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Extra»veilagcn (gefalzt), anr mit der Vioraea-Sutaabe. ohne Postbesörderua- v0.—, wlt Poftb«förd«r»»g 70,—^ Äa«ah«eschlaß für ^ryeigeo: Lb«»d-L»sgab«: vormittag« 10 Uhr. Morge a-Lasgabe: Rachmtttag« t Uhr. Soaa» »ad Festtag« früh '/^ Uhr. Bei den Filiale» und Annahmestelle» je eia» halb« Stund« früher. Anzeige« sind stet« a» di« Expedition zu richte». Druck und Verlag von E. Polz dt Leipzig. M. Sonnabend den 17. Juni 1893. 87. Jahrgang. Zur gefälligen Beachtung. Unsere Expedition ist morgen Sonntag, den 18. Juni, Bormittags nur bis /«V Uhr gcvsjllet. l-xp«üMon Ü68 1-elpiLlxer 'l'Lfkedl litten. Die Wahlen. 12 Berlin, 16. Juni. Gestatten bi- jetzt die Wahlnackrichten auck nicht an nähernd einen Schluß aus das cndgiltige Gesammteraebniß. so ist jetzt dcch schon Eins klar: Der „scharfe Rua nach links", den Herr Eugen Richter thun wollte, ist gethan, aber ganz ander-, al- eS sich der Begrünter der Bolkspartei gedacht hatte; der Ruck hat nicht vom rechte» Flügel des ehemaligen DeutschfreisinnS nach dem linken stattgesunden, sondern vom linken Flügel nach der Socialdemokratie hin. Ten schlagendsten Beweis hierfür liefern die Wahlen in Berlin. Tie Größen der neuen Bolkspartei und Intimen Nichter'S, die Birchow, Baumbach, Mnnckel, verzeichnen ein kolossales Etimmendeficit gegen 1890, ebenso Richter selbst in den beiten Wahlkreisen, wo er als Zählcandidat ausgestellt war. Bei einem Anwachsen der Wahlberechtigten um mehr als 2l 000 zählen die sechs deutschfreisinnigcn Candidaten 17 OVO Stimmen weniger al- vor drei Jahren. Birchow hat nahezu 4000, Munckel über 9600, Baumbach über 2000 verloren, ans Richter entfielen nahezu rund 6000 Stimmen weniger, als 1890 die deutschfreisinnigen Bewerber im 4. und 0. Wahl kreise erhalten haben. Dagegen haben die Socialdcmokraten über 24 600 Stimmen gewonnen, im Wahlkreise Birchow'S allein 6000. Da- ist der Ruck nach links. Es bat aber auch ein solcher nach rechts stattgefunden. Daß in Berlin kein antideutschfreisinniger bürgerlicher Candidat in die Stichwahl kommt, ist eine Folge der Zer splitterung der recht- vom Freisinn stehenden Parteien, ihr Stiunneuzuwach« ist in der Gesamiutheit und iu einzelnen Wahlen ein ganz bedeutender. Im zweiten Wahlkreise zahlen die Natioualliberalen und konservativen zusammen l700 Stimmen mehr als Birckow, im dritten Wahlkreise, wo Stöcker vor drei Jahren 85 Stimmen erhielt, entfielen auf den conservativ»antisemitischen vr. Förster diesmal 4500 Stimmen. Uud im vierten Wahlkreise, in dem sich 1890 nur ein Socialdemvkrat und Eugen Richter gegenüber standen, erzielte, zweifellos auf Kosten des deutschfreisinnigen Führer-, ein conservativ - antisemitischer Candidat 7100 Stimmen. In einem 75 000 Wähler zählenden Wahlkreise erhält Professor Wagner mehr Stimmen, als Richter in einem I2l 000 Wähler umfassenden Kreise rc. rc. DaS Ergebniß im Allgemeinen und im Besonderen ist, daß Berlin aufaehört hat, eine Hochburg des DeutschfreisinnS zu sein. Wenn der „vorwärts" diese Thatsache in der Form feststellt, Berlin sei „die Hauptstadt de» internationalen Sociali-mu- geworden", so liegt darin natürlich eine kolossale Uebertreibuug. Wenn man hinreichend ge prahlt hat, wird man, wie eS Bebel in Bezug auf die l890er Wahlen auf dem Parteitag in Halle gethan hat, selbst nicht anstehen, die „Mitläufer" von den Genossen zu sondern. Einen großen Theil ihre- Erfolge» verdankt die Socialdemokratie in Berlin der weitverbreiteten und tief gehenden Unzufriedenheit mit dem politischen und communalen Treiben de- „Fortschritt-". Zugegeben muß aber auch werden, daß ein beträchtlicher Tbeil der zur Socialdemokratie hinzu- gelreteneu Wähler solche sind, die sich durch die deutschfreisinnige Demagogie der Richter, Munckel u. s. w. folgerichtig zu Socialdemokratcn fortentwickelt haben. Der Wind, den der Deutschfreisinn säet, bläht die socialdemokra tischen Segel. DaS gilt natürlich nicht nur für Berlin. Herr Richter macht zu jedem der sechs volk-parteilichen Mandat-Verluste, die er in der „Freis. Ztg." heute Morgen schon zu ver zeichnen hat — jetzt sind eS schon dreiundzwanzig —die Bemerkung: „Folge des Anwachsen» der Socialdemokratie." Er hütet sich aber, die Frage nach der Ursache dieser Folge und die weitere aufzuwerscn, warum gerade in Wahlkreisen, die bisher dem Deutschfreisinn gefolgt sind, ein besonder- starkes WachSthum der Socialdemokratie sich bemerkbar macht. In Bremen candidirt, von den Nationalliberalen unterstützt und von der volk-parteilichen Eentralregierung in Berlin unbekämpft, ein Mitglied der freisinnigen Ber einigung — die Socialdcmokraten verlieren diesen Wahl kreis. In München I, in Lübeck, in Halle liegen die Dinge ebenso und die bisherigen socialdemokratischen Inhaber der Wahlsitzc müssen in der engeren Wabl für die Behauptung ibrcS Besitzes kämpfen, in Mainz und Magdeburg und anderen, bisher socialdemokratisch vertretenen Wahlkreisen haben gleich falls Stichwahlen und zwar zwischen Nationalliberalen und Socialdcmokraten stattzufinden. DaS ist denn doch nicht- andere-, al- die Bestätigung de- Wortes von der „Vor frucht". klebrigen« ist eS eine von der Verlegenheit des volkS- parteilichcn Führer- geborene falsche Darstellung, überall die Socialdemokratie als Ursache der deutschfreisinnigen Niederlagen zu bezeichnen. In einer Reihe bisher durch An hänger der Bolkspartei vertretener Wahlsitzc — die beiden nafsauischen Kreise, Westbavelland, wo die Säule Hugo HermeS stürzte! — stcben ein Nationallibcraler bczichuiigöwcise Mit glieder der freisinnigen Bereinigung mit Socialdcmokraten zur Stichwahl, die deutschfreisinnigen Borbesitzer sind ausge fallen. Hier hat man eS nicht mit einer Folge des An wachsens der Socialdemokratie zu thun, sondern mit einer Folge der Haltung de- DeutschfreisinnS in der HeereSsragc. Wie denn auch beispielsweise der ge waltige Borsprung, den der Anhänger der Militair Vorlage in dem zuletzt der süddeutschen Bolkspartei gehörigen Wahlkreise Heilbronn vor dem „Demokraten" hat, auf die Ablehnung des Antrags Hucne zurückzuführen ist. lieber die Au-sichten der Militairvorlage im neuen Reichstag läßt sich allerdings zur Zeit keine Bermuthung anstellen. ES wird die» angesichts der unerhört großen An zahl von Stichwahlen auch kaum möglich sein, wenn daS Gesamnitcrgebniß derHauptwahlen seststeht. Einen sehr großen Antbeil haben, wie cinBlick aufdie Endresultate zeigt,an denStich- wahlen die Socialdcmokraten. Nicht unerheblich ist aber auch der der Antisemiten, wenigstens in Sachsen, wo so manchem Eonservativen, der mit einem Antisemiten im zweiten Wahl gang kämpfen muß, — ein conservativer Sitz ist definitiv an die Antisemiten verloren — vor Augen geführt wird, daß die Tivoli-WciSheit Einfalt war. Klerikale Anhänger der Militairvorlage gelangen mit Gegnern derselben aus der CentrumSpartci anscheinend in mehreren Kreisen in die engere Wahl. Eine der interessantesten Stichwahlen wird diejenige in Straß bürg zwischen Bebel und dem Nationalliberalen Petri werden. Man darf daraus gespannt sein, ob da» für den Sieg über Bebel erforderliche Minimum von Nationalgefühl wenigstens angesichts der Bogesen vorräthig ist. Im Allgemeinen wird man gut thun, wenn man sich vom Centrum und Deutschfrcisinn nicht viel für die Bekämpfung der Socialdemokratie in den Stichwahlen verspricht. Die Herren Richter und Lieber dürsten geneigt sein, sich von den Anhängern der Militairvorlage gegen Socialdcmokraten unterstützen zu lasten und, getreu ihrer Parole „Gegen die Militairvorlage", socialdemo- kratischen Candidaten gegen die Minorität-Parteien de- vorigen Reich-tag- beizuspringen. Für die Wahrscheinlichkeit, daß da- Anticartel wieder aufleben wird, spricht auch eiu bereit» gestern Abend in der „Freis. Ztg." erschienener UkaS, welcher die localen Führer deS Deutschfreisinn» im Lande förmlich davor warnt, ohne Berliner Erlaubniß einen Entschluß oder eine Erklärung über ihre Stellungnahme bei Stichwablen zu wagen. Der Zweck ist wobl der, der natürlichen Neigung der deutschfreisinnigen Wähler, den Vertretern der bestehenden Gesellschaftsordnung den Vorzug vor den Socialrevolutionaircn zu geben, rechtzeitig entgegcn- treten zu können. Herr Richter spielt dabei allerdings ein gewagte- Spiel. In Berlin sind drei von den vier deutschfreisinnigen Wahlkreisen im höchsten Grade ge- säbrkct. Die Andeutung deS Candidaten Birchow, daß Deutschland der Störenfried in Europa sei — eine Andeutung, die sicb im Munde manche- anderen deutschfreisinnigen Wortführers in eine Behauptung um setzte —, diplomatische Leistungen de- Herrn Baumbach und die Beweise nationaler Sclbstentäußcrung, die der Candidat Munckel in seinen Wahlrede» gegeben bat, haben in den national gesinnten Kreisen Berlin- tiefe Erbitterung erzeugt. Wenn nickt volle Gewißheit darüber erlangt wird, daß der Deutschfrcisinn nirgend» im Lande die Socialdemokratie unterstützt, so steht zu befürchten, daß der ausschlaggebende Theil der nichtfreisinnigcn bürgerlichen Wähler der ReichSbaupt- stadt der alten deutschfreisinnigen Austastung, wonach die Social demokratie da- kleinere Uebel ist, durch Wablenthaltuna auch seinerseits gerechlwerden wird. HcrrRichteristinHagenauf nach- drücklickc Unterstützung angewiesen, wie denn überhaupt von den norddeutschen Größen derBolkSpartei kein einziger gewählt oder in eine aussichtsreiche Stichwahl gekommen »st. Dagegen ge langen von den sechs „Abtrünnigen" vom 6. Mai vier unter günstigen Umständen in die engere Wahl, auch Hinze wird als Stichwablcandidat genannt. Der bürgerliche RadicaliSmuS hat, daS läßt sich schon jetzt sagen, eine große moralische Einbuße erlitten. Ob auch numerische, entzieht sich im Augenblick noch ebenso der Be rechnung, wie der Stand bei den anderen alten Parteien. Bei dem herrschenden StickwahlchaoS ist eS nicht wenig ver heißend, daß 17 Nationalliberale, unter denselben Bennigsen und Marquardsen, bereit- definitiv gewählt sind. Verloren haben nach den vorliegenden Berichten die National- liberalen Cassel» Löbau, Annabcrg. Dem Verlust steht ein Gewinn von zwei Mandaten gegenüber (Aurich und Tondern), beide der freisinnigen Volk-Partei abgenommen. An Stichwablen bcthciligt sind die Nationalliberalen nach den vorliegenden Mel dungen in mehr als 67 Wahlkreisen. In Baden, da» 1890 Dank dem Anticartel der Partei gänzlich verloren ging, sind di« Aus sichten der Stichwahlen für die nationallibrralen Candidaten günstig. DaS „katholische" Ccntrum erlebt in diesem Bundesstaat den Schmerz, die Wiederwahl deS für die Militairvorlage eintrctenden katholischen Geistlichen Lender auf sein Verlust konto schreiben zu müssen. In München hat der Verzicht dieser Partei auf eigene Candidaten zu Gunsten „katholischer Antisemiten" nicht einmal den Erfolg gehabt, daß die Herren in die Stichwahl kommen. Dagegen muß da» Ccntrum in Würzbura mit den Socialdcmokraten uni da- bisher innc- gehabte Mandat und in der engeren Wahl ringen und ebenso in seinem alten Sitze Augsburg, wo zum ersten Male ein Socialdemvkrat in die Stichwahl gelangt — zu erneuter Bestätigung der Behauptung, das Ccntrum bilde „daS" Bollwerk gegen die Socialdemokratie. Politische Tagesschau. ' Leipzig. 17. Juni. Welche Bedeutung daS Ausland den deutschen SletchS- tagSwahlen beilegt, erstirbt sich schon daraus, daß fast alle hervorragenden österreichischen, französischen, englischen, italie nischen und russischen Zeitungen Berichterstatter nach Berlin entsendet haben, die über den Ausfall der Wahlen nnd die während derselben hervortretenden Erscheinungen berichten sollen. Man darf auf diese Berichte gespannt sein, besonder« aus die französischen. Einen Vorgeschmack der letzteren erkält man bereits durch folgende Telegramme: Paris. 17. Juni. (Hirsch's T.-B ) Die Zeitungen bringen lanqe Artikel über die Wahlen in Deutschland. Der „Tempt" sagt: „Die SocI allsten haben alle Ursache, sich zu beglück wünschen, denn sie werden, außer dem schon errungenen, bei der Stichwahl »och zwei weiter« Wahlkreise in der Hauptstadt erobern." Die „Lidertö" sagt: „Tie ersten Resultate lassen keinen allgemeinen Schluß zu. Es steht indeß fest, daß da» bisherige Resultat der Kaiizlerpolitik. einer Politik, welche durch Militairlasteu alle moderne» Staaten ruinirt (?), nicht günstig ist. Im „Jour" subel, die bekannte Madame Adam über die Anhäng lichkeit der Elsässer an Frankreich. Obgleich die Regierung die Einwanderung deuticher Elemente begünstige, Hab« Preußen doch den Rationalcharakter der Elsaß-Lothringer nicht verderben können. Paris, 17. Juni. iPrivat-Ielegramm des „B T ".) Der Aus fall der deutschen Rahlen wird hier mit dem denkbar größten Interesse verfolgt. Die bisherige» Resultate geben der Presse nur zu kurzen Bemerkungen Anlaß, die daraus hinauslausen, daß Deutsch land angesichts der gewaltigen Zunahme de- Sociali-mu- und angesichts der zu erwartenden abermaligen Ablehnung der Militairvorlage vor schweren inneren Krisen siede, die nicht mir für Deutschland, sondern auch für Europa ernst« Bedeutung hätten. Welckc ernste Bedeutung für Europa hier gemeint ist, kann wohl keinem Zweifel unterliegen. — AuS Oesterreich werden folgende Kundgebungen berichtet: Wie». 16. Juni. Die „Reue Freie Presse" bemerkt zu dem bisher bekannt gewordene» Wahlresultat in Deutschland: Der Kamps um die Militairvorlage sei zunächst nur, und zwar aus Kosten anderer Parteien, den Socialdemokraten zu statten gekommen. Dieses Resultat hätten die liberalen Gegner der Militairvorlage nicht »linder als die Regierung zu beklagen. Die „Preise" de- zeichnet daS ungeheuerliche Anschwellcn der socialdemokratischen Stimmen nahezu i» allen Städten Deutschlands alS ein fehr ernstes mahnendes Shmptoin. Während di« unabhängigen liberalen Blätter unverhohlen ihrer Meinung Ausdruck geben, daß der Wahlaussall in Deutschland eine entschiedene Niederlage der Militairvorlage bedeute, sind die ossicivsen Blätter, wie „Fremdenblatt" und „Presse", »och immer hoffnungsvoll gestimmt. Letzteres Blatt sagt sogar, daß eine kluge Taktik bei den Stichwahlen noch einen bedeutenden Erfolg für die nationale Sache de» deutschen Reichs ergeben müßte, und daß wohl vielen Wählern daS Er gebniß der ersten Wahl den richtigen Weg zur zweiten zeige werde. A»S England liegt bis jetzt nur die Meldung vor, daß der Berliner „TimcS"-Correspondenl mit Bcsorgniß der Er oberung Berlin« durch die Socialdemokratie und den ferneren Wahlsiegen dieser Partei «ntgcgensiebt.— BewcrkenS- wertl, ist auch ein Urtheil, da- der Berichterstatter der „stk. Zürcher Ztg" über den Charakter de- Wahlkampfe«, die Stimmung in den einzelnen Parteikreisrn »nd die Schuld de- „neuen CurseS" an dieser Stimmung fällt. ES heißt nämlich in dem Berichte: „Die Nationalliberalen gehen ohne Begeisterung in den Kamps.... an der Seite einer Regierung, die ihren verehrteflen Führer schlecht behandelt hat und zu der ihr daS Vertrauen fehlt.... Ja, wenn Caprivi de» Bermittelungsantrag Bennigsen s nicht schroff zurückgewicscn, wen» er gegen ihn nur halb so viel Entgegenkommen bewiesen hätte wie gegen den Antrag Hueae! Der Hohn, daß hinter den Bcnnigsen'schen Borschlägrn keine groß, Partei, keine Mehrheit stehe, hat sich bitter gerächt, als für den Antrag des Eentrumssührers kaum ein Dutzend CentruinSleute stimmte». Das also war die große Partei! Die Nationalliberalen ver wanden ihre berechtigte Empfindlichkeit und ziehen heut, am geschlossensten, mit dem grüßten Eifer für den Antrag Huene zu Felde. Sie sind, was von ihrem Verhalten in rein politischen Fragen auch gesagt werden mag, sie sind immer dieProtagonl st en der nationalen Idee gewesen, der sie ihre Grüß« verdanken und ihre Größe geopfert haben. Sie stehen heute, wo sie immer gestanden haben; aber daß sie mit großer Zuversicht in den Kamps zögen, kann inan nicht erwarten." Vielleicht bereut auch der Herr Reichskanzler jetzt die Taktik, die er bei der Militairvorlage nicht nur, sondern überhaupt verfolgt hat. Mit seiner Maxime, sich nicht auf bestimmte Parteien zu stützen und das „Gute" zu nehmen, wo eS sich findet, wird er anscheinend im neuen Reichstage noch weniger erreichen, als im aufgelösten. IS, Offene Pforten. Roma» von B- W. Howardt. NatzdruS »crd-ira. (Fortsetzung.) „Die beiden Fräulein Mayer wünschen der Frau Majorin ihre Aufwartung zu machen", meldete die Zofe. „ffühieu Sie die Damen in den großen Salon, ich werde bald kommen, Marie." „Auch die Herren Lieutenants v. Raven und v. Haller sind da." Gabriele erhob sich hastig nnd sagte: „Ich kann Wohl von hier au» meinen Rückzug nehmen?" „O — wollen Sie die kleinen Mayer» nicht begrüße» — sie schwärmen sür Sie." »Die Gräsia v. KroofelS", meldete da» Mädchen. „Ich gebe", rief Gabriele, „tausend Dank für Ihre Geduld, liebe Frau Major«»." „Tie Frau Gräfin v. Waldenberg und Comteffe Elsa", meldete Marie abermals. „Adieu, meine liebe Gabriele — kommen Sie sehr bald wieder zu mir, damit wir da- Nähere über da- Reitersest besprechen könne»." Al- Gabriele di« Straße hinabsckritt, dachte sie riaigcr- maßea erstaunt darüber nach, daß sie die Majorm mit der beftiuuuter, Absicht ausgesucht hatte, nicht mitzureiten, und nun! — Iber freilich, wenn die Gräfin nur halb so vernünftig uud einsichtsvoll gewesen wäre, wie ihre Freundin, daun hätte sie sich gar nicht so schroH geweigert; während der Spazier fahrt war es zu einem sehr ausger^ten Auftritte gekommen, so daß die Gräfin nach kaum einer Viertelstunde dem Kutscher deu Befehl ertheilt batte, umzukcbren. Leichenblaß vor Wutb batte sie sich io ihr Zimmer begeben, während Gabriele sofort zur Majorin geeilt war. Run, jedeosall- hatte die Gräfin sich sehr rasch erholt, wenn sie jetzt schon wieder Besuche machen kooote, aller Wahr scheinlichkeit nach blieb sie bis zur Speisestuude m dem ihr so sympatbiscken Kreise, und so meinte Gabriele, einen kleinen Spaziergang riskiren zu können. So ging sie denn, an der Billa vorbei, den durch grünende Wiesen und üppige Saat felder fübrenden Pfad entlang nach Le«lach zu; im Dorfe selbst gerieth sie in eine Kinderschaar, welche gerade au« der Schule kam, und die Gräfin hätte sicher Krämpfe bekommen, wenn sie Gabriele gefolgt wäre, denn da« junge Mädchen, von Dohna her gewöhnt, mit de« Dorfkindera freundlich zu verkehren, plauderte lustig mit den flach-köpfigen Buben und Mädchen, deren schwäbische Mundart sie oothdürftig verstand, lind als sie gar an einem Obststand Halt «achte uud der vor freudigem Schreck sprachlosen Händlerin ihren ganzen Kirschcnvorrath mit dem letzten Rest ihre- Taschengelde« ab- kaufte und den jubelnden Kinderu überwies, da Ware» Rietele, Bärbel«, Pcterle und Jacoble darüber einig, daß da- fremde „Kind" gar „brav und guct" sei. Endlich mußte Gabriele an die Heimkehr denke», aber so glatt sollte eS damit nicht gehen; al» sie au einem große» Fabrikgebäude, dessen Schornstein sie von ihrem Fenster au« schon oft gesehen hatte, vorbeikam, tönte ein Glockenzeichen, und aus dasselbe stürmten einige vierzig Fabrikarbeiterinnen mit Bicrgläsern in der Hand an» dem Thor und verschwanden in eineul naheaelegenen Schanklocal. Gabriele war unwill kürlich stehen gevliebcn, al« da» wilde Heer an ihr vorübrrtobte; sie dachte an die Schaar der Cigarren-Arbeiterinnen, welche in „Carmen" so malerisch au-sahen, und fand die Wirklichkeit sehr verschieden von dem Anblick auf der Bühne. Die Wenigsten waren hübsch, aber keck, ja. selbst frech sahen die Meisten auS und besonder« eine schon ältere Arbeiterin, welche die junge Dame bcrauSfordernd anblickte und ihr, al» sie dicht an Gabriele vorbeikam, mit drohender Miene die geballte Faust entgegeustreckte. Gabriele trat bestürzt zurück und fragte sich im Weiter- scheeiten. wodurch sie sich wohl den Haß der Dirne zugezogen baden könne — vcrmuthlich batte e« dieselbe geärgert, daß sie spazieren ging und schöne Kleider trug, während Andere, in durstige Gewänder gehüllt, schwer arbeiten mußten. Ziemlich niedergeschlagen kehrte Gabriele ia die Villa zurück; im Eorridor stand LipS und schaute so trübselig drein, daß sie stehen blieb und tbeilnehmend fragte: „LipS — was seblt Ihnen denn'?" „Ach, gnädige« Fräulein, ich bin ganz rathloS", seufzte der treue Alte. „Weshalb? Wa« ist denn geschehen'?" „DaS ist'S ja eben, gnädige« Fräulein — eS ist nicht« geschehen", sagte LipS traurig, „sehen Sie, gnädige« Fräulein, al« Sie heute zum Herrn Grasen hincingingen, da sagte ich zu mir: „Gott Lob — daS erste Vernünftige, was in diesem verwünschten Hause geschieht! Die junge, freundliche Dame ist in unserem Flügel, nun wird mein armer Graf beiter werde»!" Und als ich dann nachher zu meinem Grafen kam, da war'« die alte Leier — nein, no<y schlimmer als vorher, uud ich alter Narr batte mich umsonst gefreut. Aus dem bleichen Gesicht lag « wie ein dunkler Schatten — er bewegte sich niHt» sprach nicht und starrte mit seinen großen dunklen Augen io« Leere — e« ist ein Elend, gnädige» Fräulein." „Und gleich, nachdem ich im Zimmer gewesen war, verfiel Graf Hugo in diese unglückliche Stimmung?" fragte Gabriele bestürzt. „Ja, gnädige« Fräulein. — Ich versuchte alle« Mögliche — zuletzt fragte ich, ob ich Herrn Dietz holen dürfe, und da schüttelte er den Kvpf! Jetzt spricht er wieder Tage lang kein Wort, da« weiß ich im Bora«» und — ich fürchte mich, ihn allein zu lassen." Dir letzten Worte sprach Lip« gauz leise; Gabriele fuhr sich mit der Hand über di« Augen und murmelte: „Ach LipS — e« thut mir so leid — so sehr leid!" I» diesem Augenblick erschien MäuScheo, frisch gekämmt und mit einer weißen Cravatte geziert, am Ende des Corri- dor«, and Gabriele, eingedenk der Behauptung Hugo«, daß der Hund horche und dann klatsche, eilte hastig, Hut und Handschuh« abzulrgru uud sich in den Speisesaal zu begeben, bevor Mäuschen seiner Herrin mitthrilen konnte, wo sie sich vrr weilt hatte. Fünfzehnte« Capitel. „Wie geht « ibm heute, LipS?" fragte Gabriele, al» sie zur Ausfahrt angrkleidet durch di« untere Halle schritt. „Ach — er ist noch immer so still uud starrt vor sich nieder", sagte Lip« trübe. Seit fast acht Tagen erbielt Gabriele stet« denselben Be scheid, und sie machte sich bittere Vorwürfe, daß sie damals den Eintritt in da» Krankenzimmer erzwungen. Nach weitere» drei Tagen flüsterte LipS gebeimnißvoll: „Ich glaube, jetzt bessert sich der Zustand — Graf Hugo liest wieder in dem kleinen schwarzen Buch und lächelt mitunter." „WaS ist daS für ein Buch?" forschte Gabriele gespannt. „DaS weiß ich nicht, gnädige» Fräulein, aber ich weiß so viel, daß Graf Hugo stclS heiter wird, wenn er sich entschließt, daS kleine Buch zu studiren." „Nun — jedenfalls ist'S gut für den Grasen, daß er Sie Hai, LipS", sagte Gabriele herrlich. „Ach — ich kann nicht viel thun", murmelte LipS mit ge brochener Stimme, „aber wenn ich wüßte, baß eS seinem Glück förderlich wäre, ließe ich mich für ihn in Stücke backen." „Während dieser Unterredung erschien die Gräfin auf der Haupttreppe; sic blickte mißtrauisch auf die Beiden, und kaum saß sie mit Gabriele im Wagen, so begann sic: „WaS hallest Du denn wieder mit LipS zu reden, Gabriele?" „Ich fragte nach Gras Hugo s Befinden." „Wie unpassend, daß Du da» selbst tbatest, ick sende doch täglich Babette binunter, um fragen zu lassen. Genügt Dir daS nickt? Und die Abneigung, die MäuScken gegen LipS hegt, bürgt mir dafür, daß Letzterer kein guter Mensch ist, mit dem man am besten nicht in Berührung kommt. WeSbalb siebst Du mich denn so starr an, Gabriele, ist etwa» an meiner Toilette nickt in Ordnung?" In alle Winde siegen GabrielcnS gute Vorsätze von Selbst beherrschung und Schweigen. „Tante Adelheid", ries sie bestia, „ich will Dich gewiß nicht ärgern, aber wenn ick mir dächte, ich wäre Graf Hugo'« Mutter, dann würde ick mich nicht damit begnügen, mich durch Dicnstbolc» nach seinem Be'intcn erkundigen zu lassen. Ich würde Tag »nd Nackt bei ihm bleiben, ihn trösten, ihn erheitern und mciiic Welt in seinem Zimmer suchen und imden. Und rin Wort von ihm, ein Druck seiner Hand wäre mir mehr werth, als Theater, Coneerte, Diner» und SouperSl" I !