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02-Abendausgabe Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 10.01.1896
- Titel
- 02-Abendausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1896-01-10
- Sprache
- Deutsch
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-18960110028
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id453042023-1896011002
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-453042023-1896011002
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
-
Zeitung
Leipziger Tageblatt und Anzeiger
-
Jahr
1896
-
Monat
1896-01
- Tag 1896-01-10
-
Monat
1896-01
-
Jahr
1896
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In der Debatte über das Börsen- und das Depotgesetz knüpfte der konservative Abg. Graf Kanitz an eine Bemerkung über die Verluste durch fremdländische Werth papiere die Erklärung, das kraftvolle Eintreten des Reiches im AuSlande für die Interessen des Volkes und des Handels bade allgemeinen Beifall gefunden. Das Haus bekundete durch seine Zustimmung, daß es darin mit dem Redner einer Meinung sei. Diese Bekundung ist für den Fürsten Hohenlohe von" hohem Werthe, denn sie be weist dem Auslande, daß die Spekulation auf die leider im jetzigen Reichstage herrschende Zerklüftung eine falsche ist, sofern sie sich so weit versteigt, auch ein Versagen des Reichstags bei Gelegenheiten anzunehmen, in denen cS sich um die Wahrung der Würde und der Interessen des Reiches gegen fremde Anmaßung handelt. Besonders jenseits des Eanals wird mau den allseitigen Beifall, der die Worte deö Grafen Kanitz begleitete, zu würdigen wissen, und zwar um so mehr, je weniger der Redner aus Einzelheiten einging und je zweifelloser also die Zustimmung deö Reichstags das volle Vertrauen der deutschen Volksvertretung und ihrer Wähler zu der ganzen auswärtigen Politik des Fürsten Hohenlohe ausdrückt. Aus diesem Grunde wäre auch ein alsbaldiges weiteres Eingehen des Reichstags oder seiner Budgeteommission auf die Vorgänge in Trans vaal und über das Eingreifen unseres Auswärtigen Amtes in viese Vorgänge überflüssig und wahrscheinlich sogar nachtheilig. Es liegt ick der Natur der Dinge, Laß bei der Besprechung solcher Details einzelne Redner, die in den Gang der diplomatischen Verhandlungen nicht eingeweibt sein können, leicht über das Ziel hinaus schießen und subjectiven Ansichten und Wünschen Ausdruck geben, die im Auslande von böswilliger Seite mit Vorliebe der betreffenden Regierung in die Schuhe geschoben werden und dann störend auf den weiteren Verlauf der Verhand lungen einwirken. Es ist mit solchen Auslassungen in den Parlamenten genau so, wie mit den Auslassungen der Presse, die den Regierungen oft genug die größten Schwierigkeiten bereiten. Das englische Eabinet empfindet das jetzt ans das Peinlichste. Fürst Bismarck, der unerreichte Meister in der Behandlung schwieriger inter nationaler Fragen, hat cs daher stets zu verhüten gewußt, daß im ungeeigneten Momente solche Fragen im Reichstage angeschnitten und eingehender verhandelt wurden. War der geeignete Moment gekommen, so sorgte er selbst dafür, daß eine Interpellation von solcher cseite erfolgte, die bei der Begründung sich von der Berührung von Punkten lern hielt, welche noch nicht zu öffentlicher Besprechung sich eigneten. Es ist erfreulich, Laß Fürst Hohenlohe und Slaatösccretair v. Marschall auch in dieser Hinsicht dem Beispiele dcS Altreichskanzlers folgen und demgemäß die Budgeteommission des Reichstages ersucht haben, heute noch nicht in die Berathung des Etats des Auswärtigen Amtes cinzutreten. Die Commission geräth dadurch allerdings in eine gewisse Verlegenheit, da, wie die „Post" meldet, einer der anderen Referenten in der Lage ist, schon heute über den Etat Bericht zu erstatten. Immerhin wird die kurze Verzögerung, die dadurch in den Arbeiten der Commission eintritt, von ungleich geringeren un angenehmen Folgen sein, als eine verfrühte Aussprache über die Maßnahmen des Auswärtigen Amtes in der Trans vaal-Frage. Indem der Reichstag jene Verzögerung ruhig hinnimmt nnd auch im Plenum jedes weitere Eingehen auf diese Frage so lange vertagt, bis die Regierung eine ein gehende Besprechung für zweckmäßig hält, stellt er seiner politischen Reife ein günstiges Zeugniß aus und unterstützt die Regierung in wirksamster Weise. Wie der Telegraph bereits gemeldet hat, bat der Kaiser eine neue Organisation der Tchuiztruppc in Lstasrika in der Weise angeordnet, daß das Reichsinarineamt aus der Orga nisation endgiltig ausscheidet und die Truppe zu einer Art von Eolonial-Gendarmerie umgestaltet wird, so daß sie, abgesehen von der nothwendigen, aber einfachen militai- rischen Organisation, in allen sonstigen Beziehungen dem Gouvernement und weiterhin der Colonialabtheilung des Auswärtigen Amtes unterstellt wird. Damit dürften die Schwierigkeiten, welche sich in dem Verhältniß des Gouverneurs von Wisimann zur Schutztruppe und zum Reichs-Marineamt herausgebildet hatten, beseitigt und den Gerüchten, die in letzter Zeit wiederholt über den Rücktritt Wissmann's verbreitet wurden, end giltig der Boden entzogen sein. Nach einer Meldung der „Köln. Ztg." handelt es sich übrigens um eine generelle An ordnung für alle Schutztruppen. Um so mehr ist die Ent schließung des Kaisers zu begrüßen und um so ungetheiltereu Beifall wird sie nicht nur in colonialen Kreisen, sondern auch weit darüber hinaus finden. Die bisherige Organisation hat etwa fünf Jahre gedauert. Sie entsprang der richtigen Empfindung, daß zu einem wirksamen Schutz unserer Interessen in den Eolonien eine militairisch organisirte Truppe nicht entbehrt werden kann. Freilich ist man bei der Ausgestaltung dieses Gedankens weit über das Ziel hinaus gegangen, indem man eine heimische Militairbehörde (Reichs marineamt) an die Spitze dieser Organisation stellte. Die Folge hiervon war, daß die altbewährten Ueberlieserunge» der heimischen Armee eine Anwendung aus unfertige und anders geartete Verhältnisse fanden. Obwohl die dem Reichs- marineamt ursprünglich ganz fern liegende Aufgabe viele Mühen verursachte, so bat sich dieses Amt doch mit dem größten Eifer all diesen Mühen unterzogen, und in vielfacher Beziehung wird die neue Organisation von den Erfolgen der alten Vortheile ziehen. Ihr schwerster Mangel lag in dem durch sie in unjern Eolonien eingeführten Dualismus, der trotz des redlichsten Bemühens aus beiden Seiten in den Eolonien selbst zu vielfachen Schwierigkeiten und Reibungen Anlaß gab und oft auch lähmend aus die Entwickelung in wirth- schaftlicher Hinsicht wirkte. Dabei ist auch gewiß nicht unterschätzen, daß die Neuorganisation zu erheblichen Er sparnissen Anlaß geben wird, die nunmehr im Interesse der wirthschastlichen Erschließung verwendet werden können. Unsere Beurtheilung der durch den Transvaal Eanflict geschaffenen Lage ist auch die der weitaus meisten deutschen Blätter, denen die hervorragendsten Preßorgane Oesterreichs sich anschließen. Man sieht keinen Grund, weshalb mau sich in Deutschland über die englischen Alarmnachrichten irgendwie beunruhigen sollte, zumal da es sich nicht bestätigt, daß englische Truppen nach dem Eapland beordert wurden. In Eng land hält dagegen, wie man das nicht anders erwarten kan», die feindliche Stimmung gegen Deutschland noch N. wünsch, da England unbedingt wißen -mffse, woran eS m l ^cu Ld,L «i- >°oll.» -»d°-, M-ZU" N,"«NA L.)?' ,L KmLL.° ststen es handelt selbstständig, und zw.rr auch gegen Engend wenn'e7 von diesem seine Inleressen irgendwo v und es stellt si<- Kaiser ' - m t 1 t'atbien aus die Seite Derer, die Wider Recht unv v-,e,ey rer gewalligt werden sollen, im klebrigen aber hegt eS gegen me englische Politik das allergrößte Mißtrauen und beabsichtig vor der Hand England gegenüber aus vem b.öhengen kühlen Geschäftüfuße zu, bl-iben. ^nken damck am bellen zu fahren. Daß in London neuerlich Reizungen zwischen deutschen und Engländern vorgekommen sind, Len wir schon erwähnt, daß sie von der Londoner Presse in antideutschem Sinne ausgebeutet werden, ledars eer Erwähnung nicht erst. Eines aber muffen wir rezistnren, °-„Uch t-S -Das,» w. gegen „diese Gemeinheiten" erhebt, wie gegen die B thal.gung der Nationalgröße durch Fenstere,„schlagen, -Huteintrclhen und Plündern von Läden, und weist aus die Halt mg der Bevölkerung in Deutjchland und Holland bin, welche die Politik von der Person getrennt halten nnd wo kein Engländer über solche Bubenstreiche und Gewaltthatcn Klage zu führen habe, wie sie jetzt in London zum Ausbruch gekommen. Das „Daily Ebroniele" ist dem Ministerium Salisbury zwar feindlich gesinnt, aber cs hat-doch einen große» Theil der Bevölkerung hinter sich, da Salisburys auswärtige Politik in weiten, namentlich liberalen und radicalen Kreisen Englands bitterste Enttäuschung hervor gerufen hat. Auch der „Standard" und die „Times, die ibn heute noch preisen, thun dies nur, um sich ugeublicktich keine Blöße zu geben. Daß sie bereit« nach Gelegenheiten zu einem geschickt masnrten Rückzug sich umsehcu, scheint uns aus einem der letzten „Timeö"-Artikel hervorzugehen. Offenbar ist dem Eity-Blatt das Bewußtsein ausgedämmert, daß sein ganzes Gepolter in Deutschland keinen Eindruck macht und machen wird, und stellt nun — auf eine Lüge mehr oder weniger kommt es ihm ja nicht an — die dreiste Behauptung auf, daß die öffent liche Meinung in Deutschland zn entdecken anfange, der deutsche Kaiser habe bei dem Versuch, Vertragsbestimmungen umzustoßen, nicht weise gehandelt. Jeder deutsche Zeitungs leser weiß, daß das Gegentheil die Wahrheit rst, und die „Times" mag es sich gesagt sein lassen, daß das ganze deutsche Volt hinter den Worten deö deutschen Kaisers steht, gerade deshalb, weil er nachdrücklich sür den Schutz des Völkerrechts und der bestehenden Verträge eintritt, während der größte Theil der englischen Presse mit Spitz findigkeiten den klaren Inhalt dieser Verträge in das gerade Gegentheil verkehrt, an der Behauptung festbält, England stehe das Recht der Suzeränität über Transvaal zu, und sich init Händen und Füßen gegen eine Eonsercnz sträubt, welche die Engländer lesen und verstehen lehren soll. Daß sie um eine solche Lösung der Sache herumkommen werden, erscheint uns zweifelhaft. Wie der „Nat.-Ztg." ein Privattelegramm aus Pretoria meldet, verlautet dort, daß die Regierung der südafrikanischen Republik, wenn England sich seinen berechtigten Forderungen widersetze, wahrscheinlich an die europäischen Mächte appelliren werde. Wir wissen noch nicht, wie der Präsident diese berechtigten Forderungen sormulirt hat. Bis gestern hieß eS, er habe nur die Entfernung Cecil Rhodetz' nnd Iamcson's aus Afrika und eine Hobe Entschädigung von der Ehartered-Compagl'.ic verlangt. Heute wird der „Mgdb. Ztg." aus London bericht-!, nack (sapstädtcr Meldungen beanspruche Präsident Krüger die Aushebung des Vertrages von 1884, die Zurücknahme des Freibriefes der „Ehartered-Company" und die Verzichtkeistun.z Englands auf das Vorkaufsrecht für die Delagoabai Wir haben kürzlich schon die beiden ersten Forderungen sür berechtigt erklärt, und nach Aeußerungen russischer, französischer und anderer nichtcnglischer Blätter zu schließen, würben dieselben vielseitige und mächtige Unterstützung erfahren, der gegenüber die englische Regierung doch mir der „Ta,,hheit" nickt auSkommen würde, welche die „Times" ihr als da r einzig Richtige und Mögliche empfiehlt. DaS Londoner Eabinet hat sick bis jetzt in der ^ranSvaal-Angelegenhcit so loyal veichalten. daß man hoffen darf, es werde wenigstens zu einigem Ent gegenkommen bereit sein. Offenbar um es moralisch zir einem solchen zn Notlügen, hat Krüger großmüthig dem Banditen Iameson das Leben geschenkt, obwohl, wie selbst das englischen Interessen dienende „Neuter'sche Bureau" zugeben muß, durch ausgefnndene Dokumente bewiesen worden ,st, daß der von jenem vorbereitete Coup die Annerion der Boeren- republik (natürlich durch die Eapeolonie) bezweckt hat. Jetzt steht England unter dem moralischen Druck der eigenen Schuld und der Großmntb du: durch diese Gefährdeten nnd Geschädigten. Unter diesem Gesichtswinkel gewinnt vielleicht die folgende Meldung erhöhte Bedeutung: » Laudon, 9. Januar. Ter Staatssecreiair sür dm Eotoniim Chanlberlain gab heute dein Gouverneur der Eap-tzioloiiie Sir H. Robinson nach Pretoria telegraphisch den Anfällig, dem Präsidenten Krüger folgende Tepesche zu überniiütcln: „Ich habe von der Königin den Beseht erhalten. Ihnen raitzulheile»: Ihre Majestät Hai mit Genngthuuilg erfuhren,-dnß Sic ent schieden haben, die Gefangenen der Regierung der Königin zn übergeben. Diese Handlung wird Euerer Erccllesz zur Ebre gereichen und wird beitragen zum Frieden für Südafrika und zum harmonischen Zusammenwirken der englischen und der holländische» Rasse, welches nothwendig isr sür die En! Wickelung und das Gedeihen in der Zukunft." Wir geben unS keinen weitgehenden Hoffnungen auf die englische Ehrlichkeit hin, aber nach der bisherigen Halrung der englischen Regierung müssen wir doch die Möglichkeit offen lassen, daß sie gewillt ist, den betretenen Weg strenger Loyalität bis zn Ende zu gehen, wenn es auch ein Passionc gang ist. Aus den guten Willen Eeeil RhodeS', die Hanc nunmehr aus dem Spiel in Südafrika zu lassen, geben wir dagegen, ebenso wie Präsident Krüger, keinen Pfifferling. Man lese die folgende Meldung: * London, 9. Januar. Das Reuter'sche Bureau meldet ans Pretoria unter dem 9. d. M., 7 Uhr Abends: Bei der Regierung erregt die lässige Art und Weise, in welcher die Bevölkerung des Rand-Gebietes der Aufforderung, die Waffen auszu- liesern, Gehorsam leistet, große Mißbilligung. Bon 30000 Per sonen, welche nach Berichten Waffen besitzen, haben nur 2000 die- selben abgelieiect. Heute Nachmittag erging eine Bekanntmachmm, durch welche der Rand-Bezirk auigesordert wird, die Waffen «inzu- Fairillatsi,. Armalise's Pflegemutter. 7j Roman von L. Haid heim. Rachtruck verbot«!. Als das junge Mädchen allein war, saß es in kiesen, ernsten Gedanken am Fenster. „Sie wünscht eS —" Eben reisten die beiden Linowitz ab. Sie grüßte» herauf; der Alte sehr freundlich, Joachim steif und ernst. Sie sah ihm nach. Er blickte nach ihr, noch immer. Jetzt bog der Hotelwagen uni eine Ecke. „Ich werde es versuchen! Sie wünscht es! Joachim wird nicht in Ellern sein, wen» wir dorthin gehen", dachte Annalist. Am Abend dieses Tages gab cs in den Gemächern der Damen eine abscheuliche Scene, die Annalise bis zu Thränen erschütterte, noch mehr aber überraschte, denn sie hatte nicht das Leiseste davon gewußt, hörte es jetzt mit größtem Er staunen, daß ihre Pflegemutter schon seit einiger Zeit gemerkt, sie werde bestohlen. Jetzt erhob sich auf einmal ein wahres Wuttigebrüll von Boris' Stimme, und als Annalise und Marsa entsetzt herbei eilten, sahen sie Boris, an den Händen gefesselt, zwischen zwei Gendarmen im Vorzimmer der Baronin stehen. Er schüttelte die geballte Faust gegen seine Herrin, stieß fürchterliche Flüche und Verwünschungen gegen sic aus, wurde aber ohne viele Umstände von den Gendarmen heraus gebracht. Daß die ganze Bewohnerschaft des Hotels zusaiunien- gelausen war, erfuhr man erst später. Ein Dieb! Der „ehrliche" Boris ein Dieb! Annalise konnte eS nicht fassen, daß die« möglich sein sollte. Boris war deö Verstorbenen rechte Hand gewesen, galt ihm treu wie Gold. Aber Marsa bezeugte, wenn auch sichtlich ungern, daß nicht nur Geld, sondern auch einzelne Gegenständ: auS de« BaronS Nachlaß fehlten. Ihre Herrin war eS gewesen, die dies zuerst bemerkte. Dann legte ihm Adele Jwanowna eine Falle und er ging hinein. Ohne auch nur Marsa vorher zu verständigen, hatte ihre Herrin die Polizei benachrichtigt. Ganz still hielt man bei Boris Durchsuchung seiner Sachen und fand Einiges von dem Vermißten, unter Andern: einen kostbaren Revolver, den Boris behauptete geschenkt erbalten zu haben, und eine goldene Uhrkette, von der er das Gleiche angab. Adele Jwanowna sah zu dem Allem sehr kühl, ja beinahe befriedigt. Wozu solches Aufheben von der Geschichte ? „Welche Kinderei, zu weinen!" schalt sie Annalise. Der StaatSrath kam blaß und empört angclaufen. Den treuen Diener seines Sohnes einstecken lasse»? Welche Schmach! Welche Ungerechtigkeit! Adele Jwanowna antwortete ihm kaum. Wulhentbrannt fuhr er zur Polizei. Aber vergeblich setzte er Alles in Bewegung. Adele Jwanowna war nicht dahin zu bringen, daß sie Boris verzieh. Hundert andere Frauen hätten nicht so hart gehandelt wie sie. Die Beweise läge» vor. Auf mehrere^ Wochen Gefängniß lautete das Urtheil. „Sie ist eine herzlose Kreatur! Aber ich werde sie zu fassen wissen?' knirschte Se. Excellenz gegen GlogowSky, der sich auf die Seite seiner Stiefmutter stellte, obwohl ihm Boris leid that. <- , H je Schloß Ellern liegt in Thüringen, umgeben vom zahl reichen Nebengebäuden, vor dem Thore der kleinen fürstlichen Residenz. Ursprünglich hatte das Rittergut um ein Drittel mehr Flächeninhalt, die Eisenbahn, sowie der Magistrat der Residenz kauften von Herrn von Linowitz nicht unbeträchtliche Grund stücke, leider auch die ertragfähigsten, und bezahlten sie gut, sehr gut sogar. DaS war vor mehr als zwanzig Jahren, und daS schöne Geld batte nur den einen Fehler, daß eS allzu rund war und dem fröhlichen, jungen Ehepaare durch die Hände lief, cS wußte selbst nicht wie. Nach und nach machten sich dann die Folgen fühlbar und wurden immer drückender. Zuweilen gelang es dem Gutsherrn, hier und da noch einen Bauplatz oder ein Feld loszuwerden, dann war man wieder für eine Weile flott, lauge dauerte daS nie. Und jetzt stand da- Alter vor der Thür, und ein Heer von Gläubigern machte dem sonst so heitern und liebens würdigen Herrn das Leben sauer. Der rege Verkehr mit dem fürstlichen Hose und den Familien dieses Kreises wurde geringer; als das Fürftcnpaar dann auch alt und kränkelnd wurde, schlief er ganz ein. Seinen stolzen Namen „Schloß" verdiente der alt- modige weißgetüilchte, viereckige Kasten freilich nicht; aber das, trotz aller Geldverlegenheiten, stets sehr schmuck gehaltene große Gebäude mit seinem Vorhos, dem Rasen und den Blumenbeeten und seinem Hintergründe, dem waldbewachsenen Berge, an dem sich ein großer Garten hinaufzog, machte trotzdem einen durchaus herrschaftlichen Eindruck, und die bunte Herbstprackt, die in ihrem letzten Sonnenschein prangt, verschönt dies Bild von behaglicher, wenn auch trügerischer Wohlhabenheit. Der Gärtner nnd seine beiden Äurschcn sind vor dem Schlosse beschäftigt, die Rosenstämine nieder zulegen und die Blumcnbcele für den herannahenden Winter in Ordnung zu bringen. „Accuratesse! Piinctlichteit!" sind die Lieblingswortc deS Gutsherrn. „Wenn s nur am rechten Ort wäre!" innrniclte der Gärtner. „Wenn'S nur am rechten Ort wäre! Aller Firlefanz und was m die-Augen sticht, daS ist ihm rnclstig, in den Stallen und uu <>elbc Ordnung zu halten, wäre besser!" So lautet daS Urtheil Aller, die deu Rittmeister a. D. von vmowltz kennen. „Ein braver Herr, ein lieber Herr", setzt man dann wohl hinzu, „es ist ein Jammer, daß er immer den Gaul hinter den Wagen spannt, lind daS Schlimmste !?' glaubt's nicht, und wenn er auch mit der Nase drauf stoßt." ' Die schweren, eicheugeschnitzten Flügel der Hauslbür wurden eben au,geworfen. Zwei Herren traten heraus. Linowitz der heute e,ne alte, bequeme Iagdjoppe trug, und e.n grobknochiger, breitschultriger Mann, Agent Knitter, den man in der Gegend heimlich den „Todtenvogel" nannte. gleicher Zeit wurden im Souterrain die Köpfe der ^ Hausmädchens am Küchenfenster sichtbar, und de- darüber befindlichen Zimmers Owanownas graubleiches Gesicht. Sie mochte keinen Menschen sehen, hatte eine krankhafte Furcht vor jeder Storung. ? > ^ , Der bcftige Wind wirbelte die spärlichen, stark grau- melirte» Haare des Gutsherrn wild durcheinander, trotzdem Hut, den er in der Hand trug, nicht aus, die Kuhluug th»t ihm sichtlich wohl; denn s«,e Stirn war dunlel geröthet und die Wangen trugen heiße, rothe Flecke, wie von großer Aufregung. Er knöpfte die Joppe über der Brust zu und sagte bittend, mit einem vorsichtig spähenden Blick nach dem Fenster seiner Schwägerin: „Kommen Sie her, Knitter, lassen Sie uns nicht so aus- einandergehen. WaS nützt daS Hin und Herreden, schließ lich taiin'S Ihnen Loch nicht einmal lieb sein, daß ich mi>: das Geld anderwärls hole." „Har gute Wege!" lachte grämlich der Agent. Er trug einen sehr seinen, pelzgefütterten Reiseroct und einen ebenso eleganten Weichen Filzhut von modernster Forui. Trotzdem sali man ans den ersten Blick, daß Kleider nickt immer Leute machen. „Na, so schlimm steht'S, Gott sei Dank, denn doch noch nicht. Der Herzog hat Lnst, Etter» zu kansen, eS ist ja ur sprünglick ein Landhaus des alten Georg August, seines Ur großvaters: der Hofmarsckiall will eS für die Herzogin- Mutter auSbauen; daS Eavalierhaus —" „Sie meinen, wo Ihre Verwalter wohnen? Ich will Ihnen was sage», Herr von Linowitz, die ganzen Gebäude sind die Abbruchstosten werth, mehr keinen Pfennig, der Ver putz und die frische Oelfarbe daran sind das Beste." Der Gntsberr wurde weiß nin die Nase vor Aerger über den beleidigenden Ton des Agenten. Er kalte mit einem gewissen ehrlichen Slot: gesprochen, offenbar ganz überzeugt, und dabei nach einen, ans dem Boslet seitwärts ausragenden Seitenbau gezeigt, der mit dem „Schlosse" durch eine Art Pergola verbunden war, deren eine Seite wein- umrantte Säulen hatte, während die andere von der Garten mauer gebildet wurde. Eine Strecke davon tag noch ein Pavillon, weiter i» den Part bineingebaiil-, Knitter'- verächtliche Handbewegung umfaßte cao Schloß mit diesen beiten Anhängseln und allen Wirthsckaftsgebäuden. „Nichts Werth! Gar nichts!" Aber was wollte man von einem Menschen seiner Art? In den Bewegungen der vierschrötigen Gestalt lag die Unfeinheit noch viel stärker ausgeprägt, als in den Zügen des nnlengbar intelligenten Gesicht« Rohes Machtbewnßtseiu herrschte darin vor, der ganze Mensch trug die Signatur deö Protze», daneben einen peinlich auffallenden Ausdruck von schlauer Geschmeidigkeit. diesem Augenblick herrschte jedeafall« der Protz in ihm vor; e- klang geradezu gönnerhaft, al« der ehemalige
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