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Gröbere Schriften laut unserem Preis» verzeichntß. Tabellarischer und Zifferniatz nach höherem Tarif. Extra-Veilagen (gefalzt), nur mit der Morgen-Ausgabe, ohne Postbriörderung X 60.-, mit Postbesördrrung 70- Ännahmeschluß für Anzeigen: Ab end-Ausgabe: Vormittags 10 Ubr. Morgen-Ausgabe: Nachmittags 4Uhr. Bei den Filialen und Annahmestellen je eine halbe Stunde früher. Anzeigen sind stets an die Expedition zu richten. Druck und Verlag von E. Polz in Leipzig ^2141. Mittwoch den 18. März 1896. SV. Jahrgang. Erklärungen des Herrn vr. Peters. * ES war zu erwarten, daß Herr vr. PeterS sich nicht damit begnügen würde, auf die im Reichstage gegen ibn er hobenen Beschuldigungen mit dem an den Grafen Arnim gerichteten und von diesem verlesenen Briefe zu antworten. Er veröffentlicht auch im „Kl. Journ." und in den „Berl. Pol. Nachr." Erklärungen, die jenen Beschuldigungen den Boden entziehen sollen. Der ersteren Erklärung, die sich im Wesentlichen mit dem an den Grafen Arnim gerichteten Briefe deckt, entnehmen wir daS Folgende: „Die Anklage gegen mich ist in Folgendem zusammenzusassen: Ich hätte am Kilimandscharo meinen Boy mit meiner Concubine abgefaßt und darum Beide aus Eifersucht aufknüpfen lassen und dies dem Bischof Tucker gewissermaßen zugestanden, indem ich ihm geschrieben, ich sei mit dem Weibe nach mohamedanischem Rechte verheirathet gewesen, hätte also nach dem Alkoran das Recht gehabt, es zu tödton. . . Die ganze Anklage von Anfang bis zu Ende beruht auf Erfindung. Im Juli 1891 traf ich am Kili mandscharo ein, an der Spitze einer militairischen Expedition, mit dem Befehle, daS Gebiet dem deutschen Verwaltungs-Bezirke anzugliedern. Meine Unternehmung war als Expedition formell aufgesaßt. Ich hatte demnach die Gerichtsbarkeit auch über Leben und Tod. Ich gründete eine Station in Marangu, im Osten des Stammes Warembu, der mir gleich in den ersten Tagen meiner Ankunft den Krieg erklärte und auch Leute meiner Truppe tödtete. Am 2. September griff ich den Stamm mit 40 Mann an, verlor davon 13 Mann und einen Weißen von meiner Mannschaft, blieb aber schließlich Sieger. Meine Station war im Entstehen begriffen. Da der Krieg mit Warembu nicht zu Ende war, wurde Kriegsrecht auf der Station erklärt. Etwa um den 10. September 1891 wurde in da» Meßzimmer der Ossiciere meiner Station ein gewaltsamer Einbruch verübt. Augenscheinlich handelte es sich darum, in das hinter dem Meßzimmer gelegene Vorraths- Magazin zu dringen, wo zwei Mädchen, die aber nicht mir gehörten, schliefen. Ich ließ in der Nacht, als ich den Einbruch bemerkte, die Station alarmiren, rief meine Leute zusammen und fragte, wer den Einbruch verübt habe. Ich erklärte gleichzeitig, daß der Schuldige, falls er sich selbst melde, mit einer milden Strafe davon kommen solle, melde er sich nicht, werde aber des Einbruchs überführt, so würde er nach Kriegsrecht verurtheilt werden. Ich hatte einen Manyan Namens Marbruk in meinen Diensten, der mein volles Vertrauen genoß. Dieser suchte den ganzen September hindurch meinen Verdacht bezüglich des Einbruchs bald aus diesen, bald auf jenen Angehörigen meiner Mannschaft zu lenken. Die Leute wurden ver nommen, eine Schuld war nicht festzustellen. Anfangs October 1891 faßte ich Marbruk bei einem schweren, äußerst verschmitzt durchgeführten Diebstahl ab. Aus der Schlauheit, mit der dieser Diebstahl vollzogen war, kam mir der Verdacht, daß Marbruk auch Len Einbruch in das Meßzimmer verübt haben könne. Ich nahm ihn in Untersuchungshaft. Ende October wurde er endlich dieses Verbrechen» überführt, und er gestand auch. Das Mädchen, das verdächtig war, mit ihm gleichzeitig den Einbruch verübt zu haben, entließ ich ungestraft zu ihren Eltern. Zu Beginn des Octobers 189l war die Nachricht von der Niederlage Zelefski's am Uhehe zu uns gedrungen, und die Lage der Station war insofern eine prekäre, als der größere Theil meiner Truppen an die Küste berusen war und zudem die umliegenden Stämme rebellische Neigungen zeigten. Ich stand damals mit 3 Weißen und 135 Mann Soldaten am Kitt- mandicharo innerhalb einer Bevölkerung von 125000 zum Theile rebellischen Eingeborenen. Die Sicherheit der Station sowie das Leben meiner Weißen und meiner Mannschaft beruhten in erster Linie auf der Furcht, die meiner Person gezollt wurde. Der Ein bruch Marbruk's hatte großes Aufsehen erregt, ebenso wurde die sich daran schließende Untersuchung von den Eingeborenen mit großer Spannung verfolgt. Wenn ich einen derartigen Einbruch in das Wohngebäude der Europäer nicht rigoros bestraft hätte, zumal da ich im September erklärt hatte, ich würde für den Fall, Laß fick der Schuldige nicht meldet, nach Kriegsrecht vorgehen, so hätte mick ein Kriegsgericht, bestehend aus dem Frriherrn v. Pech- mann, Herrn Janke und mir, dazu gezwungen. Dieses Kriegs- gerietst verurtheilte einstimmig Marbruk wegen groben Ein bruchs, Diebstahls und schweren Dertrauensbruchs zum Tode. Dies ist der eine Fall. Auf der Station lebte seit Ende August 1891 eine Eingeborene, welche dort von uns geduldet wurde, aus dem Lande Marealis. Ihr persönlicher Lebenswandel war, den Gebräuchen der Ein geborenen gemäß, ein lockerer. Ende November kam die Person in den Verdacht, hochverrätherische Umtriebe mit den Leuten deS uns feindlichen Sultans Malamia zu treiben. Als der Verdacht laut wurde, entfloh sie. Tags darauf insultirte Malamia die deutsche Flagge und kündigte uns den Gehorsam, „weil die Niederlage Zelefski's bewiesen habe, daß die Deutschen Weiber seien". Ick war gezwungen, Malamia mit Gewalt zu unterwerfen. Darauf lieferten seine Leute, die sich mir unterwarfen, das flüchtige Weib aus. Ich stellte ein Verhör an und conslatirte, daß dieses Weib den Plan gehabt habe, den Feinden gegen die deutsche Herrschaft Nachts die Station zu öffnen und uns ihnen zu überliefern. Ich verurtheilte das Weib statt zum Tode nur zu sechs Monaten Kettenhast. Auf der Station, in der ich damals nur 27 Mann Soldaten hatte, befand sich eine größere Anzahl von Kettengesangenen. Diesen wurde wöchentlich zweimal — Montag und Mittwoch — verlesen, daß ein Kettengefangener, der einen Fluchtversuch macht, sein Leben ver wirkt habe. Ende Februar 1892 entlief Abends 6 Uhr das be treffende Weib aus dem Gefängnisse unter Mitnahme der Kette. Nach zwei Stunden wurde es wieder eingebracht und gemäß den Regeln auf unserer Station wurde ein Kriegsgericht, wieder aus Freihcrrn v. Pechmann, Herrn Janke und mir bestehend, ein gesetzt, welches dieses Weib einstimmig zum Tode verurtheilte. Diese Strenge war geboten, weil ein Unterlassen der Ausführung eines in aller Form kundgethanen Erlasses das Prestige und damit die Herrschaft der Weißen in Frage gestellt haben würde. Das sind die beiden Hinrichtungen, welche unter meiner Herrschaft auf der Kilimandscharo-Station vollzogen worden sind. Beide Fälle stehen nicht im geringsten Zusammenhänge miteinander. Nur durch ver leumderische Entstellung konnte die Fabel entstehen, welche Bebel im Reichstage vorbrachte, wonach ich meinen Boy und meine Con- cubiue, weil sie Ehebruch getrieben, hingerichtet hätte. Aus dieser Darstellung schon, die absolut authentisch ist und die ich eidlich bekräftigen kann, die auch durch Zeugen erwiesen ist, geht hervor, daß ich niemals an den Bischof Tucker das ge- schrieben haben kann, was man mir in die Schuhe schieben will, nämlich ich Hütte mich bei dem Genannten damit entschuldigt, daß ich nach mohamedanischem Rechte mit dem Weibe verheirathet gewesen und infolge dessen nach dem Alkoran befugt gewesen sei, dasselbe wegen Ehebruchs hinznrichten. In der Anklage wird ge sagt, ich hätte Bischof Tucker in Mufchi besuchen wollen, er habe aber meinen Besuch abgelehnt und darauf hätte ich jenen Ent schuldigungsbrief an ihn geschrieben. Nun ist Bischof Tucker während meiner Anwesenheit in der Kilimandscharo-Station niemals in Muschi gewesen, sondern er residirte in Zanzibar. Ich bin über- zeugt, Laß Bischof Tucker Gentleman genug ist, um mich auch seiner seits von einer so albernen Anklage zu entlasten. Jedenfalls habe ich einen derartigen Brief niemals an ihn oder an einen seiner College» geschrieben." Die zweite Erklärung in den „Berl. Polit. Nachr." ent hält den Wortlaut deS einzigen Briefes, den Herr vr. Peters an einen englischen Missionair über die Kilimandscharo- Angelegenheit geschrieben zu haben behauptet, und die Ge schichte dieses Briefes. Darüber wird gesagt: Um den 1. Februar — nicht Ende Februar — verließ Vr. Peters mit Freiherrn von Pechinann die Kilimandscharostation, um als Grenzcommissar für die Verhandlungen mit England an die Küste zu marschiren. Um den 20. Februar traf er in Tanga ein, wo er vom Gouverneur von Soden erwartet wurde. Gegen Ende Februar begab sich Peters mit seinem Stab nach Wanga, wo Consul Smith, fein englischer College, bereits anwesend war Bis gegen Ende März arbeiteten die beiden Herren an der Grenzregulirung am Umba-Fluß; am 19. März richteten sie gemeinschaftlich ein Gesuch an ihre beiderseitigen Regierungen mit der Bitte, wegen der heran nahenden Regenzeit die Arbeiten unterbrechen zu dürfen. Gegen Ende März traf bei vr. Peters die Bewilligung des erbetenen Ur- laubs ein; er marschirte durch das Digoland zunächst auf die Plantage Lewa zu, von wo er sich nach Zanzibar einschiffen wollte. Aus diesem Marsche lagerte er am 2. April gegenüber der engli schen Missionsstation Misojwe, mit welcher er in keinerlei Beziehung trat. Von seinem Lager aus schickte er am Abend einen An- melde-Brief für die Plantage Lewa auf die englische Missionsstation von Magila, welche einen kurzen Tagemarsch von obiger entfernt liegt, mit — wie das in Afrika üblich — dem Ersuchen, den Brief auf seine Rechnung nach Lewa befördern zn wollen. Seinem Ersuchen fügte er die Worte hinzu: „Ich hoffe, Sie morgen zu sehen." Am Morgen des 3. April vor Ausmarsch aus seinem Lager erhielt Vr. Peters darauf einen Brief vom Missionsvocsteher von Magila, in welchem ihm mitgelheilt wurde, der Brief nach Lewa sei be fördert, und in dem hinzugefügt war, man würde sich in Magila sehr gefreut haben, den berühmten Forscher zu Gaste einzuladrn; nun aber seien traurige Nachrichten vom Kilimandscharo gekommen, nämlich daß er dort seinen Diener und seine Geliebte aus Eifersucht habe hänge» lassen. Dies habe der Missionsvorsteher an den kaiserl. Gouverneur in Dar-es-Solaam weiter berichtet: es werde für ihn eine große Erleichterung sein, wenn sich diese Gerüchte als unwahr Herausstellen würden; aber leider könne er bis dahin Vr. PeterS nicht einladen, in der Missionsstation abzusteigen. Darauf mar schirte vr. Peters am 3. April 1892 nach Magila und lagerte etwa eine Viertelstünde von der Mijsionsstation entfernt aus einem Hügel. Um Mittag schickte er den nachfolgenden Brief auf die Mijsionsstation: „Llaxila, 3. ^pril 1892. 8ir, I bep; to aclcnovicckxo vour vssterüa^ Isttsr. rexaräinp; its couteuts it is ok courss guits out ok guestion kor ms to enter iuto cletniv vvitb zcou; but ns z?ou it voukck do such a tzrcut reliek to >ou ik it coulck be proveck uutrue, I am xluck to gflvo you tkis reliek. Vour reports bave beeu utteri^ misrepresenteck; tbero ba8 never beeu »enteuceck to ckcutb a man or a vvoman at kbe LilimLNii.jaro-8tatic>ll kor aäultr^ b^ me. Dhero is auotber Utile midtalcs in z'our lotter wtstob I dex to notice. Von vrito l Karl proposeck z-esteräaz' cominx to zcour 8tation; as kar as I reiuember I liave oulze saicl l boxe to see ^ou to ckn^. It is not alto-xetUor wv custom to propose visitin^ peoplo vlrom I <lc> not knorv at all. I bave tüe bonour 8ir xours trulzr Larl vetsr»." („Mein Herr: Ich gestatte mir Ihren gestrigen Brief zu bestätigen. Was seinen Inhalt anbetrifft, so ist es natürlich für mich ganz außer Frage, mich mit Ihnen darüber in Details einzulassen; aber da Sie jagen, es würde für Sie eine große Erleichterung sein, wenn derselbe als unwahr nachgewiesen werden könnte, so freue ich mich, Ihnen diese Erleichterung zu geben. Ihre Berichte sind vollständig entstellt; es ist niemals ein Mann oder ein Weib auf der Kili- mandscharo-Station wegen Ehebruchs durch mich zum Tode ver urtheilt. Es ist ein anderes kleines Mißverständniß in Ihrem Brief, welches ich zur Kenntniß zu nehmen bitte. Sie schreiben, ich hätte gestern vorgeschlagen, nach Ihrer Station zu kommen. So weit ich mich erinnere, habe ich nur gesagt, ich hoffte, Sie heute zu sehen. Es ist durchaus nicht meine Gewohnheit, Leuten anzubieten, sie zu besuchen, die ich absolut nicht kenne. Ich habe die Ehre, Ihr sehr ergebener Carl Peters.") Die gegen Herrn vr. PeterS eingeleitete Untersuchung, die zweifellos mit Energie und Umsicht geführt werden wird, wird ja klarstellen, warum der Lieutenant Bronsart von Schellendorf sich geweigert hatte, die Execution an den beiden vom Kriegsgericht verurtheilten Schwarzen zu vollziehen, und aus welchem Grunde die englischen Missionäre zu der Ansicht gekommen waren, diese Hinrichtung sei ein Act der Eifersucht. Sollte sich Herausstellen, daß Herr Bebel in leichtfertiger Weise lediglich auf uncontrolirbare Berichte mißgünstiger englischer Blätter seine Behauptung über den angeblichen Brief des vr. Peters an den Bischof Tucker gegründet habe, um vr. Peters durch die Beschuldigung eines scheußlichen Racheactes moralisch zu stranguliren, so würde der Socialisten- führer aus den Rufen, mit denen seine eigenen Parteigenossen die Schilderung der angeblichen Brutalität begleiteten, ent nehmen können, was ihm gebührte. Politische Tagesschau. * Leipzig, 18. März. Wie die „Nat.-Lib. Corr." meldet, ist gestern über die beim JubtläiimSmahl Pes Reichstags auSzubringenden Trinksprüche eine Vereinbarung dahin getroffen worden, daß nach dem Toast auf den Kaiser, der dem Präsidenten Freiherrn v. Buol zufällt, der Reichskanzler Fürst Hohen lohe dem Fürsten Bismarck ein Hoch bringt und hierauf der erste Liceprä sident die Gäste leben läßt. Uetzer diese ausfällige Vereinbarung wird uns aus Berlin ge- schrietzen: „Die Sieger vom 23. März sind nicht nur edle Charaktere, sondern auch große Diplomaten. Sie wollten sich am 25. Gedenktage der Begründung Les deutschen Reiches im Glanze ihrer Präsidialherrlichkeit sonnen, wären jedoch dabei unter sich geblieben, wenn sie bei der Weigerung verharrt hätten, dem Fürsten BiSmarck als dem Schöpfer der gejammten deutschen Volksvertretung die Ehre zu erweisen. Das hätte der Glorie gewaltigen Abbruch gethan, denn unter sich tafeln kann man schließlich alle Tage. Andererseits kostete es große Ueberwindung, BiSmarck feiern hören zu müssen, ohne das bemerklich zu machen, was sonst in den steno graphischen Reichstagstzerichten als „Murren" verzeichnet wurde und jetzt «große Unruhe" beißt. Sie trachteten deshalb, den Trinkspruch auf den Gehaßten so lange als möglich binausruschietzen. Ob dafür die Absicht bestimmend war, das Unvermeidliche in einem Zeitpunct ein treten zu lassen, wo die erschlaffenden Tafelfreuden die Empfänglichkeit ibrer Gemüther auf einen gewissen Grad von Apathie beratzgedrückk, entzieht sich der Kenntniß des Referenten. Genug, man bat sich die größte Mübe gegeben, Herrn v. Lcvetzow zu bewegen, seinen Toast auf den Alt reichskanzler an vierter und letzter Stelle auszubringen. Außer dem Kaisertoast sollten Trinksprüche auf das Reich und die Gäste vorangeben. Der frühere Reichstagspräsident willigte aber nicht in die Zurücksetzung des Fürsten, und so stand, während die deutsche Nation ahnungslos ibrer gewohnten Arbeit nachging, eine „Reichstagsjubiläums-Festessenkrisis" in dräuender Nähe. Aber der obbemeldeten Diplomatie der Prä sidialen gelang eS, die Gefahr zu beschwören. „Wir müssen", so bedeutet einer der Richelieu's vom 23. März die Genossen, „den -j-f-fSpruch von einer Persönlichkeit halten lassen, die unmöglich an die dritte oder vierte Stelle gesetzt werden kann. Dann" — und hier legt sich ein ausdrucksvoller Zeigefinger an eine kluge Nase — „dann Hatzen wir den Rang dem Sprecher, aber nicht dem" — der Zeigefinger mit seinen drei Nacktzarn zur Rechten krümmt sich gegen die innere Handfläche — „Besprochenen eingeräumt." Sprachlos vor bewunderndem Erstaunen schauen Alle auf den Erretter auS grimmer Notb, bis Einer den Bann mit den im Tone der Verzückung gesprochenen Worten löst: „Wenn wir den in Gastein und Versailles gehabt hätten, stände Deutschland heute anders da." „Aber wen", so mischt sich eine bange Frage in den Beifall, den diese neidlose Würdigung eines großen Verdienstes erweckt, „wen sollen wir reden lassen?" „Sehr einfach", läßt sich eine gedrungene Gestalt vernehmen, „den böckstgestellten Gast, den Reichskanzler. Der bat den Toast schon beim Essen des BundeSraths ausgebracht, so daß Bis marck nicht einmal sagen kann, von jeder der beiden" — hier schwillt die Brust des Redners sichtlich — „gesetzgebenden Körperschaften habe ein Mitglied seinen Athen: an ibn ver schwendet." Unter Rufen: „Großartig" und: „Wie wird er sich ärgern!" erhebt die Versammlung den Vorschlag zum Beschluß." Gottbegnadet. z) Roman von Konrad Telmann. Nachdruck verboten. „Er hat nämlich erst immer waS von verwunschenen Prinzen geredet und von Waldfeeu und all' solchen Toll heiten", fiel Thea rin, „bis ich ihm ganz frank gesagt habe, das sollte er nur lassen. Und dann hat er ja auch ganz ver nünftig gesprochen. Kinder sind wir schließlich doch auch nicht mehr, Hertha und ich. Hertha will darauf schwören, daß e» ein Lieutenant in Civil war. Die sieht aber Lieute nant- in jedem Manne. Es war sicher keiner. Er dielt sich auch gar nicht danach. Eher — du darfst aber nicht lachen, Mama! — eher würd' ich ihn für einen Künstler halten." „Sieh, sieh! Und weshalb daS?" „Weil —. Ich kann daS nicht so sagen. Ich bilde mir'S nun einmal ein. Weshalb sollten wir ihn denn sonst durch aus kennen? Solche Künstler denken, glaub' ich, wo sie binkommen, da zeigt Alles mit Fingern nach ihnen. Na, daS ist nun solche unschuldige Eitelkeit; im Uebrigen — wie gesagt . . DaS Mädchen, daS in der Verandathür erschien, um zu melden, daß servirt sei, unterbrach hier daS Gespräch zwischen Mutter und Tochter. Der MittagStisch war im Gartensalon gedeckt, dessen Flügeltbüren offen standen. Man blickte von hier in den Kiefernwald hinüber, der sich jenseits der gelb sandigen Fahrstraße hinstreckte und dessen von der Sonne ge weckte Harzgerüche durch die mittäglich flimmernde Sommer lust herübrrzogen. Frau Marcella erzählte während deS ch'senS von Asta's Besuch. Zuletzt kam sie auch auf daS abendliche Concert zu sprechen. „Ich hab« mir gedacht, daß es Dir doch Freude machen würde, hinzugeben", sagte sie. „Asta erzählte von einen, Tanger ersten Ranges, der sich kören lassen würde. Offen gestanden, hat mich da» auch gereizt. In der Vorliebe für schön» Stimmen bin ich noch ganz wie Du, uud Männer itimmen sind mir die liebsten." Thea klatschte in die Hände. „Nun kann ich's Dir ja sagen, Mama, eS hätte mir furchtbar leid gethan, wenn wir "icht gegangen wären. Gute Musik — daS ist doch etwas Herrliches. Man fühlt sich dabei immer so über sich selbst binauSgeboben, so geadelt, find' ich. Und man wird geradezu besser dadurch — ganz im Ernst. Es ist mir manchmal dabei wie in der Kirche. Hertba hatte mir übrigens auch schon von einem fabelhaften Tenor erzählt, — Hans Asten kennt ibn von Berlin her und die Curverwaltuna könnte nicht genug von Glück sagen, daß der sich entschlossen hätte, mitzuwirken, denn im Uebrigen wär's nur eine ganz gewöhnliche Dilettanten klimperei. Was Hans Asten nun wohl davon versteht! — Aber weißt du, Mama, wir werden an unsere Toilette denken müssen. Vor Allem an deine. Wenn man solch eine junge, schöne Mutter hat, muß man sich doch ein bischen mit ihr zieren. Bei mir kommts weniger darauf an, obgleich Hertba mir beute auf Ehrenwort berichtet hat, — sie sagt nämlich jetzt immer: „auf Ehrenwort" — das hat sie von HanS Asten, und verlassen kann man sich dann drauf, wenn sie sonst auch gern flunkert, — Eberhard Asten, weist Lu: der ältere, der nette Assessor — fände mich „sehr hübsch". Ich war natürlich sehr geschmeichelt. DaS Schlimme ist nur: wenn man eine solche Mutter hat, wird man ganz ver dunkelt." ,Kind, Kind, du möchtest mich gar zu gern eitel machen, fiel Frau Marcella lächelnd ein; aber es ist wirklich schon zu spät." Sie zeigte auf ihr reiches, welliges Haar, das, fast völlig ergraut, den schönen Kopf mit den stolzen, ernsten Zügen umrahmte. Es bildete einen reizvollen Contrast zu dem runzellosen, jugendlichen Gesicht, dessen Augen in einem ruhigen Feuer brannten. „Wenn du wüßtest, wie gut dir das steht!" sagte Tbea. „Ich kann dir nun einmal nicht helfen, Mama, ich bin gradezu in dich verliebt." „Nun wird» wirklich Zeit, daß wir von etwas Anderm reden", warf Frau Marcella ein. Also: die Toiletten frage! WaS meinst du zu Weiß für dich? Ich finde für junge Mädchen nicht» hübscher als ein einfaches, weißes Kleid." „Ja, aber für junge Männer nichts", sagte Tbea halb gedankenlos. „ES siebt so . . ." Sie sprach daS Wort nichl aus, sondern errötbete leicht, um dann etwa« hastig in der weiteren Erörterung der Toilettenfrage fortzufahren. 2. Da» WohltbätigkeitSconcert hatte die feine Welt de» See bade» vollzählig in« Curhau« gelockt. Der große Saal im Untergeschoß strotzte von distingnirten Persönlichkeiten und auf fallenden Toiletten. War die Saison doch auf ihrem Höhe punkt angelangt und dieses Jahr glänzender als je. Man zählte verschiedene Fürstlichkeiten zu den Besucher», die halbe Berliner „Gesellschaft", das Premiören - Publicum der Theater, war versammelt; dazwischen hörte man auch fremde Idiome, besonders Russisch. Es war längere Heit hindurch ein lebhaftes Hin und Her zwischen den ^tublreihen. Bekannte begrüßten sich oder fanden sich hier, unlängst erst an der See einzetroffen, zu wechselseitigem Er staunen zusammen, man machte sich auf hervorragende Per sonen oder auffällige Erscheinungen aufmerksam, ein unend liches Stimmcngeschwirr erfüllte den Raum. Der Name Sennfeldt erklang hier und da von den Lippen der Plau dernden, allmählich immer häufiger, zuletzt eigentlich überall. Es war klar, daß die Haupterwartungen des Abends sich aus ihn richteten. „Soll ja eine stupende Stimme haben", hörte man sagen. „Wachtel ist nichts dagegen gewesen." „Hat in Berlin Alles hingerissen." „Kunstsänger ersten Ranges" und Aehnliches mehr. Auch Frau Marcella Lindheim und Tbea, die den Saal betreten batten, fingen auf der Suche nach Plätzen, die schon nicht mehr allzu zahlreich zur Verfügung standen, diesen und jenen AuSruf der Bewunderung für den Sänger auf, dessen Er scheinen man erwartete. Sie wollten eben, La auf dem Podium schon ein paar Instrumente gestimmt wurden, in einer der letzten Sitzreihen sich niederlassen, als Frau Mar cella Asta gewahrte, die ihnen von vorn her mit Taschentuch und Fächer, die sie in der behandschuhten Neckten hielt, zu winkte, sie sollten dorthin kommen. Frau Marcella zögerte einen Augenblick, aber Asta hatte schon einen der in ihrer Nähe befindlichen und aus sie lebhaft einspreckenden Cavaliere ab- grsaudt, um die beiden Damen zu geleiten. Lieutenant von Dodenhausen, meine Gnädigste, stellte sich derselbe, ein junger, blasser, blonder Herr, die Hacken zu sammenschlagend, vor. Habe den angenehmen Auftrag von Frau von Flügge, gnädigste Frau nebst Fräulein Tochter auf die schon reservirten Platze zu führen. Hier hinten würden Gnädigste um alle Feinheiten im Grsangsvortrag kommen. Darf ich bitten, gnädigste Frau? Mein Fräulein ..." Er bot beiden Damen die Arme und geleitete sie geschickt am Rande de« Saale« hin zu den vorderen Reiben. E» konnte dabei nickt auSbleiben, daß sie im Borüberkommen die Aufmerksamkeit Derer erregten, die schon ihre Plätze ein genommen batten, Laß man nach ibnen fragte und Uber sie eine Meinung abgab. Tbea lächelt« mitten in ihrer Ber- legenheit befriedigt, weil sie überall wieder die Bewunderung für ihre schöne Mutter berauSbörte. Asta empfing die Ankömmlinge in ihrer lebhaften, immer etwas aufgeregten Art. Sie hatte glänzende Toilette ge macht und glitzerte von Schmuck. „Charmant, charmant!" ries sie, ohne sich daran zu kehren, daß sich aller Augen ihr zu wandten, „hier hab ich Plätze für euch. Ich war wieder ein mal edel, nicht wahr? Aber wer kann gegen seine Natur? Bodenhausen, einen Fußschemel für Frau Lindheim! Ah, also das ist meine kleine Cousine Thea — sieh, sieh! Die lang stielige Schildpattlorgnette flog vor die kleinen, grauen, lustig zwinkernden Augen. Hübsch berangewachsen, und gar nicht übel. Gieb mir Lein Pätschcken, Kleine! So, bischen schüch lern, was? Na, wir werden schon gute Freunde werden. Ick bin im Grunde ein ganz guter Kerl, nicht wahr, Asten?" Der Angerufene, der mit ein paar anderen Herren ncctz immer, wie auf Asta's weitere Befehle wartend, dastand, lies; sein Monocle fallen und verneigte sich. „Wüßte nichts dagegen einzuwenden, meine gnädigste Frau. Etwas burschikos viel leicht ausgedrückt — aber wenn Gnädigste so belieben ..." Das Klingelzeichen zum Beginn deS Concerts wurde gegeben, die Herren zogen sich mit Verbeugungen zurück, um ihre Stehplätze an der Wand einzunehmen, ein all gemeines Stuhlrücken, ein knisterndes Geräusch von Frauen kleidern, dann trat Stille ein. Bei Asta von Flügge freilich nur insoweit, als sie ihre Stimme jetzt bis zum Flüstern berabdämpste, Schweigen war ihr unmöglich, wiewobl jetzt daS erste Musikstück, der Vortrag des Gounod'scken „Ave Maria" für Clavier und Geige, begonnen batte. Unaufhörlich batte sie der neben ihr sitzenden Marcella etwas zuzuraunen: bald den Namen einer ihr bekannten Persönlichkeit, nach der sie Lurch den Saal lorgnettirte, bald ihr Urtheil über die Toiletten, bald eine Klage über die schlechte Luft im Saal, bald irgend eine Anekdote, die sie beute Nachmittag schon gehört oder frisch au» Berlin ber mitgebracht batte. Dabei drehte und wendete sie sich fortwährend herum, störte alle Umsitzenden und hatte von dem Musikvortrag noch nichts gekört. Als Marcella sie endlich daraus aufmerksam machte, flüsterte sie ibr binter dem vorgebalteneu Elfenbeinfächer zu: „Aber Liebste, Beste, im Vertrauen gesagt, ich verstehe ja nicht da» Geringste von Musik. Für mich ist Musik bloS rin Geräusch, daS ist alle«. Man darf da« natürlich Niemandem verratben, sondern muß immer sehr interessirt thun und vor allen Dingen recht unverfroren drauf lo» urtheilen, — da»