kamerad Günthcr's, schon vom Cadett-n- corps her. „Ich war mit Miß Falkestone oben in der Stourdza-Capclle, eben habe ich mich von ihr verabschiedet." Günther bemühte sich, unbefangen auszusehen, was ihm nur unvollkommen gelingt. Seine blonden Schnurrbartspitzen vibriren unruhig. „So, so. — Na? und wie stehen Deine Chancen?" fragte Althoff mit einem naiven, sachlichen Inter- esse, ohne jede frivole Betonung. „Werd' nicht ungemiithlich, alter Junge", wehrt er ab, als Günther finster die Augenbrauen zusammenzieht. „Mich soll's ja von Herzen freuen, wenn Du Dein Glück machst. Aber weißt Du nein, laß nur gut sein. Du host von jeher selbst gewußt, was Du zu thun hast — Dreinreden ist Unsinn." „Da hast Du ganz Recht — also lassen wir daS Thema. Sag' mir lieber, ob wir jetzt zusammen Mittag essen wollen, ich habe riesigen Hunger. Oder bist Du anderweitig verabredet?" „Bewahre, ich bin ein freier Mensch. Ueberlaß Dich nur meiner Führung — ich habe da irgendwo ein gutes Restaurant entdeckt, nicht theuer, vorzüglich« Forellen — und wenigstens etwas Anderes zu trinken als diesen biederen badischen Land wein. — Ein Glas Sect können wir wenigstens auf Miß Ethel's Wohl trinken — meinst Du nicht? Ich hab' heut gerade meine Zulage bekommen." II. Das satte Goldlicht des Sommernachmitiags füllt das ganze Schwarzwaldthal von Baden-Baden. Der reizende Ort liegt in malerischer Ruhe hingestreckt, mit seiner langen Reihe von Villen und Hotels, auf deren weiße, gelbe und röthliche Mauern der Sonnenschein grelle Lichter tupft. Gleißend flammen die beiden goldenen Kuppeln der Stourdza-Capelle und der russischen Kirche aus dunkelgrünen Baummassen heraus. Unter dem schattigen Baumgewölbe der Lichtenthaler Allee schrillt das zirpende Geklingel unzähliger Radfahrer. Die tiefen Horntöne einer vorüberrasselnden Mailcoach brummen da zwischen. Vor den Tennisplätzen, die sich in langer Reihe an der Allee hinziehen, drängen sich die Zuschauer, um die hin^ und herfliegenden, Hellen Gestalten der Spieler zu beobachten. Ethel Falkestone ist anwesend mit ihrer ganzen „Suite" — wie ein paar boshafte Damen die fünf oder sechs Herren ge tauft haben, die beständig in ihrer Nähe sind und denen sic Allen ab und zu ein wenig Hoffnung macht. Augenblicklich ist sie ganz beim Spiel. „Tdi'rt>' all! — Herr Lieutenant Howen, Sie sind an der Reihe." Ihre blitzenden Augen verfolgen mit leidenschaftlichem Eifer den Flug der weißen Bälle. „Olr — c.utsicke!" ruft sic ärgerlich. „Sie geben nicht gut Ackt, Mr. Howen! Sie werden uns das Spiel verderben." „Verzeihen Sie, Miß Ethel", murmelt Günther, während, er sich bückt, um ein vaar Bälle aufzuheben. „Ich war nichts recht bei der Sache. Ich habe so viel Wichtigeres zu denken — unsagbar Wichtiges, Miß Ethel." „So?" erwidert sie fragend und streckt die Hönde aus nm die Bälle in Empfang zu nehmen. Er tritt ihr "ganz nahe' und seine Augen brennen leidenschaftlich in den ihren, während »
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