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02-Abendausgabe Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 19.06.1896
- Titel
- 02-Abendausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1896-06-19
- Sprache
- Deutsch
- Vorlage
- SLUB Dresden
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-18960619028
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id453042023-1896061902
- OAI
- oai:de:slub-dresden:db:id-453042023-1896061902
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Saxonica
- Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
-
Zeitung
Leipziger Tageblatt und Anzeiger
-
Jahr
1896
-
Monat
1896-06
- Tag 1896-06-19
-
Monat
1896-06
-
Jahr
1896
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Abend-Ausgabe NMgcr TaMM Druck und Verlag von L. Polz kn Lelpzlg Freitag den 19. Juni 1896. 105,- Fettilletsn 220. 121, 210,— 213,80 216,— 144.10 105,50 122,60 158,80 123.10 186, 14«, 140, 216, Dir Morgrn-Au-gabr erscheint um '/»7 Uhr. dir Abend-Au-gabe Wochentags um b Uhr. Isslisosr rieau 28, 58.70 84.70 81- 108,20 ! 123,25 8«,— 9V. Jahrgang oi von Mit »n Uc". .Hock- 108 80 104,— 88,50 80,70 53,20 86,80 140,75 140,60 81 — 123,80 84,— Neber einen in russischen Hofkreisen vielbesprochenen Zwischenfall, an dem ver französische Botschafter in Petersburg, Graf Montebello, betheiligt gewesen sein soll, wird der „Neuen Freien Presse" geschrieben: Als die ausländischen Diplomaten und Vertreter bei der Mos kauer Krönungsseier dem Zar und der Zarin huldigten, reichten 81,— 115.25 208.50 182,— 145.40 122.50 182,80 121.40 305.50 226.25 86,10 164, - 108,60 142, - 153,— 285,— 122,— 112.50 288,— 67,— 87,— 104.50 103 — 127,— Srtra-Beilagen (gefalzt), »ur mit der Morgen - Ausgabe, ohne Postbeförderung 60.—, mit Postbrförderung 70.—. Nedaction on- Lrpe-ition: JohanncSgasse 8. Die Expeoition ist Wochentags ununterbrochen geöffnet von früh 8 bis Abends 7 Uhr. und volkswirthschastlicher Beziehung fordert das Programm unter Anderm die Regelung der Arbeitsvermittlung, die Ein führung der IJnvaliditäts- und Altersversorgung, gründliche Agrar- und Gewerbe-Reform zum Schutze des Bauern- und Gewerbestandcs gegen die Uebergriffe der Specnlation und des Capitalismus, sowie gegen das Ueber- wuchern des jüdischen Elementes im geschäftlichen Leben und Durchführung des gemeinwirthschaftlichen Princips auf dem Gebiete des Versicherungs-, Credit-, Bank- und Verkehrswesens. „Die im Zuge befindliche Steuer-Reform erscheint als gänzlich ungenügend, und es muß daher auf eine solche Steuer- und Ge bührengesetzgebung gedrungen werden, welche der thatsächlichen Leistungsfähigkeit entspricht. Die Persona l-Ein kommen steuer ist für die größeren Einkommen zu erhöhen und durch eine Vermögenssteuer zu ergänzen, die Rentensteuer vollständig neu anzulegen, die Erb steuer nach der Höhe der Verlassenjchaft pro gressiv auszugestalten, die drückenden Uebertragungsgebühren für Len kleineren und mittleren Besitz sind ausgiebig herabzusetzen, die Ueber- weijung der Realsteuern und dann auch derErwerbsteuer an dieLänder und Gemeinden ist möglichst rasch durchzuführen." In Bezug aus den Aus- g le ich mit Ungarn erklärt das Programm, es sei jeder Aus gleich abzulehnen, wenn nicht der Antheil an der Beitragsleistung zu den gemeinsamen Angelegenheiten nach der wirklichen Leistungs fähigkeit der beiden Reichshälstcn bemessen und die österreichische Production gegen die Ucbervortheilung und willkürliche Behandlung von Seite Ungarns geschützt wird. Was den Dreich und betrifft, so verlangt das Programm Aufrechterhaltung und Be festigung des Bündnisses mit dem deutschen Reiche und Pflege der beiden Staaten gemeinsamen Beziehungen (zu Italien) und Interessen. Das Programm schließt mit der folgenden Wendung: „Getreu ihrem obersten nationalen Grundsätze, wird die deutsche Volkspartei in dem politischen Gegensätze, der zwischen den Deutschen verschiedener Richtungen besteht, stets das Trennende dein, was alle Deutschen in Oesterreich einigen soll, unterordnen, sie bietet Raum für jeden Deutschen, der seine Pflicht gegen die Nation ehrlich er füllen will." Man kann nicht anders sagen: das Programm ist außer ordentlich geschickt abgefaßt und enthält eine Reihe Forde rungen, welche dem liberalen Princip durchaus entsprechen, von der liberalen Partei aber vernachlässigt worden sind. Es ist daher die Gefahr nicht zu verkennen, daß von den aus- einanderstrebenden Altliberalen viele sich ins Garn locken lassen und die Gefolgschaft eines Lueger-Steinwender ver mehren helfen. Nach den Wahlen werden ja die beiden ehr geizigen Führer sich in die Haare gerathen, und auf die Dauer kann eine Partei, welche die Hetzerei gegen Ungarn auf ihr Pro gramm geschrieben hat, unmöglich als Pflegerin des Dreibundes figuriren, allein bis zu den Wahlen wird die Clique doch zusammenhalten, und darauf ist eS ja auch in erster Linie abgesehen. Will die Vereinigte Deutsche Linke nicht allzugroße Einbuße erleiden, so mag sie sich mit der versprochenen Reorganisation beeilen, und der liberale Flügel der Deutsch nationalen wird, wenn er nicht ganz von der neuen Strömung mit fortgerissen werden will, eine Parteiformel finden müssen, in welcher sich alle jene, für ihr deutsches Volksthum be geisterten Wählerschaften zusammenfinden können, die den Antisemitismus und den christlichen Socialismus nicht als politisches Leitmotiv gelten lassen wollen, sondern an jener freiheitlichen Grundauffassung fcsthalten, welche die schönste Ueberlieferung der bisherigen Bereinigten Linken darstellte. Filialen: kttö Klemm s Sortim. (Alfred Hahn), Npivrrsitätsstraßr 3 (Paulinum), LoniS Lösche, Kathartnenstr. 14, pari, und Königsplatz 7. 86,— 101,80 102,70 96,— 101,80 102,70 586,— 65,37'. 608,— 27,— s 112,50 I 27,18 l 1^« 158,— 176,10 153.25 168.75 115.25 88,80 88,50 216,50 108L0 103,80 85.75 5860 108,— »t. !«n per 12,50 er üuni ,50 br 6- 6. 6. In den österreichische» antisemitischen Blättern wird soeben das Programm einer „deutschen Volks - partei" veröffentlicht, die sich als streng national, freiheit lich und social-reformerisch bezeichnet, und an deren Spitze Lueger (antisemitisch-christlich-social) und Steinwender (deutsch-national) stehen. Unter den Forderungen, welche das Programm in nationaler Beziehung ausstellt, befinden sich: die Unterordnung aller inner politischen Fragen unter das oberste nationale Interesse und die Befreiung Les öffentlichen Lebens von dem vorherrschenden Einflüsse des Judenthums. In freiheitlicher Beziehung wird die sofortige Fortsetzung der Wahlreform gefordert durch Beseitigung der überlebten und den Fortschritt hemmenden Vorrechte und durch Ueberweisung einer größeren Anzahl von Mandaten an die Curie des allgemeinen Wahlrechtes. Das Programm erklärt, daß alle Angriffe auf die freie Schule zurückzuweisen feien, und enthält fodann die folgende Erklärung: „Da die deutsche Volkspartei alle Kreise unseres Volkes umfassen soll, ver wirft sie ausdrücklich den Kampf gegen die Religion, sie steht aber ebenso entschieden im Gegensätze zur klerikalen Partei, welche bis jetzt die Religion in den Dienst von Partei zwecken gestellt und sich den für alle Deutschen bindenden Pflichten 6. brO. >,— U. <L ',— 6. 6. ,— 6. !,— 6. 6. 6. ,50 6. .50 6. Stüeli. Anzeiger. Amtsblatt des Königliche» Land- und Amtsgerichtes Leipzig, des Rathes und Nolizei-Ämtes der Ltadt Leipzig. Ännahmeschluß für Anzeigen: Abend-Ausgabe: Vormittags 10 UhL. Margen-Ausgabe: Nachmittags 4 Uhr. Bet den Filialen und Annahmestellen je eine halbe Stunde früher. Anzeigen sind stets au die Expedition zu richten. 634 475 485 Ststlx. l 14», ! 87-2 Ber,tgs-Preis stl der Hauptexpedition oder den im Stadt bezirk und den Vororten errichteten Aus- «avrstrllen abgeholt: vierteljährlich^ 4.50, bei zweimaliger täglicher Zustellung ins Hau« 5.b0. Durch die Post bezogen für Deutschland und Oesterreich: vlertelfiihrlich 6.—. Directe tägliche Kreuzbandsendung ins Ausland: monatlich 7.50. 86>!« 64'« 27-, 88'4 30»« 12»« 3,50 l 101'!« I ! 31', zg sowohl der Kaiser als die Kaiserin allen Herren die Hand. Tie ausländischen Diplomaten fühlten sich nun verpflichtet, der Kaiserin die Hand zu küssen, und nur Graf Montebello soll davon abgesehen und der Kaiserin einfach die Hand gedrückt haben. Dieser Vorfall hätte so peinlich berührt, Laß selbst General Boisdeffre sich nicht habe enthalten können, sein Befremden auszusprechen, worauf Graf Montebello erklärt hätte, daß er „gegen seine Regel nicht handeln könne". Im Hofressort soll dann erwogen worden sein, ob die Kaiserin nicht dem Ball des französischen Botschafters fern bleiben solle, zumal La inzwischen die Katastrophe auf dem Chodynskiselde eingetreten war. Der Zar aber hätte entschieden, daß man wegen des eigenthümlichen Verhaltens Montebello's nickt die französische Nation verletzen könne. Immerhin habe die Kaiserin dem Grafen Montebello zu verstehen gegeben, daß sie sein Verhalten nicht billige, indem sie bei der Polonaise dem Botschafter nicht die Hand reichte, sondern nur neben ihm herschritt. Auch in Moskau ist diese Version stark verbreitet. Es scheint also thatsächlich etwas an der Sache zu sein. Nimmt man hinzu, daß die französische KrönungsLeputation während» der Festtage eine unverhältnißmäßig bescheidene Rolle gespielt hat, daß sie in keiner Weise besonders hervorgetreten ist und daß auch nicht ein Anklang an den Enthusias mus der Tage von Kronstadt und Toulon bemerkt wurde, so gewinnt jenes pikante Intermezzo immerhin einiges Relief, wenn es auch an sich die Kreise der hohen Politik schwerlich berühren wird, lieber ein Dementi in französischen oder russischen Blättern ist noch nichts bekannt geworden. Für Abessinien ist nun ofsiciell die Aufhebung des Kriegszustandes proclamirt worden, d. h. von It alien; ob aber Men elik das Kriegsbeil begraben wird, ist noch sehr die Frage. Er ist der glorreiche Sieger und wenn vorläufig die fortgeschrittene Jahreszeit ihn an weiteren kriegerischen Unter nehmungen verhindert, so läßt er mittlerweile den Italienern fühlen, daß er das Heft allein in der Hand hat. Höhnischer, sagt mit Recht die „Voss. Ztg.", ist wobt selten ein Besiegter von seinem Besieger behandelt worden, als Italien von dem Negus Menelik. Nachdem er den Italienern den schweren Schlag bei Adua beigebracht und die neue Negierung in Nom ihren heißen Wunsch nach einem Friedensschluß so ziemlich um jeden Preis bekundet hat, zwingt er die italienischen Unterhändler, ihm förmlich nachzulaufen. Zunächst fiel diese für einen Mann von Selbstgefühl höchst peinliche Aufgabe dem Major Salsa zu, der den Negus noch glücklich in der Gegend von Entischo antraf, von ihm aber hingehalten und wochenlang im Lager und später auf dem Marsche nach Süden mitgefübrl wurde. Unbekümmert um die völkerrechtliche Unantastbarkeit eines Parlamentärs, hielr Menelik den Major als Geisel fest, bis General Baldissera einige Briefe des Negus znrückgestcllt hatte, die dieser nicht im Besitze der Italiener lassen wollte. Als Menelik sie wieder in Händen hatte, ließ er Salsa ziehen, ohne einen Friedcnsvertrag abgeschlossen zu haben,und marschirte weiter nach Süden, bis nach Schoa. Will das Ministerium Rudini die Verhandlungen fortsetzcn, dann mag sein Ab gesandter auf die Suche nach Menelik gehen. Diese angenehme Ausgabe ist thatsächlich dem Major Nerazzini zugethcilt worben, der zunächst eine längere Unterredung mit General Baldissera in Asmara hatte und sich nun nach Massaua be geben soll, um von da aus auf einem bereit liegenden Kriegs schiff die Neise nach Zeilah anzutreten. Der Zweck seiner Sendung ist, mit Menelik wegen Auslösung der italienischen Gefangenen zu verhandeln. Ta Menelik wahrscheinlich verlangen wird, diese Verhandlungen in Schoa zu führen, ist Anzeigen-PreiS die 6 gespaltene Petitzeile 20 Psg. Reclame» unter dem Rebactionsstrick (4ge- spalten) bO/H, vor den Famtliennachrichten (6 gespalten) 40 Größere Schriften laut unserem Preis- verzeichniß. Tabellarischer unk Ziffernsatz nach höherem Tarif. bares Wesen gefunden zu haben. Ich hätte wirklich jetzt zum ersten Male Lust, mich seßhaft niederzulasfen und die wissenschaftlichen Erinnerungen meiner Reisen zu verarbeiten. Aber wo eine passende Persönlichkeit für mein Haus finden? Das hält verdammt schwer." „Nun gebe ich Ihre Frage zurück: Warum heiratheten Sie nicht, Herr Major?" „Bah, lieber Freund, wenn ich ganz ehrlich sein will, muß ich sagen, weil ich im Grunde des Herzens zu sehr Idealist bin. Sehen Sie, ich hatte eine solche Angst, ent täuscht zu werden und irgend eins der modernen Gänschen zu ergattern, so daß ich vor lauter Befürchtungen nie das Abkommen gefunden habe. Ja, wenn mir jemals ein Mädchen wie meine Nichte Eva über den Weg gekreuzt wäre! Ich sage Ihnen, im Parademarsch wäre ich » die Kirche und unter das Ehejoch marschirt! Möchte wissen, wer einmal dieses große Loos ziehen wird. Er müßte ein ganzer Mann sein, denn sie ist wirklich ein vernünftiges Frauenzimmer und mit dem gewöhnlichen Firlefanz von Veilchensträußchen und Colillonbouquets nicht zu gewinnen. Nun, vorläufig hat eS damit, glaube ich, keine Noth, so lange die Mutter lebt!" „Und nachher?" fragte Harald, „inwiefern könnte das eine Wandlung herbeiführen?" „Ihnen gegenüber, lieber Doctor, will ich einmal frisch von der Leber weg reden. Meinen Schwager habe ich nie leiden können. Er ist ein alter Perrückenstock mit einer Holz seele, welcher zum mindesten nicht eine Frau wie meine Schwester verdient. Sehen Sie, das ist das Wunderbare. Anderen Menschen gegenüber fühlt meine Schwester todtsicher heraus, waS Wahrheit, was Täuschung ist. Sie blickt ihnen rasch auf den Grund der Seele, weil sie — wenn auch durchaus keine bedeutende Frau — so doch eine sehr gute ist, mit höllisch feinen Fühlfäden versehen. Nur ihrem Manne gegenüber ist sie stets blind gewesen, als hätte sie mit Gewalt beide Augen zugedrückt und sich immer nur vorgebetet: Ich will ihn bewundern. Na, gescheit ist er ja in gewisser Weise, aber ich kann diese berechnende Seele nicht leiden! Ehrgeiz ist ganz gut, wenn er große Ziele bat, die über die Person hinaus gehen, aber die andere Art von Ehrgeiz — pfui Teufel! ganz gemeiner Schmutz ist eS, obgleich er meinst ein sehr falsches Gewand trägt." „Beurthrilen Sie den Herrn Präsidenten nickt zu schroff, Herr Major? Aber ich komme auf meine Frage zurück: Was hat das Leben Ihrer Frau Schwester oder leider fremde Anmaßung das Schwert zu ziehen, aber die Freude l am Kampfe und damit auch die Aussicht auf den Erfolg > muß verringert werden, wenn der natürliche Verbündete seine Hilfe versagt." Im Rtichslande wird nach einer Mittheilung, die der „Magdeb. Ztg." zugeht, die hohe Auszeichnung, dir dem Pfarrer Colbus kürzlich zuTheil wurde —, er erhielt vom Papste außer dem apostolischen Segen einen kostbaren Siegel ring nebst einem schmeichelhaften Handschreiben — viel be sprochen. Natürlich gilt die Auszeichnung nicht dem Hifspsarrer, der in seiner bescheidenen Stellung auch beim besten Willen nichts tbun kann, was die Aufmerksamkeit in Rom auf ihn lenken könnte,als v^lmehr demP olitiker, spcciell in seiner Eigenschaft als Reichstagsabgeordneter. Als solcher betrachtet er es als selbstverständlich, Hand in Hand mit dem Proiestabgeordneten Preiß zu gehen in allen Fällen, in denen es sich darum handelt, der deutschen Verwaltung etwas am Zeug zu flicken; so neulich wieder bei der Berathung der Einführung des Reichspreßgesetzes in Elsaß - Lothringen. In maßloser Uebertreibung behauptete er, wie fast regelmäßig, wenn er das Wort ergreift, cs herrsche im ReichS- lanve unerträgliche Willkür; die Negierung unter drücke jede Willensmeinung und führe das Land mit Riesen schritten dem Materialismus entgegen. Im klebrigen habe man eS nicht verstanden, die Herzen der Bevölkerung zu gewinnen, und es sei eine Thatsache, daß man seit 25 Jahren auch nicht einen Schrill vorwärts gekommen sei. Die klerikale Presse sorgt mit sichtlicher Genugthuung dafür, daß derartige Hetzreden bis in die ärmste Hütte Ver breitung finden, und schürt damit die Unzufriedenheit der urtheilslosen Masse. Jedenfalls trägt Colbus in Ver bindung mit vielen seiner Amtsgeuossen dazu bei, daß die Bevölkerung sich nickt so rasch, als wünschenSwerth wäre, mit dem Deutschthum aussöhnt. Charakteristisch ist es, daß nach allgemeiner Annahme gerade diese Seite der Colbus- schen Thätigkeit Anlaß zu der demonstrativen päpstlichen Auszeichnung gegeben hat. Daß letztere auf Empfehlung des bekannten franzosenfreundlichen päpstlichen Cardinalstaats- secretairS erfolgt ist, nimmt man im Elsaß überall als selbst verständlich an. deren Sterben mit den Entschlüssen der Tochter zu thun, — oder bester gesagt, mit deren Entschluß, einmal zn heirathen?" „Das will ich Ihnen sagen. Zunächst hält meine Schwester beide Hände über das Mädchen, und dann, ich wette zwei Flaschen Sect, wenn die Frau auS der Welt geht, ist mein Schwager nach kurzer Frist mit dieser intriguanten Person, der Mohlen, verhciratbet." „Wie können Sie so etwas behaupten!" fährt Harald auf, „es ist fast eine Beleidigung aller eben genannten Personen. Was berechtigt Sie zu Voraussetzungen, die geradezu empörend sind?" Der Doctor läßt die breite Rechte energisch auf den Tisch fallen. „Mein lieber junger Freund, ich bin kein Mensch, der überall etwas Schlechtes wittert", unterbricht den Erzürnten der Major. „Was mich berechtigt?" Ich bin zweimal im Hause meines Schwagers innerhalb der letzten acht Tage gewesen. DaS eine Mal mar er mit ihr im Lpernhausc — der Herr Präsident ging früher nie in eine Oper, trotz der Musik liebhaberei seiner Frau — und bei meinem zweiten Besuche traf ich die Beiden nach dem Abendessen zusammensitzend im traulichen Schein der Lampe. Mein Schwager las der Cousine auS Heine vor, zwar Prosa, aber doch Heine. Vor gelesen hat er sonst Niemandem in der Welt, wenigstens nie aus einem Buche. Nebenbei, früher pflegte er erst um 9 Ubr aus dem Iuristenclub m kommen." „Nun ja, Herr Major, der Präsident fühlt sich jener Dame verpflichtet." „So, — nun ich habe eine andere Ansicht. — Er ist ein Narr. Sollte meine gute Schwester nicht mehr lange leben — und man muß dieses leider annehmen —, sagen Sie einmal offen, kann Eva etwas Bessere- thun, als beirathen? Sic, die Feinsinnige, stolz Zurückhaltende, als Stieftochter jener grobsinnigen, wenn nicht grobsinnlichen und oberflächlichen Frau! Unmöglich! Und wenn schließlich Eva schon jetzt eine gewisse Sympathie für Ihren Freund, den Assessor, hätte, so — na, das Weitere können Sie sich denken. Der Präsident würde den beiden keinen Stein in den Weg werfen." Bei den letzten Worten blickt der alte Borstel scharf zn Harald hinüber, der die Arme über der Brust gekreuzt vor sich nieder sieht. Kein Zweifel, er zuckle zusammen bei Er wähnung seines Freundes und ganz im Gegensatz zu seinen Worten nimmt beS alten Soldaten Gesicht einen höchst be friedigten Ausdruck an. „Nun, mein lieber HaraldaßmuS, genug jetzt vom lieben zu können, in demselben Raume zn sein, in welchem Eva zu leben pflegte, vielleicht sogar nur, um ihr lebensgroßes Bild über dem Sopha im Wohnzimmer beim Vorübergehen zu grüßen. Frau Lola grübelt und grübelt. Auf dem Tisch in einer Schale von Meißner Porzellan wird zufällig ihr Blick durch eine Visitenkarte von Hofrath Koschrodt festgehalten. Plötzlich kommt ihr eine Erinnerung an dessen boshafte Bemerkung über das häusliche Leben des Doctor Raßmus. War das nur eine selbsterdackte, kleine Scandalgeschichte des spitzzüngigen Hofrathes oder war etwas Wahrheit daran? Und wieder schießt es ihr durch den Sinn: wenn Eva etwas davon ahnte! Ganz vergessend, wie sie eigentlich empfinden müßte, wenn jene Geschichte auf Wahrheit beruhte, erfaßte sie nur der eine Gedanke: was wird Eva dazu sagen? Immer wieder dieser Gedanke. „Ah, ich werde das feststellen!" Während sie mit dem Präsidenten im Theater sitzt, hält sich der Major von Bostel bei Harald Raßmuß auf und plaudert von seiner englischen Reise. „Sagen Sie mal, lieber Doctor, haben Sie nie ans Heirathen gedacht?" fragt er in seiner, das Thema des Ge sprächs rasch wechselnden Art, gerade als Frau Christensen Vas Zimmer verlassen hat. - Harald schaut zum Fenster hinaus, durch welches selbst in diesem enggebauten Stadtviertel ein frischer Hauch warmen FrühlingSathem hereinströmt. „Nein, Herr Major, niemals! Wozu auch? — die Christensen hier hält mir meine Wohnung vortrefflich in Ordnung, sie ist anstellig und für mich als Arzt fast unent behrlich. Ich habe nur die eine Befürchtung, daß diese noch immer ansehnliche Wittwe sich doch noch einmal zu einer zweiten Heirath bewegen läßt. An Anträgen fehlt eS ihr nicht, besonders da ich für ihren nun zwölfjährigen Sohn Sorg; tragen werde." „So, so," antwortet der Major, „und wo haben Sie diese Person anfgetrieben?" „Das will ich Ihnen erzählen, Herr Major", ihn fest ansehcnd. Al« Harald geendet, nickt der alte Herr ihm zn, wischt sich mit dem Rücken der linken Hand über die Augen und dem Doctor die Rechte hinstreckend: „Brav so, — ein ganzer Kerl, weiß Gott, ejn ganzer Kerl sind Sie! Na, etwa« Anderes zu sagen glHiemt mir nicht. Sie können Wohl lachen, ein solch ordentliche«, brauch- Judas. 9j Roman von ClauS Zehren. Nachdruck verboten. „Glauben Sie, daß die Liebe einer Tochter sich je durch den verletzten Ehrgeiz eines Vaterö hat unterdrücken lassen? Im Gegentheil. Wir Frauen sind vielleicht gerade geneigt, als Anregung für entstehende Neigungen solche Widersprüche aufzufassen." „Aber Thorheiten, Thorheiten!" Der Präsident alterirt sich wirklich. „ES ist gut, Lola, daß Sie mir die Augen öffnen, ich bi» Ihnen dankbar dafür. Ein Grund mehr für mich, den Assessor Hansen zu protegiren, der mir wirklich als Schwiegersohn gerade nicht unwillkommen wäre. Nebenbei sind die beiden Herren Freunde und Hansen interessirt sich für Eva ohne Frage. Oder glauben Sie nicht?" „Ja, das glaube ich nicht nur, sondern weiß eS sogar." „Nun, dann könnte noch Alles gut werden. Daß fehlte mir noch, — dieser arrogante RaßmuS, ach, eS ist ja einfach lächerlich! Und Eva, der sich schon ganz Andere- geboten hat." „Wollen wir uns nicht „Fatinitza" im Frirdrich-Wilhelm- städtischen ansehen?" sagte Lola ablenkend. „Gewiß, mit Vergnügen, ich werde Billete besorgen lassen." Der Präsident nimmt die Kreuzzeitung und verläßt noch immer erregt da« Zimmer. Mit einem befriedigten GesichtsauSvruck schaut ihm Frau Lola nach. Sic verstand zwischen den Zeilen von Eva S Brief »n lesen. Sie verstand eS, weil für nicht« die Eifersucht ein feineres AhnungSvermögen besitzt, als für das Au-wittern von Nebenbuhlerinnen. Diese Fran, welche einmal au« Vernunft geheirathet, die seit zehn Jahren mit der Vernunft de« eigenen „Ich«" lebte, war zum ersten Male von einet Leidenschaft erfaßt worden, gegen deren Gewalt sie sich vergebens gewehrt hatte. Nim batte sie den Widerstand aufgegeben, um mit der ganzen Energie eines gereiften WeibeS sich denjenigen zu erobern, von welchem sie da« Glück erhoffte. Doch die eigenen Wünsche machten sie blind. Die häufigen Besuche deS DoctorS galten nicht ihrer Person, sondern wurden lediglich durch den Wunsch herbeigeführt, mit ihr über die Abwesenden sprechen Politische Tagesschau. * Leipzig, 19. Juni. Die Interpellation über den „Fall BashforL" hat gestern im Reichstage ganz den Verlauf genommen, den unser Berliner ^-Correspondent in einem in unserer Morgenaus gabe vom 11. d. abgedruckten Briefe vorauSgesagt hat. Er batte die Ansicht ausgesprochen, daß die Besprechung ergebniß- los verlaufen würde, weil sie von der antisemitischen Partei auSging, die eine exponirte Stellung einnimmt, mit keiner anderen Partei rechte Fühlung hat und sich in Uebertreibungen gefällt, die eine Zurückweisung leicht mache». Wie zutreffend diese Ansicht war, ergiebt sich daraus, daß die Interpellanten nicht einmal genügende Unterstützung für ihren Antrag auf Besprechung der Interpellation fanden. Man hat infolge dessen nicht einmal erfahren, aus welchem Grunde der StaatSsecretair vr. Stephan die von den Osficiösen längst in Aussicht gestellte amtliche Darlegung über den Vorfall so lange verzögert hat. Und eS ist ferner unterblieben, auf die An regung einzugeben, daß bei Beleidigung von Beamten in solchen Fälle», in denen ein öffentliches Interesse an der Verfolgung vorliegt, die Strafverfolgung nicht von der Stellung des Antrages abhängig gemacht werden solle. Unser genannter Correspondent, von dem diese Anregung ausging, schreibt uns heute: „Die Stellungnahme des Herrn Staatssecretairs zu der Inter pellation bat die Berechtigung dieser Anregung erhärtet. Er erklärte, daß er die Zurückziehung des Strafantrages nicht angeordnet habe, da er ja gar kein Recht dazu habe. Aber auS seiner ganzen Besprechung des Falles ging hervor, daß er die Zurückziehung gewünscht hat. Wenn ein junger Mann zu einer Dame sagt: „Ihr Wunsch ist mir Befehl", so ist daS eine Galanterie; für den Beamten aber ist dieses Wort seinem Vorgesetzten gegenüber keine liebenswürdige Phrase, sondern bitterer Ernst. Er muß die Erhaltung seiner Stellung gegen sein gekränktes Ehrgefühl in die Waagschale Wersen: und die clura. uecesmtus wird oft die materiellen Rücksichten schwerer wiegen lassen. Um den Beamten dieses Dilemma zu ersparen, haben wir eben den Vorschlag auf Aufhebung der Nothwendigkeit des Antrages in diesen Fällen gemacht. . Herr von Stephan hat schließlich — btzeichnenver Weise unter dem Beifall der Linken — gemeint, die Wahrung des Ansehens der Postver waltung möge man doch dieser selbst überlassen. Wir haben schon neulich betont, daß es sich in diesem Falle nicht um das Ansehen des einzelnen Postbeamten handelt; es handelt sich auch nicht um die Würde der Postverwaltung, sondern nm die des deutschen Volkes. Diese Würde zu wahren, ist nicht Herrn v. Stephan's Ermessen zu überlassen. Leider hat nun auch der Reichstag, dem diese Aufgabe schon eher zusällt, versagt und eS ist jetzt nicht mehr zu hoffen, daß die leider von einem deutschen Beamten mitverschuldete, aber deshalb nicht entschuldbare That des Herrn Bashford eine Sühne findet. Dieses Resultat erfüllt uns mit tiefem Bedauern. Den nationalgesinnten Kreisen liegt es ob, Ansehen und Bestand des Vaterlandes gegen die Angriffe jeder Art von Radicalrn, Socialisten, Römlingen, Polen und neid- oder hochmutberfüllten Ausländern zu wahren. Läßt nun die Negierung die Fälle ü. la Bashford und SzadzynSki sich an häufen, so entsteht gar zu leicht der Anschein, als ob sie deni Kampfe gegen die Gegner des Vaterlandes keine Förderung I angcdeihen lassen wolle. Wohl werden patriotische Männer I .... ... . trotzdem nicht aufhörrn, gegen vaterlandslose Gesinnung und 'gegen die eigene Nation ^entzogen hat." Zn socialpolitischer
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