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02-Abendausgabe Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 22.06.1898
- Titel
- 02-Abendausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1898-06-22
- Sprache
- Deutsch
- Vorlage
- SLUB Dresden
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-18980622025
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id453042023-1898062202
- OAI
- oai:de:slub-dresden:db:id-453042023-1898062202
- Sammlungen
- Saxonica
- Zeitungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
-
Zeitung
Leipziger Tageblatt und Anzeiger
-
Jahr
1898
-
Monat
1898-06
- Tag 1898-06-22
-
Monat
1898-06
-
Jahr
1898
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Reklamen unter dem Redactionsstrich (4ge- fpalten) bO^j, vor den Familiennachrichten (6 gespalten) 40^. Größere Schriften laut unserem Preis verzeichnis. Tabellarischer und Ziffernsatz nach höherem Tarif. Extra-Beilagen (gefalzt), nur mit der Morgen-Ausgabe, ohne Postbeförderung VO.—, mit Postbeförderung 70.—. Ännahmeschluß für Anzel-ein Abend-Ausgabe: Vormittag- 10 Uhr. Marge «-Ausgabe: Nachmittag» 4Uhr> Bei deu Filialen und Annahmestellen je eine halbe Stunde früher. Anzeigen sind stets an die Expeditia» zu richten. Druck und Verlag von E. Polz in Leipzig. 92. Jahrgang. Der spanisch-amerikanische Krieg. —i>. Allem Anschein nach sind noch im Laufe dieser Woche bedeutende kriegerische Ereignisse auf dem kubanischen Kriegsschauplätze zu erwarten, da, wie schon im Morgenblatte gemeldet wurde, Generalmajor Shafter am Montag mit feinen Transportschiffe» in der Nähe von Santiago an gekommen^ ist. Die Nachricht wird von allen Seiten be stätigt. So berichtet man unS: * Madrid, 21. Juni. Nach einer amtlichen Drahtmcldung sind vor Santiago 50 amerikanische Schifft mit Landungs- truppen erschienen. Der Kamps steht unmittelbar bevor. Die Spanier halten die Küste besetzt. * New Kork, 21. Juni. Eine Drahtmeldung der „Vereinigten Presse" aus Müle St. Nicolas bestätigt, daß die Transport schiffe des Generals Shafter gestern Nachmittag bei Santiago eingetroffen sind, Zeit und Ort der Ausschiffung seien noch nicht bestimmt. Die Ziffer der Streitkräfte betrage etwas mehr als 15 000 Mann. Während der Fahrt seien einige Fälle von typhuSartigen Masern vorgekommen, im Allgemeinen aber befänden sich die Truppen im besten Zustande und seien von ausgezeichnetem Geiste beseelt. Eine Depesche, die in Washington einlief, theilt mit, daß durch das französische Kabel eine direkte Ver bindung mit Guantanamo hergestcllt sei. * London, 22. Juni. (Telegramm.) Die „Times" melden aus Havanna: General Linares habe telegraphirt, 60 amerika nische Schiffe, vermuthlich diejenigen, die die amerikanischen Truppen an Bord hätten, seien vor Santiago erschienen. General Blanko entsandte 6 Bataillone, um die Küste zu schützen. Nach einem uns aus London auf dem Drahiwegc über mittelten Telegramm von dem amerikanischen Geschwader vor Santiago trafen Generalmajor Shafter und Admiral Sampson am 20. d. M. zusammen und begaben sich 17 Meilen westlich von Santiago an Land. Hier trafen sie mit dem Führer der Aufständischen Garcia zusammen, der dort mit 3000 Mann lagert. Nachdem sie eine Stunde landeinwärts gezogen waren, fand eine mehrstündige Be sprechung statt. Wahrscheinlich wird eine allgemeine Landung nicht vor 2 oder 3 Tagen versucht werden, aber kleinere Truppenkörper werden wahrscheinlich am Donnerstag an verschiedenen Punkten östlich und west lich von Santiago gelandet werden, wo sie vor ernstlichen Angriffen der Spanier sicher sind. Kaum ist das amerikanische Landungsgeschwader auf dem Schauplatz der Ereignisse erschienen, so hat bereits eine Brigade Befehl erhalten, sich von Camp Alger bei Falls Cburch (Virginia) nach Tortrcß Monroe (Virginia) zu be geben, um dort nach Cuba eingeschifft zu werden. Weitere Verstärkungen des Shafter'schenLandungscorps, das 6000 Mann weniger zählt, als ursprünglich gemeldet wurde, sollen so bald als möglich folgen. Diese Maßregel ist indeß nicht nur dadurch nolhwendig geworden, daß der spanische General Pan do in dem östlichen Militairbezirk von Cuba und Puerto- Principe über 36 Infanterie-Bataillone, 12 EScadronen und 4 Gebirgsbatterien und zahlreiche Freiwilligen- und Miliz - Abtheilungen, etwa 25 000 Mann, ver fügt, sondern auch durch gewisse Erfahrungen, die man schon bei dem kleinen Landungsversuche in der Bucht von Guantanamo machte. Kürzlich haben etwa 330 ameri kanische Matrosen, unterstützt von einigen hundert In surgenten, das zehn Kilometer entfernte Lager der Spanier angegriffen, um die dort befindlichen Brunnen zu zer stören und die Vertheidiger durch Wassermangel zum Rückzüge zu zwingen. Die Operation wurde glücklich durchgeführt und kostete den Amerikanern nur einen Todten und einige Verwundete. Nicht weniger als fünfzig Matrosen erkrankten aber am Sonnenstich und mußten an Bord des „Delphin" gebracht werden, wo sich die meisten wieder erholten. Dieser Vorfall zeigt, welchen Gefahren die Amerikaner in dem mörderischen Klima von Cuba entgegen gehen, und zwingt die Kriegsleitung in Washington dazu, bei Zeiten für Nachschübe an Menschenmaterial zu sorgen. Die Nachricht, daß man schon jetzt, bevor noch General Shaster gelandet ist, demselben mindestens 10 000 Mann nachsenden wolle, klingt unter solchen Umständen sehr plau sibel. Wenn man berücksichtigt, daß die Truppen außer von der tropischen Hitze auch noch unter sintfluthartigen Regen güssen zu leiden haben werden und daß die Gelbe-Fieber- Epidemie sich sehr bald im Lager der Amerikaner einstellen dürfte, so ist auch begreiflich, daß man in Washington die Absicht hegt, ein Contingent von abermals 100 000 Frei willigen zu den Fahnen zu rufen. Das Klima von Cuba wird wenigstens bis zum Herbste der beste Alliirte der Spanier sein. Mit Bezug auf das Attentat auf den General Blanco meldet die „New Jork World" auf Grund einer auS Havanna an die kubanische Junta gerichteten Depesche, daß der Attentäter ein junger Freiwilliger ist und Mariano Salva heißt. Er schoß aus seinem Gewehr auf Blanco, als dieser vorgestern Nachmittag das Palais verließ. Als man den Attentäter verhaftete, sagte er: „Ich habe nur den Tod meines Bruders gerächt, der Alles war, wofür ich lebte." Salva's Bruder war ebenfalls Frei williger und wurde kürzlich kriegsrechtlich verurtheilt und erschossen, nachdem er der Verschwörung angeklagt worden war. Dies hatte unter den Freiwilligen viel Unzu friedenheit erregt. Die Verschwörung scheint darin bestanden zu haben, daß Salva und ein jüngerer Kamerad in den Straßen ausriefen: „Nieder mit Blanco, es lebe Weyler!" Deshalb wurden sie verhaftet. Nach dem Attentat berief Blanco, der am linken Bein verletzt wurde, einen Kriegsralh und richtete einen Appell an den Patriotismus des Volkes. Er ermahnte die Officiere der Freiwilligen, der wachsenden Unzufriedenheit unter ihren Leuten enlgegenznarbeiten. Die Nachricht vom Attentat soll die größte Erregung verursacht haben und die Freiwilligen sollen mit Salva sympathisiren. Nack einer Mittheilung des „Evening Journal" auS Key West besagen an dort lebende Cubaner gerichtete chiffrirte Depeschen aus Havanna, Marschall Blanco habe nach dem Mordansalle das Regierungsgcbäude verlassen und halte sich nun in der Festung El Principe auf, von wo aus er auch die Civilverwaltung weiter leite. Von den Philippinen ist die in Madrid mit Bangen erwartete Entscheidung noch nicht gemeldet, doch erwartet man dieselbe stündlich. Ueber die dortige Lage wird uns aus der spanischen Hauptstadt berichtet: Ein hier lebender österreichischer Officier, welcher im vorigen Jahre längere Zeit auf den Philippinen war und Manila erst im Februar verlassen bat, gab einige beachtens- werthe Aufschlüsse über die Stärke der spanischen Truppen auf der Inselgruppe. Danach zählte die Gesammtbesatzung im Februar nur 17 000 Mann, wovon 9000 Eingeborene waren, auf deren Zuverlässigkeit im Ernstfälle gar nicht zu rechnen war. Die 8000 Spanier aber waren zum Theil schon drei Jahre und noch länger auf den Inseln und gesundheitlich aufs Aeußerste ge schwächt. Nach Annahme des OssicierS konnte die Zahl der kampffähigen Spanier beim Ausbruch des Krieges überhaupt nur auf 5000 gerechnet werden, während 3000 Mann sicherlich als krank anzusehen waren. Wenn nun die Verluste der Spanier in den ungünstigen Gefechten gegen Aguinaldo auf 2000 Mann an Todten, Verwundeten und Gefangenen berechnet werden, was anscheinend nicht zu hoch gegriffen ist, so behielt General Augusti in dem Augenblick, als die Aufständischen Manila vollständig einschlossen, nur 3000 Mann, deren Muth, Widerstandsfähigkeit und Ausrüstung gewiß nur noch sehr gering waren. Der Gewährsmann faßt deshalb sein Urtbeil über die Lage dahin zusammen, daß sich in diesem Falle das von der spanischen Militairverwaltung seit Jahren betriebene, für Außenstehende geradezu unbegreif- liche Vertuschungssystem über die Streitkräfte auf der Philippinengruppe furchtbar räche. Unter diesen Umständen wäre es nickt verwunderlich, wenn die Regentin von Spanien den Muth verlöre, daS Land noch länger zu repräsentiren. Trotzdem hat man in der Gibraltaer Meldung des Reuter'schen Bureaus, die Regentin beabsichtige Angesichts der kritischen Lage auf den Thron zu verzichten, nichts als eine jener dreisten eng lischen Lügen zu erblicken, die den Zweck haben, zum Nutzen Englands Verwirrung zu stiften. Der Rücktritt der Regentin würde Spanien in schwere innere Kämpfe stürzen, deren Ende die Republik, wenn nicht die Commune wäre. Uns sind noch folgende Meldungen zugegangen: * Madrid, 21. Juni. (Teputirtenkamnier.) Die Kammer zog den Antrag der Republikaner, die allgemeine Militairdienst- pflicht einzuführen, in Erwägung. --- * Madrid, 21. Juni. Das amtliche Blatt veröffentlicht eine Verfügung, betr. die Bezahlung der äußeren Schuld in fremder Münze. Der erste Artikel derselben besagt, daß die auswärtigen Inhaber aufgefvrdert werden, ihr EigenthumSrecht geltend zu machen, und weist sie auf den Schaden hin, den sie im Unterlassungsfälle erleiden könnten. In einem weiteren Artikel wird die Frist für die Ueberreichung der Werthpapiere auf die Zeit vom Datum des Er scheinens des Blattes bis zum 30. d. M. festgesetzt. , Politische Tagesschau. * * Leipzig, 22. Juni. Die hervorragenden Führer des Centrnms, die, wie wir gestern mittheilten, die Parole auSgegeben haben, daß überall die Centrumswähler energisch zur Bekämpfung der Tocialdcmokratte aufgefvrdert werden sollen, müssen die niederschlagenve Erfahrung machen, daß die „Germania" auf diese Parole „pfeift", wenigstens was Baden betrifft, und aller Wahrscheinlichkeit nach in Folge von Erklärungen ihrer badischen Freunde. Im Großherzog- tbum Baden findet bekanntlich in den drei Wahlkreisen Durlach-Pforzheim, Karlsruhe-Bruchsal und Mannheim- Schwetzingen Stichwahl zwischen nativnalliberalen und socia- listischen Bewerbern statt. In allen drei Wahlkreisen, vor allen Dingen in Mannheim, haben die Socialisten einen so erheblichen Vorsprung, daß an einen Sieg ihrer national liberalen Gegner nur zu denken ist, wenn alle bürgerlichen Parteien die Nationalliberalen unterstützen. Besonders wichtig wäre die Unterstützung des Centrums, da der Wahlkreis Pforzheim 39 Procent, der Wahlkreis Mann heim 42 Proc. und der Wahlkreis Karlsruhe sogar 48 Proc. katholische Wähler besitzt. Die „Germania" lehnt aber die Hilfeleistung durch das Centrum rundweg ab. Das Ehr gefühl verbiete es dem Cenlrum, für eine Partei einzulrelen, welche Ausnahmegesetze (gemeint ist natürlich das Jesuiten gesetz) aufrecht erhalten wolle. Aber sollte es das Ehrgefühl nicht noch viel mehr verbieten, daß eine religiöse Partei einer Partei zum Siege verhilft, die für alle Religion nur Hohn und Verachtung übrig hat? Der thatsäch- liche Grund für das Verhalten der badischen Centrumsleute ist ein anderer. Die „Germania" führt ihn auch ganz naiv an. Im badischen Oberlande stehen einige Centrumsleute gegen Nationalliberale zur Stichwahl und die Socialdemo- kratcn geben dabei den Ausschlag. Um nun dort die Socialdcmo- kraten bei guter Laune zu erhalten und zum Eintreten für den Centrumsmann zu bestimmen, will man sie im Norden des Landes unterstützen. Denn es bedeutet doch Wohl nichts Anderes, wenn die „Germania" sagt, man dürfe den Besitzstand des Centrums nicht zu Gunsten der Nationalliberalen gefährden. „Helft Ihr uns im Süden, wir helfen Euch im Norden", ruft, seiner alten Schacher politik getreu, das Centrum in Baden den Socialdemokraten zu. Man wird daS Centrum, wenn es sich im neuen Reichs tage wieder als festeste Stütze von Thron und Altar auf spielt, an diese Vorgänge erinnern. Daß sie unsere Gesinnungs genossen in Baden sowohl, wie in anderen Staaten nicht der Verpflichtung entheben, in solchen Wahlkreisen, in oencn CentrumScanvidaten mit Socialdemokraten in die Stichwahl kommen, den Sieg der Letzteren verhüten zu helfen, ist selbst' verständlich. Die „Dtsch. Tgsztg.", die schon neulich die geringe Zahl der am 16. d. gewählten (LanSidatcn vcs Bunöcs Scr Lnnd- mirthc damit erklärt hatte, daß die Mehrzahl der gewählten Bündler Mitglieder der Conservativcn seien, berechnet nun mehr, daß von den gewählten 212 Abgeordneten 66 mit Unterstützung des Bundes der Landwirthe gewählt seien, nachdem sie ausnahmslos bindende Erklärungen über ihr Bekennen zum agrarischen Programm abgegeben hätten. Auf die Liste, deren Veröffentlichung bevorstehl, darf man einiger maßen neugierig sein. Von den beiden conservativen Parteien sind bisher überhaupt nur 48 Mitglieder gewählt, die übrigen 18 Mitglieder, die der Bund für sich in Anspruch nimmt, gehören also — soweit sie nicht „Wilde" sind — anderen Parteien, d. h. den Nationalliberalen und den Antisemiten, deren freilich bisher nur 5 gewählt sind, an. Von National liberalen sind aber bis jetzt nur 10 gewählt, die doch Wohl kaum sämmtlich Bündler sind. Ob im Uebrigen alle mit Unter stützung des Bundes gewählten Abgeordneten im Reichstage in wirthschaftlichen Fragen der Führung deS Herrn Plötz sich unterwerfen werden, bleibt auch noch abzuwarten. Zu der Wahl des Herrn von Plötz selbst hat, nebenbei erwähnt, die „Deutsche Tageszeitung" selbst einen interessanten Com- mentar geliefert. Der frühere Landrath des Kreises, Herr von Glasow, der merkwürdigerweise gegen seinen Willen zum conservativen Gegenkandidaten des Herrn v. Plötz proclamirt worden ist, bat nicht weniger als 2500 Stimmen erhalten. Tie „Dtsch. Tgsztg." behauptet nun, die Frei sinnigen hätten aus Haß gegen Herrn v. Plötz die Caudidatur Les Herrn v. Glasow ausgestellt. Selbst wenn das der Fall sein sollte — was man bezweifeln muß — so beweist die Erklärung Les LandrathS, daß er die Caudidatur nur deshalb abgelehnt habe, weil Herr v. Plötz von der conservativen Partei ausgestellt worocn sei und er eine Spaltung der Partn vermeiden wolle, unzweifelhaft, daß er kein Bündler ist. Es hätte ohne Zweifel nur eines weniger ängstlichen Feuilleton. Lauernblut. 12j Roman in drei Büchern. Von Gerhard von Amyntor. (Dagobert von Gerhardt.) Nachdruck »erdoini. Auch Peter drückte der Scheidenden die Hand; da er dies aber gar zu herzlich that, wurde sie ihm schnell wieder entzogen. Die beiden Brüder hörten noch, wie von innen wieder zuge schlossen wurde, dann machten sie Kehrt und strebten der Chaussee straße zu. „Ich bringe Dich noch bis vor Dein Haus", sagte Peter, der seinen Arm unter den des Bruders schob; „die Nacht ist wunder voll und morgen ist Sonntag, da kann man ausschlafen." „Mich hat der Haßlach ganz wirr gemacht", stöhnte Adolf, er läßt mir keine Ruhe mehr, und wenn ich mir's überlege, werde ich wohl zugreifen müssen; die Sache läßt sich äußerst vortheil- haft für mich an." „Was bictet er Dir denn, wenn Du sein Socius wirst?" „Den halben Reingewinn; ich soll nur meinen ganzen Kram ins Geschäft mitbringen und fünftausend Mark baar einschießen." „Hast Du die Fünftausend liegen?" „Nun", meinte Adolf, „'ne Kleinigkeit hat man sich ja erspart und Wenns nicht reichen sollte, unser Pflegevater ist doch auch noch da; er würde den Rest wohl Vorschüßen." „Hm!" brummte Peter, „allzuviel ist es gerade nicht, was er verlangt; hoffentlich will er Dich nicht anschmieren." „Der Haßlach? Dann kennst Du ihn nicht! Auf diesen Mann kann man Berge bauen. Und weißt Du? Er braucht mich; ich soll ihm die Abtheilung für Holzblase-Jnstrumente in Schwung bringen; die Leute, die ihm darin arbeiten, haben weder Chic noch Gehör; er hat nicht einmal einen, der ihm eine Clarinette richtig anzublasen versteht.... ich denke, ich bin ihm ein Capital werth." „Nach einer längeren Pause fragte Peter diplomatisch pfiffig: „Dann wirst Du wohl bald nach Deiner Hochzeit sein Compag- non werden?" „Wo denkst Du hin? Erst muß das Geschäftliche erledigt sein, erst muß ich fest stehen und mich frei bewegen können, dann erst kann ich mein Weib heimführen ... vor dem Herbste kann von meiner Hochzeit nicht die Rede sein." „Sabine klagte mir heute ihr Leid, daß Du sie gar zu lange warten ließest." „Was verstehen die Weiber von Geschäften?" Wieder eine kleine Pause. Dann Peter: „Wenn man ein Weib richtig lieb hat, dann sollte man auch einmal nachgeben." „Das räthst Du mir. Du? Der Du den härtesten Kopf von der Welt hast?" „Ich rathe Dir nichts; wenn ich aber ehrlich meine Meinung sagen soll, mir scheint, daß Du Sabine überhaupt nicht liebst. Na, na, sieh mich nur nicht gleich so verwundert an! Ich weiß ja, daß Du anderer Ansicht bist, aber diese Deine Ansicht ist eben ein Jrrthum. Wir sind Brüder; wir dürfen einander nichts weis machen. Sabine ist ein hübsches Mädchen, sie hat Dir ge fallen, Du hast dieses Wohlgefallen für Liebe gehalten, hast um sie geworben und, das junge, unerfahrene Ding hat geglaubt, Ja sagen zu müssen. Während Eures Brautstandes ist aber die naturnothwendige allmähliche Abkühlung und Entfremdung ein getreten . . . ." „Wer sagt Dir denn, daß wir einander entfremdet sind?" „Alle Welt sagt es; ich sehe es selbst, ein Blinder würde es sehen. Du giebst es nur nicht zu, weil Du, als ehrlicher Kerl, Dich an Dein Wort gebunden wähnst; aber das ist dummes Zeug, ein ehrlicher Kerl darf vor allen Dingen ein armes Mädchen nicht unglücklich machen." Adolf war zu Muthe, als wäre ihm ein Kübel Eiswasser über den Kopf geschüttet worden. Er sollte Sabine nicht lieben? Er sollte nur noch an ihr hängen, weil er zu ehrenwerth wäre, ein gegebenes Wort zu brechen? Aber das war ja die reine Toll heit! Wollte ihn sein Bruder vielleicht nur foppen?" „Sage mir um des Himmels willen", hob er bestürzt an, „wie kommst Du zu solcher Annahme? Hat sich Sabine über mich beklagt?" „Das arme Wurm! Der sähe es gerade ähnlich, sich zu be klagen! Sie trägt ihr Schicksal mit einer wahrhaft rührenden Selbstverleugnung; auch nicht mit einer Silbe würde sie anzu deuten wagen, wie es in ihrem Herzen eigentlich aussieht. Aber ich biete Dir eine Wette: sage ihr selber, daß Du sie frei giebst, daß sie nicht mehr an Dich gebunden sein soll, daß sie frei und ungrkränkt wählen darf, und sie wird ihre Freiheit zurücknehmen und mir die Hand reichen, denn, ich bekenne es Dir als Dein brüderlicher Freund, der kein Geheimnis, vor Dir haben will, sie giebt mir den Borzug. Lange genug habe ich mich gegen den Drang meines Herzen» gewehrt; es schien mir unedel, ver- rätherisch, schurkenhaft, dem eigenen Bruder in» Gehege zu kommen, aber was willst Du? Die wahre Liebe ist wie ein heimliche fressender Brand, der sich nicht ersticken läßt; immer wieder schlugen mir die Flammen zu Häupten und heute, in dieser Stunde, muß ich mir Luft machen: wenn ich mich mit Sabine auch noch niemals ausgesprochen habe, aus tausend An zeichen, die nicht trügen, weiß ich, daß sie mich liebt und daß ich sie wieder liebe. Bruder, sei hochherzig! Handle nicht unedel an uns! Wir werden es Dir danken unser Leben lang, wenn Du freiwillig zurücktrittst; Sabine wird Dir eine Freundin bleiben, wie Du eine zweite nimmer gewinnen wirst. Bist Du böse? Zürnst Du mir, weil ich aus meinem Herzen keine Mörder grube mache?" Er streckte ihm, wie bittend, die Hand hin, und der Andere, dem bei dem flehenden Klange der brüderlichen Stimme das jäh erkaltete Herz schon wieder zu schmelzen begann, legte versöhn lich seine zitternde Rechte hinein. Aber noch fand er kein Wort; noch war er zu bestürzt; wie ein Blitz aus heiterm Himmel hatte ihn dieser Schlag getroffen; kein Blutstropfen war in seinen Wangen; mit starren, verglasten Augen sah er auf die goldenen Buchstaben seines Firmenschildes, vor dem Beide jetzt standen. Peter streichelte die Hand des, wie er zu bemerken glaubte, schon halb Ueberwundenen und hob mit erheuchelter Rührung aufs Neue an: „Adolf, laß diese Stunde keinen Riß in unsere Freundschaft machen. Frage sie selbst, wenn Du mir nicht traust. Gieb ihr aus freien Stücken ihr Wort wieder und der Erfolg wird Dir beweisen, wer von uns Beiden sich getäuscht hat. Aber mache ihr keinen Vorwurf! Sie ist unschuldig an der ganzen Geschichte; das Schicksal allein ist es, das hier seine mächtige Stimme erhebt, und wer kann dem Schicksal wider stehen?" Adolf würgte ein paarmal, um den Krampf zu beseitigen, der seine Stimmwerkzeuge gefesselt hielt. Dann stieß er rauh und heiser hervor: „Ich werde mit ihr sprechen. Du sollst morgen von mir hören." „Aber nicht im Zorne", bat Peter; „ordne die Sache in Deiner gewohnten Freundlichkeit und Herzensgüte." „Kann ich denn ander»? Ich liebe sie ja mehr als mein Leben!" Peter wollte etwas erwidern, aber Adolf schüttelte den Kopf, warf dem Bruder einen tief schmerzlichen Blick zum Gruße zu und verschwand in die Wölbung der Thoreinfahrt. Peter schlug allein den Heimweg ein. Ein leises Lächeln spielte um seine Mundwinkel, denn er hielt den Schmerz des Bruders für dieselbe Selbsttäuschung, als welche ihm auch die Liebe erschien. Was war denn die Liebe anders, als ein Tumult des heißen Blutes? Ein Jeder suchte sich auf der Liebesjagd dasjenige Wild, das seine Begierde am heftigsten erregte; auf der Jagd, wie im Kriege, zielt jede List; und wenn er eine Kriegslist auch gegen den eigenen Bruder anwandte, nun, deshalb brauchte er sich noch keines Verrathes am Bruder zu beschuldigen, denn Adolf war thatsächlich ein guter Kerl, dem er so manche Freund lichkeit zu verdanken hatte und den er absichtlich und ohne Grund gewiß auch nie gekränkt hätte. Der Pfeil, den er abgeschossen hatte, war wohl ein wenig vergiftet, das mußte er sich zugestehen; aber das Gift sollte nur eine leichte Verstimmung der Säfte be wirken; dauernden Schaden und Nachtheil sollte es dem Bruder gewiß nicht bereiten. So tröstete er sich, und als er seine Wohnung erreicht hatte, legte er sich mit dem angenehmen Be wußtsein zur Ruhe, daß er den ersten und schwersten Schritt zur Gewinnung Sabinens hinter sich hatte. Siebentes Capitel. „Lieber Herr Just, ob Sie wohl einen Augenblick zu Mama kommen könnten?" Mit dieser Frage trat Ellen von Brant, frisch und strahlend, wie der draußen im Garten lachende Maimorgen, über die Schwelle des väterlichen Zimmers. In diesem trotz des offenen Fensters ein wenig nach Jodo form und Tabak riechenden Raume saß Herr von Brank, den linken Arm in einer schwarzseidencn Binde, an einem Li)u>c, aus dem allerlei Zeitungen und Broschüren lagen, und sah müßig seinem neugewonnenen Factotum, Herrn Friedrich Just, zu, der am selben Tische aufrecht vor einem geöffneten Tabakkasten stand und dem Freiherrn eine seiner kurzen Jagdpfeifen stopfte. Aus dem damaligen Begleiter des Freiherrn war der Pfleger und Hausgast desselben geworden. Als Just am Tage des Zwei kampfes seinen Schutzbefohlenen glücklich nach Giesdorf gebracht hatte, war alle Welt im Schlosse so bestürzt gewesen, daß 'er selbst mit Hand anlegen mußte, um den Verwundeten so schnell und bequem wie möglich untcrzubringen. Frau Clara von Brank, die an das Märchen einer zufälligen Verletzung ihres Gatten auf dem Scheibenstande nicht recht glauben wollte, die aber auch von dem fest zugeknöpften Just durchaus keine andere Antwort zu erhalten vermochte, flehte den Letzteren in ihrer Bestürzung an, doch vorläufig noch in Giesdorf zu bleiben und sich mit ihr in die Pflege des Verwundeten theilen zu wollen. Friedrich Just hatte nach kurzer Ueberlegung zugestimmt; die Verwundung wäre zwar, wie er zuversichtlich behauptete, keine so ernste, daß eine besondere Krankenwache geboten erschiene, da er aber in Berlin nichts zu versäumen hätte, wollte er zur Beruhigung der gnä digen Frau recht gern noch da bleiben. So hatte er denn die ersten Nächte auf einem Divan im Zimmer des Patienten zuge bracht, um sofort zur Hand zu sein, wenn dieser etwa einen Wunsch haben sollte. Als ober die Heilung der Wunde einen so guten Fortgang nahm, daß der Freiherr schon nach wenigen
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