Suche löschen...
02-Abendausgabe Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 01.06.1893
- Titel
- 02-Abendausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1893-06-01
- Sprache
- Deutsch
- Vorlage
- SLUB Dresden
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-18930601021
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id453042023-1893060102
- OAI
- oai:de:slub-dresden:db:id-453042023-1893060102
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Saxonica
- Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
-
Zeitung
Leipziger Tageblatt und Anzeiger
-
Jahr
1893
-
Monat
1893-06
- Tag 1893-06-01
-
Monat
1893-06
-
Jahr
1893
- Links
- Downloads
- Einzelseite als Bild herunterladen (JPG)
-
Volltext Seite (XML)
V*-»ss'Vr-r» ! O b«e -»«ptexpeditto» oder den t» Sind». te»ikt ,»d de» Bororte» errichtete» «»«. «besttllea «bgeholt: vierteljährlich^14^ ki twrim-Iiger täglicher Zustellung in« Heu« » ückL Durch die Post bezogen für Ikui'chlaud und Oesterreich: viertel,ödrlich tz.-. Directe tägliche kreuzdanbienduug yls Ausland: uroaatlich ^l 7.öl). Die Morgeu.«u»gabe erscheint täglich'/,? Uh^ die Äbeud-Aurgad« Docheutag« b Uhr. Lr-aktioa und Lr-e-ition-. J«tzau,e»«sßr 8. Die Expedition ist Wochentag« ununterbroche» geSknet vo» früh 8 bi« «beud» 7 Uhr. /ilialeu: Ott, »le«m « e«rtt«. (Alfred Hahn). UuiversitätSstrab» 1, L-nt« Asche. llolharineustr. 14. Part, uud König-Platz 7. Abend-Ausgabe. rWigcr.LUtblatl Anzeiger. Organ für Politik, Localgeschichte, Handels- «nd Geschästsverkehr. «»zetg»«.Pret- dir kgespaltme Petitzeile 20 Pfg. Reklamen unter dem Redarlionsstrich <4go» spalten) üO^j, vor den Familiennachrichten (6 gespalten) 40-^. Größer» Schristen laut unlerem Prei«- vtrzeichniß. Tabellarischer »nd Ziffcrnsatz nach höherer» Tarif. Optra »Vkilagen (gefalzt), nur mit der Plorgea.Ausgabe. odne Postdeförderung 60 —, wlt Postbesorderung ^l 70.—. Ännahmeschluß für Anzeigen: Abend-Ausgabe: VorinittagS 10 Uhr. Morgen-Ausgabe: Nachmittags 4 Uhr. Eonn- und Festtag» früh ",9 Uhr. Bei den Filialen »nd Annabmestesteo ie riu» halbe Stunde früher. A«tti>e» fiod stet» an di« Expeditta« zu richte». Druck und Verlag vou E. Polz i» Leipzig. Z? 278. Donnerstag dm 1. Juni 1893. 87. Jahrgang. Politische Tagesschau. * Leipzig. 1. Juni. In den Wahlreden derjenigen Candidaten, die zwar eine .Verständigung" mit den verbündeten Regierungen über ! tie Militairvorlage anstreben zu wollen erklären, aber sich zur Genehmigung des Antrags Huene nicht verpflichten mögen, begegnet man regelmäßig der Behauptung, durch die Annahme dieses Antrages werde die Einführung der zwei jährigen Dienftzeit nicht gesetzlich sestgelegt. Diese Behauptung beruht auf einem Jrrthum; in dem Anträge Huene ist, wie der .Hamb. Corr." mit Recht betont» die gesetzliche zwei jährige Dienstzeit thatsächlich gefordert, denn er schreibt vor, daß .die Mannschaften der Cavallerie und der reitenden Feldartillcrie die ersten drei, alle übrigen Mannschaften die ersten zwei Jahre zum ununterbrochenen Dienst bei der Fahne verpflichtet" sind. Nach dem zweiten Jahre sind sie zu entlasten, und zwar nicht zur Dis position, sondern zur Reserve. Jeder Fußsoldat soll also ein gesetzliches Recht darauf haben, daß sein Dienst bei der Fahne »ach dem zweiten Jahre zu Ende sei, cS sei denn, daß in kritischen Zeiten zur nothwendigen Verstärkung deS FrietcnShecres das Verbleiben im activcn Dienste vom Kaiser besonders angeordnet werde. Dieser Vorbehalt ist selbst- rerständlich und gänzlich unangefochten. WaS die ver bündeten Regierungen zu gewähren sich entschieden geweigert haben, da- ist lediglich die Festlegung der zweijährigen Dienstzeit in der Verfassung und zwar deshalb, weil mit dieser Aushebung de» verfassungs mäßigen Grundsatzes der Gleichheit aller Deutschen in der Dienstpflicht die zweijährige Dienstzeit der Fußtruppen aus -unbeschränkte Dauer gewahrt werden würde, während der Reichstag in keiuer Weise gebunden wäre, die dafür gestellten Bedingungen — Vermehrung der FricdcnS- tormalionen und Erhöhung der Etatsstärken — nach Ablauf deS Gesetzes über die Frieden-Präsenzstärke wieder zu bewilligen. Im Antrag Huene ist die gesetz liche zweijährige Dienstzeit auf die Dauer des Gesetze-, also bis zum 3l. März 1899, be fristet, ebenso wie der Reichstag freie Hand hat» sich kann von Neuem über die Höhe der Frieden-Präsenz zu ent- ^ scheiden. Die Freisinnigen um Rickert und Hänel verlangten die rvrbehaltlose Gewährung der zweijährigen Dienstzeit aus unbeschränkte Dauer, sei es in Verfassung, sei e« im Gesetz. Aber selbst der Demokrat Lieber mußte da» Verlangen al« ganz unbillig bezeichnen, weil damit die verbündeten Regie rungen ein Zugeständniß für alle Zeiten machen würden, der Reichstag dagegen die Voraussetzungen, auf denen daS Zuge- sländniß beruht, nach 5'/, Jahren beliebig abändern oder ganz verweigern könnte. DaS geht offenbar nicht an. Man kann des halb noch keineswegs, wie eS geschehen ist, von Mißtrauen gegen tie Volksvertretung oder davon svrechen, daß die Regierung die abgekürzte Dienstzeit nicht ehrlich durchführen und viel leicht 1899 wieder rückgängig machen wolle. Wie unberechtigt ein solcher Argwohn ist, beweist die Erklärung des Reichs kanzler-, daß der Vorschlag de- Herrn v. Bennigsen, die zwei jährige Dienstzeit für so lange festzusetzen, als bis die neue Zahl für die Friedensstärke deS HcereS nicht vermindert werde, diScutabel sei. Nach dem Vorschläge Bennigsen'« wären ebenso wie im Antrag Huene Licht und Schatten gleich rertheilt; die zweijährige Dienstzeit bliebe gesetzlich auf un beschränkte Zeit bestehen so lange, als auch die Bedingungen, unter denen sie gewährt wurde, erfüllt blieben. In der Stellung, die der Reichskanzler hierzu eingenommen hat, liegt der vollziltige Beweis, den Prof. Hänel in einer Rede in Neumünster verlangt hat, daß nämlich .die Militairvorlage ausschließlich in einer streng sachlichen Prüfung zwingender politischer und militairischer Verhältnisse begründet und nirgends dazu bestimmt ist, den sich vordrängenden Interessen eine- rücksichtslosen Militarismus Vorspann zu leisten." Dir CentrumSpartet des preußischen Abgeordneten hauses bat gestern, wie wir Voraussagen zu dürfen glaubten, hei der Abstimmung über die Wahl- und die «Steuer reform wieder den Zug schroffer Opposition herauSgekrhrt, der die Partei in neuerer Zeit kennzeichnet. Der Ablehnung der Militairvorlage im Reichstage reihen sich diese Abstim mungen würdig an, zum Glück hatten sie aber keinen so vcrbangnißvollen Erfolg, indem eine ansehnliche conservativ- nationalliberale Majorität dem Ccntrum begreiflich machte, daß man auch ohne seine Hilfe, ander» wie im verflossenen Reichstage, positive Schöpfungen erzielen kann. ES handelte sich zunächst um das Wahlgesetz, aus welchem daS Herren haus die vom Centrum mit Hilfe der Conscrvativen hinein- gebrachte Mchtanrcchnung der Einkommen über 2000 .4k, leider auch die Zwölstclung entfernt hatte. Die erstere Be stimmung war lediglich darauf berechnet, die ultramontanen Landtagsmandate zu vermehren und in einer Reihe von westlichen Städten die Gemeindevertretung de», Ccntrum zu übcrantworten. Sehr charakteristisch für diese Partei, hat sic, nachdem die Machtfrage im ungünstigen Sinne für den UltramontaniSmuS entschieden war, gegen die Befreiung des Grundbesitzes und Gewerbe- von den sie belastenden spccicllcn StaatSsteuer» gestimmt. Die CentrumSpartei ist damit wieder in die Stellung eingcrückt, die sie am besten niemals verlassen hätte, in die Stellung einer zur Lösung großer staatlicher Ausgaben unbrauchbaren und unfähigen Partei. Hoffentlich bleiben die jüngsten Erfahrungen auch bei der Regierung und den Con- f'crvativen nicht verloren. Gesunde politische Zustände können erst zurllckkehren, wenn der UltramontaniSmuS vor aller Welt wieder dastcht, wie er ist: als ein allen großen nationalen und staatlichen Aufgaben gegenüber versagende« und verneinende» Element. Eine der merkwürdigsten und bewegtesten Sessionen de« ungarischen Reichstage- ist soeben zu Ende gegangen. Der Beginn der Session war gekennzeichnet durch eine CabinetSkrisiS, die weit mehr bedeutete als einen Wechsel in der Person des leitenden Staatsmannes. Graf Julius Szapary mußte nicht sowohl in Folge seine- Mißerfolge» in der Verwaltungsreform und in der Frage de- Honveddenk- malc» zurücktreten, al» vielmehr wegen der Unentschiedenheit seine- Wollen« und der Unentschlossenheit seine» Handeln». Der Streit über die Wegtausen, welchen der Klerus so muth- willig herausbrschworen, hatte eine mächtige Erregung io weite Kreise der Bevölkerung getragen, und die Förderung nach, einer grundsätzlichen Losung der kirchenpolitischen Fragen, denen Regierungen und EpiScopat Jahre hin durch vorsichtig au» dem Wege gegangen, wurde immer lauter und nachdrücklicher von allen liberalen Elementen erhoben. DaS kirchcnpolitische Programm war die Grundlage, auf welcher daS neue Cabcnet sich constituirte, und darum mußten au« demselben die Elemente abgestoßcn werden, welche nicht geneigt waren, sich entschieden aus die Basis der liberalen Reform zu stellen. DaS Cabinet Wekerle, welches daS Ministerium Szapary ablöste, wurde mit den schwärzesten Voraussagen empfangen. Man prophe zeite, daß cS die Session nicht zu Ende leben werde; man stellte eine Spaltung in der liberalen Partei, die Sprengung der Majorität in Aussicht; man behauptete, da« Cabinet werde nie die Ermächtigung der Krone zur Einbringung seiner kirchenpolitischen Vorlagen erhalten, und so oft Minister-Präsident Wekerle oder einer seiner College» von einer Reise nach Wien zurückkehrte, verkündeten die von der klerikalen Magnaten-Opposition inspirirten Blätter, die Re gierung habe sich eine neue Niederlage geholt. Wie sind nun diese Prophezeiungen in Erfüllung gegangen? Die liberale Partei ist zur Stunde nicht gesprengt und nicht gespalten, sie bildet eine feste, compacte Mafvrität, auf die sich die Regierung stützen kann, und die Versuche, Zwiespalt in die Partei zu tragen, haben mit der energischen Hinausweisung der ange stifteten Anstifter geendet. Gespalten aber sind die oppositionellen Fraktionen. Da» Cabinet Wekerle hat dieReichStagSsession über dauert und eS steht an ihrem Schlüsse gefesteter und kräftiger da, als selbst seine Freunde vor einem halben Jabre zu hoffen gewagt hatten. Nun liegt vor idm eine viermonatige Ruhepause, in welcher sein Bestand nickt in Frage ge stellt werden kann. Die Schwierigkeiten sind freilich damit nickt beseitigt; die Herbstsession bedeutet für die derzeitige Regierung ÜngarnS eine kritische Periode, denn im Herb)!, spätesten» im nächsten Winter, muß die Entscheidung fallen über die kirckenpolitischcn Vorlagen. Möglicherweise kann alsdann daS Cabinet Wekerle noch unterliegen, nimmermehr aber werden in Ungarn die liberalen Ideen unterliegen, die eS proclamirt und die eS zu verwirlichen unternommen hat. Mit frischer Kraft hat die Opposition im englischen Unterbaust nach den Pfingstserien den Kampf gegen Home-Rule wieder ausgenommen, und so gab cs denn bei der Clausel 3 eine scharfe Auseinandersetzung, in deren Ver lauf Gladstone endlich die lange erwartete Auskunft über die künftige Stellung der irischen Vertreter zum Reich-Parlament crthcilte. Bisher hatte Gladstone eS vermieden, sich darüber au-zusprcchen, ob er an der ursprüng lichen Bestimmung, daß Irland durch 80 Abgeordnete im Reichsparlament vertreten sein solle, scsthalte, oder ob er, wie allgemein behauptet wurde, dem Drängen der Nationalisten aus Beibehaltung aller 103 Iren im Hause der Gemeinen nachgcben wolle. Vorgestern (am 30. Mai) hat er aus eine Frage Balsour'S geantwortet, daß die Zahl der irischen Mitglieder de- Reich-Parlaments nicht verringert werden solle, und eS ist verständlich, daß Baisour diese Erklärung mit Genugthuung begrüßte und als die deutlichste Aenherung, welche die Regierung bisher über die Vorlage abgegeben habe, bezeichnet«. Bei der kurz darauf vorgenommencn Abstimmung über den Antrag Wolmer auf Einschränkung der Befugnisse der irischen gesetzgebenden Körperschaft sank die RegierungSmehr heit, die bisher stet- mebr als >0 Stimmen betragen batte, aus 21 Stimmen herab. Man darf hierin wohl eine Wirkung der Erklärung Gladstone'S erblicken, da bekanntermaßen ein Thcil der Liberalen an der Zulassung irischer Vertreter zum Reichs parlaincnt überhaupt, ein anderer an der Beibehaltung der bisherigen, den BevölkerungSverbältnissen nicht angcmcsiencn Bertreterzahl Anstoß nimmt. Die Erläuterung, welche die „Daily NcwS" für den jähen Rückgang der Regierungsmehr heit in Umlauf setzen, klingt wenig überzeugend. Tie Libe ralen Laben im ganzen Verlaufe der Homerule-Erörlcruug eine straffe Parteizucht geoffcnbart und sich stet« weit voll zähliger im Hause ringefunden, als die Opposition; cS wäre ein cigenthümlichcr Zufall, wenn gerade am 30. Mai ein Ungefähr, wie da» von den „Daily News" angegebene, die Reihen der Liberalen so stark gelichtet hätte. Bei der letzten Abstimmung vor den Psingstfcrien standen 287 Liberale gegen 225 Unionlsten, jetzt 259 gegen 238, nachdem bei der Ab stimmung über den Antrag Naylor'S 273 liberale Stimmen gegen 210 unionistische abgegeben worden waren; die volle Stärke der Parteien ist gegenwärtig 356 gegen 3l4. Bor einigen Tagen hat die brtttsch-aftafrtkantsche Gesell schaft ihre dritte Jahresversammlung abgcbalten. Schon vorher gingen in der englischen Presse Nachrichten um, daß die materielle Lage der Gesellschaft bockst ungünstig sei. So führte die conservative „St. JameS-Gazette" au«: In Zan zibar habe der britische Handel durch die Ucbernabmc deS ProtectoratS gar nichts gewonnen (?). Strategische Be deutung habe die Insel nicht, und auch die ostasrikaniscke Gesellschaft habe durch daS Tauschgeschäft nichts gewonnen. Sic könne mit ihrem Gebiete nicht« beginnen. Gold, wie im Maschona-Landc, sei nicht vorhanden, und um Concessionen bewerbe sich Niemand, da daS Vertrauen geschwunden sei. Die Gesellschaft könne sich nur an das Mitleid der Regierung wenden und den Klageruf auSstoßcn, daß, wenn sie keine Unterstützung erhalte, sie daS Territorium räumen müsse. Die Ostasrika-Compagnie habe weiter nichts gclhan, als Geld zu verlieren und England in Bezug auf Uganda in eine Fsurllatsi». Offene Pforten. 1f Roman von B. W. Howardt. Slachtril« rirbolc». Erste» Capitel. „DaS willst Du werde», wenn Du erwachsen bist?" So und ähnlich lauteten die Fragen, welche die Gaste der Gräfin KronselS an deren hübschen kleinen Sohn Hugo j. richteten, wenn der Knabe im Salon der Mama umhertollte und sich zahllose Stückchen Zucker für seinen sehr verdünnten Th« erbat, und die unweigerliche Antwort Hugo'» auf diese Frage war: .König will ich werden!" Dabei richtete sich der vierjährige KnirpS hoch auf, schaute den Frager ernsthaft an und wiederholte dann seine Bitte um ein Stückchen Zucker. Offenbar war ihm für den Augen blick der Zucker wichtiger — später konnte er ja immer noch König werden. Aber da» Schicksal durchkreuzte diese Pläne, wie so manche andere, und im Verlauf der Jahre brachte e« Hugo zu einem Kraukrnsahrseffel al» Thron — eioe Krücke war sein Scepter und seine Krone war der Schmerz. Freilich war ibm vorher eine kurze RegierungSzrit in Glanz und Glück, in Freude und Uebermuth beschieden gewesen; als Erbe eine« alten Namen» und großen Besitze» ward er von der Welt vergöttert uud außerdem war er jung, schön, gesund »nd mit überlegenem Geiste begabt. Und daun kam «in herrlicher Herbstabend» au welchem vier Männer mit schreckensbleichen Gesichtern und schwerem Schritt den bewußtlosen Körper de» >ungea Erben an der Gruppe der entsetzten Dienerschaft vorbei durch die große Halle in sein Schlafzimmer trugen. Wochenlang schwebte Hugo zwischen Tod und Leben, und al- die weisen Aerzte ihn endlich für „gerettet" erklärten, da bedeutete dir« soviel» daß tie gebrochenen Glieder nothdürstig zusammengeflickt worden, daß die häßliche Kopfwunde langsam heilte, daß aber die schwerverletzte Rückeuwirbelsäule trotz aller Anstrengung der berühmtesten Specialisten halsstarrig blieb, und so ward au« dem kräftigen, lebensprühenden Jüngling ein Krüppel aus Lebenszeit. Sech« Monate hatte Hugo im Krankenzimmer verbracht, al» ihn plötzlich die Sehnsucht nach dem Frühling Lbcrkam. So trugen ihn denn die Diener vorsichtig hinaus in den Garten in Pelze und Decken gehüllt. Blaß, matt uno regungslos lag er mit geschlossenen Augen in seinem Fahrstuhl, die LenzeSsonn« schien warm hernieder auf den Kranken, und jetzt sagte dieser müde zu seinem Diener: „Du kannst gehen, LipS." LipS rückte und zupfte an den Decken, er ging aber nicht, sondern blieb neben dem Schmerzenslager seine- Herrn stehen, wie ein treuer Hund den Grafen anblickend. „Hast Du mich nicht verstanden, Lip»? Du kannst gehen", wiederholte der Kranke ungeduldig. LipS schob den Fahrstuhl noch mehr an die Sonor und blieb. „Herr Gott, Kerl", rief der Graf heftig, „so gehe doch endlich und laß mich allein. Seit sechs Monaten haoe ich stet« und ständig Dein Gesicht um mich gesehen — ich hab - wahrhaftig satt! Wie — bist Du noch immer da? Du gönnst mir wohl absolut kein Vergnügen und keine Abwechselung?" schloß er bitter. Der heftige AnSbruch schien Lip« höchlich zu befriedigen. „Der Herr Graf sahen so blaß au« und hatten die Augen geschlossen", bemerkte er. sich entschuldigend. „Ah — und da fürchtetest Du am Ende, e« könne mir gehen wie den Schneeglöckchen dort, di« der Frost absterben ließ?" Lip» grinste und nickte. „LipS — Du bist ein Esel", sagte Gras Hugo leise und freuudlich, während er den Blick ernst auf dm Diener heftete. „Ja. Herr Grast', bestätigte Lip« vergnügt. »Leider habe ich keine solche Aussicht, wie die Schneeglöckchen! Und nun trolle Dich, Lip«! Du wirst mich, wenn Du nach Verlauf einer Stunde wiederkommst, genau so wiederfinden, wie Du mich jetzt verläßt, r« stiehlt mich Seiner! Na, Lip«, wird'« bald, oder soll ich erst fluchen? Schau mich nicht so starr an, Mensch, ich weiß recht wohl, wa« Du denkst!" Schuldbewußt senkte LipS die Augen. „Also wirklich «rrathen, he! Tu fürchtest gewiß, ich hätte Arsenik in der Tasche, oder ich trüge einen Dolch in de» tragischen Falten meines HauSrockS? Vielleicht könnte ich auch meine Krücke verschlucken, uni mich zu ersticken, cS kommt Alle« auf eins heraus! Meinst Du, ich wüßte nicht, daß Du meine Pistolen, die stets über meinem Bette hingen, entfernt hast?" „Ich — ich glaubte, der Herr Graf würde sie einstweilen doch nicht gebrauchen", stotterte LipS verwirrt. „Ganz recht, aber trotzdem wirst Du jetzt in-Hau» gehen und die Pistolen wieder an Ort und Stelle hängen, LipS; nein, fürchte nichts. Du sollst eS nicht zu bereuen haben, braver Bursche." „So will ich den Herrn Grasen allein lassen." „Schön, wenn ich Deiner bedarf, pfeife ich. Die Pfeife hängt hier, e« ist alle» in Ordnung." Der Gras schloß die Augen; LipS heftete einen langen Blick auf die in den Kiffen ruhende Gestalt und entfernte sich zögernd. Jetzt lag die regungslose Gestalt allein unter der lachenden Frühlingssonne, und während Gras Hugo'S Augen geschlossen waren, arbeitete sein Gehirn unablässig und qualvoll. Wie stand doch die blühende, erwachende Natur in grellem Gegensatz zu seinem Dasein! Die knospenden Bäume und Sträucher, das zarte Grün der Rasenfläche, der rasche Flügelschlag der Schwalben — athmete Frühling-- und Zukunft-Hoffnung, und leise stöhnend preßte der Hoffnungslose die Hand aufs °"k.. icht allzu weit vom Garten der Villa entfernt führte die Landstraße vorüber; ab und zu vernahm man Räderrollcn und Wagengerasiel — dazwischen klang von den benachbarten Weinbergen da« Geräusch der Arbeiter, welche gruben und hackten und dabei lustig plauderten — eS war ein undesinir- bare« Gemisch von Lauten und Klängen, der PulSschlag de« Lebens, welche« ruhelos weiter hastete! Drunten im Thal lag die Stadt mit ihrem rastlosen Getriebe, ihren hohen Schloten und den gleich ausgeschcuchten Bienen dahineilenden Menschen, während sich hinter drin Garten der Villa «ine sanftgeschwuogcne Hügelkette mit schwierige Lage zu bringen. In der Jahresversammlung bob der Vorsitzende bcrvor, die Gesellschaft habe in den fünf Jabren ihres Bestehens niebr Sclaven befreit, als die Re gierung in zwanzig Jahren; deshalb schlage die Gesellschaft vor, ein gewisser Procentsatz der jährlich vom Parlament zur Sclavcnbcfreiung bewilligten Summe solle dazu verwandt werden, 3 Procent Dividende zu garantircn sür daS Capital. daS für die zu bauende Eisenbahn von der Küste nach Kikuyu verausgabt werde. Dieselbe sei sür eine Million Pfund her- zusteUcn und der bcstcFactor terCivilisation inOst-Ccntralafrika. Von 520 «n>0 PfundArtienrapital seien bisher nur372000Pf»nd gezahlt. Die gegcnwärligeLage erheische unverzüglich weitere Ein zahlungen. Bezüglich Ugandas stellte die Gesellschaft der Regierung drei Aternativcn: 1) falls Uganda von der Regie rung ausgegebcii werde, könne die Gesellschaft anderweitig unterhandeln: 2) falls eine Vereinigung Uganda» mit dem Protertorat Zanzibar zu Stande käme, solle die Gesellschaft entschädigt werden: 3) falls die Regierung verzöge, durch die bestehende Gesellschaft da« Werk der Civilisation fortzusetzen, solle eS dieser unter den veränderten Umständen frcistchen, die Einkünfte au« diesem Gebiete zur Administration desselben zu verwenden. — Nach den neuesten telegraphischen Nachrich ten aus Zanzibar Kat die britisch-ostasrikanischc Gesellschaft Uganda geräumt und bat die englische Regierung daS britische Protektorat über diese« Land durch den General- consul Sir Gerald Portal verkünden lassen. Auf der Durchreise von Sebastopol »ach Moskau bat Kaiser AlrranSer III. auf der Station Borki angebaltcu, um in der Kirche, welche an der Stelle der bekannten Eisen bahn Katastrophe errichtet worden ist, ein Gebet zu verrichten. Der Zar wurde dort vom Erzbischöfe von Charkow, Am brosius, empfangen, der an den Kaiser folgende stark politisch gefärbte Ansprache kielt: „Allererhcibensler Herr! Die glühende Liebe Deines BolkeS zu' Dir ist aNeiiUialben bekannt; diese Liebe lodert jedoch mit beson derer Kraft empor, wenn inan an Deiner und Deiner erhabene» Familie wunderbare Errettung aus Todesgefahr denkt. Hier hat Gott der Herr der ganzen Welt bedeutet, daß Tu von ihm auserkoren worden bist, um in unseren schweren Zeiten die Sicherheit Deine« Volke- und die Segnungen der orthodoxen Kirche zu schützen und zu sasirme». Rings um Dich werden Kaiser und Herrscher verlegen, Nationen und Volker schüchtern, die ganze Welt geräth in Erregung, aber Deine Hand, die das Steuer Deine« großen Schisses - Deines Reiches — fest senkt, sie zittert nicht. Zehn Jahre strahlt mit immer hellerem Glanze die heilige Krone aus Deinem Haupte, uud wir flehen zu Gott, er möge Dir noch viele, viele Jahre schenken." Ucber die Antwort de- Zaren aus diese Anrede liegt keine Meldung vor. Wahrscheinlich wird auch keine erfolgen. Aber gerade dann gilt das alte Wort, daß keine Antwort auch eine Antwort ist. Die Sknpschtinawablcn in Serbien sind ruhig ver laufen. Es wurden 115 Radicale und 8 Fortschrittler ge wählt und nur aus elf Wahlbezirken sieben die Wahl ergebnisse noch aus. DaS Bild, das die Skupschtina in ihrer neuen Zusammensetzung darbietct, steht jetzt also schon fest: die Radicale» verfügen über eine erdrückende Mehrheit. Bei den letzten Skupschlinawahlcn hatten die Liberalen zufolge ungeheuerlicher Wahlbeciiislussungcn noch 63 Mandate erlangt, die jetzt ihrer weitaus größten Mehrzahl nach de» Radicale» ,»gefallen sind, so daß diese viel stärker in der Skupschtina er scheinen werden, als sie vor Jakr »nd Tag gewesen sind. Wenn somit auch die überwiegende Mehrheit der Bevölkerung auf Seiten der radicale» Partei steht, so darf doch nicht übersehen werten, daß sich innerhalb der Partei eine leise Wandlung vollzogen hat. Durch die Bildung de« gegenwärtigen Ministeriums Do kitsch sind die gemäßigteren Elemente mehr in den Vordergrund getreten, wenn sie auch »och nicht so übcrwicgen, daß die Anhänger eines Dokitsch und Milo- sawljcwitsch die Mehrheit der radikalen Mandate an sich gebracht haben werden. Noch haben Paschitsch, Tauschano witsch, Taisitsch und Genossen das Heft in der Hand und sie waldbckröntcin Gipfel hinzog und in nebelnder Ferne ver schwand. Am Ende der breiten Villenstraße ward an einem Neubau gearbeitet; der Kranke vernahm da« Pochen ecr Hämmer, das Scharren der Maurerkellen, das Splittern der Balken und das Knirschen der Sägen; dumpf und mlirmelnd schlugen die Stimmen der Handwerker an sein Obr »nd der gleichmäßige PulSschlag deS Lebens verursachte dein Krüppel einen bohrenden Schmerz — für ihn gab eS keine Thäligkcit mehr! „O, daß ich doch auch geistig zum Krüppel geworden wäre", ächzte er leise, daß ich nicht mehr Horen und sehen und fühlen könnte!" Jetzt klang Hufschlag aus der Landstraße, und wie eine Vision flog ein Reiter, dessen hellblaue Uniform mit den weißen Schnüren im Sonnenschein leuchtete, am Gartengitter vorüber. Ter Krüppel zuckle zusammen, und die bleichen Lippen flüsterten: „So war auch ich dereinst — so srob, so kräftig, so lebens lustig! Und nun bin ich mit 27 Jahren todt, oder schlimmer als todt! Gut, daß mich die alte» Philosophen nickt sehen — sic würden mich unfehlbar verleugnen, wenn ich's ver suchen wollte, mich in ihre Zunft zu drängen! Ha — wie würde Seneca meiner spotten! — Aber Geduld — mit der Zeit erreiche ich'S doch »och! Es wäre zu viel verlangt von einem Icicktberzigen, bohlköpsigen Dragonerofsicicr gleich mir, wenn er, nachdem er beim Rennen in einen Graben gestürzt, sich als woblqualisicirter Schüler der Stoa erbeben sollte!" Ein mattes, satirische« Lächeln begleitete diese Reflexion, und »ach kurzer Pause fetzte Gras Hugo seine Betrachtungen fort. „Gottlob — eS gicbt ja mindestens ein Dutzend Wege au- diesem Leben! Im Lause de- Winters batte ich Zeit, dieselben sämmtlich Revue passire» zu lassen, »nd der arme brave LipS glaubt jeder Möglichkeit vorgcbcugl z» haben, indem er meine Pistolen entfernte! Ha! ba! ha! Na, für- Erste habe ich ihn beruhigt! Seltsam, der Bursche ist sozu sagen beschränkt, »nd doch liest er in mir, wie in einem offenen Buche — er hat mich lieb, und so darf ick ilm nickt er schrecken — wenigstens fürs Erste nicht! — Ueberbaupt — je weniger Geräusch mein Austritt ans dem Leben verursacht,
- Aktuelle Seite (TXT)
- METS Datei (XML)
- IIIF Manifest (JSON)
Erste Seite
10 Seiten zurück
Vorherige Seite