Volltext Seite (XML)
Bezugs-Prer* In der Hauptexpedition oder den kn Stadt« te/irk und den Vororten errichteten Aus- oavestrllen abgeholt: vierteljährlich^ 4.SO, bei zweimaliger täglicher Zustellung in« Hau« S.bO. Durch die Post bezogen für Deutschland und Oesterreich: viertestührlich L—. Directe tägliche Kreuzbandienduag in« Ausland: monatlich 7.bO. Di« Morgen-AuSgabe erscheint um Uhr, di« Abend-Ausgabe Wochentag» um b Uhr. Nedacliou und Lrpe-Mo«: Ivhaunesgaffe 8. DI« Expedition ist Wochentag« ununterbrochen geöffnet von früh 8 bi« Abend« 7 Uhr. Filialen: Ltto Klemm s Tortim. (Alfred Hahn), Universitätsstraße 3 (Paulinus-), Louis Lösche, Katharinenstr. 14, pari, und ^öuig-platz 7, 373. Morgen-Ausgabe. UWM TaMM Anzeiger. Amtsblatt des Königlichen Land- und Amtsgerichtes Leipzig, des Mathes und Volizei-Amtes der Ltadt Leipzig. Dienstag den 26. Juli 1898. Anzeigen-Preis -le 6 gespaltene Petitzeile 20 Pfg. Reclamen unter dem Redaction-sirich («ge spalten) üO^, vor den Familiennachrichtea (6 gespalten) 40.^. Gröbere Schriften laut unserem Preis- ve^etchniß. Tabellarischer und Zisfernja- uach höherem Tarts. Sstra-Veilaaen (gefalzt), nur mit der Morgen-Ausgabe, ohu« Poslbeförderuag 60.—, mit Postbesörderuug 70.—. Annahmeschluß für Anzeigen: Abend.Ausgabe: vormittag« 10 Uhr. Margen-Au-gab«: Nachmittag« 4 Uhr. Lei den Filialen und Annahmestellen je eine halb« Stund« früher. Anzeige» sind stet« au die Expedition zu richten. Druck und Verlag von E. Polz in Leipzig. 92. Jahrgang. Bestellungen auf RtlseMlMllltllts nimmt entgegen und führt für jede beliebige Zeitdauer aus Die Er-e-itm -es leipziger Tageblattes, Johannisgasse 8. Die lippische Angelegenheit. K Der lippische Handel forderte zunächst Zurückhaltung. Die bat die Presse geziemend geübt. Da-jenige Blatt, da früher als die andern ein Urtheil abgab, hat, wie man nun weiß, früher als die anderen Näheres darüber ge kannt. Nunmehr ist die Sache in ein Stadium gelangt, wo sie als eine tiefernste Angelegenheit des deutschen Bundes staate« freimüthige Erörterung erheisckt. Ein kleiner Theil der Presse verlangt zwar weiteres Stillschweigen und zeigt sich sogar entrüstet, weil er nicht alle Zeitungen den Kopf in den Sand stecken sieht. Andere Organe gehen noch weiter und bemühen sich, den Regenten von Lippe in« Unrecht zu setzen. Sie erreichen, was der Uebereifer von Höflingen gewöhnlich erreicht, nämlich da« Oegentheil ihres Zwecke«. Wenn z. B. «in große« Blatt schon seine Reputation nicht zu schädigen glaubt, wenn e« schreibt, in der Veröffentlichung de« kaiser lichen Telegramm« an den Grasen-Regenten in der Würzburger „Neuen Bayerischen Landrszeitung" dürfe man eine „officiöse lippische Auslassung" erblicken, denn vor einem Monat sei der Graf-Regent iu Kissinger» gewesen, jetzt weile der Redacteur der „Lippischen Landr-zeitung" daselbst und der Redakteur des Würzburger Blatte« habe sich „gleich zeitig" — man erkennt nicht, ob mit dem Regenten oder dem lippischen Redacteur — dort aufgehalten: wenn also eine Zei.tuna ihr Ansehen durch eine solche Beweisführung nicht zu beeinträchtigen meint, so hätte sie doch vorauSsebeu sollen, daß normale Menschen von diesem überkünstlichen Beschuldigung«material — Kisstngen ist bekanntlich ein jährlich von Zehntauseuden ausgesuchte« Bad und überdies ein Aus flugsort sür die Würzburger — di« Ueberzeugung von der Schlechtgläubigkeit des Beschuldigers herleitrn würden, Wa den» auch geschehen ist. Noch unkluger verfährt das Blatt, das den Kaiser, weil er sich auf der NordlandSreise befindet, als im Zustande eines wehrlos Angegriffenen befindlich hin stellt. Wenn die Heranziehung dieses Moment- den geringsten Hall böte, so wäre mit ihr auch gesagt, daß diese Nordlauds- reisen mit der Erfüllung der Regentcnpflichten schlechterdings unvereinbar wären, denn e« könnten sich — man denke an den Frühsommer von 1870 — unerwartet über Nacht Dinge zu tragen, die e« erforderten, daß der Kaiser sofort benachrichtigt würbe und hierauf unverzüglich einzugreifen in der Lage wäre. Außerhalb der Stelle, von der die Kaiserreise al« erschwerender Umstand für di« Veröffentlichung des Telegramms hervor gehoben wurde, weiß aber Zedermann, daß der in den nordischen Gewässern weilende Monarch in engster Fühlung mit den politischen Begebenheiten bleibt. Daß die Differenz mit dem Regenten von Lippe eine politische Angelegenheit und zwar eine solche von Wichtigkeit »st, bestreitet Niemand. Die „Nationalzeitung" spricht von einer durch sie und wahrlich nicht zu Gunsten patriotischer Sammlung hervorgerufeoen „tiefgehenden Er regung". Eine solche Erregung ist vorhanden unv sie wird beeinflußt durch da« Bedauern da rüber, daß die Oeffentlichkeit von dem Vorgänge Keantniß erhalten hat. Die begangene ZndiScretion ,st eine Sache sür sich. Die Erregung ist entstanden all dem Berstäodniß für die Natur und die Existenzbedingungen de- Reiches al« eine« Bunde-staate« und sie wird verstärkt durch die seil 1890 überall stark gesteigerte Empfindung für da- SegenSvolle de- föderativen Ebarakter« unsere- National staate«. Wir durften schon au« Anlaß der Hundertjahrfeier für Kaiser Wilhelm I. unter Zustimmung der meisten Berliner Zei tungen feststellen, daß die Werthschätzung de- deutschen Bundes staate« al-solchen auch inPreußen,namentlich aber in den politisch denkenden Kreisen Berlin-, eine allgemeine geworben sei, und diese Wahrnehmung sindet heute ihre Bestätigung in der Thatsache, daß dir lippische Angelegenheit in Preußen zum Mindesten nicht weniger peinlich empfinden wird, als im übrigen Deutschland. Man hat aber überall erkannt, daß die Bunde-fürsten anstatt, wie früher manchen Orte- befürchtet wurde, ein Hrmmniß sür den Gang der Reichsmaschine zu bilden, bei deren ordentlicher Functionirung unentbehrlich sind. Man weiß auch, daß bundesfürstliche Intervention manche- Gute herbeigrführt und bundesfürstliche Dazwischenkunft mehr al« einmal Schlimme- verhütet hat. Dieser Fürsten einer ist nun vom NeichSober- haupt ohne Zweifel in seinem Selbstgefühl verletzt worden. Man kennt die Form nicht, in der er den Anlaß dazu geboten haben soll. Aber abgesehen davon, daß diese fortdauernde Unkenntniß nicht zu Uiigunsten des Fürsten von Lippe spricht: eS ist keine Form denkbar, dir diese Kund gebung des ersten und obersten deutschen Bundesfürsten er klären könnte. Hat der Regent wirklich den Ton ver fehlt, den alle Bundesfürsten dem Kaiser gegenüber wählen, so war dem Reichsoderhaupte in dem Urtheile der unter richteten Landesherren wie in dem der Nation eine Genugthunng sicher, wie er sie vollkommener nicht wünschen konnte, uno der Zwischenfall hätte nur dazu brigelragen, da« Ansehen des KaiserthumS zu festigen. Die genommene Genug- tbuung übt eine aegentheilige Wirkung. Der Umstand, daß di« schroffen kaiserlichen Worte an den Fürsten eine« der kleinsten deutschen Staaten gerichtet sind, macht menschlich Len Vorfall nicht erfreulicher und politisch dürfte der geringe Umfang de« Fürstenthum« Lippe den auSgestoßenen WarnungSruf „heute mir, morgen dir" wohl nirgends ungehört haben verhallen lasten. Noch weniger wird e« «ine Stelle geben, wo man dem Telegramm gegenüber Gewicht darauf legt, daß der Regent von Lippe sich dem Anscheine nach in Unkenntniß über die seinen Kindern zukommenden Ehrenbezeugungen befunden hat. Auf die Rechtsfrage kommt eS hier iu der Tbat auch gar nicht an, umsoweniger, als einerseits die gewünschten oder verlangten Ehrenbezeugungen eine Weile er wiesen worden sind, andererseits aber bekannt geworden ist, daß Osficiere in Lippe e« für angemessen halten konnten, dem Grafen Ernst bei seinem Regierungsantritte Nadelstiche, wie Ver sagung de« Empfanges und der Regimentömusik, zu versetzen. Eine Rechtsfrage liegt überhaupt nicht vor Md deshalb auch keine Streitigkeit, mit der sich der BundeSrath zu be fassen haben könnte. Da« Telegramm ricktet sich gegen un- geschriebene- Recht, da- aber darum den Bundesfürsten nicht minder theuer ist und dessen Anerkennung auch da- Reichs interesse gebieterisch fordert. Der Kaiser schuldet den BundeS- sürsten die Formen, die er von ihnen verlangen muß, seine überragende Stellung mindert zum wenigsten diese Ver pflichtung nicht. Das Bedauerlichste an dem Vorfall ist, daß er jedes reichspolitischen Hintergrundes entbehrt. Politische Diffe renzen sind in einem Bunde-staate unvermeidlich. Zur Zeit besteht bekanntlich eine solche zwischen dem Reichsoderhaupte und Bayern wegen de- obersten MilitairgerichtshofeS. Sie wird überwunden werden, wie alle früheren Meinungsver schiedenheiten überwunden worden sind. Der Kaiser kann als solcher oder als König von Preußen unter Um ständen die Pflicht haben, einem anderen Bundes fürsten rntgegenzutreten. Wo aber ist in dem lippische»» Handel die Spur eine« deutschen, ein:- preußischen Interesse- zu finden? Nirgend-, er ist — so weit der Kaiser in Be tracht kommt — rein persönlicher Natur. Aber eben dieser sein Charakter verleiht dem Vorfall in den Augen der Bundesfürsten und der Nation eine politische Beveutung. Für die Bundesfürsten, weil ihre Rechte nicht von der ihnen erwiesenen Achtung zu trennen sind, für da- deutsche Volk, weil cö sich vor der Gefahr sieht, daß da« Vertrauen der BundeSsürsten in die Sicherheit der ihnen verfassungS- gemäß gewährleisteten Stellung durch da« Hervortrrten privater Neigungen erschüttert und in Folge besten, wenn nicht ihre Reichstreue, so doch die Freudigkeit ihrer Reichstreue harten Proben ausgesetzt werden könnte. Was Lippe-Detmold anlangt, so ist nicht abzusehen, in welche Verlegenheiten die beiin Kaiser offenbar obwaltende Auf fassung, daß die Kinder des Regenten nicht succession-fäbig seien, das Reich noch bringen kann. Es wäre darum nach unserer Meinung ein dankeuSwertheS Beginnen der Bundes fürsten, wenn sie darauf hinwirken wollten, daß alsbald der Sohn des Grafen Ernst mittels Landesgesetzes zum Thron folger bestimmt werde. Deutsches Reich. * Leipzig, 25. Juli. Dem im vorstehenden Artikel Aut- geführten ist ergänzend und erläuternd noch Folgendes nach zutragen. De»» „Leipz. N. Nachr." wird gemeldet, das Telegramm des Kaisers" habe folgenden Wortlaut: „Berlin Schloß, 17. Juni 1898. Ihren Brief erhalten, Anordnungen de- commandirenden General geschehen mit Meinem Einverständnisse nach vorheriger Ansrage. Dem Regenten, was dem Regenten zukommt, weiter nicht-. Im klebrigen will Ich Mir den Ton, in welchem Sie an Mich zu schreiben für gut befunden haben, ein für alle Male verbeten haben. VV. k." Ist da« richtig, waS bei dem Schweige»» der lippischen Re gierung sich nicht controliren läßt, so ist der von dem (Ärafen-Regenten bei den Bundesfürsten »lnternommene Schritt ebenso begreiflich und gerechtfertigt, als wenn da« Telegramm genau so lautet wie früher mitgetheilt wurde. Ueber die Be deutung de« an die Osficiere der Detmolder Garnison er gangenen Verbotes, dem Verlangen des Grafen Ernst bezüglich seiner Kinder nachzukommrn, wird in der „Voss. Ztg." das folgende dargelegt: „Das Verbot de« Kaiser« hat »ine weilertrogende Bedeutung, al- auf dca ersten Blick scheinen könnte. An dein Spruch des Schiedsgericht«, der unter dem Vorsitz d»S König« Albert Yon Sachsen den Grafen Ernst al- Regenten de- Fürsten- thum- Lippe elnsetzte, ist nicht zu rütteln. Offenbar ober wünscht der Kaiser durch sein Verbot au-gedrückt zu sehen, daß für ihn die lippische Thronfolgesrage durch diesen Schieds- spruch mH nicht endgtltig geregelt ist. Schon al- vor Jahresfrist der Schiedsspruch bekannt wurde, wiesen preußisch osficlöse Blätter hierauf hin. Graf Ernst ist mit einer Gräfin Karoline v. Warten-leben vermählt, und dies« Ehe ist nach preußischer Auflassung nicht ebenbürtig. Die lippische Auffassung in dieser Frage ist der preußischen entgegengesetzt und stützt sich aus das lippe-biesterseldsche HauSgesetz, da« Ehen mit dein niederen Adel bi- hinab in die freiderrlichen Häuser alö ebenbürtig anerkennt. Nach dem dereinstigen Ableben des jetzt 56jährigen Graf-Regenten Ernst wird man daher da- Wiederaufleben der lippische» Thronfolge, frage erwarten dürfen. Ob eine Regelung her Thronfolgesrage im Fürstenthum Lippe aus dem Wege der Landr-gesetzgebung nach dem Beispiele in Sachseo-Metniugen, da- sich durch LandeSgesetz vom 4. März 1896 «in« neue „Erbfolgeordnung" schuf, zur Folge hätte, daß Preußen seine Auffassung ändern würde, müßte die Zeit lehre». Bestrebungen, di« auf eine lande-gesetzliche Ordnung der Erbfolge hinzlelen, sind im Fürstenthum Lippe schon im vergangenen Jahre hervorgetreten. Aut der Ehe des Gras. Regenten Ernst mit seiner Gemahlin Karoline, geborene Gräfin v. AarlenSlrben, sind drei Söhne und drei Töchter hervor, gegangen. Di« älteste Tochter, Gräfin Adelheid, ist mit dem Prinzen Friedrich von Sachsen.Meiningen verinählt, die beiden übrigen Töchter, Gräfin Karola und Gräfin Mathilde, sind unvermählt, ebenso die drei Söhne, Gras Leopold, Graf Bernhard und Graf Juliu« Ernst. Der älteste Sohn, Graf Leopold, ain 30. Mot 1871 geboren, der beim dereinstigen Ableben de- Graf. Regenten Ernst für di« Thronfolge zunächst in Frage käme, ist köuigl. preußischer Lieutenant L I» suito der Armee, Graf Bernhard steht al« Seeondelieuteuaot tm Husar,uregiuwat Kaiser Nikolaus II. von Rußland (1. Wests.) Nr. 8, Graf Juliu« Ernst bekleidet keine militairtsche Lharge. Demselben Blatte wird au« Meiningen geschrieben: Bei de« Erörterungen der Depesche de« Kaiser« an den Regenten von Lippe-Detmold ist bi« jetzt ein Moment noch gar nicht berück« sichtigt worden, da« zur Beurthellung der Sachlage nicht ohne Be. deutung ist. In der vorigen Woche hat Herzog Georg von Sachsen.Meiningen bei dem König Albert von Sachsen einen nur zwei Tage umfassenden Besuch gemacht, der ganz unbemerkt geblieben ist. Wen» mau berücksichtigt, daß Herzog Georg tu den letzten Jahren allen officiüsen Feierllchkeiten und jedem Besuch an fremden Höfe» ausgewichen ist — nicht einmal beim Jubiläum de- jo »ah« ver. wandten König« von Sachsen war er zugegen —, so wird man zugeben müssen, daß zu dieser ausfälligen Reise nur sehr schwer- Der Wunsch des kleinen Asfim. Nachdruck verl öten. Kindesträume, Kinderhoffnungen, wie harmlos erscheinen sie meist uns Erwachsenen! Kaum daß wir an den Ernst und an die Nachhaltigkeit einer solchen kindischen Phantasie glauben. „Kinder vergessen ja so schnell, sind so leicht zu trösten." Und doch, wer nur irgend ein Herz für diese kleine Welt hat, wird mir zugeben, daß es auch unter den anscheinend so leichtherzig, so glücklich veranlagten Kleinen Naturen giebt, die eine Ent täuschung, ein Fehlgehen ihrer kindlichen, oft kindischen Hoff nungen eben so bitter, ja oft schwerer noch empfinden denn Mancher, den des Leben« Ernst schon längst vertraut gemacht hat mit Enttäuschungen aller Art. Mehr denn einmal habe ich beob achtet, wie solch' armeS kleines Kindesgemllth verwundet, ja förmlich vernichtet vor einer sogenannten Aufklärung stand, dir man ihm zu seinem eigenen Besten gegeben. Am traurigsten be rührt hat mich ein Vorgang, dessen Zeuge ich während einer meiner Reisen wurde. ES war im Jahre 1893. Die Cholera, die von Indien durch die in diesem Jahre besonder» zahlreichen Mekkapilger ein geschleppt worden war, hatte einen solchen Umfang angenommen, daß e» selbst unS, den Consulaten in Djeddah zugetheilten Con- sulatSbeamten, die wir doch alljährlich an die Schreckensnach richten aus Mekka gewöhnt waren, anfing, unheimlich zu werden. Die täglich zunehmende Zahl der Todetfälle, die un» von Mekka gemeldet wurden, die nunmehr beginnende kopflose Flucht von dort nach Djeddah, unserem Domicil und zugleich dem Ein- schiffungsort für die gesund gebliebenen, ihrer Heimath zu strebenden Pilger, hatte auch d»e größte Zahl unserer Beamten mit dem brennenden Wunsch« erfüllt, diesem verpesteten Boden so bald al» möglich Valet zu sagen. Sobald die dringendsten Geschäfte erledigt, die verlangten Pässe für die unserer Obhut andertrauten Pilger autgestellt waren, schaute rin Jeder von un», wie er auf die schnellste Art und Weise dieser unwirthlichen Küste entrinnen konnte. So glückte e» auch mir, freilich einem der Letzten, den er sehnten Urlaub zu erhalten; leider lag zur Zeit außer den Pilger- schiffen, d. h. den zur Verfügung der mohamedanischen Pilger siebenden Schiffen, kein einzige» meinen Zwecken genügende» Fahrzeug im Hafen. Wer jemal» den ganzen Jammer einer von Cholera verheerten Pilgerhafenstadt mit durchgemacht, wird verstehen, daß ich e» vorzog, mich einem der Pilgerschiffe an» zuvrrtrauen, anstatt auf einen vielleicht erst in zehn Tagen an kommenden Regierungsdampfer zu warte»». Dazu kam, daß ich mich mit dem jungen Arzt, der auf besagtem Pilgerschiff die Fürsorge über die gesummten „Gläubigen" übernommen hatte, in der Zeit seines Aufenthaltes im „heiligen Lande", herzlich be freundet halte. Er bot mir an, mir auf seinem Schiff leidliches Unterkommen und vor Allem in den Quarantänen gewisse Er leichterungen zu verschaffen, und ich ging nur zu gern darauf ein. Nachdem all der Lärm, die Verwirrung und das ohren zerreißende Geschrei der Einschiffung glücklich hinter uns lagen, konnte ich mich auch meinem jungen Freund, dem ärztlichen Ober haupt der nach dem Abendland bestimmten Pilger, näher an schließen. Zwei der schönen Abende an Deck, wie man sie wohlig, Herz und Sinn berauschend, nur eben auf den südlichen Meeren zu genießen pflegt, genügten, mich ihm freundschaftlich nahe zu bringen; ich lernte in ihm einen eben so tüchtigen und energischen wie gutherzigen Menschen kennen, Eigenschaften, die er sür die schwierige Stellung, die er an Bord des „Nil" äußerst noth- wendig gebrauchte. Im Laufe des Gespräches erfuhr ich von ihm mancherlei Einzelheiten über unser Schiff und seine Bemannung, unter Anderem auch die bedauerliche Thatsache, daß auch unser Capitain, den ich bi» dahin doch immerhin als eine Art .Ehren mann" betrachtet hatte, sich dieses Namens nur unter Hinzu fügung deS Wörtchens „dunkler" zu erfreuen pflegte. Der biedere Eapitano beschäftigte sich nämlich in seinen Mußestunden mit dem An- und Verkauf von armen kleinen schwarzen Kindern, kleinen Somalinegern, die er am Markt in Beinen, wo solche Geschäfte mehr in Blüthe standen, zusammenkaufte, um sie dann in Konstantinopel, wo man derlei kleine Menschenpaare in reichen Türkenhäusern nur zu gern zu miethen, um nicht zu sagen kaufen Pfleat«, für da» Dreifache des EinkaufpreUes an zubringen. Es ist die» eine Unsitte, welche, obschon sie stark an den auch in der Türkei längst verbotenen Sclavenhandel gemaknt, doch immerhin stillschweigend geduldet wird, da cs die reichen Türkenfamilien vorziehen, sich auf diese Art anhängliche Diener heranzuziehen und in ihrem oft recht complicirten Haushalt auch iir ach»- bi» zehnjährige Knaben und besonders Mädchen »astende Verwendung haben. Auch auf unserem Schiff sollten ich drei dieser armen, von ihren Eltern gerissenen Kinder be- inden, und schon beim ersten Diner fand ich Gelegenheit, das chwarze Kleeblatt kennen zu lernen. Der Capitain amüssrte ich damit, die Kleinen zum Nachtisch herbeizurufen und ihnen zur Belohnung für allerhand Sprünge und Grimassen, die sie, nicht unähnlich jungen Affen, zum Besten gaben, verlockende Früchte und Süßigkeiten von der Tafel zuzustecken. Dies Schauspiel, so amüsant es an und für sich sein mochte, machte auf mich einen peinlichen, fast verletzenden Eindruck. Die beiden Größeren, ein Knabe von neun und rin Mädchen von ungefähr elf Jahren, schienen auch im Genuß dieser Herrlichkeiten Trost kür alles ihnen vielleicht sonst widerfahrene Ungemach zu sehen, die Gier, mit der sie daS Dargebotene verschlangen, und die sclavisch« Unterwürfigkeit, mit der sie dem Capitain gehorchten, erhöhte den thierischen Eindruck der Scene. Doch eines der drei Kinder fesselte sofort meine Aufinertsamkeit; der Jüngste, ein kleiner brauner Kerl mit prächtigen schwarzen Augen, die trotzig unter den dichten Brauen hervorblitzten, einem schwarzen Kraus kopf und einem dunkel-bronzefarbenen Gesichtchen, das mit den weichen, nndlichen Zügen und der sammetartigen Haut einen unendlich rührenden, hilfsbedürftigen Eindruck machte. „Uva picoola bo8tia", radebrechte „il sixnor Oapitano". — Italie nisch war noch das einzige Idiom, in dem wir uns verständigen konnten, und auch das handhabte er auf eine so gräuliche Weise, daß einem echten Florentiner wohl die Haare zu Berge gestanden wären. Die kleine „Cestia" machte allerdings den Eindruck, als ob sie, ungeachtet ihres kindlichen Aussehens, große Neigung zur Widersätzlichkeit hätte; am Capriolenmachen bethriligte der Knabe sich überhaupt nicht, und Versuche des Capitains, ihn durch Darbietung einer Banane zum Nachsprechen einiger italie nischer Worte zu bewegen, schlugen gänzlich fehl. Mich jammerte der kleine verstockte Bursche, denn die aufsteigende Zorneswolte auf der Stirn unseres Schiffsdeipoten weissagte mir nichts Gutes für die späteren Abendstunden, wo der Capitain, nach dem er seine wohlgezählten 6 Gläser steifen Grog zu sich ge nommen, sich meist sinnlosen Zornesausbrüchen hinzugeben pflegte, oder, wenn er dazu gerade gar keine Veranlassung fand, sich auf ohrenzerreißende Weise der Bearbeitung einer mächtigen Ziehharmonika widmete. Auch bestätigten mir späterhin krampf haftes Schluchzen und klägliches Wimmern aus der Gegend be engen hundehüttenartigen Verschlage», in dem die drei kleinen Nubier untergebracht waren, meinen Verdacht; meine eigenen Wahrnehmungen wurden durch die Erzählungen meines Freun des, de» Doctors, wesentlich verstärkt. Am nächsten Tage be reit» begann ich, um die Gunst des kleinen Trotzkopfes zu werben, bemühte mich, ihn den Sprachlehrversuchen seines gestrengen Ge bieters geneigter zu machen; leider mit nur geringem Er folg, so sehr ich es im Interesse des 'Kleinen hätte wünschen mögen. Da sollte mir plötzlich unerwartete Hilfe von anderer Seite kommen. Wir näherten uns dem Hafen von Suez, durf ten ihn, unserer gelben Choleraflagge halber, zwar nicht anlaufen, kamen aber doch, nach fünftägiger Fahrt, insofern in Berührung mit dem Festland, als wir daselbst den Besuch der Sanitäts commission zu gewärtigen hatten. Erstens gedachten wir durch Vermittlung der un» meist bekannten ja, befreundeten Her ren dieser Commission mit Neuigkeiten au» civilistrten Ländern, frischen Zeitungen (unsere letzten waren über sechs Wochen alt) und mit herrlichen Früchten versorgt zu werden, und zweiten» erwarteten wir mit dem kleinen Sanitätsdampfrr die Ankunft einer Dame — einer wirklichen europäischen Frau, auf unserem Pilgerschiff auch ein seltener Gast! Die Frau de» Doctors näm lich, die unter Schmerzen und Bangen in Suez die Rückkehr ihre» Gatten von der Cholera-Expedition erwartet hatte, wollte trotz aller gut und aufrichtig gemeinten AbredungSversuche doch die weitere Rückreise und noch bevorstehende zweit« Quarantaine mit ihrem Gatten gemeinschaftlich unternehmen, und so hatte man ibr denn versprochen, sie bei Gelegenheit der san»tätsärztl»chen Visite an Bord des „Nil" zu geleiten. Schon Tags zuvor war ich dem jungen, begreiflicherweise «was aufgeregten Ehemann an die Hand gegangen, um wenigsten» dir eigene Eabine so aus zustatten, daß der geliebten Frau der niedcrschlagende, trostlose Eindruck, den sie beim Betreten des Pilgerschiffes nothwendiger- weise empfangen mußte, einigermaßen gemildert wurde. Es war uns denn auch gelungen, aus der mäßig geräumigen Doppel- cabine vermittelst Vorhängen, Decken und allerhand von den indischen Pilgern erworbenen Matten und sonstigen Curiositäten ei»» ganz behagliches Nestchen zu schaffen; außerdem bot die Com- mandobrücke, deren Benutzung uns vom Capitain sreigestellt war, einen immerhin unbeläftigten, von den entsetzlichen Aus dünstungen, die ein Pilgerschiff zu erfüllen pflegen, verschonten Aufenthalt. Wir waren also gerüstet, Damenbesuch zu empfangen, und ich sah mit einiger Spannung der neuen „Pilgerin" entgegen. lieber der allgemeinen Aufregung, die das Kommen und die Thätigkeit der Herren Aerzte verursachten, über der mitgebrachten, nun schon seit einer Woche für mich in Suez lagernde^. Post, dem Austausch von Neuigkeiten, guten und schlechten Nachrichten und nicht zum Wenigsten über dem Bemühen, mich der neuen Reisegefährtin angenehm und nützlich zu erweisen, hatte ich ganz meines kleinen Schützlings vergessen, und gedachte erst seiner, als wir bei Sonnenuntergang die Anker lichteten. Erst da siel es mir auf, keinen de: braunen drei kleinen Wilden Tag» über be merkt zu haben, wo sie doch sonst oft genug bald auf, bald unter Deck, besonders gern in der Nähe unserer Labine Herumschlichen. Der Doctor behauptete, es geschähe die» von Seiten des Capitains aus Vorsicht, da er die spähenden Augen der Mitglieder der Commission, und mit Recht, fürchtete. Ungesetzlich, wie dieser ganze Geschäftszweig war, schien mir solche Vorsicht mehr wie geboten und ich staunte nur, mit welcher beinahe unverschämten Sicherheit feiten» de» Schiff»oberhaupte» angenommen wurde, wir, d. h. der Doctor und ich, würden reinen Mund halten und un» dergestalt eigentlich zu Hehlern seiner Äeschäft»vrrbindungen machen. Ahnte der Biedere vielleicht, daß wir eine tiefgefühlte Abneigung hegten, auch nur in die leiseste Berührung mU türkischer Justizpflege zu kommen? Sei dem, wie r» wolle, Thatsache war, daß wir mit den kleinen Sclaven an Bord un beanstandet in» Suez-Canal dahinfuhren, eifrig über das Menschenunwürdige diese» Handel» sprachen und bei unserer Gefährtin ein leidenschaftliche» Interesse für die Kinder hervor riefen. „Sogleich vorführen!" war der stricte Befehl, dem ich mich nachzukommrn beeilte. Mit Hilfe de« griechischen Cameriere entdeckte ich denn auch den sinnreichen Versteck der armen kleinen Geschöpfe. In einem an die Cabine des Capitains grenzenden Verschlag hatte man sie hinter einer Reihe von