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G, »« Haiptrxp^itto, oder de» t» Gt»d^ beetrk «d de» Lorortr» «sichtet»» »o«. -adrpelle« «bg»h,lt: v«er»,lsiihrlich^I4L<h zweiwaltg« tSgltcher Zustellung iu« bchL Durch di« Post bezogen für Deutschlaud »»d Oesterreich: vterleljädrlich » S.—. Direct» täglich« tdrruzbandiendung tu« LuSlaud: monaUjch ^4 ?^0c rikVorgewchl-Sgab, «scheint tügltch di« Sdeud-Autgnb« Wochentag» - Uhr. Urditttim «ad LrVÄtti»»r A»tz«u»«««aGe 8. Die Enxditto» ist Woche»tag« »»»ntrrdroche» geäSnet oo, früh 8 bi» «bend« ?«hr. Filiale«: Ott, «lean»'» Surft». <Uifre» Ha»«b Universitütsftrab« I, Loni« Lösche. LeHarincvstr. 14. part. »ad K»nig»dla» 7, Abend-Ausgabe. Anzeiger. Drgan für Politik, Localgeschichte, Handels- and Geschäftsverkehr. L»zeige»-Prei- die Sgespaltme Petttzeile 20 Psg. «eclamr» nnter den, Redactioasskrich (4g»o spalten) 50 »j, vor den Familirnnachrichtr» lS gej-oUea) 40^. Gräber« Echristea laut »asernn Preid» derzelchaib- Tabellarischer und Ziffrrajatz nach hoderem Tarif. Grkra-Vcilanra (gesalzt), nur mit de« Morgen, ikusgade. ohne Postbesordrruog üv.—. mit Poslbeforderuag 7V-—. ÄuuahMeschluß für Äuzeigen: Abrud-Bnsgabr: Bormittog« 10 Uhr. Marge a-Au-gabr: Nachmittag« 4 Uhr. Eoua- and Festtag« früh '/,9 Uhr. Gei de» Filialen und Annahmestellen je «in» halb« Etnnd« früh«. . UHtktgr, sind stet« an dt« Grtzxvtft«» 4» richten. . Dr»L nnd Verlag von E. Pol» kn Leipzig. ^ 516. Montag dm 9. October 1893. 87. Jahrgang. Politische Tagesschau. * Leipzig» S. October. Die Veröffentlichung der im April 1890 an den Prof. Schweninger gerichteten kaiserlichen „LabinclSordre" ist vielfach als eine indirekte Aufforderung an den Leibarzt des Fürsten Bismarck angcscbcn worden, sich öffentlich über die Gründe zu äußern, aus denen er bei der letzten schweren Erkrankung des Fürsten so spät den Wunsch des Kaiser« erfüllt bar. Auch Herr Prof. Schweninger scheint in jener Veröffentlichung eine solche Aufforderung zu erblicken, denn in der Münchener „AUgem. Zig." findet sich über seine Berichterstattung an den Kaiser eine Auslassung, die zweifellos aus von ibm herrührcnde Mittheilungen sich stützt und mit seiner Zustimmung erfolgte. Die wichtige Rolle, die Herr Prof. Schweninger in der sog. VersöhnungSfragc spielt, macht eine ausführliche Wiedergabe jener Auslassung nölhig. Sie lautet: „Der „Ordre", um diesen Ausdruck zunächst beizubehalten, war eine mündliche Aeußerung deS Monarchen zum Professor Schweninger vorausgegangcn, der, auf einer ärztlichen Rund fahrt in Berlin des,rissen, von der Straße weg, wie er ging und stand, durch einen königlichen Flügeladjutanten in daS Schloß be rufen wurde. Tie mündliche Acntzerung entsprach, in fast noch größerer Wärme, dein Inhalt jenes nachgesolgten Erlasses. Wie verlautet, hätte Professor Schweninger schon bei jener Ge legenheit daraus hingewieien, daß er Arzt des Fürsten Bis marck seit sieben Jahren durch dessen Vertrauen sei und «S einzig durch dieses Vertrauen bleiben könne. Auch schon einig« Monate früher, als der Kanzler noch im Amte war und sich in Friedrichsruh befand, batte Professor Schweninger Anlaß gehabt, den Eindrücken einer durchaus falschen Berichterstattung über das Befinden des Fürsten beim Kaiser mündlich enigegenzutretcn, welcher mit seinem leb hafte» Danke zugleich den Wunsch verband, daß Schweninger ihn des Weitere» aus Lein Lausende» erhalten möge. Diesem Vertrauen aber entspricht es jedenfalls, wenn eine „Berichterstattung" nur mit Zustimmung der behandelten Persönlichkeit und namentlich in Krankheitsfällen nur mit ausdrück licher jedesmaliger Zustimmung des Patienten oder seiner nächsten Angehörigen stattfindet. Der „Rheinische Courier" hat vor einigen Tagen in sehr zutreffenden AuSsührungrn nach- gewiesen, daß jeder anders handelnde Arzt sich nicht nur eines Ver- iraucnsbruchs, sondern eines strafbaren Vergehens gegen exacte Be- siimniungen des Strafgesetzes schuldig macht. Daran kann keine „CabinetSordre" etwas änvern, ebensowenig, wie sie die weitere ärztliche Behandlung des Fürsten Bismarck durch de» Professor Schweninger zulasten, anordnen oder verbieten kann. ES hat sich in neuerer Zeit der Mißbrauch eingeschlichen, jede schriftliche Aeußerung des Kaisers und Königs an eine andere Person ohne Weiteres als „CabinetSordre" zu bezeichnen. „Eabinetsordres" sind nach alten preußischen Be griffen geschäjtliche und amtliche Kundgebungen des Königs, die, soweit sie nicht i» den Bereich der königlichen Commandogewalt fallen, seit Einsührnng der Verfassung als Aussluß des consti- tutionellen HerrschcrrechtS anzusehen sind und sich demgemäß innerhalb des Gcschäslskreises der Krone, ihrer Ernennungs-, BestätigungS- und sonstigen Hoheits-Rechte bewegen müssen; Rcgierungsacte, für welche dem betreffenden Ressortminister die Verantwortlichkeit obliegt. Alle anderen schriftlichen Kund gebungen des Königs sind nur Cabinetsschreiben oderPrivat- schreiben des Monarchen. Den in solchen Schriftstücken geäußerten Wünschen werden die Empfänger sicherlich nach Möglichkeit Rechnung ru tragen bemüht sein, aber diese Wünsche bewegen sich doch außerhalb des Gebiets, ans welchem ein königlicher Befehl Lurch CabinetSordre die verfassungsmäßige und rechtliche Geltung hat. Der Souverain als solcher kann weder einem Arzt befehlen oder verbieten, «ine bestimmte Persönlichkeit zu behandeln, noch irgend einer Persönlichkeit dieBe- handlung durch einen bestimmten Arzt auferlegen oder untersagen. Wir bezweifeln, daß selbst innerhalb des könig lichen Hauses, in welchem das Recht des obersten Familien- haupteS »in weitgehendes und unbestrittene« ist, derartige Anord nungen oder Verbote zulässig sind. Um nun im voraus dem Ein- wanb zu begegnen, als lasse die Stellung des vr. Schweninger als Professor der Berliner Universität und Director der dermato logischen Klinik die Ertheilung eine- solchen Befehls zu, o genügt, abgesehen von dem Umstand, daß Schweninger viel länger Arzt des Fürsten Bismarck als Professor an der Berliner Universität ist, wohl der Hinweis, daß ein Bc- ehl, sei rS deS Staatsoberhauptes, sei es deS Vorgesetzten Ministers, doch nur auf dem streng amtlichen Gebiete zulässig ist und in Privatbeziehungen »ich» überareisen darf. Sollte z. B- dem bekannten Chirurgen Professor v. Bergmann besohlen werden dürfen, wen er operiren soll und wen nicht'? — Ties« Dar legung hat lediglich den Zweck, seslzusiellen, daß «S sich im vor- liegenden Falle nicht um eine CabinetSordre, nicht um einen darin zum Ausdruck gebrachten Dien st beseht handelt, sondern lediglich um einen Wunsch des Kaisers, weichem Pros. Schweninger wiederholt entsprochen hat; der Zettpunct für solch« Berichte muß dagegen ausschließlich von dem ärztliche» Er messen und in tdrankheitssällen von der Zustimmung deS Fürsten abhängig bleiben. Wir zweifeln daher auch nicht, daß Fürst Bismarck sich mit jedem dieser Berichte vor seiner Absenduag einverstanden erklärt hat, denn die Pflicht der Loyalität und der Vertrauensstellung gebietet dem Arzt, diese Zustimmung des Fürsten oder — im Behinderuugssallr — der nächsten Angehörigen etnzuholen. Uebrigens wünscht der Monarch, wie es in dem belreffendea Schriftstück heißt, den Bericht „von Zeit zu Zeit", eS lag daher für Pros. Schweninger auch nicht einmal «ine moralische Nüthigung vor, über dt« Erkrankung früher zu berichten, bevor er den weiteren Verlauf mit Sicherheit übersehen konnte. Zudem durfte Prof. Schweninger onnehmen, daß, da alle Wett und die gesainmte Presse von der Erkrankung sprach, ferner die „überslandene Gefahr" seit dem b. September öffentlich in aller Form conslatirt war, dem Kaiser diese Thatsachen zur Genüge bekannt sein würden, zumal der kaiserliche Leibarzt, Professor Le nt hold, sich um diese Zeit drei Wochen lang in Kissingen be fand und der Letztere ja im Bismarck'schen Hause kein Fremdling ist. Um so befremdlicher mußte da der Ton erscheinen, in welchem der stellvertretende Leibarzt Dr Erncsti von Guns aus, unmittel bar vor dem Telegramm de» Kaisers an den Fürsten Bismarck, die Berichterstattung deS Prof. Schweninger telegraphisch urgirte. Da diese Frage sowohl durch drohende osficiöse Aeußerungen in der „Kölnischen Zeitung", als durch Veröffentlichung deS königlichen Cabiaetsschreiden» vor da- Forum der öffentlichen Meinung ge- bracht worden ist, hatten wir e» für Pflicht, di« namentlich auch alle Universiiätskreise lebhaft intrressirende Frage der Berpslich- tung Schwcninger'S zur Berichterstattung klar zu stellen." Der langen Rede kurzer Sinn ist der, daß Professor Schweninger eigentlich gar keine rechtliche Verpflichtung hatte, dem wiederholt ausgesprochenen Wunsche deS Kaisers zu ent sprechen, daß er trotzdem mit Zustimmung dcö Fürsten diesem Wunsch wiederholt erfüllte» bei der letzten schweren Er krankung deS Fürsten aber, von deren bedrohlichem Charakter weder der Patient noch seine Angehörigem unterrichtet werden sollten, von einer schleunigen Bcnach- richtigung deS Kaiser« absah und sich dabei mit der Ansicht tröstete, er habe ja ohnehin keine dienstliche Ver pflichtung und der Kaiser werde überdies von anderer Seite daS Nöthige erfahren. Nun wird sich Herr Prof. Schweninger jedenfalls genau darüber informirt haben, ob und welche rechtliche Verpflichtung die kaiserliche „CabinetSordre" ihm auserlegte; eS wird daher mit ihm auch nicht darüber zu streiten sein, ob ihm eine diScipliuarisch zu rügende Versäumniß vorgeworfen werden könne. Aber eine solche Vrrsäumniß ist ihm unseres Wissens auch nicht vorgeworscn worden. Man hat sich lediglick gefragt, ob er von dem Wunsche deS Kaiser- dem Fürsten Mittheiluoa gemacht und dessen principielle Einwilligung in eine „von Zeit zu Zeit" erfolgende Berichterstattung erhalten habe. Das wird in der Aus führung der „Allgem. Zig." bejaht. Damit war eS in sein Ermessen gestellt, wann und unter welchen Umständen er den Wunsch deS Kaisers erfüllen wollte. Zn der rechtlichen Frage trat eine Frage deS TacteS, ja eine politische Frage. Vor einer solchen stand er, als Fürst BiSmarck in besorgnißcrregcnder Weise erkrankte. Lag in diesem Falle auch wirklich nicht die geringste recht liche Verpflichtung vor, den Kaiser schleunigst zu insormiren, so lag dafür die Frage deS TacteS und der politischen Erwägung vor, ob eS wohlgctban sei, den Kaiser so lange in llnkcnntniß zu lassen, bis eS für ihn zu einem letzten Beweise der Tbeünahme an dem Ergehen deS Fürsten zu spät sein könnte. Der Kaiser, daS ist zweifellos, verließ sich auf Schweninger und glaubte sich aus ihn verlassen zu können. Hätte er erfahren, daß der Fürst und seine Umgebung nicht beunrubigt werden dürften, so hätte er gewiß für die Bekundung seiner Anthcilnahme eine Form gesunden, die jede Beunruhigung ausgeschlossen hätte. Und hätte Professor Schweninger, wie alle Welt, den Wunsch gehegt, daß dem Fürsten aus alle Fälle ein solcher Beweis zu Tbeil werden möchte, so würde er jetzt nicht nöthig haben, seine rechtliche Auffassung darzulegen und zu vertheidigen. Da er sich auf diese steift, so ersehen Alle, die ausrichtig eine Annäherung zwischen Kaiser und Altreichskanzler wünscken, daß sie auf irgend welches Einwirken deS Herrn Pro fessors Schweninger dabei nicht zu rechnen haben, sondern eher daS Gegcntbcil gewärtigen müssen. DaS ist die betrübende Klarheit, die aus seiner Rechtfertigung hervorgeht. Der lurentburgische StaatSministcr I>r. Ehschen und der luxemburgische Geschäftsträger zu Berlin Gras v. VillcrS waren bekanntlich im Auftrag de« Großherzogs zur Be grüßung deS deutschen Kaisers in Metz erschienen. Im Anschluß daran hat der Kaiser Herrn b)r. Eyschc» eine kostbare Dose mit seinem Bildniß überreichen lasten, während dem Grasen v. VillerS der Kronenorben 2. Elaste verlieben wurde. Die luxemburgischen FranzöSlinge batten bekanntlich die Erfüllung jener Pflicht internationaler Höflichkeit zu dinier- treiben gesucht, wobei sic besonders darauf aufmerksam machten, daß Frankreich zu den Garantiemächtcn der luxem- huraischen Neutralität gehöre und mithin nicht durch eine Be grüßung deS dcutschcn Kaiser« auf altfranzösischem Boden beleidigt werden dürfe. Da die Gelegenheit sich dazu bietet, so wollen wir diese Leute daran erinnern, daß auck Preußen zu den Schutzmächtcn der genannten Neutralität gehört. Dieser Umstand hat sie ater bis jetzt nicht im Geringsten abgebalten, bei jeder sich bietenden Gelegenheit nach Herzenslust auf Preußen zu schimpfen. Es ist doch merkwürdig, daß die Pflichten des neuiralen Staates nur gegenüber Frankreich Geltung haben sollen. In Paris ist der französische Arbeiter-Congreß zu seiner 1l. Session zusammciigctreten. Die Presse ist aus geschlossen, weil „dieselbe zu geschwätzig und scandalsüchlig sei und freiwillig oder unabsichtlich entstellen würde". Wahrscheinlicher dürfte aber sein, daß die Führer der Partei den Inbalt ihrer Bcrathungen der Oefscnt- lichkeit deshalb entziehen wollen, weil man trachten will, über die Politik der Arbeiter-Partei in und außerhalb der Kanimcr und die Beziehungen ihrer zwölf Vertreter zu den übrigen socialistischen Abgeord neten schlüssig zu werden. Auch die Finanzlage der Arbeiter partei soll zur Sprache kommen, und man hat Gründe, darüber Geheimniß zu bewahren. Ferner ist von einer Neu gestaltung des „Nationalratbeö" die Rede, wie das au« Dclcgirten aller Gruppen und Syndicate bestehende Comit6 beißt, daS ja, alljährlich neu gewählt, die Verwaltung und die Leitung der Partei-Interessen zu führen hat. Der National rath vertritt, wie wenigsten« IulcS GueSde versichert, 300000 Mann. Von den Abgeordneten der Partei sagt GueSde, sie würden in der Kammer weniger arbeiten als außerhalb dcr- elben; denn mittelst der Freifahrten aus allen französischen Babncn könnten sic überall sein und für ihre Ideen in den Städten, wie aus dem flachen Lande eine solche Propaganda macken, daß sie sick jetzt sckon der Hoffnung hingäben, sie würden in den Abgeordnctcnwahlcn von 1898 die Mehrheit haben und dadurch die Herren in Frankreich werden. Man sicht, an Selbstunterschätzung leiden die Herren nicht, ihrer Agitation trauen sie Alles zu. Am 18. October wird der italienische Ministerpräsident Giolikti in dem piemontesischen Städtchen Dronero, dem auptortc seines Wahlkreise«, die sckon mehrfach angekündigte cde halten, die über das politische und finanzielle Programm der Regierung sür die nächste ParlamentS- lagung Aufklärung bringen soll. Das Dalum de« BaiikcitcS von Dronero ist mehrfach verschoben worden, weit die Zahl der Abgeordneten, die ihre Theilnahme zugesagt oder dock ZustimmungSschreiben gesandt hatten, eine peinlich geringe blieb. Wenn CriSpi oder di Rudini eine Programmrede hielten, so konnte man sicher sein, daß reichlich dreiviertel der Abgeordneten nach der Bankctstadl binciltcn und dem Ministerpräsidenten Beifall zollten, was sie übrigens nickt hinderte, ein paar Wochen später denselben Miiiistcrpräsidcntcii stürzen zu Helsen. Zu dem Banket von Dronero hat sich aber bisher nicht ein Drittel der 507 Deputirten cinschreiben lasse». Auch dcr^iammerpräsidcnt Zanardelli bat eS in einem sebr böslichen Schreiben abgelchnt, »ack Dronero zu kommen. Es scheint also, als ob sich der Eifer der Freunde de» Ministeriums bedenklich dem Gcfrierpuncl genähert hätte. Ob sich aber diese Erscheinung auch bei den Abstimmungen in der Kammer zeigen wird, kann nicht unbedingt bejaht werden. Da« Bestreben, die Austragung der Bankenscandale nicht dadurck zu erschweren, baß man den Führern der heutigen Opposition die Macht in die Hände giebt, hält viel leicht die ministerielle Mehrheit nöch aus einige Zeit zu sammen. Aber da« ist auck der einzige HosinungSanker, an de» sich daS Ministerium klammern kann. Etwa« Andere-, als daß cs die Bankenscandale möglichst geräuschlos begräbt, erhofft man von ihm nicht mehr. Auf dem zur Zeit in Birmingham tagende» stongreh der anglikanische» Kirche wurde auch über die Arbeiter frage verhandelt, die jetzt den englischen Klerus in dem selben Maße zu intcrcssircn scheint, wie die evangelischen und katholischen AmtSbrüder auf dem Continciit. Die Sym pathien der in Birmingham versammelten Geistlichen gehören übrigen« »iwcrkennbar mcbr den Arbcilncbmcri, al« den Arbeitgebern, obwvhl die Erftercn bei ihren Forderungen über da« Maß des Zulässigen neuerdings oft weit hinauS- gckcn. Nev. I. G. AddeSley, der über christlichen Socia- liSinuS sprach, erklärte, ohne ncnnenSwertbc Opposition wachzuriiscn, rund heran«, daß jede geistliche Einwirkung und religiöse Belehrung bei den Arbeitern unwirksam bleiben müsse, so lange nicht die körperlichen Bedürfnisse der selben befriedigt seien. Der Geistliche ist, dem Redner zu folge, der wabre Socialrcsormcr, und die christliche Kirche da« vornehmste Mittel zur socialen Reform. Trotz dieser durchaus arbcitcrsrcundlichcn Haltung des CongrcffeS ist die überraschende Meldung der „TimcS", daß der wohlbekannte Arbeiterführer Tom Mann uni Weihnachten die Weihe Feuilleton. Die quade Foelke. Roman aus der Emsgau. 71 Von F. Klinck-Lütetsburg. SiachtriiL verdotkn. (Fortsetzung.) Bernd BrunS hätte kaum für seine Bewerbungen einen günstigeren Zcitpunct wählen können. Wenn er nur noch einige Minuten länger unter dem Aufkammersenster geweilt hätte, so würde er gekört habe», daß die Nebenbuhlerschaft deS Wilhelm Adams keinerlei Befürchtungen in ihm erwecken dürfe. Auf die Vorwürfe deS Vaters hatte Foclkc demselben mit größter Rübe entgegnet: „Ich habe mir keine Grillen in den Kops gesetzt und will Euck auch nicht daS Leben sauer macken. Die Sache mit dem Wilhelm betrachte ich als abgclban, ict, denke nicht mebr daran, ibn ins Hau« zu bringen, aber ich kann auch Bernd BrunS nickt heiratbcn, und wenn Euch meine Zukunft nicht ganz einerlei ist. dann solltet Ihr lieber nicht Zureden." Die Worte der Tochter trafen, verschlten aber die beab sichtigte Wirkung und erregten den Zorn deS Bauern. Heftig fuhr eS aus ibm heraus: „DaS sagst Du jetzt, weil Du sein Ecköntbun mit der Wolbcrich »ock nicht verwunden hast. Er wird schon Sorge tragen, daß der Aerger nickt lange verhält, kommt ihm doch ein gleich fetter Bissen nickt leicht wieder in die Quere. Der will nur Tein Geld, Du wirft eS ja neck früh genug erfahren. Ich hätte nur gedacht, daß Du mebr aus Deine Reputation gegeben und nicht gelitten haben würdest, daß man Dich und den „Tater" allabendlich in der Schenke ans einmal in den Mund nimmt, wobei Du am schlechtesten sähest. Gerade als ob der Wilhelm noch bei dieser Wahl die Qual habe." Bierrehn Tage später erzählte man sich im Dorfe, daß Bernd BrunS nun doch Meinhardi'S Foelke heiratbe. Niemand wollte so reckt daran glauben. Bernd « Ruf war schwer ge schädigt und die Urtbeilc, welche nian über ihn fällte, verriethen keineswegs Schonung oder Zurückhaltung. Nicht minder ver- urtheilte man einen Vater, der sein einziges Kind einem Säufer gab. Foelke endlich? Sie wurde nicht etwa bemit leidet. Wer so ruhig und eben wie sie ihren Weg ging, kam schon durch die Welt. Sie hatte Wohl gedacht, daß sic mit einem „Reichen" besser fahren werde. Nun mochte sic Zusehen. Wilhelm Adams war einer der Letzten, welcher von der Verlobung Hörle. Die Leute batten immer gedacht» daß auS ibm und Foelke ein Paar werden würde, er hatte auch kein Hehl daraus gemacht, daß er sich um sie bewerbe. In der Schenke wurde das Neueste besprochen, da hörte er von der Verlobung. „Ich babe mir immer gedacht, daß Nffe AtjeS — Ohmke die Beiden zusammen bringen wurde. Er hat große Slückc auf den Bernd gehalten, und ich meine, es war nickt zum letzten die Schuld de« Vormundes, daß er so geworden ist. Dem haben die Prügel gefehlt — weiter nichts." So wurde gesprochen. „Was ist'S mit dem Bernd?" fragte eine müde Stimme hinter dem Tische hervor. „Nun, wegen seiner Verlobung mit Uffc AtjeS' Foelke", sagte der erste Sprecher. „Du — weißt'S nicht ?" „Oh, meinetwegen, wa« gebt « mich an?" sagte Wilhelm Adam« lachend. „Die kann freien, wen sie Lust hat." Niemand konnte sich bei diesen Worten etwas denken. Daß seine Stimme einen besonderen Klang hatte, fiel keinem der Gäste auf, ebensowenig, daß Wilhelm Adams bald darauf die Schenke verließ. Man sah ihn selten im WirthShause und niemals aus lange Zeit.' Wilhelm war auf die menschenleere Dorfgasse binauSgc- trcten. Vor dem WirthShause, mitten auf dem Fahrwege stand er still und athmetc ein paar mal tief auf. Ihm war eigen zu Mulhe, er wußte nicht wie. WaS er drinnen er fahren, beruhte gewiß auf Wahrheit, er zweifelte nicht einen Augenblick, aber — wie war da- gekommen? Otme daß Foelke eS ihm mit Worten gesagt, halte er doch gewußt, daß sie in ihm Denjenigen gesehen, der eine« Tage« an ihrer Seite den reichen Platz vcwirthschaftci» werde. Manche Aeußerung deutete daraus hin. Die Neuigkeit hatte Wilhelm furchtbar erregt. Wilhelm war gewiß nicht im Unrecht, wenn er sagte, daß ibm nicht» übrig bleiben werde, al« KnechtSdienste zu nehmen, wenn er nicht irgendwo einheirathen könne. Diese Thatsache war ihm so lange ein Hinderniß gewesen, seine Bewerbung um Foelke offen anzubringen, bi« eS nun zu spät geworden. Er batte nickt allein die Aussicht auf eine glänzende, sorgenfreie Zukunft verloren, sondern auch sie, für die er gern Knrcht«dieoste grthan haben würde. Und Wen sollte sie hcirathen? Bernd BrunS! Wilhelm konnte eS nicht fasten. Er war längere Zeit mit demselben in der Stadt gewesen und hatte sich mit Abscheu von dem wüsten Gesellen gewendet, der seine Nächte mit schlimmen Genoffen, die Tage in trägen, NichtStbun verbrachte! Und dieser sollte Foelke als sein Weib beiiiiführen. Weder ihr Vater, noch sie konnten sich einer Täuschung über seinen Charakter hingeben, sie ballen ihn von Jugend auf gekannt, und gelegentliche Aeußerungen Foelkc'S Wilhelm belehrt, wie sie über ibn dachte. Aber sie würde ihn heiratbcn, daS stand fest. Bei dem Gedanken überkain ibn ein Gefühl von Mattigkeit. Ihm war wie auf weitem Meer, ohne Ruder, ebne Steuer, ein Spiel der Wogen, die ihn an eine »nwirthbare Küste verschlagen würden. WaS blieb ihm übrig, als die Hände in den Schvß zu legen und sich treiben zu lassen? Nicht mit einem einzigen Gedanken erfaßte er die Mög lichkeit, Foelke zu warnen, sie zu retten, denn verloren war sie ebenso sicher, als zwischen ihm und ihr eine Kluft sich aufgethan, die nicht« mehr überbrückle. Sie war alt genug und hatte Verstand für zwei, ihr Verstand spielte in dieser Angelegenheit auch wohl den Rathgeber. Wilhelm kam in jener Nacht spät heim, aber Niemand merkte eS. Er war am folgenden Morgen, wie alle Tage, der erste an der Arbeit, die er nicht schlechter verrichtete. Vielleicht sprach er nicht so viel, aber wem konnte daS a»s- sallen? Diese Schweigsamkeit entsprang auch nicht etwa einer besonderen Verstimmung. Er hatte nur viel zu denken und mußte neue Pläne für die Zukunst machen. Er dachle daran, ob es nicht bester sei, daS Dorf zu verlassen und anderswo Arbeit sich zu suchen, aber er konnte um der Leute willen nicht geben und auck — um ihretwillen nicht. Vor läufig mußte Alles bleiben wie eS war. V. Foelkc'S Brautstand war ein kurzer. Bereits Anfang Deccmber wurde sic in der kleinen Dorskircke mit Bernd BrunS verbunden. Fußhoch lag der Schnee auf Wegen nnd Stegen, und noch immer schwebten die weißen Flocken lautlos von dem grauen, unfreundlichen Himmel nieder. Dabei war eS bitter kalt. Die« hinderte aber die Dorfbewohner nicht, der Feier beizuwobnen. Man mußte doch sehen, WaS Ussc AtjeS „seine" an batte. Viel gab eS da nun freilich nicht zu sehen. Foelke trug ein schwarze-, bi« hoch an den Hals hinaufreichendeS Kleid — wie da« üblich —, nicht einmal a»S Seidenstoff angcsertigt. Auch sonst war nichts Besondere« an ibr zu bemerken. Schmuck hatte sie nicht angelegt. Wer aber durch den Ausdruck ihre- Ge sichtes in ibrer Seele batte lesen wollen, mußte diese Absicht aufgcbc». Sic sab so eben und gleichmäßig au«, als ginge die ganze Feier sie nichts a». Daß ihre Gesichtsfarbe nicht so frisch war, wie man sie sonst bei ibr bemerkt, konnte Nie mandem ausfalle». Trotz der srübcn Nachmittagsstunte herrschte in der Kirckc Dämmerlicht. Ihr „Ja" aber klang fest, bei nahe bart, als wolle sie damit sagen, daß an ihrem Entschluß und Gelöbnis, nicht zu rütteln, noch zu rühren sei. Bernd BrunS sah seine Braut beinahe verwundert an. Bis zum Frühjahr blieb das junge Ehepaar im Mein- bardi'schcn Hause, so bemerkte man kaum, daß eine Ver änderung in demselben vorgegangcn war. Uffe AtjeS schien vollständig befriedigt. Er batte nickt iin Traum daran ge dacht, seinen Schwicgcrsobn so nachgiebig und fügsam zu finden» wie dieser sich zeigte. Freilich gab cS nicht viel Arbeit zur Winterszeit und Bernd hatte wenig mebr zu thu», als die Vichställe zu überwachen und allwöchentlich die Butler aus den Markt zu fahren, aber er zeigte sich hierbei sehr willfährig und kehrte auch stets zeitig und nüchtern aus der Stadt zurück. Zum April bezog Bernd mit seiner jungen Frau den eigenen Platz. Da gab es mehr Arbeit und — viel Aerger. Fremde batten kicr gebanst und wenig für eine geeignete Bc- wirtbschaftung des Bodens Sorge getragen. WaS konnte c- solche kümmern, wenn daö Land nicht die gewobnlc Ernte lieferte! Sie batten da« Obre beranSgczogen und dafür Pacht bezahlt. Nun mochte der Besitzer weiter sehen. Foelkc'S Arbeitskraft, ihre Ausdauer, ibr Fleiß fanden Ge legenheit, sich in ibrem vollen Wcrtb zu zeigen »nd nöthigte ihrem Gatten, wider Willen, Bewunderung ab. Anregend für ibn wirkten diese guten Eigenschaften nicht — eber verstimmend. Er fand den ganzen Tag Gelcgcnbeit z»m Nörgeln und zu mannichfachen Klagen über die Lässigkeit de« früheren Pächter«, der ibm unberechenbaren Schaden zugcsügt. „ES wird schon bester, Bernd, sie babcn nicht viel gehabt. Du weißt'« ja", cntgegnclc die junge Fra» regelmäßig. „In. einigen Iabrc» ist Alle« in Ordnung, wir sind, gott Lob, nicht allein darauf angewiesen." (Fortsetzung folgt.)