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01-Frühausgabe Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 28.07.1896
- Titel
- 01-Frühausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1896-07-28
- Sprache
- Deutsch
- Vorlage
- SLUB Dresden
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-18960728017
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id453042023-1896072801
- OAI
- oai:de:slub-dresden:db:id-453042023-1896072801
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Saxonica
- Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
-
Zeitung
Leipziger Tageblatt und Anzeiger
-
Jahr
1896
-
Monat
1896-07
- Tag 1896-07-28
-
Monat
1896-07
-
Jahr
1896
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Anläßlich der Beratbung des Gesetzentwurfs über den unlauteren Wettbewerb im Reichstag hat der Gegen stand bekanntlich schon eine sehr eingehende DiScussion veranlaßt, und es hat sich gezeigt, daß die Ansichten über denselben in der Volksvertretung ebenso weit auseinandergeben, wie in den betheiligten Kreisen. Die Mehrheit des Reichstags be kundete indessen insofern eine Uebereinstimmung, als sie den von dem Abg. Bassermann vertretenen Standpunkt theilte, daß die jetzige Handhabung der Concurrenz-Klausel eine schwere Schädigung der Angestellten zu Gunsten der Principale bedeute und eine Aenderung dieser Verhältnisse dringend ge boten sei, daß aber eine durchgreifende Neuregulirung der Frage nur bei der Berathung des neuen Handelsgesetzbuches am Platze sei. Als absolute Gegner der Concurrenz-Klausel erwiesen sich nur die Socialdemokraten. Die „Genossen" sind aber in diesem Puncte wieder einmal päpstlicher als der Papst; denn ihre Behauptung, daß die Concurrenz-Klausel in jedem Falle die Angestellten schädige, wird von den kauf männischen Angestellten selbst keineswegs durchweg ge- theilt. So haben nicht nur zahlreiche locale kauf männische Vereine, sondern auch der „Deutsche Verband kaufmännischer Vereinigungen" sich wiederholt gegen die völlige Abschaffung der Concurrenz-Klausel erklärt. Auf dem im vorigen Jahre in Mainz abgehaltenen VerbandStage wurde ein Antrag auf absolutes Verbot der Concurrenz-Klausel mit 60 gegen 23 Stimmen abgelehnt und auf dem diesjährigen, in Berlin veranstalteten VerbandStage kam ein Antrag zur fast einstimmigen Annahme, welcher durch die Ausstellung gewisser Bedingungen für die Klausel indirekt ebenfalls die gänzliche Abschaffung der letzteren verwarf. Freilich stehen die aufgestellten Bedingungen mit den in den Kreisen der Principale obwaltenden Anschauungen über die Concurrenz-Klausel in einem ziemlich starken Widerspruck, doch nähern sie sich im Allgemeinen den Grundgedanken, welche von dem Abgeordneten Bassermann im Reichs tag über die Angelegenheit vorgetragen wurden. Sie ver langen zunächst eine den Verhältnissen angemessene räum liche und zeitliche Begrenzung der Klausel und stellen die Forderung auf, daß sie nur da zulässig sein soll, wo eine Gegenleistung in Form eines höheren Gehaltes ge boten ist. Andere Forderungen freilich, wie die der Zahlung des halben Gehaltes an den Angestellten während der Geltungs dauer der Concurrenz-Klausel, dürften auf heftigen Wider stand stoßen. Aber auch ohne sie geben die von dem Ver bände normirteu Bedingungen noch weit über die Grundsätze hinaus, welche der tz 67 des neuen Handelsgesetzbuches auf stellt, der im Grunde genommen jede Concurrenz-Klausel zuläßt und dem Richter die Entscheidung darüber zuweist, ob er sie für angemessen hält oder nickt. Ohne „diScretionäres Ermessen" des Richters wird man ja überhaupt bei der Regelung der Frage nicht auskommen; es fragt sich aber doch, ob man dem Richter nicht gewisse Anhaltspunkte für die Beurtheilung schon im Gesetze geben soll. Die Meinung der Reickstagsmehrheit schien entschieden zu Gunsten eines solchen Verfahrens zu sein. Vorläufig darf festgestellt werden, daß die Frage des völligen Verbots der Concurrenz-Klausel weder im Parlament noch in den nächst- betbeiligten Kreisen eine nennenSwerthe Unterstützung findet und daß demnach die ganze Frage nur um die Fest setzung der Normen sich drehen kann, unter welchen die Klausel zulässig sein soll. Deutsches Reich. * Dresden, 27. Juli. Die Handels- und Gewerbe kammer beschloß in ihrer heutige» Sitzung, das königliche Ministerium zu ersuchen, dasselbe wolle im Bundesrath die Ablehnung der Anträge der Neichscommission für Arbeiter statistik, betr. den 8-Uhr-Schluß, beantragen. Die Kammer erachtet zwar die Gewährung einer neunstündigen Ruhezeit an die Angestellten für Wünschenswerth, hält jedoch die Vor schläge der Neichscommission zum Erlaß eines Gesetzes, welches zum Schutze der Angestellten einen allgemeinen Ladenschluß vorschreibt, für eine in das freie Bestimmungsrecht der Handel- und Gewerbetreibenden viel zu tief einschneidende Maßregel, die zudem noch geeignet sei, die Existenz des ohnehin bedrängten Kleinhandels weiter zu erschweren. Der Antrag war bei der Handels- und Gewerbekammer auf Betreiben von 309 Innungen, 59 Gewerbevereinen und 29 kaufmännischen Vereinigungen gestellt worden. * Berlin, 27. Juli. Wie der „Köln. Ztg." von hier geschrieben wirb, ist über die Verhaftung des Deutschen Friedrich Schröder in Ostafrika an amtlicher Stelle nicht das Geringste bekannt. Der Gewährsmann des rheinischen Blattes fährt dann aber fort: „Nach den be stehenden Vorschriften muffen alle Erkenntnisse, die in den Colonien gegen Weiße ergehen, der Colonialabtheilung mit- getbeilt werden. Voraussichtlich wird diese also erst nach gefälltem Erkenntniß amtlich mit der Angelegenheit befaßt werden. Im Uebrigen liegt kein Grund zur Annahme vor, daß sich der Vorfall nicht so, wie in den Blätte-n geschildert, zugctragcn hat. AuS durchaus zuverlässiger privater Quelle erfahren wir, daß Friedrich Schröder bereits zur Zeit deS Herrn v. Soden in Deutsch-Ostafrika war, und zwar als Leiter der deutsch ostafrikanischen Plantagen-Gesellschaft, deren Director sein Bruder I)r. Schröder-Poggelow ist. Schon damals wurde Friedrich Schröder brutaler Handlungen beschuldigt, die sich indessen nach der damaligen Lage der für Ostafrika gel tenden Gesetzgebung der gerichtlichen Verfolgung entzogen. Immerhin glaubte man, die Sachen nicht so weitergeben lassen zu dürfen, und es war die Rede davon, ihn aus Deutsch- Ostafrika auszuweisen. Dieser Maßregel entging er dadurch, daß er von seinem Bruder abberufen wurde und somit frei willig Ostafrika verließ. An seiner Stelle wurde ein anderer Leiter für die Plantagen der Plantagen-Gesellschaft ernannt. Es scheint nun, daß Friedrich Schröder nicht lange in Deutschland geblieben, sondern wieder in irgend eine An stellung der Plantagen-Gesellschaft nach Ostafrika zurückgekehrt ist. Personen, die ihn kennen, bezeichnen ihn als einen sehr tüchtigen und erfahrenen Pflanzer, erklären aber, daß sie sich nicht im Mindesten wundern würden, wenn er wegen brutaler Handlungen mit dem Strafgesetz in Conflict gekommen sein sollte." — Da auck Herr- Engen Wolf nicht in Abrede stellen will, daß Schroder die ihm von dem Gewährsmann des „Berl. Tagebl." nach gesagte „unglaubliche" Brutalität wirklich begangen babe, so wird es immer unerklärlicher, womit Herr Wolf die Be schuldigung gegen die deutschen Colonialbeamten begründen will, sie hätten den „außerordentlich gutmüthigen" Schröder entweder durch üble Behandlung zum Wütherich gemacht oder ihn fälschlich beschuldigt, um ihm „etwas am Zeuge zu flicken". * Berlin, 27. Juli. Nicht der Major Noedel ist der Held der operettenbaften Revanche-Scene mit dem „heiligen Sabul" auf der Höhe des Drumont, sondern der Ma;or Dumas. Die „Straßb. Post", die dies feststellt, schreibt darüber Folgendes: „Die französische Rangliste nennt als Commandeur des 19. Jägerbataillons in Troyes den Major Roedel. In Folge dessen haben auch wir diesen Herrn ge nannt, als wir den Bericht des „Figaro" über die „mili- tairische Pilgerfahrt »ach der Grenze" Wiedergaben, bei welcher auf der Spitze des Drumont der Commandeur deS 19. Jägerbataillons den „heiligen Säbel" anrief. Es scheint aber, daß die Angaben der französischen Rangliste ungenau waren, genauer gesagt, daß sich seit Erscheinen der Rang liste Veränderungen vollzogen haben. Wir empfingen näm lich heute Morgen eineu Brief ans Bussang, welcher eine Visitenkarte mit nachstehenden Angaben enthielt: Der Commandeur hecht: Oommanckanl <1. v. VIIAl^8 19e Lutaillon äs Oliasseurs s. pieck Dropes. B u s s a n g. Die Worte, welche wir mit lateinischen Lettern wiedergegeben baden, waren auf der Karte gedruckt, die übrigen geschrieben. Das Wort „TroyeS" war durchgestrichen und durch Bussang ersetzt. Es scheint also, daß in der Zeit seit Erscheinen der Rangliste der Commandeur des Bataillons und der Stand ort desselben gewechselt haben." * Berlin, 27. Juli. Wie berichtet, hat nun auch die Erste hessische Kammer dem Entwurf des Staatsvertrags zwischen Hessen unv Preußen über die Verstaatlichung und gemeinsame Verwaltung der hessischen? udwigsbahn ihre Zustimmung gegeben. Nun fehlt noch, um den Staats vertrag vollständig rechtskräftig zu machen, die Zustimmung des preußischen Landtags, an der nach den Erörterungen in den hessischen Kammern wohl nicht zu zweifeln ist. Be zeichnend war, wie schon kurz erwähnt, auf Seiten der Minorität, die gegen das Gesetz stimmte, das Verhalten der Klerikalen, die sich Mühe gaben, mit den stärksten Mitteln einen künstlichen hessischen Partikularismus gegen Preußen mobil zu machen. So entblödete sich der CentrumS- abaeordnete Sckmitt-Mainz nickt, Preußen der „rücksichts losesten Behandlung des schwächeren Gegners" und der „rücksichtslosesten Handhabung der Uebermacht" zu zeihen. Er versicherte, wenn daS Reich diesen Vertrag geboten, hätte er mit Freuden zugegriffen; und erging sich dann in folgenden Ausfällen: Nach Annahme des Vertrages werde Hessen die Rolle des Bezirks eines preußischen Eisenbahndirectors spielen. Es handele sich um die wirthschaftliche Existenz Hessens, Las keine Rücksicht wünsche, sondern ein Recht, das geachtet und ausgesührt werden muß. Nach- dem Militair, Justiz, Post und Telegraphie Hessen genommen sei, bleibe nichts übrig. Da möge man doch gleich einen Vertrag ab- schließen, dessen Inhalt einfach lautet: „Artikel 1. Von, 1. Januar 1897 wird Hessen als preußische Provinz behandelt." „Artikel 2. Wünsche des GroßherzogS werben thunlichst berücksichtigt." Der hessische Antheil an der Bahn wird ungefähr durch 2,5 Procent des preußischen Antheils ausgewogen. Trotzdem entsendet Hessen einen vortragenden Rath in die nut 22 vortragenden Rathen beietzte Centralstelle, es verfügt ferner über 9 Stellen für höhere Beamte in den Gemeinsckafls- directionen und bat nickt weniger als 69 Eisenbahnsecretairc, 113 Bureau-Assistenten, 265 Schaffner und Bremser, 201 Heizer u. s. w. zu ernennen. Schließlich ist es voll betheiligt an der Besetzung der Inspektionen und Stationen. Die Eisenbahndirection in Mainz führt den Titel: „Königlich preußische und großherzoglich hessische Eisenbahndirection", die in Hessen gelegenen Inspektionen und Stationen die Be zeichnung: „Großherzoglich hessische Inspektion" bezw. „Station". Somit war es nicht schwer, wie es übrigens seitens der Negierung und der Vertreter der national liberalen Partei mit allem Nachdruck geschehen ist, die klerikalen Gehässigkeiten gegen Preußen abzuthun. Schreibt schließlich doch selbst die „Franks. Zeitung", die, soweit das hessische Interesse in Betracht kommt, als unverdächtige Zeugin gelten darf, daß die finanziellen Abmachungen für Hessen nickt ungünstig sind und daß die hessische Regierung bei Abschluß des Vertrages die hessischen Interessen in keiner Weise vernachlässigt habe. * Berlin, 27. Juli. Herr v. Nathusius-Hunbis- burg, der, wie erinnerlich, von dem Organe des „Bundes der Lanbwirthe" heftig angegriffen worden ist, weil er die Nothlage der Landwirtbschaft nicht in dem von diesem bc haupteten Umfange anerkennen will, Kat dieser Tage im Landwirthschafllichen Verein für Neukalden Sieben, reffen Vorsitzender er ist, als Antwort aus jene Angriffe eine Er klärung abgegeben, die nach der „Magdeb. Ztg." folgenden Inhalt hatte: Er habe zwar eine Besserung der Lage der Landwirthschaft und seiner Wirthschaft gegen das Vorjahr constatirt, doch habe er damit nicht behaupten wollen, daß für die Landwirthjchast bereits wieder die Zeiten des Glanzes herangebrochen seien. Er sei heute noch Agrarier, aber nicht im euragirten Sinne, daß er Gewalt maßregeln von der Regierung zur Hebung der landwirthschast- lichen Productenpreise fordere. Als solche Gcwaltmaßregel müsse er de» Antrag Kanitz in seiner jetzigen Gestalt bezeichnen; dessen Durchführung er als den ersten Schritt zur socialdemokratischeu StaatSsorm betrachte. Diesem Anträge könne er nur mit der Klausel seine Zustimmung geben, daß jeder Landwirth, der nach der Annahme des Antrages Kaniy nachgewiesenerinaßen noch mit Unterbilanz wirihschaite, auf dem Wege der Expropriation von seinem Besitzthum entfernt werde. Seiner Ansicht von der Besserung der landwirthschastlichen Lage in dem beschränkten Sinne seien viele Lanbwirthe, aber sie wagen aus gewisser Scheu nicht, es öffentlich auszuiprechen, wie er es gethan habe bei dieser be sonderen Veranlassung. Herr v. NalhusiuS stellt also als Agrarier fest, daß der Terrorismus des Bundes der Landwirthe schuld daran ist, wenn eine richtige Schilderung der Lage der Landwirth schaft vielfach aus Furcht vor der Agrardemagogie unter drückt wird. V. Berlin, 27. Juli. (Telegramm.) Der Kaiser fährt heute an Bord der „Hohrnzollcrn" nach Bergen und wird bereit- am 31. d. M. nach Kiel znrückkehren, von wo er sich nach Wilhelmshöhe begiebt. ö. Berlin, 27. Juli. Die „Nat.-Ztg." meldet: Tie Berliner Buchdrucker körten in ihrer gestrigen allgemeinen Versammlung den Bericht des Delegirten über die General- Fenilleton. Cullur- und Sittenbilder aus der Schweiz des Gatkans. i. Der verzweifelte Kampf, welchen die Bewohner Kretas, der herrlichen MinoSinsrl, seit Monaten wieder gegen das Joch des türkischen HalbmondSkämpser, ist nur aus der geschichtlich erhärteten Thatsache zu verstehen, daß die türkische Herrschaft Unkultur, wirthschaftlichen Rückgang, politische und rechtliche Unfreiheit der allerunwürdigsten Art bedeutet, während von dem Tag der Loslösung eines Gliedes von dem ungesunden Körper des muselmännischen Reiches der Beginn einer Aera freier staatlicher Entwickelung, des raschen Auf schwungs aller kulturellen Faktoren, namentlich der Industrie und der Landwirthschaft datirt unv an die Stelle schwer lastender Armuth Geist und Gemüth befreiender Wohlstand tritt. Das hat man an Griechenland und Rumänien, an Serbien und Bulgarien gesehen, die, wenn sie auch stürmische Zeiten im Verlauf ibreS selbstständigen Werden-, vielleicht auch manchen Rückschritt zu überwinden hatten und wohl auch noch überwinden werden müssen, doch in vielfachem Betracht sich die Achtung Europas zu erringen wußten und nie mehr zu dem zurückkehren wollen, was sie einst als türkische Provinzen waren. Aber geradezu überraschend und wunderbar ist es, was eine ehrliche, .rationelle und zielbewußte Verwal tung aus dem romantischen, unter dem Jahrhunderte langen türkischen Regime total verwilderten und herab gekommenen Nordwesten der Balkanhalbinsel zu machen verstanden hat. Noch sind nicht zwei Jahrzehnte seit der Occupirung Bosniens und der Herzegowina durch Oesterreich-Ungarn verflossen und schon stehen jene Provinzen hoch über den meisten anderen Ländern des südlichen OstenS. Einst verschlossen für den Europäer, versteckt und welt verloren, schlief die golden« BoSna mit ihren bestrickenden landschaftlichen Reiren jahrhundertelange» Zauberschlaf, heute führen drei Bahnlinien mitten in diese eigenartige, an Schönheiten und Schätzen so reiche Welt, die sich Jedem ins Herr schmeichelt, der Gefühl für die Größe alpiner Natur, Verständniß für rin im Grunde unverdorbene- kraftvolle» Volk und dabei Sinn für modern« Thatkraft unv modernen Fortschritt besitzt. E» darf daher auch nicht Wunder nehmen, daß nicht nur jedes Jahr die Zahl Derer sich vergrößert, welche Bosnien und die Herzegowina mit dem Touristenstock durchwandern, sondern daß diese Länderstriche auch für Volköwirthe und Gelehrte, welche sich von den erstaunlichen Erfolgen praktischer Colonialpolitik durch den Augenschein über zeugen wollen, rin immer gesuchteres Ziel werden. Alle finden sie ihre Rechnung bei einem Besuch des roman tischen Landes, ru dem Jeden die Sehnsucht wieder zurückzieht, der seinem Zauber sich einmal hingegeben, und wenn man die Schilderungen der Balkanreisenden von diesem Wunderland« liest, — in jüngster Zeit hat Heinrich Renner, dem wir hier folgen, unsere Reise literatur mit einem prächtigen Werke über dieselben be reichert*) — so begreift man, daß sie nicht müde werden, ihre unauslöschliche Liebe zu Bosniens Bergen und Thälern, zu seinen grünen Matten und romantischen Städten, zu seinem kräftigen Volke und dess«n Eigenart zu betheuern. Das Letztere kennt schwerlich ein BoSnareisender besser als Nenner, der das Land wiederholt vor und nach der Occupatio» durch quert und vor Allem am Herzen des Volkes zu lauschen ver standen hat. Er weiß, wie es einst dort ausgesehen und wie die frische Lust europäischer Eultur in allen Verhältnissen Wandel zum Besseren geschaffen hat, so daß e- ebenso unter- haltend wi« belehrend ist, srinrn Schilderungen zu folgen. Durch den Umschwung der Ding« in Bosnien ward dir Bedar-f des Lande» bedeutend gestriger», neue Bedürfnisse traten allmählich hinzu. Die ein geführten Maaren wurden bedeutend billiger, di« Sicher heit des EigenthumS, die Erleichterung des Verkehrs, der Fall der Zollschranke», welche Bosnien und die Herzegowina von Oesterreich-Ungarn abgesperrt hielten, die große Menge der neu entstandenen Communicationen, insbesondere die Eisenbahnen und Vie vorzüglichen Straßen führten den Waarenzug im Innern de- Lande» auf Wege, die «r früher nicht einzuscklagen vermochte, und lenkten ihn hinauf bis in die abgeschlossensten HochgebirgSthäler. Wo früher der Holz becher genügt«, findet sich jetzt rin Glas; die Petroleum lampe, die inan ehedem nur vom Hörensagen kannte, ersetzt den bisher gebräuchlichen Kirnspan, «»srnbeschlagin« euro päisch« Bauernwazen verdrängen da» alte prähistorisch« Ve hikel mit den kreischenden Holzrädern, GlaSjenster halten ihren Einzug und verdrängen den Holzloden, di« getrocknete Thierhaut. Ziegeldächer entstehen in den Ebenen an Stelle *) Durch Bo-nIen-HerzegvwIna kreuz und quer. Wanderungen von Heinrich Renner. Jllnstrirt von W. L. Arndt und E. Arndt - Ceplin. Vertag von Dietrich Reimer. Berlin 1896. XIV und -81 Seiten. der mit mächtigen Schindeln gedeckten primitiven Behausungen. Der Bedarf hält überall seinen Einzug, er macht sich in Hausrath und Gewandung, vielfach aber auch in Putz und Flitterkram geltend. Aber man würde sich eine falsche Vorstellung von der kulturellen Entwickelung BoSnienS machen, wenn man glaubte, Gewerbe und Kunstgewerbe hätten dort nicht schon seit alten Zeiten eine eigenartige Stätte gehabt. Indessen sie waren nur auf einen bestimmten Kreis von Gegenständen beschränkt und wegen der Höhe ihrer Preise nicht für allgemeine Verbreitung geeignet. In den Kaufläden Sarajewos, der anmuthigen Hauptstadt Bosniens, die „wie ein Diamant aus der Um fassung von Smaragden sich aus dem Grün der Ebene zu dem seiner Berge emporhebt", überwiegen die europäischen Waaren, doch sind auch noch orientalische Stoffe, bosnische, türkische und persische Teppiche zu finden. Von großem Reiz ist die feine bosnische Leinewand, die sogenannten Bez-Gewebe mit Gold- und Silberfäden, oder durchbrochenen prächtigen Mustern, die sich schon im Auslande einen Markt verschafft haben. Außerdem die Tauschir- und Filigranarbeiten, di hübschen Kupfergefäße und Schüsseln, die Kaffeekannen und Service, Räucherbehälter u. s. w. Sie werden meist ver zinnt und mit den reizendsten Mustern und Arabesken ver ziert, sie können aber auch versilbert, vergoldet oder in der reinen dunklen Kupferfarbe geliefert werden. Alle diese echt bosnischen Erzeugnisse sind von so eigenartiger Schönheit, mit solchem künstlerischen Geschmack« gearbeitet, daß sie jedem, auch dem stolzesten Haushalt zur Zierde gereichen. Messer und Scheeren sind in verschiedenen Mustern und vorzüglicher Güte gearbeitet, sie sind oft damaScirt, mit ansaelegten Klingen und Beingriffen. Bon besonderer Güte sind die bosnischen L«derwaaren für den täglichen Bedarf, die mit Stickereien verziert werden, wie auch die einheimischen Kleidungsstück« geschmackvolle Schnürmuster aufweisen. Es liegt in der Natur der Sache, daß viel« der bisherigen bosnischen G«brauchsgegenstände entweder durch modern« europäische Muster verdrängt werden oder ihre Formen ändern müssen. Da ist e« nickt genug anzuerkennen, daß die Landesregierung so viel wir möglich dafür sorgt, da« Kunst gewerbe zu erhalten und neu zu beleben und diesen Artikeln weitere Absatzgebiete im Auslande zu verschaffen. DaS ist ihr besondere» mit den Erzeugnissen der Tauschirkunst, den Inkrustationen mit Gold und Silber auf Holz, mit den Arbeiten der Treibe- und Gravirkunst in Kupfer und Edel metallen gelungen. Di« Landesregierung errichtete eigene kunstgewerbliche NegierungSatelierS, in denen die alte Kunst erhalten und gepflegt und auck für Gegenstände deS modernen Gebrauchs praktisch zur Anwendung gebracht wird Di« schönen Arbeiten haben auf der GewerbeauSstellung in Wien wie auch in Paris und London viel Beifall gefunden, und auf den alljährlichen Weibnachtsausstellungen bosnischer Erzeug nisse in Wien finden sich Gegenstände von höchster Vollendung, von zartester Eleganz. Man staunt über die feinen Formen, die reizenden Farbcnrusammenstellungen, die geschmackvollen Zeichnungen auf den Vasen, Bonbonnieren, Cassetten, Spiegel- nnd Phoiographie-Rahmen, Staffeleien, Paravents, Lese- und Koranpnlten, den Tellern, Tassen, Leuchtern, Bürsten, Ci garettenspitzen und Hutnadeln, den Broschen, Doppelnadeln, Manschettenknöpsen, Tintenzeugen, Sonnenschirmen, Fächern, Bechern, Uhrkrtten, Aschenschalen u. s. w. Auch für die Teppichweberei hat die Negierung ein eigenes Atelier, eine Fabrik errichtet, in der Smyrna-, Perser- und bosnische Teppiche mit prächtigen einheimischen Mustern gewebt werden. Eine Menge Mädchen aller Confessionen findet hier An leitung und lohnende Beschäftigung. Ueverhattpt bat der Fabrikbetrieb in Bosnien und selbst in der Herzegowina schon eine ziemlich: Ausdehnung erlangt. In Mostar, der Hauptstadt de» letzteren Landestheiles, z. B. besteht eine ärarische Tabakfabrik, die 300—-00 größere und kleinere Mädchen und ein: Menge männlicher Arbeiter bc schäftigt, welche den ausgezeichneten Herzegowinaer Tabak zu Cigaretten und Cigarettentabak verarbeiten. Unter dem männlichen Personale sind alle Confessionen vertreten, unter den weiblichen nur Orthodoxe und Katholikinnen, da die Mohammedanerinnen — soweit sich solche überhaupt zur Arbeit melden — diese nach Hanse bekommen. Der Verdienst ist selbst für europäische Verhältnisse sehr anständig; die ArbcilSsäle sind sehr licht und reinlich gehalten, und die hübschen Gestalten der Mädcken, welche durchweg in ihrer malerischen Tracht, mit dem Fez auf dem Kopfe, bei der Arbeit sitzen, bieten «inen unvergleichlichen Anblick. Einzelne tragen Münzen, selbst Ducaten und alte türkische Goldstücke um Fez unv um den Hals. Diejenigen, welche sich diesen Luxn« nickt gönnen können, tragen Blumen am Fez und im Haar. Ebenso stehen Blumen auf allen Arbeitstischen, was einen so grundverschiedenen Anblick gegenüber den Arbeits sälen unserer Fabriken gewährt, daß man glaubt, hier werde nur zum Vergnügen gearbeitet. Oft erhalten diese Mädchen ihr« armen Familien mit dem für orientalische Begriffe sebr koken Lohne. ES giebt keine fleißigeren und geschickteren Arbeiter und Arbeiterinnen al« dieser jugendliche Nachwuchs, von denen so Viele ausgenommen werden, als sich nur melden. Dir Fabrik muß beständig vergrößert werben, da der Anbau deS Tabaks und die Ausfuhr der Fabrikate in steter Steigerung begriffen ist.
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