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02-Abendausgabe Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 17.03.1893
- Titel
- 02-Abendausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1893-03-17
- Sprache
- Deutsch
- Vorlage
- SLUB Dresden
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-18930317028
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id453042023-1893031702
- OAI
- oai:de:slub-dresden:db:id-453042023-1893031702
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Saxonica
- Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
-
Zeitung
Leipziger Tageblatt und Anzeiger
-
Jahr
1893
-
Monat
1893-03
- Tag 1893-03-17
-
Monat
1893-03
-
Jahr
1893
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Ter naiioiiallidrrale ,sichrer ist mit feinem Anträge über den von ihm früher erstellten ganz wesentlich hinausgegangen; er bietet 45 000 Recruten jährlich mehr und bleibt dadurch von der Aezierung-vorlage nur um 15 000 Mann entfernt. Dir zweijährige Dienstzeit soll dadurch gesichert werden, daß »>e so lange in Kraft bleiben mutz, als die FriedenS- rräfeuzslärke nicht unter die Zahl 462 OVO herabgesetzt wird. Die geforderten 477 EScadrons, 37 Bataillone Fußarlillerie, 2t Bataillone Pioniere sollen aus 465, 31 und 20 herab gesetzt, die l'3 neuen Bataillone tonnen nur während der Dauer der zweijährigen Dienstzeit soruiirt werten. Der Antrag Lieber geht nur in unwesentlichen Einzelheiten über das bücherige Angebot des CentrumS hinaus und deveutet mithin nicht eine Stärkung, sondern eine Schwächung unserer jetzigen Lehrkraft. Den letzteren Antrag mußte der Reichskanzler also als schlechterdings unannehmbar bezeichnen. Aber auch ken Antrag Bennigsen wies Graf Eaprioi in seiner Rete, tercn genauen Inhalt wir an anderer Stelle nach der „Nordd" Ällgem. Ztg." miltbeilen, als „völlig ungenügend, zurück. Vergebens Halle Herr von Bennigsen darauf aufmerksam gemacht, daß, von den finanziellen und wirlhschaftlichen Erwägungen abgesehen, die technische Möglichkeit der Durchführung dcS Regierung-planes fehle, namentlich da das geforderte Recrulenmaterial und taS nolbwentige Ausbildungspersonal nicht vorhanden seien; ver gebens Halle er auf die Vorzüge einer allmäligen Durchführung ter HeereSresorm hingcwiesen, indem er besonders betonte, daß nach fünf Jahren der Gedanke der thatsächlichcn allgemeinen Dienstpflicht voraussichtlich weitere Eroberungen gemacht haben werde. Graf Eaprioi hatte auf diese Hinweise nur ein eisernes .Unmöglich". Und ebenso entschieden, wie sein Auftreten, war da» des Abg. vr. Lieber, der seine Erklärungen im Namen rer ganzen Eentrumspartei abgab und seine Anerbietung al» das letzte und höchste Angebot bezeichne«!, über das seine Partei nicht hinausgehen werte. Bei dieser Sachlage kann eS keinem Zweifel unterliegen, daß die Abstimmung in der Eom Mission, die noch heute slatlfinben dürfte, abermals ein nega livcs Resultat ergiebl und auch im Plenum so gut wie gar keine Aussichten aus eine Verständigung verbanden sind. Denn wenn auch die Evnservativen trotz der Stellungnahme dcS Reichs- lanzlerö gegen den Antrag Bennigsen diesem beitrcten sollten oder die Nationalliberalen dem Standpunkte der Confer- rativen und der verbündeten Regierungen sich noch mehr näherten, so ist bei ter Haltung deL EenlrumS auf eine Mehrheit nicht zu rechnen — wenn nicht hinter den Coulissen Wunderdinge geschehen. — lieber die in den parlamentarischen Kreisen herrschenden Ansichten und Liimmungen wird unS aus Berlin geschrieben: „Ter Eindruck ist nicht abzuwcisen, daß der Kanzler verhalten ist, cnlweder das „Ganze" nach Hause zu bringen, oder — ein Anderes zu thun. Was da» Andere ist, darüber wurde unter den erregten Gruppen, die sich nach der Commiisionssitzung überall im Reichstage bildeten, lebhaft gestritten. Tie Ansicht, daß zur Auflösung des Reietistogs würde geschritten werden, üb er wog. Indessen wird von Vielen daran sestgehalten, Laß eine Lösung der ürifi» durch den Rücktritt des Reichskanzlers nicht aus geschlossen sei. Eine dritte Annahme geht dahin, daß ei» Um schlag eintreten und vorerst weder Las Eine noch ca» Andere geschehen werde. Es wäre die» jedenfalls die sür den neuen üurs charakteristischste Entscheidung. Indessen darf diese Mög« lichkeit nicht davon abhalten, sich unverzüglich für den Wahlkamps zu rüsten. Die deulsch-sreisinnige Partei ist schon längst dabei und für die Conscrvativen arbeitet die jüngste agrarische Bewegung, der sie sich vielleicht nicht ohne Hinblick aus bevorstehende Wahlen in den Parlamenten so laut und nachhaltig angenommen haben. Nomens des Lentrum» hat vr. Lieber »in weiteres Entgegenkommen in einer Sprach« von sich gewiesen, di» es zweifellos ericheinen läßt, daß von dieser Seit« das letzte Wort gesprochen ist. Der ungeheuere Erfolg der Slerikal-Demokroti« bei der Landtagswohl in Llpe, wo auf Fusangel SO Wahlmännerslimmen entfielen, Hai wohl den letzten Widerstand, der sich vr. Lieder ent« oegcn'etzt, gebrochen, sein» Aniräge sind von Ballestrem und anderen Aristokraten unterieichnet. Lb di« Rechnung am Rhein und in Baden stimmen wird, steht allerdings dahin." Ungefähr in derselben Stunde, in der vr. Lieber gestern in der Militaircommission dcS Reichstag- die RegierungS- sreundlichkeit und den Patriotismus teS CentrumS durch die Bekanntgabe seiner Anträge zur Militairvorlage belbäligte, nahm das preußische Abgeordnetenhaus unter Zu stimmung der Regierung in dritter Lesung das Wahlgesetz mit den auf den Leib dcS Centrums zugcschnittenen Com- missionsabänderungen an. Dieser Vorgang kennzeichnet die preußische RegierungSpolilik; da« Cenlrum ist „national", obwohl es sich ängstlich scheut, Beweise für diese Meinung zu erbringen, und weil eS national ist, müssen seine Wünsche erfüllt werden. In dem vorliegenden Fall ist allerdings nicht Graf Caprwi, sondern vr. Miquel sür die ungerechte, politisch in keiner Weise gebotene Privilegirung de- Ultra montanismus veraulwortlich zu machen. Der preußische Fmanzminifter wird sich nickt wundern dürfen, wenn der Unwille, der sich gegen seine Person im Rheinland erhoben hat, in die liberalen Kreise des übrigen Preußens und darüber hinaus sich forlpslanzl und wenn die Befürchtung laut wird, er werde am Ende auch noch eine vom Liberalismus zu zahlende Entschädigung ausfindig machen, mit der die CcntrumSpartei des ReichSlagS sür die Zustimmung zur Militairvorlage zu gewinnen und zu belohnen wäre. Wir haben schon gemeldet, daß eS den vereinten Be mühungen der französischen und der belgische» Polizei ge> lungen ist, in Brüssel ein Anarchistennest aus findig zu mache», von dem möglicherweise viel Unbeil bätte auSgehen können. Wie eS den Anschein gewinnt, sind den Behörden die gäben einer weit verzweigten Dynamit-Der schwörung in die Hände gekommen, deren Zweck in der Beo anstaltung einer Feier des l. Mai mit den den Umsturz, männern geläufigen Eprengstoffmitteln bestand. Ueber den näheren Hergang verlautet Folgende-: Im (?akö üe, LouIevLnjii aus dem Charles Nogier-Playc dinirte seit etwa 1t Tagen regelmäßig ei» elegant gekleideter Herr mit de» Allüren eines vollendeten Gentlemans. Am Montag Mittag batte sich dieser Herr eben wiederum in dem CasS niederge lassen, als drei Herren in Civil, die von einem Polizeiagrnlen de glcilel waren, cintralen und direct aus die erstgenannte Persön lichkeit zuschrittcn. Bei ihrem Anblicke sprang ter Gast aus unk suchte zu entfliehen; als er jedoch cinsab, daß dies unmöglich war. suckle er schnell eine verborgene Waffe zu ergreifen, die er bei sich trug. Die drei ankeren Herren waren indessen gleichfalls bewaffnet, im Nu balle jeder von ihnen einen Revolver hervorgezogen und denselben aus den lodlrnblah gewordenen Gast gerichtet, uno nunmehr gab dieser jeden Versuch zu fernerem Widerstande aus. unter gewaltiger Aufregung dcS anwesenden PublicumS, welches dieser unge- wöhnlichen Scene beigcwchnl halte, legten die drei Herren dem Gaste Handschellen an und führten ihn mit sich fort. Tic drei Herren waren Pariser Geheimpolizisten, der Verhaftete dagegen ein französischer Anarchist Namen- S ckouppe, der seit mehreren Jahren vergebens von den französischen Behörden gesucht wurde. Sckouppe, ein intimer Freund des Anarchisten Pini, war im Iabre t89l von Cavenne entflohen und balle sich dann nack New-Aork und hieraus nach London begeben, wo er den Anarchisten Meunier bei sich aufnabm unk ihn vor den Nachforschungen der französischen Polizei zu sicher» wußte. Wie verlautet, ist Sckouppe stark verdächtig, sich auch an den Tynamitattcnlalcn betheiligt zu haben, welche im vorigen Jahre in Paris verübt wurden Seine Auslieferung nach Pari» wird binnen kürzester Frist erfolgen. Welchen Werth die französischen Behörden auf die Habbastwerdung deö gefährlichen Burschen legren, zeigt der Umstand, daß sie aus dessen Festnahme einen Preis von 40 000 Franlen ge setzt hatten. Im italienischen Parlament gebt eS zur Zeit ver- hältnißmäßig recht ruhig zu und eS gewinnt immer mehr den Anschein, alS ob die dortigen Lankschwintelcien bei weitem nicht die Folgen baben würden, die in Frankreich aus ähnlichem Anlaß zu Tage getreten sind. Wahrscheinlich trägt gegenwärtig auch der beoorstebende Besuch de- deutschen KaiierpaarcS dazu bei, daß die verschiedenen Oppositions parteien fick eine merkliche Zurückhaltung aufcrlcgen. Eines parlamentarischen Erfolgs hatte da- Ministerium Giolitti in diesen Tagen sick z» erfreuen, indem die Depulirtenkammer beschloß, in die Einzelbcralhung des vorzeleglcn PcnsionS- gr setze« einzulrelcn und die Gegenanträge des früheren FinanzministerS Colombo abzulehnen. Ueberraschend bei der betreffenden Abstimmung war namentlich die geringe Stimmen- zahl, die sich sür die Tagesordnung Colombc's fand: nur 40 Mitglieder der Volksvertretung schaarten sich um Colombo, dessen AngriffSrete gegen den Gesetzentwurf von der Presse der Reckten tagelang in Leitartikeln und Meldungen auS allen Theilen des Lande» als ein epochemachendes Ercigniß geseiert worden war. Zu diesem ibre Schwäche enthüllenden Miß erfolge der Rechten mag die Rede Grimaldi's insbesondere auch dadurch beigelragen haben, daß er den Verdiensten de- CabinelS Rudini auf finanzpolitischem Gebiete Anerkennung zollte. Die bisher bewährte Tactik des CabinelS Giolitti, die Anhängerschaft Rudini'S durch Höflichkeit zu entwaffnen, bat auch diesmal ihre Wirkung gelhan. Im Allgemeinen herrscht augenblicklich in der italienischen Kammer keine Neigung, eine CadinelSkrise berbeizufübren. Jetzt Herrn Giolitti stürze», hieße seinem Nachfolger die unerquickliche Erbschaft dieser Sacke ausbalsen, darum halten sich insbesondere die Gruppen CriSpi und Zanardclli vorläufig zurück, wenn sie sich auch nicht verbelile» können, daß jeder parlamentarische Erfolg die Lebens- und Widerstandsfähigkeit des CabinelS Giolitti erhöht. In Großbritannien spielt das Sch an kconcessionS- n'Lsen eine große Rolle und schon mehr als einmal baben fick die mißvergnügten Gastwirlhe bei den englischen Paria- mentswahlen als ein Factor erwiesen, welcher den Regierungen und Parteien, die von der Unzufriedenheit der Schank- coneessionare betreffen waren, nachibeilig wurde. Es ver dient deshalb die Neurcgulirung, welche gegenwärtig daS Cabinet Gladstcne sür das Lchankconsessionswesen vorschlägl, größere» Interesse Die betreffende vom Schatzkanzler un längst eingebrackte Vill will die Ertbeilung der Schank- concessionen von einem Volksreferendum in den einzelnen Districten dcS Lande» abhängig machen und elwaS dem gotbenburger System AebnlichcS in England einführen, wodurch aber unter den Radicaken eine Spaltung hervor gebracht worden ist, die ja weder sämmtlich Mäßigkeit«, vereinter, noch auch, was für die Enlstaailickung der Kirche im vereinigien Königreich in Betracht kommt, Nonconsorrnisten sind. Angesehene raticale Abgeordnete, sowie 18 radikale Clubs baben sich gegen die Bill erklärt Gefährlich sür die Regierung ist, daß die arbeitenden Classen. die bei den letzten großen Wahlen regierungsfreundlich gewählt haben, die Maß regel als Eingriff in ihre Freiheit und als unbefugte Bevormundung betrachten und dadurch verstimmt werten. Man kann die Republik Chile als daS Preußen Süd amerikas bezeichnen, intcni sic sich in den Kämpfen ter letzten Iabre als ein Staat mit beträchtlicher mililairischer Leistungs fähigkeit gezeigt und auch neuerdings wieder in solcher Be ziehung in einer Weise gckräsligt hat, daß darüber bei den anderen südamerikanischen Nationen Argwohn entstanden ist Der rübntlichst bekannte Generalstabschef, der Deutsche Körner, hat das ganze Land förmlich auf den Kriegsfuß gebracht und wegen lleberlassung von Artillerie- und In- genieur-Officieren an Deutschland sich gewendet. Durch die von ihm organisirten zahlreichen Land- und Seemanöver giebt er deutlich zu verstehen, daß es die Absicht CbileS ist, Krieg ru führen und zwar gegen die argentinische Re publik, auf die eS Chile wegen verschiedener Ursachen ab gesehen bat. Während also Körner die chilenische Armee auf seine Weise vorbereitet, hat da» chilenische Cabinet die An gelegenheit in anderer Weise vorbereitet. CS hat ein Bündniß mit Brasilien abgeschlossen, welches in seinem Haß gegen Argentinien nicht zurückbleibt; der Dritte in diesem siitamerikanischcil Dreibünde wird das kleine Paraguay sein. Es wird auf Seite Argentiniens der größten Borsicht und Klngbeil bedürfen, um den dasselbe bedrohenden Sturm ab- zuwenden. Seine inilitairiscken und sonstigen HilsSniittel sind denjenigen Chile- und der mit diesem Verbündeten nickt gewachsen. Da» Bündniß mit dem schwachen Uruguay ist nicht viel Werth; eine Allianz mit Peru und Bolivien, den beiden Ländern, welche vor Kurzem von Cbile niekergeworsen wurden, hätte noch weniger zu bedeuten Argentinien würde somit vielleicht nur mit den Sympathien der Vereinigten Staaten rechnen können, die indessen im Fall eine« Kampfes sich doch wobl nur platonisch erweisen würden, da ja die Yankee» sür Ernstfälle niemals gerüstet sind, zu Ernstfällen auch niemals Lust haben. Deutsches Reich. * Leipzig, l7. März. Der deutschsreisinnige Verein für Leipzig und Umgegend hat an die hiesige Handels kammer daS Ersuchen gerichtet, in einer dem Herrn Reichs kanzler zu übermittelnden Eingabe die dringenden Wikiisckc der Industrie und des Handels dabin anszusprecken: „Daß der baldige Abschluß eines Handelsvertrages mil Rußland im Interesse der Hebung des Exports deutscher Industrie- und Handelsartikel — im Interesse der Erleichte rung und Förderung des wechselseitigen, wirthschasllicken Verkehrs zwischen Deutschland und Rußland dringend wünschenowerth erscheint." Der Verein niotivirt diesen Antrag wie folgt: 1) mit Rücksicht au? den, im Allgemeinen bedeutenden Export Deutschlands nach Rußland, welcher nakti der veröffentlichten Handels-Statistik betrug: I8Sl L62.6 Millionen Mark, und da im gleichen Jahre dieser Verkehr sich beziffert« nach enropaischen Landern: Großbritannien — 696,1 Millionen Mark, Oesierreich-Ungarn »- 347,8 « Niederlande — 868,4 » » Rußland --- 868,6 » » Frankreich — 837,9 Schweiz — 184,6 - » Belgien — 153,3 » - Jialien — 88.7 « so ist erweislich, daß deutsche Industrie und Handel ein außer« ordentlich tiefgreifendes Interesse an dem Zustandekommen dieses VcrirageS mit Rußland baden; 8) mil Rücksicht aus die Unbeständig keit der Tarife, durch welche der gegenwärtige Zollkrieg zwischen Rußland und Deutschland die Industrie unseres Vaterlandes lchädigt und den Ivirthschakllichen Verkehr beider Länder mehr und mehr in» Stocken bringt, während Frankreich bereits große Erfolge errungen Hai, die wirihjchasilichen Bedürfnisse des 100-Millionen-Reiches mehr und mehr in seine Interessen-Sphäre zu bringen, 3) mit Rück- sicht aus speciell sächsische und Leipziger Industrien, welche in Elavierc», Musikinstrumenten, Maschinen, Wirk- und Wcbwaaren, Troguen, Farbe» u. f. w. erheblichen Absatz »ach dem Osten finden, 4 init Ruckstchl aus Leipzig als Meßvlatz, welcher in russischen Prvducien lRauchwaaren, Borsten »c.) wesciiiliches Jnicrcsie Hai an einem fortdauernd steigenden Handels-Verkehr mit Rußland, b) mit Rücksicht auf einen durchgreifenden Umschwung zu Gunsten unserer mühsam arbeitenden Industrie und des eng mit ihr verbundenen Handels, welchen wir durch einen Handeis-Verlrag mit Rußland zuversichtlich erhoffen und die Erhöhung der Uauikrnst weiter »reise unseres Volkes dadurch al« gefördert erblicken, 6) mit Rücksicht aus die maßlosen Agitationen der Agrarier, welche in Presse, Parlamenten, Feuilleton. Ums Geld. l»! Novelle von A. Hehl. (Fortsetzung.) VIII. Nachdruck »erbolen. Um dieselbe Stunde legte Konrad Lips einen neuen eleganten Sommcranzug an, krönte sein lockiges Haupt mit einem italienischen Slrohhut modernster Fayon, zwang seine ungelenken Finger in enge Glacöhantschuhe, nahm ein Rcitstöckcken zwischen Daumen und Zeigefinger und machte fick, nachdem er noch einen befriedigten Blick in den Spiegel geworfen, auf den Weg nach der Villa Clermont. Cr balle die verwegene Absicht, die Dame seines Herzen- zu sprechen. Gewöhnlich war er um diese Zeit noch lange !"i Geschäft, aber heule kam der günstige Zufall seiner Sehnsucht zu Hilfe; Knicker gab ihm verschiedene Auf träge, die in entlegenen Stadltheilen zu besorgen waren, und bedeutete ibm, er könne die Antworten, die er erhalte, am folgenden Morgen auSrichten. Demüthig und gesenkten Hanplcs ging er auS dem Laden hinaus, bis um die Straßenecke, wo ihn Knicker nicht mebr sehen konnte; da war? er den Kops zurück, schlug ein Schnippchen, lächelte pfiffig und murmelte zwischen den Zähnen: „O, Daniel Knicker, Tu bist dem Konrad LipS noch lange nicht gescheit genug." Nachdem er eine Strecke gegangen war, blieb er in Gedanken stehen, zog ein Etui aus der Tasche, öffnete r». betrachtete den Brillantring, der darin verwahrt war, mil schmerzlichen Blicken und seufzte tief. Er sollte Hcrminen'S Ring verkaufen, obwohl dir festgesetzte Zeit zur Auslösung desselben noch nicht abgclaufen war. Die schüchternen Ein wände, welche er zu machen sich erlaubt halte, waren von dem geldgierigen Principale mit Grobheiten zurückgewiesen werden. Konrad LioS steckte dieselben ruhig ein, wie er c» stel» ru tbun pflegte, ging anstatt zum Juwelier nach Hause zu seiner Großmutter, machte Toilette und betrat bockklopsenrea Herzen» die Hochstraße, fest entschlossen, seinen kübnen Plan auSzusühren, Hermine auszusnchen und sie von dem Gcwalt- strciche Knickers in Kennlniß zu setzen. Nicht vergebens balle er DumaS' Musketiere gelesen; die Lcclüre brachte ihre Früchte. Er wollte auch Abcnlcuer bestehen sür die Dame seines Herzens, sie schützen gegen Habsucht und Hinterlist, ihr sein Leben, oder, wenn ihr daS lieber war, seinen Geldbeutel, eventuell den seiner Großmutter zur Verfügung stellen. Es siel ibm gar nickt ein, daran zu denken, Hcrmine oder gar die Großmutter könnte in diesem Puncte anderer Ansicht sein als er und dadurch seinem ritterlichen Unternehmen Hindernisse in den Weg legen. Das größte Wagniß war für ihn, seine Angebetete in einer Weise anrureben, die ibr Achtung ein- flößtc; er fürchtete, ihr Anblick würbe ihn der Fassung be rauben und eS köune sich ereignen, daß er stotternd und un- zusammenhängend sprechen uno dadurch eine klägliche Rolle spielen würde. Je näher er der Villa kam, um so kleiner wurden seine Schrille und um so stürmischer klopfte sei» Herz. Während er über eine ergreifende Rede nachsann, die er sich ein duyendmal rorsagen wollte, kam Svkow mit seinem Jungen die Straße herunter, und da er LipS, der öfter Wechsel bei ihm eincassirte, wohl kannte, so er widerte er dessen ehrerbietigen Gruß durch freundlichen Zuruf: „Ab sieb da, Hcrr LipS! Wie geht eS, Herr LipS? Sie haben heute schon früh Feierabend, oder sind Sie nicht mehr bei Knicker?" „Ick bin noch immer dort. Herr Sykow", erwiderte LipS, eine wichtige Miene annebmend, „wünsche aber so bald als möglich eine paffende Stelle in einem reellen Hause zu finden." „DaS wird einem talentvolle» jungen Manne, wie Sie sind, nickt schwer fallen, Herr Lip«" Spkcw griff nach der Hutkrämpe und wollte, um weiterer Erörterung zu entgehen, seinen Weg fortsetzcn. LipS dielt ihn mit den Worten zurück: „Entschuldigen Sie eine unbescheidene Frage, Herr Sykow. Sie kamen auf Ihrem Spazierweg an ter Billa Elermont vorüber — ich — ick gebe dahin — und" „Ich konime sogar auS der Villa Clermont", siel ibm Svkow in die Rete, neugierig zu ersahren, was der Laden- jüngling de- Herrn Knicker in dieser Villa zu schaffen habe. „Ah, da« trifft sich ja gut, Herr Sykow", fuhr Lip« rr- muthigt fort. „Können Sie mir vielleicht sagen, ob Fräulein von Stabt allein zu Hause ist?" Sykow starrte ihn an. als ob er nicht reckt verstanden babe. „Ob Fräulein von Stahl allein zu Hause ist", wiederholte er, das Wort allein stark betonend. „Wünschen Sir mit der jungen Dame eine geheime Unterredung?" Ter Fragende blickte den jungen Mann drohend an. Dieser errölhetc über und über, die Ueberlcgung und die Courage ließen ihn im Stich unk er sing an zu beichten. „Denken Tie nichts Unrechtes, Herr Sykow; das holde Edelsräulein kennt mich kaum Cs handelt sich hier um einen werthoollen Ring, den Fräulein von Stahl aus Notb versetzen mußte Knicker hat ihr, so viel ich weiß, etwas über dreihundert Mark dafür geboten und hat eine Frist von drei Monaten zur Einlösung festgesetzt. Nun will ter gewissenlose Mensch das Kleinod verkaufen, ehe die Frist abgrlaufcn .ist, weil ihm rin Juwelier dir doppelte Summe dafür geboten hat." „Da hätten Sie Einsprache erbeben sollen, Herr Lips." „Daran ließ ich eS nicht seblen. Herr Svkow." Knicker antwortete in seiner gemeinen Weise: „Ta- Lumpenpack steht seit 14 Tagen wieder im Sckuldbuch. Haben sie beute kein Geld, fehlt es ihnen morgen ebenfalls und in 4 Wochen um so mehr." Ter Zubörer blickte ernst drein und sagte mehr zu sick: „Stkbt es wirklich so schlimm?" „Reckt schlimm!" bestätigte Lip» in kläglichem Tone. „Da- arme gnädige Fräulein trennte sich so schwer von dem Ring; derselbe stammt von idrer Mutter. Der alte Diener, den ich gut kenne, vertraute mir an, sie arbeite sich die Finger wund, um den Ring rechtzeitig auSlösen zu können, und nun soll sie auf so schändliche Weise darum gebracht werden." „TaS braucht sie sick nicht gefallen zu lassen: sobald sie da« Geld bringt, muß Knicker da» Pfand zur Stelle schaffen und eS kann ivm übel bekommen, wenn er dasselbe vor der Zeit widerrechtlich vertäust bat." „Ach, Herr Sykow, waS vermag da« arme Lamm diesem gierigen Wolf gegenüber? Wenn sie ibn verklagt, kommen die traurigen Verhältnisse vor die Oeffentlickkeit und da« vermeidet sie aus jeden Fall. Ich will zu ihr geben, ihr die Sache miltbeilen, und mil ibr beratbe», wie das schlimme Vorhaben zu Verbindern ist; vielleicht finde» wir Mittel und Wege hierzu." LipS sprach das Wörtchen „wir" mit sichtlichem Behagen au«; Sykow S scharfem Ohre entging daS nicht. „Eie spielen da ein gewagte- Spiel, Herr Lips", warnte er. „Ihr Principal ist ein rachsüchtiger Charakter; wenn er von Ihren geheimen Intriguen erfährt, jagt er Sie Knall und Fall aus dem Hause und giebt Ihnen entweder ein schlechtes Zeugniß oder gar keins. TaS könnte sür Ihre Zukunft vo» üblen Folgen sein." „Soll ich au- EgoiSmu- die Hand zu einem schlechten Streiche bieten?" rief Lip» heftig. „Soll ick milwirken, taö Fräulein um Hunderte zu betrügen, sic, die keine Almun.z von der Niederträchtigkeit meines PrmcipalS bat, die sick oo» früh bis spät abmiibt, um das Geld rechzeitig zu beschaffen, sie soll ich mit Wissen und Willen bintergeben? — ich kann cö nicht, werde darau», wa« da will." Ter Kaufherr klopfte dem jungen Mann wohlwollend auf die Schulter: „Daö ist brav getackt, mein Lieber, aber klug ist eS nickt. Zeigen Sic mir einmal den Ring, vielleicht läßt sich die Sache zu ollseitiger Zufriedenheit ordnen " LipS zog LaS Etui hervor unk überreichte eS Sykow, der daS Kleinod aufmerksam betrachtete. „Der Ring ist sebr werthvoll", sagte er, da« Etui zurückgebend. „Tragen Sie denselben zum Juwelier —" Lip« ließ ibn nickt auSreden. „Nein, mein Herr", weigerte er sich, „da- kann ich nickt über'S Herz bringen" „Tragen Sie den Ring zum Juwelier", wiederholte er, den Ton verschärfend „Ich werde gleich nach Ibnen kort eintreten, um taS Kleinod zu kaufen und eS bei Ge legenheit dem Fräulein zurückzugeben. Können Sie schweigen, junger Mann?" „Mein Wort darauf", antwortete Lips mit Pathos, „daß ich schweigen werde bi» zum Grabe." Sykow nickte. „Eilen Sie jetzt zum Juwelier; ick folge Ihnen aus dem Fuße nack, damit da» projectirte Geschäft ebne Verzögerung erledigt werbe." Eine halbe Stunde später ging Sykow, den Ring
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